Elementarbuch der musikalischen Harmonie und Modulations Lehre

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Ausfuehrliche Uebungen zu Harmonielehre und Kontrapunkt

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    Elementarbuch

    der musikalisclien

    Harmonie- und Modnlationslehre.

    Zum unterrichtlicilen Gebrauche in Musikinstituten,

    Seminarien u. s. f. und zur Aufklrungfr jeden Gebildeten

    von

    Otto Tiersch.

    Gegrndet anf des Verfassers Harmoniesjstem.

    Eine allgemein verstndliche Darstellung der wichtigstenmusikalischen Fragen nach dem Standpunkte der heutigen Theorie

    und Praxis in der Tonkunst.

    Berlin,

    Verlag von Kobert Oppenheim.

    1874.

  • 1i

    ebersetzungsrecht vorbehalten.

  • Vorwort.

    In den praktischen Lehrbchern der Musiktheorie waren nach

    Gottfried Weber (Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetz-kunst")

    auf dem Gebiete der Harmonie- und Modulationslehre

    nennenswerthe Fortschritte nicht gemacht worden. Hatte doch

    kaum einer von den Verfassern jener Leitfden etc. die Leistungen

    eines Mor. Hauptmann und Helmholtz gengend bercksichtigt.

    Keinem war es daher auch gelungen, die einzelnen Erscheinungen

    und Lehrstze auf einfache, leichtverstndliche und allgemeine

    Principien zurckzufhren, ja der grsste Theil der neueren Theore-tiker

    hat diesen Versuch gar nicht gemacht, weil das betreffende

    Ziel fr unerreichbar gehalten wurde. (Man sehe die Vorrede in

    E. P. Eichter's Harmonielehre nach.) Das ganze Lehrgebude war

    daher bis jetzt far den praktischen Unterricht ein Conglomerat'

    von Einzelnheiten, die nur mit dem Gedchtnisse festgehalten

    werden knnen. Der Unterricht konnte sich deshalb der Haupt-sache

    nachnur an das Gedchtniss wenden, und er musste selbst

    den Schein der Wissenschaftlichkeit verlieren. Die Definitionen

    sind meist unklar und viel"chsogar ganz "lsch, selbst in den

    besten Werken dieser Gattung. Die Lehrstze und Eegeln ent-behren

    jeder stichhaltigen Begrndung, und es war z. B. ber-haupt

    nichtzu entscheiden, ob diejenigen im Rechte sind, welche

    die musikalische Production in dieengen Grenzen des strengen

    Satzes zwngen mchten, oder aber deren entschiedenste Gegner,

  • ly Vorwort.

    die alles berhaupt Mgliche gestattetwissen wollen. Dazu kommt,

    dass alle jene Lehrbcher, bevor sie sich mit den Accorden undmit den einfachsten Lehrstzen beschftigenknnen, den ganzen

    Apparat der Intervallenlehre voraussetzen mssen, und zwar nicht

    blos im allgemeinen Umrisse, sondern in seinem vollen Umfange

    und bis zu einer Sicherheit,wie sie die meisten Schler erst nach

    jahrelanger mechanischer Uebung erlangen. Es ist daher nurnatrlich, wenn die Harmonie- und Modulationslehre nach und

    nach so in Verruf gekommen ist,dass nur wenige Laien nach ihr

    verlangen und selbst Musiker von Fach kaum eine Ahnung von

    ihr haben. Kann man sich doch heute den Euf grosser Wissen-schaftlichkeit

    erwerben durch Kenntnisse, die noch im Anfange

    dieses Jahrhunderts jeder Musiker besitzen musste, der sich nureinigermassenber das Niveau eines Handwerkers" erheben wollte!

    Es ist dieses sicher ein Zustand, der auf die Dauer nicht ohne

    grossen Schaden fr die Tonkunst bleiben kann, und dessen Aen-

    derung daher von den Einsichtigeren n^it grosser Sehnsucht an-gestrebt

    werden muss. Hierzu beitragen zu helfen, ist auch die

    Absicht meiner Bestrebungen. Mein Erstlingswerk (System und

    Methode der Harmonielehre", Leipzig,Breitfcopfund Hrtel, 1868)ist nur bestimmt fr bereits durchgebildeteMusiker fesp.fr die

    Hand des verstndigenLehrers, der darnach seinen Lehrgang selbst-stndig

    zu entwerfen hat; dasselbe wendet sich also direkt nur

    an einen kleinen Kreis. Das vorliegendeWerkchen dagegen soll

    "sich als Leitfaden in der Hand des Schlers befinden, eventuell

    soll es dem Musikfreunde direkt und in leichtverstndlicher Form

    Aufschluss ber die wichtigsten musikalischen Fragen bieten; es

    wendet sich also an einen grossen Leserkreis. Die allgemeinen

    Principien,auf welchen das zu Grunde liegende Harmoniesystemsich erbaut, knnen wohl kaum einfacher und verstndlicher sein

    (s.S. 21 und 22 ff.).Fr ihre Eichtigkeitspricht die Thatsach,dass alle aus ihnen zu ziehenden Consequenzen mit der Praxis

    guter Componisten in einer Weise sich decken, die bei angenom-mener

    UnrichtigkeitjenerPrincipien geradezu wunderbar erschei-nenmsste. Ausserdem sttzen sie sich theils

    (nmlich in

  • 1Vorwort. V

    Beziehung auf die harmonische Ton Verwandtschaft, s. S. 21) auf Mor. Hauptmann, theils (in Beziehung auf die Verwandt-schaft

    durch Nachharschaft in der Tonhhe, s. S. 22) auf

    Helmholtz. Die Lehrstze und Kegeln entwickeln sich aus diesen

    einfachen Principien in so consequenterWeise, dass man sich

    jederzeit bei Kenntniss der Principien das ganze Systemund den gianzenLehrgang reconstruiren kann; das Gedchtniss

    braucht daher durchaus nicht belastet zu werden, und der Unter-richt

    gewinnt ungemein an Interesse. Die Definitionen der ein-zelnen

    Hauptbegriffeergeben sich dabei wie von selbst; um wie

    vieles dieselben verstndlicher und richtigersind, als in andern

    Lehrbchern, wird man bei einer Vergleichung der Erklrungen

    fr die Begriffe:Tonsystem, Tonart, Tonartleiter,Modulation, Ac-

    cord, Consonanz, Dissonanz u. s. f. ohne Weiteres einsehen. Hierzu

    kommt, dass nicht die ganze Intervallenlehre vorausgesetztwird,

    sondern hchstens die Bekanntschaft mit den drei Grundintervallen

    (reineOctave, reine Quint und grosse Terz)und mit dem Ganz- undHalbtonschritte. Was endlich meinen Standpunkt innerhalb der

    Parteien anlangt,so ist er ein der historischen Entwickelung der

    Tonkunst vollkommen entsprechender. Anhnger des strengenSatzes finden die Erklrung fr die Entstehung jener Kegeln, diein dieser Stylartals Dogmen galten; fr sie wrde sich beim prak-tischen

    Gebrauche des Buches der 113 unmittelbar an den 64 an-

    schliessen. Die Vertreter einer freieren Kichtung dagegen erhalten

    sowohl in den allgemeinenErluterungen ber die Harmonie und

    Modulation, als namentlich auch durch meine Ansicht ber das

    musikalische Gehr (s.S. 23) ein wirksames Mittel, um das

    alberne Geschwtz zurckzuweisen, welches bei Betrachtung neue-rer

    Compositionen harmonische Ungeheuerlichkeiten",Missklang"

    u. dergl.entdeckt haben will. Ichivage daher zu hoffen, ohne

    eine Anklage wegen Selbstberhebung zu befrchten, dass das

    vorliegendeWerkcjien, wenn noch nicht gengendes Bedrfnissfr dasselbe vorhanden wre, sich dieses Bedrfniss selbst ver-

    schaft'en wrde.

    Zum Schlsse erklre ich noch, dass ich das

    sthetische und berhaupt das philosophischeGebiet absichtlich

  • VIVorwort.

    nicht berhrt habe; es steht dieses nach meiner Ueberzeugung

    einer Grammatik Aer Tonsprache auch gar nicht zu.

    Als Vorstufe fr dieses Lehrbuch werde ich in der Krze

    auf Anregung und in Gemeinschaft mit L. Erk

    eine All-gemeine

    Musiklehre" verflfentlichen.

    Berlin, im October 1873.

    Der Verfasser.

  • Inhalt.

    Erstes Buch. Einleitungr. g^,^

    1. Gapitel. Physikdes Klanges

    .......

    ^

    1

    2. Capitel. Ton, Intervall,Tonsjstem

    6

    3. Capitel. Tondauer, Tonstrke,Klangfarbe

    19

    Zweites Bach. TonTenrandtschaft.

    1. Capitel. Allgemeines

    20

    2. Capitel. AccordischeTonverwandtschaft

    24

    3. Capitel. MelodischeTonverwandtschafb .

    30

    4. Capitel. Ehythmisches

    44

    5. Capitel. MelodischeModulation

    *

    53

    6. Capitel. Stimmenwesenund harmonische Brechung

    60

    Drittes Buch. Tonder Verwandtschaft

    zwischen Accorden.

    1. Capitel. Verbindungconsonirender Accorde

    73

    2. Capitel. Gemeineund stimmige Brechung

    81

    3. Capitel. Tonart85

    4. Capitel. HarmonischeCadenzen

    101

    5. Capitel. HarmonischeModulation

    104

    6. Capitel. Grundformender Hauptdissonanzen

    113

    7. Capitel. Stammformender Hauptdissonanzen

    118

    8. Capitel. Umkehrungender Hauptdissonanzen

    124

    9. Capitel. Vorbereitungund Auflsung der Hauptdissonanzen. . .

    126

    10. Capitel. Nebendissonanzender Tonart

    128

    11. Capitel. Schlussbemerkungen

    131

    Viertes Buch. Zugefttgteund unharmonische

    Tone.

    1. Capitel. Alterirteund bervollstndige Accorde

    132

    2. Capitel. Trugcadenzen135

    3. Capitel. Grenzender Modulation

    136

    4. Capitel. ZuflligeDissonanzen

    137

    Fttnftes Buch. PraktischeAnwendung.

    1. Capitel. Stjlarten151

    2. Capitel. Vom strengenSatz

    154

    3. CapiteL Choral- und Liedharmonisirungen163

  • I\

    \

  • Erstes Buch.

    Einleitung.

    1. Capitel. Physik des Klanges.

    "Beim unterrichte von Kindern und anderen Personen, welchen die wenigenTorauszusetzenden mathematischen Kenntnisse {die vier Species in ganzenund gebrochenen Zahlen] noch fehlen, beginne man mit 16 dieses Leit-fadens,

    whrendman

    sich den Inhalt des ersten Buches biszum Schlsse

    des ganzen Cursus aufspart. [Siehe Anmerk. 16]).

    1. Jeder Tonsatz ist fr den Hrer ein Stck der Aussen-

    welt, und als solches ist er zunchst ein Gegenstand fr die Vor-stellung.

    Zur Kenntniss der Welt ausser uns gelangen wir nur

    ,

    durch die sinnliche Wahrnehmung, eber Entstehung und Wir-kung

    der Sinneswahrnehmungen haben die neuesten physiologi-schenForschungen*) schon ziemliches Licht verbreitet. Es ist

    bekannt, dass alle Sinnes Wahrnehmungen durch die Materie, den

    Stoff, veranlasst werden. Die Materie aber ist an sich nicht

    wahrnehmbar, sondern nur ihr Druck, ihr Stoss,^ ihre Kraftusse-

    rung, berhaupt ihre Bewegung. Eine Wahrnehmung wird also

    durch die Bewegung irgend eines Krpers veranlasst. Die Wahr-nehmung

    dieser Bewegung wird vermittelt durch Sinnesorgane,Nervensystem und Gehirn. Die Sinnesorgane sind nichts als Ap-parate,

    deren Einrichtung eine derartige ist, dass die Bewegungen

    gewisser Krper sich umsetzen in Keizungen resp. Bewegungen

    unserer Nervenmasse. So hat man neuerdings die Einrichtungdes Auges o zu verstehen gelernt, dass durch dieses Organ Schwin-gungsarten,

    welche mit den Lichtschwingungen im Aether kaum

    noch eine Aehnlichkeit haben, den Sehnerven zur Fortpflanzungbergeben werden". In hnlicher Weise setzt das Gehrorgandie Schwingungen der Luft in Bewegungen der Gehrnerven um.Die Nerven leiten dann diese Bewegungen bis zum Gehirn fort,

    *) Eine populre Zusammenstellung der Eesultate dieser Forschungenndet man in E. v. Hartmann's Phuosophie des nbewussten" (3. Aufl.Berlin, 1871), welches Werk auch hier mehrfach benutzt wurde.

    Tier seh, Harmonielehre. 1

  • 2 Erstes Buch. Einleitung..

    und die Schwingungen der einzelnen Gehirntheile wirken endlichin einer uns noch unbekannten Weise auf unsere Seele derart

    ein,

    dass diese mit der betreffenden Empfindung antwortet.Dieser Vorgang selbst kommt uns nicht zum Bewusstsein, wohlaber die entstandene Empfindung, die dadurch zur Wahrnehmungwird.

