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    Aachen4 und die Solidaritt der deutschenLinken

    Die so genannten Aachen4, Bart, Jos, Gabrielund Begona wurden am 28.06.2004 in Aachenverhaftet wo ihnen spter auch der Prozessgemacht wurde. Bart de Geeter, aktiv in derSolidarittsarbeit mit Flchtlingen und in der

    Knast als Feld der politischenAuseinandersetzung?

    O u r p a s s i o n f o r f r e e d o m

    i s s t r o n g e r t h a n a n y p r i s o n !

    anarchistischen Gefangenenunter-sttzung. Jose FernandezDelgado, Anarchist, der 24 Jahreim spanischen Knast sa, davonlange Zeit im FIES-System. GabrielPombo da Silva, Anarchist, sa

    20 Jahre im spanischen Knast,davon 14 Jahre im FIES-System.Und Begona Pombo da Silva, dieauer, dass sie die Schwester vonGabriel ist, keine Verbindungenzur anarchistischen Bewegunghat. Das FIES-System, dass inmehreren Gefngnissen Spaniensgegen all jene angewendet wird,die sich nicht unterordnen wollen,beruht auf absoluter Isolation,psychischen und physischen

    Misshandlungen, permanenterDemtigung, mangelnder bis keinermedizinischen Behandlung und demAusgeliefertsein der institutionellen Willkr. Josund Gabriel konnten diesem System der Folterund Isolation entkommen und befanden sichseitdem auf der Flucht. Dabei gerieten sie in einedeutsche Polizeikontrolle. Beim Versuch dieser zuentkommen, kam es zu einem Schusswechsel mitder Polizei und einer kurzfristigen Geiselnahmevon zwei unbeteiligten Menschen. Nach ihrer

    Verhaftung saen die Vier unter verschrftenSicherheitsbedingungen und nahezu totalerIsolation in Haft. Begona wurde im Dezember 2004aufgrund der geringen Beweislage freigelassen,stand spter aber mit den drei anderen vorGericht.

    Der Prozess, der am 23. Mrz 2005 begann,war eine juristische Farce voll von Versuchender Demtigung, Einschchterung, Provokation,Isolation und Erniedrigung. Nach 6 Monaten wurde

    am 28. September 2005 das Urteil gesprochenund Jos zu 14 Jahren, Gabriel zu 13 Jahren, Bartzu 3 Jahren 6 Monaten und Begona zu 10 Monatenauf Bewhrung verurteilt. In der Presse wurde dasganze als spektakulrer Vorfall behandelt, der dieSensationslust stillen und die vier als besonders

    gefhrliche Kriminelle hinstellenund isolieren sollte. Doch die Vierwaren und sind nicht alleine. In derganzen Zeit wurden und werdensie von zahlreichen AnarchistInnenaus ganz Europa untersttzt. Vor

    allem whrend des Prozesseskamen viele nach Aachen um sichmit den Gefangenen solidarisch zuzeigen.

    Was uns die ganze Zeit bergestrt hat und auch noch immerstrt, war und ist die fehlendeSolidaritt von der Mehrheit der

    deutschen linken/linksradikalenBewegung, wohingegen dieGefangenen wesentlich mehr

    Solidaritt aus anderen Lndernerhalten. Unter vielen deutschen

    Linken/Linksradikalen wurden immer dieGeiselnahme und das Tragen von Waffen kritisiertund als Grund fr die ausbleibende Solidarittvorgeschoben. Auch unter uns und unter denGruppen, die aktive Solidarittsarbeit leisten,war die Geiselnahme ein Thema mit dem sichauseinandergesetzt wurde. Es gab Papiere, diesich mit der Geiselnahme und einem Umgangdamit beschftigten, von der Soligruppe und den

    Gefangenen wurde teilweise auch versucht sichdirekt mit den Geiseln auseinanderzusetzen.

    Auch wenn wir einer Geiselnahme sehr kritischgegenber stehen, war und ist uns klar, dass wirdie Gefangenen fr diese Aktion weder verurteilennoch unsere Solidaritt davon abhngig machen.

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    Man darf nicht vergessen, dass Jos und Gabrielviel zu lange Zeit in spanischen Gefngnissenverbringen und Folterungen jeglicher Art bersich ergehen lassen mussten. Auf der Fluchtin eine Polizeikontrolle zu geraten war eineAusnahmesituation. Wir knnen nicht sagen welcheEntscheidung wir in dieser Ausnahmesituationgetroffen htten, noch wollen wir die getroffeneEntscheidung als Mastab fr unsere Solidaritt

    ansetzen. Das heit nicht, dass man dem Ganzenunkritisch gegenberstehen soll, es heit allerdingsauch nicht, dass man sich aufgrund von anderenpolitischen und moralischen berzeugungenentsolidarisieren soll. Diese Entsolidarisierungging innerhalb einiger Kreise der deutschenLinken/Linksradikalen sogar so weit, dass gesagtwurde die Gefangenen htten den Knast verdient,dass die Gesellschaft ja vor solchen Menschenbeschtzt werden muss. Wir finden es uerstbeschmend und unreflektiert, wenn Menschenvon ihren bequemen und oftmals privilegierten

    Positionen aus mit solchen Sprchen um sichwerfen und andere Menschen verurteilen.

