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IIIIIIIIIIIIII SILBERSCHNUR IIIIIIIIIIIIII ELISABETH KÜBLER-ROSS Über den Tod und das Leben danach

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ELISABETH KÜBLER-ROSS

Über den Todund das Leben danach

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Alle Rechte – auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotome cha -nischen Wiedergabe, der Übersetzung und der Einspeicherung und Ver -arbeitung in elektronischen Sys temen – vorbehalten.

© Copyright: Elisabeth Kübler-Ross 1984Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Tom Hockemeyer

ISBN: 978-3-89845-365-3

40. Auflage 2012

Umschlagaquarell: Gundala Lüttel-Koch, BerlinGestaltung & Satz: XPresentation, GüllesheimDruck: Finidr, s.r.o

Verlag »Die Silberschnur« GmbHSteinstraße 1 · D-56593 Güllesheimwww.silberschnur.de · E-Mail: [email protected]

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EINLEITUNG

Die Schweizer Ärztin Dr. Elisabeth Kübler-Ross, die lange Jahren in den Vereinigten Staatenvon Amerika an mehreren Krankenhäusern undUniversitäten wirkte und lehrte, hat sich auf demGebiet der Sterbeforschung einen bedeutendenNamen erzwungen, so dass ihre Bücher in ihrerneuen Heimat schnell zu Standardwerken fürÄrzte und Krankenschwestern wurden. Man be-wundert und ehrt sie, und es dürfte sich auf derganzen Welt keine zweite Wissenschaftlerin finden,die ebenso viele Ehren doktorhüte verliehen be-kommen hat. Viele hundert Stunden hat sie anden Betten von Sterbenden gesessen und derenVerhaltensweisen aufgezeichnet, die sie in fünfPhasen des Sterbens einordnete. Solange sie alldas aufzeichnete und veröffentlichte, was ihre Patienten bis zum konstatierten Tod durchlebtenbeziehungsweise durchlitten, fand sie den Beifallihrer Kollegen. Doch als sie in Vorträgen und

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Interviews auch darüber zu berichten begann, dassSterbende ihr oft von außerkörperlichen oder garjenseitigen Erlebnissen erzählten, die sie selbst,durch eigene Erlebnisse bestätigt, nicht mehr alsHalluzinationen abzutun bereit war, wandten sichviele Menschen wieder von ihr ab und erklärtendie Schweizer Forscherin gar für “verrückt”. Mankonnte nicht glauben, dass sie sich auf einmaleinem “unseriösen” Forschungsgebiet, nämlichder Frage eines Lebens nach dem Tod, zuwandte,da es ein Leben nach dem Tod nicht geben konnte,waren doch gemäß dem materialistischen Denkender Mensch und sein Körper als Atom- und Ener-giekomposium ein und dasselbe, so dass mit demTode des Körpers auch seine Psyche und damitsein ganzes Sein als beendet zu gelten hatte. DassDr. Elisabeth Kübler-Ross nicht dort ihre For-schungsarbeit abbrach, wo sie die Grenze des ver-meintlich Erforschbaren überschritt, sondern trotzaller Anfeindungen mutig weiter über ihre Beob-achtungen und die sich daraus ergebenden Schlüssesprach, schien vielen ein Verrat an der Wissenschaft zu sein. Die Ärztin äußerte sich in einem Interviewfolgendermaßen: “Meiner Meinung nach ist der-jenige wissenschaftlich ehrenhaft, der das nieder-schreibt, was er herausgefunden hat, und außerdemdarlegt, wie er zu seiner Schlussfolgerung gelangtist. Man müsste mir volles Misstrauen entgegen-

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bringen und mich geradezu der Prostitutionzeihen, wenn ich nur das veröffentlichen würde,was der allgemeinen Meinung gefällt. Ich denkenicht daran, Leute zu überzeugen oder gar zu be-kehren. Meine Arbeit sehe ich hauptsächlichdarin, das Erforschte weiterzugeben. Jene, diedafür bereit sind, werden mir Glauben schenken.Und jene, die es nicht sind, werden mit den un-glaublichsten Vernünfteleien und Besserwissereienargumentieren wollen.”