    Die Musik nun wirkt durch unser Gehrorgan auf uns ein.Mit den Gesetzen, nach denen wir gewisseVorgnge in der Naturmittelst unseres Gehrsinnes wahrnehmen, beschftigt sich dieAkustik"*), ein Theil der Physik" (Naturlehre). Das WortAkustik" (griechisch)heisst wrtlich: Die Lehr^ vom Hren",.Alles was wir hren, nennen wir Schall; die Akustik heisst da-her

    auch die Lehre vom Schall".Die Akustik zerfallt in drei Theile. Die physikalische"

    Akustik betrachtet die Bewegung der schallerregendenKrper,die Fortpflanzung dieser Bewegung durch die Luft oder durcheinen andern Leiter und ihre mechanische Wirkung auf andereKrper. Die physiologische"Akustik bespricht die Einrichtungund die Bewegungen der einzelnen Theile des Ohrs und die Ein-wirkung

    des ganzen Vorganges auf unsere Nervenmasse, sowiedie Einrichtung unseres Stimmorgans. Die psychologische"Aku-stik

    endlich, von der noch usserst wenig bekannt ist, wrdees mit der weiteren geistigenVerarbeitung aller Polgen von Ge-hrnervenreizungen

    (d.h. von Gehrempfindungen)zu thun haben.

    Die musikalische" Akustik ist eigentlichnur ein Theil der letz-teren;sie schliesst aber auch einzelne Abschnitte der beiden

    ersten Theile mit ein.

    Sind die Bewegungen eines Krpers, durch welche ein Schallentsteht, unregelmssig, so heisst der Schall Gerusch; sind jeneBewegungen dagegen regelmssig periodisch,d. h. kehren sie nachgenau denselben Zeitabschnitten (Perioden) in genau derselbenWeise wieder, so entsteht ein Klang. Ein Gerusch kann manaus Klngen zusammensetzen und in Klnge zerlegen. Die mu-sikalische

    Akustik hat es nur mit Klngen zu thun. 2. Als Vorbedingung einer klangerzeugenden Bewegung

    der Krper sieht man eine Eigenschaft der letzteren an, die manElasticitt nennt. Jeder Krper besteht nach allgemeiner An-nahme

    aus der Vereinigung neben einander liegender kleinsterohne Vernderung der Masse nicht weiter theilbarer Massen-theilchen (Molekle). Gewhnlich befinden sich alle Molekleeines Krpers in ihrer natrlichen Lage, im Gleichgewichtszu-stande;

    wirkt aber eine ussere Kraft (etwa ein Schlag, ein Stoss)auf den Krper ein, so wird dieser Gleichgewichtszusfaindgestrt,indem die Molekle in Bewegung gerathen. Die Krfte, welcheverhindern, dass die Molekle sich ganz von einander trennen,heissen Molekularkrfke. Die Molekularkrfte, welche den ur-

    *) AUes, was einen Musiker aus der Akustik interessiren kann, findetsich in Helmholtz*s Lehre von den Tonempfind angen" (3. Aufl. 1871).

  • 1. Cap. Physik des Klanges. 3

    sprnglichen Gleichgewichtszustand bedingten, suchen, so balddie auf den Krper-wirkende ussere Kraft den Gleichgewichts-zustand

    gestrthat, die Molekle in ihre frhere Lage zurck-zufhren;sie wirken also der usseren Gewalt entgegen (und

    zwar direct proportional,d. h. im geraden Verhltaiiss).Daraus,

    ergiebt sich eine allgemeine Eigenschaft der Krper, die Elasti-cit. Diese Eigenschaft beruht demnach auf dem Bestreben derKrper, ihre ursprngliche Gestalt und Lage wieder anzunehmen,wenn diejenigeKraft, welche kleine Formnderungen an ihnenerzeugte,zu wirken aufhrt."*^)

    Die Elasticitt ist somit die Ursache einer rcklufigenBe-wegung;dieselbe leitet die Theilchen des bewegten Krpers nicht

    bls bis in ihren frheren Euhepunkt zurck, sondern fhrt sie,

    da jeder Krper in Folge des Beharrungsvermgens eine ein-malangenommene Bewegung beibehlt, noch ber diesen

    Punkt hinaus soweit nach der entgegengesetztenSeite fort, bisdie nunmehr in entgegengesetzterSichtungwirkende Elasticittdiese Bewegung aufhebt und endlich eine abermalige rcklufigeBewegung veranlasst. Der ganze Krper ndert demnach seineGestalt und Lage wiederholt nach entgegengesetztenSeiten hin.Dieses Hin- und Zurckgehen des Krpers wrde nie aufhren,wenn die Bewegung nicht durch Eeibung der Theilchen untersich und durch ussere Hindernisse (Luftdruck u. s. f.)nach undnach vermindert wrde. Solche hin- und hergehende regelmssigeBewegungen nennt man Schwingungen. Schwingungen also kn-nen

    die Ursache von Klangempfindungen T^erden. Die Bewegungeines Krpers aus der Gleichgewichtslage heraus und in dieselbezurck heisst eine halbe Schwingung ;^'^)diese bildet mit der glei-chen

    Bewegung nach der entgegengesetzten Seite der Gleichge-wichtslageeine ganze Schwingung. Die Zeit, welche der Krper

    zur Vollbringung einer ganzen Schwingung gebraucht, heisstSchwtngungsdauer oder Schwingungszeit. UAter Schwingungs-zahl

    versteht man diejenigeZahl, welche angiebt,wieviel Schwin-.

    gungen ein Krper in einer bestimmten Zeiteinheit (z.B. einerZeitsecunde)macht. Schwingungsweite (Amplitude) ist die Ent-fernung

    zwischen den beiden Endpunkten des zurckgelegtenWeges.

    Sowohl feste,als flssige,als auch gasfrmige Krper knnenelastisch sein, also auch in klangerzeugende Bewegungen gerathen.Unter den festen Krpern sind zu nennen: die Saiten des Klaviersund der Geigeninstrumente, die Stbe in der Glasharmonica undim Glockenspiel der Orchester, die Scheiben der Becken, diemembranfrmigen Pauken- und Trommelfelle, die Stahlzungen inden Zungenregistern der Orgel und in den Harmonikainstrumenten,

    *) Dr. A. WUner, Lehrbuch der Experimentalphysik",I. S. 144.**) Die franzsicheu Physiker betrachten in mmderpraktischer Weise

    schon eine halbe Schwingung als ganze Schwingung; sie zhlen daher inderselben Zeit immer doppelt so yiel Schwingungen als wir.

  • 4 ' Erstes Buch. Einleitung.

    die membranosen Zungen des menscMiclien Stimmorgans, fernerGlocken und Gefsse mancherlei Art. Alle diese Krper knnennur in Transversal- oder Querschwingungen gerathen. Die Be-wegungen

    der Luft sind klangerzeugend (Sctiwingungen vonFlssigkeitenwerden in der Praxis zu diesem Zwecke nicht ver-wendet)

    in den meisten Blaseinstrumenten und in der Sirene.

    In den Blaseinstrumenten (mit Ausnahme der schon genannten

    Zungenregister der Orgel und der Harmonika) sind es nur dieSchwingungen der in dem Hohlrume des Instruments einge-schlossenen

    Luftsule, durch welche die Klangempfindungen her-vorgerufenwerden.

    "

    Diese Luftsule macht Longitudinal- oderLngenschwingungen, d. h. sie zieht sich ihrer Lnge nach zu-sammen

    und dehnt sich dann wieder aus. Die Trompeten, dieHrner und die Posaunen haben ein kesselformigesMundstck,in welchem die Lippen des Blsers in Schwingungen gerathenund dadurch die Luftsule in Schwingungen versetzen. Bei Cla-rinette, Oboe und Fagott werden die Schwingungen der Luft-sule

    durch die Schwingungen sehr dnner und sehr elastischerEohrzungen hervorgerufen, in den Flten und in den Fltenre-gistern

    der Orgeln (mit Labial- oder Lippenpfeifen) dagegendadurch, dass sich ein Luftstrom an einer scharfen Kante bricht.Bei der Sirene*) sind es die Stsse eines regelmssig unter-brochenen

    Luftstromes auf die umgebende Luft, welche die Klang-bewegungenveranlassen

    B. Der Physiker und Physiologe kann zwar nicht nach-weisen,*"^)wie und auf welche Weise aus den Luftwellen und

    *) Die Sirene (a) ist bekanntlich eine dnne, kreisrunde, um ihrenMittelpunkt drehbare Scheibe aus Pappe oder Metall. Diese Scheibe ist amBande oder in einem oder- mehreren concentrischen Kreisen in regelmssigenAbstnden durchbohrt. Blst man durch eine E-hre (b) auf einen der durch-

    brochenen Kreise, whrend man die Scheibe durch

    "b die Schnur ohne Ende (c) dreht, so wird der Luft-stromregelmssigunterbrochen; er kann nmlich

    immer nur so lange ungehindert iiiessen, so langesich ein Loch der Scheibe genau unter der Oetf-

    nung der Rhre (b) befindet. Dieser Apparatwurde von Seebeck, Cagniard la Tour, Dove und

    Helmholtz verschiedenartigmodificirt und mit anderen Apparaten (mit einerWindlade, mit einem Uhrwerke zum Zhlen der Umdrehungen u. s. f.) ver-bunden.

    (Siehe Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen", 1865,S. 21 ff. und Populre wissenschaftliche Vortrge" L

    **) Warum dieser Nachweis nie gelingen wird, erklrt folgende Aus-lassung.Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und -Nerven den zuge-hrigen

    Hirnprovinzen oder, wie Joh. Mller sagt,den Sinnsubstanzen schliess-licheinerlei Bewegung zu. Wie in dem von iferrn Bidder ersonnenen, Herrn

    Vulpian gelungenen Versuche an Tast- und Muskelnerven der Zunge Empfin-.dungs- und Bewegungsfasern so mit einander verheilen, dass Erregung vonFasern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der anderen Art bergeht,so wrden, wre der Versuch mglich, vollends Fasern verschiedener Sinnes-nerven

    mit einander verschmelzen. Bei ber's Kreuz verheilten Seh- undHrnerven hrten wir mit dem Auge den Blitz als KnaU, und shen mitdem Ohre den Donner als Reihe von Lichteindrcken (nach Donder'sAusspruch). Die Sinnesempfindung als solche entsteht also erst in den

  • 1. Cap. Physik des Klanges. 5

    der Einrichtung unseres Ohres dasjenige resultirt, was wir inder inneren Erfahrung als Klang oder Ton kennen; er vermagaber zu zeigen, dass das, was von uns als Klang oder Ton em-pfunden

    wird, an sich betrachtet in einem Vorgange besteht,welcher sich aus den und den Schwingungen zusammensetzt"(E. V. Hartmann.)

    Die Physik lehrt nun, dass fast keine der klangerzeugendenBewegungen einfach pendelartig (wie diejenige eines Uhr-pendels)

    ist, sondern, dass in der Kegel jede Schwingungwieder aus einer grsseren oder kleineren Anzahl von Einzel-schwingungen

    zusammengesetzt ist. So schwingt z. B. bei einerKlaviersaite nicht blos die ganze Saite als solche, sondern auch

    jede Hlfte, jedes Drittel, jedes Viertel, jedes Fnftel der Saitemacht fr sich Schwingungen. An einer zusammengesetztenperiodischen Bewegung kann nur ein Fnffaches unterschiedenwerden, nmlich:

    1. wie lange jede.

    Schwingung dauert (Schwingungsdauer)oder wie viel Schwingungen auf eine bestimmte Zeit kommen(Schwingungszahl);

    2. wie lange die ganze Bewegung dauert (Bewegungsdauer);3. wie gross der Weg (dieSchwingungsweite) ist, den der

    schwingende Krper bei jeder Schwingung, durcheilt;4. aus welchen Einzelbewegungen jede Schwingung zusam-mengesetzt

    ist;5. wie diese Einzelbewegungen zu einander zu liegenkommen.Das letztere

    (diesogenannten Phasenunterschiede) ver-magnur das Auge zu erkennen; dem Ohre dagegen geht nach

    eingehenden Untersuchungen*) die Fhigkeit dazu ab. UnserGehr vermag also nur ein Vierfaches an einer Klangbewegungzu unterscheiden; dem entsprechenvier verschiedene Eigenschaftendes Klanges und zwar in folgender Weise:

    I. Von der Schwingungsdauer resp. von der Schwingungs-zahlhngt es ab, ob wir einen Klang hoch" oder tief nennen.n. Die Dauer der ganzen Bewegung bestimmt die Lnge"

    oder Krze" (Dauer) der Klangwahrnehmung..

    III. Die grssere oder geringere Schwingungsweite bedingtdie grssere oder geringere Strke" des Klanges.

    IV. Die Zahl und Art der Einzelbewegungen, aus denen jedeSchwingung zusammengesetzt ist, macht es mglich, den Klangeiner Geige von dem einer Flte zu unterscheiden, welcheEigenschaft man Timbre oder Klangfarbe" nennt.

    Sinnsubstanzen. Diese Substanzen sind es, welche die in allen Nerven

    gleichartigeErregung berhaupt erst in Sinnesempfindungen bersetzen^, unddabei, je nach ihrer ^atur,als Trger der specifischen Energien Joh. MUer'sdie Qualitt erzeugen." (Du Bois-Reymona,Ueber die Grenzen des Natur-erkennens", Leipz.1872, S. 6). Die Hirnsubstanzen selbst sind in ihrer Th-tigkeit der Beobachtung anbedingt entzogen; noch weniger kann daher ihreEinwirkung auf unser Erkenntnissvermgen beobachtet werden.

