Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

3
51. OGE-FACHTAGUNG Elektrotechnik & Informationstechnik (2013) 130/8: 260–262. DOI 10.1007/s00502-013-0170-0 Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende J. Meindl Online publiziert am 14. Dezember 2013 © Springer Verlag Wien 2013 1. Einleitung Auf die Verteilnetze kommen mit Integration verteilter, zumeist re- generativer Erzeuger und Lasten mit anderem Gleichzeitigkeitsan- spruch (Wärmepumpen, Klimaanlagen oder Elektromobilität) enor- me Herausforderungen zu. Es werden wetter- und tageszeitab- hängig volatile und bidirektionale Leistungsflüsse, aber auch Span- nungserhöhungen auftreten, die in erhöhtem Maße die Auslegungs- grenzen der Betriebsmittel überschreiten. Die Herausforderung für zukünftige Netze wird also darin beste- hen, jederzeit den sicheren Systembetrieb bei gleichzeitig möglichst hoher Aufnahmefähigkeit von Strom aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Die Energiewende bringt für den Netzbetrieb die „neue“ Aufgabe der Überwachung und Steuerung von dezentralen Erzeugern und Lasten. Zur Bewältigung dieser neuen Herausforderungen sind Anpassun- gen des Verteilnetzes an die geänderten Rahmenbedingungen un- umgänglich. Die Planung und der Ausbau der Netze sind dabei in zwei Richtungen möglich: – Erhöhung der Netzkapazität durch konventionellen Ausbau – Aufrüstung der Netze mit intelligenter Kommunikations-, Mess-, Steuer-, Regel-, Schutz- und Automatisierungstechnik zur Vermei- dung oder Reduzierung des Netzausbaus Im vorliegenden Beitrag widmen wir uns dem Netzausbau durch Aufrüstung der bestehenden Netze durch Netzautomatisierung und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). 2. Schrittweise Aufrüstung der Netze Automatisierung wird einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Betriebsfähigkeit der Netze leisten. Informations- und Kommunika- tionstechnologien werden den Netzbetrieb unterstützen. Der Ausbau der Verteilnetze kann schrittweise erfolgen, wobei sich folgende notwendige Schritte ergeben: Installation von Mess- und Kommunikationsgeräten im Mittelspan- nungs- und Niederspannungsnetz Netzautomatisierung zur Bildung von aktiven Netzen (Microgrids, virtuelle Kraftwerke) Erweiterung des bestehenden Netzschutzes zum Systemschutz Durch die lokale Netzautomatisierung kann der Netzbetrieb ent- lastet werden, beispielsweise durch: Spannungshaltung Lastflussmanagement (übergreifende Wirk- und Blindleistungsre- gelung) Lade-/Entlademanagement von Energiespeichern Querverbundoptimierung mit z. B. Fernwärme, Gas Verbrauchersteuerung (Demand Side Management, Demand Side Response) Störungsmanagement Unterstützung des Netzwiederaufbaus (Schwarzstart) automatische Wiederzuschaltung virtuelle Kraftwerke und Microgrids 3. Aufbau eines Energieinformationsnetzes Das Hochspannungsnetz ist in der Regel mit leittechnischen Kompo- nenten gut ausgerüstet. Für den Betrieb der Netze stehen Rückmel- dungen des Schaltzustandes und Messwerte (I, U, P, Q) in sehr guter Qualität zur Verfügung. Der Netzzustand im Mittelspannungsnetz wird heute weitge- hend über Grenzwertmeldungen der Abgangsfelder der über- wachten Stränge in der Umspannanlage ermittelt. Die Messwer- te werden dafür am Abgang gemessen. Innerhalb der Stränge sind heute meist keine Messstellen für den Zweck der Netzfüh- rung vorhanden. Die automatische Erstellung eines vollständigen Netzabbildes des Mittelspannungsnetzes ist daher nicht möglich. Dies ist für den sicheren Netzbetrieb zukünftig nicht mehr ausrei- chend. Die Integration geeigneter Mess- und Kommunikationstechnik an strategisch wichtigen Punkten im MS-Netz ist der erste notwendige Schritt, um das MS-Netz aufnahmefähig für dezentrale Energieer- zeugungsanlagen (DEA) zu machen. 4. Aktive Netze Für eine hohe Aufnahmefähigkeit von dezentraler Einspeisung müs- sen die Netze zu „aktiven“ Netzen ausgebaut werden, die auf die zu erwartende hohe Fluktuation reagieren. Bei der Installation der Mess- und Kommunikationsgeräte ist da- her darauf zu achten, dass diese erweiterbar sind, um diese Auto- matisierungsaufgaben übernehmen zu können. Neben fernwirktechnischen Fähigkeiten und Robustheit gegen- über elektromagnetischer Beeinflussung müssen diese auch geeig- nete Möglichkeiten zur Programmierung von Automatisierungsauf- gaben bereitstellen. Programmiersysteme nach IEC 61131-3 sind in der Regel dafür geeignet. In den dezentralen Automatisierungsgeräten können dann Algo- rithmen zur Berechnung des lokalen Netzzustandes ablaufen, und daraus können geeignete Parametervorgaben für Spannungsregler im MS-Netz oder für regelbare Ortsnetzstationen (ONS) abgeleitet werden. In weiterer Folge können damit auch autonom arbeitende Microgrids aufgebaut werden (Abb. 1). 260 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik Kurzfassung eines Vortrags bei der 51. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Energietechnik im OVE, die am 10. und 11. Oktober 2013 in Graz stattfand. Meindl, Johann, Bereichsleitung Produkte und Innovationen, Sprecher Automation GmbH, Franckstraße 51, 4020 Linz, Österreich (E-Mail: [email protected])

