ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS...

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131 Elitenkontinuität oder Elitenwechselln Rumänien nach der Revolution? Eine Untersuchung am Beispiel des rumänischen Staatspräsidenten Ion lliescu von 1990 bis 1996 RALF THOMAS GÖLLNER Vorbemerkung Die Klärung der Frage, ob nach der Revolution von 1989 in Rumänien ein Eli- tenwechsel stattgefunden hat, oder ob es sich um eine Kontinuität bereits eta- blierter Eliten handelt, erfordert die genaue Betrachtung des Werdegangs des ersten Staatsoberhauptes nach Ceau§escu. Dabei sind die allgemeinen bio- graphischen Daten weniger von Interesse, auch wenn sie zum Teil zu einer Ab- rundung des Gesamtbildes beitragen können. Bedeutsam sind vielmehr die- jenigen Ereignisse aus dem Leben Ion lIiescus, die Aufschluß dariiber geben, ob und in welchem Maße er bereits unter Ceau§escu Teil der herrschenden Elite war und in welchem Ausmaß er Einfluß auf die Revolution hat nehmen können. Anschließend werden die Ereignisse, die zum Sturz Ceau§escus geführt haben, kurz umrissen. Diese Vorgänge in den Dezembertagen des Jahres 1989 bis zur Etablierung der Front der Nationalen Rettung (Frontul Salvärii Natio- nale) als Partei geben Aufschluß über die beteiligten Personen und damit über den Einfluß von Eliten oder Gegeneliten im allgemeinen und sind die Basis für das Verständnis der Folgezeit. Besondere Beachtung wird hierbei dem späteren Staatspräsidenten gewidmet; zum einen, weil er sich in diesen Tagen medien- wirksam präsentierte und zum anderen, weil gerade diese Selbstdarstellung offensichtlich zu seiner späteren Wahl führte. In den darauffolgenden Kapiteln werden die politischen Maßnahmen und Konzeptionen Iliescus und der Front dargestellt und analysiert. Sie sollen Auf- schluß über ihr Selbstverständnis geben, die politische Programmatik anhand dem westlichen Demokratieverständnis überprüfen und zur Kategorisierung der Politiker, das heißt der neuen oder alten Elite beitragen. Außerdem werden die ereignis geschichtlichen Gegebenheiten mit dem Ziel in diesen Kontext gestellt, einen möglichen inhaltlichen Wandel in den politischen Vorstellungen - ins- besondere Iliescus - feststellen zu können. Abgeschlossen wird diese Untersuchung durch Überlegungen zur Typolo- gisierung des rumänischen Staatspräsidenten der Jahre 1990 bis 1996. SbsSemhll 11 (1997) 1-2 ELlTENKONTINUITÄT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 1. Ion Iliescus politischer Werdegang 1.1. Biographische Grundelemente Die Kommunistische Partei Rumäniens gehörte seit 1924 zu den verbotenen Parteien und wurde erst nach dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 zugelassen. Angesichts der demographischen und ökonomischen Struktur des wenig industrialisierten Königreichs war sie sowohl in der Zwischenkriegs- zeit als auch unmittelbar nach Kriegsende unbedeutend und hatte sehr wenig Mitglieder l , von denen ein bedeutender Teil nichtrumänischer Nationalität waren. Diese kommunistische Partei war zudem in zwei Flügel, die National- kommunisten und die sowjetloyalen Internationalisten, gespalten, die sich bis 1961 oftmals auf das heftigste bekämpften. Nachdem sich 1961 die national gesinnte Gruppierung um Gheorghiu-Dej durchsetzen konnte, wurde im April 1964 - sechs Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Trul>pen aus Rumänien- eine von der UdSSR relativ unabhängige Politik betrieben 2 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß Ion IIici Iliescus Vater ein Mitglied dieser illegalen kommunistischen Vorkriegspartei, ein Anhänger des prosowjetischen Flügels und ein derart ergebener Anhänger Lenins war, daß er seinen am 3. März 1930 in Oltenita geborenen Sohn auf dessen Namen taufte 3 Seine Mutter war, wie Iliescu erklärte, ebenfalls in der Illegalität tätig gewesen. Durch diesen familiären Hintergrund war es lIiescu möglich, in den Apparat der Kommunistischen Partei hineinzuwachsen 4 Über diese ersten etwa 20 Jahre Iliescus liegen nur vereinzelte und wenig wichtige Informationen vor. Er be- suchte in Bukarest das Gymnasium und studierte anschließend Wasser- wirtschaft am Polytechnischen Institut in Bukarest. In den Jahren 1950 bis 1954 wurde ihm das Privileg zuteil, am Institut für Energetik in Moskau studieren zu können. Hier hatte er die Funktion des Studentenvertreters der rumänischen Studierenden und war - nach den Angaben des ehemaligen rumänischen I In der Literatur weIden ruf den August 1944 nur 884 Mitglieder der kommunistischen Partei in Rumänien angegeben. Vgl. hierzu R.V. BURKs; Rumäniens nationale Abweichung. Eine Be- standsaufnahme. In: Osteuropa 16 (1966), S. 315. 2 Vgl. hierzu GHITA IONESCU: Communism in Rumania, 1944-1962. London 1964. GERD FRICKENHELM: Die rumänische Abweichung. Eine Beschreibung und Analyse ihrer Entstehung. MUnster 1990. TROND GILBERG: Nationalism and Communism in Romania. The Rise and Fall 01' Ceausescu's Personal Dictatorship. Bou1der 1990. 3 Vgl. hierzu ION MIHAI PACEPA: Kremlinului. [Das Erbe des Kreml}. Bukarest 1993, S.449. 4 RICHARD WAGNER: Sonderweg Rumänien. Bericht aus einem Entwicklungsland. Berlin 21992. S. 22. In diesen Zusammenhang bemerkt der englische Autor MARTYN RADY. daß Iliescu wäh- rend des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit den späteren Staats- und Partei chefs Gheorghiu- Dej und im Gefangenenlager von Tllrgu Jiu interniert war. MARTYN RADY: Romania in Tunnoil. A contemporary History. London u. a. 1992, S. 123. SbgSembU 11 (1997) 1-2

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Elitenkontinuitaumlt oder Elitenwechselln Rumaumlnien nach der Revolution Eine Untersuchung am Beispiel des rumaumlnischen Staatspraumlsidenten Ion lliescu von 1990 bis 1996

RALF THOMAS GOumlLLNER

Vorbemerkung

Die Klaumlrung der Frage ob nach der Revolution von 1989 in Rumaumlnien ein Elishytenwechsel stattgefunden hat oder ob es sich um eine Kontinuitaumlt bereits etashyblierter Eliten handelt erfordert die genaue Betrachtung des Werdegangs des ersten Staatsoberhauptes nach Ceausectescu Dabei sind die allgemeinen bioshygraphischen Daten weniger von Interesse auch wenn sie zum Teil zu einer Abshyrundung des Gesamtbildes beitragen koumlnnen Bedeutsam sind vielmehr dieshyjenigen Ereignisse aus dem Leben Ion lIiescus die Aufschluszlig dariiber geben ob und in welchem Maszlige er bereits unter Ceausectescu Teil der herrschenden Elite war und in welchem Ausmaszlig er Einfluszlig auf die Revolution hat nehmen koumlnnen

Anschlieszligend werden die Ereignisse die zum Sturz Ceausectescus gefuumlhrt haben kurz umrissen Diese Vorgaumlnge in den Dezembertagen des Jahres 1989 bis zur Etablierung der Front der Nationalen Rettung (Frontul Salvaumlrii Natioshynale) als Partei geben Aufschluszlig uumlber die beteiligten Personen und damit uumlber den Einfluszlig von Eliten oder Gegeneliten im allgemeinen und sind die Basis fuumlr das Verstaumlndnis der Folgezeit Besondere Beachtung wird hierbei dem spaumlteren Staatspraumlsidenten gewidmet zum einen weil er sich in diesen Tagen medienshywirksam praumlsentierte und zum anderen weil gerade diese Selbstdarstellung offensichtlich zu seiner spaumlteren Wahl fuumlhrte

In den darauffolgenden Kapiteln werden die politischen Maszlignahmen und Konzeptionen Iliescus und der Front dargestellt und analysiert Sie sollen Aufshyschluszlig uumlber ihr Selbstverstaumlndnis geben die politische Programmatik anhand dem westlichen Demokratieverstaumlndnis uumlberpruumlfen und zur Kategorisierung der Politiker das heiszligt der neuen oder alten Elite beitragen Auszligerdem werden die ereignis geschichtlichen Gegebenheiten mit dem Ziel in diesen Kontext gestellt einen moumlglichen inhaltlichen Wandel in den politischen Vorstellungen - insshybesondere Iliescus - feststellen zu koumlnnen

Abgeschlossen wird diese Untersuchung durch Uumlberlegungen zur Typoloshygisierung des rumaumlnischen Staatspraumlsidenten der Jahre 1990 bis 1996

SbsSemhll 11 (1997) 1-2

ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

1 Ion Iliescus politischer Werdegang

11 Biographische Grundelemente

Die Kommunistische Partei Rumaumlniens gehoumlrte seit 1924 zu den verbotenen Parteien und wurde erst nach dem Frontwechsel Rumaumlniens am 23 August 1944 zugelassen Angesichts der demographischen und oumlkonomischen Struktur des wenig industrialisierten Koumlnigreichs war sie sowohl in der Zwischenkriegsshyzeit als auch unmittelbar nach Kriegsende unbedeutend und hatte sehr wenig Mitglieder l

von denen ein bedeutender Teil nichtrumaumlnischer Nationalitaumlt waren Diese kommunistische Partei war zudem in zwei Fluumlgel die Nationalshykommunisten und die sowjetloyalen Internationalisten gespalten die sich bis 1961 oftmals auf das heftigste bekaumlmpften Nachdem sich 1961 die national gesinnte Gruppierung um Gheorghiu-Dej durchsetzen konnte wurde im April 1964 - sechs Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Trulgtpen aus Rumaumlnienshyeine von der UdSSR relativ unabhaumlngige Politik betrieben2

bull

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang daszlig Ion IIici Iliescus Vater ein Mitglied dieser illegalen kommunistischen Vorkriegspartei ein Anhaumlnger des prosowjetischen Fluumlgels und ein derart ergebener Anhaumlnger Lenins war daszlig er seinen am 3 Maumlrz 1930 in Oltenita geborenen Sohn auf dessen Namen taufte3

bull

Seine Mutter war wie Iliescu erklaumlrte ebenfalls in der Illegalitaumlt taumltig gewesen Durch diesen familiaumlren Hintergrund war es lIiescu moumlglich in den Apparat der Kommunistischen Partei hineinzuwachsen4

bull Uumlber diese ersten etwa 20 Jahre Iliescus liegen nur vereinzelte und wenig wichtige Informationen vor Er beshysuchte in Bukarest das Gymnasium und studierte anschlieszligend Wassershywirtschaft am Polytechnischen Institut in Bukarest In den Jahren 1950 bis 1954 wurde ihm das Privileg zuteil am Institut fuumlr Energetik in Moskau studieren zu koumlnnen Hier hatte er die Funktion des Studentenvertreters der rumaumlnischen Studierenden und war - nach den Angaben des ehemaligen rumaumlnischen

I In der Literatur weIden ruf den August 1944 nur 884 Mitglieder der kommunistischen Partei in Rumaumlnien angegeben Vgl hierzu RV BURKs Rumaumlniens nationale Abweichung Eine Beshystandsaufnahme In Osteuropa 16 (1966) S 315

2 Vgl hierzu GHITA IONESCU Communism in Rumania 1944-1962 London 1964 GERD FRICKENHELM Die rumaumlnische Abweichung Eine Beschreibung und Analyse ihrer Entstehung MUnster 1990 TROND GILBERG Nationalism and Communism in Romania The Rise and Fall 01 Ceausescus Personal Dictatorship Bou1der 1990

3 Vgl hierzu ION MIHAI PACEPA Mo~tenirea Kremlinului [Das Erbe des Kreml Bukarest 1993 S449

4 RICHARD WAGNER Sonderweg Rumaumlnien Bericht aus einem Entwicklungsland Berlin 21992 S 22 In diesen Zusammenhang bemerkt der englische Autor MARTYN RADY daszlig Iliescu waumlhshyrend des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit den spaumlteren Staats- und Partei chefs GheorghiushyDej und Ceau~escu im Gefangenenlager von Tllrgu Jiu interniert war MARTYN RADY Romania in Tunnoil A contemporary History London u a 1992 S 123

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Erschienen in Siebenbuumlrgische Semesterblaumltter 1311 (1997) S 130-151
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Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des spaumlteren sowjetischen Staats- und Parteichefs Gorbatschow5

Auf seine Studienzeit in Moskau geht auch der 1995 gegen lliescu erhobene Vorwurf zuruumlck er sei ein Informant des KGB gewesen Obwohl zum gegenshywaumlrtigen Zeitpunkt keine endguumlltige Beantwortung dieser Frage zu erwarten ist muumlssen einige Aspekte die in Zusammenhang mit dieser Problematik stehen beachtet werden6

bull In den letzten Jahren der stalinistischen Aumlra war es uumlblich daszlig der Geheimdienst die in Moskau lebenden auslaumlndischen Studenten anshywarb insbesondere wenn sie eine derart wichtige und oumlffentliche Funktion innehatten wie Iliescu in den Jahren seines Moskauaufenthalts Zudem wurde Iliescu nach seiner Ruumlckkehr nach Bukarest Vorsitzender des kommunistischen Jugendverbandes Die Besetzung solcher Schluumlsselfunktionen erforderte in den fuumlnfziger Jahre noch die Zustimmung Moskaus und es kann vermutet werden daszlig die russische Fuumlhrung die Einwilligung nur fuumlr einen raquovertrautenlaquo oder raquoverlaumlszliglichenlaquo Kandidaten gab7

bull In dieser Funktion war Iliescu gemeinsam mit Ceausectescu an den repressiven Maszlignahmen gegen diejenigen Studenten beshyteiligt die im Oktober 1956 an den Sympathiekundgebungen fuumlr die ungarische Revolution teilgenommen und fuumlr den Abzug sowjetischer Truppen aus Rumaumlnien und die Abschaffung des Russischen als Pflichtfach demonstriert hattens

12 Iliescu in der Zeit Ceau~escus

In den Jahren 1964 beziehungsweise 19679 wurde Iliescu Mitglied des Zentralshykomitees der Kommunistischen Partei und von 1967 bis 1971 Vorsitzender des Rumaumlnischen Kommunistischen Jugendverbandes (Uniunea Tineretului Communist) Dies geschah zu einer Zeit als sich das rumaumlnische politische

5 PACEPA aaO S 449-450 PACEPA gibt an dieser Stelle auch an daszlig Iliescu und Gorbatschow Parteisekretaumlre waren der erste rur die auslaumlndischen der zweite rur die sowjetischen Studenten

6 Letztendlich ist die Beantwortung der Frage ob Iliescu KGB-Agent war oder nicht in diesem Zusammenhang von geringer Bedeutung In der Diskussion dieser Frage sind eher Hinweise auf das Verhaumlltnis Iliescus zur Sowjetunion und seine persoumlnliche Praumlgung in diesen Jahren zu erwarten

7 Vgl hierzu DAN IONESCU The President the JoumaIists and the KGB In Transition I (1995) 16 S 36-37

8 ZOLTAN T6FALVI Az 1956-os forradaIom ullini magyarellenes megtorlaumlsok Romaumlniaban (II) [Die ungamfeindlichen Repressalien in Rumaumlnien nach dem Aufstand von 1956) In Becsi Napl6 13 (1992) 6 S 5 Und RADY aaO S 123

9 In der Sekundaumlrliteratur werden beide Jahre genannt Vgl hierzu RADY aaO S 123 und ANTONIA RADOS Die Verschwoumlrung der Securitate Rumaumlniens verratene Revolution Hamburg 1990 S 16 Iliescu aumluszligerst sich zu den hier erwaumlhnten Stationen seines Lebens nicht oder nur bruchstuumlckhaft Vgl hierzu Annelie Ute Gabanyi Die unvollendete Revolution Rumaumlnien zwishyschen Diktatur und Demokratie Muumlnchen 21990 S 23-24

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System soweit konsolidiert hatte daszlig der neue Kurs eingeschlagen werden konnte Vorangegangen war der Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1958 was als ein Kennzeichen des einsetzenden nationalen Sonderweges jedoch keinesfalls als Abweichung vom sowjetischen Kurs gewertet werden kann Erst mit dem Tod Gheorghiu-Dejs und der Wahl Nicolae Ceausectescus am 22 Maumlrz 1965 zum Ersten Sekretaumlr der ParteilO wurde eine neue Periode der politischen und ideologischen Entwicklung eingeleitet Daszlig lliescu in dieser Phase von Ceausectescu an das Zentrum der Macht herangefuumlhrt wurde verdeutlicht daszlig er raquoals Vertreter der jungen national und reformerisch eingestellten Generation in der Parteilaquolt und als potentieller Nachfolger Ceausectescus galt Seine Haltung aumluszligerte sich in der Ablehnung der Breschnew-Doktrin der raquobegrenzten Soushyveraumlnitaumltlaquo womit er Ceausectescus Zielen entsprach

Im Februar 1971 wurde er ZK-Sekretaumlr fuumlr Ideologie und Propaganda geriet jedoch mit Ceausectescu auf dem Ideologieplenum im Juli 1971 12 in Konflikt weil er sich dessen Politik der raquoKulturrevolutionlaquo widersetzte l3

bull Die Folge war seine Versetzung in die Provinz die Iliescu mit raquoseiner regimekritischen Haltunglaquo14 erklaumlrt Hierbei darf jedoch nicht auszliger Acht gelassen werden daszlig zum einen in Rumaumlnien das Prinzip der Kaderrotation galt und zum anderen daszlig er nachshyeinander in zwei der wichtigsten Groszligstaumldte des Landes versetzt wurde in denen er hohe politische Aumlmter bekleidete Im Kreis Temesch und dessen Kreisstadt Temeschwar (Timisectoara) war er von 1971 bis 1974 Propagandashysekretaumlr und zwischen 1974 und 1979 Kreisparteisekretaumlr in Jassy (Iasecti) Dies deutet nicht zwangslaumlufig auf einen politischen Abstieg hin Zudem wurde er im Jahr 1974 zum Stellvertretenden Mitglied des Politischen Exekutivkomitees und 1979 zum Mitglied des Staatsrats und zum Vorsitzenden des Nationalrates fuumlr Wasserwirtschaft ernannt Die erstgenannten Positionen verlor er Ende 1979 beziehungsweise 198015 und aus dem Nationalrat schied er 1984 aus uumlbernahm aber bis zur Revolution die Leitung des Technischen Verlags in Bukarest

Angesichts dieser fuumlr sozialistische Systeme vorbildhaften Karriere faumlllt es schwer an die SelbstdefInition lliescus er sei unter Ceausectescu ein Dissident gewesen zu glauben Es ist zwar richtig daszlig er nach seinem Ausscheiden als ZK-Sekretaumlr fuumlr Ideologie und Propaganda von der raquoSecuritatelaquo beobachtet und

10 Die raquoRumaumlnische Arbeiterparteilaquo wurde erst am IX Parteikongreszlig im Juli 1965 zur raquoRumaumlnischen Kommunistischen Parteilaquo umbenannt

11 WAGNER aaO S 22 12 Seit diesem Jahr gehoumlrte Gorbatschow dem Zentralkomitee der KPdSU an 13 ION lUESCU Aufbruch nach Europa Rumaumlnien - Revolution und Reform 1989 bis 1994 Koumlln

u a 1995 S 322 14 IUESCU aaO S 322 15 GABANYI aaO S 24 Interessant in diesem Zusammenhang ist daszlig anscheinend der Wandel

in Iliescus politischer Karriere sich umgekehrt zu deljenigen Gorbatschows verhielt Je houmlhere Aumlmter Gorhatschow bekleidete desto mehr Positionen verlor Iliescu 1980 als Iliescu aus dem Politischen Exekutivkomitee entlassen wurde wurde Gorbatschow Mitglied des Politbuumlros des ZK der KPdSU

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abgehoumlrt wurde l6 dies bestaumltigen auch andere Quellen 17 Jedoch kann beshyzweifelt werde daszlig dies - wie Iliescu angibt - wegen seines raquointellektuellen Abweichlertumslaquo allein geschah sondern eher wegen seiner Verbindungen nach Moskaul 8 In diesem Jahr 1971 wurde Gorbatschow Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU Auffallend ist auch daszlig lliescu in den Jahren nach 1971 als er in der Provinz taumltig war zwar unter Beobachtung stand jedoch keinen Einschraumlnkungen unterlag sondern im Gegenteil noch den Zugang zu den Medien und zu einfluszligreichen Personen im Zentrum der Macht hatte Diesen Zugang konnte er nutzen und Ansichten vertreten die wenn sie weniger wichtige Personen aumluszligerten hart bestraft wurden So konnte Iliescu zu einer Zeit von der er sagt er sei politisch endguumlltig ausgeschaltet gewesenl9 in der meistgelesenen rumaumlnischen Literaturzeitschrift einen Artikel veroumlffentlichen welcher der offiziellen rumaumlnischen Politik und der Ansicht Ceau~escus zushywiderlieeo In dem Aufsatz raquoKreativitaumlt und Informationlaquo plaumldierte er fuumlr raquorestructurarelaquo - dem rumaumlnischen Aumlquivalent fuumlr das russische raquoPerestrojkalaquo - und forderte die Umgestaltung der rumaumlnischen Gesellschaft im Sinne der Gorbatschowschen Konzeption mehr politische Transparenz und eine grundshylegende Demokratisierung der Gesellschaft Dies ereignete sich zu einer Zeit in der ein Widerspruch oder gar Widerstand gegenuumlber der Politik Ceau~escus mit einschneidenden Folgen fuumlr die persoumlnliche Sicherheit verbunden wall Die Tatsache daszlig Iliescu nach der Veroumlffentlichung dieses Artikel keine Sankshytionsmaszlignahmen hinnehmen muszligte sondern sich im Gegenteil als Kandidat fuumlr eine Nachfolge Ceau~escus in Gespraumlch gebracht hatte legt zwei Thesen nahe Erstens muumlssen bestimmte einfluszligreiche Kreise auszligerhalb des Ceau~escu-Clans zu denen Iliescu offensichtlich auch gehoumlrte diese Forderung nach raquorestructurarelaquo als Signal nach auszligen und als Versuch betrachtet haben die Reshyaktionen im In- und im Ausland beobachten zu koumlnnen22 Zweitens muszlig Iliescu auch einen gewissen Schutz genossen haben da er diese Forderungen in einem

16 IUESCU aaO S 42-43 Hier gibt er an seit 1971 beobachtet wonlen zu sein 17 Der ehemalige unter Ceausectescu nach Amerika geflohene Securitate-GeneraJ Pacepa bestaumltigt

daszlig I1iescu seit 1972 von der Einheit UM 0920A (Unitate Militarauml [militaumlrische Einheit) 0 steht fuumlr raquogeheimlaquo und 920 war die Code-Nummer des DIE (Departamentul de Informatii Exshyterne aI Romaniei [Abteilung fuumlr Auslandsaufklaumlrung Rumaumlniens)) uumlberwacht wunle PACEPA aaO S 15 30 449 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang daszlig er von einer Einheit der Auslandsaufklaumlrung uumlberwacht wunle

18 PACEPA aaO S 449 19 ILIESCU aaO S 41-42 20 Romania Literarauml [Literarisches Rumaumlnien) vom 3 September 1987 VgJ hierzu GABANYI

aaO S 25 GILBERGaaO S 154 PACEPAaaO S 449-450 WAGNERaaO S 23 21 In diesem Zusammenhang soll nur an die Demonstrationen in Kronstadt (Brasectov) im November

1987 erinnert wenle infolgedessen einige Beteiligte (so winl von Zeugen berichtet) hingerichtet wunlen oder zumindest mit Hausarrest bestraft wunlen wie beispielsweise das spaumltere Mitglied der raquoFront zur Nationalen Rettunglaquo Silviu Brucan V gJ hierzu GABANYI aaO S 31

22 VgJ hierzu GILBERG aaO S 154

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so wichtigen Organ ungestraft stellen konnte Dieser Schutz konnte zum einen darin bestehen daszlig er Teil der technischen Intelligenz war und zum anderen in den vorangegangenen Jahren einige einfluszligreiche Positionen bekleidet hatte Weiterhin war Gorbatschow den er offensichtlich aus seiner Studienzeit in Moskau kannte seit uumlber zwei Jahren an der Macht und es kann nicht ausshygeschlossen werden daszlig diese Konstellation hilfreich fuumlr sein (politisches) Uumlberleben war

2 Die rumaumlnische Revolution von 1989 und Iliescu

Hinweise auf die Frage nach den Eliten in Rumaumlnien insbesondere der Person Iliescus geben einige Ereignisse die im Zusammenhang mit der sogenannten Revolution von 198923 stehen Bereits Anfang 1990 wurde der Vorwurf ershyhoben es haumltte sich um eine Revolution gehandelt die in einen Staatsstreich muumlndete Es ist unzweifelhaft daszlig die Dezemberereignisse mit einer tatshysaumlchlichen Volkserhebung begonnen haben in dessen Verlauf es viele Opfer gegeben hat Es stellen sich nur die Fragen inwieweit sich eine reformerische prosowjetische Gegenelite im kommunistischen Machtapparat der Unruhen bedient und sie genutzt hat um die Gruppierung um Ceau~escu zu beseitigen und welche Rolle die Sowjetunion dabei gespielt hat

Die Mitglieder der Front aber auch sowjetische Politiker betonten daszlig die Front nicht vor dem 22 Dezember existiert habe und daszlig es sich folglich um keinen Staatsstreich handele24 Dies wird jedoch von vielen Experten beshyzweifelt Offensichtlich bestanden in der Zeit vor dem Dezember 1989 nicht nur lose Kontakte zwischen den Hauptakteuren sondern auch Verbindungen die auf eine fruumlhere Konstituierung der Gruppierung schlieszligen lassen die spaumlter offiziell Front der Nationalen Rettung genannt wurde Ein Videofilm der von einem Sprecher der Front gedreht wurde zeigt die Hauptakteure kurz vor der oumlffentlichen Bekanntgabe der Konstituierung der Front am 22 Dezember wie sie uumlber ihre Bezeichnung debattieren raquoNach einigem Hin und Her stellte General Militaru dabei die Frage weshalb man sich denn nicht als gtFront der Nationalen Rettung(25 praumlsentieren wolle als die man sich doch sechs Monate

23 Eine detaillierte Chronologie der Ereignisse bietet BEATE BEYER Chronologie der Ereignisse im Zeitraum September 1989 bis zu den ersten freien Wahlen und der Bildung der Regierung unter Petre Roman Ende Juni 1990 In Suumldosteuropa 40 (1991) S 477-492

24 GABANYI aaO S 87 2S Die Bezeichnung als raquoFrontlaquo hat in Rumaumlnien eine historische Tradition In der Koumlnigs-Diktatur

der Zwischenkriegszeit wunlen am 16 Dezember 1938 alle politischen Parteien liquidiert und in der neugebildeten raquoFront der Nationalen Wiedergeburtlaquo (Frontul Renasectterii Nationale) vershyschmolzen Eine weitere raquoFrontlaquo war die am 24 Oktober 1968 gegruumlndete raquoFront der Sozialistishyschen Einheitlaquo (Frontul Unitlllii Socialiste) als die wichtigste politische und repraumlsentative Koumlrshyperschaft Rumaumlniens Den Namen raquoFront der Nationalen Rettunglaquo erwaumlhnt auch PACEPA in Zu-

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zuvor konstituiert habelaquo26 Zudem bestaumltigte Cazimir Ionesco ein Stellvershytretender Vorsitzender der Front daszlig raquodie gtFrontlt den Umsturz gtseit mehr als zwei Jahren geplantlt habelaquo27 Daszlig diese Aussagen nicht unbegruumlndet sein konnten verdeutlicht die Haltung der Sowjetunion in den vorangegangenen Jahren Seit seinem Amtsantritt 1985 hatte Gorbatschow seine Ablehnung der rumaumlnischen Fuumlhrung gegenuumlber geaumluszligert bei seinem Rumaumlnienbesuch im Mai 1987 Ceausectescu offen kritisiert und tiefgreifende Reformen angemahnr8bull

Zudem hatte der sowjetische ZK-Sekretaumlr Ligatschow im Dezember 1987 deutshylich gemacht daszlig die Sowjetunion in Rumaumlnien nicht intervenieren wuumlrde wenn Ceausectescu gestuumlrzt werde Auch Gorbatschow hatte raquodie internationale Verantwortung Moskaus fuumlr die Entwicklung des Sozialismus in den anderen kommunistischen Staatenlaquo29 bekraumlftigt Diese kaum verhuumlllte Aufforderung zur Entmachtung Ceausectescus duumlrfte die Gegenfraktion in der RKP ermuntert haben die Beseitigung des Diktators in die Wege zu leiten Daszlig der Ausbruch der Revolution dieser zuvorkam kann als historischer Zufall betrachtet werden waumlhrend die Tatsache daszlig sie diesmal nicht von der Securitate niedergeshyschlagen wurde darauf zUfUumlckgeflihrt werden kann daszlig der Sicherheitsdienst raquoeine wichtige wenn nicht gar entscheidende Rolle gespieltlaquo haro

Betrachtet man weiterhin die maszliggebliche personelle Zusammensetzung der Front der ersten Stunden verdichten sich die Anzeichen daszlig ein Elitenwechsel in Rumaumlnien zwar stattgefunden hat die neuen und maszliggeblichen Eliten jedoch unter Ceausectescu schon Teil der herrschenden Elite waren Zwar zaumlhlte der raquoProvisorische Rat der Front der Nationalen Rettunglaquo nur fuumlnf Tage nach seiner offIziellen Konstituierung am 22 Dezember 1989 bereits 145 Mitglieder unter denen auch bekannte Regimekritiker wie Doinea Cornea Ana Blandiana Mircea Dinescu Geza Domokos oder Laumlszl6 Toumlkes waren Die eigentliche Macht innerhalb des Rates der Front hatte jedoch ein Exekutivbuumlro das aus elf Mitgliedern31 bestand und nicht gewaumlhlt war sondern sich selbst konstituiert hatte Hier fallt auch auf daszlig darunter fast ausnahmslos Altfunktionaumlre der

sammenhang mit dem von der Sowjetunion unterstuumltztenraquo Plan Dnestrlaquo von 1969 der die Ershysetzung Ceausectescus durch sowjetloyale Kader der RKP vorsah PACEPA aaO S 302-307

2iI GABANYI aaO S 88-89 l7 GABANYI aaO S 89 211 V gl hierzu ANNEUE Ure GABANYI RUmlinien im Zeichen von Perestmjlta und Glasnost Von

der Scheinreform zur Gegenrefolll1 In Osteuropa 39 (1989) S 746-759 29 ANNELIE UTE GABANYI Am Vorabend der Revolution Ceausectescu unter Drock In Suumldostshy

europa 39 (1990) S 92 30 GABANYI Revolution aaO S 92 31 Ion lliescu (Vorsitzender) Dumitru Mazilu (Erster Stellvertretender Vorsitzender) Cazimir

Ionescu und Kinuumly Karoly (Stellvertretende Vorsitzende) Dan Martian (Sekretaumlr) Bogdan Teodoriu Vasile Neacsa Silviu Brocan Gheorghe Manoie Ion Caramitru Nicolae Radu (Mitglieder)

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EUTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Kommunistischen Partei vertreten waren32 die bereits in den ersten Tagen und Wochen die Uumlbernahme des Machtapparats bis auf die lokalen Ebenen zu ershyreichen suchten durch gesetzgeberische Maszlignahmen den Rahmen fuumlr die zushykuumlnftige Entwicklung schaffen wollten und personalpolitische Umbesetzungen zu ihren Gunsten unternahmen33

bull

Zusammenfassend kann festgestellt werden daszlig offensichtlich ein Teil des alten Machtapparats versucht hat die eigene Macht abzusichern raquoindem sie die Ceausectescu-treue Gruppe eliminierte und damit Reformen moumlglich machte [ ] [Auch] sollte nur die oberste politische Ebene - die der Minister - ausgetauscht werden der gesamte Apparat sollte erhalten bleibenlaquo34 Der Elitenwechsel in Rumaumlnien vollzog sich in dieser ersten Phase innerhalb der bereits herrschenden Elite An die Macht kam derjenige Teil der rumaumlnischen politischen Elite der in den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten von CeaUsectescu marginalisiert worden war weil sie entweder den nationalkommunistischen Zielen nicht entshysprachen zu enge Verbindungen nach Moskau hatten oder Reformen im Sinne Gorbatschows forderten Dabei ging es bei diesem Elitenwechsel nicht um die Demokratisierung des Landes nach westlich-demokratischen Kriterien oder um die Schaffung einer offenen Gesellschaft sondern um die Reform des System in den vom Reformkommunismus vorgegebenen Grenzen Aufschluszlig uumlber diese Grenzen geben einige Uumlberlegungen beziehungsweise Ziele die der Rat der Fromhatte

3 Das postrevolutionaumlre Rumaumlmmiddoten Transformation versus Reform

31 Die gtgtOriginaumlre Demokratielaquo und der Pluralismus

Die Haltung des Rats der Front insbesondere des engen Kreises um Iliescu und das Exekutivbuumlro zu Fragen der gesellschaftlichen und politischen Umgeshystaltung verdeutlichen die vorherrschende Demokratieauffassung und Zielshysetzung Daszlig es jedoch auch Mitglieder im Rat gab die diesen Zielen nicht folshygen wollten veranschaulichen die Beispiele derjenigen Dissidenten die nach der Eintragung der Front als Partei selbige verlieszligen35

bull Bereits am 31 Dezember

32 Vgl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61 OrnMAR KOLAR Die politische und wirtschaftshyliche Entwicklung in Rumaumlnien nach dem Dezember 1989 In OumlSterreich ische Ostbefte 34 (1992) S 518 RADYaaO S 131

33 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61-64 34 THOMAS WINDERL Machteliten im Systemwechsel Uumlber Wandel und Kontinuitaumlt osteuroshy

paumlilCher Eliten In SUdosteumpa 43 (1994) S 626 35 Darunter waren auch die Hochschullebrerin Doina Cornea und die Schriftstellerin Ana

Blandiana V gl hierzu TOM GAIJAOHER A Feeble Erobrace Romanias Engagement With Democracy 1989-94 In Journal of Communist Studies and Transition Politics 12 (1996) S 147-149

SbgScmbllll (1997) 1middot2

139 138 RALF THOMAS GOumlLLNER

1989 wurde der politische Pluralismus gesetzlich verankert und eine Unzahl von Parteien gegruumlndet36

bull Ermoumlglicht hatte dies ein Registrierungsmodus der mit 251 Personen eine aumluszligerst geringe Mitgliederzahl vorsah Neben den Parteien entstand auch eine Vielzahl von Gewerkschaften Standesorganisashytionen Interessenverbaumlnden und sonstigen Vereinigungen die oftmals auf der Grundlage der raquoInteressenvertretungen aus der Ceallsectescu-Aumlra unter neuen Namen in ihren alten Raumlumlichkeiten mit ihren alten Mitarbeiternlaquo31 entstanden sind Daneben sind auch andere Vereinigungen oder Verbaumlnde gegruumlndet worden die explizit einen nationalorientierten Charakter haben und spaumlter in der rumaumlnischen Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollten

Auf den ersten Blick scheint diese Gruumlndungswelle keinen pejorativen Charakter zu haben Betrachtet man jedoch die politische Programmatik und die Verbindungen vieler neuer Parteien zu den fuumlhrenden Vertretern der Front so stellt man fest daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantom- Stroh- oder Satellishytenparteien der Front waren Sie sind raquovielfach Parteien gtohne Ruumlckgrat ohne Programm ohne Persoumlnlichkeitenlt deren einziges Ziel es ist die gtpseudoshyparlamentarische Paritaumltlt zugunsten der Front aufzubessernlt~8 So schaumltzte die tatsaumlchliche Opposition Anfang 1990 die Zahl der von der Front erfundenen Parteien auf weit uumlber die Haumllfte aller registrierten politischen Vereinigungen Daruumlber hinaus ist es aber auch als uumlberaus problematisch zu bewerten wenn die Parteienlandschaft bewuszligt derart zersplittert wird Dadurch wurde in der Folgezeit - insbesondere bei den ersten Wahlen - der Pluralismusgedanke ad absurdum gefuumlhrt und die Angst der Bevoumllkerung vor der Demokratie und der neugewonnenen Freiheit geschuumlrt

In diesem Zusammenhang deutet sich auch das Demokratieverstaumlndnis der Front ab und ist durch die Vorstellung der raquooriginaumlren rumaumlnischen Demoshykratielaquo charakterisiert Die Feststellung daszlig viele der neuentstandenen Parteien mit der Programmplattform der Front uumlbereinstimmten waumlre so die Haltung der fuumlhrenden Mitglieder der Front raquoeine neue Form des politischen Pluralisshymuslaquo39 Diese raquoneue Formlaquo manifestierte sich demnach nicht nur in der ungeshywoumlhnlich hohen Zahl politischer Parteien sondern insbesondere in den Proshygrammen dieser Parteien Vor dem Hintergrund der Erkenntnis daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantomparteien der Front waren muszlig auch die weitere Haltung der Front zu diesen Parteien und zum Pluralismus im allgemeinen geshydeutet werden Die Front sollte naumlmlich so wurde erklaumlrt raquoso breit sein daszlig gtsehr wenig Platz auszligerhalb von ihrlt uumlbrig bleiben werde gtDas ist unsere

36 Eine Aufzaumlhlung der in den ersten Monaten des Jahres 1990 registrierten Parteien findet sich bei ANNELIE Um GABANYI Rumaumlnien Einmal Demokratie und zuruumlck In Suumldoste uropa 39 (1990) S 277-278

37 GABANYI Rumaumlnien aaO S 279 38 Romania LiberiJ vom 172 1990 zitiert nach GABANYI Rumaumlnien aaO S 281 39 So derraquoChefideologelaquo der Front Siliviu Brucan GABANYI Rumaumlnien aaO S 280