    *) Helmholtz, a. a. 0. S. 190 fF.

  • 6 Erstes Buch. Einleitung.

    2. Capitel.Ton, Intervall,Tonsysteme,

    . 4. Insofern man Klnge nach ihrer Hhe oder Tiefeunterscheidet, nennt man sie Tne. Die grssere oder geringereTonhhe

    *

    hngt also von der Geschwindigkeit ab, mit welcherdie Schwingungen des tnenden Krpers einander folgen. Jekrzer die Dauer der einzelnen Schwingung ist, oder jemehrSchwingungen auf eine bestimmte Zeit kommen, desto hher istder Ton. Von dieser Thatsache berzeugt man sich am leich-testen

    mittelst der Sirene (sieheS. 4, Anmerk.); denn je schnellersich die Scheibe dreht, je rascher also die einzelnen Luftstsseauf einander folgen, um so hher wird der durch die Sirene an-gegebene

    Klang. Es giebt nun unzhlig verschiedene Tne.Die Gesammtheit derselben heisst das Tonreich". Whlt manaus diesen Tnen eine Anzahl nach gewissen Bedingungen aus,so erhlt man ein Tonsystem"; ordnet man die Tne eines Ton-systems

    nach ihrer Hhe an, so entsteht eine Tonleiter" oderScala" des Systems. Jedem einzelnen Tone eines Tonsystemsgiebt man eine bestimmte Bezeichnung, um ihn von anderenunterscheiden zu knnen. Zu dieser Unterscheidung verwendetman verschiedene Mittel. Zunchst kann man einen Ton seinerHhe nach bestimmen, indem man die Stufe angiebt, welche erin einer bestinamten Tonleiter einnimmt. In der Eegel geschiehtdieses, indem man angiebt, um wie viel Stufen der betreffendeTon von dem Grundtone in der Leiter des diatonischen Systemsentfernt ist. Das diatonische System*) ist dasjenigeTonsystem,welches in einfachen Melodieeh (Volksliedernund Volkstnzen)gebruchlich ist. Ordnet man die Tne dieses Systems nach ihrerHhe an, so erhlt man die diatonische Tonleiter oder Scala.Den tiefsten Ton einer solchen Tonleiter nennt man ersteStufe", der nchste Ton heisst zweite Stufe" u. s. f. Zur Be-zeichnung

    der Stufen gebraucht man auch die lateinischen Ord-nungszahlen:Prime (I),Secunde (II),Terz (III),Quarte (IV),

    Quinte (V), Sexte (VI); Septime (VII),Octave (VIII),None (IX),Decime (X),ndecime (XI),Duodecime (XII) u. s. f.

    *) Um die Tne dieses Systems von einem bestimmten Tone aus auf-zusuchen,merke man sich die in der hier ^gebenen Melodie vorkommenden

    Tne. Ordnet man diese Tne nach ihrer Tonhhe,

    so erhlt man die dia-tonischeScala vom Grundtone C. Spielt man diese Melodie von einem an-deren

    Tone aus, so erkennt der Schmer, dass bei Aenderunff des Grundtonsauch die anderen Tne sich ndern.. Fr die Entstehung des diatonischenSystems und der diatonischen Scala findet man die Erklrung auf S. 32 ff*

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    ^

    Th. Frhlich (nach L. Erk).

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  • 2. Cap. Ton, Intervall, Tonsysteme. 7

    Viel genauer ist die Unterscheidung mittelst eines anderenVerfahrens, indem man nmlich jedem Tone eines Systems einenganz bestinmiten und feststehenden Namen giebt. Man geht auchhier wieder von der diatonischen Scala aus, und zwar von^iner bestimmten, nmlich von derjenigenmit dem Grundtone C.Die sieben wesentlich verschiedenen Tne dieser Scala benennt

    man in Deutschland bekanntlich mit den folgenden Buchstaben-namendes Alphabets

    C D E F G A H

    Diese Tne heissen Stanuntne". Bildet man diatonischeScalen von anderen Grundtnen aus, so findet man zwischen diesen

    Stammtnen noch andere Tne; diese Tne erscheinen bald als

    Erhhungen, bald als Erniedrigungen der Stammtne. Man nenntsie abgeleitete"Tne. Die Erhhung und die Vertiefung einesTones deutet man in Deutschland an, indem man dem betreffendenBuchstaben die Silben is" resp. es" anhngt.

    Ein Tonsystem, welches neben den Stanmitnen beide Artender abgeleitetenTne enthlt, heisst ein enharmonisches" Ton-system.

    Folgendes Schema enthlt eine enharmonische Scala:

    CdesTj es " fes T|^^es A as Ab TT ces peis ^ dis T-^ eis J- hs vi gis A ais J-1 his ^*

    Ein Tonsystem, welches neben den Stammtnen nur eineArt der abgeleitetenTne enthlt, heisst ein chromatisches"Tonsystem. Die Scala eines solchen heisst

    aufwrts: c eis d dis e f fis g gis a ais h c^;abwrts: c^ h b a as g ges f e es d desc.

    Die Ausdrcke diatonisch",chromatisch" und enharmonisch"sind der antiken griechischenMusiklehre entnommen; ber Ent-stehung

    und Bedeutung dieser Ausdrcke lese man die 4. An-merkungauf S. 14 nach.

    Eine weit bequemere Bezeichnung bildet endlich noch die^,Notation" oder die Notenschrift". Die Mittel zur Bezeichnungder Tonhhe in der Notenschrift sind folgende:

    1. Das Liniensystem mit seinen Linien, Hlfslinien und Zwi-schenrumen;

    2. Die Noten (offeneoder ausgefllteOvale);

    3. Die Schlsselzeichen i^^i m und ^t oder c^-,g^- und f-

    Schlssel)^);4. Die Versetzungszeichen(Jt,b und Ijoder Kreuz, B und B-

    Quadrat).Die Linien, Hlfslinien und Zwischenrume bilden Noten-stufen;

    die hhere oder tiefere Stellung der Noten auf diesenStufen deutet die grssere oder geringere Hhe der bezeichneten

    *) Verwirrend wirkt die Bezeichnung als C-, G- und F-Schlssel. Esdrfte sich empfehlen, hier Uebungen im Lesen der verschiedenen Schlsselin den verschiedensten Stellungeneinzufgen, nicht um Fertigkeitdarinzu erzielen, denn das erfordert langjhrigeUebung, sondern nur, um einenrichtigenBegriffvon der Bedeutung der Schlsselzeichen anzubahnen.

  • g Erstes Buch. Einleitung.

    Tne an. Die Schlssel geben die Stellung eines bestimmtenTones auf dem Liniensystem an; die Versetzungszeichen dagegensind zur Bezeichnung der abgeleitetenTne nothwendig.

    . 5. IMe Akustiker kennen verschiedene besondere Instru-menteund Verfahrungsweisen, mittelst deren man beobachten

    kann, wie viel Schwingungen ein Krper in einer bestimmtenZeit machen muss, wenn er einen Klang von bestimmter Tonhhe

    erzeugen soll. Am bequemsten beobachtet man dieses mittelstder S. 4 erwhnten Sirene.*) Man hat nun durch derartigeBe-obachtungen

    folgende Einzelheiten gefunden:1. Ein tnender Krper giebt das (eingestrichene)a^ in der

    hoffentlich bald allgenpieingebruchlichen Pariser Stimmung**)an, wenn er in jeder Secunde 437,5***) Schwingungen macht.

    2. Der tiefste vernehmbare Ton erfordert etwa 30 Schwin-gungen,

    whrend der Klang bei mehr als 38000 t) Schwingungenin der Secunde verschwindet. Dem Gehrorgan mangelt nmlichdie Fhigkeit,ber oder unter dieser Grenze liegendeLuffcschwin-gungen in Klnge umzusetzen.

    3. Die in der Musik gut verwerthbaren Tne erfordern etwa40

    4000 Schwingungen auf die Zeitsecunde-tt)4. Die Tonhhe wchst in derselben Weise, wie die Schwin-gungszahl

    des tnenden Krpers.

    6. Den Unterschied zweier Tne in der Tonhhe nenntman Intervall ttt) (Zwischenraum). Die Intervalle unterscheidet man

    *) Zur bequemeren Beobachtung verbindet man eben zu diesem Zweckemit der Sirenenscheibe noch ein Zhlwerk, welches die Zahl der Umdrehungender Scheibe fr beliebigeZeitabschnitte angiebt. Aus dieser Zahl und ausder Anzahl der Lcher des angeblasenen Kreises lsst sich dann leicht dieZahl der einzelneiv Luftstsse berechnen.

    **) Man hatte lange Zeit neben dem Kammertone (fr Instrumente)noch einen Chorton (fr Snger). Der letztere wird jetzt nicht mehr fest-sehalten, sondern man stimmt nur nach dem ersteren. Auch die Hhe desKammertones schwankte - (in Deutschland bis in die letzten Jahre hinein)

    wieder nicht unwesentlich bei verschiedenen Orchestern. Jetzt hat manbegonnen, die in Frankreich schon lngere Zeit allgemeingltige (von Aku-stikem festgestellte)Pariser Stimmung auch in Deutschiana einzufhren. Nach Heinr. Scheibler machte um 1850 das a^ beim Conservatoire in Paris

    484,5, beim Berliner Opernorchesteraber 441,62 Schwingungen in der Secunde.*) Nach franzsischer Zhlweise (siehe S. 3) also 875.t) Nach den Untersuchungen des Depretz, an kleinen Stimmgabeln

    angestellt.Siehe Helmholtz, Tonempfindungen'', S. 29.)tt) Der tiefste Ton des Orchesters ist das Ei des Contrabasses mit

    41^/4Schwingungen in der Secunde; als hchster Ton der Orchesterinstrumenteist wohl das d'^ der Piccoloflte mit 4752 Schwingungen in der Secunde zubetrachten. Neuere Flgel gehen in der Tiefe noch bis A2 mit 277 Schwin-gungen

    und grosse Orgeln so^ar bis C2 mit I672 Schwingungen. DieseTne liegennicht mehr innerhalh der Gtrenze, wo die Fhigkeit des Ohresaufhrt, die Schwingungen zu einem Tone zu verbinden. Sie sind daherauch keine eigentlichenTne mehr, sondern dienen nur zur Verstrkung derhheren Octaven.

    ttt) Zu jedem Intervalle gehren zwei Tne; es ist daher eine verwerf-licheUnklarheit, einen Ton eines Accords ein Intervall desselben zu nennen

    (siehe 41).

  • 10 Erstes Buch. Einleitung.

    ableiten. Diese Intervalle kann man daher die drei Grundinter-valle

    nennen. Sie haben folgende Grsse. Die Octave wird ge-bildetdurch zwei gleichnamigeTne (c^und c^). Bei der Quinte

    liegtder eine Ton auf der fnften Notenstufe und auf der achtenKlaviertaste von dem andern Tone aus (c^ und g^, c^ und f).Bei der Terz hat man die dritte Notenstufe und die fnfte Taste

    aufzusuchen (c^ und e^, c^ und as). Jedes dieser drei Inter-valleerscheint nmlich genau in der Grsse, in welcher es in

    der diatonischen Tonleiter (siehe 4 und 29) zwischen dengleichnamigen Stufen und dem Grundtone auftritt. In diesem*Falle heissen Octave und Quinte rein, die Terz dagegen nenntman gross. Die drei Grundintervalle sind also

    die reine Octave (c^-.c^),die reine Quinte (c^:g\ c^:f) unddie grosse Terz ?^)(c^:e\ c^:as).

    8. In Beziehung auf diese Intervalle fanden nun dieAkustiker durch ' Beobachtung und durch Berechnung folgendeThatsachen : Wenn ein Ton in einer bestimmten Zeit eine Schwin-gung

    erfordert, so macht seine hhere Octave in derselben Zeitzwei, die zweite Octave 2x2 = 4, die dritte 2x2x2 = 2^ = 8Schwingungen, und umgekehrt. Der hhere Ton einer reinenQuinte ferner macht drei Schwingungen, whrend der tiefere Tondesselben Intervalls zwei Schwingungen macht; die hhere grosseTerz dagegen verlangt fnf Schwingungen auf je vier ihres Grund-tons.

    Bestimmt man nun diese Intervalle durch Angabe der Ver-hltnisseder Schwingungszahlen,so verhlt sich

    ci:c2= 1:2,

    c^igi = 2:3,c^:e^

    = 4:5,daher ist im Verhltniss zu ihrem Grundtone (c^),diesen = 1 ge-setzt,"^^)die Schwingungszahl

    1. der hheren reinen Octave (c^) = 7i2. der hheren reinen Quinte (g^) = ^/g,3. der hheren grossen Terz (e^) = ^j^.

    *) 1. Aufgabe. Die drei genannten Intervalle sind von gegebenenTnen aus aufwrts und abwrts am Klaviere ^m bden und auch schrift-lich

    darzustellen. Das Aufsuchen der Octave ist leicht. Der gesuchte Tonder Quinte liegt(wie oben angegeben) auf der fnften Notenstufe und aufder achten Klaviertaste ber oder unter dem Ausgan^stone; der Terz ent-spricht

    die dritte Notenstufe und die fnfte Taste. Bei schriftlicher Uebunglasse man stets erst die Noten setzen und dann am Klaviere prfen,ob dasbetreffende Intervall rein, resp. gross ist, oder ob und welches Versetzungs-zeichen

    nothwendig wird. Schon hier soll der Schler mit dieser sehrwichtigen Uebung beginnen.

