en. Studienskript.... 5 Inhaltsverzeichnis Lektion 3 Aussagen und Fragestellungen 41 3.1...

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www.iubh-fernstudium.de Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Studienskript. Betriebswirtschaftslehre (B. A.)

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    Einführung in das wissenschaftlich

    e Arbeiten.

    Studienskript.Betriebswirtscha

    ftslehre (B. A.)

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    Inhalt

    © 2011 Internationale Hochschule Bad Honnef GmbHDieser Lehrbrief ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieser Lehrbrief darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Internationalen Hochschule Bad Honnef nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbrei-tet werden.

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    Herausgeber: Internationale Hochschule Bad Honnef · BonnInternational University of Applied SciencesFernstudiumZenostr. 683435 Bad Reichenhall

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    Dr. Eva Maria Bäcker

    Wissenschaftliche Leitung

    Dr. Eva Maria Bäcker studierte nach ihrer Hotelausbildung im Hilton-Konzern in München an der Ludwig-Maximilians-Universität Soziologie, Arbeits- u. Organisationspsychologie und Ethnologie (Diplom 1998). Ergänzend absolvierte sie bis 2002 den Weiterbildungsstudiengang KulturTourismus&EventManagement an der Fernuniversität Hagen. Nach ihrem Studium war Eva Maria Bäcker als Unternehmensberaterin in Köln im Bereich „Unternehmensnachfolge“ tätig.

    In ihrer Dissertation forschte sie über Identitäten von Familienunter-nehmern. Eva Maria Bäcker war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung der FernUniversität Hagen (2008-2011). Bäcker nahm 2005 an der Summer School for Women Graduate Researchers in Graz teil.

    Im Rahmen von Forschungsprojekten befasst sich Eva Maria Bäcker mit empirischer Bildungsforschung, Kompetenzerfassungsmodellen und internationaler Fernstudienforschung. Insbesondere liegt ihr Fokus auf der

    Betreuung von Online-Studierenden und didaktischen Grundlagen des internetbasierten Lernens. Sie ist zerti-fizierte Tele-Tutorin. Ihre Kenntnisse in „Web Pedagogies“ vertiefte sie an der Harvard University Extension School. An der Internationalen Hochschule Bad Honnef ist Eva Maria Bäcker für die Betreuung von Online-Modulen im „Bachelor of Arts Fernstudium Betriebswirtschaft“ zuständig.

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    Inhalt

    InhaltsverzeichnisEinführung in das wissenschaftliche Arbeiten

    Wissenschaftliche Leitung .......................................................................... 3

    Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ 4

    EinleitungEinführung in das wissenschaftliche Arbeiten 9

    Wegweiser durch das Skript .......................................................................10

    Übergeordnete Lernziele ............................................................................12

    Weiterführende Literatur ...........................................................................13

    Lektion 1Was ist Wissenschaft? 15

    1.1 Wissenschaft als methodisch geregeltes Erkenntnissystem ..........16

    1.2 Wissenschaft als soziales System .....................................................19

    1.3 Systematik der Wissenschaft?.......................................................... 22

    Lektion 2Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie 27

    2.1 Die naturwissenschaftliche Tradition ............................................... 28

    2.2 Karl Popper und der Kritische Rationalismus ................................. 30

    2.3 Probleme des Falsifikationismus ..................................................... 35

    2.4 Max Weber und der Werturteilsstreit ............................................... 37

    2.5 Wertfreiheit und der Positivismusstreit ........................................... 38

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    Inhaltsverzeichnis

    Lektion 3Aussagen und Fragestellungen 41

    3.1 Wissenschaftliche Aussagen und das Kriterium der Über- ............ 42

    3.2 Einige Begrifflichkeiten ..................................................................... 44

    3.3 Von der Problematik zur Fragestellung ........................................... 46

    Lektion 4Die Rezeption wissenschaftlicher Texte 51

    4.1 Aktives Lesen: Problematik, Fragestellung und Hypothese............ 52

    4.2 Die Gliederung erfassen und verstehen ........................................... 54

    4.3 Das Herausfiltern der Argumente .................................................... 56

    4.4 Auf das achten, was nicht gesagt wurde .......................................... 57

    Lektion 5Überblick über die wissenschaftlichen Textgattungen 59

    5.1 Das Protokoll ..................................................................................... 60

    5.2 Das Thesenpapier ............................................................................. 60

    5.3 Das Übungsblatt................................................................................ 60

    5.4 Die wissenschaftliche Arbeit ............................................................61

    5.5 Die Rezension ................................................................................... 62

    5.6 Das Skript .......................................................................................... 62

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    Inhalt

    Lektion 6Abstract vs. Exzerpt 65

    6.1 Zwei weitere Textgattungen: das Abstract und das Exzerpt ............ 66

    6.2 Im Spannungsfeld zwischen Abstract und Exzerpt: eigene ..............67

    Lektion 7Das Referat 71

    7.1 Themenfindung und Themenabgrenzung......................................... 72

    7.2 Recherche ..........................................................................................74

    7.3 Eine Gliederung entwickeln ...............................................................76

    7.4 Die Kernbotschaft ............................................................................. 78

    Lektion 8Die Diskussion 81

    8.1 Der Kontext des Vortrags ................................................................. 82

    8.2 Die Moderation einer Diskussion ...................................................... 83

    8.3 Die Online-Diskussion ...................................................................... 85

    8.4 Feedback ........................................................................................... 86

    Lektion 9Zuhörerzentrierung und Präsentationstechniken 89

    9.1 Der Verantwortungsbereich ............................................................ 90

    9.2 Die verschiedenen Lernkanäle bedienen ......................................... 90

    9.3 Üben, üben, üben – Regeln für den mündlichen Vortrag ..................94

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    Lektion 10Die schriftliche Arbeit 97

    10.1 Die Bibliothekskataloge ................................................................... 98

    10.2 Sonstige Quellen ..............................................................................102

    10.3 Die Onlinerecherche ........................................................................103

    10.4 Literaturverwaltung .........................................................................104

    Lektion 11Von der Leitfrage zur Gliederung 107

    11.1 Das Deckblatt ...................................................................................108

    11.2 Die Einleitung ...................................................................................109

    11.3 Der Hauptteil ....................................................................................110

    11.4 Der Schluss ......................................................................................113

    Lektion 12Zitieren und Quellenangaben 115

    12.1 Formale Kriterien für den Schreibstil ............................................. 116

    12.2 Das direkte Zitat ............................................................................... 117

    12.3 Das indirekte Zitat ............................................................................118

    12.4 Die Fußnote ......................................................................................119

    12.5 Das Quellenverzeichnis .................................................................... 119

    12.6 Der Umgang mit grauer Literatur ...................................................121

    12.7 Quellenbelege im Text .....................................................................123

    Anhang 01Literaturverzeichnis 125

  • Einleitung

    Einführung in das wissenschaftlich

    e Arbeiten

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    Einleitung

    Wegweiser durch das Skript

    Herzlich willkommen!

    Dieses Skript enthält den gesamten Lernstoff Ihres Kurses und bildet damit die inhaltliche Grundlage Ihres Fernstudiums. Ergänzend zum Skript stehen Ihnen zahlreiche weitere Medien wie Podcasts, Vodcasts oder Web Based Trainings (WBT) zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntypspezifische Anforderungen Rücksicht nehmen.

    Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. Auf diese Weise können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissensgrundstock hinzufügen.

    Am Ende eines jeden Lernzyklus finden Sie Fragen zur Selbstkontrolle. Mit Hilfe der Selbst-kontrolle können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Die Lösungen zu den Fragen finden Sie auf der Lernplattform CLIX.

    Wenn Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen in CLIX unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, sobald Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben.

    Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests so oft wiederholen, wie Sie wollen. Es gibt keinerlei Beschränkungen und die Ergebnisse der Wissenskontrolle haben kei-nen Einfluss auf Ihre Endnote. Sie können also ganz unverkrampft lernen, üben und Ihre Fortschritte elektronisch überprüfen.

    Haben Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert, gilt der Kurs als abge-schlossen. Sobald Sie alle Kurse eines Moduls abgeschlossen haben, können Sie sich für die Abschlussklausur anmelden.

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    Im Skript werden Sie immer wieder auf Icons stoßen, die auf zusätzliches Material hinweisen oder Ihnen die Orientierung erleichtern. Diese Icons umfassen:

    Zu diesem Thema gibt es einen Podcast. Sie finden ihn auf der Lernplattform CLIX.

    Zu diesem Thema gibt es einen Vodcast.Sie finden ihn auf der Lernplattform CLIX.

    ? Prüfen Sie Ihren Wissensstand!Hier finden Sie Fragen zur Selbstkontrolle.! Jetzt sind Sie gefordert. Hier gilt es, eine Aufgabe zu lösen.

    eDieser Text ist auch als E-Book erhältlich.

    Für diese Lektion gibt es ein WBT.Sie finden es auf der Lernplattform CLIX.

    CLIXSie haben die Lektion fertig bearbeitet. Nun ist es an der Zeit, auf der Lernplattform CLIX die Wissenskontrolle zu meistern und sich für die Klausur zu qualifizieren.

    Und jEtzt viEL ErfoLg Und SpASS BEim LErnEn!

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    Einleitung

    Übergeordnete Lernziele

    Im Kurs Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten erlernen Sie die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens. Hierzu gehört es, sich zunächst einmal mit der Definition von „Wissen-schaft“ zu beschäftigen. Anschließend lernen Sie einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie kennen wie etwa den Kritischen Rationalismus oder das Problem der Falsifikation. Mit der Technik des aktiven Zuhörens beginnt im Anschluss der praktische Teil dieses Kurses. Sie lernen hier, wissenschaftliche Texte so zu rezipieren, dass Sie den größtmöglichen Gewinn daraus ziehen. Des weiteren erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten wissenschaft-lichen Textgattungen.

    Um Ihrer eigenen wissenschaftlichen Karriere eine solide Basis zu geben, erlernen Sie anschließend die wichtigs-ten Recherchetechniken. Des weiteren erfahren Sie, wie Sie einen Vortrag vorbereiten und halten und wie Sie eine schriftliche Arbeit planen, gliedern und schreiben. In diesem Zusammenhang wird Ihnen auch vermittelt, welche formalen Vorgaben für wissenschaftliche Texte üblich sind. Nach Abschluss dieses Kurses werden Sie in der Lage sein, selbstständig Forschungsarbeit zu leisten und Ihre Ergebnisse in wissenschaftlichen Arbeiten festzuhalten bzw. in Referaten vorzutragen.

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    Falls Sie tiefer einsteigen wollen, empfehlen wir die folgende Fachliteratur:

    Barthel J. (1997): Wissenschaftliche Arbeiten schreiben in den Wirtschaftswissenschaften, Berliner-Wissenschafts-Verlag, ISBN 3-87061-526-5. Eco, U. (1977): Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt, 13. Auflage 2010, UTB Uni-Taschenbü-cher Verlag, ISBN 978-3-8252-1512-5. Jele, H. (1999): Wissenschaftliches Arbeiten in Bibliotheken: Einführung für Studierende, vollständig überarbei-tete und erweiterte Ausgabe 2003, ISBN 978-3-4862-7327-4. Kornmeier M. (2007), Wissenschaftstheorie und Wissenschaftliches Arbeiten, Eine Einführung für Wirtschaftswis-senschaftler, Physica, Heidelberg, ISBN 978-3-7908-1918-2. Prechtl, P. (Hrsg.) / Burkhard, F. (Hrsg.) (2008): Metzlers Philosophie Lexikon: Begriffe und Definitionen, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, Metzler Verlag 2008, ISBN 978-3-4760-2187-8. Rössl D. (2008): Von der Themensuche zur Begutachtung, In: Die Diplomarbeit in der Betriebswirtschaftslehre, 4. Auflage, Facultas Verlag, ISBN 978-3-7989-0247-0. Theisen, M. (2011): Wissenschaftliches Arbeiten: Technik – Methodik – Form, 15. Auflage 2011, Vahlen Verlag, München, ISBN 978-3-8006-3830-7.

    Weiterführende Literatur

  • Lektion 1

    Was ist Wissenschaft?

    LErnziELE

    Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen ...

    … was „Wissenschaft“ eigentlich ist.

    … welche Werte und Leitideen es in der Wissenschaft gibt.

    … wie man unwissenschaftliches Arbeiten entlarvt.

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    Lektion 1

    Aus der Praxis

    1. Was ist Wissenschaft?

    Anfang 2011 führte die sogenannte „Plagiatsaffäre“ zum Rücktritt des deutschen Ver-teidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, dem bis dahin große Chancen auf eine erfolgreiche Kanzlerkandidatur eingeräumt worden waren. Den Hintergrund der Affäre bildete der durch zahlreiche Indizien belegte Vorwurf, zu Guttenberg habe bei der Anfertigung seiner Doktorarbeit gegen die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens verstoßen. Es soll hier keinesfalls um eine politische Bewertung dieses Vorgangs gehen. Bemerkenswert ist vielmehr die Tatsache, dass die „Plagiatsaffäre“ zum Rücktritt eines politischen Hoffnungsträ-gers führte. Dieser Vorfall zeigt, dass in unserer Gesellschaft ein bis heute wirksamer Konsens über die Autorität der Wissenschaft existiert. Dieser Konsens hat sich über Jahrhunderte entwickelt und ist im gesellschaftlichen Wertesystem so tief verankert, dass ein Verstoß gegen die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens als tiefgreifende Verfehlung begriffen wird.

    1.1 Wissenschaft als methodisch geregeltes Erkenntnissystem Bevor wir uns mit den handwerklichen Aspekten des Wissenschaftlichen Arbeitens wie etwa Zitierregeln oder Fußnoten befassen, wollen wir zunächst die Frage nach dem eigentlichen Wesen der Wissenschaft stellen. Was ist eigentlich die Kernidee von Wissenschaft?

    Stellen wir uns dazu folgendes Szenario vor: Ein fiktiver junger Wissenschaftler trifft an einem Frühlingstag seinen Nachbarn am Gartenzaun und ruft aufgeregt: „Hallo Nachbar, schön Dich zu sehen. Stell Dir vor, ich habe dieses und jenes herausgefunden. Eine spannende Entdeckung, das Ganze! Ich fände es gut, wenn wir uns darauf einigen könnten, diese Erkenntnis von nun an als „wahr“ zu bezeichnen.“

    Der Nachbar ist ein eher skeptischer Mensch. Allerdings ist er nicht ein-gebildet und von daher durchaus in der Lage, eine persönliche Niederlage einzugestehen. Da er die skeptische Art seines Nachbarn gut kennt, sagt der junge Wissenschaftler daher:

    „Du glaubst mir womöglich nicht. Aber das, was ich Dir gesagt habe, stimmt wirklich! Du musst ja mir persönlich keinen Glauben schenken. Weißt Du was? Ich erkläre Dir einfach, wie ich auf meine Entdeckung gekommen bin. Ich weise Schritt für Schritt nach, was ich gemacht habe. Dann kannst Du es selber auf die gleiche Weise nachmachen, nachbauen und nachvollziehen. Ich wette, Du wirst zu dem gleichen Ergebnis kommen wie ich."

    Plagiatsaffäre

  • www.iubh-fernstudium.de17

    Was ist Wissenschaft?

    Damit sollte es dem mürrischen Nachbarn recht schwer fallen, sich der Erkenntnis zu verweigern. Prüft er nun tatsächlich Schritt für Schritt die Arbeit des jungen Wissenschaftlers nach, wird er vermutlich am Ende zum gleichen Fazit gelangen wie dieser.

    Dieses fiktive Gespräch am Gartenzaun enthält bereits eine ganze Menge bemerkenswerter Aspekte: In der Wissenschaft geht es zunächst darum, Erkenntnisse zu gewinnen („Ich habe etwas herausgefunden“). Die Gültigkeit dieser Erkenntnisse wird aber keinesfalls aus einer persönlichen Autorität abge-leitet („Es ist meine persönliche Überzeugung, dass ...“) Auch gibt es in der Wissenschaft keinen privilegierten Zugang zu einer übergeordneten Wahrheit.

    Im Gegenteil: Die Gültigkeit einer Erkenntnis wird in der Wissenschaft alleine dadurch abge-leitet, dass sie durch das Anwenden einer Methode gewonnen wurde, die jedem gleichermaßen offensteht. Man sagt daher auch: die Methode ist „unpersönlich“. Den Wesenskern der Wissenschaft könnte man also mit dem folgenden Satz ausdrücken: „Wenn Du mir nicht glaubst, dann prüf‘ es eben selber nach“. Demnach lautet eine erste brauchbare Definition von Wissenschaft:

    Wissenschaft ist ein methodisch unpersönliches Erkenntnissystem.

    „Wissenschaftlich“ wird eine Erkenntnis also alleine dadurch, dass sie auf Grundlage einer bestimmten Methode gewonnen wurde, die unabhängig von der forschenden Person ist. Die Erkenntnisinhalte selbst stellen kein Kriterium für Wissenschaftlichkeit oder Unwissenschaft-lichkeit dar. Die Aussage „Es gibt Ufos.“ ist also nicht per se unwissenschaftlich. Würde eine unpersönliche Methode existieren, um die Existenz von Ufos zu beweisen, könnte die Aussage zur wissenschaftlichen Erkenntnis werden. Die Regeln der Wissenschaftlichkeit setzen also an der unpersönlichen Methode an. Daher kann man auch sagen:

    Wissenschaft ist ein methodisch geregeltes Erkenntnissystem.

    In der Definition von Wissenschaft als methodisch geregeltem Erkenntnissystem schwingt ein weiterer Punkt mit: Wissenschaft beansprucht in keiner Weise für sich, das einzige mögliche Erkenntnissystem zu sein. Die Wissenschaft behauptet noch nicht einmal, das beste Erkennt-nissystem zu sein. Eine Abwertung anderer Erkenntnissysteme wie etwa der Intuition oder religiöser Privatoffenbarungen erfolgt durch die Wissenschaftsdefinition nicht. Wissenschaft kann höchstens feststellen, ob sie eine bestimmte Erkenntnis eines anderen Erkenntnissystems unterstützt, ob sie dazu konträre Erkenntnisse besitzt oder ob sie schlichtweg zu einer Frage keine Aussagen machen kann.

    In der Wissenschaft werden Erkenntnisse gewonnen.

    Hierfür werdenunpersönliche Methodenangewandt.

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    Lektion 1

    Wir haben bisher bewusst den Begriff der „Wahrheit“ vermieden, weil dieser Begriff in seiner naiven Alltagsbedeutung (Wahrheit = das, was Fakt ist) für die Sozialwissenschaften im Allge-meinen und die Betriebswirtschaftslehre im Speziellen unangemessen ist. Diese Einschätzung wird sich im späteren Verlauf dieses Kurses klarer abzeichnen. In einer ersten Annäherung sollten wir den Begriff „Wahrheit“ daher ersetzen durch den Begriff der „intersubjektiven Transmissibilität“ (zwischen Personen übertragbar). Dieser etwas sperrige Ausdruck bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass eine methodisch geregelte Erkenntnisgewinnung unpersön-lich ist und Forschungsergebnisse daher von allen geteilt werden können - sogar von mürrischen Nachbarn. Intersubjektive Transmissibilität ist also ein Zwischending zwischen Subjektivität und Objektivität/Wahrheit. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen nicht zwangsläufig „wahr“ sein. Tatsächlich stellen sie sich hin und wieder als falsch heraus. Aber sie sind immer zumindest intersubjektiv transmissibel.

    Da der Begriff der „intersubjektiven Transmissibilität“ sehr unbequem auszusprechen ist, wird in der Praxis weiterhin von „Wahrheit“ gesprochen. Gemeint ist damit dann aber nicht die naive Vorstellung von der Wahrheit als dem, was Fakt ist (Ontologie), sondern Wahrheit als das, was intersubjektiv transmissibel ist.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Was unterscheidet Wissenschaft von Religion?

    Religion und Wissenschaft handeln immer von völlig unterschiedlichen Gegenständen. o Richtig o Falsch

    Religion verfährt bei der Erkenntnisgewinnung im Gegensatz zu Wissenschaft unpersön-lich.

    o Richtig o Falsch

    Wissenschaft verfährt bei der Erkenntnisgewinnung im Gegensatz zur Religion unpersön-lich.

    o Richtig o Falsch

    2. Was heißt Ontologie? Ontologie ist ein Synonym für Subjektivität

    o Richtig o Falsch

    Ontologie ist die Lehre vom Seienden, also dem, was faktisch ist. o Richtig o Falsch

    Ontologie ist die Lehre von dem, was man meint zu wissen. o Richtig o Falsch

    Intersubjektive Transmissibilität =Forschungsergeb-nisse sind nicht unbedingt "wahr", aber durch ein unpersönliches methodisches Erkenntnissystem generiert.

    ?Prüfen Sie Ihren WissensstandMusterlösungen befinden sich auf der Lernplattform CLIX.

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    Was ist Wissenschaft?

    3. Was charakterisiert Wissenschaft? Ontologie

    o Richtig o Falsch

    Methode o Richtig o Falsch

    Erkenntnisinhalte o Richtig o Falsch

    1.2 Wissenschaft als soziales System Nicht alle Methoden, die sich regelhaft darstellen lassen, werden in der Wissenschaft angewendet. Vielmehr gibt es je nach Fach oder Jahrzehnt und teilweise sogar von Universität zu Universität einen unterschiedlichen charakteristischen Methodenkanon. Je nach Methodenmix entstehen folglich auch unterschiedliche Perspektiven auf die Dinge. Man spricht dann häufig von den verschiedenen Denkschulen. Wie gerät man in eine Denkschule hinein? Meistens wird man „hineingeboren“. Man schreibt sich an einer Universität ein und hört, was die Professoren und Professorinnen zu sagen haben, was und wie sie Dinge untersuchen und mit welchen Argumenten sie ihr Vorgehen verteidi-gen. Üblicherweise übernehmen die Studierenden den Methodenkanon, auf den sie stoßen, weitgehend unhinterfragt. Wissenschaft funktioniert in der Praxis also auch sehr stark durch Nachahmung.

    Dies führt zu einer weiteren Wissenschaftsdefinition, die zunächst ein wenig flapsig wirkt, aber dennoch ernst gemeint ist:

    Wissenschaft ist das, was an den Universitäten gemacht wird.

    Diese Definition legt den Finger auf einen wunden Punkt. Wissenschaft ist eben nicht aus-schließlich eine kognitive Tätigkeit, ein methodisch geregeltes System zur Erkenntnis-generierung, sondern immer auch „soziale Praxis“ im ganz banalen Sinne. Das wissenschaft-liche Treiben ist teilweise nur vor dem Hintergrund der sozialen Alltagswelt an den Universitäten zu verstehen, also von Gewohnheiten, persönliche Loyalitäten, dem aktuellen Zeitgeist, Konkurrenzdenken, Animositäten, forschungspolitischen Machtspielchen und vielem mehr. All dies beeinflusst die alltägliche Arbeit an den Universitäten und damit auch wissenschaft-liche Ergebnisse.

    An dieser Stelle sei beispielhaft auf den weit verbreiteten Streit zwischen qualitativ orientierter Methodik und quantitativ orientierter Methodik hingewiesen. Dieser Streit ist im Grunde eine Scheindebatte, die inhaltlich längst geklärt wurde. Wissenschaftstheoretisch steckt nichts wirklich Diskussionswürdiges dahinter. Dass die Grabenkämpfe zwischen den „Quantis“ und

    Unterschiedliche Methodenführen zu unter-schiedlichen Denkschulen.

    Wissenschafts-streitzwischen quantitativen und qualitativen Methoden.

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    Lektion 1

    „Qualis“ dennoch bis auf den heutigen Tag mit teils großer Vehemenz ausgetragen werden, hat vor allem mit der Eigenschaft von Wissenschaft als einem sozialen System zu tun. Worum geht es bei diesem Streit1¹?

    Im weiteren Sinne bezeichnet man mit quantitativ orientierter Wissenschaft all jene Bereiche, die stark mit den Mitteln der Mathematik arbeiten (beispielsweise mit algebraischen Formeln in der BWL und VWL oder statistischen Untersuchungen in der Psychologie). Im engeren Sinne meint man speziell das statistische Auswerten gesammelter Daten. Phänomene werden hierzu in ihrer Komplexität massiv reduziert, um sie in der Welt der Zahlen abbilden zu kön-nen. Dort werden durch Umformungen dann neue Kennzahlen generiert, die wiederum in sprachliche Aussagen zurückübersetzt werden. Quantitative Methoden sind meistens sehr algorithmisch. Das heißt, eine quantitative Methode gleicht einem „Kochrezept“, dessen Funktionsweise streng nach Schema F zum Ziel führt. Dahingegen arbeitet qualitativ orientierte Wissenschaft meistens weniger mathematisch-formalistisch. Statt eines streng funktionierenden Algorithmus muss die Methode während jeder Untersuchung angepasst und weiterentwickelt werden. Hierzu braucht es viel Finger-spitzengefühl, Kreativität und Erfahrung. Bekannte quantitative Verfahren sind beispielsweise das tiefenpsychologische Interview, Diskursanalysen oder gut gewählte Fallbesprechungen.

    Es existieren ganze Bibliotheken, die genau beschreiben, wie qualitative Untersuchungen methodisch korrekt betrieben werden müssen. Von daher sind qualitative Methoden hundert-prozentig wissenschaftlich. Bei korrekter Anwendung lösen sie den Anspruch der intersubjek-tiven Transmissibilität voll und ganz ein. Trotzdem führt das Fehlen klarer „Rezepte“ und ein gewisser Kreativitätsspielraum nicht selten zu einem gewissen Unbehagen, weil die Unpersön-lichkeit bzw. die Intersubjektivität der Forschungsergebnisse sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen. Quantitativ orientierte Forscher brandmarken diese Methoden daher gerne als „weich“ und übersehen dabei geflissentlich, dass beispielsweise auch die Statistik voller Heuristiken ist. (Heuristik = versuchshaft; im Rahmen der Mathematik nennt man eine Heuristik ein Vorgehen, dessen Richtigkeit nicht axiomatisch bewiesen werden kann, das aber in gewisser Weise als eine mehr oder weniger vernünftige Vorgehensweise angesehen wird.) Es gibt also auch in scheinbar „harten“ Bereichen wie der Statistik Spielräume, die nicht aus-schließlich durch Fakten belegt sind.

    Umgekehrt lautet der Vorwurf der qualitativ orientierten an die quantitativ orientierte For-schung, dass sie durch die schematische Anwendung von festgelegten Vorgehensweisen gar nicht empfänglich für die vielschichtigen Zwischentöne im Forschungsgegenstand ist und statt dessen jedem Forschungsgegenstand einen groben Algorithmus überziehe. Zudem wird angemerkt, dass eine Forschung, die Sinn verstehen und erklären will, mit quantitativen Methoden gar nicht betrieben werden kann. Zu guter Letzt wird der Vorwurf erhoben, dass quantitative Methoden die Forschenden dazu verleiten, weniger Selbstkritik als eigentlich angemessen walten zu lassen, da die Verantwor-tung weg von der forschenden Person hin zu den scheinbar „harten“ Beweisen und Algorith-men verlagert wird.

    1 Vergleiche hierzu auch Froschauer & Lueger (2008)

    Quantitative Methoden

    Qualitative Methoden

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    Was ist Wissenschaft?

    Befürworter der qualitativen Forschung übersehen dabei gelegentlich, dass besonders im Bereich der multivariaten Verfahren inzwischen eine Vielzahl teils sehr elaborierter Methoden existiert, mittels derer auch in einem quantitativ orientierten Forschungsprogramm gute Ergebnisse erzielt werden können.

    Was hat das mit unserer Überschrift „Wissenschaft als soziales System“ zu tun? Genährt wird der Gegensatz „qualitativ vs. quantitativ“ vor allem durch die Tatsache, dass hinter den beiden methodischen Orientierungen zwei gänzlich unterschiedliche Ausbildungswege stehen. Somit ist dieser „Methodenstreit“ im Wesentlichen dadurch zu erklären, dass die beiden Methoden-kreise von zwei wissenschaftlichen Gruppen getragen werden, die kaum Berührungspunkte zueinander haben. Diese beiden Gruppen haben oftmals schlichtweg ein interkulturelles Kom-munikationsproblem.

    Inhaltlich beruht der Streit qualitativ vs. quantitativ genaugenommen auf keinem realen Problem. Beide Methodenkreise haben ihre Daseinsberechtigung und ergänzen einander hervorragend. Dort, wo quantitative und qualitative Methoden gleichermaßen gut zum Zuge kommen, sind quantitative Methoden oft effizienter, genauer und weniger störanfällig. Aber quantitative Methoden können nur in sehr wenigen Bereichen korrekt eingesetzt werden, so dass mit qualitativen Methoden auch dann noch gearbeitet werden kann, wenn quantitative Methoden nicht mehr anwendbar sind. Wird hingegen ein bislang unerforschtes Feld betre-ten, wird man zunächst mit qualitativen Methoden auf Ideensuche gehen, bevor man dann mit quantitativen Methoden erste Vermutungen erhärten kann.

    Dieses Beispiel von einem Streitpunkt in der Wissenschaft soll zeigen, dass man immer im Hinterkopf behalten sollte, dass Wissenschaft sowohl ein kognitives Programm ist („Wissen-schaft als methodisch geregeltes Erkenntnissystem“), als auch eine soziale Praxis („Wissen-schaft ist das, was an den Hochschulen gemacht wird“). Auf diese Weise erscheinen viele wissenschaftliche Entwicklungen einleuchtender.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welche Aussage stimmt? Wissenschaft ist ein methodisch geregeltes Erkenntnissystem.

    o Richtig o Falsch

    Wissenschaft ist eine soziale Praxis. o Richtig o Falsch

    Der Streit zwischen qualitativen und quantitativen Methoden ist eine Scheindebatte.

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    Lektion 1

    2. Was versteht man unter quantitativen Methoden im engeren Sinne? Das Sammeln von Daten und die Auswertung von Daten mit Hilfe der Statistik.

    o Richtig o Falsch

    Das Bestimmen der wesensmäßigen Eigenschaften eines Forschungsgegenstandes. o Richtig o Falsch

    1.3 Systematik der Wissenschaft?Einheit der Wissenschaft?

    Wir haben bisher immer von DER Wissenschaft gesprochen. Wie aber sieht es mit der Auftei-lung der Wissenschaft in unterschiedliche Fächer und Disziplinen aus?

    Die Wirtschaftswissenschaft hat nur wenig Überschneidungsfläche mit der Veterinärmedizin. Die Biochemie hat von der Philologie keine Ahnung und formschöne Dinge aus der Welt der Theaterwissenschaften tauchen in der Welt der Mathematik höchstens noch als abstrakte Vek-toren auf. „Die Wissenschaft“, die man so gerne im Singular anspricht, „gibt es doch gar nicht!“, möchte man ausrufen.

    Selbst die Natur- und Strukturwissenschaften auf der einen Seite und die Geistes- und Sozial-wissenschaften auf der anderen Seite bilden bei näherer Betrachtung kaum mehr als Oberbe-griffe einer längst atomisierten Forschungslandschaft. Allein unter dem Begriff „Sozialwissen-schaften“ liest man auf Wikipedia von solch unterschiedlichen Disziplinen wie Anthropologie, Sportwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Religionswissenschaften, Psychologie, Medi-enwissenschaften, Pädagogik und Rechtswissenschaften. Zerfällt aber selbst die Sozialwissen-schaft dermaßen grundlegend in unterschiedliche Disziplinen, so kann man ebensogut den Standpunkt vertreten, nur diese Disziplinen seien real, und „die Sozialwissenschaft“ sei nur ein abstrakter Oberbegriff.

    Dabei muss man allerdings bedenken, dass die unterschiedlichen Disziplinen nicht einfach nur unterschiedliche Etikettierungen und Namensbezeichnungen sind. Vielmehr hat jede wis-senschaftliche Disziplin einen Forschungsgegenstand sowie eine bestimmte Art und Weise, diesen Forschungsgegenstand zu untersuchen.

    Im Falle der Wirtschaftswissenschaften ist dieser Forschungsgegenstand der menschliche Umgang mit knappen Gütern. Die Unterdisziplin „Betriebswirtschaftslehre“ tut dies unter der besonderen Berücksichtigung der elementaren Akteure, nämlich der Betriebe. Ihr Gegenstück, die VWL nimmt dagegen eher eine gesamtsystemische Perspektive ein. Die besondere Art und Weise der Gegenstandsbeleuchtung liegt im Falle der Wirtschaftswissenschaften im zugrunde-liegenden Menschenbild: dem des nutzenmaximierenden homo oeconomicus. Aber auch andere Wissenschaften können sich mit dem Thema der Güterknappheit aus-einandersetzen, etwa die Psychologie oder die Politologie. Die Art und Weise der Betrachtung ist hier aber eine völlig andere. In der Psychologie wird der Mensch weniger als eindimensionaler Nutzenmaximierer modelliert, sondern als vielschichtiges Wesen, das motiviert und getrieben

    Wissenschaftbesteht aus vielen Teildisziplinen.

    Jede Disziplinhat einen anderen Forschungsgegen-stand.

    UnterschiedlicheDisziplinenverwenden unter-schiedliche Methoden.

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    Was ist Wissenschaft?

    von Traditionen, Kultur und unbewussten Vorgängen handelt. Für die Politikwissenschaften ist der Mensch ebenfalls nicht ein reiner Nutzenmaximierer, sondern das Resultat seiner sozialen Rolle, also der homo sociologicus.

    Eingangs hatten wir Wissenschaft definiert als ein methodisch geregeltes Erkenntnissystem. Wie ist dann aber die von Fach zu Fach herrschende Methodenvielfalt zu bewerten? Das in den Fachdisziplinen angewandte Instrumentarium geht teilweise einher mit beachtlichen Scheu-klappen zu benachbarten Fächern.

    Für ein und denselben Forschungsgegenstand beanspruchen unterschiedliche Wissenschafts-bereiche Zuständigkeit und kommen mit teils unterschiedlichen Methoden zu unterschied-lichen Resultaten. So gilt es in Teilen der Ökonomie beispielsweise als erwiesen, dass der Mensch im Prinzip ein nutzenmaximierendes Wesen ist. Für die Psychologie stellt es sich dagegen so dar, dass der Mensch erwiesenermaßen KEIN nutzenmaximierendes Wesen ist. Ist „die Wissenschaft“ also verloren im Partikularismus ihrer Disziplinen und Fächer? Im Prinzip Jein. Auf der einen Seite gibt es starke, zentrifugale Kräfte, die die Wissenschaft zu zerreißen drohen. So gibt es beispielsweise Tagungen, auf denen etwa Betriebswirte und Juris-tinnen gewichtig aneinander vorbeireden. Andererseits sind aber in den vergangenen Jahren gerade jene integrativen Ansätze, im Rah-men derer mit viel Respekt, Neugierde und Taktgefühl fächerübergreifende Kooperationen gewagt wurde, die ergiebigsten Forschungsprojekte gewesen. Schließlich darf bei aller Verschiedenheit nicht übersehen werden, dass durch die gemeinsame Wissenschaftsgeschichte und der großen wissenschaftstheoretischen Debatten zumindest für die Sozialwissenschaften eine gemeinsame Klammer existiert. Wir werden diese in der nächs-ten Lektion kennenlernen.

    UnterschiedlicheMethodenführen zu unter-schiedlichen Resultaten.

  • www.iubh-fernstudium.de24

    Lektion 1

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welches Problem stellt heutzutage die größere Herausforderung für die Sozialwissen-schaft in ihrer Gesamtheit dar? Der Streit zwischen den BWL-Studenten und den VWL-Studenten.

    o Richtig o Falsch

    Der Streit um das richtige Menschenbild (homo oeconomicus sociologicus ...) und die daraus abgeleiteten methodischen Vorgehensweisen.

    o Richtig o Falsch

    Der Kulturstress bei interdisziplinären Forschungsvorhaben. o Richtig o Falsch

    2. Richtig oder falsch: der Methodenpluralismus stellt für die Sozialwissenschaften im Grunde in keiner Weise ein inhaltliches Problem dar, sondern ist ein rein soziales Problem im Umgang miteinander. Von Kommunikationsproblemen zwischen den Forschern abgesehen ist der Methodenpluralismus grundsätzlich eine Quelle inhaltlicher Bereicherung, die durch Interdisziplinarität angezapft werden kann.

    o Richtig o Falsch

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  • www.iubh-fernstudium.de25

    Was ist Wissenschaft?

    Zusammenfassung

    Mit dieser Lektion sollten Sie nun eine gewisse Sensibilität dafür bekommen haben, wo die Probleme in der Wissenschaft liegen. Wissenschaft stellt sowohl ein „geistiges Programm“ dar als auch eine soziale Praxis. Ein geistiges Programm ist es in dem Sinne, als dass ein methodisch geregeltes Vorgehen zur wissenschaftlichen Erkenntnis-gewinnung gefordert wird. Dieses methodisch geregelte Vorgehen ist derart zentral, dass es zur Definition von Wissenschaft herangezogen wird. Doch die Einheit der Wissenschaft wird durch die herrschende Methodenvielfalt infrage gestellt. Die Gründe für diesen Methodenpluralismus liegen nicht nur in den geistigen Bedingun-gen der einzelnen Disziplinen, sondern auch in ganz gewöhnlichen sozialen Prozessen an den Universitäten.

    Wissenskontrolle

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  • Lektion 2

    Einige Meilensteine

    der Wissenschaftstheorie

    LErnziELE

    Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen…

    … welche wichtigen Theorien der Wissenschaft zugrundeliegen.

    … was „Rationalismus“ bedeutet.

    … welche Probleme mit dem Falsifikationismus zusammenhängen

    … was „Positivismus“ bedeutet.

  • www.iubh-fernstudium.de28

    Lektion 2

    Aus der Praxis

    2. Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    Jede Wissenschaft hat einen Forschungsgegenstand. Wäre demnach eine Wissenschaft denk-bar, welche die Wissenschaft und damit sich selbst zum Gegenstand hat?

    Aber natürlich! Der Name dieser selbstreflexiven (auf sich selbst bezogenen) Wissenschaft lautet „Wissenschaftstheorie“. Obwohl die Wissenschaftstheorie organisatorisch meistens am Fachbereich „Philosophie“ angesiedelt wird, ist sie eine Art Querschnittsdisziplin, die für jedes Fach eine grundlegende Rolle spielt. Die Wissenschaftstheorie ist aber nicht nur ein Querschnittsaspekt aller Wissenschaften, sondern zugleich für sich genommen eine vollwertige Wissenschaft. Sie definiert ihren Forschungsgegenstand (und scheitert bei dem Versuch einer allgemeinbefriedigenden Definition von „Wissenschaft“), sie beobachtet als Wissenschaftssoziologie wie Wissenschaft funktioniert und welche Regeln und Zusammenhänge in ihr angewandt werden. Sie registriert und erklärt Änderungen, etwa in der Form der Wissenschaftsgeschichte. Aber sie ist auch eine normative (auf Normen und das Sein-Sollen bezogene) Wissenschaft, die Wertvorstellungen formuliert und damit erklärt, wie Wissenschaft zu funktionieren hat, was sie tun darf und was nicht. Sie unterscheidet graduell zwischen mehr oder weniger guten Methoden, identifiziert Probleme, Lücken und Widersprüche und diskutiert die Bedeutung und den Stellenwert einzelner Forschungsprogramme.

    Immer wieder, manchmal mit einem Abstand von einigen Jahrzehnten, kommen in der Wissenschaftstheorie große Fundamentaldebatten auf. Diskutiert wird dann meist darüber, was denn die richtige Art sei, Wissenschaft zu betreiben. Wir wollen im Folgenden eine Auswahl dieser Debatten betrachten.

    2.1 Die naturwissenschaftliche Tradition Sicherlich wird niemand in Abrede stellen, dass die Naturwissenschaften in den letzen fünf Jahrhunderten maßgebliche Erfolge in der Naturbeschreibung und der Formulierung von Naturgesetzen erzielt haben. Unter systematischer Zuhilfenahme der mathematischen Abstraktion sind Systeme von Theorien und zugehörigen Sätzen entstanden, die exakte Vor-hersagen erlauben. Die kopernikanischen Gesetze etwa erlauben ceteris paribus (unter ansonsten gleich bleibenden Bedingungen) eine genaue Vorhersage zukünftiger Planetenkonstellationen in unserem Sonnensystem. Naturwissenschaftliche Errungenschaften sind aber keinesfalls nur bloße Errungenschaften des Wissens. Mit ihnen geht auch eine enorme Zunahme der Naturbeherrschung einher. Die Erfolge der modernen Medizin oder neue Kommunikations- und Informationssysteme wie das Internet geben hiervon eindrücklich Zeugnis. An unserer kollektiven Vorstellungswelt sind die Erfolge der Naturwissenschaften nicht spurlos vorübergegangen.

    Der Forschungs-gegenstandder Wissenschafts-theorie ist die Wissenschaft.

    Die Naturwissen-schaftenhaben große Erfolge vorzu-weisen.

  • www.iubh-fernstudium.de29

    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    Was aber bedeutet das für die Sozialwissenschaften1²?Grundsätzlich müssen wir zugeben, dass die Sozialwissenschaft im Schatten der Naturwissen-schaft steht. Zum einen ist die Erwartungshaltung klar geprägt von den vielen naturwissen-schaftlichen Erfolgen der Vergangenheit. Die Betriebswirtschaftslehre soll, analog zur Physik, unumstößlich wahre (ontologische) Sätze über ökonomische „Naturgesetze“ entwickeln und diese zu Theoriegebäude zusammenfassen. Mit den gebrauchsfertigen Theorien sollen dann aktuelle Probleme erklärt und sogar Voraussagen getroffen werden. Kurzum: Zu diversen betrieblichen Problemstellungen werden klare Algorithmen (schematisch wiederholbare Lösungsrezepte) erwartet. Zum anderen merkt man in der Lehre, dass auch viele Studierende selbst noch von der Vor-stellung überzeugt sind, dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse analog zu den Methoden der Naturwissenschaften produziert werden. Die Erkenntnis, dass die Betriebswirtschaftslehre keine „Wahrheiten“ produzieren kann, empfinden viele am Anfang als verwirrend. Es dauerte ebenfalls eine Weile, bis von den Naturwissenschaften verstanden wurde, dass das Abrücken von einem allzu naiven Wahrheitsverständnis nicht gleichbedeutend ist mit Willkür. Eines aber gleich vorweg: die Betriebswirtschaftslehre verfügt selbstverständlich über Wahr-heitskriterien. Sie ist weit davon entfernt, ein „Laberfach“ zu sein, bei dem lediglich subjektive Überzeugungen ausgetauscht werden. Warum aber funktionieren die naturwissenschaftlichen Traditionen für die Sozialwissen-schaften im Allgemeinen und für die Betriebswirtschaftslehre im Speziellen nicht? Ausschlaggebend ist, dass der Mensch nicht alleine einem Ursache-Wirkung-Prinzip unter-liegt. Menschen handeln meistens absichtsvoll, also mit Bezug auf ein Ziel. Damit erklärt nicht so sehr die Ausgangsbedingung - also die Ursache - das menschliche Handeln, sondern vielmehr der aus einer Handlung resultierende Zustand – das gewünschte Ziel. Bei der Festlegung der Ziele ebenso wie bei der Wahl der geeigneten Mittel zu ihrer Erlangung, mischt sich die menschliche Willensfreiheit in die Ursache-Wirkungs-Kette. Dadurch haben wir es in den Sozialwissenschaften mit nur sehr schwer vorhersagbaren Phänomenen zu tun. Meistens lässt sich eine einzelne Handlung gar nicht vorhersagen; erst bei vielfach wiederholter Beobachtung können gewisse Gesetzmäßigkeiten festgestellt werden. Darauf beruht auch die besondere Stellung der Wahrscheinlichkeitstheorie und der auf ihr aufbauenden Statistik in den Wirtschaftswissenschaften.

    Betriebswirtschaftliche Arbeiten erfolgen daher schwerpunktmäßig entweder aus einer kausalen Denkhaltung heraus, wobei der Fokus auf Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen liegt. („Wie motivieren Statussymbole Spitzenmanager?“). Oder sie erfolgen eher aus einer finalen Denkhaltung heraus, die nach Sinn und Zweck von Vorgehensweisen fragt („Wozu sind Spitzenmanager motiviert?“). In der Praxis wird aber jede gute Arbeit eine Mischform aus beiden Denkhaltungen darstellen, da genau diese Dualität den sozialwissenschaftlichen Gegen-ständen angemessen ist.

    2 Die Betriebswirtschaftslehre rechnet man zu den Wirtschaftswissenschaften, die wiederum zu den Sozial- bzw. Verhaltenswissenschaften gezählt werden (Weber 1995). Etwas anders sehen das Sachs und Hauser (2002), die die Betriebswirtschaftslehre sowohl auf einem sozialwissenschaftlichen Basiskonzept als auch einem ökonomischem Basiskonzept aufbauen lassen (S.10ff.). Basiert eine betriebswirtschaftliche Arbeit auf dem ökonomischen Basiskonzept, ist das Unternehmen das interessierende Subjekt und nicht etwa der Mensch. Interessanterweise wird bei Sachs und Hauser die Annahme eines homo oeconomicus nur bei Arbeiten auf Basis des ökonomischen Basiskonzepts zugelassen.

    Die Sozialwissen-schaften- darunter die Betriebswirt-schaftslehre -stehen im Schatten der Naturwissen-schaften.

    Menschliches Handelnunterliegt keinem starren Ursache-Wirkung-Prinzip. Es lässt sich nur schwer vorher-sagen.

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    Lektion 2

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Warum sind die Naturwissenschaften kein gutes Vorbild für die Wirtschaftswissen-schaften? Weil die Wirtschaftswissenschaften vom Menschen handeln. Durch den freien Willen orientiert sich das menschliche Handeln an Zweck und Ziel. Die Objekte der Natur-wissenschaften kennen hingegen kein Ziel. Dadurch müssen andere Methoden zur Erkenntnisgewinnung eingesetzt werden.

    o Richtig o Falsch

    Weil die Wirtschaftswissenschaften mit ihren Prognosen oftmals danebenliegen und daher die Aussagen der Wirtschaftswissenschaften qualitativ anders sind als die Aussagen der Naturwissenschaften.

    o Richtig o Falsch

    2. Richtig oder Falsch: Bei der Wissenschaft geht es immer um die Erklärung von Kausali-tät (Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge).

    o Richtig o Falsch

    2.2 Karl Popper und der Kritische Rationalismus

    Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm man an, dass der Natur unumstößlich wahre Gesetz-mäßigkeiten zugrundeliegen. Diese Naturgesetze würden, so glaubte man, durch die wissen-schaftliche Forschung entdeckt und nutzbar gemacht. Die so gewonnenen Erkenntnisse hätten dementsprechend Endgültigkeitscharakter. Wissenschaftlicher Fortschritt besteht in dieser Sichtweise in einem beständigen Verschieben der Grenze zwischen dem bereits Erforschtem und dem bislang Unentdeckten.

    Anfang des 20. Jahrhunderts wurde durch einige neuere Entdeckungen in den Naturwissen-schaften das traditionelle Wissenschaftsverständnis erschüttert. In der Mathematik etwa wurde bewiesen, dass man die Widerspruchsfreiheit der Mathematik gar nicht beweisen kann (Gödelscher Unvollständigkeitssatz). In der Quantenphysik wurde entdeckt, dass man auch bei perfektester Messgenauigkeit den Ist-Zustand der Welt oder auch nur eines einzelnen Quantenobjekts nicht vollständig erfassen und man daher keine vollständigen Prognosen liefern kann (Heisenbergsche Unschärferelation). Mit Einsteins Relativitätstheorie wurden schließlich sogar Newtons Gesetze relativiert. Das „Kronjuwels der Physik“, dem man bis dahin „ewige Gültigkeit“ beschieden hatte, wurde damit zu einem Spezialfall degradiert. Dies sind nur einige Beispiele in einer ganzen Reihe von Problemen, die in der Wissenschaft für Unruhe sorgten.

    Der österreichisch-britische Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Raimund Popper (geb.1902 in Wien, gest. 1994 in London) griff die Probleme der in die Krise geratenen Wissenschaft auf und begründete die bis heute weitverbreitete wissenschaftstheoretische Denkschule des

    ?Prüfen Sie Ihren WissensstandMusterlösungen befinden sich auf der Lernplattform CLIX.

    Zu Beginn des 20. Jahrhundertsgeriet das traditionelle Weltbild der Natur-wissenschaften in die Krise.

  • www.iubh-fernstudium.de31

    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    „Kritischen Rationalismus“. Diese Denkschule könnte man auch als „Falsifikationismus“ bezeichnen, da ihre erkenntnistheoretische Position in der Annahme besteht, dass es keine absolute Gewissheit geben kann und sich Irrtümer nicht ausschließen lassen. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Frage, inwieweit man von erfahrbaren (empirischen) Beobachtungen auf Gesetzmäßigkeiten schließen kann. Diesen abstrahierenden Schluss von den beobachteten Phänomenen auf eine allgemeine Erkenntnis, vom Speziellen zum Generel-len, bezeichnet man als „Induktion“ oder auch „induktives Schließen“. Umgekehrt bezeichnet man das Ableiten eines speziellen Phänomens aus einer Gesetzmäßigkeit als „deduktiven Schluss“.

    Beispiel:

    Wir haben beobachtet, dass bisher an jedem Tag die Sonne aufgegangen ist.

    Empirie

    Wir schließen daraus, dass die Sonne jeden Tag aufgeht.

    Induktiver Schluss

    Folglich geht morgen die Sonne auf. Deduktiver Schluss

    Der Falsifikationismus bezweifelt nun, dass per Induktion die Erkenntnis „wahrer“ Gesetze sichergestellt werden kann. („Wahr“ ist hier im ontologischen Sinn gemeint). Im Wesentli-chen begründet sich der Zweifel an solchen induktiven Schlüssen auf zwei Argumenten:

    Erstens könne man, so Popper, von noch so vielen Einzelbeobachtungen nicht auf eine Regel ohne Ausnahme schließen. Wenn ich aus der Beobachtung von 1000 weißen Schwänen per Induktion schlussfolgere: „Alle Schwäne sind weiß“, dann kann ich dennoch falsch liegen, wenn beispielsweise ein einziger schwarzer Schwan existiert, den ich bisher nicht beobachtet habe.

    Zweiter Kritikpunkt ist, dass man bei der Induktion (meistens ganz unbewusst) auf sprachli-cher Ebene die Begriffe nicht „stabil“ hält. Während man, um beim Beispiel weißer Schwäne zu bleiben, bei der empirischen Datenerhebung mit dem sprachlichen Zeichen „Schwan“ ein ganz konkretes Etwas meint, welches man gerade in der freien Natur beobachtet, so meint man nach dem induktiven Schließen mit dem sprachlichen Zeichen „Schwan“ nicht mehr ein konkretes Etwas oder ein Ding, sondern eine Denkfigur, ein Konzept, also die Idee „Schwan“. Dieses Konzept existiert nur in unsere Köpfen und strukturiert dort unser Denken über reale, weiß gefiederte Vögel mit langen Hälsen. Ob aber ein Denkkonzept angemessen ist oder ob ein reales Ding auf eine bestimmte Weise zu bezeichnen ist, wird besonders in den Wirtschaftswissenschaften schnell zu einer Frage der Ideologie (Weltanschauung).

    Hierzu ein Beispiel: Die Trobriand-Inseln sind eine ringförmig angeordnete Inselgruppe, die zu Papua-Neuguinea gehört. Die Distanz zwischen den einzelnen Inseln beträgt bis zu 100 Kilometer. Die sehr eigenwillige Tauschwirtschaft des Kula besteht darin, dass in waghalsigen Seeunternehmungen

    Laut dem kritischen Rationalismusgibt es keine absoluten Gewiss-heiten.

    Beobachtung und Empiriekann zu falschen Schlüssen führen.

  • www.iubh-fernstudium.de32

    Lektion 2

    im Uhrzeigersinn Halsketten aus roten Muscheln verschenkt werden. Im Rahmen nicht minder waghalsiger Fahrten werden gegen den Uhrzeigersinn Armreife aus Muschelringen verschenkt. Jede Handlung stellt also ein Schenken dar. Da man aber selber irgendwann von anderen Seefahrern „besucht“ und beschenkt wird und dadurch eine moralische Pflicht (es hängt der soziale Status davon ab) zu schenken entsteht, könnte man diese Handlungen auch als Tauschhandel ansehen; immerhin entsteht aus dem Schenken im Tausch ein Beschenkt-Werden. Doch auch diese Begrifflichkeit ist ein Stück weit unangemessen, da die „Ware“ stets weitergereicht wird und am Ende irgendwann an ihren Ursprung zurückkehrt - natürlich in Form einer Schenkung, die ihrerseits wiederum moralische Verbindlichkeiten mit sich bringt.

    Der Kula-Ring. Quelle: Malinowski (1922, 2005), Karte S. 63.

    Über die empirischen Fakten, etwa dass das Kula existiert und auf welche Art und Weise es praktiziert wird, besteht Einigkeit. Aber unter welchem sprachlichen Zeichen will man diese beobachtbare soziale Praxis subsummieren? Der Begriff des „Schenkens“ geht, wie wir gesehen haben, auf Grund der enormen moralischen Verpflichtungen ein Stück weit fehl. Der Begriff „Tauschökonomie“ bringt seinerseits aber ebenso viele Probleme mit sich: Sowohl die Angebots- als auch die Nachfragefunktion sind nahezu preisunelastisch. Änderungen der Opportunitätskosten haben keinen Effekt auf Angebot und Nachfrage. Die Geschenke werden schließlich nicht nachgefragt. Das Schenken ist hingegen eine soziale Norm, die auf Opportuni-tätskosten keine Rücksicht nimmt. Ein Marktgleichgewicht ist mit den Mitteln der klassischen Ökonomie kaum sinnvoll zu konstruieren. Aus ökonomischer Sicht ist die Praxis des Kula also auch kein Handel. Da es in unserer Sprache keinen wirklich adäquaten Ausdruck für die Praxis des Kula gibt, wird meistens von Kula-Tausch gesprochen.

    Entscheidend für die Wahrnehmungder Welt und damit für die Gewinnung von Erkenntnissen über diese Welt ist die Sprache.

    Verschiedene Sprachenführen zu verschiedenen Weltbildern.

  • www.iubh-fernstudium.de33

    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    Wir wollen an dieser Stelle nicht tiefer in sprachphilosophische Probleme einsteigen. Auch ist dies kein Kurs über die anthropologischen Herausforderungen der Ökonomie. Dieses Beispiel soll lediglich verdeutlichen, dass Worte und Begriffe keine neutralen Größen sind, sondern automatisch auf die Theorieformung Einfluss nehmen. Festzuhalten bleibt, dass in jedem Begriff bereits eine theoretische Vorentscheidung mitschwingt, die besonders im Rahmen eines induktiven Schließens zu groben Verfälschungen führen kann.

    Es ist daher Popper also zuzustimmen, wenn er im Rahmen des kritischen Rationalismus der Idee einer ontologischen Wahrheitsgenerierung mithilfe des Induktionsschlusses eine klare Abfuhr erteilt. Was aber ist Poppers Gegenvorschlag?

    Wissenschaftliche Aussagen lassen sich nicht hundertprozentig beweisen (verifizieren). Aber sie lassen sich widerlegen (falsifizieren). Die Beobachtung von auch nur einem einzigen schwarzen Schwan widerlegt den Satz „Alle Schwäne sind weiß“. Aus diesem Grund erhebt Popper die Widerlegbarkeit zu einem zentralen Kriterium jeder wissenschaftlichen Aussage. Eine wissenschaftliche Aussage muss falsifizierbar sein, also durch eine empirische Beobachtung angreifbar. Aussagen, die nicht falsifizierbar sind, sind demnach unwissenschaftlich.

    Damit geht eine veränderte Sprachkonvention einher: Man spricht nicht mehr unbedingt davon, dass eine wissenschaftliche Aussage „wahr“ ist. Stattdessen sagt man mit jedem miss-lungenen Versuch einer Falsifikation, dass die wissenschaftliche Aussage „weiterhin erhärtet“ wurde. Umgekehrt führt eine Falsifikation dazu, dass eine wissenschaftliche Aussage „ver-worfen“ wird.

    Die Trobriand-Inseln – Beispiel

    Menge

    Opp

    ortu

    nitä

    tsko

    sten Angebot

    NachfrageGl

    eichg

    ewich

    t

    Menge

    Opp

    ortu

    nitä

    tsko

    sten

    Angebot

    Nachfrage

    Klassisches Gleichgewichtsmodell Kula-Tausch

    Wissenschaftliche Aussagenlassen sich zwar nicht mit absoluter Sicherheit beweisen,wohl aber falsifizieren.