    Unsere Solidaritt mit Gefangenen heit nicht,dass wir uns jedes Mal 100%ig mit ihrenAktionen und politischen Positionen identifizieren.Solidaritt heit fr uns, ihnen Untersttzungzu geben, weil sie gegen dieses System und diebestehende gesellschaftliche Ordnung kmpfenund eine hnliche gesellschaftliche Utopie wie wirbesitzen/fordern. Das heit fr uns, wie auch imAlltag bei der Auseinandersetzung mit anderenpolitischen Gruppen, ein permanentes kritisches,aber immer solidarisches Auseinandersetzenmit den Gefangenen zu haben. Sich zuEntsolidarisieren gehrt einfach nicht zu unsererPraxis und zu unserer Vorstellung von einerbefreiten Gesellschaft, genauso wenig wiezu unserer Vorstellung einer revolutionren,emanzipatorischen Bewegung.

    Uns scheinen die Grnde fr dieses unsolidarischeVerhalten in Deutschland ziemlich klar zu sein es

    fehlt hier an einer Bewegung, die die Abschaffungaller Knste und Zwangsanstalten und darberhinaus die Freilassung aller Gefangenen, und nichtnur der politischen und/oder persnlichen,fordert. Wenn wir uns Antirepressionsarbeitin Deutschland anschauen, stellen wir immerwieder fest, dass eine allgemeine Kritik andem Strafsystem an sich, an der Justiz, an denKnsten und anderen Zwangsanstalten fehlt.Bei den meisten Soligruppen werden immernur die eigenen Gefangenen untersttzt undmeistens ist mensch zufrieden wenn der/die

    Gefangene raus ist. Dann ist alles wieder gut,und mensch darf wieder vergessen, dass hinterden Gittern immer noch Menschen sitzen -Gefangene dieses Systems, des kapitalistischenSystems, wo Menschen, die die bestehendenEigentumsverhltnisse nicht akzeptieren, sei esdurch eine gewisse Notwendigkeit (z.B. Armut)

    oder einfach nur aus dem Bedrfnis heraussich auch mal was gnnen zu wollen. UnzhligeGefangene sitzen in deutschen Knsten weilsie im Supermarkt geklaut haben, weil sie

    schwarzgefahren sind. Die meisten Menschenhinter Gittern sitzen wegen Eigentumsdeliktenoder BtmG-Delikten.

    Knast als Feld der politischen Auseinandersetzung

    wird fast nie thematisiert, stattdessen mussmensch leider zu oft Flugbltter lesen in denenirgendwelche linken Gruppen nach der Justizschreien um in ihren Augen antifaschistischaktiv zu werden. Hier soll als Beispiel nur an denJubel der Antifa-Szene erinnert werden, wo dieNaziband Landser wegen 129 verurteilt wurde,ohne auch nur daran zu denken dass genau dieseGesetzesauslegung auch gegen Linke angewendetwerden kann und auch wird.

    Es scheint, dass in der so genannten radikalen

    Linken die meisten AktivistInnen die gleichenStereotype die innerhalb der normalen Gesellschaftexistieren, kritiklos reproduzieren. Knast istkeine Lsung fr die sozialen Probleme dieserGesellschaft. Wie schon oft von anderen Gruppengesagt: Konflikte lassen sich nicht wegsperren!Wir sagen nicht, dass die Abschaffung der Knsteund anderer Zwangsanstalten ein einfacher undschneller Prozess ist und wir die Lsung fr allesparat htten. Uns geht darum nicht zu vergessendass auch der Knast und das Strafsystem einwichtiger Teil der kapitalistischen Gesellschaftist und keine Lsung sondern nur ein weiteresProblem darstellen. Das Strafsystem und seineInstitutionen sind weder positiv zu betrachten nochfr politische oder persnliche Zwecke nutzbar.Wir haben es satt, dass die Auseinandersetzungeninnerhalb der deutschen Linken/Linksradikalengroteils nur aus Distanzierung und Abspaltungenbestehen, wie z.B. auch im Aachener Fall. Es gibtfr uns kein schuldig oder unschuldig und auchsollte die Einteilung in politische Gefangeneund soziale Gefangene (oder nur Gefangene)

    berdacht werden.

    Knast soll innerhalb der deutschen Linken/Linksradikalen wieder als Feld der politischenAuseinandersetzung gesehen werden.Antirepressionsarbeit soll eine breitere Perspektivehaben, sprich es soll nicht nur immer der aktuelleEinzelfall thematisiert werden. Der gesamteKontext, Knste und das Strafsystem an sichsollen ebenso aufgegriffen werden. Wir knntenhierzu noch wesentlich mehr schreiben, allerdingsist es nicht unser Anspruch in einem einzigen

    Text alles bis ins Detail zu analysieren undauszuformulieren, noch wollen wir dadurch unsereHauptkritikpunkte nicht mehr wahrnehmbarmachen. Fr uns ist dieser Text der Beginn einerAuseinandersetzung ber ein Thema, welches inDeutschland seit zu langer Zeit unter den Tischgefallen ist. Wir hoffen, dass sich Leute positiv

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    provoziert fhlen, auch ber weitere Beitrge zumThema wrden wir uns freuen.

    Wie schon gesagt, wir haben keine vorbereiteteLsung parat, denn Anarchismus sehen wir eherals einen Prozess an dem sich alle beteiligenmssen, Tag fr Tag, um eine freiere Gesellschaftzu schaffen.

    Mittlerweile wurde Bart de Geeter am 09.Januar 2007 aus der JVA Remscheid entlassen.Eigentlich sollte die Entlassung schon am 28.Oktober 2006, also nach Absitzen von 2/3 derverhngten Strafe, erfolgen. Aber die deutscheJustiz hat es sich nicht nehmen lassen auch ihreletzten brokratischen Mglichkeiten zu nutzenum die Entlassung hinauszuzgern und Bart imUngewissen zu lassen. Nach monatelangem Hinund Her, Gutachten und Anhrungen ist Bart nunendlich frei. Aber wir drfen Jos und Gabriel nichtvergessen, die noch mehrere Jahre Haft absitzen

    mssen. Die Revision wurde im September2006 abgelehnt und damit sind die Urteilerechtskrftig. Somit sind die beiden nicht lngerUntersuchungshftlinge, sondern Strafgefangene,was viele weitere Nachteile mit sich bringt, z.B. dassie verpflichtet werden knnen Anstaltskleidungzu tragen, zu arbeiten usw...Jos wollte die neuen Haftbedingungen nichtakzeptieren und hat im Herbst 2006 einenKooperationsstreik durchgefhrt, in dem er jeglicheZusammenarbeit mit dem Knast verweigert hat(Hofgang, Anstaltsessen, Anstaltskleidung,...).Mittlerweile wurde Jos zum dritten Mal in einenneuen Knast verlegt, in dem die Haftbedingungenzwar besser, aber immer noch nicht tragbar sind.Auch Gabriel ist mit sehr harten Haftbedingungenkonfrontiert, weil er genauso wie Jos in denJustizkarteien als besonders gefhrlicherStraftter gefhrt wird und deswegen auch eine

    besondere Behandlung bekommt.

    Schreibt den Gefangenen Briefe, machtSoliaktionen!

    Jos Fernandez DelgadoAachenerstr. 4753359 Rheinbach (Germany)

    Gabriel Pombo da SilvaKrefelder Str. 25152070 Aachen (Germany)

    Weitere Infos zu dem Fall der Aachen4 unterwww.escapeintorebellion.info undwww.abc-berlin.net

    Anfang Februar diesen Jahres machten zweiaus Strafhaft entlassene Mnner Schlagzeilen:der eine hatte in seinem 40jhrigen Leben zweiMenschen gettet, der andere, 42 Jahre alt, Kindervergewaltigt. Beide saen in Ostdeutschland inHaft, gegen beide konnte aus formaljuristischenGrnden keine Sicherungsverwahrung (SV)verhngt werden. Und da sie laut Gefngnisleitunghochgradig gefhrlich sein sollen, berwacht mansie Tag und Nacht, was angeblich bis zu 5000,-Euro pro Tag koste. Selbst die taz sprang auf den

    panikschrenden Zug auf und titelte im Innenteil:Sehr gefhrlicher Vergewaltiger frei Er hatneun Mdchen geqult. Jetzt kommt er frei, weildie Sicherungsverwahrung erst spter eingefhrtwurde. (taz vom 05. Februar 2007)

    Wer fr eine Abschaffung von Knsten streitet,der bekommt Flle wie die oben erwhntenvorgehalten, verbunden mit der emprten Frage:

    Willst Du SOLCHE Leute etwa auf die Menschheitloslassen? Solch eine Reaktion hrt manvermehrt auch im linken politischen Spektrum;

    trotz dem seit geraumer Zeit zu verzeichnendenRckgang schwerer Gewaltstraftaten, steigt dieZahl der Inhaftierten kontinuierlich, und selbst inder sich doch als emanzipatorisch definierendenLinken gibt es die RuferInnen: Wegsperren ambesten fr immer.

    Abschaffung von Knsten?von Thomas Meyer-Falk

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