    **) Man kann nmlich die Schwingungszahl des hheren oder diejenigedes tieferen Tones in einem Intervall = 1 setzen, je nachdem man beideSchwingungszahlen mit der Schwingungszahl des tieferen oder mit derjenigendes hheren Intervalltones dividirt. Ist demnach die Schwingungszahl destieferen Intervalltones = 7^ ^Ih *A = 1 so ist die des hheren bei Octav= ^/i,bei Quint = '/bei Terz = */* Setzt man dagegen die Schwingunes-zahl des hheren Tones

    = ^2, */*"*/ = 1 so ist diejenigedes tieferen beiOctav

    = 72 bei Quint = */8,bei Terz == *l5.

  • 2. Cap. Ton, Intervall, Tonsysteme. H

    ?

    Weil nun jede einzelne Schwingung um so lnger dauert, jeweniger Schwingungen in einer bestimmten Zeit stiattfinden,soverhlt sich die Tonhhe zweier Klnge umgekehrt wie ihreSchwingungsdauer. In Beziehung auf die Schwingungsdauer sinddie obigen Verhltnisse also umzukehren, und es ist zu setzen

    c^ : c^ = 2:1 u. s. f.,oder: im Verhltnisse zu ihrem Grundtone (c^)ist

    die hhere Octave (c^) = V2'die hhere Quinte (g^) = ^3^die hhere Terz (e^) = Vs-

    In Beziehung auf die Lnge des tnenden Krpers (z.B. feinerKlaviersaite)gelten bei sonst gleicher Beschaffenheit nachDicke, Elasticitt,Spannung und dergl. aus hnlichen Grndendie fr die Schwingungsdauer angegebenen Verhltnisszahlen. Am anschaulichsten und praktischstenist es jedoch immer, dieVerhltnisse der Schwingungszahlen anzugeben, wenn man Inter-valle

    durch solche Zahlen bestimmen will.

    9. um von einem Tone ausgehend andere Tne durchOctave, Quinte und Terz zu bestimmen, kann man verschiedeneWege einschlagen. Es sind dieses folgende.

    Werden zur Bestimmung oines Tones zwei Intervalle voneinem Tone aus so abgemessen, dass man erst das eine Intervallbildet und dann von dem so gefundenen Tone aus das zweitenach der gleichen Seite abmisst, so sagt man, die beiden Inter-valle

    sollen addirt werden. So wird der Ton h^ von c^ ausdurch Addition einer aufwrts gemessenen Quinte (c^:g^) undTerz (g^:hi)gefunden; der Ton des dagegen wird bestimmt, in-dem

    man die abwrts gemessene Quinte c^:f mit der abwrtsgemessenen Terz f:des addirt. Natrlich kann man auch drei

    und mehr Intervalle addiren.Verbindet man dagegen zwei Intervalle so, dass das kleinere

    Intervall von dem gefundenen Tone aus nach der entgegengesetztenSeite liegtals das grssere Intervall,so sagt man, beide Intervallesollen subtrahirt werden. Der Ton es^ wird von c^ aus gefunden,indem man von der aufwrts gemessenen Quinte c^:g^ die ab-wrts

    gemessene Terz g^:es^ subtrahirt; den Ton a dagegen findetAlan von c^ aus, wenn man von der abwrts gemessenen Quintec^:f die aufwrts gemessene Terz f:a abzieht.

    Von Multiplicationder Intervalle sprichtman, wenn ein Tondadurch bestimmt wird, dass ein und dasselbe

    .

    Intervall von dem

    jedesmal gefundenen Tone aus mehrmals nach derselben Seiteabgemessen wird. Der Ton his^ wird von c^ aus durch Multi-plication

    der aufwrts gemessenen Terz mit der Zahl 3 gefunden(c^:e\ e^:gis^,gis^:his^);den Ton deses dagegen findet man,wenn man die abwrts gemessene Terz mit der Zahl 3 multiplicirt(c^:as,as:fes, fes: deses).

    Wenn man ein Intervall in mehrere gleiche Theile zerlegt,so wird dasselbe dividirt. So

    .

    ist.

    der dritte Theil der Septimec^:his^ eine von den Terzen c^:e\ e^:gis\ gi8^:his^

  • 12 Erstes Bach. Einleitung.

    Man kann ein Intervall auch zerfallen,indem man zwischenseine beiden Tne andere Tne einschiebt oder interkalirt. So

    kann die Quinte c^;g^ durch Interkalation des Tones e^ in dieungleichen Terzen c^:e^ und e^:g^ zerfallt werden.

    10. Mit Hlfe der Schwingungsverhltnisseder benutzteuIntervalle kann man auch die Tonhhe aller gefundenen Tne be-rechnen.

    Die mathematische Akustik*) benutzt nun diese Mg-

    *) Aus ihr mgen fr Weiterstrehende folgende Einzelheiten hier Platzfinden.

    a. Soll man zwei aufwrts gemessene Intervalle addiren, so multiplicirtman die Schwingungszahlen der hheren Tne der betreffenden Intervallemit einander, die Schwingungszahl des tieferen Tones immer gleich1 gesetzt.In Betreff der Schwingungszahl ist also, wenn man den Ton c^ = 1 setzt

    h^= c^:g + gi:h^ = Quint + Terz = /s x //* = '^/s-

    Hat man dagegen abwrts gemessene Intervalle zu addiren, so muss mandie Schwingungszahlen der tieferen Tne mit einander multipliciren.Setztman c* = 1, so ist

    des=

    c^:f + f:des = Quint + Terz = V X *h = ^Ae-b. Bei der Subtraction zweier Intervalle muss man mit der Verhltniss-zahldes kleineren Intervalls in die Verhltnisszahl des grsseren dividiren,

    und zwar benutzt man die Schwingungszahlender hneren Tne beiderIntervalle,wenn das grssere IntervaU aufwrts gemessen wird ; im entgegen-

    fesetztenFalle rechnet man mit den Schwingungszahlen der tieferen Tne,en Ausgangs ton = 1 gesetzt. Ist c^ = 1, so ist

    12 6I. es*

    =c* : g* g* : es* = Quint Terz = 8/2: '^/i= =

    -^lu

    IL a = c*:f f:a = Quint Terz = ^t^/s = t^ = 4-12 6

    Der Subtraction ganz hnlich ist die Comparation (Vergleichung).c. Hat man ein Intervall zu multipliciren

    ,

    so multiplicirtman bei auf-wrtsgemessenem IntervaU die Schwin^ungszahldes hheren, bei abwrts

    gemessenem Intervall dagegendiejenigedes tieferen Intervalltones so oft mitsich selbst

    (man potenzirtsie), so oft das betreffende Intervall abzu-messenist. Setzt man den Ton c* = 1, so ist

    I. bis*=

    3 X Terz = ^4 x 7* x 7* = (-|-)'= ^^^II. deses = 3 x Terz = */ X Vs x V0 = (

    -r- ) =64

    64

    5 ' 125

    d. Ist zu berechnen, wie gross die Schwingungszahl des hheren oderdes tieferen Tones (den entgegengesetztenTon = 1 gesetzt) in einemIntervall ist, das einen bestimmten Theil eines grsseren !^tervallsausmacht,so sagt man, das im ersten Falle aufwi'ts, im zweiten aber abwrts ge-messene

    grssere Intervall solle dividirt werden; dabei ist im ersten Falleaus der Schwingungszahl des hheren, im zweiten aber aus derjenigendestieferen Tones des gegebenen grsseren Intervalls die xte Wurzel auszuziehen,wenn x die gegebene Zahl der Intervalltheile ist. Demnach ist die Schwin-gungszahl

    I. des hheren Tones in einem Intervall, welches den vierten Theileiner aufwrts gemessenen reinen Quint betrgt (den tieferen Ton des Inter-

    4

    valltheiles= 1 gesetzt) = l/'^/i'^

    II. des tieferen Tones in demjenigen Intervall,welches den vierten Theileiner abwrts gemessenen reinen Quint ausmacht (den hheren Ton des

    4

    Intervalltheiles = 1 gesetzt) = l/^Js'Die letztere Rechnungsart ist nur mit Hlfe der Logarithmen ausfhr-

  • 2. Cap. Ton, Intervall,Tonsysteme. 13

    lichkeit,von einem Tone aus die Tonhhe anderer Tne zu be-rechnen,zur Berechnung verschiedener Tonsysteme. Je nach den

    bar, durch welche auch die anderen Intervallberechniingensehr vereinfachtwerden. Die Benutzung logarithmischer Tafeln verwandelt bekanntlich dieMultiplicationund Division von Zahlen^ssenin Addition und Subtraction,die Potenzirung und Eadizirung in einfache Multiplicationund Division derLogarithmen.

    Ausser diesen vier Operationen ist noch das Yerfahren der Interkalationzu erwhnen. Bei diesem Yerfahren ist es Aufgabe, zwischen die Tne einesIntervalls ein, zwei oder mehr andere Tne so einzuschalten (zu interkaliren),dass durch diese Tne das ursprnglicheIntervall in zwei, djrei oder mehrkleinere Intervalle zerlegt wird, die zusammen dem grsseren Intervalle gleichsind. Die Interkalation beruht auf Addition und Subtraction der Intervalle ;whrend aber dort immer mehrere Intervalle gegeben sein mussten, so kannman nach diesem Verfahren aus einem einzigengegebenen Intervalle mehrereandere ableiten. Die Schwingungszahlen der zu interkalirenden Tne mssenmultiplicirtmit, einander und mit der Schwingungszahl des hheren Tonesin dem hchsten der entstehenden Intervalle die Verhltnisszahl des gegebe-nen

    grsseren Intervalls ergeben. Man hat demnach nur die Verhltnisszahldes gegebenen Intervalls in Factoren zu zerlegen, um die Verhltnisszahlender entstehenden kleineren Intervalle zu finden. Jedes Intervall lsst sich

    nun auf unzhlig verschiedene Weisen zerfallen. Die Bedingung, dass auchdie Tne der entstehenden Intervalle hinsichtlich ihrer Schwingungszahlenin mglichst einfachen Verhltnissen stehen sollen,vermindert die Zahl dieserMglichkeiten. Die Schwingungszahl des hheren Tones im gegebenen Inter-vall

    ist nach dieser Bedingung in Factoren zu zerlegen,die in Zhler undNenner mglichst kleine ganze Zahlen haben. Der Zhler jedes Factors istdann um 1 grsser als der Nenner, und der Nenner jedes folgenden Factorsist gleich dem Zhler des voraufgehenden zu setzen. Dies ist der Fall, wenndie Schwingungszahl des hheren Tones im gegebenen Intervall in folgenderWeise in Factoren zerlegtwird, wenn nmlich bei einer Zerfllung in zweiIntervalle

    ^^'^x~

    ""

    2x

    2x4-1'

    bei einer Dreitheilungdagegen

    m ^^ + ^

    =

    3x.+ 1 3x + 2 3x-h 3

    ^ ^^

    X 3x'3x + l'3x + 2ist. So ist zu zerlegennach Formel I.:

    ..

    2_

    1_+_1_

    2.1 + 1 2.1+2_

    ^^

    1"

    1""

    2.1

    2.1 + 1~

    '' '"'

    d. h. 4ie Octave (c : c^) in eine Quinte (o : g) und eine Quarte (g : c');3

    _2 + l_2.2 + l 2.2 + 2__^^ Y

    -

    ~2~ - ""272""- 2:2"Tl " ^ ^''

    d. h. die Quinte (c : g) in eine grosse (c : e) und eine kleine Terz (e : g).Nach Formel 11. dagegen wrde zu zerlegensein:

    2__

    Ijf-JL_

    3.1 + 1 3.1 + 2 3.1 +j_

    1"

    1-

    3. 1

    3. 1 + r 3. 1 + 2?" /' '* ^*'

    d. h. die Octave (c : c^) in eine Qnarte (c:f), eine grosse (f: a) und einekleine Terz (a : c^).

    Man kann die Beihenfolge der Factoren in einer Interkalationsformel

    auch umkehren | statt = .

    -

    -

    ^rkann man setzen

    ^ X 2x 2x + l

    x+1 2x+2 2x+l ); man kann ferner jedes einzelne Glied einer

    solchen Formel weiter zerfallen ( statt=

    ^ .,

    kann man

  • 14.

    Erstes Buch. Einleitung.

    Intervallen, deren Verhltniss^ahlen man benutzt, und nach denEechnungsarten, welche man -mit ihnen vornimmt, kann man ver-schiedene

    Tonsysteme construiren, d. h. nach der Tonhhe ihrereinzelnen Theile bestimmen. Zur Herstellung von Tonsystemensind nur das Additions-*) und das Interkalationsverfahren an-wendbar.

    Interkalarsystemesind zuerst umfassend berechnet durchDr. A. Ebrard (System der musikalischen Akustik, Erlangen1866). Sie sind vollkommen unharmonisch und knnen keinerleipraktischeBedeutung beanspruchen. Alle anderen bis jetzt be-kannten

    Systeme sind Additionssysteme. 11. Zunchst hat man zur Berechnung und Herstellung

    von Tonsystemen nur Quinten und Octaven verwendet. Gehtman von dem Tone c aus durch Quinten aufwrts und abwrts,**)so erhlt man ohne Bercksichtigung der Lage nach Octaven fol-gende

    unbegrenzte Tonreihe:

    ...

    deses asas eses bb fes ces ges des as es b f c g d a e h fis

    eis gis dis ais eis his...