Transcript of Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

Page 1: Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

51. OGE-FACHTAGUNG Elektrotechnik & Informationstechnik (2013) 130/8: 260–262. DOI 10.1007/s00502-013-0170-0

Energieautomation – ein wichtigerBaustein für die EnergiewendeJ. Meindl

Online publiziert am 14. Dezember 2013© Springer Verlag Wien 2013

1. EinleitungAuf die Verteilnetze kommen mit Integration verteilter, zumeist re-generativer Erzeuger und Lasten mit anderem Gleichzeitigkeitsan-spruch (Wärmepumpen, Klimaanlagen oder Elektromobilität) enor-me Herausforderungen zu. Es werden wetter- und tageszeitab-hängig volatile und bidirektionale Leistungsflüsse, aber auch Span-nungserhöhungen auftreten, die in erhöhtem Maße die Auslegungs-grenzen der Betriebsmittel überschreiten.

Die Herausforderung für zukünftige Netze wird also darin beste-hen, jederzeit den sicheren Systembetrieb bei gleichzeitig möglichsthoher Aufnahmefähigkeit von Strom aus erneuerbaren Energien zugewährleisten.

Die Energiewende bringt für den Netzbetrieb die „neue“ Aufgabeder Überwachung und Steuerung von dezentralen Erzeugern undLasten.

Zur Bewältigung dieser neuen Herausforderungen sind Anpassun-gen des Verteilnetzes an die geänderten Rahmenbedingungen un-umgänglich. Die Planung und der Ausbau der Netze sind dabei inzwei Richtungen möglich:

– Erhöhung der Netzkapazität durch konventionellen Ausbau– Aufrüstung der Netze mit intelligenter Kommunikations-, Mess-,

Steuer-, Regel-, Schutz- und Automatisierungstechnik zur Vermei-dung oder Reduzierung des Netzausbaus

Im vorliegenden Beitrag widmen wir uns dem Netzausbau durchAufrüstung der bestehenden Netze durch Netzautomatisierung undInformations- und Kommunikationstechnologien (IKT).

2. Schrittweise Aufrüstung der NetzeAutomatisierung wird einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung derBetriebsfähigkeit der Netze leisten. Informations- und Kommunika-tionstechnologien werden den Netzbetrieb unterstützen.