Während diese Forscherin in Amerika bereitszu einer Berühmtheit geworden war, fanden auchim deutschsprachigen Raum ihre im Kreuz-Verlag/Stuttgart erschienenen Veröffentlichungenimmer größere Beachtung. Doch erst zwei vonGünter Rolling produzierte Fernsehsendungenstellten sie, ihr Wirken und Denken einem größerenPublikum vor. Den Schweizer Fernsehzuschauernwar es zudem vergönnt, sie in einem Interview zu-sammen mit dem katholischen Theologen undProfessor Hans Küng zu erleben.

In den beiden Sendungen des Südwestfunkssprach sie ihre aufgrund eigener wissenschaftlicherForschungen gewonnene Überzeugung aus: “DerTod ist nur ein Übergang in eine andere Form desLebens auf einer anderen Frequenz.” Und: “DerMoment des Todes ist ein ganz einmaliges, schönes,

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befreiendes Erlebnis, das man erlebt ohne Angstund Nöte.” Solch eine positive Aussage über denTod hatte das Fernsehpublikum wohl noch vonkeinem Mediziner vernommen. Und als die Ärztingefragt wurde, ob sie selbst Angst vor dem Todhätte, bekannte sie spontan: “Nein, gar nicht; ichfreue mich darauf.” Für sie war die Beschäftigungmit dem Tod keine Flucht vor dem Leben, im Ge-genteil. Die Einbeziehung des Todes in seine Ge-danken lässt den Menschen bewusster und kon-zentrierter leben und bewahrt ihn davor, “so vielZeit für unwichtige Dinge” zu vergeuden.

Der Tod, der bisher der modernen Menschheitals Schreck gespenst galt, von dem man nach Mög-lichkeit nichts wissen wollte, den man bewusst alsLebensfeind verdrängte, wird nun seines Schreckensberaubt, er findet das Interesse einer vitalen, le-bensbejahenden Ärztin, die bei ihren Forschungenherausgefunden hat, dass wir uns eigentlich vordem Tod gar nicht zu fürchten haben, denn derTod ist nicht das Ende, vielmehr ist er “einstrahlender Beginn”.

In dem vom Schweizer Fernsehen ausgestrahltenInterview hebt Professor Hans Küng die Bedeutungdieser mutigen Frau hervor, wenn er davon spricht,dass nicht nur die Theologen, sondern “ungezählteMenschen” ihr “unendlich dankbar” seien, da sie

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sich diesen Fragen nach dem Tod gestellt unddamit zugleich jene “Tabuisierung durchbrochen”habe, wodurch die Medizin “wieder offen für dieseFragen” geworden sei. Unser Leben im Erdenkör -per, so bekennt Elisabeth Kübler-Ross in dergleichen Sendung, ist nur “ein ganz, ganz kleinerTeil unserer Existenz”. Das persönliche Leben istalso nicht, wie es die materialistisch ausgerichteteWissenschaft sieht, auf ein einziges Leben beschränkt,vielmehr ist dieses Erdenleben nur ein winzigerTeil einer individuellen Gesamtexistenz, die überunser irdisches Leben hinausweist. Ist es nichttröstlich zu wissen, dass es mit unserem irdischenTod nicht einfach “aus” ist, sondern dass uns Wun-derbares bevorsteht? Wie aber Elisabeth Kübler-Ross zur Erkenntnis und Überzeugung von einemLeben nach dem Tod gekommen ist und wie diesedem irdischen Tod unmittelbar folgenden Erlebnissefür uns Menschen im Allgemeinen aussehen,darüber soll dieses Buch berichten.

Unserem Verlag war es gestattet, zum Thema“Leben nach dem Tod” aus Elisabeth Kübler-Ross’Vorträgen ein Büchlein zusammenzustellen, wozuwir auf drei Quellen zurückgriffen. Es handelt sicherstens um einen im Dezember 1982 in der Schweizgehaltenen Vortrag mit dem Titel “Leben und Ster-ben”, den wir als Auszug wiedergeben, um den

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beiden folgenden Beiträgen inhaltlich nicht vor-zugreifen. Ihm folgt zweitens der 1977 in SanDiego/Kalifornien gehaltene Vortrag mit dem Titel“There is no death” (“Es gibt keinen Tod”). Ihmschließt sich drittens und letztens die Übersetzungeiner Lehrkassette an, welche die Autorin 1980 be-sprochen und der sie die Überschrift gegeben hat:“Life, death and life after death” (“Leben, Tod unddas Leben nach dem Tod”).

Elisabeth Kübler-Ross konnte Millionen Men -schen Einsicht in den Tod und das Leben danachvermitteln, und durch ihre Initiative ist in vielenTeilen der Welt die Hospizbewegung ins Lebengerufen worden. 2004 ging sie, die die letzten Le-bensjahre sehr mühevoll durchlebte und denTod – den Übergang “in ein schöneres Haus” –mit Freuden erwartete, selbst “hinüber”. In ihrenBüchern lebt ihr Wissen über das Mysterium desTodes weiter, und wir sind stolz, Ihnen mit demvorliegenden Buch die Kernaussagen von ElisabethKübler-Ross’ Forschung weitergeben zu können.

Ihr Verlag “Die Silberschnur”

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LEBEN UND STERBEN

Viele Leute sagen: “Ja, die Frau Dr. Ross hat zuviele Sterbende gesehen. Jetzt fängt sie an, einbisschen komisch zu werden.” Die Meinung, dieandere Leute von Ihnen haben, ist das Problemdieser anderen Leute und nicht Ihr Problem. Dasist sehr wichtig zu wissen. Wenn Sie ein gutesGewissen haben und Ihre Arbeit mit Liebe ausführen,wird man Sie anspucken, wird man Ihnen dasLeben schwermachen. Und zehn Jahre später be-kommen Sie achtzehn Ehrendoktortitel für diegleiche Arbeit. Und so ist mein Leben jetzt.

Wenn man viele Jahre lang an den Sterbebettenvon Kindern und alten Leuten sitzt, ihnen zuhörtund sie auch wirklich anhört, wird man bemerken,dass sie wissen, ob der Tod nah ist. Da sagt Ihnenauf einmal jemand auf Wiedersehen, wenn Sienoch gar nicht daran denken, dass der Tod schonbald eintreten könnte. Wenn Sie aber dann diese

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Aussage nicht von sich weisen, sondern sitzenbleiben, so sagt Ihnen der Sterbende noch alles,was er Ihnen mitteilen möchte. Wenn dieser Krankedann stirbt, haben Sie doch ein gutes Gefühl, dassSie vielleicht die einzige Person waren, die seineWorte ernst genommen hat.

Auf der ganzen Welt haben wir zwanzigtausendFälle von Menschen studiert, die man klinischbereits für tot erklärt hatte und die dann wiederzum Leben zurückgerufen wurden. Einige wachtenganz natürlich wieder auf, andere erst durch Wie-derbelebungsmaßnahmen.

Ich möchte Ihnen nun ganz summarischerläutern, was jeder Mensch im Moment des Todeserleben wird. Und dieses Erlebnis ist allgemein,also unab hängig davon, ob Sie ein UreinwohnerAustraliens, ein Hindu, ein Moslem, ein Christoder ein Ungläubiger sind; es ist ebenso unabhängigvon Ihrem Alter oder von Ihrem ökonomischenStatus. Denn es handelt sich hier um ein ganzmenschliches Geschehen, wie ja auch der normaleGeburtsvorgang ein allgemein menschliches Ge-schehen ist.

Das Sterbeerlebnis ist fast identisch mit der Ge-burt. Es ist eine Geburt in eine andere Existenz,

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die ganz, ganz einfach bewiesen werden kann.Zweitausend Jahre lang hatte man Sie ersucht, andie jenseitigen Dinge zu “glauben”. Für mich istes nicht mehr eine Sache des Glaubens, sonderneine Sache des Wissens. Und ich sage Ihnen gern,wie man zu diesem Wissen gelangt, vorausgesetzt,Sie wollen wissen. Wenn Sie es nicht wissen wollen,spielt es ebenfalls absolut keine Rolle. Wenn Siemal gestorben sind, wissen Sie es ja sowieso. Undich sitze dann dort und freue mich speziell überall jene, die jetzt sagen: “Ja, die arme Frau Dr.Ross!”

Im Moment des Todes gibt es drei Stufen. WennSie die Sprache akzeptieren, die ich für ganz kleinesterbende Kinder gebrauche und wie ich sie bei-spielsweise auch im “Dougy-Brief” anwende, sospreche ich davon, dass der körperliche Tod desMenschen mit dem Geschehen identisch ist, wiewir es bei dem He raustreten des Schmetterlingsaus dem Kokon sehen können. Der Kokon samtseiner Larve ist der vorübergehende menschlicheKörper. Dieser ist aber nicht identisch mit Ihnen,er ist nur ein vorübergehendes Haus, wenn Siesich das so vorstellen können. Sterben ist nur einUmziehen in ein schöneres Haus, wenn ich dassymbolisch so sagen darf.

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Sobald der Kokon, sei es durch Selbstmord,Mord, Herzschlag oder durch eine chronischeKrankheit, also ganz egal wie, irreparabel beschädigtist, wird er den Schmetterling, also Ihre Seele, frei-geben. Auf dieser zweiten Stufe, nachdem – sym-bolisch gesprochen – Ihr Schmetterling den irdischenKörper verlassen hat, werden Sie wichtige Dingeerleben, die Sie einfach wissen müssen, damit Sieüberhaupt nie mehr Angst vor dem Tod haben.

Auf der zweiten Stufe werden Sie von psychischerEnergie, auf der ersten Stufe hingegen von kör-perlicher Energie versorgt. Auf dieser ersten Stufebenötigen Sie noch ein funktionierendes Hirn,also ein Wachbewusstsein, um mit den Mitmen -schen kom munizieren zu können. Sobald jedochdieses Hirn oder dieser Kokon zu sehr beschädigtist, haben Sie natürlich kein Wachbewusstseinmehr. In dem Moment, in dem Ihnen dieses fehlt,in dem also der Kokon der art geschädigt ist, dassweder Atmung festgestellt noch Puls oder Hirn-wellen gemessen werden können, befindet sicheben der Schmetterling schon außerhalb seinesKokons, was nicht heißen muss, dass Sie schontot sind, sondern das heißt, dass der Kokon nichtmehr funktioniert. Mit dem Verlassen des Kokonsgelangen Sie auf die zweite Stufe, die von derpsychischen Ener gie getragen wird. Psychische

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und körperliche Energie sind die einzigen zweiEnergien, die der Mensch manipulieren kann.

Das größte Geschenk, das Gott den Menschengegeben hat, ist der freie Wille. Und diesen freienWillen hat von allen Lebewesen nur der Mensch.Somit haben Sie auch die Wahl, diese Energiennegativ oder positiv zu gebrauchen. Das heißt,beide Leben in den jeweiligen Körpern könnennegativ oder positiv sein. Sobald Sie ein freierSchmetterling sind, das heißt, sobald Ihre Seeleaus dem Körper ausgetreten ist, werden Sie zuallererstmerken, dass Sie alles wahrnehmen, was an demOrt Ihres Todes, im Krankenzimmer, an der Un-fallstelle oder dort, wo Sie eben diesen Körper ver-lassen haben, passiert. Sie nehmen diese Vorgängedann nicht mehr mit Ihrem irdischen Bewusst seinauf, sondern mit einer neuen Wahrnehmung. Sieregistrieren alles, und zwar zu einer Zeit, in derSie keinen Blutdruck, keinen Puls und keineAtmung mehr haben, in einigen Fällen sogar beiAbwesenheit messbarer Hirnwellen. Sie wissengenau, was jeder sagt und denkt und wie er sichbenimmt. Und Sie werden nachher ganz klar sagenkönnen, dass man zum Beispiel mit drei Schneid-brennern den Körper aus einem Autowrack befreite.Es gab sogar Leute, die uns das Kennzeichen jenesWagens genannt haben, der sie angefahren hatte,

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dann aber einfach weitergefahren war. Wissen-schaftlich kann man eben nicht erklären, dassjemand, der keine Hirnwellen mehr hat, noch dasAutonummernschild lesen kann. Von uns Wissen-schaftlern wird Demut verlangt. Wir müssen demütigakzeptieren, dass es viele Millionen Dinge gibt, diewir noch nicht verstehen können. Das heißt abernicht, dass diese Dinge, nur weil wir sie nichtverstehen, etwa nicht exis tieren und keine Realitätensein dürfen.