  • www.iubh-fernstudium.de34

    Lektion 2

    In diesem Sinne braucht man von nun an nicht auf induktive Schlüsse zu verzichten - allerdings nur dann, wenn man die Ergebnisse nicht als Ontologie, sondern lediglich als propositionales Wissen auffasst. Damit ist all jenes Wissen gemeint, das als „vorläufig gesichert“ gilt. Es könnte zwar durch eine einzige gelungene Falsifikation ein für alle Mal verworfen werden; allerdings ist dies bislang nicht geschehen. Jede Theorie oder Hypothese muss wiederholt dem Versuch einer Falsifikation durch Beobachtungen (man sagt auch: Beobachtungssätze/Basissätze) unterworfen werden. Existiert ein Basissatz, der im Widerspruch zur wissenschaftlichen Aussage steht, gilt letztere als ver-worfen. Wissenschaft muss sich also immer wieder aufs Neue an der Wirklichkeit messen lassen.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welche Aussagen treffen zu?

    Wissenschaftliche Erkenntnisse werden durch Beweise ein für alle Mal gesichert. o Richtig o Falsch

    Jede wissenschaftliche Aussage muss laut Karl Popper falsifizierbar sein. o Richtig o Falsch

    Deduktion heißt, dass vom Allgemeinen auf das Spezielle geschlossen wird. o Richtig o Falsch

    Induktives Schließen bedeutet, das Aussagen überprüft werden. o Richtig o Falsch

    Karl Popper ist der bekannteste Vertreter des Kritischen Rationalismus. o Richtig o Falsch

    Begrifflichkeiten sind wahr oder falsch. o Richtig o Falsch

    Begrifflichkeiten unterliegen keinem Wahrheitskriterium, sondern einem Nützlichkeits-kriterium. In ihnen schwingen immer theoretische Vorentscheidungen mit.

    o Richtig o Falsch

    Mit einem geeigneten Basissatz kann die Wissenschaft eine Erkenntnis endgültig als unzutreffend verwerfen.

    o Richtig o Falsch

    Wissenschaftliche Erkenntnissesind nicht ontologisch "wahr", sondern lediglich "bisher nicht widerlegt".

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  • www.iubh-fernstudium.de35

    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    Der Falsifikationismus kann falsifiziert werden. o Richtig o Falsch

    Im Kritischen Rationalismus bedeutet wissenschaftlicher Fortschritt, dass man durch das beständige Aufstellen und Verwerfen von wissenschaftlichen Aussagen der Objektivität und Wahrheit immer näher kommt, auch wenn man letztlich niemals mit Sicherheit weiß, ob man nun die Wahrheit gefunden hat. Richtig oder falsch?

    o Richtig o Falsch

    2.3 Probleme des Falsifikationismus

    Heutzutage werden die Wirtschaftswissenschaften zum Großteil vom kritischen Rationalis-mus dominiert. An dieser Stelle soll aber auf drei Probleme des kritischen Rationalismus hin-gewiesen werden; freilich ohne hierfür eine endgültige Lösung zu formulieren.

    Definitionsproblem: Es liegt in der Natur sowohl von Definitionen als auch von axiomatischen Aussagen, dass sie grundsätzlich nicht falsifizierbar sind. Das Problem dabei ist, dass manchmal nicht klar ist, ob ein Satz („Jeder Schwan ist weiß.“) als wissenschaftliche Aussage gemeint ist oder als Defini-tion (Definiere „Schwan“ als weißes Tier der Klasse Aves Unterfamilie Anserinae und des Tribus Cygnus. Nach dieser Definition wäre ein schwarzer Schwan kein Schwan.)

    Das Basissatzproblem:Wir haben festgestellt, dass der Widerspruch zwischen einer wissenschaftlichen Theorie („Alle Schwäne sind weiß.“) und einem Basissatz („Im Zoo von Bad Honnef gibt es einen schwarzen Schwan.“) eine wissenschaftliche Aussage falsifiziert. Das Basissatzproblem liegt nun darin, dass der Basissatz selber wahr oder falsch sein kann. (In Bad Honnef gibt es gar keinen Zoo!) Man benötigt also ontologisch wahre Basissätze. Das Qualifizieren von Sätzen als ontologisch wahr ist aber laut Popper unzulässig. In der Praxis gesteht man daher in der Regel allen sinnlich wahrnehmbaren Beobachtungen zu, dass sie ontologisch wahr sind.

    Das Problem der probabilistischen Aussagen:In den Wirtschaftswissenschaften haben wir es beinahe ausschließlich mit probabilistischen Aussagen zu tun. Damit sind Aussagen gemeint, die eine Wahrscheinlichkeit beschreiben. Beispiel: Die Philipps-Kurve ist ein einfaches ökonomisches Modell, das den Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit beschreibt. Die Kurve selbst beschreibt zunächst nur, wie die Inflationsrate und die Quote der Arbeitslosigkeit am wahrscheinlichsten zusammen-fallen. Es handelt sich also um eine probabilistische Aussage und nicht etwa um ein Natur-gesetz, bei dem es einen kausalen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Inflationsrate und einer gewisse Arbeitslosenquote gibt. Üblicherweise werden real erhobene Datenpunkte nicht direkt auf der Kurve liegen. Obwohl der Zusammenhang zwischen den Daten also nicht exakt ist, gibt es - so die Behauptung der Modellverfechter - im Prinzip keine andere Kurve, die näher an den empirischen Datenpunkten verlaufen wird.

    Definitionsproblem

    Basissatzproblem

    Problem der probabilistischen Aussagen

  • www.iubh-fernstudium.de36

    Lektion 2

    Lassen sich Modelle wie die Philipps-Kurve überhaupt falsifizieren?

    In der Wissenschaft kommt es vor, dass probabilistische Aussagen wie das Modell der Philipps-Kurve verworfen werden. Das exakte Verfahren hierzu ist Gegenstand der sogenannten „statistischen Testtheorie“ und soll hier nicht weiter vertieft werden. Nur so viel sei vorweg-genommen: Jedes Wahrscheinlichkeitsmodell erlaubt es, empirischen Beobachtungen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben. Ist die empirische Beobachtung laut Wahr-scheinlichkeitsmodell unfassbar unwahrscheinlich, unterschreitet der empirische Befund also ein kritisches Wahrscheinlichkeitsniveau, dann gilt das Wahrscheinlichkeitsmodell als falsi-fiziert.

    Beispiel: Wir nehmen an, unsere wissenschaftliche Hypothese lautet: „Herr X kann nicht im Voraus wissen, was bei einem Würfelwurf herauskommt.“ Das bedeutet in der Sprache der Wahrscheinlichkeitsrechnung, dass Herr X bei einem Würfel-wurf nur mit einem Sechstel Wahrscheinlichkeit (ca. 16,7 %) die richtige Zahl vorhersagen kann - nämlich durch raten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr X (bei einem einzigen Durch-gangsversuch) gleich vier Mal hintereinander die richtige Zahl errät, beträgt deutlich weniger als 5% (das ist der kritische Wahrscheinlichkeitswert, an dem man sich in der Ökonomie traditionell orientiert).

    Wenn nun Herr X auf Anhieb vier Mal hintereinander die richtige Zahl rät, dann ist der Basis-satz „Herr X hat eben auf Anhieb vier Mal hintereinander die richtige Zahl vorausgesagt.“ richtig. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass sowohl unsere Hypothese als auch dieser Basissatz gleichermaßen wahr sind. Da der empirische Befund im Widerspruch zu unserer Hypothese steht, gilt die Hypothese als falsifiziert und muss somit verworfen werden. Herr X kann also doch einen Würfelwurf voraussehen.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welche Aussagen treffen zu?

    Das Basissatzproblem besagt, dass man von empirischen Beobachtungen nicht auf das Ganze schließen darf.

    o Richtig o Falsch

    In der Betriebswirtschaftslehre haben wir es sehr viel mit probabilistischen Aussagen zu tun, die durch einen einzigen konträren Basissatz noch nicht grundsätzlich falsifiziert werden können.

    o Richtig o Falsch

    Gesetze und Theorien, die mit Wahrscheinlichkeitsaussagen verknüpft werden, bedürfen spezieller Konventionen, wann sie als gescheitert und falsifiziert gelten. Diese Kon-ventionen sind Gegenstand der Statistik.

    o Richtig o Falsch

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    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    2.4 Max Weber und der Werturteilsstreit

    Im Jahre 1909, die universitäre Sozialwissenschaften im heutigen Sinne steckten noch in den Kinderschuhen, brach auf einer Tagung des ,Verein für Socialpolitik‘ (sic!) eine Grundsatzdis-kussion über das Verhältnis von Wissenschaft zu Werturteilen aus, deren Bedeutung weit über die Fachgrenzen hinaus reichte und bis in die heutige Zeit auch für die wirtschaftswissen-schaftlichen Disziplinen als grundlegend gilt. Ausgangspunkt war der Vortrag eines heute weitgehend vergessenen Nationalökonomen, der über das „Wesen der volkswirtschaftlichen Produktivität“ referierte. Seine Definition des „Volkswohlstands“ als höchsten „Wert“ rief den prominenten Widerspruch des berühmten Soziologen Max Weber hervor, der die Unbrauch-barkeit von solch normativen (normativ = auf das Sein-Sollen bezogenen) Begriffen vehement kritisierte.

    Max Weber postulierte (= forderte) die Wertfreiheit der Wissenschaft, also die Notwendigkeit, dass Zusammenhänge voraussetzungslos, unbefangen und ohne Werturteile darzulegen seien. Die häufig deutlich wahrnehmbare wirtschaftspolitische Färbung von Professorinnen und Pro-fessoren sind von Max Webers Warte aus gesehen also nicht tolerierbar. Die Wissenschaft könne keiner Gesellschaft eine Lebensorientierung bieten und damit auch keine Anleitung zu einer richtigen oder geglückten Wirtschaftspolitik. Wertfreie Wissenschaft bestehe höchstens in der Analyse von Lebensorientierungen. In diesem Sinne möchte Max Weber auf das Strengste die Erkenntnis des Seienden von der Forderung nach dem Sein-Sollen scheiden.

    Natürlich bedeutet das nicht, dass Wissenschaft nach eigenem Gutdünken bloße Tatsachen-feststellungen ansammelt. Weber erkennt durchaus an, „dass unsere Wissenschaft [...] geschichtlich zuerst von praktischen Gesichtspunkten aus[geht].“ (Weber o.J., S. 23). In die-sem Sinne arbeitet die Wissenschaft dem wirklichen Leben problemlösend zu. Die Betriebs-wirtschaftslehre ist in ihrer Ausrichtung durchdrungen von Problemen, Herausforderungen und Fragestellungen des wirtschaftlichen Alltags.

    Webers Postulat einer wertfreien Wissenschaft besagt zunächst nichts anderes, als dass die Wissenschaft Erkenntnisse für Problemlösungen und Nebenfolgen (z. B. Zielkonflikte zwi-schen Ökologie und Ökonomie) gewinnen solle. Aber: „Wissenschaft kann die Probleme nicht entscheiden, sondern nur entscheidungsfähig aufarbeiten, indem sie empirische und theoretische Alternativen artikuliert. Die Entscheidungen selbst müssen Politiker und Beamte treffen, die dafür Verantwortung übernehmen müssen“, heißt es zum Weberschen Werturteils-streit in Metzlers Philosophie-Lexikon (S.658). Und wir dürfen hinzufügen, dass das Gesagte erst recht für das Management eines Unternehmens gilt.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Suchen Sie im Internet nach mehreren Interviews des bekannten Ökonomen Hans-Werner Sinn. Steht Hans-Werner Sinn Ihrer Meinung nach für einen Forscher weberianischen Typs?

    o Ja o Nein

    Max Weberforderte die Wertfreiheit der Wissenschaft.

    Wissenschaft löst keine Probleme,sie liefert die Erkenntnisse zur Problemlösung

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    Lektion 2

    2.5 Wertfreiheit und der Positivismusstreit

    Max Webers Plädoyer im Werturteilsstreit wurde oft verkürzt aufgefasst. Geblieben ist die zugespitzte Feststellung der grundsätzlichen Trennbarkeit von objektiven Aussagen über soziale Fakten auf der einen Seite und den subjektiven Werturteilen auf der anderen Seite. Ersteres sei, so die verkürzte Rezeption Webers, das natürliche Betätigungsfeld der Wirtschaftswissen-schaften, während Letzteres unbedingt konsequent zu meiden oder zumindest in den Forschungsarbeiten gesondert zu markieren sei. In anderen Worten: Im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens müssen Sachaussagen deut-lich von der Bewertung dieser Aussagen abgegrenzt werden. Gegen diese Position wurden im deutschsprachigen Raum in den 1960ern im Rahmen des Positivismusstreits gewichtige Argumente entwickelt. Der Positivismusstreit wurde zwischen den Vertretern des Kritischen Rationalismus (u. a. Karl Popper) und den Vertretern der Kritischen Theorie (u. a. Theodor Adorno) geführt, aber die wesentlichen Argumente sind implizit auch eine Entgegnung auf Max Weber. Beim Werturteilsstreit ging es hauptsächlich um die von den Anhängern der Kritischen Theorie gegen Karl Popper gerichtete Kritik, dass in sozialen Belangen gar keine objektive Wahrheit existiere. Folglich könne man sich auch nicht nach der Popperschen Art durch das Falsi-fikationsprinzip durch viele kleine Schritte an diese – inexistente – Wahrheit annähern.

    Vielmehr gelte in sozialen Dingen genau das Gegenteil – es herrscht, so die Position der Kritischen Theoretiker, eine Art Identität von sozialer Realität und Bewusstsein: Unsere soziale Welt prägt unser Bewusstsein fast vollständig und unser Bewusstsein steckt ab, in welchem Rahmen wir unsere soziale Realität sich entwickeln lassen und was dabei als soziale Wahrheit anerkannt wird. Die Kritische Theorie insistiert darauf, dass die Funktion der Sozialwissenschaften darin bestehe, über diese Bewusstseinsbegrenzungen unserer Gesellschaft hinauszudenken. Nur so könne eine Gesellschaft in ihren Zielformulierungen autonom von alten Denkgewohnheiten werden. Dazu bedarf es aber einer wertenden, kritischen Wissenschaft, die keine Scheu vor normativen Aussagen habe. Die Forschungsprogramme sollten sehr wohl soziale Wahrheiten ebenso einbeziehen wie Utopien und persönliche Vorstellungen über den Idealzustand einer Gesellschaft. Die Position des Kritischen Rationalismus führe hingegen, so die Kritik, nur zu einer ver-waltungsmäßigen Welt kleinster reformerischer Schritte. Das Sammeln von positivistischen Daten und Fakten lasse die großen und wichtigen Zusammenhänge außer Acht, die stets normativer Natur seien. Bis heute ist bezüglich der Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Werturteil in der Wissenschaft keine gemeinsame Position zu finden. Vielmehr ist und bleibt die Wissenschafts-gemeinschaft in Hunderte von Denkschulen zersplittert - auch in der Wissenschaftstheorie. Dennoch ist es gerade in Deutschland dem Positivismusstreit zu verdanken, dass in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bezüglich des Postulats einer werturteilsfreien Wissenschaft heute eine ausgewogene Haltung anzutreffen ist.

    Kritik an der Wertfreiheit der Wissenschaft:Gerade die Sozial-wissenschaften müssen werten, um ihren Auftrag zu erfüllen.

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    Einige Meilensteine der Wissenschaftstheorie

    Über folgende Punkte herrscht in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften weitgehend Einigkeit:

    • Sachaussagen und normative Aussagen lassen sich gar nicht sauber trennen, weil viele Aussagen und Begrifflichkeiten eine Mischung aus beiden sind. Die meisten Begriffe unserer Sprache sind grundsätzlich mit Wertvorstellungen aufgeladen. Auch die Forschenden treibt jeweils ein ganz persönliches Forschungsinteresse, in das individuelle und kollektive Ordnungsvorstellungen mit einfließen. Ohne Vermischung von Werten und Sachaussagen können gerade sozialwissenschaftliche Theorien zudem leicht miss-braucht werden.

    • Zugleich müssen aber Sachaussagen und normative Argumente in unterschiedlicher Art und Weise entwickelt und diskutiert werden. Es ist verstärkt darauf zu achten, dass eigene Wertüberzeugungen nicht die Sachanalyse verfälschen. Heutzutage wird man das Postulat der Wertfreiheit in der Wissenschaft weitgehend so verstehen, dass Werte sowohl bei der Themenwahl als auch bei der Einbettung einer Forschung in ein größeres, sinnstiftendes Ganzes im Vordergrund stehen. Bei der Ausführung der Forschung selbst, bei der Analyse und der Sachauseinandersetzung wird man aber weitgehend auf wertfreie Arbeit setzen.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welche der folgenden Sätze stimmen? Kreuzen Sie an: In Begrifflichkeiten stecken meistens wertende Vorannahmen. Man ist sich dessen oft nicht bewusst.

    o Richtig o Falsch

    Wertfreie Wissenschaft im Sinne einer absoluten normativen Neutralität ist gar nicht möglich.

    o Richtig o Falsch

    In der Forschung sollte ich bei der Durchführung meiner Analyse versuchen, mit Wertungen zurückhaltend zu sein. „Unbefangenheit“ ist eine wissenschaftliche Tugend.

    o Richtig o Falsch

    Spracheist nicht wertfrei.

    Niemandist wirklich objektiv.

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    Lektion 2

    Zusammenfassung

    Vielleicht sind Sie von dieser Lektion enttäuscht. Viele Fragen wurden aufgeworfen, Ihr Vertrauen in die Wissenschaft womöglich erschüttert. Es ist fast nur von Proble-men die Rede, ohne dass gebrauchsfertige Lösungen angeboten würden. Es gibt also praktisch nichts in dieser Lektion, was auswendig zu lernen sich lohnen würde. Wenn Sie dieses Gefühl haben, dann hat diese Lektion ihren Sinn erfüllt. In der Wissenschaft muss man einen kritischen Geist haben, der auch - und gerade - vor der Kritik am eigenen Tun nicht halt macht. Ein Beschönigen oder Verheimlichen der Probleme in der Wissenschaft wäre sogar unredlich. Da diese Lektion Sie dazu ermutigt, „die Wissenschaft“ zu hinterfragen, dient sie in gewisser Weise Ihrer Persönlichkeitsbildung. Was sie aus dieser Lektion mitnehmen können, ist ein Stück Wissenschaftskultur.

    Wissenskontrolle

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  • LErnziELE

    Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen…

    … was eine „wissenschaftliche Aussage“ ist.

    … was der Begriff „Fragestellung“ genau bedeutet.

    Lektion 3

    Aussagen und Fragestellungen

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    Lektion 3

    Aus der Praxis

    3. Aussagen und Fragestellungen

    Der Begriff der „Fragestellung“ ist für jede wissenschaftliche Arbeit von zentraler Bedeutung. Die Fragestellung ist das Leitmotiv einer solchen Arbeit. Sie beinhaltet das, was bisher nicht gewusst wird und was daher durch die wissenschaftliche Arbeit herausgefunden und beschrieben werden soll. Sämtliche Argumente, Demonstrationen, Erörterungen und Ausführungen einer wissenschaftlichen Arbeit dienen der Beantwortung dieser Leitfrage. Während die Fragestellung der strukturierende rote Faden einer wissenschaftlichen Arbeit ist, stellt die Nutzung wissenschaftlicher Aussagen ein Gebot dar, welches Argument um Argu-ment unbedingt einzuhalten ist. Wissenschaftliche Aussagen sind also der feinmechanische Schrittmacher einer wissenschaftlichen Abhandlung. Aber auch für die großen Aussagen einer Arbeit, ob sie nun „Zwischenfazit“, „Theorem“ oder „Teilergebnis“ heißen, muss gelten: Es sind ausschließlich Aussagen erlaubt, die dem Adjektiv „wissenschaftlich“ im Sinne von „falsi-fizierbar“ gerecht werden. Um ein Missverständnis gleich im Vorfeld auszuräumen: Natürlich arbeiten wissenschaftliche Texte sowohl mit deskriptiven Aussagen („Die Zahl der Unternehmenspleiten hat in den letzten drei Jahren zugenommen.“) als auch mit erklärenden Aussagen („Produzenten passen ihre Angebotsmenge dem Marktgleichgewicht an, weil das ihren Gewinn maximiert.“) und sogar mit normativen, nicht falsifizierbaren Handlungsempfehlungen („Unternehmen sollten aus Gründen der Biodiversität freiwillige Umweltstandards einhalten.“). Aber in den großen Hauptlinien muss die Demonstration einer These in jedem Element falsifizierbar sein.

    3.1 Wissenschaftliche Aussagen und das Kriterium der Über-prüfbarkeit

    Der Kritische Rationalismus mit seinem Falsifikationismus ist für die alltägliche wissenschaft-liche Arbeit eine solide Grundlage. Wir wollen uns daher im Folgenden auf den Standpunkt begeben, dass wir niemals wissen können, ob eine wissenschaftliche Erkenntnis oder Theorie im ontologischen Sinne „wahr“ ist. Wir können aber sehr wohl feststellen, dass eine vermeint-liche Erkenntnis oder Theorie ontologisch falsch ist.

    Aus dieser Perspektive ist eine Aussage dann – und nur dann – „wissenschaftlich“ zu nennen, wenn sie grundsätzlich falsifizierbar ist. „Alle Schwäne sind weiß“ lässt sich durch die Beobachtung eines einzigen schwarzen Schwans widerlegen. Eine Aussage ist hingegen unwissenschaftlich, wenn es in der Natur der Sache liegt, dass sie grundsätzlich nicht falsifizierbar ist. Unwissenschaftliche Aussagen umfassen also beispiels-weise Sätze wie: „Die Evolution ist der Wille Gottes.“, denn es ist überhaupt nicht klar, wie eine solche Aussage falsifiziert werden könnte. Auch eine Aussage wie „Vor dem Urknall gab es schon einmal ein Universum.“ ist eine spekulative Aussage, die prinzipiell nicht an der Empirie (= sinnliche Erfahrungswelt, direkte, gegenständliche Wirklichkeit) scheitern kann. Diese Aus-sage ist im Sinne des Falsifikationismus keine wissenschaftliche Aussage.

    Zu den nichtwissenschaftlichen Aussagen zählen auch Tautologien. Das sind Sätze, die allein aus logischen Operationen heraus sofort wahr sind: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.“

    Die Fragestellungist der rote Faden einer wissen-schaftlichen Arbeit.

    Eine Aussageist unwissen-schaftlich, wenn sie nicht falsifizierbar ist.

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    Aussagen und Fragestellungen

    Manchmal sind Tautologien gar nicht so leicht als solche zu erkennen. Besonders, wenn sie nicht die grammatikalische Form eines einzigen Satzes haben, sondern sich als Aussage erst über mehrere Abschnitte ergeben. Nehmen wir an, sie interessieren sich für den Zusammen-hang zwischen Schwarzarbeit und Wirtschaftswachstum. Die Schwarzarbeit können Sie nicht direkt messen. Sie schätzen sie daher proportional zur allgemeinen Steuerhinterziehung. In einem Aufsatz zu Staatsfinanzen finden sie tatsächlich eine Tabelle über das Volumen der gemutmaßten Steuerhinterziehung der letzten Jahre. Nun stellen sie in ihrer Analyse fest, dass das Bruttosozialprodukt und die Schwarzarbeit einen positiven linearen Zusammenhang haben. Wenn Sie jetzt übersehen haben, dass in dem besagten Aufsatz die Steuerhinterziehung ebenfalls nicht direkt gemessen worden ist, sondern über eine lineare Schätzgleichung aus dem Bruttosozialprodukt ableitet wurde, dann haben sie, ohne es zu merken, eine tautologische Beweisführung vorgenommen. Wissenschaftliche Aussagen müssen also scheitern können. Solange sie das nicht tun, bezeich-net man sie als „vorläufig wahr“. Jeder Falsifikationsversuch, der erfolglos bleibt, „erhärtet“ den Befund. Doch obwohl ein Befund beliebig erhärtet werden kann, wird er dadurch niemals zu einer endgültigen „Wahrheit“.

    Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Welche der folgenden Aussagen ist keine Tautologie? Es regnet oder es regnet nicht.

    o Tautologie o keine Tautologie

    2+2=4 o Tautologie o keine Tautologie

    Alle von uns überprüften Exporte gingen ins Ausland. o Tautologie o keine Tautologie

    4 ist definiert als Symbol für die Summe 1+1+1+1. o Tautologie o keine Tautologie

    Ralf mag sein Lieblingstier. o Tautologie o keine Tautologie

    Eine Tautologiekann sich über ganze Argumentations-stränge hinziehen.

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    Lektion 3

    3.2 Einige Begrifflichkeiten In der Wissenschaft ist immer wieder die Rede von Theorien (auch: Hyper- und Metatheorien), von Thesen, Sätzen, Lemmas, Hypothesen, Theoremen und Argumenten. Häufig wird ver-sucht, zwischen diesen Begriffen zu unterscheiden. Dabei wird meistens die Idee einer Größen-ordnung bemüht, etwa die, dass mehrere zusammenhängende Thesen eine Theorie bilden. Eigentlich handelt es sich bei dieser Begriffsvielfalt um den Versuch, die Klasse der „wissen-schaftlichen Aussagen“ weiter zu untergliedern. Allerdings beruht kein Versuch einer weiteren begrifflichen Untergliederung auf wissenschaftstheoretisch klar zwingenden Kriterien. Anders gesagt: Die begriffliche Unterteilung von „wissenschaftlichen Aussagen“ ist etwas willkürlich, deklaratorisch und vor allem eine Definitionsfrage, die von Buch zu Buch variiert. Es gilt auch hier der Satz, dass Begrifflichkeiten zunächst einmal keinem Wahrheitskriterium, sondern einem Nützlichkeitskriterium unterliegen.

    Bitte fassen Sie die folgenden Wortbeschreibungen daher nur als einen groben Orientierungs-rahmen auf. Haben Sie Vertrauen in Ihre Intuition - Sie werden im Laufe Ihres Studiums ganz intuitiv ein Gefühl für die Wortverwendung entwickeln. Definition: Eine Definition ist eine kurze wesensmäßige Präzisierung eines Begriffs und dient der Abgrenzung von anderen Begriffen. Es gibt viele Definitionsversuche des Begriffs „Definition“.

    Axiom: Unter einem Axiom versteht man einen grundlegenden sowie unhinterfragbaren Aus-gangssatz. Unhinterfragbar bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich, dass man das Axiom entweder anwendet oder auf seine Anwendung verzichtet. Meistens spricht man von Axiomen, wenn man besonders strikt formalisierte Systeme von Aussagen hat, etwa in der Logik oder in der Statistik.

    Beispiel: Das logische Axiom „Tertium non datum.“ bedeutet, dass entweder die Aussage A stimmt oder aber ihr Gegenteil. Es kann kein Drittes wahr sein. Es findet klassischerweise in allen Wissenschaften Anwendung. Der Logiker L. Brouwer (1908) hat unter Verzicht dieses Axioms ein alternatives logisches System erstellt, das in der Folge vollkommen ohne Wider-spruchsbeweise auskommen muss.

    Ausgangshypothese: Unter einer Ausgangshypothese versteht man eine Vermutung über das Bestehen einer Gesetzmäßigkeit. Die Vermutung hat den Charakter einer Vorannahme, die man teilen kann oder nicht, die aber z. B. im Rahmen einer Untersuchung ungeprüft fest-gelegt wird. Eine Ausgangshypothese ist im Rahmen einer Untersuchung einem Axiom nicht unähnlich. So arbeiten weite Teile der Ökonomie unter der Ausgangshypothese des homo oeconomicus, wenngleich in anderen sozialwissenschaftlichen Bereichen die These, der Mensch sei ein homo oeconomicus, verworfen wurde. Hypothese/These: Wissenschaftliche Antworten auf eine Fragestellung werden gerne als Hypothese oder These bezeichnet. Dies gilt besonders dann, wenn sie noch nicht sehr erhärtet sind und unter Fachkollegen kontrovers diskutiert werden.

    Definition

    Axiom

    Ausgangs-hypothese

    Hypothese/These

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    Aussagen und Fragestellungen

    Satz/Gesetz: Mehrere Argumente und erhärtete Thesen, die über einen Spezialfall hinaus-gehen, nennt man einen Satz. Weil der Satz über mehr als einen Spezialfall hinausgeht, kann man von einem Satz mittels induktiven Schließens Schlüsse ziehen. Lemma: Von einem Lemma spricht man gelegentlich in der Mathematik und in der Statistik. Ein Lemma ist ein Hilfssatz. Es wird meistens zur argumentativen Vorbereitung und zum Beweis eines wichtigen Satzes verwendet. Die Unterscheidung zwischen einem Satz und einem Lemma ist subjektiv. Korrolar: Ein Korrolar ist eine logisch sofort zwingende Schlussfolgerung aus einem Satz. Korrolare werden in der Statistik und Mathematik oftmals benutzt, um die Anwendungsbe-deutung eines Satzes zu unterstreichen. Beispiel: Jedes Polynom n-ten Grades hat höchstens n paarweise verschiedene, reelle Nullstellen. Korrolar: Das Polynom x2 hat höchstens zwei reelle Nullstellen.

    Theorem: Hat sich ein Satz etwas „erhärtet“, spricht man gerne von einem Theorem. Theorie: Wenn mehrere thematisch ähnlich gelagerte Theoreme es erlauben, zu einem bestimmten Gegenstandsbereich/Thema auf vielschichtige Weise Stellung zu beziehen, dann spricht man von einer Theorie. Theorien sind somit „Gesetzessammlungen“.Natürlich wird man von einer Theorie verlangen, dass sie in sich widerspruchsfrei ist. Eine Theorie darf selbstverständlich Anlass für neue Fragestellungen und weiteren Forschungsbe-darf sein.

    Großtheorien: Theorien, die derart umfänglich sind, dass sich aus ihnen disziplinüber-greifende Aussagen ableiten lassen, werden manchmal als Großtheorien bezeichnet. Sie werden auch als „Ideologie“ bezeichnet, wobei man diesen Begriff keinesfalls im Sinn eines abwerten-den politischen Kampfbegriffs verstehen darf, sondern eher im Sinne einer „Denkbrille“ oder „Weltanschauung“. Fragen zur Selbstkontrolle

    1. Könnte der folgende Satz als eine These bezeichnet werden? Große Organisationen bewältigen einen Strukturwandel ihrer internen Abläufe langsamer als kleine Organisationen.

    o ja o nein

    Satz/Gesetz

    Lemma

    Korrolar

    Theorem

    Theorie

    Großtheorien

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    Lektion 3

    3.3 Von der Problematik zur Fragestellung Wissenschaft ist ein Erkenntnissystem. Erkenntnisse sucht der Mensch, um Probleme zu lösen. Insofern ist Jürgens zuzustimmen: „[F]orschung ist ein problemlösendes Handeln“ (Jürgens 1990, S.13). Häufiges Erkenntnisinteresse der Forschung ist es, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern. Die realen Probleme des Lebens bestimmen den Blick der betriebswirtschaftlichen Forschung. Wer etwa den Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Gehalt unter-sucht, möchte einen Beitrag gegen das Problem unzufriedener Belegschaften leisten, die unproduktiv werden oder sogar innerlich kündigen und nur noch „Dienst nach Vorschrift“ tun. Wer die betrieblichen Bedingungen für die Innovation im demographischen Wandel untersucht, will die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sichern, deren Belegschaft im Durchschnitt immer älter wird. Wer das Risiko einer Investition untersucht, möchte den am Unternehmen beteiligten Menschen das Erlebnis einer Firmenpleite ersparen.

    Somit ist jede Fragestellung, die einer wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit zu Grunde liegt, IMMER problemorientiert. Das unterscheidet eine wissenschaftliche Fragestellung von einer deskriptiven Fragestellung oder einer reinen Wissensfragen wie zum Beispiel: „Wie heißt der Gründungspräsident des Bundes der Deutschen Industrie?“ Eigentlich sollte dies eine Binsenweisheit sein, aber bis heute kann man immer wieder Dis-sertationen lesen, die sich in seitenlanger Deskription zu einem gestellten Thema ergießen, ohne dass diese problemorientiert erfolgt. Um es hier deutlich zu sagen: Reine Deskription ist hoch-gradig unwissenschaftlich und führt zur Ablehnung oder zumindest zur massiven Abwertung einer studentischen Arbeit. Wer nur Wissensfragen beantwortet, betreibt keine Wissenschaft. Deskription darf nur zu dem Zwecke erfolgen, Argumente mit Hilfe von Belegen zu unter-mauern und damit die Beantwortung einer wissenschaftlichen Fragestellung voranzutreiben.

    Diese Fragestellung ist für jede wissenschaftliche Arbeit konstitutiv. Die Fragestellung fungiert in einem wissenschaftlichen Text als „roter Faden“. Wem es nicht gelingt, eine gute Frage-stellung – das heißt, eine problemorientierte Fragestellung – zu entwickeln, dem kann unter keinen Umständen eine gute wissenschaftliche Arbeit gelingen. Die Fragestellung muss nicht unbedingt explizit die Form eines Fragesatzes haben, der mit einem Fragezeichen endet. Oftmals steckt die Fragestellung einer Arbeit implizit in einem längeren Textabschnitt. Sie können sich aber darauf verlassen, dass bei der Begutachtung Ihrer Arbeit die Fragestellung herausgearbeitet und explizit vermerkt wird.

    Die untersuchte Problemstellung sollte relevant und einigermaßen bedeutsam sein. Um dies zu verdeutlichen, sollten Sie die Relevanz Ihrer Arbeit explizit darlegen und begünden. Die Bedeutsamkeit einer Problemstellung kann daraus resultieren, dass das Problem im wirklichen Leben gewichtig ist (Arbeitslosigkeit). Aber auch ein unbefriedigender wissenschaftlicher Zustand (etwa ein methodisches oder theoretisches Defizit oder Desiderat) kann bedeutungs-voll sein. So ist beispielsweise die Pflanzenwelt auf Teneriffa bezogen auf das globale Öko-system wahrscheinlich kein gewichtiger Faktor. Allerdings finden sich auf Teneriffa seltene evolutionäre Zwischenformen, die für die Systematik der