SbSembll 11 (1991) -2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Strategielt gtIm Programm der Front koumlnnen sich alle politischen Richtungen wiederfindenlt [ ] Man strebe gteinen neuen politischen Pluralismuslt anlaquo40 Dieser neue Pluralismus sollte sich offensichtlich nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Provenienz manifestieren sondern in einer raquooriginaumlrlaquo rumaumlnischen Form lliescu argumentierte daszlig das Mehrparteiensystem den Aufstieg des Faschismus nicht hatte verhindern koumlnnen daszlig die westliche Demokratie ebensowenig eine raquoechtelaquo Demokratie sei wie der westliche Plurashylismus Demnach koumlnne das westliche Beispiel keine Vorbildfunktion fuumlr Rumaumlnien haben sondern das Land muumlsse nach dem historischen Bruch infolge der Revolution einen eigenen Weg einschlagen Dieser eigene Weg war fuumlr Iliescu durch die Revolution vorgegeben welche die Rahmenbedingungen der raquorumaumlnischen Demokratie des ausgehenden 20 Jahrhundertslaquo41 geschaffen hat Fuumlr diese raquooriginaumlre Demokratielaquo die ideale Form der Demokratie steht einzig die Front der Nationalen Rettung die den Pluralismus verkoumlrpert

Eine Analyse des Erwaumlhnten ergibt vor dem Hintergrund der Tatsache daszlig die Front im Januar 1990 als diese Aussagen gemacht wurden noch nicht als politische Partei registriert war sowohl das Selbst- als auch das Demokratieshyverstaumlndnis der meisten Ratstnitglieder Die raquooriginaumlre Demokratielaquo und der rumaumlnische Pluralismus sollten aus einer Vielzahl von Parteien bestehen die programmatisch sehr wohl zur konzeptionellen Plattform der Front als Uumlbershyorganisation - und nicht als Partei - paszligten Meinungspluralismus sollte innershyhalb eines durch die Front vorgegebenen Rahmens und nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Praumlgung bestehen Dabei scheint sich auch eine Art raquoRichtlinienkompetenzlaquo der Front anzudeuten42 da sie sich als pluralistische Organisation und nicht als Partei defInierte deren Strategie die Einbringung der anderen Parteien in die eigenen Konzeptionen war

In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die ersten Wahlen im Mai 1990 muszlig auch die Abschaffung der Einparteienherrschaft am 22 Dezember 1989 gedeutet werden Damit war zwar eine Einparteienherrschaft wie sie der Bevoumllkerung unter Ceausectescu bekannt war ausgeschlossen zugleich aber schloszlig sie auch die Moumlglichkeit einer Regierungsbildung durch eine frei gewaumlhlte demokratische Partei aus Diese Auffassung und die rechtliche Lage lieszlig jedoch die Moumlglichkeit einer Einfront-Regierung offen da die Front nicht als politische Partei sondern als raquoMassenbewegunglaquo auftrat43 Diese Intershypretation des Verbots einer Einparteienherrschaft aumlnderte sich erst nachdem sich die Bevoumllkerung zunehmend von der Front distanzierte was zur Folge hatte daszlig sie sich am 6 Februar 1990 beim Bukarester Stadtgericht als Partei registrieren lieszlig

40 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280 41 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280-281 42 Vgl hierzu GALLAGHERaaObull S 148 43 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 200

SbgSemhil 11 (1991) -2

141 140 RALF THOMAS GoumlUNER

32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

SbgSembU 11 (1997) 1middot2

ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

SbgSembllll (I997) 1-2

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

SbgSembll 11 (1997) 1-2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

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144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

SbgSembllll (1997) 1-2

145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

SbgSembll 11 (1997) 1-2

146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

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149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

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Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 2: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

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Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des spaumlteren sowjetischen Staats- und Parteichefs Gorbatschow5

Auf seine Studienzeit in Moskau geht auch der 1995 gegen lliescu erhobene Vorwurf zuruumlck er sei ein Informant des KGB gewesen Obwohl zum gegenshywaumlrtigen Zeitpunkt keine endguumlltige Beantwortung dieser Frage zu erwarten ist muumlssen einige Aspekte die in Zusammenhang mit dieser Problematik stehen beachtet werden6

bull In den letzten Jahren der stalinistischen Aumlra war es uumlblich daszlig der Geheimdienst die in Moskau lebenden auslaumlndischen Studenten anshywarb insbesondere wenn sie eine derart wichtige und oumlffentliche Funktion innehatten wie Iliescu in den Jahren seines Moskauaufenthalts Zudem wurde Iliescu nach seiner Ruumlckkehr nach Bukarest Vorsitzender des kommunistischen Jugendverbandes Die Besetzung solcher Schluumlsselfunktionen erforderte in den fuumlnfziger Jahre noch die Zustimmung Moskaus und es kann vermutet werden daszlig die russische Fuumlhrung die Einwilligung nur fuumlr einen raquovertrautenlaquo oder raquoverlaumlszliglichenlaquo Kandidaten gab7

bull In dieser Funktion war Iliescu gemeinsam mit Ceausectescu an den repressiven Maszlignahmen gegen diejenigen Studenten beshyteiligt die im Oktober 1956 an den Sympathiekundgebungen fuumlr die ungarische Revolution teilgenommen und fuumlr den Abzug sowjetischer Truppen aus Rumaumlnien und die Abschaffung des Russischen als Pflichtfach demonstriert hattens

12 Iliescu in der Zeit Ceau~escus

In den Jahren 1964 beziehungsweise 19679 wurde Iliescu Mitglied des Zentralshykomitees der Kommunistischen Partei und von 1967 bis 1971 Vorsitzender des Rumaumlnischen Kommunistischen Jugendverbandes (Uniunea Tineretului Communist) Dies geschah zu einer Zeit als sich das rumaumlnische politische

5 PACEPA aaO S 449-450 PACEPA gibt an dieser Stelle auch an daszlig Iliescu und Gorbatschow Parteisekretaumlre waren der erste rur die auslaumlndischen der zweite rur die sowjetischen Studenten

6 Letztendlich ist die Beantwortung der Frage ob Iliescu KGB-Agent war oder nicht in diesem Zusammenhang von geringer Bedeutung In der Diskussion dieser Frage sind eher Hinweise auf das Verhaumlltnis Iliescus zur Sowjetunion und seine persoumlnliche Praumlgung in diesen Jahren zu erwarten

7 Vgl hierzu DAN IONESCU The President the JoumaIists and the KGB In Transition I (1995) 16 S 36-37

8 ZOLTAN T6FALVI Az 1956-os forradaIom ullini magyarellenes megtorlaumlsok Romaumlniaban (II) [Die ungamfeindlichen Repressalien in Rumaumlnien nach dem Aufstand von 1956) In Becsi Napl6 13 (1992) 6 S 5 Und RADY aaO S 123

9 In der Sekundaumlrliteratur werden beide Jahre genannt Vgl hierzu RADY aaO S 123 und ANTONIA RADOS Die Verschwoumlrung der Securitate Rumaumlniens verratene Revolution Hamburg 1990 S 16 Iliescu aumluszligerst sich zu den hier erwaumlhnten Stationen seines Lebens nicht oder nur bruchstuumlckhaft Vgl hierzu Annelie Ute Gabanyi Die unvollendete Revolution Rumaumlnien zwishyschen Diktatur und Demokratie Muumlnchen 21990 S 23-24

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EUTENKONTINUITAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 133

System soweit konsolidiert hatte daszlig der neue Kurs eingeschlagen werden konnte Vorangegangen war der Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1958 was als ein Kennzeichen des einsetzenden nationalen Sonderweges jedoch keinesfalls als Abweichung vom sowjetischen Kurs gewertet werden kann Erst mit dem Tod Gheorghiu-Dejs und der Wahl Nicolae Ceausectescus am 22 Maumlrz 1965 zum Ersten Sekretaumlr der ParteilO wurde eine neue Periode der politischen und ideologischen Entwicklung eingeleitet Daszlig lliescu in dieser Phase von Ceausectescu an das Zentrum der Macht herangefuumlhrt wurde verdeutlicht daszlig er raquoals Vertreter der jungen national und reformerisch eingestellten Generation in der Parteilaquolt und als potentieller Nachfolger Ceausectescus galt Seine Haltung aumluszligerte sich in der Ablehnung der Breschnew-Doktrin der raquobegrenzten Soushyveraumlnitaumltlaquo womit er Ceausectescus Zielen entsprach

Im Februar 1971 wurde er ZK-Sekretaumlr fuumlr Ideologie und Propaganda geriet jedoch mit Ceausectescu auf dem Ideologieplenum im Juli 1971 12 in Konflikt weil er sich dessen Politik der raquoKulturrevolutionlaquo widersetzte l3

bull Die Folge war seine Versetzung in die Provinz die Iliescu mit raquoseiner regimekritischen Haltunglaquo14 erklaumlrt Hierbei darf jedoch nicht auszliger Acht gelassen werden daszlig zum einen in Rumaumlnien das Prinzip der Kaderrotation galt und zum anderen daszlig er nachshyeinander in zwei der wichtigsten Groszligstaumldte des Landes versetzt wurde in denen er hohe politische Aumlmter bekleidete Im Kreis Temesch und dessen Kreisstadt Temeschwar (Timisectoara) war er von 1971 bis 1974 Propagandashysekretaumlr und zwischen 1974 und 1979 Kreisparteisekretaumlr in Jassy (Iasecti) Dies deutet nicht zwangslaumlufig auf einen politischen Abstieg hin Zudem wurde er im Jahr 1974 zum Stellvertretenden Mitglied des Politischen Exekutivkomitees und 1979 zum Mitglied des Staatsrats und zum Vorsitzenden des Nationalrates fuumlr Wasserwirtschaft ernannt Die erstgenannten Positionen verlor er Ende 1979 beziehungsweise 198015 und aus dem Nationalrat schied er 1984 aus uumlbernahm aber bis zur Revolution die Leitung des Technischen Verlags in Bukarest

Angesichts dieser fuumlr sozialistische Systeme vorbildhaften Karriere faumlllt es schwer an die SelbstdefInition lliescus er sei unter Ceausectescu ein Dissident gewesen zu glauben Es ist zwar richtig daszlig er nach seinem Ausscheiden als ZK-Sekretaumlr fuumlr Ideologie und Propaganda von der raquoSecuritatelaquo beobachtet und

10 Die raquoRumaumlnische Arbeiterparteilaquo wurde erst am IX Parteikongreszlig im Juli 1965 zur raquoRumaumlnischen Kommunistischen Parteilaquo umbenannt

11 WAGNER aaO S 22 12 Seit diesem Jahr gehoumlrte Gorbatschow dem Zentralkomitee der KPdSU an 13 ION lUESCU Aufbruch nach Europa Rumaumlnien - Revolution und Reform 1989 bis 1994 Koumlln

u a 1995 S 322 14 IUESCU aaO S 322 15 GABANYI aaO S 24 Interessant in diesem Zusammenhang ist daszlig anscheinend der Wandel

in Iliescus politischer Karriere sich umgekehrt zu deljenigen Gorbatschows verhielt Je houmlhere Aumlmter Gorhatschow bekleidete desto mehr Positionen verlor Iliescu 1980 als Iliescu aus dem Politischen Exekutivkomitee entlassen wurde wurde Gorbatschow Mitglied des Politbuumlros des ZK der KPdSU

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abgehoumlrt wurde l6 dies bestaumltigen auch andere Quellen 17 Jedoch kann beshyzweifelt werde daszlig dies - wie Iliescu angibt - wegen seines raquointellektuellen Abweichlertumslaquo allein geschah sondern eher wegen seiner Verbindungen nach Moskaul 8 In diesem Jahr 1971 wurde Gorbatschow Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU Auffallend ist auch daszlig lliescu in den Jahren nach 1971 als er in der Provinz taumltig war zwar unter Beobachtung stand jedoch keinen Einschraumlnkungen unterlag sondern im Gegenteil noch den Zugang zu den Medien und zu einfluszligreichen Personen im Zentrum der Macht hatte Diesen Zugang konnte er nutzen und Ansichten vertreten die wenn sie weniger wichtige Personen aumluszligerten hart bestraft wurden So konnte Iliescu zu einer Zeit von der er sagt er sei politisch endguumlltig ausgeschaltet gewesenl9 in der meistgelesenen rumaumlnischen Literaturzeitschrift einen Artikel veroumlffentlichen welcher der offiziellen rumaumlnischen Politik und der Ansicht Ceau~escus zushywiderlieeo In dem Aufsatz raquoKreativitaumlt und Informationlaquo plaumldierte er fuumlr raquorestructurarelaquo - dem rumaumlnischen Aumlquivalent fuumlr das russische raquoPerestrojkalaquo - und forderte die Umgestaltung der rumaumlnischen Gesellschaft im Sinne der Gorbatschowschen Konzeption mehr politische Transparenz und eine grundshylegende Demokratisierung der Gesellschaft Dies ereignete sich zu einer Zeit in der ein Widerspruch oder gar Widerstand gegenuumlber der Politik Ceau~escus mit einschneidenden Folgen fuumlr die persoumlnliche Sicherheit verbunden wall Die Tatsache daszlig Iliescu nach der Veroumlffentlichung dieses Artikel keine Sankshytionsmaszlignahmen hinnehmen muszligte sondern sich im Gegenteil als Kandidat fuumlr eine Nachfolge Ceau~escus in Gespraumlch gebracht hatte legt zwei Thesen nahe Erstens muumlssen bestimmte einfluszligreiche Kreise auszligerhalb des Ceau~escu-Clans zu denen Iliescu offensichtlich auch gehoumlrte diese Forderung nach raquorestructurarelaquo als Signal nach auszligen und als Versuch betrachtet haben die Reshyaktionen im In- und im Ausland beobachten zu koumlnnen22 Zweitens muszlig Iliescu auch einen gewissen Schutz genossen haben da er diese Forderungen in einem

16 IUESCU aaO S 42-43 Hier gibt er an seit 1971 beobachtet wonlen zu sein 17 Der ehemalige unter Ceausectescu nach Amerika geflohene Securitate-GeneraJ Pacepa bestaumltigt

daszlig I1iescu seit 1972 von der Einheit UM 0920A (Unitate Militarauml [militaumlrische Einheit) 0 steht fuumlr raquogeheimlaquo und 920 war die Code-Nummer des DIE (Departamentul de Informatii Exshyterne aI Romaniei [Abteilung fuumlr Auslandsaufklaumlrung Rumaumlniens)) uumlberwacht wunle PACEPA aaO S 15 30 449 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang daszlig er von einer Einheit der Auslandsaufklaumlrung uumlberwacht wunle

18 PACEPA aaO S 449 19 ILIESCU aaO S 41-42 20 Romania Literarauml [Literarisches Rumaumlnien) vom 3 September 1987 VgJ hierzu GABANYI

aaO S 25 GILBERGaaO S 154 PACEPAaaO S 449-450 WAGNERaaO S 23 21 In diesem Zusammenhang soll nur an die Demonstrationen in Kronstadt (Brasectov) im November

1987 erinnert wenle infolgedessen einige Beteiligte (so winl von Zeugen berichtet) hingerichtet wunlen oder zumindest mit Hausarrest bestraft wunlen wie beispielsweise das spaumltere Mitglied der raquoFront zur Nationalen Rettunglaquo Silviu Brucan V gJ hierzu GABANYI aaO S 31

22 VgJ hierzu GILBERG aaO S 154

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ELITENKONTINUITAumlT ODER EUTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

so wichtigen Organ ungestraft stellen konnte Dieser Schutz konnte zum einen darin bestehen daszlig er Teil der technischen Intelligenz war und zum anderen in den vorangegangenen Jahren einige einfluszligreiche Positionen bekleidet hatte Weiterhin war Gorbatschow den er offensichtlich aus seiner Studienzeit in Moskau kannte seit uumlber zwei Jahren an der Macht und es kann nicht ausshygeschlossen werden daszlig diese Konstellation hilfreich fuumlr sein (politisches) Uumlberleben war

2 Die rumaumlnische Revolution von 1989 und Iliescu

Hinweise auf die Frage nach den Eliten in Rumaumlnien insbesondere der Person Iliescus geben einige Ereignisse die im Zusammenhang mit der sogenannten Revolution von 198923 stehen Bereits Anfang 1990 wurde der Vorwurf ershyhoben es haumltte sich um eine Revolution gehandelt die in einen Staatsstreich muumlndete Es ist unzweifelhaft daszlig die Dezemberereignisse mit einer tatshysaumlchlichen Volkserhebung begonnen haben in dessen Verlauf es viele Opfer gegeben hat Es stellen sich nur die Fragen inwieweit sich eine reformerische prosowjetische Gegenelite im kommunistischen Machtapparat der Unruhen bedient und sie genutzt hat um die Gruppierung um Ceau~escu zu beseitigen und welche Rolle die Sowjetunion dabei gespielt hat

Die Mitglieder der Front aber auch sowjetische Politiker betonten daszlig die Front nicht vor dem 22 Dezember existiert habe und daszlig es sich folglich um keinen Staatsstreich handele24 Dies wird jedoch von vielen Experten beshyzweifelt Offensichtlich bestanden in der Zeit vor dem Dezember 1989 nicht nur lose Kontakte zwischen den Hauptakteuren sondern auch Verbindungen die auf eine fruumlhere Konstituierung der Gruppierung schlieszligen lassen die spaumlter offiziell Front der Nationalen Rettung genannt wurde Ein Videofilm der von einem Sprecher der Front gedreht wurde zeigt die Hauptakteure kurz vor der oumlffentlichen Bekanntgabe der Konstituierung der Front am 22 Dezember wie sie uumlber ihre Bezeichnung debattieren raquoNach einigem Hin und Her stellte General Militaru dabei die Frage weshalb man sich denn nicht als gtFront der Nationalen Rettung(25 praumlsentieren wolle als die man sich doch sechs Monate

23 Eine detaillierte Chronologie der Ereignisse bietet BEATE BEYER Chronologie der Ereignisse im Zeitraum September 1989 bis zu den ersten freien Wahlen und der Bildung der Regierung unter Petre Roman Ende Juni 1990 In Suumldosteuropa 40 (1991) S 477-492

24 GABANYI aaO S 87 2S Die Bezeichnung als raquoFrontlaquo hat in Rumaumlnien eine historische Tradition In der Koumlnigs-Diktatur

der Zwischenkriegszeit wunlen am 16 Dezember 1938 alle politischen Parteien liquidiert und in der neugebildeten raquoFront der Nationalen Wiedergeburtlaquo (Frontul Renasectterii Nationale) vershyschmolzen Eine weitere raquoFrontlaquo war die am 24 Oktober 1968 gegruumlndete raquoFront der Sozialistishyschen Einheitlaquo (Frontul Unitlllii Socialiste) als die wichtigste politische und repraumlsentative Koumlrshyperschaft Rumaumlniens Den Namen raquoFront der Nationalen Rettunglaquo erwaumlhnt auch PACEPA in Zu-

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zuvor konstituiert habelaquo26 Zudem bestaumltigte Cazimir Ionesco ein Stellvershytretender Vorsitzender der Front daszlig raquodie gtFrontlt den Umsturz gtseit mehr als zwei Jahren geplantlt habelaquo27 Daszlig diese Aussagen nicht unbegruumlndet sein konnten verdeutlicht die Haltung der Sowjetunion in den vorangegangenen Jahren Seit seinem Amtsantritt 1985 hatte Gorbatschow seine Ablehnung der rumaumlnischen Fuumlhrung gegenuumlber geaumluszligert bei seinem Rumaumlnienbesuch im Mai 1987 Ceausectescu offen kritisiert und tiefgreifende Reformen angemahnr8bull