    ""

    Keiner dieser Tne hat gleicheTonhhe mit irgend einem andernTone oder mit einer Octeve desselben.***)

    Jeder Ton dieses Systems ist nun natrlich in jederbeliebigenOctave vorhanden; die Scala des Systems enthlt also alle erhhten undvertieften Tne gleichzeitig,sie ist vollstndigenharmonisch, ebensowie das System selbst.f) Wollte man dieses reine Quinten-

    x + l 2.2X+1 2.2X + 2 2x + 2\^ , -i^u-jsetzen:

    -

    - = jz . ^r-z -. r j. So ergeben sich bei derX 2. 2x 2. 2x+l 2x + l'

    Interkalation noch die Umkehning und das Verfahren der Substitution.(Nheres ber diesen Gegenstand hndet man in ziemlich populrer Darstel-lung

    in dem genannten Werke von Dr. A. Ebrard.)*) Die Thatsache, dass durch das Additionsverfahren mit Benutzung

    der drei Grundintervalle verschiedenartigeTonsysteme gefunden werdenknnen, wird durch folgendeUmstnde veranlasst: 1. durch Quinten und durchTerzen kann man nie einen Ton finden, der mit einer Octave des Ausgangs-tones

    gleichen Namen hat; es lsst sich aber durch 12 Quinten [('/")^' =129,74 = circa 128 = 2^] ein Ton finden, der mit einer Octave des Aus-gangstones

    nahezu gleicheTonhhe hat. 2. Durch 4 Quinten findet maneinen Ton, der mit einer Octave von der Terz des Ausgangstones gleichen

    N^men, aber nicht gleicheTonhhe hat |e' = c : g -f g : d^ -f- d^ : a^ -{-a* : e' =81 80 \

    (/i)* = TT, e* aber als Octav der Terz von c = ^^ ). 3. Durch 16 QuintenIb Ib '

    findet man einen Ton, der mit einer Octave von der Terz des Ausgangstonesnahezu gleiche Tonhhe, aber nicht gleichenNamen hat. Von C aus istDisis

    = (^a)^ = 656,84 = nahezu 640 oder */4x 2 = einer Octave der Terzvon c.)

    **) Statt der abwrt gemessenen Quinten kann man auch deren Um-kehrung,nmlich aufwrts gemessene Quarten verwenden (c f b es^ u. s. f.).

    ***) Nachdem man zwlf Qainten abgemessen und den gefundenen Tonin die Octave des Ausgangstones versetzt hat, so ist dieser Ton dem Aus-gangstone

    nur nahezu, aber nicht vollkommen gleich; er ist nmlich um dasIntervall 73 : 74 (ein diatonisches oder Pythagorischas Komma) zu hoch,

    denn : \' \ , = circa 73 : 74.(70t) Nach den Nachrichten des Plutarch, Aristoxenus, Euklid u. s. w.

  • 2. Cap. Ton, Intervall,Tonsysteme. 15

    System auf ein Tasteninstrument wie Klavier oder Orgel ber-tragen,so wrde man fr jede Octave eine grosse Zahl von

    Tasten nthig haben; die Mechanik des Instruments msste daherusserst complicirtsein, und eine auch nur einigermassen gelufigeTechnik wre kaum zu erzielen. Gleichwohl wre noch immer

    keine vollkommene Keinheit aller Intervalle mglich."^) Es sindnmlich alle Terzen des Systems unrei, und ebenso alle Sexten.Die hhere Terz 0 = ^/4 = ^^e* ^^^ ^^^ c = 1 ist um dasIntervall eines syntonischen Komma ''^*)(= 80:81 oder etwa Voeines Qanztones) tiefer, als das durch vier aufwrts gemesseneQuinten (c:g:d:a:e) gefundene e = V64-^^*) Dagegen ist dietiefere Terz As

    = ^/g= ^^/g v^om Tone c = 1 um dasselbe syn-tonische Komma hher*, als das durch vier abwrts gemesseneQuinten (c:f:b:es:As) gefundene As = ^/g,. Man kann daherdie hhere Terz zu c bezeichnen als e 1 Komma = e ( 1),die tiefere dagegen als As + 1 Komma = As (+ 1). Ausgleichen Grnden ist die hhere Terz von e ( 1) nicht gis,auch

    haben schon die alten Griechen dieses System gekannt. Sie fanden es jedochauf einem anderen Wege. Sie massen nmlich von einem Tone (c) aus eineQainte (c : e) und eine Quarte (c : f) aufwrts, und fanden so aus Quinte Quarte (siehe Subtraction der Intervalle auf S. 12) den franzton(f:g) =(8/8: */8= ^/s)= 8:9. Jede Quarte (von c bis f

    ,

    von^

    bis c^) theilten siein zwei solche Ganztne (= ^/s.^s = ^7** siehe Addition der Intervalle)

    und einen ^Kest( = ^js:^ 7* = t ) welches Intervall (243 ; 256) sie Limmanannten. Jeden Ganzton theilten sie dann sowohl aufwrts (c : des : d) alsabwrts (d : eis : c) in ein solches Limma (c : des, d : eis) und in ein kleineresIntervall,Apotome genannt (des : d, resp. eis : c), dessen Tne sich nach ihren

    (2187 \denn /8: ^^/ua= I.LimmaU4

    und Apotome heissen wohl auch Yiertelstne. Man nennt dieses reineQuintensystem auch das Pythagorische System. In ihm ist also des hherals eis, es hher als dis u. s. f. In diesem Tonsysteme unterschied man nunverschiedene Elanggeschlechter. Bei Darstellung der Elan^^eschlechterwurde Alles auf das Tetrachord (Viergetn) zurckgefhrt. Die Endtnedes Tetrachords mussten immer eine diatonische (reine) Quarte (s. 29)von einander entfernt sein. Aus der verschiedenartigenYertheilung derbeiden anderen Tne entstanden dann die verschiedenen Elan^eschlechter.War die Yertheilung eine solche, dass zwei Ganztne und ein Halbton ent-standen

    (c-d-e-f,d-e-f-g,e-f-g-a),so hiess das Klanggeschlecht: diatonisch(durch [ffanze]Tne gehend). Entstanden in jedem Tetrachord zwei Halb-tne

    und eine kleine Terz (ccis-d-f,d-dis-e-g),so hiess das Elan^eschlecht:chromatisch (gefrbt). Zerfiel endlich ein Tetrachord in zwei Viertelstneund eine grosse Terz (ccis-des-f,d-dis-es-g),so hiess das Klan^geschlecht:enharmonisch (zusammengefgt). Hieraus ergiebtsich die Bedeutung derAusdrcke diatonisch^ chromatisch und enharmonisch (siehe 4) von selbst.

    *) Dennoch hat da System noch in neuerer Zeit in Drobisch undNaumann ernsthafte Yertheidigergefunden.

    ) 80/64: ^764 = 80 : 81.'

    I. w = (Vi)' =!",=/n. (V8)*= e*=l! = "/".

  • 16 Erstes Buch. Einleitung.

    nicht gis ( 1), sondern gis ( 2), und ebenso die tiefere Terzvon As (+1) nicht Fes oder Fes (4-1),sondern Fes (+2), und sogeht dies ohne Ende fort. Neben der durch blosse Buchssabenbezeichneten Reihe von Quinttnen (dem PhythagorischenSysteme)wrde also ein System (das sogenannte natrliche),*)in welchemalle Intervalle reih sein sollen, noch eine unbegrenzte Zahl vonandern Tonreihen enthalten mssen. Es wrde sich dieses Systemohne Bercksichtigung der Octavlage seiner Tne wie folgt dar-stellen

    lassen:

    b( 2)f( 2)c (2) g (2) d (~2) a (- 2)e (2) h (2) fis(- 2)b(-l)f(-l)c(-l)g(-l)d(-l)a(-l)e(-l)h(-l)fis(-l)bfcgdaehfisb(+l)f(+l)c(+l)g(+l)d(+l)a(+l)e(+l)h(+l)fis(+l)b(+2)f(+2)c(+2)g(+2)d(+2)a(+2)e(+2)h(+2)fis(+2)

    Fr Instrumente mit feststehenden Tonhhen (Tasteninstru-mente)ist dieses System, welches fr theoretische Untersuchungen

    das einzigrichtigeist, nicht durchfhrbar,"^*)und zwar noch we-nigerals das Pythagorische. Ausserdem aber wrden bei An-wendung

    dieses natrlichen Tonsystems sich noch andere aufflligenzutrglichkeitengeltend machen. Es wrde nmlich bei vielenHarmoniefolgen ein Sinken der Tonhhe schon nach wenigenAccorden eintreten mssen, wenn man alle Quinten und alleTerzen vollkommen rein nehmen wollte. Ja, wenn jede Stimmefr sich rein singen sollte,so wrden in mehrstimmigen Tonstzensogar unreine Zusammenklnge entstehen mssen (siehedes Verf.System und Methode S. 257 ff.).

    12. Durch eine Vereinfachung des Phytagorischen Ton-systemshat man nun ein fr die Praxis sehr bequemes System

    gefunden. Dasselbe ergab sich dadurch, dass man je zwei naheaneinander liegenden, nur enharmonisch verschiedenen Tnen (cund his, eis und des, dis nnd es u. s. f.)gleiche Tonhhe gab.Zwischen je zwei solchen Tnen liegen,wenn man von der Octav-

    *) M. Hauptmann, der zuerst fr dieses System eintrat und ihm diesenNamen gegeben hat, kennt neben der Quintenreihe (von ihm durch grosseBuchstaben C G D A u. s. f. bezeichnet) nur eine, einzigeReihe von Terz-tnen

    (c g d a u. s. f.); sein natrliches Tonsystem ist daher vollkommenunzureichend (siehe Hauptmann, Die Natur der Harmonik und Metrik").Obwohl diese Thatsache schon sehr oft nachgewiesen wurde, so ist sie dochdurch Dr. Ose. Paul bei Herauso^abe des nachgelassenen Werkchens vonHauptmann (Die Lehre von der Ilarmonik) .abermals ignorirtworden.

    **) Helmholtz hat dieses Sjrstem durch einen den arabisch-persischenMusikern abgelauschten Kunstgriff sehr vereinfacht. (Siehe Helmh., Ton-empf. S. 432 ff.). Abgesehen aber selbst davon, dass dieses vereinfachtenatrliche System nicht fr alle Flle ausreicht, so ist es doch, namentlichwegen Hufung der bei terzverwandten Accordfolgen nthig werdenden enhar-monischen Verwechselungen, die die musikalische Orthographie geradezu aufden Kopf stellen wrden, in der Praxis kaum verwerthbar.

  • 18 Erstes Buch. Einleitung.

    des PythagorischenSystems. Dem letzteren ist das gleichschwerbend-femperirtezwlf stufigeTonsystem daher in jeder Beziehungberlegen. Andere temperirte Systeme (sowohl die ungleich-schwebenden, wie auch die gleichschwebenden mit 19, 31 und53 Stufen in der Octave) stehen hinter dem zwlfstufigeneben-falls

    ganz entschieden zurck, wenn es sich um die praktischeVerwerthung handelt; dieselben knnen nmlich entweder dieReinheit einzelner Intervalle immer nur auf Kosten einer um so

    grsseren Unreinheit anderer Intervalle erkaufen, eine Incon-

    Sequenz, die nicht die geringsteBerechtigung hat, oder siekommen der Einfachheit des zwlfstufigenSystems auch nicht imentferntesten gleich.

    13. In der vollkommenen Vereinigung der beiden sichausschliessenden Bedingungen, nmlich:

    a. mglichsteReinheit der Intervalle und mglichste Conse-quenzjin der Orthographie fr alle Tonarten,

    b. mglichsteEinfachheit der fr das System erforderlichenMechanik, drfte unsere gleicbschwebend- temperirte Stimmung mit zwlf-stufigem

    Systeme daher wohl berhaupt nicht bertrofFen werdenknnen. Diejenigen aber, welche meinen, es sei fr die Tonkunstein Vortheil, wenn durch grssere oder geringere Unreinheit ge-wisser

    Intervalle und Accorde die verschiedenen Tonarten in den

    ungleichschwebenden Temperaturen verschiedenen Charakter er-hielten;befinden sich in einem gewaltigen Irrthume. Das Ohr

    verlangt reine Intervalle und ertrgtdie Unreinheit derselben nurso lange ohne Widerwillen, so lange es dieselbe nicht 'bemerkt.Bach,'Haydn, Mozart, Beethoven und andere Meister haben ander gleichschwebenden Temperatur nur darum keinen Anstosagenommen, weil ihnen eine Unreinheit der Intervalle gar nicht

    aufgefallenist.Man kann natrlich jedes System auch auf rein mechani-schem

    Wege herstellen, nmlich durch Abstimmen der betref-fendenreinen oder temperirten Intervalle; aber nur die mathe-matische

    Akustik verhilft zur Klarheit ber die Vorzge oderNachtheile der einzelnen Systeme."^)

    *) In diesen Tonsystemen haben sich die Tonstze nach der Hhe undTiefe ihrer,einzelnen Tne zu bewegen. Wie diese Tpnstze zn diesem Zweckeeinzurichten sind und warum, das hat die Harmonielehre nachzuweisen. Sie

    hat also die in anerkannt mustergltigen Tonstcken vorkommenden einzel-nenFlle von Tonverbindungen aufzusuchen, eingehendzu betrachten und

    auf allgemeine Gesetze zurckzufhren. Werden die einzelnen Flle in ber-sichtlicherWeise angeordnet, so erhlt man ein Harmoniesystem. Man hat

    nun lange Zeit gnzlich ausser Acht gelassen,dass die Tonsysteme lediglichzu dem Zwecke hergestellt werden, um Tonstcke in ihnen darstellen zuknnen; man bersah daher auch, was sonst nicht htte bersehen werdenknnen: dass nmlich zur Herstellung von Harmoniesystemen und zur Er-klrung

    der einzelnen Flle der Harmonielehre ganz dieselben Principienverwendet werden mssen, die man bei Herstellung von Tonsystemen scnoalange fr nothwendig gehalten hat. So verfiel man in der Harmonielehreauf die absonderlichsten Systemgestaltungen und Erklrungsweisen, die oft

  • 3. Cap. Tondauer, Tonstrke, Klangfarbe. 19

    3. Gapitel.Tondauer,Tonstrke,Klangfarbe.

    14. Von der Dauer der einzelnen Tne und von der ver-hltnissmssigenStrke derselben ist der Rhythmus einer Tonver-bindung

    abhngig. Zur Bezeichnung des Ehythmus hat die Noten-schriftim Wesentlichen folgende Mittel:

    1. die Gestalt der Noten (Notengattungen:",

    J, J,J",-^u. s. f.),

    2. die Taktzeichen: (e, 6, |,i, | u. s. f.);3. die Tempowrter (Adagio, Andante u. s, f.).Die Lehre von der Ehytlunik wird, soweit es sich um prak-tische

    Verwerthung des rhythinischenElementes bei Herstellungvon Tonstzen handelt, in diesem Leitfaden ihre Stelle finden(siehe 31).

    15. Die vierte Eigenschaft eines IQanges, die sogenannte"Klangfarbe, beruht auf der Art und Weise, wie die Klangbewe-gung

    aus Einzelbewegungen zusammengesetzt ist. Die klanger-zeugendenKrper besitzen nmlich die Fhigkeit,sich von selbst

    (durch freiwilligeKnotenpunkte) in1, ^, u, 4, 0, O, ,."..

    gleiche Theile zu zerlegen. Darum hrt man, bei einer aus-klingendenGlocke oder Saite vom Tone

    C=

    l.

    nach einander noch folgende Tne:'

    Namen der Tne: c. g. c^ e^. g\ b^"^) c^ etc.Saitenlnge:V2 V3 'U -V Ve V7 Vs

    Schwingungszahl: 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.Diese Tne heissen die harmonischen Obertne vom Tone C,

    den man den primten Ton nennt. Die Obertne und 4en pri-mrenTon bezeichnet man zusammen auch wohl als Theiltne,

    Partialtne oder Aliquottne eines Klanges. Die Hhe der

    mit dem Scheine grosser Wissenschaftlichkeit ausgerstetwaren, whrenddagegen einzelne Theoretiker (und sogar solche von Ruf) eine wissen-schaftliche

    Harmonielehre berhaupt fr unmglich hielten. Die Harmonie-systemeund Erklrun^sweisenwaren daher entweder gnzlich unzulnglich,

    oder sie waren gar mcht, was sie sein sollten, sondern liefen lediglichaufein Sammelsurium eingehiideterGesetze und Regeln hinaus. Dieser Umstandhat die Harmonielehre bei einem grossen Theile des interessirten Publikums (und es ist dies nicht der schlechtere Theil) arg in Verruf gebracht,whrend dagegen ein anderer The jenes Publikums starr an den Regeln fest-hlt

    und gegen AUes feindseligauftritt,was in der Praxis sich nicht in dieseRegeln zwngen lassen will. Wie das hier zu Grunde liegendeHarmonie-system

    jenen ebelstnden abzuhelfen vermag, wird sich aus diesem Hand-bucheganz von selbst ergeben.

    *) Diese natrliche Septime von c^ ist etwas tiefer als die Septime inunserer Stimmung.

    *) Zum schnellen AufEinden der Partialtne eines Klanges am Klavierekann man sich aus einem Stabe von gengender Lnge leicht eine Vorrich-tung

    herstellen. Man legt den Stab auf die Obertasten dicht an den dem2*

  • 20 Zweites Buch. Tonverwandtschaft.

    Obertne ndert sich mit der Tonhhe des primren Tones. Vonder Zahl und von der verhltnissmassigenStrke dieser Theiltnehngt nach Helmholtz's Beobachtungen die Klangfarbe ab. Hierist das Vorhandensein dieser Obertne nur in sofern in Betracht

    zu ziehen, als sie bei Zusammenklngen auf den Charakter derKlangmasse einwirken. (Siehe- 21.)

    Zweites Buch.

    Von der Verwandtschaft der Tne*),

    1. Capitel.Allgemeines.

    16. Jedes Musikstck wirkt auf uns nicht als eine zu-sammenhangsloseSumme von einzelnen Klangwahrnehmungen, son-dern

    als eine einheitlich zusammengesetzte Wahrnehmung. AuchdiejenigenVorgnge in unserer Seele, durch welche die unmittel-bareren

    und einfacheren Wahrnehmungen zu zusammengesetzten ver-knpftwerden, bleiben in ihrem Verlaufe unbewusst." Das Ver-einender Wahrnehmungen und der mit ihnen verbundenen Vor-stellungen

    ist bei der musikalischen Auffassung wie bei der musi-kalischenComposition ein zeitliches Aneinanderfgen. Die Fhig-keit

    unserer Seele, mittelst deren dieselbe den Zusammenhangzwischen den einzelnen einander folgendenWahrnehmungen undVorstellungen erkennt, welche beim Anhren eines Tonsat^es inuns hervorgerufen werden, nennt man musikalisches Gehr, (v.Hartmann a. a. 0.)

    Dem musikalischen Gehr fllt also zunchst die Aufgabe zu,den Zusammenhang zwischen den Klangwahrnehmungen aufzu-suchen.

    Wahrnehmungen und Vorstellungen lassen sich aber nurzusammenfassen,

    ,

    sofern sie gewisse Eigenthmlichkeiten mit ein-

    Instrumente zugekehrten Band der Klaviatur und bezeichnet auf demselbenin irgend einer Weise die Lage der Partialtne fr einen Ton (z. B. fr C)recht genau. Bckt man nun die unterste Marke ber irgend eine Taste,so geben die anderen Marken die Lage der Obertne fr den Ton der be-treffenden

    Taste an. .(Siehe den Art. Akustik von E. Mach in H. MendelsMusik. Conversationslexicon, B. I.)

    *) Schler, welche die geistigeBeife zur Auffassung dessen, was^ imersten Buche aus der musikalischen Akustik mitgetheiltwurde, noch nichtbesitzen,beginnen erst hier mit der Benutzung des Leitfadens. Zuvor mussihnen aber der BegriffIntervall und die Gelufigkeitim Benennen verschie-dener

    Intervalle, sowie die Fertigkeitim Bilden der drei Grundintervalle indem auf S. 8 ff. gegebenen Umfange beigebrachtwerden. Wer jedoch zuvordes Verf. Allgemeine Musiklehre" benutzt hat, bedarf dieser Vorbungen nichtmehr, da jenes Werkchen ber diesen Punkt gengend informirt.

  • \1. Cap. Allgemeines. 21

    ander gemein haben, durch welche sie in Beziehungzu einandertreten,mit einander verglichenwerden knnen. Diese Eigen-thmlichkeiten sind die bekannten vier EigenschaftenallerKlnge:die Tonhhe, Dauer, Strke und Klangfarbe(siehe 3). Dasmusikalische Gehr hat also die einzelnen Theile eines Tonstckesnach ihrer Aehnlichkeit und Verschiedenheit in Beziehung aufdiese Eigenschaftenzu beurtheilen. In sofern nun unsere Seele ^diese Beziehungenzwischen den einzelnen Klngen eines Ton-satzes

    erkennt,in sofern sind diese Klngemit einander verwandt.Die Verwandtschaft von Klngen, sofern sich dieselbe auf

    die Eigenschaftder Tonhhe grndet,bezeichnet man als to-nischeVerwandtschaft. Die Harmonielehre sucht nun nachzu-weisen,wie das musikalische Gehr dazu kommt. Klnge in Eck-

    sicht auf ihre Tonhhe in Beziehung zu setzen. MusikalischesGehr in diesem engeren Sinne ist die Fhigkeit,die einzelnen Tneeines Musikstckes nach ihrer Hhe und Tiefe zu vergleichen.Ton-hhenunterschiede

    knnen nur an Tonhhenunterschieden oder anIntervallen gemessen werden. Diese als Grundmasse dienendenIntervalle mssen einfach und feststehend sein. Aufgabe derHarmonielehre ist es nun, diese Grundintervalle aufzusuchen unddie Art ihrer Verwendung nachzuweisen.

    Nach meiner eberzeugungbenutzt das Gehr zunchst die-selbendrei Intervalle,welche zur Herstellungvon Tonsystemen

    verwendet werden, nmlichdie reine Octave,die reine Quinte und die grosse Terz.*)Die Fhigkeitzur Auffassungdieser Intervalle ist jedem voll-sinnigen

    Menschen angeboren,wie ihm berhauptd^ie Fhigkeitzur Auffassungeinfacher Verhltnisse angeborenist. Alle anderenTonhhenverhltnisse sind nur mit Hlfe dieser drei Grundinter-valle

    fassbar."^"^)Hat das Ohr bei Erkenntniss der Verwandtschaft

    *) Auf der Fertigkeitim Abmessen dieser drei Intervalle beruht allesUebrige;die Lsung der auf S. 10 bereits angegebenenersten Aufgabe istdaher bis zur vollen Erreichung dieser Fertigkeitfortzusetzen.

    **) Den Beweis fr diese Hypothesehabe ich in einem anderen theore-tischenWerke zu fhren gesucht,auf welches ich verweisen muss. Dasselbe

    ist unter dem Titel: System und Methode der Harmonielehre, gegrndetauf fremde und eigeneBeobachtungenmit besonderer Bercksichtigungderneuesten physikalisch-physiologischenUntersuchungenber Tonempfindungen"bei Breitkopfund Hrtel (Leipzig,]868) erschienen. Uebrigenssolltemaneinen Beweis eigentlichfr berflssighalten; denn es ist gewissnur ein-fach

    und natrlich,wenn zur Herstellunge^ines richtigenHarmoniesystemsdieselben Principienverwendet Werden, die man zur Construction von Ton-systemen

    fr erforderlich hlt. Die Tonsysteme sind ja nur deshalb con-struirt,damit sich die einzelnen Tonverbindungen, wie sie die Componistenverwenden, in ihnen bewegen knnen ; die Harmoniesystemeaber haben dieseTonverbindungenzu erklren und zu begrnden. Ganz dieselben Prin-cipien

    versuchte schon M. Hauptmann zur Herstellungseines Harmonie-systemszu benutzen, und es bleibt nur zu verwundern, dass man nicht frher

    darauf verfallen ist. Hauptmanns Harmoniesystem ist jedochebenso unzu-lnglichwie sein Tonsystem (sieheS. 11. Anm. 6), und zwar deshalb, weil

    H. nicht stricte an den drei Grundintervallen als solchen festhielt,sondern^ fr sie philosophischeBegriffeeingefhrtwissen wollte.

    i^"

  • 22 Zweites Buch. Tonverwandtschaft.

    von Tneu die Grundiatervalle wirklich abzumessen, so ist dietonische Verwandtschaft eine harmonische (s. 18).

    Die harmonische Tonhhen Verwandtschaft zwischen verschie-denenTnen ist also nur dann erkennbar, wenn sich die Ver-hltnisse,

    in welchen diese Tne rcksichtlich ihrer Hhe und

    Tiefe zu einander stehen, in diese drei Grundverhltnisse auf-lsenlassen. Das musikalische Gehr in diesem engeren Sinne

    reducirt "ich nach meiner Auffassung darauf, die drei Grund-intervalle in allen mglichen Verbindungen schnell und genauabmessen zu knnen. Dieser Vorgang erfolgtunbewusst, d. h.ohne dass jedes einzelne dieser Intervalle als solches zur be-wussten Erkenntniss gelangt.

    Zwei Tne haben aber auch dadurch eine gewisse Aehnlich-keit, dass sie nahe bei einander liegen. Diese Verwandtschaftknnte man (mit Helmholtz) nennen:

    die Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhhe

    (siehe 28.)Die Verwandtschaft zwischen harmonisch verwandten Tnen

    kann also noch dadurch eine engere werden, dass diese Tnemglichst nahe bei einander liegen. Bei der Aufeinanderfolgeharmonisch verwandter Tne treten nun als engste Schritte dieSchritte in Halb- und Ganztnen sehr hufig auf. Diese Schritteprgen sich deshalb einem Ohre, welches hufig Musik hrt, sehrfest ein. Ein solches Ohr kann daher jene Schritte wieder alsMittel benutzen, eine Verwandtschaft zwischen zwei Tnen zuerkennen, selbst wenn eine harmonische Verwandtschaft zwischendiesen beiden. Tnen nicht stattfindet. Ein Ton kann also miteinem andern Tone auch dadurch verwandt sein, dass er vondiesem andern Tone nur einen Ganztonschritt oder einen Halb-tonschritt

    entfernt ist. Bei der Entfernung um einen Halbtonist die Verwandtschaft naturlich eine engere, als wenn ein Ganz-tonschritt

    zwischen beiden Tnen liegt. Diese Verwandtschaftkann nur erkannt werden, wenn beide Tne so aufeinander folgen,dass das Ohr den betreffenden Ganz- oder Halbtonschritt abmessen

    kann; sie ist also eine blos melodische Verwandtschaft (siehe 22). Die Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Ton-hhe,

    so weit dieselbe neben und zwischen der blossen harmo-nischenVerwandtschaft bei Auffassung von Tonstzen von dem

    Gehre benutzt wird, bringt gar mancherlei Vernderungen undCombinationen zu Wege, die durch die Annahme der blossen har-monischen

    Verwandtschaft nicht zu erklren wren. Diese Ver-nderungenfinden aber nur in der Kunstmusik statt; in der ein-facheren

    und leichter fassbaren Volksmusik tritt die Verwandtschaftdurch Nachbarschaft in der Tonhhe

    ihrer Natur entsprechend

    nie selbstndigauf. Ein wirklich musikalisch gebildetesOhrmuss aber auch die Fhigkeit besitzen, diese zweite Art von Ton-hhenverwandtschaft

    in jedem Falle zu erkennen. 17. Durch die Kraft des Willens vermgen wir uns ber

    die Macht sinnlicher Eindrcke zu erheben; wir knnen aber

  • 1. Cap. Allgemeines. 23

    ebenso durch die Willenskraft unsere Sinneswahrnehmungen ver-strkenund erhhen. Schon hinsichtlich der Schrfe und Klar-heit

    der Wahrnehmungen lsst sich daher unser Gehrorgan,soweit dasselbe musikalische Eindrcke zu vermitteln hat, durchzweckmssigeTJebungenverfeinern und bilden. Mehr aber nochbedarf unser musikalisches Gehr in dem angegebenen engerenSinne einer bildenden Einwirkung. Unsere Musikanlage lsstsich in dieser Beziehungnach zwei Seiten entwickeln. Sie kannzunchst gebt werden, die Grundintervalle und die Ganz- undHalbtonschritte immer genauer und sicherer abzumessen. Voneinem Snger oder Geiger,der dieses letztere in mglichstvoll-kommener

    Weise thut, sagtman, er intonire gut oder rein, erhabe eine gute oder reine Intonation. DiejenigeFhigkeitdesmusikalischen Gehrs,mittelst deren man Tehler in der Intonationheraushrt,wird in der Regel als ein feines oder gutesGehr be-zeichnet.

    Theils durch besondere ebungen, theils durch An-hrenrein ausgefhrterMusik, lsst sich diese Anlage bis zu

    einer grossen Schrfe ntwickeln. Unsere Musikanlagekannaber ferner dahin entwickelt werden, dass sie immer zusammen-gesetztere

    Verbindungen der Grundintervalle und immer ferner-HegendeAnwendungen der Verwandtschaft durch Nachbarschaftin der Tonhhe in ihre Einzelbestandtheile auflsen lernt,alsodie Tonhhen Verwandtschaft auch in schwierigenFllen leichtund schnell erkennt. Die Tonhhenverwandtschaffc zwischen deneinzelnen Theilen eines Musikstckes nennt man den tonischen

    Zusammenhang desselben. Wer den tonischen Zusammenhang ineinem Tonsatze schnell und leicht erkennt und Fehler gegen die

    Bedingungendieses Zusammenhanges bemerkt,der bat nach meinerBezeichnungein gebildetesmusikalisches Gehr. Diese Fhigkeitist einer unbegrenztenAusbildungfhigund bedrftig,denn dieVerbindungen der drei Grundintervalle sind unbegrenztmannig-faltig,

    und die Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Ton-hheerweitert diese Mannigfaltigkeitnoch unendlich. Die Aus-bildung

    dieser Anlage sollte Gegenstandeines bis jetztvernach-lssigtenTheiles des praktischenUnterrichts sein, nmlich der

    Oehrbildungslehre.Tonverbindungen,deren Auffassungeine grssereGewandtheit

    des Gehrs in Zerlegungvon Intervallverbindungenerfordert,alsman sich augenblicklicherworben hat, klingenzusammenhangslosund darum unangenehm. Dazu kommt, dss sich das Ohr in ge-wisse

    Wendungen so eingewhnt, dass ihm andere unangenehmund strend werden. Der Grad der Bildungunseres musikalischepGehrs wirkt also auf unsern Geschmack bedingendein,und zwarin allererster Linie. Die Mglichkeiteiner solchen Entwickelunggebietetdemnach Jedem, in seinen Urtheilen sehr vorsichtigzusein. Man meide deshalb die unter Musikern wie unter Dilettantensehr verbreitete Unsitte,ber die Compositioneneines Meistersohne lngerePrfung ein absprechendesUrtheil zu fUen, sobaldseine Musik nicht zu klingenscheint. Die absprechendenrtheile

    "N

  • 24 Zweites Buch. Tonverwandtachaft.

    ^ber bahnbrechende Tonschpfnngen,

    und namentlich ber die

    Leistungen neuerer Meister, beruhen grsstentheilsnicht auf einemVerletzen musikalischer Gesetze von Seiten der Componisten/ son-dern

    auf der eigenen unzureichenden, weil einseitigen musikali-schen

    Bildung der Urtheilenden.*)

    2. Capitel. Accordische TerAvundtschaft der Tne.

    18^ Accord. Wenn mehr als zwei nach ihrer Hhe wesentlichverschiedene aber harmonisch verwandte Tne zu gleicher Zeit er-klingen,

    so entsteht ein Accord*^) oder eine Harmonie. DieTne eines Accordes mssen- nun, wenn sie harmonisch verwandt

    sein sollen,, unter einander in einem Hhenverhltnisse stehen^das sich in die drei Grundintervalle auflsen lsst. DiejenigenFormen der Accorde, in denen nur lauter wesentlich verschiedene

    Tne vorkommen und in denen die Art der Verwandtschaft

    *) Diese Consequenz meiner Theorie habe ich schon an verschiedenenOrten engherzigen Kritikern entgegengehalten. Man hat sie nicht widerlegt^aber man hat sie auch nicht in Kechnung gezogen. In ieder anderen Wissen-schaft

    sind die Forscher dankbar, wenn sie auf Fehler aufmerksam gemachtwerden, die in der Beobachtungsweise liegen, und sie ziehen dieselben, wenusie ihren Nachweis nicht widenegen knnen, in Eechnung*, um zu richtigenBesultaten zu gelangen. In der musikalischen Kritik ist das leider nichtder Fall, sondern man glaubt sich damit helfen zu knnen, dass man jeneNachweise einfach todtschweigt ; entsprechen die Resultate nur den persn-lichen

    Wnschen .der Kritiker, so sind diese letzteren ganz zufriedengestellt,

    und die urtheslose grosse Masse auch.

    **) Die Accorde unterscheidet und benennt man im Allgemeinen bekannt-lichnach den Intervallen, welche die hheren Tne mit dem jedesmaligen

    Basstone (tiefsten Tone) bilden. So heisst ein Accord, der aus Basston, Terzund Quint besteht (a), ein Terzquintaccord (krzer und besser freilich: einDreiklang, siehe 19). Ein Zusammenklang von Basston, Terz, Quint undSeptime (b) heisst Terz-Quint-Septimenaccord (oder kurz: Septimenaccord).^rKngt ausser dem Basstone noch dessen Terz, Quinte, Septime und None(c), so entsteht ein Terz-Quint-Sept-Nonenaccord (oder kurz: Nonenaccord).Basston, Terz und Sext (d) ergiebt den Terz-Sextaccord (kurz: Sextaccord),Basston, Quart und Sext (e) einen Quart-Sextaccord

    ,

    Basston, Terz, Quintund Sext (f) einen Terz-Quint-Sextaccord (kurz: Quintsextaccord), Basston,Terz, Quart und Sext (g) einen Terz-Quart-Sextaccord (kurz: Terz-Quart-accord), und aus Basston, Secund, Quart und Sext (h) entsteht ein Secund-Quart-Sextaccord (kurz: Secundaccord). Nheres findet sich in der Allgem.Musiklehre** und in diesem Werkchen bei den einzelnen Stellen angegeben.

    d.

    ^^M

  • 26 Zweites Buch. Tonverwandtschaft.

    1. Der Durdreiklang*),auch harter oder grosser Dreiklanggenannt (a);in ihm liegenQuint und Terz von demselben Toneaus aufwrts,dieser Ton ist also tiefere Quint und tiefere Terzzu den beiden anderen Tnen.

    2. Der Molldreiklang*),auch weicher oder kleiner Drd-klang(b);in ihm werden Quint und Terz von demselben Toneaus abwrts gemessen, dieser Ton erscheint also als hhereQuint und hhere Terz zu den beiden anderen Tnen.

    a. Quint, Terz, Durdreiklang, b. Quint, Terz, Molldreiklang.

    I 3 w- ?W^3^ M^^^ ^^^^ ^0*

    C. ''

    c.

    Der tiefereTon der Quint heisst in beiden Fllen der Grund-ton"**) des Accordes,und nach ihm erhalten die consonirendenDreiklngeihre besonderen Namen (Cdur-resp. CmoUdreiklangoder

    -accord).Der hhere Ton des Quintintervallsheisst in Durund Moll die Quint des Accordes, whrend man den nur demTerzintervall angehrigenTon die Terz***) des Accordes nennt.Die Terz des Molldreiklangesliegteine Halbtonstufe tiefer alsdie Terz des gleichnamigenDurdreiklanges;Grundton und Quintsind dagegen in zwei gleichnamigenAccorden gleich.

    Umkehrungen. Tritt in einem dieser Accorde fr irgendeinen Ton dessen hhere oder tiefere Octave ein, so kann auchein anderer Ton als der Grundton zum tiefsten Tone oder zumBasstone werden. Auf diese Weise entstehen die mkehrungenoder die Verwechselungender Accorde. Die ursprnglicheFormheisst dann die Stammform. In der Stammform ist also derGrundton des Accordes auch zugleichBasston. Jeder con-sonirende Grundaccord ist zugleich ein Stammaccord, weilder Grundton im Basse liegt;aber nicht jeder Stammaccordist ein Grundaccord.

    Jeder consonirende Accord lsst nurzwei mkehrungen seiner Grundform zu; es sind diesesfolgende:

    *) 2. Aufgahe. Von gegebenenTnen aus hat der Schler durch ent-sprechendesAbmessen von Quint und Terz Dur- und Molldreiklngezu bil-den

    und durch Angabe der Grundtne zu bestimmen. Bei der schriftlicheQBezeichnungwhle man fr die Benennung der Grundtne bei Durdreiklngengrosse, bei Molldreiklngenkleine Buchstaben.

    **) 3. Aufgabe.Dur- und Molldreiklngesind von gegebenenGrundtnenaus zu bilden. Zunchst misst man von dem Grundtone aus die Quint auf-wrts,

    um so in beiden Fllen die Quint zu nden; dann bestimmt man denTerzton, indem das Terzintervall fr Durdreiklngevom Grundtone aufwrts,

    ,

    fr Molldreiklngdaber vom Quinttone abwrts gemessen wird. Zur bequeme-renLsung dieser Aufgabekann der Schler auch immer erst den Durdrei-klang

    aufsuchen und dann fr den Molldreiklangden Terzton eine Halb-tontiefer legen.*?*) Die lateinischen Zahlennamen werden zur Bezeichnungder Stufen

    eben so wohl verwendet, als zur Benennung der Intervalle;der Gebrauckderselben zur Unterscheidungder Accordtne ist daher an sich durchausstatthafb,und nur gegen eine hieraus Entstandene ble Gewohnheit richtetsich die Bemerkung auf S. 8.

    ?-^^i^i^r^^li

  • 2. Cap. Accordische Verwandtschaft der Tne. 27

    a. der Sextaccord (auch Sexten- oder Terzsextenaccord),dessenBasston die Terz des Accordes ist,

    b. der Quartsextaccord, bei^ dem die Quint des Accordes imBasse liegt.

    a.

    "

    b. j

    =*

    4

    6

    4

    Beide Arten fhren ihre Namen nach den Intervallen,welchedie hheren Tne mit dem Basstone bilden, ebrigens behaltendie einzelnen Tne eines Accordes auch in den Umkehrungendieselben Namen

    (Grundton, Terz, Quint), wie in derStammform."*^)

    20. In frherer Zeit benutzte man zur Bezeichnung derAccorde sehr hufig eine abgekrzteNotation, indem man Accord-folgen durch bezifferte Bassstimmen darstellte. Diese Schrift hiessGeneralbassschrift,und eine solche bezifferte Bassstimme nannteman eine Generalbassstimme. Die Kunst des Generalbassspielensmachte lange Zeit den wesentlichsten Theil des theoretischenMusikunterrichts aus, ja man verband mit der Unterweisung indieser Kunst die gesammte Harmonie- und Modulationslehre; jetztbedarf nur derjenigeeiner eingehenden Kenntniss derselben, dersich mit den Partituren lterer Meister beschftigt.

    Im Wesentlichen besteht diese-abgekrzte Notation in fol-gendem

    Verfahren. Man schreibt von einer Accordfolge nur dieBassstimme hin, und deutet dann die anderen Tne durch Ziffernan, die man ber oder unter die Basstne schreibt. Die Ziffern

    geben an, welche Intervalle die hheren Tne mit dem jedes-maligenBasstone bilden wrden, wenn man sie auf dem Noten-systemedarstellte. Dabei gelten die wesentlichen Versetzungs-zeichender Bassstimme; jedes etwa nothwendig werdende zu-

    fUige Versetzungszeichenmuss der betreffenden Intervallzahl bei-gefgtwerden. Alle verwendeten Ziffern und Zeichen nennt man

    Signaturen.Ziffern, die sich von selbst ergnzen, werden weggelassen;

    dieses sind namentlich die Bezeichnungen fr die Oclave, dieQuinte und die Terz eines Basstons. Die Octavlage und die Octav-verdoppelung der einzelnen Tne bleibt ebenfalls ohne Bezeich-nung,

    und daher ist die Auswahl zwischen den verschieduen Octaveneines Tones dem Ausfhrenden berlassen. Alleinstehende Ver-setzungszeichen

    gelten immer fr die Terz des betreffenden Bass-tones.

    Der Dur- und Molldreiklangwerden in der Stammform inder Eegel gar nicht bezeichnet,vorausgesetzt,dass keine zuflligen

    ) 4. Aufgabe. Umkehrung von Dur- und Molldreiklngen am Klavierund schriftlich.

    Die.Generalbassbezeichnunglasse man zufgen; auch die

    Angabe der Grundtne ist zu fordern.

  • 28 Zweites Buch. Tonverwandtschaft.

    Versetzungszeichen nothwendig sind. Den Sextaccord bezeichnetman mit 6, den Quartsextaccord mit f (oder auch |).

    Generalbassbezifferung.3.

    1. 2.Ausfhrung.3.

    SSB^^^Si^r

    21. Der physische Klang der Accorde. Beim Zusammen-klangemehrerer Tne treten der Wahrnehmung neue und eigen-

    thmliche Erscheinungen entgegen. Von diesen haben fr dieHarmonielehre nur die Schwebungen und die CombinationstneBedeutung.

    Erklingen zwei nahezu gleich hohe Tne etwa zwei ver-schiedeneSaiten eines etwas verstimmten Klaviertones

    zu

    gleicherZeit, so hrt man von Zeit zu Zeit deutliche Schlge;indem die Strke des Tones abwechselnd wchst und wieder ab-nimmt.

    Diese Schlge nennt man Schwebungen. Man kann sieleicht beobachten, wenn man in tiefer Lage auf dem Klavierezwei nebeneinander liegende Tasten gleichzeitiganschlgt. DieSchwebungen erklrt man auf folgende Weise. Wenn die nicht

    genau bereinstimmenden Pendel zweier Uhren nebeneinander

    schwingen, so treffen einzelne Schlge zusammen und wirkendarum strker,whrend in der brigen Zeit die Schlge zwischeneinander fallen. Das Zusanamentreffen muss in einer bestimmtenZeit so oft stattfinden, so viel Schlge das eine Pendel in der-selben

    Zeit mehr macht als das andere. Auf hnliche Weise ent-stehendie Schwebungen, indem einzelne Schwingungen beider

    Tne zusammentreffen und sich verstrken. Ein Zusammen-klangzweier Tne ergiebt in einer Secunde soviel Schwebungen,

    so gross der Unterschied zwischen den Schwingungszahlen beiderTne in derselben Zeit ist. So geben zwei Tne, von denen dereine 300, der andere 304 Schwingungen in der Secunde macht,in jeder Secunde 304 300=4 Schwebungen.

    Auch zwischen den Obertnen zweier Klnge und ebensozwischen den Obertnen und den primren Tnen knnen Schwe-bungen

    entstehen, und zwar macht der zweite Partialton immerzwei Schwebungen, wenn der erste eine macht u. s. f.

    Ein Zusammenklang wirkt nun unangenehm, wenn die Schwe-bungenzu stark werden, oder doch sich allzu sehr hufen, weil

    sie dann auf die Gehrnerven in ganz hnlicher Weise wirken,wie flackerndes Licht auf die Gesichtsnerven und Kratzen aufdie Gefhlsnerven. Die engsten Intervalle geben zwar die we-nigsten,

    aber die mchtigsten Schwebungen; die Wirkung der

  • 2. Cap. Accordische Verwandtschaft der Tne. 29

    Schwebungen ist also in zusammengesetzter Weise abhngig vonihrer Strke und ihrer Zahl. In tieferer Lage sind sie bei einund demselben Intervall merkbarer als in dem hheren Theile

    der Scala. Ihre Unleidlichkeit ninmit nmlich mit ihrer Zahl

    nur bis zu einer gewissen Grenze zu und nimmt dann im Gegen-theil wieder ab. Wenn ihre Zahl etwa 132 in der Secunde ber-steigt,

    dann hren sie nach angestelltenBeobachtungen auf, hr-barzu sein (sieheHelmholtz, Tonempf. S. 259 fif.).Frher nahm

    mtan an, sie wirkten dann so, als ob ein neuer Krper schwinge,und es entstnden darum die sogenannten Combinationstne.Helmholtz bestreitet diese Annahme, da man in einer Secundeviel mehr Schwebungen einzeln verfolgen knne, als zur Er-zeugung

    eines Tones Schwingungen erforderlich seien..Die Entstehung der Combinationstne ist noch nicht aus-reichend

    erklrt. Es giebt von ihnen zwei verschiedene Arten:1. Differenztne, von Sorge (1740) zuerst erwhnt;2. Summationstne,*) von Helmholtz entdeckt.Auch Obertne knnen unter sich und mit primren Tnen

    Combinationstne erzeugen, die aber viel schwcher sind als die

    durch primre Tne entstehenden; so entstehen oft eine grosseAnzahl von Combinationstnen verschiedener Grade. Die Sum-

    mationstne sind sehr schwach und nur unter sehr gnstigen Be-dingungenvernehmbar; die Differenztne sind strker, aber zur

    bewussten Wahrnehmung gelangen auch sie erst nach einigerebung. Im nchsten Beispielebei a sind die Combinationstneersten Grades durch Viertelnoten,die ferneren durch Achtel- undSechzehntelnoten angedeutet.

    Von den in einem Zusammenklange entstehenden Schwe-bungenund Combinationstnen hngt der physische Klang des

    Zusammenklanges ab, d. h. seine Wirkung auf unser Nervensystem.Bilden primre Tne oder Obertne mit einander das Intervalleines Ganztones oder gar eines Halbtones, so wirken die Schwe-

    a.

    w

    Summationstne.2 + 1 = 3 3 + 2 = 5

    iK:5 + 4 = 9

    Primre Tne: Octave, Quinte, Grosse Terz.

    i 3-5-

    Differenztne.

    2-1 = 1

    W ?. ms

    3 2 = V 5 4 = i:?

    *) Die Schwingungszahl der ersten Art ist bleich der Differenz, die-jenigeder zweiten Art gleich der Summe der Schwingungszahlen der pri-mrenTne; daher ihre l^amen.

  • 30 Zweites Bach. Tonverwandtfichaft.

    Obertne.

    b.

    $ i4ri-i m ^$^

    Prim.Tne: DurdreiklaDg, Molldreiklang.

    f -4DifTerenztne.

    ?^-^

    .

    kgi=3==i=Q

    t^=^=^ vu-^-^: P^Wt

    5^^^^==^^

    5i

    bungen am strksten. Der DurdreiHang klingt heller und auchangenehmer als der Molldreiklang, weil im ersten die entstehen-den

    Schwebungen viel geringere Zahl und Starke haben, und dieDifferenztne besser mit Accordtnen zusammenfallen, als imzweiten (b). In dem Sext- und Quartsextaccorde ist es wiederanders als in den Stammformen.

    3, Capitel.Melodische Yerwandtscliaft der Tne.

    22. Wenn mehrere wesentlich verschiedene aber verwandteTne einander folgen,so entsteht eine melodische Wendung odereine melodische Kgur (a). Lst man die Tne eines und des-selben

    Dreiklanges in eine melodische Figur auf, d. h. lsst mansie nicht gleichzeitig,sondern nacheinander auftreten, so wird derAccord gebrochen oder harmonisch figurirt(b). Jede melodischeFigur, welche durch die harmonische Brechung entsteht, heisstein Motiv der harmonischen Figuration.*) Ein und derselbeAccord lsst sich in sehr verschiedene Motive zerlegen, indemman gnzliche oder nur theweise Auflsung anwendet, oder ein-zelne

    Tne mehrich auftreten lsst (c).a. (Beethoven.) b. u. c.

    "m

    i? m

    p-i,**

    P^^ i 'Si-t=H 1=* 2 3

    Die Verwandtschaft zwischen den* einzelnen Tnen eines Ac-cordes bleibt auch dann dieselbe,wenn diese Tne nach einanderangeschlagenwerden, da die abzumessenden Grundintervalle die-

    *) 5. Aufgabe. Der Scbler bat die verschiedensten Dur- und Moll-dreiklngeund deren Umkehrungen auf mglichst verschiedene Weise melo-disch

    darzustellen,und zwar sowohl am Klavier, als auch schriftlich.

  • 3. Cap. Melodische Verwandtschaft der Tne. 31

    selben bleiben. Auch die Verwandtschaft zwischen den Tnender meisten anderen melodischen Wendungen erkennt unser Ge-hr

    nur mit Hlfe der drei Grundintervalle;*) sie ist also eineharmonische Verwandtschaft. Die harmonische Verwandtschaftzwischen zwei einander folgenden Tnen kann sein:

    a. eine direkte,b. eine mittelbare.

    Zwei Tne sind direkt verwandt, wenn beide Tne Theileeines und desselben Grundintervalls sind (a). So sind z. B. dieTne

    c^ und e\ c und g, c^ und as, c^ und fdirekt mit einander verwandt.

    Mittelbar dagegen sind zweiTne mit einander verwandt, wenn jeder der beiden Tne mitirgend einem andern (vermittelnden)Tone direkt oder mittelbarverwandt ist,und diese vermittelnden Tne selbst einander gleichoder doch direkt oder mittelbar verwandt sind (b). So sind dieTne

    e^ und g\ as und e\ e^ und {\ g^ und f^durch ihre Verwandtschaft mit dem Tone c^,

    d^ und as\ h^ und f^dagegen durch ihre Verwandtschaft mit den direkt verwandtenTnen c^ und g^ nur mittelbar verwandt. In den folgenden Bei-spielen

    sind die verwandten Tne durch Halbenoten, die ver-mittelndenTne dagegen durch Viertelnoten angedeutet

    Terz. Quint. Terz. Quint. *)

    i t*:: r

    ^S ?0-r

    :| q^ij:

    Von der Anzahl und Kicbtung der bei der Vermittelung ab-zumessendenIntervalle hngt d^er Grad der Verstndlichkeit eines

    melodischen Schrittes ab, und daher auch theilweise sein Cha-rakterund seine Wirkung. Auch hier hngt die Art der Ver-wandtschaft

    zwischen wesentlich verschiedenen Tnen nur vonder Zahl und Eichtung der abzumessenden Quinten und Terzenab, da die Tne der Octave nicht blos verwandt, sondern voll-kommen

    hnlich sind.Die harmonische Verwandtschaft zwischen den Tnen eines

    und desselben Schrittes kann eine sehr verschiedenartigesein, da

    *) Von allen nur durch ihre Nachbarschaft in der Tonhhe verwandtenTnen (siehe . 16. 28 u. 43) ist vorlufigabzusehen.

    **) Da in diesen Beispielendie Tne des melodischen Schrittes durchHalbenoten, diejenigenTne aber, durch welche die Verwandtschaft vermit-telt

    wird, durch Viertelnoten angedeutet werden, so schlageman bei derAusfhrung am Instrumente die ersteren ziemlich stark, die anderen aberzwischen ihnen mglichst leise an.

  • 32 Zweites Buch. Tonverwandtschaft.

    sie sich auf sehr verschiedenartigeVermittelungen grnden kann.So kann die Verwandtschaft zwischen den beiden nur mittelbar

    verwandten Tnen c und d vermittelt werden an einem von den

    drei Tnen f, g, a, djren jeder mit jedem der beiden Tne desSchrittes verwandt ist, oder an den unter sich verwandtenTnen c und g, a und e, f und a u. s. f.

    *

    Ii

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    m -o-I:::

    i-Et

    UE=t:-0--

    j

    =4:?^t=t : u. s.f.

    ?f-

    Auf welche Vermittelung sich die Verwandtschaft zwischendiesen beiden Tnen in jedem einzelnen Falle grndet, das hngttheils von den voraufgehenden Ton Verbindungen, theils von deretwaigen Begleitung ab. Geht nichts voraus und ist auch keineBegleitung vorhanden, so sttzt sich das Ohr stets auf die nchst-liegende

    und einfachste Vermittelung, weil diese auch immer dieam leichtesten fassbare und verstndlichste ist. Hier ist es die

    an dem Tone g erfolgende,da c sowohl wie d mit g direkt ver-wandtist.

    23. Tonart. Sobald in einer Tonreihe die harmonischeVerwandtschaft zwischen allen vorkommenden Tnen sich an ein

    und demselben Tone oder doch an mehreren eine Einheit bilden-den

    direkt verwandten Tnen vermittelt,so muss diese Tonreihenothwendigtonisch einen einheitlichen Charakter haben. TolgendeTonfolge bildet tonisch eine Einheit, weil sich alle ihre Schritteam Tone g"**")vermitteln lassen.

    Eine Tonfolge, deren einheitlicher Charak