Der Ausbau der Verteilnetze kann schrittweise erfolgen, wobeisich folgende notwendige Schritte ergeben:

• Installation von Mess- und Kommunikationsgeräten im Mittelspan-nungs- und Niederspannungsnetz

• Netzautomatisierung zur Bildung von aktiven Netzen (Microgrids,virtuelle Kraftwerke)

• Erweiterung des bestehenden Netzschutzes zum Systemschutz

Durch die lokale Netzautomatisierung kann der Netzbetrieb ent-lastet werden, beispielsweise durch:

• Spannungshaltung• Lastflussmanagement (übergreifende Wirk- und Blindleistungsre-

gelung)• Lade-/Entlademanagement von Energiespeichern• Querverbundoptimierung mit z. B. Fernwärme, Gas• Verbrauchersteuerung (Demand Side Management, Demand Side

Response)

• Störungsmanagement• Unterstützung des Netzwiederaufbaus (Schwarzstart)• automatische Wiederzuschaltung• virtuelle Kraftwerke und Microgrids

3. Aufbau eines EnergieinformationsnetzesDas Hochspannungsnetz ist in der Regel mit leittechnischen Kompo-nenten gut ausgerüstet. Für den Betrieb der Netze stehen Rückmel-dungen des Schaltzustandes und Messwerte (I,U,P,Q) in sehr guterQualität zur Verfügung.

Der Netzzustand im Mittelspannungsnetz wird heute weitge-hend über Grenzwertmeldungen der Abgangsfelder der über-wachten Stränge in der Umspannanlage ermittelt. Die Messwer-te werden dafür am Abgang gemessen. Innerhalb der Strängesind heute meist keine Messstellen für den Zweck der Netzfüh-rung vorhanden. Die automatische Erstellung eines vollständigenNetzabbildes des Mittelspannungsnetzes ist daher nicht möglich.Dies ist für den sicheren Netzbetrieb zukünftig nicht mehr ausrei-chend.

Die Integration geeigneter Mess- und Kommunikationstechnik anstrategisch wichtigen Punkten im MS-Netz ist der erste notwendigeSchritt, um das MS-Netz aufnahmefähig für dezentrale Energieer-zeugungsanlagen (DEA) zu machen.

4. Aktive NetzeFür eine hohe Aufnahmefähigkeit von dezentraler Einspeisung müs-sen die Netze zu „aktiven“ Netzen ausgebaut werden, die auf diezu erwartende hohe Fluktuation reagieren.

Bei der Installation der Mess- und Kommunikationsgeräte ist da-her darauf zu achten, dass diese erweiterbar sind, um diese Auto-matisierungsaufgaben übernehmen zu können.

Neben fernwirktechnischen Fähigkeiten und Robustheit gegen-über elektromagnetischer Beeinflussung müssen diese auch geeig-nete Möglichkeiten zur Programmierung von Automatisierungsauf-gaben bereitstellen. Programmiersysteme nach IEC 61131-3 sind inder Regel dafür geeignet.

In den dezentralen Automatisierungsgeräten können dann Algo-rithmen zur Berechnung des lokalen Netzzustandes ablaufen, unddaraus können geeignete Parametervorgaben für Spannungsreglerim MS-Netz oder für regelbare Ortsnetzstationen (ONS) abgeleitetwerden. In weiterer Folge können damit auch autonom arbeitendeMicrogrids aufgebaut werden (Abb. 1).

260 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik

Kurzfassung eines Vortrags bei der 51. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft fürEnergietechnik im OVE, die am 10. und 11. Oktober 2013 in Graz stattfand.

Meindl, Johann, Bereichsleitung Produkte und Innovationen, Sprecher AutomationGmbH, Franckstraße 51, 4020 Linz, Österreich(E-Mail: [email protected])

Page 2: Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

J. Meindl Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende 51. OGE-FACHTAGUNG

Abb. 1. Ein autonom arbeitendes Microgrid

Abb. 2. Kombischutzgerät

5. Erweiterung des Netzschutzes zum SystemschutzDer netzübergreifende Überlastschutz von Betriebsmitteln wird zu-künftig an Bedeutung gewinnen. Zusätzliche Informationen wie

Temperatur, Windgeschwindigkeit und Globalstrahlung sind zum si-

cheren Betrieb höher belasteter Betriebsmittel ins Schutzsystem zu

integrieren (Abb. 2).