Zudem hatte der sowjetische ZK-Sekretaumlr Ligatschow im Dezember 1987 deutshylich gemacht daszlig die Sowjetunion in Rumaumlnien nicht intervenieren wuumlrde wenn Ceausectescu gestuumlrzt werde Auch Gorbatschow hatte raquodie internationale Verantwortung Moskaus fuumlr die Entwicklung des Sozialismus in den anderen kommunistischen Staatenlaquo29 bekraumlftigt Diese kaum verhuumlllte Aufforderung zur Entmachtung Ceausectescus duumlrfte die Gegenfraktion in der RKP ermuntert haben die Beseitigung des Diktators in die Wege zu leiten Daszlig der Ausbruch der Revolution dieser zuvorkam kann als historischer Zufall betrachtet werden waumlhrend die Tatsache daszlig sie diesmal nicht von der Securitate niedergeshyschlagen wurde darauf zUfUumlckgeflihrt werden kann daszlig der Sicherheitsdienst raquoeine wichtige wenn nicht gar entscheidende Rolle gespieltlaquo haro

Betrachtet man weiterhin die maszliggebliche personelle Zusammensetzung der Front der ersten Stunden verdichten sich die Anzeichen daszlig ein Elitenwechsel in Rumaumlnien zwar stattgefunden hat die neuen und maszliggeblichen Eliten jedoch unter Ceausectescu schon Teil der herrschenden Elite waren Zwar zaumlhlte der raquoProvisorische Rat der Front der Nationalen Rettunglaquo nur fuumlnf Tage nach seiner offIziellen Konstituierung am 22 Dezember 1989 bereits 145 Mitglieder unter denen auch bekannte Regimekritiker wie Doinea Cornea Ana Blandiana Mircea Dinescu Geza Domokos oder Laumlszl6 Toumlkes waren Die eigentliche Macht innerhalb des Rates der Front hatte jedoch ein Exekutivbuumlro das aus elf Mitgliedern31 bestand und nicht gewaumlhlt war sondern sich selbst konstituiert hatte Hier fallt auch auf daszlig darunter fast ausnahmslos Altfunktionaumlre der

sammenhang mit dem von der Sowjetunion unterstuumltztenraquo Plan Dnestrlaquo von 1969 der die Ershysetzung Ceausectescus durch sowjetloyale Kader der RKP vorsah PACEPA aaO S 302-307

2iI GABANYI aaO S 88-89 l7 GABANYI aaO S 89 211 V gl hierzu ANNEUE Ure GABANYI RUmlinien im Zeichen von Perestmjlta und Glasnost Von

der Scheinreform zur Gegenrefolll1 In Osteuropa 39 (1989) S 746-759 29 ANNELIE UTE GABANYI Am Vorabend der Revolution Ceausectescu unter Drock In Suumldostshy

europa 39 (1990) S 92 30 GABANYI Revolution aaO S 92 31 Ion lliescu (Vorsitzender) Dumitru Mazilu (Erster Stellvertretender Vorsitzender) Cazimir

Ionescu und Kinuumly Karoly (Stellvertretende Vorsitzende) Dan Martian (Sekretaumlr) Bogdan Teodoriu Vasile Neacsa Silviu Brocan Gheorghe Manoie Ion Caramitru Nicolae Radu (Mitglieder)

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EUTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Kommunistischen Partei vertreten waren32 die bereits in den ersten Tagen und Wochen die Uumlbernahme des Machtapparats bis auf die lokalen Ebenen zu ershyreichen suchten durch gesetzgeberische Maszlignahmen den Rahmen fuumlr die zushykuumlnftige Entwicklung schaffen wollten und personalpolitische Umbesetzungen zu ihren Gunsten unternahmen33

bull

Zusammenfassend kann festgestellt werden daszlig offensichtlich ein Teil des alten Machtapparats versucht hat die eigene Macht abzusichern raquoindem sie die Ceausectescu-treue Gruppe eliminierte und damit Reformen moumlglich machte [ ] [Auch] sollte nur die oberste politische Ebene - die der Minister - ausgetauscht werden der gesamte Apparat sollte erhalten bleibenlaquo34 Der Elitenwechsel in Rumaumlnien vollzog sich in dieser ersten Phase innerhalb der bereits herrschenden Elite An die Macht kam derjenige Teil der rumaumlnischen politischen Elite der in den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten von CeaUsectescu marginalisiert worden war weil sie entweder den nationalkommunistischen Zielen nicht entshysprachen zu enge Verbindungen nach Moskau hatten oder Reformen im Sinne Gorbatschows forderten Dabei ging es bei diesem Elitenwechsel nicht um die Demokratisierung des Landes nach westlich-demokratischen Kriterien oder um die Schaffung einer offenen Gesellschaft sondern um die Reform des System in den vom Reformkommunismus vorgegebenen Grenzen Aufschluszlig uumlber diese Grenzen geben einige Uumlberlegungen beziehungsweise Ziele die der Rat der Fromhatte

3 Das postrevolutionaumlre Rumaumlmmiddoten Transformation versus Reform

31 Die gtgtOriginaumlre Demokratielaquo und der Pluralismus

Die Haltung des Rats der Front insbesondere des engen Kreises um Iliescu und das Exekutivbuumlro zu Fragen der gesellschaftlichen und politischen Umgeshystaltung verdeutlichen die vorherrschende Demokratieauffassung und Zielshysetzung Daszlig es jedoch auch Mitglieder im Rat gab die diesen Zielen nicht folshygen wollten veranschaulichen die Beispiele derjenigen Dissidenten die nach der Eintragung der Front als Partei selbige verlieszligen35

bull Bereits am 31 Dezember

32 Vgl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61 OrnMAR KOLAR Die politische und wirtschaftshyliche Entwicklung in Rumaumlnien nach dem Dezember 1989 In OumlSterreich ische Ostbefte 34 (1992) S 518 RADYaaO S 131

33 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61-64 34 THOMAS WINDERL Machteliten im Systemwechsel Uumlber Wandel und Kontinuitaumlt osteuroshy

paumlilCher Eliten In SUdosteumpa 43 (1994) S 626 35 Darunter waren auch die Hochschullebrerin Doina Cornea und die Schriftstellerin Ana

Blandiana V gl hierzu TOM GAIJAOHER A Feeble Erobrace Romanias Engagement With Democracy 1989-94 In Journal of Communist Studies and Transition Politics 12 (1996) S 147-149

SbgScmbllll (1997) 1middot2

139 138 RALF THOMAS GOumlLLNER

1989 wurde der politische Pluralismus gesetzlich verankert und eine Unzahl von Parteien gegruumlndet36

bull Ermoumlglicht hatte dies ein Registrierungsmodus der mit 251 Personen eine aumluszligerst geringe Mitgliederzahl vorsah Neben den Parteien entstand auch eine Vielzahl von Gewerkschaften Standesorganisashytionen Interessenverbaumlnden und sonstigen Vereinigungen die oftmals auf der Grundlage der raquoInteressenvertretungen aus der Ceallsectescu-Aumlra unter neuen Namen in ihren alten Raumlumlichkeiten mit ihren alten Mitarbeiternlaquo31 entstanden sind Daneben sind auch andere Vereinigungen oder Verbaumlnde gegruumlndet worden die explizit einen nationalorientierten Charakter haben und spaumlter in der rumaumlnischen Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollten

Auf den ersten Blick scheint diese Gruumlndungswelle keinen pejorativen Charakter zu haben Betrachtet man jedoch die politische Programmatik und die Verbindungen vieler neuer Parteien zu den fuumlhrenden Vertretern der Front so stellt man fest daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantom- Stroh- oder Satellishytenparteien der Front waren Sie sind raquovielfach Parteien gtohne Ruumlckgrat ohne Programm ohne Persoumlnlichkeitenlt deren einziges Ziel es ist die gtpseudoshyparlamentarische Paritaumltlt zugunsten der Front aufzubessernlt~8 So schaumltzte die tatsaumlchliche Opposition Anfang 1990 die Zahl der von der Front erfundenen Parteien auf weit uumlber die Haumllfte aller registrierten politischen Vereinigungen Daruumlber hinaus ist es aber auch als uumlberaus problematisch zu bewerten wenn die Parteienlandschaft bewuszligt derart zersplittert wird Dadurch wurde in der Folgezeit - insbesondere bei den ersten Wahlen - der Pluralismusgedanke ad absurdum gefuumlhrt und die Angst der Bevoumllkerung vor der Demokratie und der neugewonnenen Freiheit geschuumlrt

In diesem Zusammenhang deutet sich auch das Demokratieverstaumlndnis der Front ab und ist durch die Vorstellung der raquooriginaumlren rumaumlnischen Demoshykratielaquo charakterisiert Die Feststellung daszlig viele der neuentstandenen Parteien mit der Programmplattform der Front uumlbereinstimmten waumlre so die Haltung der fuumlhrenden Mitglieder der Front raquoeine neue Form des politischen Pluralisshymuslaquo39 Diese raquoneue Formlaquo manifestierte sich demnach nicht nur in der ungeshywoumlhnlich hohen Zahl politischer Parteien sondern insbesondere in den Proshygrammen dieser Parteien Vor dem Hintergrund der Erkenntnis daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantomparteien der Front waren muszlig auch die weitere Haltung der Front zu diesen Parteien und zum Pluralismus im allgemeinen geshydeutet werden Die Front sollte naumlmlich so wurde erklaumlrt raquoso breit sein daszlig gtsehr wenig Platz auszligerhalb von ihrlt uumlbrig bleiben werde gtDas ist unsere

36 Eine Aufzaumlhlung der in den ersten Monaten des Jahres 1990 registrierten Parteien findet sich bei ANNELIE Um GABANYI Rumaumlnien Einmal Demokratie und zuruumlck In Suumldoste uropa 39 (1990) S 277-278

37 GABANYI Rumaumlnien aaO S 279 38 Romania LiberiJ vom 172 1990 zitiert nach GABANYI Rumaumlnien aaO S 281 39 So derraquoChefideologelaquo der Front Siliviu Brucan GABANYI Rumaumlnien aaO S 280

SbSembll 11 (1991) -2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Strategielt gtIm Programm der Front koumlnnen sich alle politischen Richtungen wiederfindenlt [ ] Man strebe gteinen neuen politischen Pluralismuslt anlaquo40 Dieser neue Pluralismus sollte sich offensichtlich nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Provenienz manifestieren sondern in einer raquooriginaumlrlaquo rumaumlnischen Form lliescu argumentierte daszlig das Mehrparteiensystem den Aufstieg des Faschismus nicht hatte verhindern koumlnnen daszlig die westliche Demokratie ebensowenig eine raquoechtelaquo Demokratie sei wie der westliche Plurashylismus Demnach koumlnne das westliche Beispiel keine Vorbildfunktion fuumlr Rumaumlnien haben sondern das Land muumlsse nach dem historischen Bruch infolge der Revolution einen eigenen Weg einschlagen Dieser eigene Weg war fuumlr Iliescu durch die Revolution vorgegeben welche die Rahmenbedingungen der raquorumaumlnischen Demokratie des ausgehenden 20 Jahrhundertslaquo41 geschaffen hat Fuumlr diese raquooriginaumlre Demokratielaquo die ideale Form der Demokratie steht einzig die Front der Nationalen Rettung die den Pluralismus verkoumlrpert

Eine Analyse des Erwaumlhnten ergibt vor dem Hintergrund der Tatsache daszlig die Front im Januar 1990 als diese Aussagen gemacht wurden noch nicht als politische Partei registriert war sowohl das Selbst- als auch das Demokratieshyverstaumlndnis der meisten Ratstnitglieder Die raquooriginaumlre Demokratielaquo und der rumaumlnische Pluralismus sollten aus einer Vielzahl von Parteien bestehen die programmatisch sehr wohl zur konzeptionellen Plattform der Front als Uumlbershyorganisation - und nicht als Partei - paszligten Meinungspluralismus sollte innershyhalb eines durch die Front vorgegebenen Rahmens und nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Praumlgung bestehen Dabei scheint sich auch eine Art raquoRichtlinienkompetenzlaquo der Front anzudeuten42 da sie sich als pluralistische Organisation und nicht als Partei defInierte deren Strategie die Einbringung der anderen Parteien in die eigenen Konzeptionen war

In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die ersten Wahlen im Mai 1990 muszlig auch die Abschaffung der Einparteienherrschaft am 22 Dezember 1989 gedeutet werden Damit war zwar eine Einparteienherrschaft wie sie der Bevoumllkerung unter Ceausectescu bekannt war ausgeschlossen zugleich aber schloszlig sie auch die Moumlglichkeit einer Regierungsbildung durch eine frei gewaumlhlte demokratische Partei aus Diese Auffassung und die rechtliche Lage lieszlig jedoch die Moumlglichkeit einer Einfront-Regierung offen da die Front nicht als politische Partei sondern als raquoMassenbewegunglaquo auftrat43 Diese Intershypretation des Verbots einer Einparteienherrschaft aumlnderte sich erst nachdem sich die Bevoumllkerung zunehmend von der Front distanzierte was zur Folge hatte daszlig sie sich am 6 Februar 1990 beim Bukarester Stadtgericht als Partei registrieren lieszlig

40 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280 41 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280-281 42 Vgl hierzu GALLAGHERaaObull S 148 43 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 200

SbgSemhil 11 (1991) -2

141 140 RALF THOMAS GoumlUNER

32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

SbgSembU 11 (1997) 1middot2

ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

SbgSembllll (I997) 1-2

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

SbgSembll 11 (1997) 1-2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

SbgSembil 11 (1997) 1-2

144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

SbgSembllll (1997) 1-2

145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

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146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

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149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

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150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 3: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

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abgehoumlrt wurde l6 dies bestaumltigen auch andere Quellen 17 Jedoch kann beshyzweifelt werde daszlig dies - wie Iliescu angibt - wegen seines raquointellektuellen Abweichlertumslaquo allein geschah sondern eher wegen seiner Verbindungen nach Moskaul 8 In diesem Jahr 1971 wurde Gorbatschow Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU Auffallend ist auch daszlig lliescu in den Jahren nach 1971 als er in der Provinz taumltig war zwar unter Beobachtung stand jedoch keinen Einschraumlnkungen unterlag sondern im Gegenteil noch den Zugang zu den Medien und zu einfluszligreichen Personen im Zentrum der Macht hatte Diesen Zugang konnte er nutzen und Ansichten vertreten die wenn sie weniger wichtige Personen aumluszligerten hart bestraft wurden So konnte Iliescu zu einer Zeit von der er sagt er sei politisch endguumlltig ausgeschaltet gewesenl9 in der meistgelesenen rumaumlnischen Literaturzeitschrift einen Artikel veroumlffentlichen welcher der offiziellen rumaumlnischen Politik und der Ansicht Ceau~escus zushywiderlieeo In dem Aufsatz raquoKreativitaumlt und Informationlaquo plaumldierte er fuumlr raquorestructurarelaquo - dem rumaumlnischen Aumlquivalent fuumlr das russische raquoPerestrojkalaquo - und forderte die Umgestaltung der rumaumlnischen Gesellschaft im Sinne der Gorbatschowschen Konzeption mehr politische Transparenz und eine grundshylegende Demokratisierung der Gesellschaft Dies ereignete sich zu einer Zeit in der ein Widerspruch oder gar Widerstand gegenuumlber der Politik Ceau~escus mit einschneidenden Folgen fuumlr die persoumlnliche Sicherheit verbunden wall Die Tatsache daszlig Iliescu nach der Veroumlffentlichung dieses Artikel keine Sankshytionsmaszlignahmen hinnehmen muszligte sondern sich im Gegenteil als Kandidat fuumlr eine Nachfolge Ceau~escus in Gespraumlch gebracht hatte legt zwei Thesen nahe Erstens muumlssen bestimmte einfluszligreiche Kreise auszligerhalb des Ceau~escu-Clans zu denen Iliescu offensichtlich auch gehoumlrte diese Forderung nach raquorestructurarelaquo als Signal nach auszligen und als Versuch betrachtet haben die Reshyaktionen im In- und im Ausland beobachten zu koumlnnen22 Zweitens muszlig Iliescu auch einen gewissen Schutz genossen haben da er diese Forderungen in einem

16 IUESCU aaO S 42-43 Hier gibt er an seit 1971 beobachtet wonlen zu sein 17 Der ehemalige unter Ceausectescu nach Amerika geflohene Securitate-GeneraJ Pacepa bestaumltigt

daszlig I1iescu seit 1972 von der Einheit UM 0920A (Unitate Militarauml [militaumlrische Einheit) 0 steht fuumlr raquogeheimlaquo und 920 war die Code-Nummer des DIE (Departamentul de Informatii Exshyterne aI Romaniei [Abteilung fuumlr Auslandsaufklaumlrung Rumaumlniens)) uumlberwacht wunle PACEPA aaO S 15 30 449 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang daszlig er von einer Einheit der Auslandsaufklaumlrung uumlberwacht wunle

18 PACEPA aaO S 449 19 ILIESCU aaO S 41-42 20 Romania Literarauml [Literarisches Rumaumlnien) vom 3 September 1987 VgJ hierzu GABANYI

aaO S 25 GILBERGaaO S 154 PACEPAaaO S 449-450 WAGNERaaO S 23 21 In diesem Zusammenhang soll nur an die Demonstrationen in Kronstadt (Brasectov) im November

1987 erinnert wenle infolgedessen einige Beteiligte (so winl von Zeugen berichtet) hingerichtet wunlen oder zumindest mit Hausarrest bestraft wunlen wie beispielsweise das spaumltere Mitglied der raquoFront zur Nationalen Rettunglaquo Silviu Brucan V gJ hierzu GABANYI aaO S 31

22 VgJ hierzu GILBERG aaO S 154

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ELITENKONTINUITAumlT ODER EUTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

so wichtigen Organ ungestraft stellen konnte Dieser Schutz konnte zum einen darin bestehen daszlig er Teil der technischen Intelligenz war und zum anderen in den vorangegangenen Jahren einige einfluszligreiche Positionen bekleidet hatte Weiterhin war Gorbatschow den er offensichtlich aus seiner Studienzeit in Moskau kannte seit uumlber zwei Jahren an der Macht und es kann nicht ausshygeschlossen werden daszlig diese Konstellation hilfreich fuumlr sein (politisches) Uumlberleben war

2 Die rumaumlnische Revolution von 1989 und Iliescu

Hinweise auf die Frage nach den Eliten in Rumaumlnien insbesondere der Person Iliescus geben einige Ereignisse die im Zusammenhang mit der sogenannten Revolution von 198923 stehen Bereits Anfang 1990 wurde der Vorwurf ershyhoben es haumltte sich um eine Revolution gehandelt die in einen Staatsstreich muumlndete Es ist unzweifelhaft daszlig die Dezemberereignisse mit einer tatshysaumlchlichen Volkserhebung begonnen haben in dessen Verlauf es viele Opfer gegeben hat Es stellen sich nur die Fragen inwieweit sich eine reformerische prosowjetische Gegenelite im kommunistischen Machtapparat der Unruhen bedient und sie genutzt hat um die Gruppierung um Ceau~escu zu beseitigen und welche Rolle die Sowjetunion dabei gespielt hat

Die Mitglieder der Front aber auch sowjetische Politiker betonten daszlig die Front nicht vor dem 22 Dezember existiert habe und daszlig es sich folglich um keinen Staatsstreich handele24 Dies wird jedoch von vielen Experten beshyzweifelt Offensichtlich bestanden in der Zeit vor dem Dezember 1989 nicht nur lose Kontakte zwischen den Hauptakteuren sondern auch Verbindungen die auf eine fruumlhere Konstituierung der Gruppierung schlieszligen lassen die spaumlter offiziell Front der Nationalen Rettung genannt wurde Ein Videofilm der von einem Sprecher der Front gedreht wurde zeigt die Hauptakteure kurz vor der oumlffentlichen Bekanntgabe der Konstituierung der Front am 22 Dezember wie sie uumlber ihre Bezeichnung debattieren raquoNach einigem Hin und Her stellte General Militaru dabei die Frage weshalb man sich denn nicht als gtFront der Nationalen Rettung(25 praumlsentieren wolle als die man sich doch sechs Monate

23 Eine detaillierte Chronologie der Ereignisse bietet BEATE BEYER Chronologie der Ereignisse im Zeitraum September 1989 bis zu den ersten freien Wahlen und der Bildung der Regierung unter Petre Roman Ende Juni 1990 In Suumldosteuropa 40 (1991) S 477-492

24 GABANYI aaO S 87 2S Die Bezeichnung als raquoFrontlaquo hat in Rumaumlnien eine historische Tradition In der Koumlnigs-Diktatur

der Zwischenkriegszeit wunlen am 16 Dezember 1938 alle politischen Parteien liquidiert und in der neugebildeten raquoFront der Nationalen Wiedergeburtlaquo (Frontul Renasectterii Nationale) vershyschmolzen Eine weitere raquoFrontlaquo war die am 24 Oktober 1968 gegruumlndete raquoFront der Sozialistishyschen Einheitlaquo (Frontul Unitlllii Socialiste) als die wichtigste politische und repraumlsentative Koumlrshyperschaft Rumaumlniens Den Namen raquoFront der Nationalen Rettunglaquo erwaumlhnt auch PACEPA in Zu-

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zuvor konstituiert habelaquo26 Zudem bestaumltigte Cazimir Ionesco ein Stellvershytretender Vorsitzender der Front daszlig raquodie gtFrontlt den Umsturz gtseit mehr als zwei Jahren geplantlt habelaquo27 Daszlig diese Aussagen nicht unbegruumlndet sein konnten verdeutlicht die Haltung der Sowjetunion in den vorangegangenen Jahren Seit seinem Amtsantritt 1985 hatte Gorbatschow seine Ablehnung der rumaumlnischen Fuumlhrung gegenuumlber geaumluszligert bei seinem Rumaumlnienbesuch im Mai 1987 Ceausectescu offen kritisiert und tiefgreifende Reformen angemahnr8bull

Zudem hatte der sowjetische ZK-Sekretaumlr Ligatschow im Dezember 1987 deutshylich gemacht daszlig die Sowjetunion in Rumaumlnien nicht intervenieren wuumlrde wenn Ceausectescu gestuumlrzt werde Auch Gorbatschow hatte raquodie internationale Verantwortung Moskaus fuumlr die Entwicklung des Sozialismus in den anderen kommunistischen Staatenlaquo29 bekraumlftigt Diese kaum verhuumlllte Aufforderung zur Entmachtung Ceausectescus duumlrfte die Gegenfraktion in der RKP ermuntert haben die Beseitigung des Diktators in die Wege zu leiten Daszlig der Ausbruch der Revolution dieser zuvorkam kann als historischer Zufall betrachtet werden waumlhrend die Tatsache daszlig sie diesmal nicht von der Securitate niedergeshyschlagen wurde darauf zUfUumlckgeflihrt werden kann daszlig der Sicherheitsdienst raquoeine wichtige wenn nicht gar entscheidende Rolle gespieltlaquo haro

Betrachtet man weiterhin die maszliggebliche personelle Zusammensetzung der Front der ersten Stunden verdichten sich die Anzeichen daszlig ein Elitenwechsel in Rumaumlnien zwar stattgefunden hat die neuen und maszliggeblichen Eliten jedoch unter Ceausectescu schon Teil der herrschenden Elite waren Zwar zaumlhlte der raquoProvisorische Rat der Front der Nationalen Rettunglaquo nur fuumlnf Tage nach seiner offIziellen Konstituierung am 22 Dezember 1989 bereits 145 Mitglieder unter denen auch bekannte Regimekritiker wie Doinea Cornea Ana Blandiana Mircea Dinescu Geza Domokos oder Laumlszl6 Toumlkes waren Die eigentliche Macht innerhalb des Rates der Front hatte jedoch ein Exekutivbuumlro das aus elf Mitgliedern31 bestand und nicht gewaumlhlt war sondern sich selbst konstituiert hatte Hier fallt auch auf daszlig darunter fast ausnahmslos Altfunktionaumlre der

sammenhang mit dem von der Sowjetunion unterstuumltztenraquo Plan Dnestrlaquo von 1969 der die Ershysetzung Ceausectescus durch sowjetloyale Kader der RKP vorsah PACEPA aaO S 302-307

2iI GABANYI aaO S 88-89 l7 GABANYI aaO S 89 211 V gl hierzu ANNEUE Ure GABANYI RUmlinien im Zeichen von Perestmjlta und Glasnost Von

der Scheinreform zur Gegenrefolll1 In Osteuropa 39 (1989) S 746-759 29 ANNELIE UTE GABANYI Am Vorabend der Revolution Ceausectescu unter Drock In Suumldostshy

europa 39 (1990) S 92 30 GABANYI Revolution aaO S 92 31 Ion lliescu (Vorsitzender) Dumitru Mazilu (Erster Stellvertretender Vorsitzender) Cazimir

Ionescu und Kinuumly Karoly (Stellvertretende Vorsitzende) Dan Martian (Sekretaumlr) Bogdan Teodoriu Vasile Neacsa Silviu Brocan Gheorghe Manoie Ion Caramitru Nicolae Radu (Mitglieder)

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EUTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Kommunistischen Partei vertreten waren32 die bereits in den ersten Tagen und Wochen die Uumlbernahme des Machtapparats bis auf die lokalen Ebenen zu ershyreichen suchten durch gesetzgeberische Maszlignahmen den Rahmen fuumlr die zushykuumlnftige Entwicklung schaffen wollten und personalpolitische Umbesetzungen zu ihren Gunsten unternahmen33

bull

Zusammenfassend kann festgestellt werden daszlig offensichtlich ein Teil des alten Machtapparats versucht hat die eigene Macht abzusichern raquoindem sie die Ceausectescu-treue Gruppe eliminierte und damit Reformen moumlglich machte [ ] [Auch] sollte nur die oberste politische Ebene - die der Minister - ausgetauscht werden der gesamte Apparat sollte erhalten bleibenlaquo34 Der Elitenwechsel in Rumaumlnien vollzog sich in dieser ersten Phase innerhalb der bereits herrschenden Elite An die Macht kam derjenige Teil der rumaumlnischen politischen Elite der in den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten von CeaUsectescu marginalisiert worden war weil sie entweder den nationalkommunistischen Zielen nicht entshysprachen zu enge Verbindungen nach Moskau hatten oder Reformen im Sinne Gorbatschows forderten Dabei ging es bei diesem Elitenwechsel nicht um die Demokratisierung des Landes nach westlich-demokratischen Kriterien oder um die Schaffung einer offenen Gesellschaft sondern um die Reform des System in den vom Reformkommunismus vorgegebenen Grenzen Aufschluszlig uumlber diese Grenzen geben einige Uumlberlegungen beziehungsweise Ziele die der Rat der Fromhatte

3 Das postrevolutionaumlre Rumaumlmmiddoten Transformation versus Reform

31 Die gtgtOriginaumlre Demokratielaquo und der Pluralismus

Die Haltung des Rats der Front insbesondere des engen Kreises um Iliescu und das Exekutivbuumlro zu Fragen der gesellschaftlichen und politischen Umgeshystaltung verdeutlichen die vorherrschende Demokratieauffassung und Zielshysetzung Daszlig es jedoch auch Mitglieder im Rat gab die diesen Zielen nicht folshygen wollten veranschaulichen die Beispiele derjenigen Dissidenten die nach der Eintragung der Front als Partei selbige verlieszligen35

bull Bereits am 31 Dezember

32 Vgl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61 OrnMAR KOLAR Die politische und wirtschaftshyliche Entwicklung in Rumaumlnien nach dem Dezember 1989 In OumlSterreich ische Ostbefte 34 (1992) S 518 RADYaaO S 131

33 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61-64 34 THOMAS WINDERL Machteliten im Systemwechsel Uumlber Wandel und Kontinuitaumlt osteuroshy

paumlilCher Eliten In SUdosteumpa 43 (1994) S 626 35 Darunter waren auch die Hochschullebrerin Doina Cornea und die Schriftstellerin Ana

Blandiana V gl hierzu TOM GAIJAOHER A Feeble Erobrace Romanias Engagement With Democracy 1989-94 In Journal of Communist Studies and Transition Politics 12 (1996) S 147-149

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139 138 RALF THOMAS GOumlLLNER

1989 wurde der politische Pluralismus gesetzlich verankert und eine Unzahl von Parteien gegruumlndet36

bull Ermoumlglicht hatte dies ein Registrierungsmodus der mit 251 Personen eine aumluszligerst geringe Mitgliederzahl vorsah Neben den Parteien entstand auch eine Vielzahl von Gewerkschaften Standesorganisashytionen Interessenverbaumlnden und sonstigen Vereinigungen die oftmals auf der Grundlage der raquoInteressenvertretungen aus der Ceallsectescu-Aumlra unter neuen Namen in ihren alten Raumlumlichkeiten mit ihren alten Mitarbeiternlaquo31 entstanden sind Daneben sind auch andere Vereinigungen oder Verbaumlnde gegruumlndet worden die explizit einen nationalorientierten Charakter haben und spaumlter in der rumaumlnischen Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollten

Auf den ersten Blick scheint diese Gruumlndungswelle keinen pejorativen Charakter zu haben Betrachtet man jedoch die politische Programmatik und die Verbindungen vieler neuer Parteien zu den fuumlhrenden Vertretern der Front so stellt man fest daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantom- Stroh- oder Satellishytenparteien der Front waren Sie sind raquovielfach Parteien gtohne Ruumlckgrat ohne Programm ohne Persoumlnlichkeitenlt deren einziges Ziel es ist die gtpseudoshyparlamentarische Paritaumltlt zugunsten der Front aufzubessernlt~8 So schaumltzte die tatsaumlchliche Opposition Anfang 1990 die Zahl der von der Front erfundenen Parteien auf weit uumlber die Haumllfte aller registrierten politischen Vereinigungen Daruumlber hinaus ist es aber auch als uumlberaus problematisch zu bewerten wenn die Parteienlandschaft bewuszligt derart zersplittert wird Dadurch wurde in der Folgezeit - insbesondere bei den ersten Wahlen - der Pluralismusgedanke ad absurdum gefuumlhrt und die Angst der Bevoumllkerung vor der Demokratie und der neugewonnenen Freiheit geschuumlrt

In diesem Zusammenhang deutet sich auch das Demokratieverstaumlndnis der Front ab und ist durch die Vorstellung der raquooriginaumlren rumaumlnischen Demoshykratielaquo charakterisiert Die Feststellung daszlig viele der neuentstandenen Parteien mit der Programmplattform der Front uumlbereinstimmten waumlre so die Haltung der fuumlhrenden Mitglieder der Front raquoeine neue Form des politischen Pluralisshymuslaquo39 Diese raquoneue Formlaquo manifestierte sich demnach nicht nur in der ungeshywoumlhnlich hohen Zahl politischer Parteien sondern insbesondere in den Proshygrammen dieser Parteien Vor dem Hintergrund der Erkenntnis daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantomparteien der Front waren muszlig auch die weitere Haltung der Front zu diesen Parteien und zum Pluralismus im allgemeinen geshydeutet werden Die Front sollte naumlmlich so wurde erklaumlrt raquoso breit sein daszlig gtsehr wenig Platz auszligerhalb von ihrlt uumlbrig bleiben werde gtDas ist unsere

36 Eine Aufzaumlhlung der in den ersten Monaten des Jahres 1990 registrierten Parteien findet sich bei ANNELIE Um GABANYI Rumaumlnien Einmal Demokratie und zuruumlck In Suumldoste uropa 39 (1990) S 277-278

37 GABANYI Rumaumlnien aaO S 279 38 Romania LiberiJ vom 172 1990 zitiert nach GABANYI Rumaumlnien aaO S 281 39 So derraquoChefideologelaquo der Front Siliviu Brucan GABANYI Rumaumlnien aaO S 280

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ELITENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Strategielt gtIm Programm der Front koumlnnen sich alle politischen Richtungen wiederfindenlt [ ] Man strebe gteinen neuen politischen Pluralismuslt anlaquo40 Dieser neue Pluralismus sollte sich offensichtlich nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Provenienz manifestieren sondern in einer raquooriginaumlrlaquo rumaumlnischen Form lliescu argumentierte daszlig das Mehrparteiensystem den Aufstieg des Faschismus nicht hatte verhindern koumlnnen daszlig die westliche Demokratie ebensowenig eine raquoechtelaquo Demokratie sei wie der westliche Plurashylismus Demnach koumlnne das westliche Beispiel keine Vorbildfunktion fuumlr Rumaumlnien haben sondern das Land muumlsse nach dem historischen Bruch infolge der Revolution einen eigenen Weg einschlagen Dieser eigene Weg war fuumlr Iliescu durch die Revolution vorgegeben welche die Rahmenbedingungen der raquorumaumlnischen Demokratie des ausgehenden 20 Jahrhundertslaquo41 geschaffen hat Fuumlr diese raquooriginaumlre Demokratielaquo die ideale Form der Demokratie steht einzig die Front der Nationalen Rettung die den Pluralismus verkoumlrpert

Eine Analyse des Erwaumlhnten ergibt vor dem Hintergrund der Tatsache daszlig die Front im Januar 1990 als diese Aussagen gemacht wurden noch nicht als politische Partei registriert war sowohl das Selbst- als auch das Demokratieshyverstaumlndnis der meisten Ratstnitglieder Die raquooriginaumlre Demokratielaquo und der rumaumlnische Pluralismus sollten aus einer Vielzahl von Parteien bestehen die programmatisch sehr wohl zur konzeptionellen Plattform der Front als Uumlbershyorganisation - und nicht als Partei - paszligten Meinungspluralismus sollte innershyhalb eines durch die Front vorgegebenen Rahmens und nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Praumlgung bestehen Dabei scheint sich auch eine Art raquoRichtlinienkompetenzlaquo der Front anzudeuten42 da sie sich als pluralistische Organisation und nicht als Partei defInierte deren Strategie die Einbringung der anderen Parteien in die eigenen Konzeptionen war

In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die ersten Wahlen im Mai 1990 muszlig auch die Abschaffung der Einparteienherrschaft am 22 Dezember 1989 gedeutet werden Damit war zwar eine Einparteienherrschaft wie sie der Bevoumllkerung unter Ceausectescu bekannt war ausgeschlossen zugleich aber schloszlig sie auch die Moumlglichkeit einer Regierungsbildung durch eine frei gewaumlhlte demokratische Partei aus Diese Auffassung und die rechtliche Lage lieszlig jedoch die Moumlglichkeit einer Einfront-Regierung offen da die Front nicht als politische Partei sondern als raquoMassenbewegunglaquo auftrat43 Diese Intershypretation des Verbots einer Einparteienherrschaft aumlnderte sich erst nachdem sich die Bevoumllkerung zunehmend von der Front distanzierte was zur Folge hatte daszlig sie sich am 6 Februar 1990 beim Bukarester Stadtgericht als Partei registrieren lieszlig

40 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280 41 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280-281 42 Vgl hierzu GALLAGHERaaObull S 148 43 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 200

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32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

SbgSembU 11 (1997) 1middot2

ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

SbgSembllll (I997) 1-2

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

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ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

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144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

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145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

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146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

SbgSembll1l (1997) 1-2

ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

SbgSembll II (1997) l-2

150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 4: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

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zuvor konstituiert habelaquo26 Zudem bestaumltigte Cazimir Ionesco ein Stellvershytretender Vorsitzender der Front daszlig raquodie gtFrontlt den Umsturz gtseit mehr als zwei Jahren geplantlt habelaquo27 Daszlig diese Aussagen nicht unbegruumlndet sein konnten verdeutlicht die Haltung der Sowjetunion in den vorangegangenen Jahren Seit seinem Amtsantritt 1985 hatte Gorbatschow seine Ablehnung der rumaumlnischen Fuumlhrung gegenuumlber geaumluszligert bei seinem Rumaumlnienbesuch im Mai 1987 Ceausectescu offen kritisiert und tiefgreifende Reformen angemahnr8bull

Zudem hatte der sowjetische ZK-Sekretaumlr Ligatschow im Dezember 1987 deutshylich gemacht daszlig die Sowjetunion in Rumaumlnien nicht intervenieren wuumlrde wenn Ceausectescu gestuumlrzt werde Auch Gorbatschow hatte raquodie internationale Verantwortung Moskaus fuumlr die Entwicklung des Sozialismus in den anderen kommunistischen Staatenlaquo29 bekraumlftigt Diese kaum verhuumlllte Aufforderung zur Entmachtung Ceausectescus duumlrfte die Gegenfraktion in der RKP ermuntert haben die Beseitigung des Diktators in die Wege zu leiten Daszlig der Ausbruch der Revolution dieser zuvorkam kann als historischer Zufall betrachtet werden waumlhrend die Tatsache daszlig sie diesmal nicht von der Securitate niedergeshyschlagen wurde darauf zUfUumlckgeflihrt werden kann daszlig der Sicherheitsdienst raquoeine wichtige wenn nicht gar entscheidende Rolle gespieltlaquo haro

Betrachtet man weiterhin die maszliggebliche personelle Zusammensetzung der Front der ersten Stunden verdichten sich die Anzeichen daszlig ein Elitenwechsel in Rumaumlnien zwar stattgefunden hat die neuen und maszliggeblichen Eliten jedoch unter Ceausectescu schon Teil der herrschenden Elite waren Zwar zaumlhlte der raquoProvisorische Rat der Front der Nationalen Rettunglaquo nur fuumlnf Tage nach seiner offIziellen Konstituierung am 22 Dezember 1989 bereits 145 Mitglieder unter denen auch bekannte Regimekritiker wie Doinea Cornea Ana Blandiana Mircea Dinescu Geza Domokos oder Laumlszl6 Toumlkes waren Die eigentliche Macht innerhalb des Rates der Front hatte jedoch ein Exekutivbuumlro das aus elf Mitgliedern31 bestand und nicht gewaumlhlt war sondern sich selbst konstituiert hatte Hier fallt auch auf daszlig darunter fast ausnahmslos Altfunktionaumlre der

sammenhang mit dem von der Sowjetunion unterstuumltztenraquo Plan Dnestrlaquo von 1969 der die Ershysetzung Ceausectescus durch sowjetloyale Kader der RKP vorsah PACEPA aaO S 302-307

2iI GABANYI aaO S 88-89 l7 GABANYI aaO S 89 211 V gl hierzu ANNEUE Ure GABANYI RUmlinien im Zeichen von Perestmjlta und Glasnost Von

der Scheinreform zur Gegenrefolll1 In Osteuropa 39 (1989) S 746-759 29 ANNELIE UTE GABANYI Am Vorabend der Revolution Ceausectescu unter Drock In Suumldostshy

europa 39 (1990) S 92 30 GABANYI Revolution aaO S 92 31 Ion lliescu (Vorsitzender) Dumitru Mazilu (Erster Stellvertretender Vorsitzender) Cazimir

Ionescu und Kinuumly Karoly (Stellvertretende Vorsitzende) Dan Martian (Sekretaumlr) Bogdan Teodoriu Vasile Neacsa Silviu Brocan Gheorghe Manoie Ion Caramitru Nicolae Radu (Mitglieder)

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EUTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Kommunistischen Partei vertreten waren32 die bereits in den ersten Tagen und Wochen die Uumlbernahme des Machtapparats bis auf die lokalen Ebenen zu ershyreichen suchten durch gesetzgeberische Maszlignahmen den Rahmen fuumlr die zushykuumlnftige Entwicklung schaffen wollten und personalpolitische Umbesetzungen zu ihren Gunsten unternahmen33

bull

Zusammenfassend kann festgestellt werden daszlig offensichtlich ein Teil des alten Machtapparats versucht hat die eigene Macht abzusichern raquoindem sie die Ceausectescu-treue Gruppe eliminierte und damit Reformen moumlglich machte [ ] [Auch] sollte nur die oberste politische Ebene - die der Minister - ausgetauscht werden der gesamte Apparat sollte erhalten bleibenlaquo34 Der Elitenwechsel in Rumaumlnien vollzog sich in dieser ersten Phase innerhalb der bereits herrschenden Elite An die Macht kam derjenige Teil der rumaumlnischen politischen Elite der in den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten von CeaUsectescu marginalisiert worden war weil sie entweder den nationalkommunistischen Zielen nicht entshysprachen zu enge Verbindungen nach Moskau hatten oder Reformen im Sinne Gorbatschows forderten Dabei ging es bei diesem Elitenwechsel nicht um die Demokratisierung des Landes nach westlich-demokratischen Kriterien oder um die Schaffung einer offenen Gesellschaft sondern um die Reform des System in den vom Reformkommunismus vorgegebenen Grenzen Aufschluszlig uumlber diese Grenzen geben einige Uumlberlegungen beziehungsweise Ziele die der Rat der Fromhatte

3 Das postrevolutionaumlre Rumaumlmmiddoten Transformation versus Reform

31 Die gtgtOriginaumlre Demokratielaquo und der Pluralismus

Die Haltung des Rats der Front insbesondere des engen Kreises um Iliescu und das Exekutivbuumlro zu Fragen der gesellschaftlichen und politischen Umgeshystaltung verdeutlichen die vorherrschende Demokratieauffassung und Zielshysetzung Daszlig es jedoch auch Mitglieder im Rat gab die diesen Zielen nicht folshygen wollten veranschaulichen die Beispiele derjenigen Dissidenten die nach der Eintragung der Front als Partei selbige verlieszligen35

bull Bereits am 31 Dezember

32 Vgl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61 OrnMAR KOLAR Die politische und wirtschaftshyliche Entwicklung in Rumaumlnien nach dem Dezember 1989 In OumlSterreich ische Ostbefte 34 (1992) S 518 RADYaaO S 131

33 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 61-64 34 THOMAS WINDERL Machteliten im Systemwechsel Uumlber Wandel und Kontinuitaumlt osteuroshy

paumlilCher Eliten In SUdosteumpa 43 (1994) S 626 35 Darunter waren auch die Hochschullebrerin Doina Cornea und die Schriftstellerin Ana

Blandiana V gl hierzu TOM GAIJAOHER A Feeble Erobrace Romanias Engagement With Democracy 1989-94 In Journal of Communist Studies and Transition Politics 12 (1996) S 147-149

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139 138 RALF THOMAS GOumlLLNER

1989 wurde der politische Pluralismus gesetzlich verankert und eine Unzahl von Parteien gegruumlndet36

bull Ermoumlglicht hatte dies ein Registrierungsmodus der mit 251 Personen eine aumluszligerst geringe Mitgliederzahl vorsah Neben den Parteien entstand auch eine Vielzahl von Gewerkschaften Standesorganisashytionen Interessenverbaumlnden und sonstigen Vereinigungen die oftmals auf der Grundlage der raquoInteressenvertretungen aus der Ceallsectescu-Aumlra unter neuen Namen in ihren alten Raumlumlichkeiten mit ihren alten Mitarbeiternlaquo31 entstanden sind Daneben sind auch andere Vereinigungen oder Verbaumlnde gegruumlndet worden die explizit einen nationalorientierten Charakter haben und spaumlter in der rumaumlnischen Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollten

Auf den ersten Blick scheint diese Gruumlndungswelle keinen pejorativen Charakter zu haben Betrachtet man jedoch die politische Programmatik und die Verbindungen vieler neuer Parteien zu den fuumlhrenden Vertretern der Front so stellt man fest daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantom- Stroh- oder Satellishytenparteien der Front waren Sie sind raquovielfach Parteien gtohne Ruumlckgrat ohne Programm ohne Persoumlnlichkeitenlt deren einziges Ziel es ist die gtpseudoshyparlamentarische Paritaumltlt zugunsten der Front aufzubessernlt~8 So schaumltzte die tatsaumlchliche Opposition Anfang 1990 die Zahl der von der Front erfundenen Parteien auf weit uumlber die Haumllfte aller registrierten politischen Vereinigungen Daruumlber hinaus ist es aber auch als uumlberaus problematisch zu bewerten wenn die Parteienlandschaft bewuszligt derart zersplittert wird Dadurch wurde in der Folgezeit - insbesondere bei den ersten Wahlen - der Pluralismusgedanke ad absurdum gefuumlhrt und die Angst der Bevoumllkerung vor der Demokratie und der neugewonnenen Freiheit geschuumlrt

In diesem Zusammenhang deutet sich auch das Demokratieverstaumlndnis der Front ab und ist durch die Vorstellung der raquooriginaumlren rumaumlnischen Demoshykratielaquo charakterisiert Die Feststellung daszlig viele der neuentstandenen Parteien mit der Programmplattform der Front uumlbereinstimmten waumlre so die Haltung der fuumlhrenden Mitglieder der Front raquoeine neue Form des politischen Pluralisshymuslaquo39 Diese raquoneue Formlaquo manifestierte sich demnach nicht nur in der ungeshywoumlhnlich hohen Zahl politischer Parteien sondern insbesondere in den Proshygrammen dieser Parteien Vor dem Hintergrund der Erkenntnis daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantomparteien der Front waren muszlig auch die weitere Haltung der Front zu diesen Parteien und zum Pluralismus im allgemeinen geshydeutet werden Die Front sollte naumlmlich so wurde erklaumlrt raquoso breit sein daszlig gtsehr wenig Platz auszligerhalb von ihrlt uumlbrig bleiben werde gtDas ist unsere

36 Eine Aufzaumlhlung der in den ersten Monaten des Jahres 1990 registrierten Parteien findet sich bei ANNELIE Um GABANYI Rumaumlnien Einmal Demokratie und zuruumlck In Suumldoste uropa 39 (1990) S 277-278

37 GABANYI Rumaumlnien aaO S 279 38 Romania LiberiJ vom 172 1990 zitiert nach GABANYI Rumaumlnien aaO S 281 39 So derraquoChefideologelaquo der Front Siliviu Brucan GABANYI Rumaumlnien aaO S 280

SbSembll 11 (1991) -2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Strategielt gtIm Programm der Front koumlnnen sich alle politischen Richtungen wiederfindenlt [ ] Man strebe gteinen neuen politischen Pluralismuslt anlaquo40 Dieser neue Pluralismus sollte sich offensichtlich nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Provenienz manifestieren sondern in einer raquooriginaumlrlaquo rumaumlnischen Form lliescu argumentierte daszlig das Mehrparteiensystem den Aufstieg des Faschismus nicht hatte verhindern koumlnnen daszlig die westliche Demokratie ebensowenig eine raquoechtelaquo Demokratie sei wie der westliche Plurashylismus Demnach koumlnne das westliche Beispiel keine Vorbildfunktion fuumlr Rumaumlnien haben sondern das Land muumlsse nach dem historischen Bruch infolge der Revolution einen eigenen Weg einschlagen Dieser eigene Weg war fuumlr Iliescu durch die Revolution vorgegeben welche die Rahmenbedingungen der raquorumaumlnischen Demokratie des ausgehenden 20 Jahrhundertslaquo41 geschaffen hat Fuumlr diese raquooriginaumlre Demokratielaquo die ideale Form der Demokratie steht einzig die Front der Nationalen Rettung die den Pluralismus verkoumlrpert

Eine Analyse des Erwaumlhnten ergibt vor dem Hintergrund der Tatsache daszlig die Front im Januar 1990 als diese Aussagen gemacht wurden noch nicht als politische Partei registriert war sowohl das Selbst- als auch das Demokratieshyverstaumlndnis der meisten Ratstnitglieder Die raquooriginaumlre Demokratielaquo und der rumaumlnische Pluralismus sollten aus einer Vielzahl von Parteien bestehen die programmatisch sehr wohl zur konzeptionellen Plattform der Front als Uumlbershyorganisation - und nicht als Partei - paszligten Meinungspluralismus sollte innershyhalb eines durch die Front vorgegebenen Rahmens und nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Praumlgung bestehen Dabei scheint sich auch eine Art raquoRichtlinienkompetenzlaquo der Front anzudeuten42 da sie sich als pluralistische Organisation und nicht als Partei defInierte deren Strategie die Einbringung der anderen Parteien in die eigenen Konzeptionen war

In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die ersten Wahlen im Mai 1990 muszlig auch die Abschaffung der Einparteienherrschaft am 22 Dezember 1989 gedeutet werden Damit war zwar eine Einparteienherrschaft wie sie der Bevoumllkerung unter Ceausectescu bekannt war ausgeschlossen zugleich aber schloszlig sie auch die Moumlglichkeit einer Regierungsbildung durch eine frei gewaumlhlte demokratische Partei aus Diese Auffassung und die rechtliche Lage lieszlig jedoch die Moumlglichkeit einer Einfront-Regierung offen da die Front nicht als politische Partei sondern als raquoMassenbewegunglaquo auftrat43 Diese Intershypretation des Verbots einer Einparteienherrschaft aumlnderte sich erst nachdem sich die Bevoumllkerung zunehmend von der Front distanzierte was zur Folge hatte daszlig sie sich am 6 Februar 1990 beim Bukarester Stadtgericht als Partei registrieren lieszlig

40 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280 41 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280-281 42 Vgl hierzu GALLAGHERaaObull S 148 43 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 200

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141 140 RALF THOMAS GoumlUNER

32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

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ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

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1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

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ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

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malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

SbgSembllll (1997) 1-2

145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

SbgSembll 11 (1997) 1-2

146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

SbgSembll1l (1997) 1-2

ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

SbgSembll II (1997) l-2

150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

SbgSembll1l (1997) 1middot2

ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

SbgSembllll (1997) 1middot2

Page 5: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

139 138 RALF THOMAS GOumlLLNER

1989 wurde der politische Pluralismus gesetzlich verankert und eine Unzahl von Parteien gegruumlndet36

bull Ermoumlglicht hatte dies ein Registrierungsmodus der mit 251 Personen eine aumluszligerst geringe Mitgliederzahl vorsah Neben den Parteien entstand auch eine Vielzahl von Gewerkschaften Standesorganisashytionen Interessenverbaumlnden und sonstigen Vereinigungen die oftmals auf der Grundlage der raquoInteressenvertretungen aus der Ceallsectescu-Aumlra unter neuen Namen in ihren alten Raumlumlichkeiten mit ihren alten Mitarbeiternlaquo31 entstanden sind Daneben sind auch andere Vereinigungen oder Verbaumlnde gegruumlndet worden die explizit einen nationalorientierten Charakter haben und spaumlter in der rumaumlnischen Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollten

Auf den ersten Blick scheint diese Gruumlndungswelle keinen pejorativen Charakter zu haben Betrachtet man jedoch die politische Programmatik und die Verbindungen vieler neuer Parteien zu den fuumlhrenden Vertretern der Front so stellt man fest daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantom- Stroh- oder Satellishytenparteien der Front waren Sie sind raquovielfach Parteien gtohne Ruumlckgrat ohne Programm ohne Persoumlnlichkeitenlt deren einziges Ziel es ist die gtpseudoshyparlamentarische Paritaumltlt zugunsten der Front aufzubessernlt~8 So schaumltzte die tatsaumlchliche Opposition Anfang 1990 die Zahl der von der Front erfundenen Parteien auf weit uumlber die Haumllfte aller registrierten politischen Vereinigungen Daruumlber hinaus ist es aber auch als uumlberaus problematisch zu bewerten wenn die Parteienlandschaft bewuszligt derart zersplittert wird Dadurch wurde in der Folgezeit - insbesondere bei den ersten Wahlen - der Pluralismusgedanke ad absurdum gefuumlhrt und die Angst der Bevoumllkerung vor der Demokratie und der neugewonnenen Freiheit geschuumlrt

In diesem Zusammenhang deutet sich auch das Demokratieverstaumlndnis der Front ab und ist durch die Vorstellung der raquooriginaumlren rumaumlnischen Demoshykratielaquo charakterisiert Die Feststellung daszlig viele der neuentstandenen Parteien mit der Programmplattform der Front uumlbereinstimmten waumlre so die Haltung der fuumlhrenden Mitglieder der Front raquoeine neue Form des politischen Pluralisshymuslaquo39 Diese raquoneue Formlaquo manifestierte sich demnach nicht nur in der ungeshywoumlhnlich hohen Zahl politischer Parteien sondern insbesondere in den Proshygrammen dieser Parteien Vor dem Hintergrund der Erkenntnis daszlig viele dieser Neugruumlndungen Phantomparteien der Front waren muszlig auch die weitere Haltung der Front zu diesen Parteien und zum Pluralismus im allgemeinen geshydeutet werden Die Front sollte naumlmlich so wurde erklaumlrt raquoso breit sein daszlig gtsehr wenig Platz auszligerhalb von ihrlt uumlbrig bleiben werde gtDas ist unsere

36 Eine Aufzaumlhlung der in den ersten Monaten des Jahres 1990 registrierten Parteien findet sich bei ANNELIE Um GABANYI Rumaumlnien Einmal Demokratie und zuruumlck In Suumldoste uropa 39 (1990) S 277-278

37 GABANYI Rumaumlnien aaO S 279 38 Romania LiberiJ vom 172 1990 zitiert nach GABANYI Rumaumlnien aaO S 281 39 So derraquoChefideologelaquo der Front Siliviu Brucan GABANYI Rumaumlnien aaO S 280

SbSembll 11 (1991) -2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Strategielt gtIm Programm der Front koumlnnen sich alle politischen Richtungen wiederfindenlt [ ] Man strebe gteinen neuen politischen Pluralismuslt anlaquo40 Dieser neue Pluralismus sollte sich offensichtlich nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Provenienz manifestieren sondern in einer raquooriginaumlrlaquo rumaumlnischen Form lliescu argumentierte daszlig das Mehrparteiensystem den Aufstieg des Faschismus nicht hatte verhindern koumlnnen daszlig die westliche Demokratie ebensowenig eine raquoechtelaquo Demokratie sei wie der westliche Plurashylismus Demnach koumlnne das westliche Beispiel keine Vorbildfunktion fuumlr Rumaumlnien haben sondern das Land muumlsse nach dem historischen Bruch infolge der Revolution einen eigenen Weg einschlagen Dieser eigene Weg war fuumlr Iliescu durch die Revolution vorgegeben welche die Rahmenbedingungen der raquorumaumlnischen Demokratie des ausgehenden 20 Jahrhundertslaquo41 geschaffen hat Fuumlr diese raquooriginaumlre Demokratielaquo die ideale Form der Demokratie steht einzig die Front der Nationalen Rettung die den Pluralismus verkoumlrpert

Eine Analyse des Erwaumlhnten ergibt vor dem Hintergrund der Tatsache daszlig die Front im Januar 1990 als diese Aussagen gemacht wurden noch nicht als politische Partei registriert war sowohl das Selbst- als auch das Demokratieshyverstaumlndnis der meisten Ratstnitglieder Die raquooriginaumlre Demokratielaquo und der rumaumlnische Pluralismus sollten aus einer Vielzahl von Parteien bestehen die programmatisch sehr wohl zur konzeptionellen Plattform der Front als Uumlbershyorganisation - und nicht als Partei - paszligten Meinungspluralismus sollte innershyhalb eines durch die Front vorgegebenen Rahmens und nicht in einem Parteienshypluralismus westlicher Praumlgung bestehen Dabei scheint sich auch eine Art raquoRichtlinienkompetenzlaquo der Front anzudeuten42 da sie sich als pluralistische Organisation und nicht als Partei defInierte deren Strategie die Einbringung der anderen Parteien in die eigenen Konzeptionen war

In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die ersten Wahlen im Mai 1990 muszlig auch die Abschaffung der Einparteienherrschaft am 22 Dezember 1989 gedeutet werden Damit war zwar eine Einparteienherrschaft wie sie der Bevoumllkerung unter Ceausectescu bekannt war ausgeschlossen zugleich aber schloszlig sie auch die Moumlglichkeit einer Regierungsbildung durch eine frei gewaumlhlte demokratische Partei aus Diese Auffassung und die rechtliche Lage lieszlig jedoch die Moumlglichkeit einer Einfront-Regierung offen da die Front nicht als politische Partei sondern als raquoMassenbewegunglaquo auftrat43 Diese Intershypretation des Verbots einer Einparteienherrschaft aumlnderte sich erst nachdem sich die Bevoumllkerung zunehmend von der Front distanzierte was zur Folge hatte daszlig sie sich am 6 Februar 1990 beim Bukarester Stadtgericht als Partei registrieren lieszlig

40 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280 41 GABANYI Rumaumlnien aaO S 280-281 42 Vgl hierzu GALLAGHERaaObull S 148 43 V gl hierzu GABANYI Revolution aaO S 200

SbgSemhil 11 (1991) -2

141 140 RALF THOMAS GoumlUNER

32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

SbgSembU 11 (1997) 1middot2

ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

SbgSembllll (I997) 1-2

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

SbgSembll 11 (1997) 1-2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

SbgSembil 11 (1997) 1-2

144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

SbgSembllll (1997) 1-2

145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

SbgSembll 11 (1997) 1-2

146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

SbgSembll1l (1997) 1-2

ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

SbgSembll II (1997) l-2

150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 6: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

141 140 RALF THOMAS GoumlUNER

32 Die Wahlen von 1990

Chancenungleichheiten der verschiedenen Parteien kennzeichnete den Wahlshykampf im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach der kommunistischen Machtshyuumlbernahme Die Vielzahl der Parteien die einen Meinungspluralismus vorshytaumluschen sollte fuumlhrte zu einer Verunsicherung der demokratieunerfahrenen Bevoumllkerung die infolge der zumeist gleichen oder zumindest aumluszligerst aumlhnlichen Parteiprogrammen und den unbekannten Kandidaten kaum Unterscheidungsshykriterien fmden konnten Nur die traditionellen Parteien der Vorkriegszeit _ die Nationale Bauernpartei (Partidul National-Taumlranesc) die Nationalliberale Partei (Partidul National-Liberal) und die Sozialdemokratische Partei (partidul SocialshyDemokrat) - und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien (Uniunea Democratil a Maghiarilor din Romania ungarisch Romaumlniai Magyar Demokrata Szoumlvetseg) konnten sich in aus der Masse der Parteien abheben

Des weiteren konnten sich die Parteien auf sehr unterschiedliche Ressourcen stuumltzen Waumlhrend die Front uumlber das Parteivermoumlgen der Kommunistischen Partei verfuumlgte muszligten die uumlbrigen Parteien mit den zugeteilten Wahlkampfshyzuschuumlssen ihren Wahlkampf fuumlhren Zudem konnte die Front auf die Infrashystruktur der Kommunistischen Partei zuruumlckgreifen zu der es - wie bereits erwaumlhnt zum Teil sehr enge personelle Verbindungen gab und den Funkshytionaumlren monatlich 7000 Lei zahlen - mehr als das Doppelte des Durchschnittsshyeinkommens in Rumaumlnien

44bull Dies ermoumlglichte der Front die Abhaltung groszliger

Wahlveranstaltungen im ganzen Land aber auch in den Betrieben Eine Wahlshykampfbuumlhne die den Oppositionsparteien verschlossen blieb Weiterhin proshyfitierte sie von ihrer dominanten Position in der raquoUumlbergangsregierunglaquo woshydurch sie den besseren Zugang zu den Medien insbesondere dem Fernsehen hatte Dieses Medium spielte im Wahlkampf eine herausragende Rolle weil es durch den Revolutionsbonus besonders glaubhaft erschien und weite Teile der Bevoumllkerung auch den armen und wenig gebildeten Teil in den laumlndlichen Geshybieten erreichen konnte Die Berichterstattung des Fernsehens war derart parteiisch und guumlnstig ftir die Front daszlig es am 4 Februar 1990 zu Demonstrashytionen vor dem Bukarester Rundfunkgebaumlude kam45

Doch nicht nur die Chancenungleichheit fuumlhrte zum Sieg der Front sondern auch die Unfaumlhigkeit der demokratischen Oppositionsparteien sich zu einigen und ein geeignetes Wahlbuumlndnis ins Leben zu rufen Zudem miszligtrauten weite Teile der Bevoumllkerung den zuruumlckgekehrten Emigranten die den groszligen Opposhysitionsparteien vorstanden und befuumlrchteten soziale Spannungen durch einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel

44 Vgl hierzu ANNELIE UrE GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien In SUdosteuropa 39 (1990) S 419

4j V gl hierzu TOM GALLAGHER Romania After Ceau~scu The Politics of Intolerance Edinburgh 1995 S 1O1l

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ELlTENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Bei den Wahlen vom 20 Mai 1990 konnte die Front 8507 Prozent der abshygegebenen Stimmen auf sich vereinigen waumlhrend Radu Caumlmpeanu (Nationalliberale Partei) 1064 Prozent und Ion Ratiu (Nationale ChristlichshyDemokratische Bauernpartei) 429 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten Die Wahl zur Abgeordnetenkammer und zum Senat veranschaulicht folgende Tabelle46 wobei in dieser Aufstellung nur die ersten fuumlnf in der Reihenfolge wiedergegeben werden

Partei Abgeordnetenkammer Senat Stirmnen in Prozent

6631 StiImnen

9353006 in Prozent

6102Front der Nationalen Rettung 9089659 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

991601 123 1004353 120

National-Liberale Partei 819290 641 985094 106 Oumlkologische BeweJmng 358864 262 431218 240 Nationale Christlich-Demokratische Bauempartei

351351 256 348681 250

Der Wahlverlauf wurde von internationalen Beobachtern verfolgt und insshygesamt als positiv beurteilt obwohl raquoernsthafte Verzerrungen und Unregelshymaumlszligigkeiten des Wahlvorgangs zugunsten der Front der Nationalen Rettunglaquo47 festgestellt wurden Dennoch haben diese Vorkommnisse waumlhrend der Wahl das Endergebnis nicht derart beeinflussen koumlnnen daszlig ein Wahlsieg der Front ohne diese Unregelmaumlszligigkeiten nicht zustande gekommen waumlre

4 Iliescu als Staatspraumlsident

41 Die erste Praumlsidentschaft Iliescus

Nachdem die parteuumlsche Berichterstattung des Fernsehens zu den erwaumlhnten Demonstrationen gefuumlhrt hatte kam es auf dem Bukarester Universitaumltsplatz ab dem 22 April 1990 zu Kundgebungen von Studenten und Intellektuellen Diese Demonstration fuumlr die Errichtung einer Demokratie im westlichen Sinne und gegen die raquooriginaumlre Demokratielaquo der Front wurde auch in den drei Wochen nach den Wahlen weiter fortgefuumlhrt und entwickelte sich zu einer informellen Opposition Erst am 13 Juni 1990 nachdem Iliescu raquoloyale Buumlrgerlaquo aufgerufen

46 Zu den hier wiedergegebenen Zahlen zu den Stimmabgaben bei den Prlsidentschaftswahlen nach Parteizugehoumlrigkeit und Sitzverteilungen siehe GABANYf Die Wahlen in Rumaumlnien aaO S405-143

47 So urteilte das US-Auszligemninisterium Siehe GABANYI Die Wahlen in Rumaumlnien aaO bull S 417

SbgSembllll (I997) 1-2

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

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ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

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malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

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145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

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146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

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147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

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149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

SbgSembll II (1997) l-2

150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

SbgSembll1l (1997) 1middot2

ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

SbgSembllll (1997) 1middot2

Page 7: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

1 142 RALF1HOMAS GOumlLLNER

hatte die Regierung vor den raquoTaugenichtsenlaquo48 auf dem Universitaumltsplatz zu schuumltzen wurde der Universitaumltsplatz geraumlumt Etwa 10000 Bergarbeiter trafen in der Hauptstadt ein und es kam zwischen ihnen und den Oppositionellen zu StraszligenSChlachten in deren Verlauf auch die Buumlros der Oppositionsparteien verwuumlstet wurden Iliescu bedankte sich bei den Bergarbeitern fuumlr die Hilfe gegen die Taugenichtse und sah hinter den Demonstrationen raquoKraumlfte im In- und Ausland die rechtsgerichtete Kraumlfte in allen osteuropaumlischen Laumlndern an die Macht bringen wollenlaquo49 Diese Diffamierung der Demonstranten und ihre gewalttaumltige Vertreibung die vom Staatspraumlsidenten begruumlszligt und sogar herbeishygefuumlhrt wurde loumlste Proteste in ganz Europa aus verschlechterte das Image der rumaumlnischen Regierung nachhaltig und fuumlhrte zum sofortigen Stop der wirtshyschaftlichen Beihilfen seitens der Europaumlischen Gemeinschaft

Aufgrund dieser internationalen Reaktionen versuchte die rumaumlnische Regierung in den folgenden Monaten ihr Image nach auszligen hin zu verbessern setzte aber innenpolitisch weiter auf die nachhaltige Festigung ihrer Macht Bereits im 1uli des selben Jahres begann Ministerpraumlsident Petre Roman mit der Abloumlsung der zu 1ahresbeginn ernannten Buumlrgermeister und ersetzte sie durch Politiker die der Front eindeutig loyal gegenuumlberstanden Auszligerdem wurde das

50 Amt des Praumlfekten wieder eingefuumlhrt und ebenfalls mit regierungstreuen Amtstraumlgern besetzt auch wenn das lokale Wahlverhalten eine andere Beshysetzung erfordert haumltte Dies betraf insbesondere die mehrheitlich ungarisch bewohnten Kreise Harghita und Covasna was zu Protesten der betroffenen Bevoumllkerung fuumlhrte Infolge dieser Proteste wurde hier das Praumlfektenamt geteilt und mit jeweils einem ungarischen und einem rumaumlnischen Praumlfekten besetzt Diese Teilung sollte bis zu den ersten Kommunalwahlen im Jahr 1992 bestehen bleiben

Diese Maszlignahmen zur Verwaltungsorganisation waren eine eindeutige Abshysage an die Forderung zur Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und bedeuteten eine Beibehaltung der vorhandenen zentralistischen Gegebenheiten Dies betraf jedoch nicht nur die Verwaltung als Struktur sondern auch deren Implementierung da auf regionale Erfordernisse und lokale politische Praumlfeshyrenzen bei den personellen Entscheidungen keine Ruumlcksicht genommen wurde Die folgenden Monate waren demzufolge von einer Politik der Stabilisierung der Macht des Staatspraumlsidenten und der Front gekennzeichnet Hierbei spielte nicht nur die Personalpolitik eine Rolle sondern auch die ethnische Komposhynente die zur Machtsicherung der frontnahen politischen Elite durch Polarisieshy

48 Rumaumlnisch golani 49 GALLAGHER Romania After Ceaufescu S 104 so Der Praumlfekt ist die houmlchste Autoritaumlt in einem Kreis (Judet) wobei ein Kreis die oberste Verwalshy

tungsebene darstellt Der Praumlfekt ist selbstaumlndig und nur dem Ministerpraumlsidenten direkt vershyantwortlich

SbgSembll 11 (1997) 1-2

ELITENKONTINUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN 143

rung miszligbraucht wurde Auf diesen Aspekt soll weiter unten eingegangen werden

Die nachrevolutionaumlre politische Elite Rumaumlniens muszligte jedoch trotz des uumlberwaumlltigenden Wahlsiegs in den darauffolgenden Monaten Sympathieverluste hinnehmen Ein groszliger Teil der Waumlhlergruppe die bei den Wahlen fuumlr die Front gestimmt hatte setzte sich aus der ehemaligen Zielgruppe der Kommushynistischen Partei - landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und ein Teil der technischen Intelligenz - zusammen Diese Gruppe schloszlig sich der Front an weil sie in einem Teil der Front die Elite aus vorrevolutionaumlrer Zeit erkannte und sich von ihnen eine Fortfuumlhrung des raquoSozialkontrakteslaquo der ideell zwischen Kommushynisten und der Bevoumllkerung bestanden hatte versprachsl Die Regierung unter Petre Roman setzte auf einen schrittweisen oumlkonomischen Wandel innerhalb von zwei bis drei Jahren auf gesetzlicher und institutioneller Ebene Durch den angestrebten sanften Uumlbergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen und der Eingliederung der rumaumlnischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft sollten negashytive Folgen wie Inflation Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden Doch bereits die ersten Maszlignahmen zur Transformation des oumlkonoshymischen Systems52 enttaumluschten diese Hoffnungen und es zeichnete sich eine Polarisierung innerhalb der Front ab Waumlhrend die Front als Partei - zu dieser Seite kann man hier auch Iliescu zaumlhlen - raquooffenbar mehr als die Mitglieder der Regierung mit uumlberkommenen kommunistischen Denkvorstellungen behaftetlaquo53 war versuchte die Regierung die Schaffung der Rahmenbedingungen fuumlr eine soziale Marktwirtschaft voranzutreiben Damit zeichnete sich innerhalb dieser Elite - auf deren einer Seite Iliescu stand der sich zu den raquosogenannten gthumanistischen Wertenlt des Kommunismus bekanntelaquo und auf der anderen Seite raquodie gtJungtuumlrkenlt in Petre Romans gtRegierung der Technokratenlt [ ]laquo54 shyder Bruch ab der nicht nur rein wirtschaftstheoretischer Natur war sondern auch Romans Abgrenzungsversuch vom Kommunismus und dem ehemaligen RKP-Funktionaumlr Iliescu

In diese Phase der parteiinternen Auseinandersetzungen fiel die Kommushynalwahl vom 9 Februar 1992 Angesichts dieses Machtkampfes der Roman bereits im September des Amt des Ministerpraumlsidenten gekostet hatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Front als raquoAuffangbeckenlaquo fuumlr eheshy

51 Vgl hielZu ANNELIE UTE GABANYI Praumlsident Iliescu gegen Premier Roman Frontenbildung in der raquoFront der Nationalen Rettunglaquo In Suumldosteuropa 40 (1991) S 424-425

52 Beispielsweise das raquoGesetz uumlber die Neustrukturierung der Staatsbetriebe in selbstverantwortshyliche Verwaltungseinheiten und Gesellschaften des Handelsrecht~laquo (Gesetz 301990) vom 31 Juli 1990 oder der Beginn der Preisliberalisierung (I Phase der Preisreform) am 1 November 1990 V gl hielZu PETER-UDo ROSENAU Rumaumlnien am Jahreswechsel 199091 Bundesstelle rur Auszligenhandelsinformation Koumlln im Maumln 1991

53 ROSENAU aaO S 2 ~ GABANYI Praumlsident Uiescu gegen Premier Roman aaO S 425-426

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144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

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145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

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146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

SbgSembll1l (1997) 1-2

ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

SbgSembll II (1997) l-2

150 151

RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

SbgSembll1l (1997) 1middot2

ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

SbgSembllll (1997) 1middot2

Page 8: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

144 RALFTHOMASGOuml~R

malige kommunistische Funktionaumlre hatte die Fuumlhrung der Front beschlossen raquoauf ehemalige bezahlte Funktionaumlre des alten Regimes zu verzichtenlaquo55 Dennoch muszligte sie erhebliche Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 4033 Prozent der Mandate in den Gemeinderaumlten und stellte noch 4774 Prozent aller Buumlrgermeister Interessant ist in diesem Zusammenhang die erstmiddot malig feststellbare Distanzierung Iliescus und der Front von den offensichtmiddot lichen Verbindungen zur alten kommunistischen Elite Der Versuch den Popu laritaumltsverlust durch eine Absage an die ehemals kommunistischen Funktions traumlger aufzuhalten fuumlhrte nicht zu dem gewuumlnschten Erfolg und entzweite die Partei zusaumltzlich So kam es auch auf dem Parteikonvent einen Monat spaumlter zur Abspaltung des reformfeindlichen Fluumlgels der Iliescu unterstuumltzte dieser Teil der Front konstituierte sich im Juni 1992 als raquoDemokratische Front der Natio nalen Rettunglaquo (Frontul Democrat al Salvaruuml Nationale)

42 Die widernatuumlrliche Allianz und die zweite Praumlsidentschaft Iliescus

Diese Spaltung der Front beeinfluszligte die gesamte politische Konstellation und den Wahlkampf um die erneute Wahl des Staatspraumlsidenten im September 1992 Die Konstellation vor dieser zweiten Praumlsidentschaftswahl im nachrevoshylutionaumlren Rumaumlnien war durch stark gewordene nationalistische Bewegungen und Parteien gepraumlgt Bereits nach der Kommunalwahl hatte sich das Erstarken dieser Gruppen abgezeichnet und Iliescu veranlaszligte sich ihren Thesen und Themen raquowohlwollendlaquo zu widmen zumal sich die Front ohnehin des Natio nalismus als Mobilisierungspotential bereits seit dem Maumlrz 1990 bedient hatte56 Die raquoRumaumlnische Heimstattlaquo (Vatra Romanescl1) eine sogenannte kulturelle Vereinigung die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo (Partidul Unitl1tuuml Nationale a Romaumlnilor) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo (Partidul Romania Mare) benutzten eine aumluszligerst aggressive Propaganda waren fremdenshyfeindlich antidemokratisch antirefonnerisch und antiwestlich eingestellt unterstuumltzten aber gemeinsam mit den verschiedenen KP-Nachfolgeparteien den Staatspraumlsidenten Dies ist kein Widerspruch wenn man die historischen Gemiddot gebenheit Rumaumlniens in die Uumlberlegungen einbezieht Die Forderungen dieser nationalistischen Organisationen reichen von der Rehabilitierung politischer Kader der Ceausectescu-Aumlra bis hin zur Aufstellung von Nationalgarden Eigentshylich rechtsextremistische Gedanken wurden mit linksextremen bis hin zu Ceausectescu-spezifischen Forderungen verquickt so daszlig sie als raquorechts-linksshy

S5 ANNELlE UTE GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien In Suumldosteuropa 45 (1996) S 783 56 Vgl hierzu ANNELlE UTE GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien In MARGARETA MOMMSEN

[Hg) Nationalismus in Osteuropa Gefahrvolle Wege in die Demokratie Muumlnchen 1992 S 155-157 Im Maumlrz 1990 kam es in der siebenbuumlrgischen Stadt Taumlrgu Muresect zu blutigen Auseinshyandersetzung zwischen Rumaumlnen und Angehoumlrigen der ungarischen Minderheit

SbgSembllll (1997) 1-2

145ELlTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

extremistischlaquo57 bezeichnet wurden Der Grund fuumlr diese Begriffsverwirrungen im posttotalitaumlren Rumaumlnien liegt wohl im nationalkommunistischen Kurs in der Zeit Ceausectescus begruumlndet der sich der ethnischen Diversion zur Machtshy58 sicherung und zum Ausbau der totalitaumlren Strukturen bediente Dadurch wurde die nationalistische Argumentationsweise Teil der politischen Kultur und wurde allem Anschein nach auch von den uumlberlebenden Eliten in den ersten postrevolutionaumlren Jahren als legitimes und vor allem funktionsfaumlhiges Mittel

der Machtsicherung betrachtet Untersucht man die personelle Zusammensetzung dieser nationalistischen

Organisationen und Parteien so stellt man fest daszlig raquodies jene ehemaligen Funktionaumlre aus Partei Securitate und Armee [sind] denen wegen ihrer uumlbershygroszligen Naumlhe zum nationalkommunistischen Ceausectescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen in der Regierung der Armee und dem neuen rumaumlshynischen Sicherheitsdienst SRI verwehrt geblieben sindlaquo59 Iliescu selbst ist zwischen diesen Personen und der herrschenden Elite das staumlrkste verbindende Element was auch das Zustandekommen der widernatuumlrlichen Allianz erklaumlrt Diese widernatuumlrliche Allianz zwischen dem Staatspraumlsidenten und den natio nalistischen Organisationen die sich besonders auf lokaler Ebene auswirkte beeinfluszligte auch den Wahlkampf zu den zweiten Praumlsidentschaftswahlen im September 1992 Gheorghe Funar der Praumlsidentschaftskandidat der raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo und Bszligrgenneister der siebenbszligrgischen Stadt Klausenburg (Cluj-Napoca ung Kolozsvar) erreichte bei dem ersten Wahldurchgang am 27 September 1992 1087 aller Stimmen (niescu 4734 und Emil Constantinescu der Kandidat der raquoDemokratischen Convention Rumaumlnienslaquo - einem Wahlbuumlndnis der meisten demokratischen Oppositionsshyparteien _ erhielt 3124) was eine zweite Wahl am 11 Oktober erforderlich machte60 Hier erzielte Iliescu zwar die notwendige absolute Mehrheit die raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo erreichte jedoch im Abgeshyordnetenhaus nur 2771 aller Stimmen Es wurde eine Regierung unter dem unabhaumlngigen aber Iliescu-nahen Kandidaten Vacaumlroiu gebildet die von der widernatuumlrlichen Allianz der raquoDemokratischen Front der Nationalen Rettunglaquo

S7 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 58 Vgl zum nationalkommunistischen Kurs und zu nationalistischen Stroumlmungen im kommunishy

stischen Rumaumlnien unter anderem GILBERG aaO PETER F SUGAR (EdJ Ethnic Diversity and Conflicl in Easlern Europe Santa Barbara 1980 PETER F SUGAR Ivo J LEDERER (Eds) Nationalism in Easlern Europe Seaule 1969 TROND GILBERG Modernization Human Righls Nationalism In GEQRGE KLEIN MILAN J REBAN [Eds) The Politics of Ethnicity in Bastem Europe New York 1981 S 185-211 ANNE FAY SANBORN GezA WASS OE CZEGE (Eds) Transylvania and the Hungarian-Romanian problem Astor Florida 1979

S9 GABANYI Nationalismus in Rumaumlnien aaO bull S 161 60 GALLAGHER Romania After Ceausectescu aaO S 126-127

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146 RALFTHOMASGOuml~R

den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

SbgSembllll (1997) 1-2

147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

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RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 9: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

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den bereits erwaumlhnten nationalistischen Parteien61 und der raquoSozialistischen Partei der Arbeitlaquo unterstuumltzt wurde

Diese zweite Praumlsidentschaft lliescus war von einer Blockbildung im Parteishyensystem gekennzeichnet Im Juli 1993 fusionierte die lliescu-treue raquoDemokratische Front der Nationalen Rettunglaquo mit kleinen Satellitenparteien und wurde in raquoPartei der Sozialen Demokratie Rumaumlnienslaquo umbenarmt In der Folgezeit versuchte sie erfolgreich durch administrativ-buumlrokratische Maszligshynalunen ihren Einfluszlig auszudehnen und ersetzte kommunale Politiker durch Funktionaumlre die der Partei treu waren62

bull Zusammen mit den nationalistischen Parteien bildeten sie die widernatuumlrliche Regierungsallianz Ihr stand das opposhysitionelle Buumlndnis der raquoDemokratischen Conventionlaquo gegenuumlber an deren Spitze der Praumlsidentschaftskandidat Emil Constantinescu stand

Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Juni 1996 kam es zu Sparmungen in der Regierungsallianz63

die schlieszliglich zu einer Aufkuumlndigung der Zusammenshyarbeit fuumlhrten Obwohl es auch im Oppositionsbuumlndnis zu Turbulenzen kam schnitt das Buumlndnis besser ab als bei den vorangegangenen Kommunalshywahlen64

bull Wichtiger in der Frage nach den neuen Eliten in Rumaumlnien sind aber die Praumlsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3 November 1996

Partei Abgeordnetenkammer Senat in Prozent in Prozent

Demokratische Convention 3017 3070 Partei der Sozialen Demokratie 2152 2308 Sozialdemokratische Union 1293 1316 Demokratische Verband der Ungarn in Rumaumlnien

664 681

Oroszligrumaumlnische Partei 446 454 Partei der Nationalen Einheit der Rumaumlnen 436 422

-1 Wahldurchgang 2 Wahldurchgang

(3 Nov 1996) in Prozent (17 Nov 1996) in Prozent l Ion Iliescu 3225 4559 IEmil Constantinescu 2821 5441

61 Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt die raquoPartei der Nationalen Einheit der Rumaumlnenlaquo 772 der Stimmen (Senat 812) und die raquoGroszligrumaumlnische Parteilaquo 39 (Senat 385 )

62 GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO bull S 786-788 63 Zu den Gruumlndendes Zerfalls siehe GABANYl Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S794-795 64 GABANYI Kommunalwahlen in Rumaumlnien aaO S 799-808 Siehe auch MICHAEL SHAFIR

Opting for Political Change In Transition 2 (19) 52 S 12-16 65 Hier ohne die anderen Kandidaten die sich zur Stichwahl nicht qualilizieren konnten

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147ELITENKONTNUITAumlT ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Diese Wahlen fuumlhrten zu einer Neuordnung der politischen Landschaft Rumaumlniens und sozusagen zur Vollendung der Revolution von 1989 Dabei fand nicht nur ein Systemwechsel statt sondern auch ein weitreichender Elitenshywechsel innerhalb des politischen Systems Mit dem Verlust der Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und mit der Neubesetzung des Praumlsidentenshyamtes wurde die alte politische Elite weitgehend aus dem Regierungsapparat verbarmt und die Verflechtungen mit der Verwaltung und der staatlich kontrolshylierten Wirtschaft abgeloumlst66

bull Dies war anders als 1989 moumlglich da sich in den knapp sieben Jahren in denen auch positive Entwicklungen in Richtung einer westlichen Demokratie erfolgt sind eine demokratische und letztendlich reshygierungsfahlge Gegenelite entwickeln konnte

5 Uumlberlegungen zur typologischen Einordnung des ehemaligen rumaumlnischen

Praumlsidenten liescu

Zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt existiert weder eine kohaumlrente und umfassende Theorie uumlber Machteliten in den postsozialistischen Staaten Ost- und Suumldostshyeuropas noch ein zufriedenstellendes theoretisches Konzept zum Wechsel der Eliten Die Versuche diesen Elitenwechsel in den Laumlndern des ehemaligen Ostshyblocks zu erklaumlren und in ein aussagekraumlftiges Modell zu fassen scheitern an den grundverschiedenen gesellschaftlichen historischen und traditionsbeshydingten Voraussetzungen welche die betreffenden Laumlnder unterscheiden Die gemeinsamen Erfahrungen der kommunistischen Herrschaft mit aumlhnlichen shyaber in entscheidenden Punkten dennoch abweichenden - systemaren Ausshywirkungen bildeten nicht die alleinige Grundlage fuumlr die Elitenbildung und letztendlich fuumlr den Elitenwechsel am Ende der achtziger Jahre Historische Erfahrungen der Bevoumllkerung oumlkonomische Voraussetzungen und deren Perzeption im Land Dauer und Intensitaumlt67 der kommunistischen Herrschaft ethnische Strukturen und geographische Lage sind einige der entscheidenden Faktoren welche die Elitenbildungen und schlieszliglich auch den Elitenwechsel beeinflussen Daher ist jeder Versuch eine allgemeinguumlltige Typologie des Elitenwechsels zu formulieren aumluszligerst problematisch Dennoch sollen im

66 ANNELIE Ure GABANYI Rumaumlnien Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 1996 In Suumldostshy

europa 46 (1997) S 119 67 Von einer unterschiedlichen Intensitaumlt der kommunistischen Herrschaft kann man bei genauer

Betrachtung der einzelnen ost- und suumldosteuropaumlischen Laumlndern durchaus sprechen Die vershyschiedenartige Durchsetzung sowjetischer Ideen im politischen und wirtschaftlichen Bereich legt eine Unterscheidung in dieser Hinsicht nahe Der vergleichsweise groszligzuumlgigen innenshypolitischen Freiheit im soziali~tischen Ungarn steht als Kontrast die restriktive rumaumlnische oder bulgarische Innenpolitik gegenuumlber Dem hohen Anteil privatwirtschaftlich genutzer Agrarshyflaumlche in Polen steht die verstaatlichte Landwirtschaft Rumaumlniens gegenuumlber

SbgSembll I1 (1997) 1-2

149 148 RALF THOMAS GOumlLLNER

folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

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RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

SbgSembll1l (1997) 1middot2

ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Page 10: ELlTENKONTINUITÄTODER ELlTENWECHSEL IN RUMÄNIEN 131 … · 2015-07-15 · 132 . RALF THOMAS GÖLLNER. Securitate-Generals Pacepa - ein Studienkollege des späteren sowjetischen

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folgenden einige Uumlberlegungen zur Typologisierung des rumaumlnischen Staatspraumlshysidenten Ion Iliescu - der als raquoMischtyplaquo bezeichnet wird68

- an~estellt werden Wird die Einteilung der Praumlsidententypen wie sie Pradetto69 vorschlaumlgt in

raquoUumlberlebendelaquo raquoRefonnerlaquo raquoWendehaumllselaquo raquoFachleutelaquo und raquoOpposishytionellen- und Dissidententyplaquo zugrundegelegt so wird deutlich daszlig die Charakterisierung als raquoMischtyplaquo richtig aber wenig zufriedenstellend ist Ein sogenannter raquoUumlberlebenderlaquo oder auch ein raquoDissidentlaquo ist charakterisiert durch eine raquoWeltanschauung und politische Betaumltigung [infolgedessen er] vom Regime bedraumlngt wurdelaquo70 Eine oppositionelle Taumltigkeit Dissidententum oder der voumlllige Ruumlckzug aus der Politik sind weitere Merkmale dieser Gruppe Vershygleicht man diese per definitionem vorfonnulierten Kennzeichen mit der Bioshygraphie Iliescus so stellt man fest daszlig diese Kategorie nicht zutreffen kann Zwar beansprucht Iliescu diesen Status eines raquoBedraumlngtenlaquo der wegen seiner Weltanschauung verfolgt wurde Doch bestand diese sogenannte Verfolgung shywie eingangs gezeigt - nicht in dem Verlust persoumlnlicher oder materieller Sicherheit sondern lediglich in einer Stagnation und - gegen Ende der Aumlra Cea~escu - einem kleinen Abstieg in der Kaderhierarchie Seine Weltanshyschauung problematisch im Rumaumlnien des Nicolae Ceausectescu haumltte in den wenigsten anderen kommunistischen Staaten zu einerraquoVerfolgunglaquo gefuumlhrt

Mit dem Begriffstypus eines raquoRefonnerslaquo ist die Vorstellung einer Person verbunden die in einem kommunistischen System ausgestattet mit weitshyreichenden Machtbefugnissen aktiv an der Transfonnation des System hin zu einer demokratischen Ordnung wirkt Fuumlr Iliescu gilt diese Kategorie nur unter bestimmten Einschraumlnkungen Das rumaumlnische politische System war nicht mit den anderen kommunistischen Ordnungen vergleichbar und es waumlre raquoschon ein relativer Fortschritt [im Sinne einer Refonn Anm D Verf] gewesen wenn man [ ] zur Nonnalitaumlt des realen Sozialismus haumltte zuruumlckkehren koumlnnenlaquo71 Das bedeutet daszlig Iliescu aus der Sicht des ancien regime durchaus ein Refonner war aus der Perspektive einer offenen Gesellschaft jedoch nicht da anfanglieh nicht die Demokratisierung das Ziel war sondern die Einfuumlhrung eines refonnierten sozialistischen Systems unter Beibehaltung der Nomenklatur und deren politischem Apparat Wuumlrde der Begriff des raquoRefonnerslaquo so weit gefaszligt und jeden beschreiben der nur eine Veraumlnderung des politischen Systems anstrebt wuumlrde der Tenninus seiner eigentlichen Bedeutung beraubt werden

6szlig AUGUST PRADETTO Die neue Praumlsidentengeneration im Postkomrnunismus In Orro LUCHTERHAND [HgI Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS Probleme der Ausshybildung stabiler Machtinstitutionen Berlin 1996 S 187

69 PRADETToaa0S181-216 70 PRADETTO liaO S 187 71 WAGNER aaO S 23

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ELITENKONTINUlTAuml T ODER ELlTENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

Der raquoWendehalslaquo ist bestimmt durch die fehlende Kritik am kommushynistischen System an dem er Teilhaber war und durch die Wendung vom Kommunismus zum Nationalismus72

bull In Rumaumlnien gehoumlrten Kommunismus und Nationalismus bereits seit den sechziger Jahren zur politischen Kultur und daher kann bei einer politisierung der nationalen Identitaumlt des Mehrheitsvolkes nicht von einer Wende gesprochen werden Sie stellt vielmehr eine Kontinuitaumlt in den Methoden des vorherigen Systems dar

Ebensowenig kann Iliescu als raquoFachmannlaquo charakterisiert werden da deren raquopolitisches Credo - Marktwirtschaft Demokratie Unabhaumlngigkeit - [ ] aus der Afftnitaumlt zur modemen und efftzienten Gesellschaften zu resultierenlaquo73 scheint Zudem kennzeichnet einen Fachmann-Praumlsidenten eine vorangeshy

gangene Karriere auszligerhalb der Politik Wenn der ehemalige rumaumlnische Staatspraumlsident Iliescu typologisch erfaszligt

werden soll ist es notwendig die politische Elite im rumaumlnischen System vor dem Umbruch kurz zu beleuchten Das von Ceausectescu gepraumlgte Regime Rumaumlniens war eines der restriktivsten Systeme in Ost- und Suumldosteuropa und seine Rallmenbedingungen lieszligen fuumlr die Entwicklung einer buumlrgerlichen Gesellschaft einer raquocivil societylaquo keinen Raum Aufgrund der Wechselshywirkung zwischen der politischen Kultur - das heiszligt im rumaumlnischen Fall die fehlende demokratische Tradition - und der geringen Ausdifferenzierung des politischen Systems und seiner Eliten konnte sich keine Gegenelite und keine treibende Kraft herausbilden die einen Systemwandel auszligerhalb der raquoruling elitelaquo haumltte durchfuumlhren konnte ein evolutionaumlrer paktierter oder auch ein bruchartiger Elitenwechsel wie er in den ostmitteleuropaumlischen Staaten stattshyfand war demnach nicht moumlglich Selbst innerhalb der Kommunistischen Partei war die Ausdifferenzierung der politischen Kultur gering so daszlig sich auch hier keine echten refonnerischen Positionen entwickeln oder gar durchsetzen konnten Somit konnte der System wechsel nur aus der raquorullng elitelaquo erfolgen und hier nur durch eine Teilelite die starke private Orientierungen hinsichtlich Machterhalt bzw Machtausweitung hatte die Groumlszlige der eliteninternen Opposhysition einschaumltzen konnte und die repressive Staumlrke der Elite im Zentrum der Macht kannte74 Wie oben gezeigt gehoumlrte Iliescu zu dieser Gruppe deren Ziel weniger eine Demokratisierung nach westlichem Verstaumlndnis sondern eine Reformierung des sozialistischen Systems aumlhnlich wie sie Gorbatschow in der

Sowjetunion initiiert hatte

72 PRADETTO aIiO S 196 73 PRADETTO aaO S 199 74 Vg1 zum problem der Peneptionen FRITl PLAsSER PETER A ULRAM Peneptionen der Demoshy

kratisierung in Ost-Mitteleuropa Vorlaumlufige Anmerkungen In PETER GERUCH FRITZ PLASSER PETER A ULRAM [Hg RegimewechseL Demokratisierung und politische Kultur in

Ost-Milteleuropa Wien ua 1992 S 391-393

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RALF THOMAS GOumlLLNER

Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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Aus dem bisher erwaumlhnten ergibt sich daszlig die Typologisierung des eheshymaligen rumaumlnischen Staatspraumlsidenten auf zwei Interpretationsebenen erfolgen muszlig Zum einen aus der gesamteuropaumlischen Perspektive die den Praumlsidentenshytyp im Vergleich zu denjenigen in den anderen ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas charakterisiert zum anderen aus dem raquoinnerenlaquo rumaumlshynischen Blickwinkel Verglichen mit Staatspraumlsidenten wie Vaclav Havel Aumlrpaumld Goumlncz oder auch Michael Gorbatschow wirkt Iliescu eher wie ein politischer raquoRestitutorlaquo mit reformerischen Zuumlgen dessen Intentionen auf dem direkten Vergleich des rumaumlnischen mit einem idealisierten von Gorbatschow vorgepraumlgten moskowitischen Systems beruhen Betrachtet man seine shymanchmal widerspruumlchlichen - Absichtserklaumlrungen der ersten nachrevolutioshynaumlren Zeit so erscheint er weniger eine Demokratisierung oder grundlegende Transformation des politischen System erfolgt zu haben denn eine Beseitigung der pejorativen Elemente des politischen Systems das durch Ceau~escu gepraumlgt war Dabei erwies er sich jedoch als weniger ideologisch unnachgiebig sondern mehr als machtorientierter Pragmatiker der sich und die ihm treue Elite der Bevoumllkerung - insbesondere dem rumaumlnischen Anteil der Landbevoumllkerung aber auch den wenig demokratisch orientierten Gruppen75

- weiterhin als raquoruling elitelaquo empfehlen wollte Zweifellos haumltte er die Moumlglichkeit gehabt die Demokratisierung wie sie letztendlich dennoch erfolgt ist laumlnger hinauszushyzoumlgern Daszlig dies nicht geschehen ist kann sowohl auf die Sogwirkung der Demokratisierung in den ostmitteleuropaumlischen Staaten als auch auf die intershynationale Aufmerksamkeit zuruumlckgefuumlhrt werden die dem Transformationsshyprozeszlig im allgemeinen entgegengebracht wurde Inwieweit die innerrumaumlnische Machtkonstellation eine nachhaltige Verzoumlgerung oder Verhinderung des Systemwandels uumlberhaupt noch zugelassen haumltte kann zum gegenwaumlrtigen Zeitpunkt nicht bestimmt werden

Aus der rumaumlnischen Perspektive muszlig das WirkenJliescus in zwei Perioden eingeteilt werden Erstens fuumlr die Zeit vor der Revolution und zweitens von der Revolution selbst bis zu seiner Abloumlsung als Staatspraumlsident Fuumlr die Periode bis zum Dezember 1989 trifft fuumlr seine Charakterisierung der Begriff eines Reshyformers mit oben genannten Einschraumlnkungen zu Interessanter ist jedoch die zweite Periode die von den revolutionaumlren Ereignissen gepraumlgt ist Am Anfang des System wandels stand nicht die schrittweise Etablierung reformerischer Maszlignahmen und deren Durchsetzung gegen den Widerstand einer reformshyunwilligen Gruppe der raquoruling elitelaquo sondern eine Revolution Dadurch ergab sich die merkwuumlrdige Situation daszlig ein Reformer durch ein so umwaumllzendes Ereignis wie eine Revolution raquoentstanden i~tlaquo oder raquogeschaffen wurdelaquo und ein

75 Diese Unterscheidung beruht einerseits auf den von lIiescu erzeilten Wahlergebnissen anhand deren deutlich wird daszlig er die Landbevoumllkerung in einem groumlszligeren maszlige fuumlr sich mobilisieren konnte als die Stadtbevoumllkerung Andererseits verdeutlicht die oben beschriebene widernatuumlrshyliche Allianz daszlig er sich auch mit den nationalistischen Gruppen verstaumlndigen konnte

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ELiTENKONTINUlTAuml T ODER ELITENWECHSEL IN RUMAumlNIEN

System vorfand das nicht erst schrittweise reformiert sondern - Uumlberspitzt ausshygedruumlckt neu geschaffen werden muszligte Selbstverstaumlndlich beschraumlnkten die tradierten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Handlungsshymoumlglichkeiten doch ist dieser Aspekt bei dem Versuch Iliescu zu typologisieren von groszliger Bedeutung Dadurch befmdet er sich auszligerhalb der uumlblichen Rahmenbedingungen die fuumlr die uumlbrigen osteuropaumlischen Praumlsidententypen

geltenHierbei stellt sich auch die Frage ob eine Typologisierung im gesamtshy

europaumlischen Kontext uumlberhaupt moumlglich und sinnvoll ist und ob nicht ausshyschlieszliglich die rumaumlnischen gesellschaftlichen und politischen Spezifika als Grundlage gelten sollten Diese Aufgabe kann jedoch erst geloumlst werden wenn die genauen Vorgaumlnge waumlhrend und kurz nach der Revolution vollstaumlndig geklaumlrt sind und die Bedeutung der Akteure der ehemaligen raquoruling elitelaquo waumlhrend der Dezemberereignisse untersucht werden kann Zudem muumlssen dann die Handlungsmoumlglichkeiten der neuen Elite nach dem Tod Ceausectescus analysiert werden und anband der Alternativen sollte sich zeigen inwieweit die getroffenen Entscheidungen die Etablierung einer raquocivil societylaquo verzoumlgert oder

vielleicht erst ermoumlglicht haben

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