Würde ich jetzt in eine Hundepfeife blasen,würden Sie es nicht hören können, während aberjeder Hund den Ton hören würde. Dies hat seinenGrund darin, dass das menschliche Gehör für dieWahr nehmung dieser hohen Frequenzen nicht ge-schaffen ist. Ebenso kann der durchschnittlicheMensch eben jene Seele, die aus dem Körper he-rausgetreten ist, nicht erkennen, während jene aus-getretene Seele jedoch noch die irdischen Wellen-längen registrieren kann, um alles zu verstehen, wasauf der Unfallstation oder anderswo vor sich geht.

Sehr viele Menschen treten während einer Ope-ration aus ihrem Körper raus und schauen tatsächlichder Operation zu. Diese Tatsache sollte allenÄrzten und Schwestern bewusst sein. Das heißtauch, dass sie, so der Patient bewusstlos ist, nur

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über diejenigen Dinge sprechen sollten, von denensie glauben, dass der Bewusstlose sie sowieso hörendürfe. Es ist traurig, was man in Gegenwart vonbewusstlosen Menschen sagt, während jene allesmit anhören können.

Auch müssen Sie wissen, so Sie an das Bett Ihrersterbenden Mutter oder Ihres sterbenden Vaterstreten, die sich schon in einem sehr tiefen Komabefinden, dass diese Frau oder dieser Mann alleshört, was Sie sagen. Und dann ist es keinesfalls zuspät zu sagen: “Es tut mir leid”, “Ich liebe dich”oder was Sie auch immer sagen wollen. Für solcheWorte ist es überhaupt nie zu spät, auch nachdem Tode nicht, da die Verstorbenen noch immerhören, was Sie sagen. Sie können also auch dannnoch “unerledigte Geschäfte”, selbst wenn sieschon zehn und zwanzig Jahre zurückliegen sollten,erledigen und somit Ihre Schuld abtragen, damitSie selbst wieder leben können.

In dieser zweiten Stufe wird der “Gestorbene”,wenn ich das so sagen darf, auch bemerken, dasser wieder ganz ist. Menschen, die blind waren,können sehen, und die, die nicht hören oder nichtsprechen konnten, hören und sprechen wieder.Meine Multiple-Sklerose-Patienten, die sich nurnoch im Rollstuhl vorwärtsbewegen können und

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mit dem Sprechen ihre Mühe haben, sagen mirnach ihrer Rückkehr von einem todesnahenErlebnis als allererstes ganz beglückt: “Dr. Ross,ich konnte wieder tanzen.” Und es handelt sichum Tausende in Rollstühlen, die dann endlichwieder mal tanzen können. Wenn sie zurückkehren,befinden sie sich natürlich wieder in ihrem alten,kranken Körper.

Sie verstehen also, dass dieses außerkörperlicheErlebnis ein ganz beglückendes, seliges Ereignisist. Die kleinen Mädchen, die aufgrund der Krebs-behandlung schon alle ihre Haare verloren haben,sagen mir nach einem solchen Erlebnis als Erstes:“Ich hatte meine schönen Locken wieder.” Frauen,denen ihre Brust amputiert wurde, haben nun ihreBrust wieder. Sie sind einfach wieder ganz. Sie sindperfekt.

Viele meiner skeptischen Kollegen sagen: “Eshandelt sich hier um eine Projektion von einemWunschtraum.” Doch ein undfünfzig Prozent allermeiner Fälle waren plötzliche Todesfälle. Und ichglaube nicht, dass jemand zur Arbeit geht unddabei träumt, dass er auch weiterhin über beideBeine verfügt, wenn er zu Fuß die Straße überquert.Doch nach einem schweren Unfall sieht er plötzlichein von seinem Körper abgetrenntes Bein auf der

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Straße liegen, und trotzdem ist er im Vollbesitzbeider Beine.

Für einen Skeptiker ist all das natürlich keinBeweis. Und um Skeptiker ein bisschen zu beruhigen,haben wir mit blinden Menschen ein Forschungs-projekt durchgeführt, bei dem wir uns die Bedin -g ung auferlegten, nur Blinde zu berücksichtigen,die seit mindestens zehn Jahren keinerlei Lichtper-zeption hatten. Und diese Blinden, die ein außer-körperliches Erlebnis gehabt haben und zurück-gekommen sind, können Ihnen im Detail sagen,was für Farben und welchen Schmuck Sie zu jenerZeit, so Sie anwesend waren, trugen, was für einMuster Ihr Pullover oder Ihre Krawatte hatte undso weiter. Sie verstehen, dass es sich hierbei nichtum etwas handelt, das man phantasieren kann.Sie können diese Sachverhalte ganz gut beweisen,wenn Ihnen die Antwort keine Angst macht. Wennsie Ihnen jedoch Angst macht, dann mögen Siezu mir kommen wie jene Skeptiker, die mir sagten,dass jene außerkörperlichen Erlebnisse das Resultateines Sauerstoffmangels seien. Ja, wenn es sichhierbei nur um Sauerstoffmangel handelte, würdeich allen meinen Blinden Sauerstoffmangel verord-nen. Verstehen Sie? Wenn jemand eine Tatsachenicht wissen will, dann kommt er mit tausend Ge-genargumenten. Und das ist eben wieder sein

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Problem. Sie müssen nicht versuchen, andere Leutezu bekehren. Wenn jene sterben, wissen sie es jasowieso.

Auf dieser zweiten Stufe merken Sie auch, dasskein einziger Mensch allein sterben kann. Wennman aus dem Körper tritt, befindet man sich ineinem Sein, in dem es keine Zeit mehr gibt, woalso die Zeit einfach nicht existiert, ebenso wieman dort auch nicht mehr von Raum und Distan -zen in unserem Sinne sprechen kann, da diese jairdische Phänomene sind. Stirbt zum Beispiel einjunger Amerikaner in Vietnam und denkt da rauf -hin an seine Mutter in Washington, so überbrückter mittels der Gedankenkraft jene Tausende vonKilometern und befindet sich im Nu bei seinerMutter. Auf jener zweiten Stufe gibt es also keineDistanzen. Dieses Phänomen hat sich schon sehrvielen Irdischen präsentiert, als ihnen auf einmalbewusst geworden ist, dass jemand, der weitentfernt wohnte, plötzlich bei ihnen war. Undeinen Tag später erreichte sie ein Telefonanruf oderes kam ein Telegramm, in dem ihnen mitgeteiltwurde, dass der Betreffende Hunderte oder Tau -sende von Kilometern weit weg gestorben war.Solche Menschen sind natürlich sehr intuitiv, dennnormalerweise nimmt man solche Besuche nichtbewusst wahr.

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Auf dieser Stufe merken Sie auch, dass keinMensch allein sterben kann, nicht nur, weil derVerstorbene in der Lage ist, jeden beliebigen Men-schen zu besuchen, sondern auch deswegen, weilMenschen, die vor Ihnen gestorben sind und dieSie gern und lieb hatten, immer auf Sie warten.Und da die Zeit eben nicht existiert, könntejemand, der mit zwanzig Jahren ein Kind verlorenhat, nach seinem Tod mit 99 immer noch seinKind als Kind antreffen, da für diejenigen auf deranderen Seite eine Minute beispielsweise die Dauervon hundert Jahren unseres Zeitgeschehens habenkann.

Auch was die Kirche den kleinen Kindern hin-sichtlich ihrer Schutzengel erzählt, beruht auf Tat-sachen, denn es ist ebenfalls bewiesen, dass jederMensch von seiner Geburt bis zu seinem Tod vonGeistwesen begleitet wird. Jeder Mensch hat solcheBegleiter, ob Sie daran glauben oder nicht, ob SieJude oder Katholik oder ohne Religion sind, esspielt überhaupt keine Rolle. Denn Gottes Liebeist bedingungslos, weshalb ein jeder Mensch diesesGeschenk eines Begleiters erhält. Es handelt sichum jene Begleiter, die meine kleinen Kinder “Spiel-gefährten” nennen. Ganz kleine Kinder sprechenmit ihren “Spielgefährten” und sind sich dessenvöllig bewusst. Doch sobald sie in die erste Klasse

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kommen, sagen ihre Eltern zu ihnen: “Du bistjetzt ein großer Bub. Du gehst nun in die Schule.Jetzt spielt man nicht mehr solche kindischenSpiele.” Somit vergisst man, dass man “Spielge-fährten” hat, bis man auf dem Sterbebett liegt.Und dann sagt plötzlich eine sterbende alte Frauzu mir: “Hier ist er wieder.” Und weil ich weiß,wovon sie spricht, frage ich diese Frau, ob sie mitmir das soeben Erlebte teilen könne. Alsdannerklärt sie mir: “Ja, wissen Sie, als ich ein ganzkleines Kind war, befand er sich immer bei mir.Aber ich hatte ganz vergessen, dass er überhauptexistiert.” Und einen Tag später stirbt sie ganz be-glückt, weil jemand, der sie unsagbar gern gehabthat, wieder auf sie wartet.

Im Allgemeinen werden Sie immer von derPerson erwartet, die Sie am meisten geliebt haben.Diese Person begegnet Ihnen immer zuerst. ImFalle von ganz Kleinen, bei zwei-, dreijährigen Kin-dern zum Beispiel, deren Großeltern, Eltern undübrige ihnen bekannte Verwandte noch auf Erdenweilen, ist es meistens ihr persönlicher Schutzengel,der sie empfängt, oder sie werden auch von Jesusoder einer anderen religiösen Figur empfangen.Ich habe es dabei allerdings noch nie erlebt, dassein protestantisch getauftes Kind in seinen Ster-beminuten Maria sah, während diese aber von sehr

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vielen katholischen Kindern wahrgenommen wurde.Es handelt sich hierbei nicht um eine Diskrimi-nierung, sondern Sie werden ganz einfach auf deranderen Seite von denen erwartet, die für Sie diegrößte Bedeutung gehabt haben.

Ist man sich auf dieser zweiten Stufe seines wie-derhergestellten Körpers gewahr geworden unddurfte man seinen Geliebten begegnen, so wirdeinem bewusst, dass das Sterben nur ein Übergangist in eine andere Form des Lebens. Die irdisch-körperlichen Formen hat man zurückgelassen, weilman diese nicht mehr braucht. Und bevor Sie IhrenKörper ablegen und da raufhin die Form annehmen,die man in der Ewigkeit besitzt, gehen Sie durcheine Übergangsphase, die ganz und gar von irdisch-kulturellen Faktoren geprägt ist. Es kann sich hier -bei um das Durchschreiten eines Tunnels oderTores oder um das Überqueren einer Brückehandeln. Ich als Schweizerin durfte einen Alpen -pass mit Alpenblumen überqueren. Jeder bekommtden Himmel, den er sich vorstellt. Und für michist natürlich die Schweiz der Himmel, in welchemsich selbstverständlich Berge und Alpenblumen befinden. Ja, ich habe diesen Übergang als einenganz grenzenlos schönen Bergpass erleben dürfen,dessen Wiesen derart bunt von Alpenblumen waren,dass sie mir vorkamen wie ein Perserteppich.

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Und dann, sobald Sie diesen Durchgang oderÜbergang durch- oder überschritten haben, strahltIhnen an dessen Ende ein Licht entgegen. Unddieses Licht ist weißer als weiß, ganz hell. Und jenäher Sie sich auf dieses Licht zubewegen, destomehr werden Sie erfüllt von der größten, unbe-schreiblichsten bedingungslosen Liebe, die Sie sichvorstellen können. Es gibt gar keine Worte dafür.

Wenn jemand ein todesnahes Erlebnis hat, darfer dieses Licht auch nur ganz kurz anschauen. Undsogleich muss er zurückkehren. Wenn Sie abersterben, ich meine: endgültig sterben, wird dieseVerbindung zwischen dem Kokon und dem Schmetterling, die man mit einer Nabelschnur (“Sil-berschnur”) vergleichen könnte, durchtrennt. Danach ist es nicht mehr möglich, in den Erden -körper zurückzukehren. Aber Sie wollen ja dannsowieso nicht mehr zurück, denn wenn er das Lichterst einmal gesehen hat, will kein Mensch mehrzurück. Und in diesem Licht erleben Sie zum erstenMal, was der Mensch hätte sein können. Da erlebenSie nur Verständnis und keine Verurteilung, daerleben Sie bedingungslose Liebe, die man über -haupt nicht beschreiben kann. Und in dieser Ge-genwart, welche viele Menschen mit Christus oderGott, mit Liebe oder Licht bezeichnen, werden Siesich bewusst, dass Ihr ganzes Erdenleben nichts

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anderes ist als eine Schule, dass Sie durch dieseSchule hindurchgehen müssen, dass Sie bestimmtePrüfungen bestehen und bestimmte Dinge lernenmüssen. Sobald Sie Ihr Pensum erledigt undbestanden haben, dürfen Sie nach Hause gehen.

Manch einer fragt: “Warum müssen so wunder-schöne Kinder sterben?” Die Antwort lautet ganzeinfach, dass diese Kinder in ganz kurzer Zeitgelernt haben, was man lernen muss. Und das sindfür verschiedene Menschen ganz verschiedeneDinge. Eines muss jeder lernen, bevor er dorthinzurückgehen kann, woher er kommt, und das istbedingungslose Liebe. Wenn Sie das gelernt undpraktiziert haben, dann haben Sie die größtePrüfung bestanden.

In diesem Licht, in der Gegenwart von Gott,von Christus oder wie immer Sie das nennenmögen, müssen Sie Ihr ganzes Erdenleben nochmalsbetrachten, und zwar vom ersten Tag bis zum Tagdes Todes. Mit der Betrachtung Ihres eigenen Er-denlebens befinden Sie sich nun auf der drittenStufe. Auf dieser Stufe verfügen Sie nicht mehrüber jenes Bewusstsein der ersten Stufe oder überjenes Wahrnehmungsvermögen der zweiten Stufe.Aber Sie sind jetzt im Besitz des Wissens. Siewissen aufs Genaueste jeden Gedanken, den Sie

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irgendwann in Ihrem Leben gedacht haben, Siewissen um jede Tat und um jedes Wort, das Sieje gesprochen haben. Aber dieses Sicherinnern istnur ein ganz kleiner Teil Ihres Gesamtwissens.Denn Sie wissen in diesem Moment, in dem SieIhr ganzes Leben nochmals anschauen, über alleKonsequenzen Bescheid, die sich aus jedem IhrerGedanken, jedem Ihrer Worte und jeder Ihrer Tatenergeben haben.

Gott ist bedingungslose Liebe. Bei der “Revision”Ihres Lebens werden Sie nicht Ihm die Schuld anIhrem Schicksal zuschieben, sondern Sie erkennen,dass Sie Ihr eigener schlimms ter Feind waren, daSie sich jetzt vorwerfen müssen, so viele Gelegen-heiten zum Wachsen ungenutzt gelassen zu haben.Jetzt wissen Sie, dass es sich bei all Ihren Schick-salsschlägen – als Ihr Haus abbrannte oder als IhrKind starb, als Ihr Mann verletzt wurde oder alsSie selbst einen Schlaganfall erlitten – um unzähligeMöglichkeiten zum Wachsen handelte, zum Wachsenan Verständnis, zum Wachsen an Liebe, zumWachsen an allen Dingen, die wir noch zu lernenhaben. “Und statt die mir dargebotenen Chancenzu nutzen”, so bereuen Sie jetzt, “habe ich michmit jedem Mal mehr und mehr der Verbitterunghingegeben, so dass meine Wut und auch meineNegativität zunahmen ...”

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