November/Dezember 2013 130. Jahrgang © Springer Verlag Wien heft 8.2013 261

Page 3: Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

51. OGE-FACHTAGUNG J. Meindl Energieautomation – ein wichtiger Baustein für die Energiewende

Abb. 3. Die fortschreitende Netzautomatisierung erfordert neue Schutzmaßnahmen

Das Schutzsystem muss zukünftig neben dem Betriebsmittel-schutz auch erweiterte Systemschutzaufgaben, wie z. B. Spannungs-und Frequenzstabilität, übernehmen. Zusätzlich ist zu berücksichti-gen, dass durch die Einbringung von dezentralen Einspeisern bis-her bewährte Schutzkonzepte nicht mehr ausreichend funktionie-ren werden. Die Kurzschlussrichtung ist nicht mehr nur aufgrundder Topologie definiert. Eine schnelle und zuverlässige Inselnetzer-kennung muss fester Bestandteil zukünftiger Selektivschutzsystemesein.

Durch die höhere Betriebsmittelauslastung verringert sich die An-regesicherheit, da sich der maximale Laststrom dem minimalen Kurz-schlussstrom annähert. Aus diesem Grund müssen neue Schutzkri-terien zur sicheren Fehlererkennung verwendet werden.

Eine Modifikation und Dynamisierung des frequenzabhängigenLastabwurfes muss aufgrund der zu erwartenden höheren Fre-quenzschwankungen erfolgen. Hierbei ist insbesondere auch dieLeistungsrichtung im betroffenen Abzweig zu berücksichtigen.

6. IT-SecurityDie „Internetisierung“ unserer Energieversorgung durch neue Tech-nologien und Akteure sowie die immer stärker werdende Dezentra-lisierung der Automatisierungsbausteine erfordern eine Härtung ge-gen Cyberattacken. Um eine hohe Versorgungssicherheit aufrechtzu erhalten, müssen geeignete Strategien, Prozesse und Technolo-gien bereitgestellt und kontinuierlich neuen Bedrohungsszenarienangepasst werden. Erschwerende und besondere Herausforderungist dabei das vorgelegte Tempo des technischen Fortschritts im IKT-Bereich. Auch die durch fortschreitende Netzautomatisierung neu

geschaffenen Schnittstellen, Datenknoten und Kommunikationswe-ge stellen mögliche Angriffspunkte dar, die es mit geeigneten Maß-nahmen zu schützen gilt (Abb. 3).

7. ResümeeDie Energiewende ist aus derzeitiger Sicht alternativlos. Auf demWeg dorthin werden wir noch vielen Herausforderungen begegnen.Die notwendigen Änderungen erfolgen dabei im Realbetrieb, quasiam „offenen Herzen“.

Zur Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben im Netzbetrieb wirdes notwendig sein, Abläufe zu automatisieren. Dabei darf aber nichtdurch technische Leichtgläubigkeit und Leichtfertigkeit die Stabilitätdes Gesamtsystems gefährdet werden.

Für viele Aufgabenstellungen im zukünftigen aktiven Netz sindbereits heute Konzepte und Technologien vorhanden. Die Kombi-nation bestehender Ansätze und die Erfahrungen aus vielen Pilot-und Forschungsprojekten führen in vielen Fällen zu zufriedenstel-lenden Ergebnissen. Durch den Einsatz von IKT in den Netzen ent-stehen aber auch neue Bedrohungsszenarien im Bereich der CyberSecurity.

Die Energiewende wird uns noch vor viele weitere Herausforde-rungen stellen. Es ist daher wichtig, nachhaltige, einfache und ro-buste Konzepte zu entwickeln, um diesen Herausforderungen gutgerüstet begegnen zu können.

Das Gelingen der Energiewende wird jedoch nicht allein von derTechnik, sondern auch von der Einführung von energiepolitischenRahmenbedingungen abhängen, die die Flexibilität auf Erzeugungs-und Verbraucherseite fördern und allen Akteuren des Strommarkteswirtschaftliche Anreize bieten, auch den Endkunden.

262 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik