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Januar 2019 Seiten 1 – 72 EFG.1 Entscheidungen der Finanzgerichte Mit umfassender Online-Datenbank HERAUSGEGEBEN UNTER MITWIRKUNG DER RICHTER AN DEN FINANZGERICHTEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND AUS DEM INHALT • Abzug von Aufwendungen für die Bewirtung und Unterhaltung von Mandanten und Geschäftsfreunden durch eine Rechtsanwalts- sozietät | | 22 • Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung ins Ausland | | 36 • Kein Abzug von Anschaffungskosten bei Barabfindungen im Zuge eines Aktientauschs | | 42 • Aufteilung des Arbeitslohns eines im grenzüberschreitenden Verkehr tätigen Berufskraftfahrers | | 52 • Cateringaufwendungen am Filmset als gekürzt abziehbare Betriebs- ausgaben | | 55

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Januar 2019 Seiten 1 – 72

EFG.1Entscheidungender FinanzgerichteMit umfassender Online-Datenbank

HERAUSGEGEBEN UNTER MITWIRKUNG DER RICHTER AN DENFINANZGERICHTEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

AUS DEM INHALT

• Abzug von Aufwendungen für die Bewirtung und Unterhaltung vonMandanten und Geschäftsfreunden durch eine Rechtsanwalts-sozietät | |22

• Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung ins Ausland | |36

• Kein Abzug von Anschaffungskosten bei Barabfindungen im Zugeeines Aktientauschs | |42

• Aufteilung des Arbeitslohns eines im grenzüberschreitenden Verkehrtätigen Berufskraftfahrers | |52

• Cateringaufwendungen am Filmset als gekürzt abziehbare Betriebs-ausgaben | |55

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EFG 2019 Nr. 1 IEFG-Inhaltsübersicht

Inhaltsübersicht

Hinweis: Jede Entscheidung hat eine Anmerkung.

Entscheidungen, deren Rechtskraft bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist.

Nr. Finanzgericht Datum/Az. Seite

Abgabenordnung

1 FG Hamburg 13. 9. 2018 Ein Steuerhinterzieher/Steuerhehler haftet gem. § 71 AO auch für4 K 121/17 eigene Steuerschulden

AO § 71; RAO § 111, § 112, § 92a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Abgabenordnung/Einkommensteuer

2 FG Rhld.-Pfalz 12. 9. 2018 Änderung bei Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags2 K 2164/16 für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf

AO § 174 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 32 Abs. 6 . . . . . . . . . . . . . 5

Abgabenordnung/Körperschaftsteuer

3 FG München 17. 9. 2018 Erfüllung des Benennungsverlangens nach § 160 AO bei Nichtaufklä-7 K 1258/17 rung der Mittelherkunft

AO § 90 Abs. 2, § 160; FGO § 76 Abs. 1 Satz 4, § 96 Abs. 1 Satz 1 . . . 7

4 FG München 17. 9. 2018 Berichtigung eines Bescheids über die gesonderte Feststellung des7 K 2805/17 steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG

AO § 129, § 172 Abs. 1 Nr. 2a, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 181 Abs. 1Satz 1; KStG § 8 Abs. 1, § 27 Abs. 1 und 2; HGB § 272 Abs. 2 Nr. 4 . . 10

Einkommensteuer

5 FG Köln 9. 8. 2018 Steuerliche Behandlung der Auszahlung aus einem US-amerikani-11 K 2738/14 schen Altersvorsorgeplan

EStG § 3 Nr. 63, § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1, § 22 Nr. 5; DBA-USAArt. 18A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

6 FG Köln 27. 9. 2018 Übertragung einer Pensionszusage auf eine Versorgungseinrichtung6 K 814/16 als Arbeitslohn

EStG § 3 Nr. 66, § 4e Abs. 3 Satz 3, § 6a, § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1,§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 40bAbs. 4; BGB § 415 Abs. 1 Satz 1; VAG § 236 Abs. 1 Nr. 3 . . . . . . . . . . . 19

7 FG Düsseldorf 31. 7. 2018 Abzug von Aufwendungen für die Bewirtung und Unterhaltung von10 K 3355/16 F,U Mandanten und Geschäftsfreunden durch eine Rechtsanwaltssozietät

EStG § 4 Abs. 4 und 5 Satz 1 Nr. 4 und 7, § 12 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . 22

8 FG Rhld.-Pfalz 8. 10. 2018 Überentnahmen bei Einnahmenüberschussrechnern5 K 1034/16 EStG § 4 Abs. 4a Satz 6 i. V. m. Satz 1 bis 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

9 FG Rhld.-Pfalz 13. 9. 2018 Aufwendungen für Geländeverfüllung als HK für auf den gewonne-6 K 1856/15 nen Flächen errichtete Bauwerke

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1; ErbbauRG § 12 Abs. 1 Satz 1; BGB§ 94 Abs. 1 Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

10 FG Köln 29. 8. 2018 Keine Versteuerung eines geldwerten Vorteils für die private Nutzung3 K 1205/18 eines Feuerwehreinsatzfahrzeugs

EStG § 8 Abs. 2, § 42d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

11 Niedersächs. FG 19. 4. 2018 Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung ins Ausland5 K 262/16 EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und 5, Abs. 4, § 32b Abs. 1 Nr. 3 . . . . . . 36

12 FG Münster 31. 10. 2018 An ehrenamtliche Mitglieder einer Vertreterversammlung oder eines7 K 1976/17 E Verwaltungsrats (Selbstverwaltungsorgane i. S. des SGB IV) gezahlte

Entschädigungen für Zeitaufwand (§ 41 Abs. 3 SGB IV) sind steuer-pflichtigEStG § 18 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Nr. 12 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

13 FG Münster 9. 10. 2018 Kein Abzug von AK bei Barabfindungen im Zuge eines Aktientauschs2 K 3516/17 E EStG § 20 Abs. 4a Satz 1 und 2, Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Satz 4, § 32d

Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

14 FG Baden-Württ. 13. 3. 2018 Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung von Ange-(Freiburg) 11 K 3653/15 hörigen in einem Pflegeheim als ag. Bel. unter Berücksichtigung der

zumutbaren BelastungEStG § 33, § 33a Abs. 1; BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1; GG Art. 1, Art. 3,Art. 6, Art. 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

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II EFG 2019 Nr. 1 EFG-Inhaltsübersicht

Nr. Finanzgericht Datum/Az. Seite

15 FG Nürnberg 11. 7. 2018 Ermäßigte Besteuerung von Kapitalabfindungen für eine vor 20055 K 1130/17 abgeschlossene Riesterrente

EStG § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 4, § 93 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Einkommensteuer/Doppelbesteuerungsabkommen

16 FG Düsseldorf 13. 11. 2018 Aufteilung des Arbeitslohns eines im grenzüberschreitenden Verkehr10 K 2203/16 E tätigen Berufskraftfahrers

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; DBA-Niederlande 1959 Art. 10, Art. 25;DBA-Niederlande 2015 Art. 14; OECD-MA Art. 15 . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Einkommensteuer/Körperschaftsteuer/Gewerbesteuer

17 FG Köln 6. 9. 2018 Cateringaufwendungen am Filmset als gekürzt abziehbare BA13 K 939/13 EStG § 4 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, Abs. 7, § 19 Abs. 1

Satz 1 Nr. 1; KStG § 8 Abs. 1; GewStG § 7 Satz 1; HGB § 275Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Finanzgerichtsordnung

18 FG Münster 31. 10. 2018 Fortsetzungsfeststellungsklage: Kein berechtigtes Feststellungsinte-7 K 2396/16 AO resse wegen eines beabsichtigten Amtshaftungsprozesses, wenn sich

eine Arrestanordnung bereits vor Klageerhebung erledigt hatFGO § 100 Abs. 1 Satz 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Finanzgerichtsordnung/Kostengesetze

19 FG München 28. 11. 2018 Zulässigkeit eines wiederholten Antrags auf AdV – Kostenentschei-7 V 2273/18 dung

FGO § 69 Abs. 6, Abs. 3 Satz 1; GKG § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Gewerbesteuer

20 Niedersächs. FG 19. 9. 2018 Keine erweiterte Grundbesitzkürzung, wenn Grundstücke verwaltet10 K 174/16 werden, die nicht ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Grunderwerbsteuer

21 FG München 24. 10. 2018 Zurechnung eines fiktiven Grunderwerbs bei der Obergesellschaft4 K 1101/15 GrEStG § 1 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Umsatzsteuer

22 Niedersächs. FG 28. 6. 2018 Steuerfreie und ermäßigt zu versteuernde Umsätze eines Vereins für5 K 250/16 Verkehrserziehung

UStG § 4 Nr. 22 Buchst. a; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i . . . . 67

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IV EFG 2019 Nr. 1 EFG-Mitteilungen

Mi t t e i l u n g e nzu in den EFG veröffentlichten Entscheidungen

Zeichenerklärung: = rechtskräftig (infolge Nichteinlegung eines Rechtsmittels, Nichtanfechtung im veröffentlich-ten Streitpunkt, Zurücknahme des Rechtsmittels, Verwerfung des Rechtsmittelsdurch den BFH oder erfolgloser Nichtzulassungsbeschwerde)

= Rechtsausführungen vom BFH bestätigtoder– für den Fall der Entscheidung nach § 126a FGO – Rev. unbegründet

/ = Rechtsausführungen vom BFH abgelehnt

Ø = Rechtsausführungen vom BFH teilweise bestätigtoderEntscheidung des BFH aus anderen Gründenoderanderweitige Erledigung (z. B. Zurücknahme der Klage, Hauptsacheerledigung in der Rev.

usw.)

Bei in den „Mitteilungen“ zitierten amtlich veröffentlichten BFH-Entscheidungen sind die Fundstellen BFHE, BStBl oderteilweise HFR angegeben, soweit sie bis zum Redaktionsschluss bekanntgeworden sind. Amtlich nicht veröffentlichteBFH-Entscheidungen sind mit „n. v.“ gekennzeichnet.

Es wird empfohlen, auf Grund jeder in den „Mitteilungen“ veröffentlichten Nachricht die lfd. Nr. des betreffenden Urteilsmit dem vorgeschriebenen Zeichen zu versehen und neben der Nr. einen Hinweis auf die Fundstelle in den „Mitteilungen“zu machen, z. B. „M. 2019/Nr. 1 S. IV“ (Jahrgang/Heftnummer und Seite).

Nr. 475/2016 (FG Rheinland-Pfalz): durch BFH v.24. 7. 18 I R 65/16 (n. v.). Rev. als unzulässig verworfen.

Nr. 53/2017 (Niedersächsisches FG): durch BFH v.27. 9. 18 V R 48/16 (StEd 2018, 773).

Nr. 283/2017 (FG des Saarlandes): Ø durch BFH v. 12. 6. 18VII R 2/17 (n. v.).

Nr. 481/2017 (FG Düsseldorf): / durch BFH v. 27. 10. 18X R 17/17 (n. v.).

Nr. 534/2017 (FG München): durch BFH v. 12. 9. 18I B 43/17 (n. v.). Nichtzulassungsbeschw. als unbegrün-det zurückgewiesen.

Nr. 8/2018 (Thüringer FG): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. XI R 42/17 geführt.

Nr. 22/2018 (FG Düsseldorf): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. XI R 54/17 geführt.

Nr. 43/2018 (FG Münster): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. III R 39/17 geführt.

Nr. 66/2018 (FG Berlin-Brandenburg): Die Rev. wird beimBFH jetzt unter dem neuen Az. III R 38/17 geführt.

Nr. 99/2018 (FG München): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. VIII R 27/17 geführt.

Nr. 123/2018 (FG Köln): Die Rev. wird beim BFH jetzt unterdem neuen Az. XI R 14/18 geführt.

Nr. 140/2018 (FG Hamburg): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. II R 35/18 geführt.

Nr. 176/2018 (Hessisches FG): Die Rev. wird beim BFH jetztunter dem neuen Az. VII R 20/18 geführt.

Nr. 219/2018 (FG Nürnberg): durch BFH v. 23. 10. 18VIII B 44/18 (n. v.). Nichtzulassungsbeschw. als unbe-gründet zurückgewiesen.

Nr. 416/2018 (FG München): durch BFH v. 18. 9. 18VII R 18/18 (n. v.).

Nr. 497/2018 (FG Münster): .

Nr. 498/2018 (FG Baden-Württemberg): Die Mitteilung inHeft 24/2018 ist gegenstandslos. Sie betraf den Fall einesanderen FG.

Nr. 499/2018 (FG Münster): .

Nr. 500/2018 (Hessisches FG): Die Mitteilung in Heft24/2018 ist gegenstandslos. Sie betraf den Fall einesanderen FG.

Nr. 501/2018 (FG Münster): .

Nr. 503/2018 (FG Hamburg): Die Mitteilung in Heft24/2018 ist gegenstandslos. Sie betraf den Fall einesanderen FG.

Nr. 518/2018 (FG Nürnberg): .

Nr. 523/2018 (Schleswig-Holst. FG): .

Nr. 527/2018 (FG des Saarlandes): .

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Entscheidungen der FinanzgerichteHerausgegeben unter Mitwirkung der Richter an den Finanzgerichten

in der Bundesrepublik Deutschland

67. Jahrgang BONN, den 10. Januar 2019 Nr. 1 / Seite 1

Bei Entscheidungen, von denen bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist, dass sie rechtskräftig sind, ist die lfd.Entscheidungsnummer mit dem Zeichen versehen. Solche Entscheidungen werden in der Entscheidungsüber-schrift, falls sie revisibel (§ 115 FGO) oder beschwerdefähig (§ 128 FGO) waren, mit dem Vermerk „rechtskräftig“,andernfalls mit demVermerk „rechtskräftig (nicht revisibel)“ bzw. „rechtskräftig (nicht beschwerdefähig)“ gekenn-zeichnet. – Entscheidungen, von denen bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist, dass sie mit der Revision odermit der Beschwerde angefochten sind oder dass Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, erhalten denVermerk „Rev. eingelegt“ bzw. „Beschw. eingelegt“ bzw. „Nichtzulassungsbeschw. eingelegt“. Zu diesen Entschei-dungenwird zu gegebener Zeit auf Seite IV unter der Rubrik „Mitteilungen zu in den EFG veröffentlichten Entschei-dungen“ berichtet, wie der BFH entschieden hat. – Entscheidungen, von denen bei Drucklegung noch nicht bekanntist, ob sie rechtskräftig geworden sind oder ob ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, werden mit dem Vermerk„vorläufig nicht rechtskräftig“ versehen. Die fehlende Angabe wird in diesen Fällen später unter den erwähnten„Mitteilungen“ nachgeholt.Sämtliche Leitsätze zu den veröffentlichten Entscheidungen sind nicht amtlich, sofern sie nicht ausdrücklich durch*-Zeichen als amtlich gekennzeichnet sind. Die Entscheidungen werden redaktionell bearbeitet und ggf. gekürztveröffentlicht. Der Originaltext der Entscheidungen wird in der Online-Datenbank veröffentlicht.

Abgabenordnung

1 Ein Steuerhinterzieher/Steuerhehler haftetgem. § 71 AO auch für eigene Steuerschul-den

FG Hamburg, Urteil vom 13. 9. 2018 4 K 121/17 – Rev. ein-gelegt (Az. des BFH: VII R 56/18).

Haftungsschuldner gem. § 71 AO kann auch der Steuer-schuldner sein.

AO § 71; RAO § 111, § 112, § 92a.

1–22 Der Kl. wurde durch Haftungsbescheid gem. § 71AO auf TabSt für unverzollte und unversteuerte Zigaretten(Schmuggelzigaretten) in Anspruch genommen, die ernach Auswertung seiner Telekommunikation von einemZwischenhändler erworben und sodann weiterverkauftoder selbst verbraucht hat. Der Senat gelangte zu der Über-zeugung, dass der Kl. im Hinblick auf die Schmuggelziga-retten auch Steuerschuldner der TabSt gem. § 23 Abs. 1Satz 2 TabStG geworden ist. Da er gleichwohl als Haftungs-schuldner in Anspruch genommen wurde, hatte der Senaterstmals in einer Hauptsache zu klären, ob die Inanspruch-nahme als Haftungsschuldner gem. § 71 AO ausgeschlos-sen ist, wenn der Haftungsschuldner zugleich Steuer-schuldner ist. Nach Auswertung von Wortlaut, Gesetzge-bungsgeschichte und Systematik von § 71 AO verneint derSenat diese Frage.

Aus den Gründen:

23–50 ...

51 Der Umstand, dass der Kl. im Hinblick auf die genann-ten Zigaretten auch Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaf-tungnahme nach § 71 AO nicht entgegen. § 71 AO enthältnämlich kein negatives Tatbestandsmerkmal, nach demder in Haftung Genommene kein Steuerschuldner seindarf. Der Senat hat hierzu im Beschluss vom 18. 11. 20164 V 142/16 (EFG 2017, 182, 183; s. auch Beschluss vom7. 6. 2017 4 V 251/16, juris, Rz. 30) ausgeführt:

BFH und h. M.: Haftung nur für fremde Schuld

„Zwar bedeutet nach der ständigen Rspr. des VII. Senatsdes BFH „haften“ i. S. der AO das Einstehen für einefremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand

für eine eigene Schuld hafte (BFH-Urteile vom 12. 5. 1970VII R 34/68, BFHE 99, 178, 180, BStBl II 1970, 606, zu § 111RAO; vom 19. 10. 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332, zu§ 111 RAO; vom 15. 4. 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505,506; vom 14. 12. 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550;BFH-Beschluss vom 11. 7. 2001 VII R 29/99, HFR 2002, 277;im Anschluss hieran BFH-Urteil vom 7. 3. 2006 X R 8/05,BFHE 212, 398, 404; a. A. noch BFH-Urteil vom 30. 11. 1951II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42, BStBl III 1952, 16, zu § 111AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haf-tung in der AOwird neben dem Postulat einer begrifflichenUnvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH-Urteilevom 15. 4. 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988,167; vom 7. 3. 2006 X R 8/05, BFHE 212, 398, BStBl II 2007,594) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vor-schriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß aufdie Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach§ 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehrergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierinkomme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuer-schuldner herangezogen werden solle und dass die Haf-tung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nurderjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldnersei (BFH-Urteil vom 19. 10. 1976 VII R 63/73, BFHE 120,329, BStBl II 1977, 255).

52 Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansichtauch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker inHübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 71 AO Rz. 4;Jatzke in Gosch, AO/FGO, § 71 AO Rz. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 71 AO Rz. 7, vor § 69 AO Rz. 11; Drüenin Tipke/Kruse, AO/FGO, § 33 AO Rz. 5; Rüsken in Klein,AO, 13. Aufl., § 71 Rz. 1; Goutier, Die Haftung im Steuer-recht, 1978, 46; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuer-schuld, 1990, 9, 96, m. w. N.). Für § 71 AO würde dasDogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten,dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestands-merkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl.,§ 71 Rz. 1) „und der Haftende kein Steuerschuldner ist“ergänzt werden müsse.

FG Hamburg: Der Hinterzieher haftet auch für eigeneSteuerschuld

53 Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71AO nicht. Die vom BFH erstmals zu § 111 Abs. 1 RAOentwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuldund Haftung ist unter der Geltung der heutigen AO nichtauf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein

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2 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 1

ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergän-zen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oderhistorische Argumente machen eine derartige Ergänzungdes Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowieihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutigdafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzlicheMerkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

Begriffliche Argumente

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sichSchuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter„Schuld“ und „Haftung“ allein legen dies gerade nichtnahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wennSchuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiertwerden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaf-tung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, Die Haftungfür die Steuerschuld, 1990, 9 und 96; Goutier, Die Haftungim Steuerrecht, 1978, 17). Die AO definiert den ihr zu-grundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AObestimmt lediglich den Begriff „Haftungsschuldner“ alsdiejenige Person, die „kraft Gesetzes für eine Steuer haf-tet“. Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haf-tungstatbestände (§§ 69 bis 76 AO), ohne diese inhaltlichnäher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die AO dieBegriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben dergenannten Legaldefinition des Haftungsschuldners alsHaftender i. S. der §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 Satz 1 AOvon der „Haftung“ der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 Satz 2 AOwiederum verweistmit den Vorschriften über eine „steuerrechtliche Haftungder Erben“ wiederum auf die §§ 69 ff. AO.

Änderung der Systematik der AO

54 Darüber hinaus ist das vom BFH zur Begründung fürsein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuldund Haftung, das in § 97 Abs. 1 und 2 RAO zum Ausdruckkam (BFH-Urteil vom 19. 10. 1976 VII R 63/73, BFHE 120,329, BStBl II 1977, 255), mittlerweile dogmatisch umgestal-tet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner undHaftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuer-pflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlichgleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 69 AORz. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74,77, m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO alsGesamtschuldner behandelt.

Durchbrechung von Akzessorietät und Subsidiarität

55 Selbst wenn mit dem BFH (Urteil vom 19. 10. 1976VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255) die Akzesso-rietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuer-schuldnerschaft (§ 191 Abs. 5 Satz 1, § 219 Satz 1 AO)Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusi-vität von Schuld und Haftung wären, könnten sie – andersals bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil desBFH bezog – für die hier in Rede stehende Haftung nach§ 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung desSteuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5Satz 2 AO) noch subsidiär (§ 219 Satz 2 AO).

Vorgängervorschriften von § 71 AO

56 Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vor-gängervorschriften von § 71 AO, dass der AO für den hier inRede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktischHandelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zu-grunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigeneSchuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläu-fer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Ände-rung des TabStG vom 22. 12. 1929, RGBl. I 1929, 234, 238),der unverändert als § 112 in die RAO 1931 (RGBl. I 1931,161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt inihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der

Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, „soweiter nicht Steuerschuldner ist“. Sie geht auf die Studie vonGoetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlagefür die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht alsSteuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (ins-besondere S. 241, 259). Zweck der Vorschrift war es, denSteuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist,neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu kön-nen (Reinhardt, DStZ 1936, 597). Die Vorschrift des § 112RAO ging also nach ihrem klarenWortlaut von einer Exklu-sivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweiseverlangte der RFH, dass für die Geltendmachung des Haf-tungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststel-lung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommenenicht Steuerschuldner sei (RFH-Urteil vom 25. 1. 1933IV A 70/32, RFHE 32, 276).

57 In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedochim Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in AnspruchGenommene haftet, „auch wenn er nicht Steuerschuldnerist“ (Abschn. II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes vom16. 10. 1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeberwollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendig-keit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass derin Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. DieserArbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es fürden in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er alsSteuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Rein-hardt, DStZ 1936, 597, 598). Für die Inhaftungnahme einerPerson war es nach dieser Gesetzesänderung damit un-schädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierinzum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haf-tung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers ent-sprach der seit 1931 vertretenen Rspr. des RFH und desReichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw.§ 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text beiBax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aussteuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, 43). Nach§ 135 Satz 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzoge-nen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ober Steuerschuldner i. S. von § 13 VZG war (RFH-Urteil vom2. 3. 1931 IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229).

58 Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO imJahr 1934 wurde in der Literatur zu Recht gefolgert, dassdamit das Postulat des RFH, dass festgestellt werdenmüsse,dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholtsei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO,Rz. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, RAO, 1961, § 112;die Gesetzesänderung ignorierend dagegen Kühn, RAO,2. Aufl., § 112 Rz. 2). Auch der BFH erwähnt die durchdie Entscheidung des RFH ausgelöste Änderung des § 112RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegeneine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende For-mulierung („auch wenn er nicht Steuerschuldner ist“) „nurdem Scheine“ nach auf der Vorstellung der Koexistenz vonSchuld und Haftung beruhen solle (BFH-Urteil vom19. 10. 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255).

Entstehungsgeschichte von § 71 AO 1977

59 Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte derheutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität vonSchuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. Inden gleichlautenden Entwürfen der AO 1974 wurde – unterErweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat – des-sen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, 29;BT-Drs. 7/79, 30), wobei der Zusatz „auch wenn er nichtSteuerschuldner ist“ weggelassen wurde. In der Begrün-dung der AO 1974 heißt es lediglich: „Die Vorschrift ent-spricht dem bisherigen § 112 AO“ (BT-Drs. VI/1982, 120).Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in derBegründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AOeinerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112

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EFG 2019 Nr. 1 3Entscheidung Nr. 1

RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehen-den Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so ver-standen werden, dass es sich hierbei um eine Änderunghandeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nichtverändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haf-tung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in§ 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAOi. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haf-tet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedochnur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivitätvon Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung deshier in Rede stehenden Einschubs war – wie dargelegt –gerade eine Reaktion auf die Forderung des RFH, dass fest-gestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuer-schuldner sei.

60 Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positi-vieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbe-gründung zur AO 1974 Anklang finden müssen. Dass diesgerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleichmit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde näm-lich – in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111Abs. 1 RAO – aufgenommen, dass nur diejenigen Vertrete-nen haften könnten, „soweit sie nicht Steuerschuldnersind“. Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, 119) wird aus-drücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des BFHvom 12. 5. 1970 VII R 34/68 (BStBl II 1970, 606), in der erfür § 111 RAO – in Abkehr von einer früheren Entscheidungaus dem Jahr 1951 (s. o.) – gestützt auf § 97 Abs. 2 AOdie Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellthatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf diedargelegte Rspr. des BFH reagiert hat. Dies erfolgte aller-dings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Ent-scheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO,nicht jedoch zu § 71 AO. „Kurios“ (so Loose in Tipke/Kruse,AO/FGO, § 71 AO Rz. 7) ist der Umstand, dass § 70 AOsich – anders als § 111 RAO – mit dem Verhältnis vonSchuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AOdies – anders als § 112 RAO – nicht tut, nur dann, wennman von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma vonSchuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch vondiesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von§§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers aufdie Rspr. des BFH dar.

Weitere systematische Argumente

61 Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nachder „Systematik der AO“ (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl.,§ 71 Rz. 1) oder „dem Steuerrecht“ (so Koch, AO 1977,2. Aufl., § 71 Rz. 3; ähnlich Bax, Die Haftung nach allgemei-nem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicherSicht, 1991, 28, m. w. N.; s. schon Arens, Zum Begriff derHaftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927,567, 574 und 647; Goetzeler, Die Steuerhinterziehung alsRechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterzie-hers, VJSchrStuFR 1928, 236) Schuld und Haftung aus-schließen, man also nur für eine fremde Schuld haftenkann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sonderneinen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachenRechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungenmöglich sind (siehe bereits Goetzeler, Die Steuerhinterzie-hung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht desHinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 236). Die vorigen Aus-führungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solcheAusnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnteder Zweck der Haftung – die Sicherung der Zahlung derSteuerschuld – nur noch schwer erreicht werden, wenn dieSteuerbehörde – wie im vorliegenden Fall – bei Erlass desBescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin derZigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler heran-gezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist.

62 Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AOgegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte In-

anspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein ineine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme desSteuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigenerleichtern. Neben den bereits erwähnten § 191 Abs. 5Satz 2 und § 219 Satz 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 Satz 2AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer aufzehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhe-bung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eineAp zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterzie-hung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eineVerzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt.

63 Schließlich findet sich auch an anderer Stelle imSteuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes derExklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 Satz 3VersStG (BGBl. I 1996, 22) wird die Grenze zwischenSchuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem derHaftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbe-scheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage,ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haf-tungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kannvor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet wer-den. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wer-tung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der FinVerw. rei-chen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwandhierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetz-geber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für ver-schiedene Haftungstatbestände gegeben.“

Auseinandersetzung mit BFH-Beschluss vom 24. 10. 2017VII B 99/17

64 An dieser Auffassung hält der Senat auch unter Be-rücksichtigung der Ausführungen des BFH im Beschlussvom 24. 10. 2017 VII B 99/17 (BFH/NV 2018, 933) fest(s. bereits Bender, Die Haftung des Hinterziehers und Heh-lers für eigene (Tabak-)Steuerschulden gem. § 71 AO, inSummersberger et al., FS für Hans-Michael Wolffgang,2018, 513, 526; Bender, ZfZ 2018, 190, 196). In demBeschluss vom 24. 10. 2017, in dem das Verhältnis vonSchuld und Haftung bei § 71 AO ausdrücklich offengelas-sen wird, hat der BFH seine Argumentation aus derbeschriebenen Entscheidung vom 19. 10. 1976 VII R 63/73(BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255) erläutert. In jener Ent-scheidung – so der BFH im Jahre 2017 – habe er den Sinnund Zweck der 1934 vorgenommenen Änderung des § 112RAO darin erblickt, „die FinVerw. von der vom RFH aufer-legten Feststellungspflicht zu befreien“, also der Pflicht, beider Inanspruchnahme einer Person als Haftenden feststel-len zu müssen, dass sie nicht Steuerschuldner sei.

65 Für diese Deutung der Entscheidung vom 19. 10. 1976sieht der Senat in der Entscheidung selbst keine Anknüp-fungspunkte, weil sie – wie oben dargelegt – lediglich dieEntstehungsgeschichte von § 112 RAO 1934 referiert. Aucheine genaue Betrachtung des Urteils des RFH vom25. 1. 1933 und des Wortlauts von § 112 RAO 1934 stützendie These, dass § 112 RAO 1934 das Exklusivitätsdogmaunangetastet lassen und lediglich eine Feststellungslast-regelung treffen wollte, nicht. Der RFH hat nämlich aus-drücklich festgestellt: „Die Haftung nach § 112 AO. [i. d. F.von 1931] trifft den Hinterzieher oder Hehler nur, soweiter nicht Steuerschuldner ist.“ (RFH-Urteil vom 25.1.1933IV A 70/32, RFHE 32, 276). Damit wird eine klare Aussagezum Tatbestand der Norm („soweit er nicht Steuerschuld-ner ist“) getroffen. Erst aus dieser (zutreffenden) Auslegungleitete er folgerichtig die Pflicht ab, festzustellen, dassein in Anspruch Genommener nicht Steuerschuldner ist.Die 1934 herbeigeführte Änderung von § 112 RAO, nachder der Hehler/Hinterzieher haftet, „auch wenn er nichtSteuerschuldner ist“ (Hervorhebung hinzugefügt), verän-dert nach seinem klaren Wortlaut den Tatbestand der Haf-tungsvorschrift. Für eine bloße Modifikation der Feststel-lungslast gibt es dagegen keine Anhaltspunkte.

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4 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 1

66 Plausibel wird die Argumentation des BFH nur dann,wenn man davon ausgeht, dass die Exklusivität von Schuldund Haftung wie sie ursprünglich in §§ 97 und 111 RAOfestgelegt wurde, nicht mehr verändert werden konnte –eben weil es sich um ein Dogma handelt. Auf diesesVerständnis weist die Feststellung des BFH in seinemUrteilvom 19. 10. 1976 hin, dass die „bereits durch §§ 97 und111 [RAO] geschaffene Rechtslage“ durch „die erst nach-träglich in die Reichsabgabenordnung eingefügte Vor-schrift des § 112“ nicht habe geändert werden sollen. Diedurch zwei einfachgesetzliche Normen (§§ 97, 111 RAO)mit einem spezifischen Anwendungsbereich geschaffeneRechtslage kann jedoch eine Gesetzesänderung in einemanderen Bereich (Haftung des Hinterziehers gem. § 112RAO) nicht sperren. Ein solches Verständnis der Unabän-derlichkeit bestimmter „Grundwertungen der AO und derdarauf beruhenden Exklusivität von Steuerschuld und Haf-tung“ (so BFH-Beschluss vom 24. 10. 2017 VII B 99/17,BFH/NV 2018, 933) wäre nicht mit dem Demokratieprinzip(Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und dem Grundsatz der par-lamentarischen Diskontinuität vereinbar. Sie verlangen,dass spätere Gesetzgeber – innerhalb der von der Verfas-sung vorgegebenen Grenzen – Rechtsetzungsakte frühererGesetzgeber revidieren können müssen (BVerfG-Beschlussvom 15. 12. 2015 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rz. 53).

67–69 Doch selbst wenn man – quod non – der Deutungdes BFH folgen würde, und die 1934 vorgenommene Ände-rung von § 112 RAO als bloße Befreiung von der Feststel-lungslast interpretierte, würde dies nichts daran ändern,dass § 71 AO nach dessen Gesetzesbegründung (s. o.)inhaltlich § 112 RAO 1934 entsprechen sollte. Ausgehendvon dieser Prämisse müsste man § 71 AO so verstehen, dassbei der Inhaftungnahme nicht festgestellt werden müsste,dass der in Anspruch genommene nicht Steuerschuldnerist. In ihrer praktischen Auswirkung würde kein Unter-schied zur hier vertretenen Auffassung bestehen: DieFinanzbehörden könnten nämlich Personen nach § 71 AOin Haftung nehmen, ohne feststellen zu müssen, dass diesePersonen nicht Steuerschuldner sind. ...

70 Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung derRechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Recht-sprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§ 128Abs. 3, § 115 Abs. 2 FGO).

Anmerkung

I. Hintergrund und Problemstellung

Anlass für die Klärung der Reichweite von § 71 AO isteine verbrauchsteuerrechtliche Problematik. Nach derNeufassung des TabStG 2010 sind Personen, die an demillegalen Grenzübertritt der Zigaretten nicht beteiligtwaren, nur dann Schuldner der TabSt, wenn nachgewie-sen wird, dass die Ware aus einem anderen Mitgliedstaatins Steuergebiet verbracht wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2TabStG). Wurden die Zigaretten dagegen direkt auseinem Drittstaat ins Bundesgebiet eingeführt, wird nurdiejenige Steuerschuldnerin, die an diesem Vorgangbeteiligt war. In den typischen Fällen, in denen Schmug-gelzigaretten bei Personen im Binnenland sichergestelltwerden, lässt sich der genaue Reiseweg der Zigarettenhäufig nicht feststellen. In einem derart gelagerten Fallhat der Senat mit Urteil vom 15. 7. 2015 4 K 43/15 (ZfZ-Beilage 2016, 29) einen Steuerbescheid aufgehoben, weilnicht nachgewiesen werden konnte, dass die Zigarettenverbracht worden waren, der in Anspruch genommenemithin nicht Steuerschuldner war. In Reaktion hierauferlassen mehrere Hauptzollämter in ähnlichen Fällennunmehr Haftungsbescheide gem. § 71 AO, um die hin-terzogene TabSt geltend zu machen. Einziges geschrie-benes Tatbestandsmerkmal dieser Norm ist die Bege-hung einer Steuerhinterziehung oder einer Steuerhehle-

rei, die häufig bereits in einem Strafverfahren festgestelltwurde.

II. Praktische Auswirkungen der h. M.

Als ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmalverlangt die h. M. bei § 71 AO jedoch, dass der Haftungs-schuldner nicht zugleich Steuerschuldner ist. Auf dieserGrundlage stellt sich für die Steuerbehörden beim Haf-tungsbescheid dasselbe Problem wie beim Steuerbe-scheid, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Für die Recht-mäßigkeit des Haftungsbescheids müsste nachgewiesenwerden, dass die Ware eingeführt worden ist, der Haf-tungsschuldner also nicht zugleich Schuldner der TabStist. Dies stellt die Steuerbehörden vor erhebliche Heraus-forderungen. Die Beweislage hinsichtlich des Reisewe-ges der Zigaretten ist nämlich häufig unklar. Es liegt imAuge des Betrachters, ob sich nicht doch aus der Zusam-menschau von Telefonüberwachungsprotokollen, aus-ländischen Steuerzeichen, Observationsergebnissen undallgemeiner Lebenserfahrung der Reiseweg nachweisenlässt. Es besteht damit die Gefahr, dass ein Steuerbe-scheid Jahre nach Einleitung des Besteuerungsverfah-rens aufgehoben wird, weil das Gericht zu einer anderenEinschätzung im Hinblick auf den Reiseweg kommt alsdie Behörde. Damit ist dem Adressaten jedoch nichtgeholfen, weil sodann derselbe Steueranspruch durchHaftungsbescheid geltend gemacht werden kann.

III. Die Entscheidung des FG

Das FGHamburg findet keine ausreichende Begründungdafür, in § 71 AO ein ungeschriebenes Tatbestandsmerk-malmit dem Inhalt hinein zu lesen, dass der Steuerhinter-zieher nicht Schuldner der hinterzogenen Steuer seindarf. Im Ansatzpunkt war dem Senat aufgefallen, dassder BFH sich zu dieser Frage noch nie in Bezug auf § 71AO geäußert hatte. Die – soweit ersichtlich – einzige aus-führliche Begründung für diese Rechtsauffassung imUrteil vom 19. 10. 1976 VII R 63/73 (BFHE 120, 329, 332)bezog sich auf die RAO und war zu § 111 RAO – derVorgängervorschrift von § 70 AO – ergangen. Die h. M.hat diese Auffassung auch unter Geltung der AO 1977unkritisch übernommen und auf § 71 AO ausgedehnt.Aufgrund der Änderung der Systematik der AO 1977,der Besonderheiten der Gesetzgebungsgeschichte des§ 71 AO und der steuerlichen Sonderregeln für Steuer-hinterzieher kommt das FG Hamburg zu dem Ergebnis,dass in § 71 AO kein ungeschriebenes Tatbestandsmerk-mal hineinzulesen ist, der Hinterzieher also auch füreigene Steuerschulden durch Haftungsbescheid in An-spruch genommen werden kann.

Bei seiner Analyse hat der Senat nicht übersehen, dassdie Gesetzesänderung von § 112 RAO – der Vorgänger-norm von § 71 AO –, auf die er seine Rechtsauffassungmaßgeblich stützt, in die Zeit des Nationalsozialismusfällt. In dem auf den Staatssekretär im Reichsfinanzminis-terium Fritz Reinhardt – einem überzeugten Nationalso-zialisten (zu dessen Werdegang s. Reimer Voß, Steuernim Dritten Reich, 1995, 51) – zurückgehenden Gesetzvon 1934, mit dem § 112 RAO geändert wurde, wurdegleichzeitig festgeschrieben, dass die Steuergesetzenach „nationalsozialistischer Weltanschauung auszule-gen“ seien (RGBl. I 1934, 925). Die hier in Rede stehendeGesetzesänderung ist jedoch frei von nationalsozialisti-scher Ideologie. In ihr wird lediglich ohne Anschauungeiner Person geregelt, unter welchen Voraussetzungender deliktisch Handelnde haften soll. Diese Frage stelltsich auch für einen grundrechtsgebundenen demokrati-schen Rechtsstaat, der zur Erfüllung der Staatsaufgabenauf finanzielle Mittel angewiesen ist (zu den Auswirkun-gen des Schwarzhandels in der frühen Bundesrepubliks. Borbe, Der Haftungsanspruch aus § 112 AO, ZfZ 1950,379).

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EFG 2019 Nr. 1 5Entscheidung Nr. 2

Das Urteil folgt einer Reihe von AdV-Beschlüssen (FGHanmburg, Beschlüsse vom 18. 11. 2016 4 V 142/16, EFG2017, 182; vom 7. 6. 2017 4 V 251/16, juris; vom 8. 6. 20184 V 280/17, EFG 2018, 1605, mit Anm. Lutter), in denender Senat seine Auffassung entwickelt hat. In sei-ner letzten Beschwerdeentscheidung vom 24. 10. 2017VII B 99/17 (BFH/NV 2018, 933) hat es der BFH aus-drücklich nicht für geboten gehalten, über das Verhältnisvon Schuld und Haftung bei § 71 AO abschließend zuentscheiden (insoweit missverständlich Lutter, EFG 2018,1607, IV.; unzutreffend insoweit Bruschke, BB 2018, 2780,2781, Fn. 11, nach dem der BFH die Rechtsansicht desFGHamburg verworfen habe). Das anhängige Revisions-verfahren gibt dem BFH nunmehr Gelegenheit, sichinhaltlich hiermit zu befassen zu äußern.

IV. Konsequenzen

§ 71 AO ist auf sämtliche Steuerarten anwendbar(s. jüngst den Beitrag von Bruschke, BB 2018, 2780). Dievom FG Hamburg vertretene Rechtsauffassung erleich-tert die Arbeit der Steuerbehörden, ohne dass die Rechts-schutzmöglichkeiten der Betroffenen eingeschränkt wer-den. Für den Adressaten der Steuerforderung ist es näm-lich im Regelfall gleichgültig, ob er als Steuer- oderHaftungsschuldner in Anspruch genommen wird.

Richter am FG Dr. Tobias Bender

Abgabenordnung

Einkommensteuer

2 Änderung bei Übertragung des Kinderfrei-betrags und des Freibetrags für den Betreu-ungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbe-darf

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. 9. 2018 2 K 2164/16– Nichtzulassungsbeschw. eingelegt (Az. des BFH:III B 131/18).

Wird im Rahmen des Antrags auf Übertragung des Kinder-freibetrags auch der Freibetrag für den Betreuungs- undErziehungs- oder Ausbildungsbedarf übertragen, kommteine Änderung weder nach § 174 Abs. 2 AO noch nach§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht.

AO § 174 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 32 Abs. 6.

1–11 Mit der Behauptung, der andere Elternteil sei seinerUnterhaltspflicht nicht zumindestens 75% nachgekommenbzw. mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig,beantragte der Kl. in den Steuererklärungen für 2011 bis2014 in der Anlage Kind jeweils die Übertragung des Kin-derfreibetrags für seine beiden Töchter. In den ESt-Beschei-den 2011 bis 2014 gewährte das FA dem Kl. für jede derbeiden Töchter antragsgemäß den vollen Kinderfreibetragund außerdem jeweils den – nicht beantragten – vollen Frei-betrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbil-dungsbedarf.

Nachdem das FA Kenntnis von dem Umstand, dass dieKindesmutter ihrer Unterhaltspflicht nachgekommen ist,erlangt hatte, erließ es – gestützt auf § 174 AO – geänderteESt-Bescheide und gewährte dem Kl. darin für jede Tochternur noch den einfachen Kinderfreibetrag und den einfa-chen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oderAusbildungsbedarf.

Aus den Gründen:

12 Die Klage ist bezüglich des Kinderfreibetrags unbe-gründet und bezüglich des Freibetrags für den Betreuungs-und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfs begründet.

Die Rückgängigmachung der Übertragung des Kinder-freibetrags ...

13 1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzun-gen der Änderungsvorschrift § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfülltsind. Jedenfalls ist der Bekl. nach § 174 Abs. 2 AO befugtgewesen, die gewährte Übertragung des Kinderfreibetragsfür die beiden Töchter S sowie B für den Streitzeitraum2011 bis 2014 in den streitgegenständlichen Änderungsbe-scheiden vom 21. 12. 2015 rückgängig zu machen.

... kann auf § 174 Abs. 2 Satz 1 AO gestützt werden, ...

14 a) Gemäß § 174 Abs. 2 Satz 1 AO ist ein fehlerhafterSteuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn einbestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise in mehre-ren Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigenberücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätteberücksichtigt werden dürfen. Dies gilt allerdings nur,wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einenAntrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurück-zuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 AO).

... wenn der Steuerpflichtige die fehlerhafte Berücksichti-gung verursacht hat, ...

15 Daher ist die Änderung bzw. Aufhebung eines Steuer-bescheides nach § 174 Abs. 2 AO nur möglich, wenn derSteuerpflichtige selbst (allein oder überwiegend) die feh-lerhafte Berücksichtigung verursacht hat und aus diesemGrund nicht auf die Bestandskraft des ihn im Ergebnisbegünstigenden Steuerbescheides vertrauen kann (vgl.z. B. BFH-Beschluss vom 24. 6. 2004 XI B 63/02, BFH/NV2005, 1; BFH-Urteile vom 3. 3. 2011 III R 45/08, BFHE 233,6, BStBl II 2011, 673; vom 11. 12. 2013 XI R 42/11, BFHE244, 302, BStBl II 2014, 840). Die Ursächlichkeit ist zu ver-neinen, wenn der Sachverhalt richtig erklärt worden ist,die Finanzbehörde daraus aber zu Unrecht den rechtlichenSchluss gezogen hat, der Sachverhalt sei in dem fehler-haften Bescheid zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom21. 10. 1980 VIII R 186/78, BFHE 132, 182, BStBl II 1981,388; vom 3. 3. 2011 III R 45/08, BFHE 233, 6, BStBl II 2011,673; BFH-Beschluss vom 24. 6. 2004 XI B 63/02, BFH/NV2005, 1), denn Rechtsfehler sind der Finanzbehörde undnicht dem Steuerpflichtigen anzulasten.

... wobei im Einzelfall die Verursachungsbeiträge zubestimmen sind

16 Beruht die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides so-wohl auf Erklärungen des Steuerpflichtigen als auch aufunzulänglicher Sachverhaltsermittlung durch die Finanz-behörde, kommt es darauf an, welches Gewicht den jewei-ligen Beiträgen zur Fehlerhaftigkeit beizumessen ist (vgl.z. B. BFH-Urteile vom 22. 9. 1983 IV R 227/80, BFHE 139,347, BStBl II 1984, 510; vom 6. 9. 1995 XI R 37/95, BFHE179, 196, BStBl II 1996, 148; BFH-Beschluss vom 26. 6. 2004XI B 63/02, BFH/NV 2005, 1). Dabei kann sich ein Steuer-pflichtiger, der eine unrichtige Steuererklärung abgegebenhat, regelmäßig nicht auf Ermittlungsfehler des FA be-rufen (BFH-Beschluss vom 24. 6. 2004 XI B 63/02, BFH/NV2005, 1).

Diese Anforderungen sind im Streitfall erfüllt, ...

17 b) An diesen Grundsätzen gemessen liegen dieVoraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO bezüglich derantragsgemäß gewährten Übertragung des Kinderfreibe-trags vor.

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6 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 2

... da der auf die Kindesmutter entfallende Kinderfreibe-trag mehrfach berücksichtigt wurde, ...

18 aa) Der „bestimmte Sachverhalt“ i. S. des § 174 Abs. 2Satz 1 AO ist hier in der Gewährung des hälftigen auf dieKindesmutter entfallenden Kinderfreibetrags für die beidenTöchter S und B zu sehen. Dieser ist in mehreren Steuerbe-scheiden berücksichtigt worden, nämlich zum einen in denESt-Bescheiden 2011 bis 2014 der Kindesmutter und zumanderen in den ESt-Bescheiden 2011 bis 2014 des Kl.

... obwohl dies der Regelung des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStGwiderspricht, ...

19–25 bb) Der hälftige auf die Kindesmutter entfallendeKinderfreibetrag für die beiden Töchter S und B hat nachdem in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG verankerten Halbteilungs-grundsatz aber nur einmal berücksichtigt werden dürfen.Danach steht der Kinderfreibetrag von 2 184 € für das säch-liche Existenzminimum sowie der Freibetrag von 1 320 € fürden Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfdes Kindes grundsätzlich beiden Elternteilen in gleicherHöhe zu. Daher verdoppeln sich beide Freibeträge, wenndie Ehegatten nach §§ 26, 26b EStG zusammen zur EStveranlagt werden und das Kind zu beiden Eltern in einemKindschaftsverhältnis steht (§ 32 Abs. 6 Satz 2 EStG). EineAusnahme hiervon gilt nur in den Fällen der gesetzlichgeregelten Übertragung des Kinderfreibetrags. Die gesetz-lichen Voraussetzungen für die Übertragung des Kinder-freibetrags sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt. ...

... und der Kl. die fehlerhafte Berücksichtigung verur-sacht hat, ...

26 cc) Der Kl. hat die fehlerhafte Berücksichtigung desKinderfreibetrags im Streitzeitraum 2011 bis 2014 auch ver-ursacht.

27 Die Gewährung des doppelten Kinderfreibetrags gehtdarauf zurück, dass er in seinen Steuererklärungen 2001bis 2014 in der Anlage Kind für beide Töchter stets denAntrag auf den „vollen Kinderfreibetrag“ gestellt hat. Da-bei hat er die im Vordruck gegebene Begründung „... weilder andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht zu min-destens 75 % nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeitnicht unterhaltspflichtig ist ...“ durch Eintragung der Ziff. 1(= Ja) vollumfänglich übernommen. Demgemäß ist dieDoppelgewährung des Kinderfreibetrags i. H. v. 4 368 €(= 2 x 2 184 €) auf eine – unrichtige – Erklärung des Kl. zumSachverhalt zurückzuführen und somit ursächlich (Nieder-sächsisches FG, Urteil vom 23. 5. 1997 XII 103/97, EFG1997, 1313).

... was nicht durch eine unzulängliche Sachverhaltsermitt-lung des FA kompensiert wird

28 dd) Entgegen der Auffassung des Kl. ist die von ihmgesetzte Ursächlichkeit nicht durch eine unzulänglicheSachverhaltsermittlung des Bekl. kompensiert worden.

29 Das FA verletzt seine Ermittlungspflicht (§ 88 AO) nur,wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen,die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie dereingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen muss-ten, nicht nachgeht. Es kommt im Wesentlichen auf dieAngaben des Steuerpflichtigen und insbesondere daraufan, ob mit diesen die steuerlich relevanten Sachverhalterichtig, vollständig und deutlich dem FA zur Prüfung unter-breitet wurden. Dabei kann das FA regelmäßig von derRichtigkeit und Vollständigkeit einer Steuererklärung aus-gehen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 3. 5. 1991 V R 36/90,BFH/NV 1992, 221; vom 16. 6. 2004 X R 56/01, BFH/NV2004, 1502).

30 Im Streitfall ist bereits fraglich, ob sich dem Bekl. eineweitere Sachverhaltsermittlung hat aufdrängen müssen.Die Erklärung des Kl. zu den Unterhaltsleistungen der Kin-desmutter sind nämlich unzweideutig und in sich schlüssig

gewesen, so dass der Bekl. nach Lage der Akten von einemrichtig und vollständig unterbreiteten Sachverhalt hat aus-gehen können und von daher auch nicht gehalten gewesenist, den erklärten Sachverhalt z. B. durch weitere Nachfra-gen bei der Kindesmutter und Anforderung von Unterlagenweiter aufzuklären. Selbst wenn man bei dieser Sachlagedennoch von einer Obliegenheit des Bekl. zur Sachaufklä-rung ausgehen müsste, würde es sich hierbei im Vergleichzum Pflichtenverstoß des Kl. bloß um eine Pflichtverletzungvon geringem Gewicht handeln. Während der Kl. einenvon ihm ungeprüften Sachverhalt sehenden Auges, alsowissentlich und willentlich, und damit vorsätzlich als gege-ben hingestellt hat, ohne auf die fehlende Prüfung bzw.zuverlässige Kenntnis des in der Steuererklärung unter-breiteten Sachverhalts hingewiesen zu haben, kann demBekl. allenfalls vorgeworfen werden, aus Unachtsamkeitbzw. aus Gutgläubigkeit unter Verletzung der im Verkehrerforderlichen Sorgfalt und damit fahrlässig die Vorausset-zungen der Übertragung für den Kinderfreibetrag nichtgeprüft zu haben. Insoweit überwiegt der Verursachungs-beitrag des Kl. für die fehlerhafte Berücksichtigung desdoppelten Kinderfreibetrags gemessen am Grad des Ver-schuldens deutlich, weshalb sich der Kl. auf einen (unter-stellten) Ermittlungsfehler des Bekl. bei der Sachaufklä-rung nicht erfolgreich berufen kann.

Hingegen steht der Korrektur des Freibetrags für denBetreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf ...

31 2. Allerdings wird der Kl. durch die in den streitgegen-ständlichen Änderungsbescheiden vorgenommene Korrek-tur des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs-oder Ausbildungsbedarf in seinen Rechten verletzt, dennes liegen weder die Voraussetzungen für eine Änderungnach § 174 Abs. 2 AO noch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

... die Vorschrift des § 174 Abs. 2 Satz 2 AO entgegen, ...

32 a) Eine Änderungsbefugnis des Bekl. scheitert vorlie-gend an § 174 Abs. 2 Satz 2 AO.

... wonach der fehlerhafte Bescheid auf einen Antragoder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzufüh-ren sein muss, ...

33 aa) Nach dieser Vorschrift kommt eine Änderung nurin Betracht, wenn der fehlerhafte Bescheid auf einenAntrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurück-zuführen ist. Daran mangelt es hier.

... woran es im Streitfall fehlt

34 bb) In seinen Steuererklärungen der im Streit befindli-chen VZ 2011 bis 2014 hat der Kl. die Übertragung desFreibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Aus-bildungsbedarf nicht beantragt; sein Antrag ist lediglich aufdie Übertragung des Kinderfreibetrags der Kindesmuttergerichtet gewesen. Der Antrag des Kl. auf Übertragungdes Kinderfreibetrags der Kindesmutter ist zwar ursäch-lich dafür gewesen, dass ihm auch der Freibetrag für denBetreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfübertragen worden ist. Jedoch kann diese Ursächlichkeitdem Kl. nicht zugerechnet werden. Denn hierbei handeltes sich um einen Rechtsfehler des Bekl. Er hat nämlich zumeinen die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs-und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf in unzulässigerWeise mit der Übertragung des Kinderfreibetrags ver-knüpft und dabei nicht beachtet, dass die Übertragung die-ses Freibetrags gerade nicht davon abhängt, dass derandere Elternteil seine Unterhaltspflicht verletzt hat (BFH-Urteil vom 18. 5. 2006 III R 71/04, BFHE 214, 120, BStBl II2008, 352). Darüber hinaus hat er zudem nicht beachtet,dass die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs-und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf nach § 32 Abs. 6Satz 6 Halbsatz 2 EStG i. d. F. des Streitjahres 2011 bzw.nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG i. d. F. der Streitjahre 2012 bis

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EFG 2019 Nr. 1 7Entscheidung Nr. 3

2014 nur bei minderjährigen Kindern gilt. Ihr 18. Lebens-jahr haben die Tochter S im Jahr 2009 und die Tochter Bim Jahr 2010 erreicht. Beide Töchter sind also in den Streit-jahren bereits volljährig gewesen, so dass die gesetzlichenVoraussetzungen für eine Übertragung des Freibetrags fürden Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfin den Streitjahren 2011 bis 2014 – unabhängig vom Antragdes Kl. auf Übertragung des Kinderfreibetrags – nicht vor-gelegen haben. Dieser Rechtsanwendungsfehler geht mitdem Bekl. heim, denn Rechtsanwendungsfehler sind nichtdem Steuerpflichtigen, sondern allein der Finanzbehördeanzulasten (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 174 AO Rz. 26).

Auch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt nicht zur Anwen-dung, ...

35–37 b) § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt ebenfalls nicht zurAnwendung. ...

... da dem FA ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufenist

38–41 Da dem Bekl. vorliegend bei der Übertragung desFreibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oderAusbildungsbedarf in den Streitjahren 2011 bis 2014 ausden vorgenannten Gründen ein Rechtsanwendungsfehlerunterlaufen ist, scheidet eine Änderung nach § 173 Abs. 1Nr. 1 AO aus. ...

Anmerkung

I. Problemstellung

Grundsätzlich stehen jedem Elternteil nach § 32 Abs. 6Satz 1 EStG bei der Veranlagung zur ESt für jedes zuberücksichtigende Kind ein Freibetrag von 2 394 € fürdas sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfrei-betrag) sowie ein Freibetrag von 1 320 € für den Betreu-ungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kin-des zu. Bei Ehegatten, die zusammen zur ESt veranlagtwerden, verdoppeln sich diese Beträge, wenn das Kindzu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnissteht. Abweichend davon wird bei einem unbeschränkteinkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem dieVoraussetzungen für die Zusammenveranlagung nichtvorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderenElternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertra-gen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seinerUnterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kj. imWesentlichen nachkommt oder der andere Elternteilmangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist(§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG). Beantragt nun ein Elternteildie Übertragung des Kinderfreibetrags, obwohl die Vo-raussetzungen hierfür nicht vorliegen, stellt sich dieFrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein zu-nächst ergangener Bescheid geändert werden kann.

II. Besonderheiten des Streitfalls

Im Streitfall beantragte der Vater lediglich die Übertra-gung des Kinderfreibetrags, nicht aber die Übertragungdes Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs-oder Ausbildungsbedarf. Dennoch wurden ihm zunächstbeide Freibeträge vollumfänglich gewährt. Nachdem dasFA Kenntnis von dem Umstand erlangte, dass die Mutterihrer Unterhaltsverpflichtung nachgekommen ist, än-derte es die ESt-Bescheide für die Streitjahre und brachtelediglich die (einfachen) Beträge des § 32 Abs. 6 Satz 1EStG in Abzug.

III. Die Entscheidung des FG

Das FG wies die Klage bezüglich des Kinderfreibetragsab und gab ihr bezüglich des Freibetrags für den Betreu-ungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfs statt.Die Rückgängigmachung der Übertragung des Kinder-

freibetrags konnte – ohne dass es auf die Voraussetzun-gen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ankam – jedenfalls auf§ 174 Abs. 2 Satz 1 AO gestützt werden. Der Kl. hat diefehlerhafte Berücksichtigung des Kinderfreibetrags imStreitzeitraum dadurch verursacht, dass er in seinenSteuererklärungen in der Anlage Kind für beide Töchterstets den Antrag auf den „vollen Kinderfreibetrag“gestellt hat und die im Vordruck gegebene Begründung– entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten – („... weilder andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht zumindestens 75 % nachkommt oder mangels Leistungsfä-higkeit nicht unterhaltspflichtig ist ...“) durch Eintragungder Ziff. 1 (= Ja) vollumfänglich übernommen hat. DieserVerursachungsbeitrag des Kl. für die fehlerhafte Berück-sichtigung des doppelten Kinderfreibetrags überwogeinen möglichen Ermittlungsfehler des FA.

Hingegen stand der Korrektur des Freibetrags für denBetreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfdie Vorschrift des § 174 Abs. 2 Satz 2 AO entgegen. DerAntrag des Kl. war lediglich auf die Übertragung desKinderfreibetrags gerichtet. Zwar war dieser Antragursächlich dafür, dass auch der Freibetrag für denBetreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfübertragen wurde. Jedoch konnte diese Ursächlichkeitdem Kl. nicht zugerechnet werden. Denn hierbei han-delte es sich um einen Rechtsfehler des FA. Es hat dieÜbertragung des Freibetrags in unzulässiger Weise mitder Übertragung des Kinderfreibetrags verknüpft unddabei nicht beachtet, dass die Übertragung dieses Frei-betrags gerade nicht davon abhängt, dass der andereElternteil seine Unterhaltspflicht verletzt hat.

IV. Konsequenzen und Hinweise für die Praxis

Zwar laufen die beiden Freibeträge des § 32 Abs. 6 Satz 1EStG in der Praxis oftmals parallel. Jedoch ergeben sichin Detailfragen erhebliche Unterschiede. Insbesondereist die Übertragung bei nicht zusammen veranlagtenEltern beim Kinderfreibetrag unter der Voraussetzungmöglich, dass der andere Elternteil seiner Unterhalts-pflicht gegenüber dem Kind für das Kj. nicht im Wesent-lichen nachkommt oder der andere Elternteil mangelsLeistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32Abs. 6 Satz 6 EStG), wohingegen die Übertragung desFreibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oderAusbildungsbedarf für den Elternteil, in dessen Woh-nung das Kind nicht gemeldet ist, auf Antrag des anderenElternteils möglich ist (§ 32 Abs. 6 Satz 8 EStG). Zudemist zu beachten, dass § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG eine Über-tragung des Freibetrags nur für minderjährige Kinderermöglicht. Bei volljährigen Kindern stehen beidenElternteilen – unabhängig von der Wohnsituation – je-weils die Freibeträge zu.

Richter am LG Dipl.-Kfm. Dr. Ruben Martini, LL.B.

AbgabenordnungKörperschaftsteuer

3 Erfüllung des Benennungsverlangens nach§ 160 AO bei Nichtaufklärung der Mittel-herkunft

FGMünchen, Urteil vom 17. 9. 2018 7 K 1258/17 – Nichtzu-lassungsbeschw. eingelegt (Az. des BFH: XI B 104/18).

Finanziert eine GmbH den Erwerb einer inländischenImmobilie mit einem Darlehen einer ausländischen Domi-zilgesellschaft und behandelt sie die vereinbarten endfäl-ligen Zinsen als BA, so ist die Versagung des Betriebsaus-

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8 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 3

gabenabzugs nach § 160 AO rechtmäßig, wenn auf dieAufforderung, den hinter der Domizilgesellschaft stehen-den Empfänger zu benennen, zwar ein Inländer als Treu-geber der Domizilgesellschaft benannt wird, es aber nachden Umständen nicht auszuschließen ist, dass das Geldnicht von ihm, sondern von einer Person aus dem Umkreisder GmbH stammte.

AO § 90 Abs. 2, § 160; FGO § 76 Abs. 1 Satz 4, § 96 Abs. 1Satz 1.

1–12 Klin. ist eine GmbH mit einem Stammkapital von50 000 €. Mit Notarvertrag vom 28. 7. 2005 erwarb die Klin.ein Mietwohngrundstück in M zum Preis von 1,5 Mio. €.Hierfür nahm sie ein Darlehen bei der M-Ltd. mit dem Sitzin Limassol, Zypern i. H. v. 900 000 € auf, das sie in ihrerBilanz passivierte. Nach einer Bp. gelangte das FA zur Auf-fassung, dass die Darlehenszinsen, die die Klin. an dieM-Ltd. geleistet und in der Gewinnermittlung als BA abge-zogen hatte, nach § 160 AO nicht abziehbar seien, daErmittlungen ergeben hätten, dass es sich bei der M-Ltd.um eine wirtschaftlich inaktive Firma handle. Dies ergebesich u. a. daraus, dass sie kein eigenes Personal beschäftige,ihr Ansprechpartner eine Angestellte des ausländischenSteuerbüros X sei, die als Geschäftsführerin weiterer Domi-zilgesellschaften bekannt sei. Dem Benennungsverlangen(§ 160 i. V. m. § 90 Abs. 2 AO), die tatsächlichen Empfängerder Zahlungen bzw. die Darlehensgeber zu benennen, seidie Klin. nicht nachgekommen. Das FA erließ Änderungs-bescheide für die Jahre 2006 bis 2009 und erhöhte u. a.das zu versteuernde Einkommen um die Darlehenszinseni. H. v. jährlich 36 000 €. Im Einspruchsverfahren legte dieKlin. ein Schreiben der H-Ltd. in Zypern vor, nach der sieals Aktionärin der M-Ltd. bestätige, dass Y, wohnhaft inAbu Dhabi, der letztendlich begünstigte Eigentümer derM-Ltd. sei. Außerdem legte sie eine Bestätigung der zyprio-tischen Finanzbehörde über die Aufnahme und Registrie-rung der M-Ltd. unter einer bestimmten Steuernummer vormit der Bestätigung, dass diese Firma mit ihrem Einkom-men in Zypern der Besteuerung unterliege.

Nach Zurückweisung des Einspruchs als unbegründeterhob die Klin. Klage. Das Gericht forderte die Klin. gem.§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2, § 160 AO auf,die hinter der M-Ltd. stehenden Personen zu benennen, andie die geleisteten Zinszahlungen letztlich gelangt seien.Die Klin. teilte mit, dass die Zinsen endfällig seien, so dasskeine Zinszahlungen erfolgt seien, so dass sie die Verbind-lichkeiten erhöht hätten. Außerdem legte sie die eidesstatt-liche Versicherung eines Inländers (A), vor, in der dieserbestätigte, dass er der M-Ltd. den Darlehensbetrag von900 000 € als Treugeber zur Verfügung gestellt habe. NachAuffassung der Klin. sei damit der tatsächlich Begünstigtebekannt, so dass sie dem Benennungsverlangen nachge-kommen sei.

Aus den Gründen:

13 Die Klage ist unbegründet. Das FA hat den Abzug derstreitigen Zinsaufwendungen zu Recht versagt.

Gewinnmindernd bilanzierte Zinsverbindlichkeiten fal-len unter den Begriff der Schulden und BA i. S. des § 160Abs. 1 Satz 1 AO

14 1. Der Abzug der als BA gebuchten Zinsaufwendun-gen ist nicht bereits deshalb zu versagen, weil die Zinsennicht jährlich ausbezahlt wurden. Gemäß dem vorgelegtenDarlehensvertrag Ziff. 4 sind die i. H. v. 4 % des Darlehens-betrags vereinbarten Zinsen erst am Ende des Darlehens-verhältnisses, spätestens am 31. 12. 2020 zur Zahlung fällig.Demgemäß wurden in den Bilanzen die jährlichen rechne-rischen Zinsen passiviert und dem Darlehensbetrag hin-zugerechnet. Diese stellen zwar im Jahresabschluss BAdar, eine steuerliche Berücksichtigung scheitert jedoch an

der nicht ausreichenden Empfängerbenennung nach § 160Abs. 1 AO.

15 a) Gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sind u. a. Schuldenund BA steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen,wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen des FAs nichtnachkommt, den Empfänger dieser Ausgaben genau zubenennen. Die Vorschrift gilt nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halb-satz 2 FGO auch im gerichtlichen Verfahren. Das FG kanndaher nach seinem Ermessen den Kl. auffordern, den tat-sächlichen Gläubiger bzw. Zahlungsempfänger von BAund dergleichen zu benennen und für den Fall, dass dieserder Aufforderung nicht nachkommt, entscheiden, ob undggf. in welcher Höhe BA nicht zu berücksichtigen sind (vgl.BFH-Urteil vom 25. 1. 2006 I R 39/05, BFH/NV 2006, 1618,m. w. N.). Gewinnmindernd bilanzierte Zinsverbindlich-keiten aus Darlehensschulden fallen unzweifelhaft unterden Begriff der Schulden und BA. Empfänger i. S. des § 160Abs. 1 Satz 1 AO ist, wem der in der BA enthaltene wirt-schaftliche Wert vom Steuerpflichtigen übertragen wurde,bei dem er sich demzufolge steuerlich auswirkt. Benanntist ein Empfänger, wenn er (nach Namen und Adresse)ohne Schwierigkeiten und eigene Ermittlungen der Finanz-behörde bestimmt und ermittelt werden kann (ständigeRspr., z. B. BFH-Urteil vom 1. 4. 2003 I R 28/02, BFHE 202,196, BStBl II 2007, 855, unter II. 2. der Gründe).

Lediglich zwischengeschaltete Person ist nicht Empfän-ger i. S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO

16 Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zah-lungen des Steuerpflichtigen entgegennahm, lediglichzwischengeschaltet, weil sie entweder mangels eigenerwirtschaftlicher Betätigung die vertraglich bedungenenLeistungen gar nicht erbringen konnte oder weil sie ausanderen Gründen die ihr erteilten Aufträge und die emp-fangenen Gelder an Dritte weiterleitete, so ist sie nichtEmpfänger i. S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO, so dass diehinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letzt-lich gelangt sind, zu benennen sind (BFH-Urteile vom10. 11. 1998 I R 108/97, BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121;vom 25. 1. 2006 I R 39/05, BFH/NV 2006, 1618; BFH-Beschluss vom 24. 4. 2009 IV B 104/07, BFH/NV 2009,1398). Allerdings steht ein solches Benennungsverlangenin besonderem Maß unter dem Gesichtspunkt der Zumut-barkeit (BFH-Urteil vom 9. 4. 1987 IV R 142/85, BFH/NV1987, 689). Entscheidend ist, ob es dem Steuerpflichtigenim Zeitpunkt der von ihm geleisteten Zahlungen zumutbarwar, sich der Identität seines jeweiligen Geschäftspartnerszu versichern, um so in der Lage zu sein, ihn als Empfängerder Zahlungen zu bezeichnen (BFH-Urteil vom 17. 12. 1980I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333; BFH-Beschluss vom 13. 7. 2011 X B 187/10, BFH/NV 2011, 1899).Die Vorschriften verlangen von dem Steuerpflichtigennichts Unzumutbares. Er kann nur Umstände offenlegen,die in seinem Kenntnisbereich liegen oder von denen ersich in zumutbarer Weise Kenntnis beschaffen kann.Danach brauchen nicht offengelegt zu werden das Verhält-nis der Gesellschaft (Person) zu dem Dritten, soweit es überdas Beteiligungsverhältnis hinausgeht, und die Verhält-nisse des Dritten zu weiteren Personen. Dies gilt jedenfalls,solange es keine Hinweise auf ein Treuhandverhältnis gibt(BFH-Urteile vom 1. 6. 1994 X R 73/91, BFH/NV 1995, 2;vom 1. 4. 2003 I R 28/02, BFHE 202, 196, BStBl II 2007, 855).Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zahlun-gen unmittelbar entgegennahm, lediglich zwischenge-schaltet, weil sie entweder mangels eigener wirtschaft-licher Betätigung die ausbedungenen Leistungen nichterbringen konnte oder weil sie aus anderen Gründen dieihr erteilten Aufträge und die empfangenen Gelder anDritte weiterleitete, so ist sie nicht Empfänger i. S. des § 160Abs. 1 Satz 1 AO. In diesem Fall sind die hinter ihr stehen-den Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zubenennen. Als hinter einer Domizilgesellschaft stehendePersonen, an die die Gelder letztlich gelangten, kommen

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EFG 2019 Nr. 1 9Entscheidung Nr. 3

die Anteilseigner (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 1. 6. 1994X R 73/91, BFH/NV 1995, 2; vom 5. 11. 1992 I R 8/91,BFH/NV 1994, 357), aber auch die Auftragnehmer derausländischen Domizilgesellschaft in Betracht (vgl. BFH-Beschluss vom 25. 8. 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381,BStBl II 1987, 481; BFH-Urteil vom 30. 8. 1995 I R 126/94,BFH/NV 1996, 267). Der Zweck des § 160 AO besteht darin,einen Ausgleich für die vermutete Nichtversteuerung beimEmpfänger zu schaffen, indem der Steuerpflichtige wie einHaftender für fremde Steuern in Anspruch genommenwird. Nur soweit Steuerausfälle nicht zu erwarten sind,können Ausgaben trotz fehlender EmpfängerbezeichnungzumAbzug zugelassen werden (BFH-Urteil vom 24. 6. 1997VIII R 9/96, BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51, m. w. N.).

Voraussetzungen für das Benennungsverlangen lagenvor

17 b) Im Streitfall wurde die Klin. mit gerichtlicher Anord-nung vom 2. 5. 2018 aufgefordert, die Empfänger der hierstreitigen Zahlungen zu benennen. Ein entsprechendesBenennungsverlangen hatte bereits das FA gestellt. DieVoraussetzungen für das Benennungsverlangen lagen vor,da aufgrund der Ermittlungen der Bp die Vermutung nahe-lag, dass es sich bei der M-Ltd. um eine sog. Domizilgesell-schaft handelt. Dafür sprechen das Ergebnis der Ermittlun-gen des BZSt gem. Auskunft vom 7. 6. 2010, das festgestellthat, dass es sich um eine wirtschaftlich inaktive Firma han-delt, da sie kein eigenes Personal beschäftigt, ihr Ansprech-partner eine Angestellte des Steuerbüros X ist, die alsGeschäftsführerin weiterer Domizilgesellschaften bekanntsei, die Anteile an der M-Ltd. durch Gesellschaften treu-händerisch gehalten würden, die mit dem Steuerbüro Xin Verbindung stünden und ihr Geschäftszweck nicht imZusammenhang mit Finanzierungsgeschäften stehe, son-dern dieser im Handel mit ... angegeben sei.

Nach Überzeugung des Gerichts war benannter Gläubi-ger nicht der tatsächliche Leistungsempfänger

18 Während die Klin. im Einspruchsverfahren auf das Be-nennungsverlangen des FAs unter Vorlage einer Beschei-nigung der Gesellschafterin der M-Ltd., der H-Ltd., ange-geben hatte, dass Y, wohnhaft in Abu Dhabi, Begünstigterder M-Ltd. sei, teilte die Klin. auf das gerichtliche Benen-nungsverlangen mit, dass die M-Ltd. lediglich Treuhände-rin des im Inland ansässigen Zeugen A gewesen sei unddieser der M-Ltd. den Darlehensbetrag von 900 000 € alsTreugeber zur Verfügung gestellt habe.

19 Die Einvernahme von A als Zeugen in der m. V. hatdie Behauptung, dieser sei der eigentliche Gläubiger derVerbindlichkeit bzw. Empfänger der geltend gemachtenZinsen, nicht ausreichend belegen können. Das Gerichthält die Aussage des Zeugen A, er habe der M-Ltd. einenGeldbetrag von 900 000 € zur Verfügung gestellt, wobeizu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden habe, fürwelchen Zweck dieser eingesetzt würde, nicht für glaub-haft. Der Zeuge ist eine geschäftlich erfahrene Person undwar nach eigener Aussage Inhaber verschiedener, zwi-schenzeitlich aufgelöster Firmen.

Denn die Hingabe eines ungesicherten Darlehens an dieausländische Gesellschaft ist nicht glaubhaft

Es ist unter diesem Aspekt nicht glaubhaft, dass der Zeugeeiner Kapitalgesellschaft in Zypern, an der er weder unmit-telbar noch mittelbar beteiligt war, ohne eine konkrete ver-tragliche Vereinbarung einen Geldbetrag in dieser Höheohne Sicherheiten zur Verfügung stellte mit der Maßgabe,Investitionsobjekte in der EU zu finden. Das „Trust Agree-ment“ vom 12. 7. 2005 sei erst zu einem Zeitpunkt abge-schlossen worden, als die Investition in die Immobilie derKlin. auf einen entsprechendenHinweis des Zeugen an denVertreter derM-Ltd. festgestanden habe, jedoch seien auchdann keine Sicherheiten zugunsten des Zeugen vereinbartworden.

Vielmehr sprechen die Umstände dafür, dass das Geldvon einer Person aus dem Umkreis der Klin. stammte

Die Aussage des Zeugen, ihm habe es als Sicherheitgenügt, dass sich das Objekt, in das die M-Ltd. mit demvon ihm zur Verfügung gestellten Geld investiert habe, inDeutschland gelegen habe, spricht dafür, dass es sich beidem Geld – soweit der M-Ltd. überhaupt ein entsprechen-der Geldbetrag zugeflossen sein sollte – nicht um eigenesGeld des Zeugen gehandelt hat, denn der behaupteteAblauf erscheint vollkommen lebensfremd und ist imgeschäftlichen Verkehr nicht üblich. Dafür spricht auch,dass der Zeuge sich geweigert hat, Angaben dazu zumachen, woher der Geldbetrag von 900 000 €, den erangeblich der M-Ltd. zur Verfügung gestellt hat, stammteund auf welche Weise dieser in den Geschäftsverkehrgelangt sei. Damit liegt es z. B. im Bereich des Möglichen,dass das Geld von einer Person aus dem Umkreis der Klin.bzw. von einer für die Klin. handelnden Person stammte,welches direkt oder über den Zeugen A der M-Ltd. mit derMaßgabe zur Verfügung gestellt wurde, dass es an die Klin.als verzinsliches Darlehen weitergereicht wird. Somit hatdie Klin. den eigentlichen Geldgeber der M-Ltd., die ausden bereits genannten Gründen als ausländische Domizil-gesellschaft anzusehen ist, welche das für die Darlehens-vergabe notwendige Kapital gar nicht hatte und lediglichdie Funktion hatte, von Dritten empfangene Gelder weiter-zuleiten, nicht benannt.

Versagung des Betriebsausgabenabzugs als Rechtsfolge

20–21 c) Rechtsfolge der nicht ausreichenden Empfänger-benennung ist, dass der Betriebsausgabenabzug regelmä-ßig zu versagen ist. Da im Streitfall durch den Betriebsaus-gabenabzug der geltend gemachten Schuldzinsen Steuer-ausfälle nicht ausgeschlossen werden können und es nichtfeststeht, dass der Empfänger im Inland keiner Besteue-rung unterliegt (vgl. Forchhammer in Leopold/Madle/Rader, AO, § 160 Rz. 27), übt der Senat sein Ermessendahingehend aus, das der Abzug in voller Höhe versagtwird ...

Anmerkung

I. Problemstellung

Nach ständiger Rspr. ist bei Zahlungen eines Steuer-pflichtigen an eine ausländische Domizilgesellschaft fürLeistungen, die diese z. B. mangels eigenen fach- oderbranchenkundigen Personals selbst nicht erbringenkann, das an den Steuerpflichtigen gerichtete Verlangennach § 160 Abs. 1 AO, denjenigen zu bezeichnen, anden die Domizilgesellschaft das Geld weitergeleitet hat,rechtmäßig (vgl. BFH-Urteil vom 10. 11. 1998 I R 108/97,BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121). Im Streitfall hatte dieKlin. mit der Benennung des Inländers als angeblichenTreuhänder der Domizilgesellschaft dem Benennungs-verlangen nach § 160 Abs. 1 AO formal zwar Genügegetan. Das Gericht hatte jedoch insbesondere wegen desErgebnisses der Beweisaufnahme, in dem die von derKlin. benannte Person als Zeuge vernommen wurde,erhebliche Zweifel, ob die Klin. tatsächlich den eigent-lichen Geldgeber benannt hat. Denn der Zeuge hatte sichgeweigert, Angaben dazu zumachen, woher der Geldbe-trag von 900 000 € stammte, den er der Domizilgesell-schaft angeblich treuhänderisch zur Verfügung stellteund wie dieser Betrag in den Geschäftsverkehr nachZypern gelangt ist.

II. Die Entscheidung des FG

Nach Auffassung des Gerichts hat die Klin. mit derBenennung des Inländers denGläubiger oder Empfängeri. S. von § 160 Abs. 1 AO nicht ausreichend bezeichnet,da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auszu-schließen war, dass die 900 000 € der Domizilgesellschaft

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10 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 4

nicht von der benannten Person zur Verfügung gestelltwurden, sondern von einer Person aus dem Umkreis derKlin. selbst, z. B. von ihrem Gesellschafter. Da bei aufdiese Weise zustande gekommenen Darlehensverhält-nissen die Gefahr von Steuerausfällen besteht wegen dernicht fernliegenden Möglichkeit eines Missbrauchs vonrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) odervon vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), hat das Gericht seinihm nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 160 Abs. 1AO eingeräumtes Ermessen dahingehend ausgeübt, denBetriebsausgabenabzug zu versagen.

III. Hinweis für die Praxis

Der Steuerpflichtige kann sich, nachdem er auf die Auf-forderung zur Empfängerbenennung nach § 160 Abs. 1AO eine Person bezeichnet hat, die bestätigt, dass sieder wirtschaftliche Empfänger der als BA behandeltenZahlungen sei, nicht auf die formale Position zurückzie-hen, damit den Anforderungen des § 160 Abs. 1 AOGenüge getan zu haben. Vielmehr kann das FA bzw. dasGericht weitere Ermittlungen anstellen, um aufzuklären,ob diese Angaben zutreffen bzw. glaubhaft sind.

Vorsitzender Richter am FG Dr. Joseph Forchhammer

4 Berichtigung eines Bescheids über diegesonderte Feststellung des steuerlichenEinlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG

FGMünchen, Urteil vom 17. 9. 2018 7 K 2805/17 – Rev. ein-gelegt (Az. des BFH: XI R 36/18).

Die Voraussetzungen einer Berichtigung nach § 129 AOeines Bescheids über die Feststellung des steuerlichenEinlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG liegen nicht vor,wenn die Unrichtigkeit der Feststellungen durch dieErläuterungen in der eingereichten Bilanz als solche zwarerkennbar war, der Sachverhalt jedoch noch aufklärungs-bedürftig war, da die konkrete Höhe der erbrachten Ein-zahlungen in die Kapitalrücklage unklar war.

AO § 129, § 172 Abs. 1 Nr. 2a, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 181Abs. 1 Satz 1; KStG § 8 Abs. 1, § 27 Abs. 1 und 2; HGB§ 272 Abs. 2 Nr. 4.

1–11 Die Klin. ist eine GmbHmit einem Stammkapital von25 000 €, das zu gleichen Teilen von den GesellschafternPR und LR gehalten wurde. Mit notariellem Vertrag vom31. 8. 2012 schlossen PR und LR mit der Klin. einen Einbrin-gungsvertrag, in dem sie sich verpflichteten, zur Stärkungdes Kapitals der Klin. voll werthaltige Darlehensforderun-gen gegenüber der R-Grundstücksverwaltungs-GbR i. H. v.245 000 € sowie 100 000 € (PR) und 250 000 € (LR) unent-geltlich in die Klin. einzubringen und darüber hinaus mitWirkung zum 15. 9. 2012 Geldbeträge i. H. v. 95 000 CHFund 150 000 € (PR) sowie 500 000 € und 1 200 000 CHF (LR).Die Einlagen sollten als Eigenkapital in Form von Kapital-rücklagen gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB der Klin. zugeführtwerden. Die KSt-Erklärung für 2012 und die Erklärung zurgesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagenkontoszum 31. 12. 2012 wurden dem FA elektronisch übermittelt.Der Jahresabschluss zum 31. 12. 2012 wurde dem FA inPapierform übersandt. Im Jahresabschluss ist unter denPassiva eine Kapitalrücklage i. H. v. 2 315 017,50 € ausge-wiesen, die nachstehend wie folgt erläutert ist: „Mit Ein-bringungsvertrag vom 31. 8. 2012 haben die Gesellschaf-ter PR und LR ihre Darlehensforderungen an die R-Grund-stücksverwaltungs-GbR i. H. v. 245 000 € und 100 000 €sowie 250 000 € per 15. 9. 2012 in die Kapitalrücklage nach

§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingebracht. Darüber hinaus wurdedie Einbringung von Geldbeträgen von CHF 95 000 (PR)und CHF 1 200 000 (LR) beschlossen. Die Geldbeträge wur-den per 25. 9. 2012 auf ein Girokonto der G-Bank einge-zahlt.“ Im Umlaufvermögen ist unter den sonstigen Vermö-gensgegenständen zum 31. 12. 2012 „Darlehensforderun-gen R-Grundstücksverwaltungs-GbR“ i. H. v. 595 000 €(Vorjahr 0 €) ausgewiesen, unter Guthaben bei Kreditinsti-tuten ein solches bei der G-Bank, Kto. ..., zum 31. 12. 2012i. H. v. 1 072 420,00 € (Vorjahr 0 €) sowie Guthaben bei derVR Bank E zum 31. 12. 2012 i. H. v. 500 000 € und150 084,67 € (Vorjahr jeweils 0 €). In der Erklärung zurgesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagenkontoszum 31. 12. 2012 war ein Bestand zum Schluss des vorange-gangenen Wj. von 0 € und ein Endbestand zum Schlussdes Wj. i. H. v. 0 € angegeben und unter „FestzustellendeBeträge“ ein steuerliches Einlagenkonto (Endbestand)i. H. v. 0 €. Im Rahmen der Veranlagung ist das FAden Angaben der Klin. gefolgt. Dementsprechend ist imBescheid über die gesonderte Feststellung der Besteue-rungsgrundlagen gem. § 27 Abs. 2 KStG zum 31. 12. 2012ein steuerliches Einlagekonto und ein Endbestand zumSchluss des Wirtschafsjahres i. H. v. 0 € festgestellt worden.Nach Bestandskraft des Feststellungsbescheids beantragtedie Klin., diesen nach § 129 AO zu ändern und die festzu-stellenden Beträge gemäß dem Einbringungsvertrag vom31. 8. 2012 vorzunehmen. Diesen Antrag lehnte das FA ab.Der dagegen eingelegte Einspruch, mit dem hilfsweise eineÄnderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beantragt wurde,blieb ohne Erfolg. Dagegen richtet sich die Klage. Das FAhabe eine Berichtigung nach § 129 AO zu Unrecht abge-lehnt, die Klin. verweist auf die Erläuterungen in der Bilanzzur ausgewiesenen Kapitalrücklage sowie zu den Aktivpos-ten „Darlehensforderungen R-Grundstücksverwaltungs-GbR“ und „G-Bank“ unter „Guthaben bei Kreditinstitu-ten“. Das FAmacht geltend, ein eigenes mechanisches Ver-sehen des Sachbearbeiters habe nicht vorgelegen. Dieserhabe vielmehr die Angaben der Klin. zum steuerlichen Ein-lagekonto fehlerfrei übernommen. Die fehlerhafte Eingabedes steuerlichen Einlagekontos mit 0 € sei nicht offenbargewesen. Weder habe sich die Unrichtigkeit unmittelbaraus der Feststellungserklärung, noch ohne Weiteres ausden eingereichten Unterlagen ergeben. Etwas anderesergebe sich auch nicht aus den im Jahresabschluss enthal-tenen Erläuterungen zum Bilanzposten Kapitalrücklage,denn es lägen insgesamt fünf verschiedene Einbringungs-vorgänge und zwei verschiedene Wirtschaftsgüter, die ein-gebracht worden seien, vor. Zudem seien die eingebrach-ten Geldbeträge in Schweizer Franken genannt wordenund müssten erst zum Umrechnungskurs im Einbringungs-zeitpunkt in Euro umgerechnet werden, damit man dieHöhe der Kapitalrücklage zweifelsfrei hätte nachvollziehenkönnen. Darüber hinaus würde sich für die Darlehen auchnoch die Frage der Werthaltigkeit stellen, denn Einlagenseien mit dem Teilwert zu bewerten, so dass der Nominal-wert nicht zwingend maßgebend sei.

Aus den Gründen:

12 Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die Korrek-tur des streitgegenständlichen Feststellungsbescheids zuRecht abgelehnt.

Voraussetzung einer Berichtigung nach § 129 AO

13 1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die FinanzbehördeSchreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Un-richtigkeiten, die beim Erlass eines VA unterlaufen sind,jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse desSteuerpflichtigen ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO). Einsolches Interesse besteht insbesondere dann, wenn deroffenbar unrichtige Bescheid bindend für andere Feststel-lungen ist oder wenn sich die Unrichtigkeit auf die Höheder Steuerfestsetzung auswirkt (vgl. Seer in Tipke/Kruse,

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EFG 2019 Nr. 1 11Entscheidung Nr. 4

AO/FGO, § 129 AO Rz. 31; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 129 AO Rz. 48, m. w. N.). Davon ist imStreitfall auszugehen, da Auskehrungen einer Kapitalge-sellschaft nicht zu steuerbaren Einkünfte beim Anteilseig-ner führen, wenn sie aus dem steuerlichen Einlagekontoerfolgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).

Offenbarer Fehler muss in der Sphäre der den VA erlas-senden Finanzbehörde entstanden sein

14 2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eineBerichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit gem.§ 129 Satz 1 AO jedoch nicht vor. Offenbare Unrichtigkei-ten i. S. des § 129 AO sind mechanische Versehen wie z. B.Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließenFehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechts-norm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzu-treffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegen-den Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus (BFH-Urteil vom 26. 10. 2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257). Wennauch nur die ernsthafteMöglichkeit besteht, dass die Nicht-beachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaf-ten Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachver-haltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründetist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruhtoder wenn einemehr als nur theoretischeMöglichkeit einesRechtsirrtums besteht, so liegt kein bloßes mechanischesVersehen und damit auch keine offenbare Unrichtigkeitvor (BFH-Urteil vom 1. 7. 2010 IV R 56/07, BFH/NV 2010,2004). Die Berichtigungsmöglichkeit gem. § 129 AO setztvoraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den VAerlassenden Finanzbehörde entstanden ist (BFH-Urteilevom 16. 9. 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015,1040; vom 26. 10. 2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257).

15 Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbsterkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann an-wendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben desSteuerpflichtigen als eigene übernimmt (sog. Übernahme-fehler; ständige BFH-Rspr., vgl. z. B. Urteile vom 14. 6. 2007IX R 2/07, BFH/NV 2007, 2056; vom 27. 8. 2013 VIII R 9/11,BFHE 242, 302, BStBl II 2014, 439, Rz. 15, m. w. N.; vom26. 10. 2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257).

Fehler muss nach Akteninhalt klar und eindeutig alsoffenbare Unrichtigkeit erkennbar sein

16 Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichti-gung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oderRechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen desEinzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlagebeurteilt werden (BFH-Urteile vom 11. 7. 2007 XI R 17/05,BFH/NV 2007, 1810; vom 26. 10. 2016 X R 1/14, BFH/NV2017, 257). Eine Unrichtigkeit ist dann offenbar, wenn derFehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvor-eingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbareUnrichtigkeit erkennbar ist (ständige höchstrichterlicheRspr., BFH-Urteile vom 4. 6. 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008,1801, Rz. 13; vom 6. 11. 2012 VIII R 15/10, BFHE 239, 296,BStBl II 2013, 307, Rz. 15; vom 27. 8. 2013 VIII R 9/11, BFHE242, 302, BStBl II 2014, 439, Rz. 14).

17 Da hierbei eine objektivierte Sicht zugrunde gelegtwird, ist bei dem (fiktiven) unvoreingenommenen Drittenzunächst der Akteninhalt – Steuererklärung, deren Anla-gen sowie die Unterlagen für das betreffende Veranla-gungsjahr – als bekannt vorauszusetzen; dies findet seineBegründung darin, dass eine Anknüpfung an aktenkun-dige Umstände bei objektiver Betrachtungsweise regel-mäßig besonders naheliegt (BFH-Urteile vom 1. 7. 2010IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004, Rz. 24; vom 26. 10. 2016X R 1/14, BFH/NV 2017, 257). Ob der zuständige Bearbei-ter des FA diesen Akteninhalt zur Kenntnis genommen hat,ist demgegenüber nicht relevant.

Feststellungsbescheid war zwar unrichtig ...

18 3. Im Streitfall ist der streitgegenständliche Feststel-lungsbescheid unzutreffend. Die Unrichtigkeit ergibt sichaus der Nichterfassung des Betrags i. H. v. 2 315 017,50 €im gesondert festzustellenden steuerlichen Einlagekontonach § 27 Abs. 2 KStG zum 31. 12. 2012. Dieser Betrag istdurch Einbringung (Abtretung) von drei Darlehensforde-rungen der Gesellschafter PR und LR im Gesamtbetragvon 595 000 € an die R-Grundstücksverwaltungs-GbR zum15. 9. 2012 sowie durch Einbringung von Geldbeträgeni. H. v. 95 000 CHF und 150 000 € (PR) sowie 1 200 000 CHFund 500 000 € (LR) in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2Nr. 4 HGB zugeflossen und wäre im steuerlichen Einlage-konto nach § 27 Abs. 1 KStG zu erfassen gewesen. Diesist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keinerweiteren Erörterung (Bauschatz in Gosch, KStG, 3. Aufl.,§ 27 Rz. 35, m. w. N.).

19 Die Unrichtigkeit ist im Streitfall nach Überzeugungdes Senats jedoch nicht durch ein mechanisches Versehenentstanden und damit nicht i. S. von § 129 AO offenbar.Das wäre nur der Fall, wenn ein Fehler auf der Hand liegt,also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Dabeiist es nicht erforderlich, dass die Unrichtigkeit aus demBescheid selbst erkennbar ist. Maßgebend ist vielmehr, obder Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jedenunvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als Un-richtigkeit erkannt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom1. 7. 2010 IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004; vom 29. 1. 2003I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139, m. w. N.). Diese (Tat-)Fragemuss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabeiinsbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden (vgl.BFH-Beschluss vom 14. 9. 2010 IV B 121/09, BFH/NV 2011,440).

... und Unrichtigkeit der Feststellung war durch Bilanz-erläuterungen erkennbar, ...

20 a) Unter Heranziehung des von der Klin. in Papierformeingereichten Jahresabschlusses zum 31. 12. 2012, der demBearbeiter des FA bei Durchführung der Veranlagungunstreitig vorlag, und der darin enthaltenen Erläuterungenzu den Bilanzposten Kapitalrücklage sowie der sonstigenVermögensgegenstände und Guthaben bei Kreditinstitu-ten im Umlaufvermögen war die Unrichtigkeit der Fest-stellung zwar erkennbar. Denn aus den Erläuterungenzur Kapitalrücklage geht hervor, dass der Klin. die Erhö-hung der Kapitalrücklage gegenüber dem Vorjahr i. H. v.2 315 017,50 € zumindest teilweise zugeflossen ist, nämlichjedenfalls in Form einer Darlehensforderung gegen einenDritten i. H. v. 595 000 € und in Form von Geldbeträgen inSchweizer Franken i. H. v. insgesamt 1 295 000 CHF. Ent-gegen der Auffassung des FA war es somit erkennbar, dassdas steuerliche Einlagekonto nicht mit 0 € festzustellen sei.Damit kann es ausgeschlossen werden, dass ein unvorein-genommener Dritter unter diesen Umständen davon ausge-gangen wäre, dass der entsprechende Eintrag in der Fest-stellungserklärung zutreffend sei. Soweit das FA hier eineandere Auffassung vertritt mit dem Argument, für die ein-gebrachten Darlehen würde sich die Frage der Werthaltig-keit stellen, kann der Senat dem angesichts des Umstands,dass der entsprechende Aktivposten „Darlehensforderun-gen R-Grundstücksverwaltungs-GbR“ mit einem Wert von596 166,75 € angesetzt worden ist (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 5Satz 1 EStG), nicht folgen. Auch der Umstand, dass in derErläuterung die eingebrachten Geldbeträge in SchweizerFranken genannt sind, ändert nichts daran, dass ein Zuflussder in der Bilanz ausgewiesenen Kapitalrücklage erkenn-bar war. Allerdings war die genaue Höhe der Einzahlungin die Kapitalrücklage nicht erkennbar (s. nachfolgend).

... aber Fehler beruht möglicherweise auf mangelnderSachverhaltsaufklärung

21 b) Nach Auffassung des Senats genügt allein dieErkennbarkeit der Unrichtigkeit des Feststellungsbe-

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12 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 4

scheids als solche ohne Erkennbarkeit des zutreffendenWerts nicht für eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 129AO. Sie ist im Streitfall deshalb zu verneinen, weil nichtausgeschlossen werden kann, dass der Fehler auf mangeln-der Sachverhaltsaufklärung beruht. Anders als etwa in denvom FGMünster mit Urteil vom 13. 10. 2017 13 K 3113/16 F(EFG 2018, 11) und FG Köln mit Urteil vom 6. 3. 201213 K 1250/10 (EFG 2014, 417) entschiedenen Fällen lässtsich im Streitfall die Höhe der Einzahlung in die Kapital-rücklage und damit der Umfang der Unrichtigkeit der Fest-stellung aus den Erläuterungen zur Bilanz oder aus sonsti-gen dem FA vorliegenden Unterlagen nicht ohne weitereErmittlungen nachvollziehen. Abgesehen davon, dass – wiedas FA zu Recht einwendet – sich die Höhe der Einzahlungin die Kapitalrücklage wegen der z. T. in Schweizer Fran-ken eingezahlten Geldbeträge erst nach Umrechnung zumentsprechenden Tageskurs ergibt, welche weiterer Ermitt-lungen bedarf, fehlen in den Erläuterungen zur Kapital-rücklage die Geldbeträge i. H. v. 150 000 € und 500 000 €,die gem. dem Einbringungsvertrag zusätzlich zu den Beträ-gen in Schweizer Franken einzubringen waren. Damit waraus der Erläuterung die konkrete Höhe der erbrachten Ein-zahlungen unklar, da insoweit eine Lücke von 650 000 €vorhanden war. Aus dem Bilanzposten Guthaben bei Kre-ditinstituten im Umlaufvermögen ist zwar erkennbar, dassauf den Konten bei der VR-Bank E Guthaben i. H. v.500 000 € und 150 084,67 € bestanden, die in der Vorjahres-bilanz nicht vorhanden waren. Diese können jedoch nichtohne weitere Ermittlungen den in die Kapitalrücklage ein-bezahlten Beträgen zugeordnet werden, da Erläuterungenhierzu fehlen. Der Bearbeiter des FA wäre aufgrund seinerAmtsermittlungspflicht insoweit verpflichtet gewesen, denSachverhalt weiter aufzuklären und die genaue Höhe derEinzahlung in die Kapitalrücklage und damit den Stand dessteuerlichen Einlagekontos zu ermitteln. In solchen Fällenhat das FA zwar möglicherweise seine Amtsermittlungs-pflicht verletzt; diese Pflichtverletzung ist aber nicht miteiner offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen; sie schließtvielmehr eine offenbare Unrichtigkeit aus (BFH-Urteil vom27. 5. 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946).

Daher auch keine teilweise Korrektur nach § 129 AO

22 c) Entgegen der vom Klägervertreter in der m. V. hilfs-weise geäußerten Rechtsauffassung ist es auch nichtmöglich, den Bescheid über die gesonderte Feststellungdes steuerlichen Einlagekontos zum 31. 12. 2012 teilweisenach § 129 AO zu korrigieren, nämlich soweit sich ausden Erläuterungen zum Bilanzposten „Kapitalrücklage“ein der Höhe nach bezifferter Zufluss in die Kapitalrücklageergibt. Denn die Überprüfung der Werthaltigkeit dereingebrachten Darlehensforderung durch einen Vergleichmit dem entsprechenden Aktivposten „Darlehensforde-rung R-Grundstücksverwaltungs-GbR“ bedarf entspre-chende rechtliche Überlegungen zur Bewertung vonEinlagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG, so dass dieMöglichkeit eines Rechtsirrtums oder einer mangelndenSachverhaltsaufklärung nicht völlig ausgeschlossen ist.

Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1Nr. 2 AO liegen nicht vor

23 4. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung dessteuerlichen Einlagekontos zum 31. 12. 2012 ist auch nichtnach § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 172 ff. AO zu ändern.Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Ände-rung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vor. Nach dieserVorschrift sind Steuerbescheide zugunsten des Steuer-pflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglichTatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die zu einerniedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen keingrobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oderBeweismittel erst nachträglich bekanntwerden.

Steuerlichen Berater trifft ein grobes Verschulden amnachträglichen Bekanntwerden

24 Dem FA sind im vorliegenden Fall zwar nachträglich,nämlich nach Feststellung des steuerlichen Einlagekontoszum 31. 12. 2012 mit Bescheid vom 3. 6. 2014, Tatsachenbekanntgeworden, die zu einer niedrigeren Steuer führenwürden, da ihm erstmals durch das Schreiben der Klin. vom3. 6. 2015 der zutreffende Stand des steuerlichen Einlage-kontos bekannt geworden ist. Wie dargelegt, war die kor-rekte Höhe des steuerlichen Einlagekontos auch unter Hin-zuziehung des Jahresabschlusses zum 31. 1. 2012 nichtunzweideutig, da die Höhe der tatsächlich erfolgten Ein-zahlungen nur teilweise bzw. ungenau und nicht umfas-send dargelegt wurde. Dem steuerlichen Berater der Klin.trifft jedoch ein grobes Verschulden hinsichtlich des nach-träglichen Bekanntwerdens, welches sich die Klin. als eige-nes Verschulden zurechnen lassen muss (BFH-Urteil vom16. 5. 2013 III R 12/12, BFHE 241, 226, BStBl II 2016, 512).Der mit der Ausarbeitung der Steuererklärung betrautesteuerliche Berater muss sich um eine sachgemäße undgewissenhafte Erfüllung der Erklärungspflicht seines Man-danten bemühen. Dabei sind an ihn erhöhte Anforderun-gen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zustellen. Insbesondere muss von ihm die Kenntnis und sach-gemäße Anwendung der einschlägigen steuerrechtlichenBestimmungen erwartet werden. Ihn trifft ein grobesVerschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tat-sachen oder Beweismitteln, wenn er die ihm zumutbareSorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuld-barerWeise verletzt. Dabei kann es offenbleiben, ob bereitsdie unterlassene Eintragung des steuerlichen Einlagekon-tos in der Feststellungserklärung als grob fahrlässiger Feh-ler anzusehen ist, oder ob dies noch dem Bereich der einfa-chen Fahrlässigkeit zuzurechnen ist, denn grob fahrlässighandelt auch, wer es versäumt, den steuerminderndenSachverhalt dem FA noch im Rahmen eines Einspruchs zuunterbreiten, wenn sich vor Fristablauf die Geltendma-chung dieser Tatsachen hätte aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 9. 5. 2017 VIII R 40/15, BFHE 258, 335, BStBl II2017, 1049). Auch die nicht hinreichende Prüfung des Steu-erbescheids kann ein grobes Verschulden sein, insbeson-dere gilt dies für Steuerberater (Forchhammer in Leopold/Madle/Rader, AO, § 173 Rz. 56). Im Streitfall oblag demsteuerlichen Berater jedenfalls auch eine konkrete Pflichtzur Überprüfung des Bescheids vom 3. 6. 2015 über diegesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem.§§ 27, 28 KStG zum 31. 12. 2012. Dem Berater musste sichdie Unrichtigkeit der Höhe des steuerlichen Einlagen-kontos zum 31. 12. 2012 aufdrängen, welches mit einemBetrag von „0“ angegeben war, obwohl der zutreffendeStand 2 315 017,50 € betrug. Die Darstellung der Zu- undAbgänge in das steuerliche Einlagekonto ist der eigentlicheSinn des entsprechenden Feststellungsverfahrens nach§ 27 Abs. 2 KStG. Dass der steuerliche Berater nichtbemerkt hat, dass die bislang einzige Einzahlung in dieKapitalrücklage in nicht unerheblicher Höhe nicht berück-sichtig worden ist, kann nur damit erklärt werden, dasseine Nachprüfung des Bescheids überhaupt nicht vorge-nommen worden war. Damit wurde die zumutbare Sorgfaltin einem ungewöhnlichen Maße und in nicht entschuldba-rer Weise verletzt.

25–26 5. ... Die Revision wird wegen grundsätzlicherBedeutung zugelassen.

AnmerkungI. Problemstellung

Das Problem der Korrekturmöglichkeit von bestandskräf-tigen Bescheiden über die gesonderte Feststellung dessteuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG, beidenen vom Steuerpflichtigen der Bestand zum Schlussdes vorangegangenen VZ (meist i. H. v. 0 €) fortgeschrie-ben wurde und dies vom FA übernommen wurde, hat

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EFG 2019 Nr. 1 13Entscheidung Nr. 5

die Rspr. der FG in den letzten Jahren in auffällig hoherAnzahl beschäftigt. Änderungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2AO scheitern grundsätzlich am groben Verschulden desSteuerpflichtigen, da das steuerliche Einlagekonto in derSteuererklärung falsch angegeben und der Feststel-lungsbescheid nicht überprüft wurde. Bei der Frage derBerichtigung nach § 129 AO verneinen die FG eine offen-bare Unrichtigkeit jedenfalls dann, wenn sich aus dereingereichten Steuererklärung die tatsächliche Höhe dessteuerlichen Einlagekontos nicht unzweifelhaft ergab,z. B. weil keine Bilanz mit eingereicht wurde oder weilsich aus der Bilanz zwar die Einstellung einer Kapital-rücklage ergab, nicht aber, ob die Gesellschafter die Ein-lagen tatsächlich geleistet haben (z. B. FG München,Urteil vom 14. 12. 2015 7 K 2772/14, juris). Nur in denFällen, in denen sich die tatsächliche Höhe des steuer-lichen Einlagekontos aus den eingereichten Unterlagenunzweifelhaft ergab, haben einzelne FG eine Berichti-gung nach § 129 AO zugelassen (vgl. FG Münster, Urteilvom 13. 10. 2017 13 K 3113/16 F, EFG 2018, 11).

II. Besonderheit des Streitfalls

Die Besonderheit des der Entscheidung zugrundeliegen-den Falles besteht darin, dass auch hier mit der Steuerer-klärung eine Bilanz eingereicht wurde, aus der sich dieEinstellung einer Kapitalrücklage im Streitjahr ergab.Auch konnte aufgrund der Erläuterungen zu den Bilanz-posten Kapitalrücklage und der sonstigen Vermögensge-genstände des Umlaufvermögens kein Zweifel daranbestehen, dass Einlagen in die Kapitalrücklage auch tat-sächlich geleistet worden sind. Es war damit offenbar,dass der in der Feststellungserklärung zum steuerlichenEinlagekonto angegebene Endbestand von 0 € nichtrichtig sein konnte. Allerdings war die genaue Höheder geleisteten Einzahlung aus den Erläuterungen nichtohne weitere Ermittlungen feststellbar denn in denErläuterungen zur Kapitalrücklage fehlten Angaben zuden in Euro einzubringenden Geldbeträgen, bei den inSchweizer Franken erbrachten Einlagen fehlten Anga-ben zum Umrechnungskurs. Bei den Vermögensgegen-ständen des Umlaufvermögenswaren zwar Zugänge ver-zeichnet. Eine genaue Zuordnung dieser Zugänge zu denEinzahlungen in die Kapitalrücklage war jedoch nicht invollem Umfang möglich. Es stellte sich daher die Frage,ob eine Korrektur des Feststellungsbescheids auf Grund-lage von § 129 AO jedenfalls in Höhe eines Teilbetragsmöglich ist.

III. Die Entscheidung des FG

Das FG hat eine Korrekturmöglichkeit nach § 129 AOinsgesamt verneint. Die Korrekturmöglichkeit in Höheeines Teilbetrags sei deshalb nicht möglich, weil derBearbeiter des FA keine weiteren Ermittlungen des Sach-verhalts vorgenommen hat, obwohl dies nach Lage desFalles geboten gewesen wäre. Bei Verletzung der Sach-aufklärungspflicht des FA ist eine Berichtigung nach§ 129 AO jedoch insgesamt ausgeschlossen.

IV. Hinweis für die Praxis

Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, um dieFrage der Berichtigung nach § 129 AO in den hierbeschriebenen Fällen höchstrichterlich klären zu lassen.Die derzeitige Situation ist unbefriedigend, da der Klage-erfolg – folgt man der Linie der FG-Rspr., wie in Tz. I.dargelegt – von den Zufälligkeiten des Umfangs derBilanzerläuterungen abhängt, ohne dass sich die Fälleansonsten substantiell unterscheiden würden. Denn inallen Fällen, in denen sich aus den eingereichten Unter-lagen Hinweise auf eine mögliche Erhöhung des Einla-genkontos ergeben, wird man ein gewisses Defizit anSachaufklärung durch das FA nicht leugnen können.

Vorsitzender Richter am FG Dr. Joseph Forchhammer

Einkommensteuer

5 Steuerliche Behandlung der Auszahlungaus einem US-amerikanischen Altersvorsor-geplan

FG Köln, Urteil vom 9. 8. 2018 11 K 2738/14 – Rev. einge-legt (Az. des BFH: X R 29/18).

Waren Beitragszahlungen zu einem US-amerikanischenPensionsplan für eine nicht in Deutschland steuerpflich-tige Person nach US-Recht steuerfrei, führen spätere Aus-zahlungen an die inzwischen unbeschränkt steuerpflichtiggewordene Person nur zu einer Besteuerung des Diffe-renzbetrags zwischen dem ausgezahlten Betrag und derSumme der hierfür entrichteten Beträge.

EStG § 3 Nr. 63, § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1, § 22 Nr. 5; DBA-USA Art. 18A.

1–46 Der im Jahr 1971 geborene Kl., der mit seiner Ehe-frau – der Klin. – zusammen zur ESt veranlagt wird, warvon Mitte 2005 bis Mitte 2011 im Auftrag seines deutschenArbeitgebers in den USA tätig. Während dieses Zeitraumsunterhielten die Kl. einen Wohnsitz allein in den USA. DerUS-amerikanische Arbeitgeber ermöglichte dem Kl., aneinem US-amerikanischen Altersvorsorgeplan, dem sog.401(k)-Pension-Plan teilzunehmen, bei dem sowohl derArbeitgeber als auch der Arbeitnehmer Beiträge an eineUS-amerikanische Altersvorsorgeeinrichtung zu leistenhatten. Zum einen finanzierte der Kl. die Beitragszahlun-gen im Wege der Entgeltumwandlung, zum anderen leis-tete der Arbeitgeber für den Kl. Beiträge. Die Beiträge wur-den während der Ansparphase in den USA nicht alsArbeitslohn versteuert. Der Kl. erhielt zwei Auszahlungenaus dem Altersvorsorgeplan, zum einen 2009 (im Rahmender Besprechungsentscheidung nicht von Bedeutung) undzum anderen 2011. Zu dem letztgenannten Zeitpunktwaren die Kl. inzwischen wieder in Deutschland ansässiggeworden.

In ihrer ESt-Erklärung 2011 vertraten die Kl. die Auf-fassung, die dem Kl. zugeflossenen Auszahlungen imJahr 2011 aus dem US-amerikanischen 401(k)-Pension-Planseien als „andere Leistungen“ i. S. des § 22 Nr. 5 Satz 2Buchst. c EStG nur mit dem Unterschiedsbetrag zwischender Leistung und der Summe der auf sie entrichteten Bei-träge zu versteuern, da die in der Ansparphase geleistetenBeiträge nicht nach den in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG genanntenBestimmungen gefördert worden seien. Hiervon ausge-hend errechneten sie einen negativen Ertrag, den der Kl.in der Anlage R bei seinen sonstigen Einkünften geltendmachte.

Dem folgte der Bekl. mit dem ESt-Bescheid 2011 nicht. Dadie Einzahlungen in den 401(k)-Pension-Plan nach dem1. 1. 2008 erbracht worden seien, seien die Einzahlungenals i. S. des § 3 Nr. 63 EStG begünstigt zu behandeln. DieVersteuerung der Auszahlungsbeträge richte sich dahernach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG mit der Folge, dass der Abzugvorheriger Einzahlungen gem. § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. cEStG nicht möglich sei.

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

Die Klage ist begründet, ...

47 Die Klage ist begründet.

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14 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 5

... denn der Bekl. hat die Auszahlung aus dem US-ameri-kanischen Pensionsplan unzutreffend vollumfänglich derBesteuerung unterworfen

48 I. Der angefochtene ESt-Bescheid vom 9. 8. 2013 inGestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom21. 8. 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Kl. in ihrenRechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Bekl. hat die demKl. im Streitjahr zugeflossene Auszahlung aus dem US-amerikanischen 401(k)-Pension-Plan zu Unrecht gem. § 22Nr. 5 Satz 1 EStG als sonstige Einkünfte vollumfänglich indie einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage einbezo-gen. Entgegen der Auffassung des Bekl. unterliegt diestreitbefangene Auszahlung nach Maßgabe des § 22 Nr. 5Satz 2 Buchst. b i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStGlediglich in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen derLeistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträgeder inländischen Besteuerung.

Zu den sonstigen Einkünften aus Altersvorsorgeplänen,Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherun-gen, ...

49 1. Nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG gehören zu den sonsti-gen Einkünften auch Leistungen aus Altersvorsorgeplänen,Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen.Dabei erstreckt sich der Begriff „Leistungen“ auch auf(Teil-)Kapitalauszahlungen und umfasst wirtschaftlich dieim Auszahlungsbetrag verkörperten früheren Beitragsleis-tungen, Zulagen und erwirtschafteten Erträge (BFH-Urteilvom 26. 11. 2014 VIII R 38/10, BFHE 249, 22, BStBl II 2016,657, m. w. N.). Ihrem insoweit offenenWortlaut zufolge ent-hält die Regelung keine Beschränkungen auf Auszahlun-gen aus inländischen Plänen und Einrichtungen der o. g.Art; allerdings muss die ausländische Pensionskasse odersonstige Einrichtung nach ihrer Struktur und den von ihrim Versorgungsfall zu erbringenden Leistungen aufgrundeiner rechtsvergleichenden Qualifizierung mit der Ab-sicherung über eine inländische Einrichtung vergleichbarsein (BFH-Urteil vom 26. 11. 2014 VIII R 38/10, BFHE 249,22, BStBl II 2016, 657; Weber-Grellet in Schmidt, EStG,37. Aufl., § 22 Rz. 170, jeweils m. w. N.).

... die nur einer Differenzbesteuerung unterworfenwerden, ...

50 Soweit die Leistungen nicht auf Beiträgen, auf die § 3Nr. 63, § 10a oder Abschn. XI EStG, nicht auf Zulagen i. S.des Abschn. XI EStG, nicht auf Zahlungen i. S. des § 92aAbs. 2 Satz 4 Nr. 1 und des § 92a Abs. 3 Satz 9 Nr. 2 EStG,nicht auf steuerfreien Leistungen nach § 3 Nr. 66 EStGund nicht auf Ansprüchen beruhen, die durch steuerfreieZuwendungen nach § 3 Nr. 56 EStG oder die durch dienach § 3 Nr. 55b Satz 1 EStG steuerfreie Leistung aus einemim Versorgungsausgleich begründeten Anrecht erworbenwurden, ist bei Leistungen aus Versicherungsverträgen,Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen,die nicht in Form einer Rente (§ 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. aEStG), sondern als (Teil-)Kapitalauszahlung gewährt wer-den, in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6Satz 1 EStG der Unterschiedsbetrag zwischen dieser Leis-tung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge(Erträge) zu besteuern (§ 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b EStG).Im Ergebnis dasselbe – Besteuerung nur der Differenz zwi-schen Leistung und Summe der Beiträge – gilt für die in§ 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG als „andere Leistungen“bezeichneten sonstigen Fälle wie etwa (Teil-)Auszahlun-gen aus Altersvorsorgeverträgen (ohne Versicherungsver-trag) in der Form eines zertifizierten Bank- oder Fondsspar-plans. Wird die Leistung nach Vollendung des 60. Lebens-jahres des Steuerpflichtigen und nach Ablauf von zwölfJahren nach dem Vertragsabschluss ausgezahlt, ist dieHälfte des Unterschiedsbetrags anzusetzen (§ 22 Nr. 5Satz 2 Buchst. b und c i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2EStG). Der Umfang der (nachgelagerten) Besteuerung derLeistungen in der Auszahlungsphase richtet sich somit

danach, ob, inwieweit und in welcher Weise die Beiträgein der Ansparphase steuerfrei gestellt bzw. steuerlich ge-fördert worden sind (Weber-Grellet in Schmidt, EStG,37. Aufl., § 22 Rz. 170, m. w. N.).

... gehören die Kapitalauszahlungen aus dem US-amerika-nischen Pensionsplan

51 2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die dem Kl.im Streitjahr aus dem 401(k)-Pension-Plan zugeflossene(Teil-) Kapitalauszahlung nach Maßgabe des § 22 Nr. 5Satz 2 Buchst. b oder c EStG lediglich in Höhe der Differenzzwischen dem Auszahlungsbetrag und der Summe der hie-rauf – im Wege der Entgeltumwandlung sowie zusätzlicherArbeitgebereinzahlungen – geleisteten Beiträge im Rah-men seiner sonstigen Einkünfte zu erfassen.

Unstreitig stellt die Auszahlung eine Leistung dar

52 a) Bei der am 29. 12. 2011 vereinnahmten (Teil-)Aus-zahlung aus dem 401(k)-Pension-Plan handelt es sichunstreitig um eine „Leistung“ im Sinne der vorgenanntenBestimmung. Dass der 401(k)-Pension-Plan als Instrumentder betrieblichen Altersvorsorge nicht in Deutschland, son-dern in den USA aufgelegt worden ist, steht der Anwen-dung des § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b EStG nicht entgegen.Denn die – unstreitig – bestehende strukturelle Vergleich-barkeit des US-amerikanischen 401(k)-Pension-Plans mitden ähnliche Zielesetzungen verfolgenden Plänen im Sinnedes BetrAVG ergibt sich bereits aus Nr. 16 Buchst. aDoppelbuchst. aa und Buchst. b Doppelbuchst. aa desProtokolls zu Art. 18A Abs. 4 DBA-USA. Darin erkennenDeutschland und die USA wechselseitig die unter Nr. 16Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb des Protokolls zuArt. 18A Abs. 4 DBA-USA im Einzelnen aufgeführtenAltersvorsorgepläne als mit ihren eigenen Plänen ver-gleichbare Maßnahmen der betrieblichen Altersvorsorgean. Hierzu gehören auch die sog. 401(k)-Pläne als Unterfalldes unter Nr. 16 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Protokollszu Art. 18A Abs. 4 DBA-USA ausdrücklich genannten401(a) International Revenue Code (IRC), der sich dadurchauszeichnet, dass Gehaltsbestandteile für Einzahlungen inden Plan genutzt werden (vgl. z. B. Eimermann in Wasser-meyer, Doppelbesteuerung, Art. 18A DBA-USA Rz. 30).

Leistung beruht nicht auf geförderten oder steuerfreienBeiträgen

53 b) Diese „Leistung“ i. S. des § 22 Nr. 5 EStG beruhtentgegen der Auffassung des Bekl. weder auf Beiträgen,die nach einer der in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG abschließendaufgezählten Vorschriften des (nationalen) ESt-Rechts ge-fördert oder steuerfrei gestellt worden sind, noch auf denin dieser Vorschrift explizit genannten Zulagen oderAnsprüchen, die durch bestimmte – ebenfalls im Einzelnenbezeichnete – steuerfreie Zuwendungen begründet wordensind. Insbesondere ist die in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG u. a.aufgeführte (sachliche) Steuerbefreiungsvorschrift des § 3Nr. 63 EStG im Streitfall weder unmittelbar noch – wie derBekl. es formuliert – „im Wege einer Rechtsfiktion“ aufdie während der Ansparphase geleisteten Beiträge in den401(k)-Plan „angewandt“ worden.

Zwar sind die Beiträge nicht nach US-amerikanischemRecht besteuert worden, ...

54 aa) Zwar sind die während der Ansparphase – teilweisedurch Entgeltumwandlung und teilweise durch unmittel-bare Einzahlungen des Arbeitgebers von dem Kl. bzw. fürden Kl. erbrachten – Beiträge in den 401(k)-Pension-Planunstreitig nicht nach US-amerikanischem Recht besteuertworden. Die USA haben insoweit von dem ihnen bilateralzugewiesenen Besteuerungsrecht ungeachtet der hier nichtentscheidungserheblichen Frage, ob dieser Zuweisung alsRechtsgrundlage Art. 15, Art. 18 oder Art. 21 DBA-USAzugrunde liegt, keinen Gebrauch gemacht.

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EFG 2019 Nr. 1 15Entscheidung Nr. 5

... hierdurch liegt aber keine Förderung oder Befreiungi. S. des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG vor

55 bb) Die dadurch im Ergebnis unstreitig bewirkteSteuerfreistellung/Nichterfassung der Beiträge in bzw. fürden Pensionsplan des Kl. ist aber entgegen der Auffassungdes Bekl. keine steuerliche Förderung oder Befreiung i. S.des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG. Insbesondere ist auf diese Bei-träge in der Ansparphase weder die Steuerbefreiung des§ 3 Nr. 63 EStG noch eine andere der in § 22 Nr. 5 Satz 2EStG enumerativ aufgeführten Begünstigungsvorschriften„angewandt“ worden.

Während der Ansparphase bestand keine Steuerpflichtim Inland

56 (1) Eine „Anwendung“ der in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStGgenannten Befreiungstatbestände scheidet im Streitfallschon deswegen aus, weil der Kl. in dem für die Anwen-dung dieser Normen maßgeblichen Zeitraum, d. h. wäh-rend der Ansparphase, im Geltungsbereich des EStG(Inland) weder unbeschränkt (§ 1 Abs. 1 bis 3 EStG) nochbeschränkt (§ 1 Abs. 4 EStG) einkommensteuerpflichtigwar. Wegen des Charakters der ESt als Personensteuersteht vor der Prüfung der sachlichen Steuerpflicht unddamit auch unabhängig von der Frage, ob etwaige sach-liche Befreiungsvorschriften eingreifen, die Feststellungder persönlichen Steuerpflicht, d. h. der Klärung der Frage,ob eine Person (mit allen oder ggf. auch nur mit einem Teilihrer Einkünfte) der deutschen ESt unterliegt (zum Vorrangder subjektiven Steuerpflicht vgl. z. B. Heinicke in Schmidt,EStG, 37. Aufl., § 1 Rz. 1). Diese Frage ist vorliegend ein-deutig zu verneinen, da die Kl. während der Ansparphase,hier namentlich in den Jahren 2006 bis 2011, im Inland(Deutschland) weder einen Wohnsitz i. S. des § 8 AO nochihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) hatten (§ 1 Abs. 1EStG) und auch die Voraussetzungen für eine erweiterteunbeschränkte oder eine beschränkte Steuerpflicht des Kl.nach § 1 Abs. 2 bis 4 EStG unstreitig nicht erfüllt sind.

Eine Steuerpflicht während der Auszahlungsphasegenügt nicht

57 (2) Soweit der Vertreter des Bekl. in der m.V. vom4. 7. 2018 die Auffassung geäußert hat, für die Anwendbar-keit der in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG normierten (sachlichen)Steuerbefreiungen, hier des § 3 Nr. 63 EStG, reiche es aus,dass der Kl. in dem für den Steuerzugriff durch den deut-schen Fiskus maßgeblichen Zeitpunkt der Auszahlung undmithin im Streitjahr im Inland (subjektiv) einkommen-steuerpflichtig war, vermag der erkennende Senat dieserAnsicht nicht zu folgen.

Maßgebend ist die Begünstigung oder Befreiung in derAnsparphase

58 Die Vorschrift des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG macht dieBeschränkung des Steuerzugriffs in der Auszahlungsphaseerkennbar davon abhängig, dass die in dieser Phase verein-nahmten Leistungen auf Beiträgen beruhen, die in derAnsparphase nicht nach § 3 Nr. 63 EStG oder einer anderendort genannten Bestimmung steuerbefreit oder -begünstigtgewesen sind. Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die An-wendung der in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG aufgeführten sach-lichen Befreiungs- und Fördertatbestände können daher– der Systemlogik des Gesetzes folgend – nur die Verhält-nisse im Zeitpunkt der Beitragsleistung (Ansparphase) sein;denn nur während dieses Zeitraums wird der Sachverhaltverwirklicht, an dessen Vorliegen das Gesetz die in ihmbeschriebene Rechtsfolge (hier die sachliche Steuerbefrei-ung der Beitragszahlungen) knüpft (§ 38 AO).

59 Eine andere Beurteilung lässt sich auch nicht aus dervom Vertreter des Bekl. herangezogenen Vorschrift des § 2Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 LStDV herleiten. Danach gehörenBezüge, die ganz oder teilweise auf früheren Beitragsleis-tungen des Bezugsberechtigten oder seines Rechtsvorgän-

gers beruhen, nicht zum Arbeitslohn, es sei denn, dass dieBeitragsleistungen WK gewesen sind. Gegenstand der in§ 2 LStDV getroffenen Regelung ist die Bestimmung undDefinition des Arbeitslohns und seine (Negativ-)Abgren-zung von anderen Leistungszuflüssen. Die Vorschrift dientihrer Zielsetzung nach der Qualifizierung und Zuordnungvon Einnahmen zu der jeweils einschlägigen Einkunftsart.Für die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Falls ergibtsich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG lediglich die zwischenden Beteiligten insoweit ohnehin unstreitige Rechtsfolge,dass die Auszahlung aus dem 401(k)-Pension-Plan keinenden Einkünften des Kl. aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19EStG) unterfallenden Arbeitslohn, sondern einen in § 22EStG geregelten Fall der sonstigen Einkünfte darstellt. Fürdie Beantwortung der hier allein entscheidenden Fragenach dem zeitlichenAnknüpfungszeitpunkt für die Anwen-dung des § 3 Nr. 63 EStG (und damit zugleich für das Vor-liegen der subjektiven ESt-Pflicht), lässt der Umstand, dass§ 2 Abs. 2 Nr. 2 LStDV für die Qualifizierung der Bezügeauf die ihnen zugrunde liegenden „früheren“ Beitragsleis-tungen abstellt, jedenfalls keinerlei zielführende Rück-schlüsse zu.

60 Ist der Kl. indes aus den vorab genannten Gründenbereits kein Steuersubjekt i. S. des deutschen EStG, kön-nen – systemlogisch – die in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG in Bezuggenommenen sachlichen Befreiungs- und Förderungstat-bestände, die ausnahmslos ihrerseits Regelungen des natio-nalen Steuerrechts sind, im Streitfall keine (unmittelbare)Anwendung finden.

Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem Abkommens-recht

61 c) Die abweichende Auffassung des Bekl. lässt sichentgegen seiner Argumentation auch nicht aus Art. 18ADBA-USA vom 29. 8. 1989 i. V. m. dem Protokoll zu dessenÄnderung vom 1. 6. 2006 herleiten. Aus diesen Bestimmun-gen ergibt sich weder unmittelbar, dass auf die Beiträge inden 401(k)-Plan die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 63EStG „angewandt“ worden ist, noch erwächst aus dengenannten DBA-Regelungen die Befugnis oder gar dasErfordernis, die Tatbestandsmerkmale der inländischenNorm (hier des § 22 Nr. 5 Satz 2 i. V. m. § 3 Nr. 63 EStG)durch einen im Ausland oder nach ausländischem Rechtverwirklichten Sachverhalt zu „substituieren“.

Art. 18A Abs. 2 DBA-USA verlangt ein Auseinanderfal-len von Tätigkeitsstaat und Staat des Vorsorgeplans

62 aa) Art. 18A Abs. 1 DBA-USA setzt tatbestandlichvoraus, dass eine in einem Vertragsstaat ansässige natür-liche Person Teilnehmer oder Begünstigter eines im ande-ren Vertragsstaat errichteten Vorsorgeplans ist, und be-stimmt für diesen Fall, dass die Besteuerung der Teilneh-mer an dem Altersvorsorgeplan erst und nur beim Zuflusserfolgen soll (Regelung über die Zurechnung der Beiträgeund des Besteuerungszeitpunkts). Art. 18A Abs. 2 und 3DBA-USA regeln für den Tätigkeitsstaat die steuerlicheBehandlung sowohl der Beiträge zu den – im anderen Staatbestehenden – Altersvorsorgeplänen als auch die Behand-lung der anwachsenden Ansprüche. Abs. 2 der Vorschrifterfordert dabei, dass der betreffende Arbeitnehmer aneinem in einem Vertragsstaat errichteten Altersvorsorge-plan teilnimmt (oder Begünstigter hiervon ist) und in demanderen Vertragsstaat eine selbständige oder unselbstän-dige Tätigkeit ausübt; darüber hinaus muss er in einemder Vertragsstaaten ansässig sein (Eimermann in Wasser-meyer, Doppelbesteuerung, Art. 18ADBA-USARz. 15). DerTätigkeitsstaat und der Vertragsstaat, in dem der Vorsorge-plan aufgelegt worden ist, dürfen danach nicht identischsein. Außerdem beschränkt Art. 18A DBA-USA in Abs. 3den Geltungsbereich seines Abs. 2 in subjektiver Hinsichtauf solche Beiträge, die von der betreffenden natürlichenPerson oder für sie oder von ihrem oder für ihren Arbeitge-ber vor Aufnahme einer unselbständigen oder selbständi-

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16 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 5

gen Arbeit im anderen Staat gezahlt worden sind. Dabeigenügt es nicht, dass der Altersvorsorgeplan zu demgenannten Zeitpunkt besteht, es müssen vielmehr vorBeginn der Tätigkeit tatsächlich schon Beitragsleistungenin diesen Altersvorsorgeplan erbracht worden sein (Eimer-mann in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 18A DBA-USA Rz. 27).

Im vorliegenden Fall sind beide Staaten identisch

63 bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nichterfüllt. Der Kl. hat während der Zeit seiner Ansässigkeit inden USA dort eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt undhat zugleich an einem dort aufgelegten Altersvorsorgeplanteilgenommen. Der Staat, in dem er seiner unselbständigenTätigkeit nachgegangen ist (USA), und der Staat, in demder Vorsorgeplan errichtet wurde (USA), fallen somitzusammen. Dieser Sachverhalt wird vom Regelungsbereichdes Art. 18A DBA-USA erkennbar nicht erfasst. Hinzukommt, dass die Beitragsentrichtungen in den 401(k)-Plandurch bzw. für den Kl. erst mit bzw. nach Aufnahme seinerTätigkeit in den USA und nicht bereits vor diesem nachArt. 18A Abs. 3 DBA-USA maßgeblichen Zeitpunkt began-nen.

Zu einer vollumfänglichen nachgelagerten Besteue-rung ...

64 cc) Die vom Bekl. angenommene Rechtsfolge (einervollumfänglichen Besteuerung der Auszahlung) ergibt sichschließlich auch weder unmittelbar aus den von ihm zitier-ten Bestimmungen des Änderungsprotokolls zum DBA-USA vom 1. 6. 2006 noch enthalten diese Vorschriften einenüber ihren Geltungsbereich hinausgehenden – auch Sach-verhalte der vorliegenden Art einschließenden – allgemei-nen Rechtsgedanken.

... führt weder das Änderungsprotokoll des DBA-USAvom 1. 6. 2006 ...

65 (1) Dies ergibt sich rein rechtssystematisch bereits ausder vorab dargelegten Erkenntnis, dass Art. 18A DBA-USAdie vorliegend streitbefangene Konstellation nicht erfasst.Ist indes die Vorschrift als solche, deren RegelungenGegenstand des Änderungsprotokolls vom 1. 6. 2006 sind,in Fällen der vorliegenden Art nicht einschlägig, kann fürdas hierzu ergangene Änderungsprotokoll nichts anderesgelten. Darüber hinaus lässt auch der eindeutige Wortlautder vom Bekl. herangezogenen Nr. 16 Buchst. b des Proto-kolls zu Art. 18A Abs. 4 DBA-USA keinen Zweifel daranerkennen, dass die durch das Protokoll bewirkten Änderun-gen (nur) „für Zwecke des Artikels 18A Absatz 3 Buchst. bund Absatz 5 Buchst. d“ gelten. Zum einen sind diese Vor-schriften jedoch aus den vorab genannten Gründen imStreitfall nicht anwendbar. Zum anderen ist es weder zuläs-sig noch geboten, die Vorschriften des Änderungsproto-kolls über ihren klar und eindeutig abgesteckten Rege-lungsbereich hinaus auf andere – nicht ausdrücklich aufge-führte – Sachverhalte zu übertragen.

... noch ein Erfordernis der „Substitution“ bzw. „Einord-nung“

66 (2) Insbesondere vermögen den Senat die Ausführun-gen des Bekl. zum Erfordernis der „Substitution“ bzw.„Einordnung“ nicht zu überzeugen.

Der Gedanke der FinVerw. führt zu einer unzulässigenRechtsfortbildung

67 (a) Der Bekl. prüft und bejaht in diesem Zusammen-hang die von ihm aufgeworfene Frage, ob „die ausländi-sche Rechtstatsache“, dass die während der Ansparphasein denUSA geleisteten Beiträge in den 401(k)-Pension-Plannach US-amerikanischem Recht steuerfrei gestellt wordensind, mit der „inländischen Rechtstatsache“ – der nachnationalem Recht in § 3 Nr. 63 EStG geregelten Steuerbe-

freiung – funktional vergleichbar ist. Gegenübergestelltund miteinander verglichen wird danach im Kern nichtlediglich der tatsächlich (im Ausland) verwirklichte Tatbe-stand mit einem (im inländischen Recht – EStG) geregeltenfiktiven Sachverhalt; vielmehr bezieht der Bekl. über diereine Tatbestands- bzw. Sachverhaltsebene hinaus auchRechtsfolgen – nämlich die Steuerfreiheit der Beitrags-zahlungen in der Ansparphase – in seine vergleichendeBetrachtung ein. Ob eine derart weitreichende „Substitu-tion“ überhaupt methodisch und rechtssystematisch zuläs-sig ist, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls im hier zuentscheidenden Fall käme die vom Bekl. befürwortete„Substitution“ bzw. „Einordnung“ in ihrer Wirkung einerunzulässigen Rechtsfortbildung gleich.

68 (b) Eine Auslegung, die über den möglichen Wortsinndes Gesetzes hinausgeht, wird als Rechtsfortbildung be-zeichnet (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft,3. Aufl., 342). Rechtsfortbildung bedeutet die Ausfüllungvon Gesetzeslücken. Diese liegen vor, wenn ein Gesetzkeine Regelung für einen bestimmten Sachverhalt enthält,der jedoch nach dem Gedanken des Gesetzes hätte gere-gelt werden müssen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 24. 1. 1974IVR76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295). KeineGesetzeslücke ist demgegenüber anzunehmen, wennder Gesetzgeber diesen Sachverhalt bewusst nicht in diegesetzliche Regelung einbeziehen wollte bzw. einbezogenhat (BFH-Urteil vom 30. 11. 2004 VIII R 61/04, BFH/NV2005, 695). In solchen Fällen ist eine Lückenschließung imWege der Rechtsfortbildung nicht möglich, weil das Gerichtsich andernfalls an die Stelle des Gesetzgebers setzenwürde (BFH-Urteile vom 26. 6. 1986 IVR151/84, BFHE 147,152, BStBl II 1986, 741; vom 16. 12. 1987 I R350/83, BFHE152, 401, BStBl II 1988, 600; Gersch in Klein, AO, 13. Aufl.,§ 4 Rz. 36). Für den Bereich des Steuerrechts gilt allgemein,dass eine Rechtsfortbildung nur insoweit zulässig ist, alshierdurch keine neuen Steuertatbestände geschaffen wer-den (vgl. statt aller Gersch in Klein, AO, 13. Aufl., § 4 Rz. 36a. E., m. w. N.).

Nach dem Gedanken des Gesetzes musste der Streitfallnicht geregelt werden, ...

69 Der Gesetzgeber hat die hier zu beurteilende Sachver-haltskonstellation eines von seinem Arbeitgeber vorüber-gehend ins Ausland entsandten Arbeitnehmers, der (bzw.für den) während der Dauer seiner Entsendung – nach aus-ländischem (hier US-amerikanischem) Recht steuerfreie –Beiträge in einen dort aufgelegten Altersvorsorgeplangeleistet worden sind und der im Zeitpunkt der Auszahlung(wieder) der inländischen Einkommensbesteuerung unter-liegt, weder im nationalen Recht, namentlich in § 22 Nr. 5EStG, geregelt noch ist dieser Fall – wie bereits dargelegt –in den Vorschriften des DBA-USA erfasst. Dieser Befundberechtigt oder verpflichtet den erkennenden Senat indesnicht ohne weiteres dazu, die als Folge der Nichtregelungeingetretene doppelte Begünstigung des Kl., die darinbesteht, dass weder die von ihm bzw. für ihn geleistetenBeiträge während der Ansparphase in den USA als Arbeits-lohn versteuert worden sind noch die darauf beruhendeAuszahlung im Streitjahr vollumfänglich als sonstige Ein-nahme erfasst wird, durch eigenmächtige Schließung die-ser „Besteuerungslücke“ zu beseitigen. Denn die hier-für erforderliche Voraussetzung, dass der streitbefangeneSachverhalt „nach dem Gedanken des Gesetzes“ hättegeregelt werden müssen, ist vorliegend nicht erfüllt.

... de lege lata nimmt das Gesetz Durchbrechungen desPrinzips der Einmalbesteuerung hin

70 Zwar mag es aus globaler Sicht durchaus wünschens-wert und systemkonsequent sein, das Prinzip der nachgela-gerten Besteuerung der Alterseinkünfte nicht nur national,sondern darüber hinaus auch länderübergreifend mit demZiel umzusetzen, dass ein genau einmaliger Steuerzugriffund damit im Ergebnis die intertemporale Korrespondenz

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EFG 2019 Nr. 1 17Entscheidung Nr. 5

gewährleistet ist (vgl. zum Prinzip der Einmalbesteue-rung bei Inlandssachverhalten BFH-Urteil vom 20. 9. 2016XR23/15, BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347; zu Störungenund Durchbrechungen des intertemporalen Korrespon-denzprinzips in Fällen internationaler Mitarbeiterentsen-dungen vgl. sehr ausführlich Brähler/Lösel, StuW 2008, 73;Scheffler/Kölbl, IStR 2007, 113; Decker/Looser, IStR 2009,652; Portner, BB 2014, 1175, jeweils m. w. N.). Insoweit teiltder Senat ferner die Einschätzung des Bekl., dass die Staa-ten angesichts der fortschreitenden Globalisierung nichtnur europaweit durch die Regelungen des Unionsrechts,sondern auch weltweit durch Abschluss bilateraler Verein-barungen (DBA) verstärkt darauf hinwirken, die unter-schiedlichen nationalen Steuersysteme weitestgehend zuharmonisieren, um Doppelbesteuerungseffekte wie auchBesteuerungslücken möglichst zu vermeiden. Nach allge-meiner Erkenntnis sind diese Bemühungen jedoch im gel-tenden Recht bisher nicht oder nur unvollkommen umge-setzt (vgl. z. B. Brähler/Lösel, StuW 2008, 73; Decker/Looser, IStR 2009, 652, 653 und 656; Scheffler/Kölbl, IStR2007, 113, 118). So beklagen etwa Brähler/Lösel (StuW2008, 73), dass die geltende nationale Regelung in § 22Nr. 5 EStG „im Einzelfall zu Verstößen gegen das grundle-gende Prinzip der Einmalbesteuerung des Lebenseinkom-mens führen“ könne, „wenn die nationalen Regelungeneine Besteuerung in der Leistungsphase vorsehen, die Bei-träge aber bereits im Ausland besteuert wurden oder eineFreistellung in der Leistungsphase geregelt ist, obwohl dieBeiträge im Ausland bereits steuerfrei waren“ (StuW 2008,73, 75). Die durch die Regelungstechnik des § 22 Nr. 5 EStGbewirkte „doppelte steuerliche Freistellung“ auf Arbeit-nehmerebene sei – so Brähler/Lösel weiter – „aus steuer-systematischer Sicht abzulehnen“, weil sie „bei einer Ent-scheidung für oder gegen eine Auslandsentsendung nichtneutral“ wirke und diese Inkonsistenzen darüber hinausauch Verzerrungen innerhalb der Durchführungswege inder betrieblichen Altersversorgung nach sich zögen (StuW2008, 73, 80). Ausgehend von ihrer kritischen Analyse dergegenwärtigen Rechtslage gelangen Brähler/Lösel zwarzusammenfassend zu dem Resümee, dass „der deutscheStaat eine intertemporale international-kohärente Besteue-rung anstreben sollte“ (StuW 2008, 73, 80), stellen abergleichzeitig unmissverständlich fest, dass „in Deutsch-land ... bislang ein steuerlicher Anknüpfungspunkt für dieaus diesen nach DBA im Heimatstaat und im Zielstaatgleichzeitig freigestellten Beiträgen resultierenden Versor-gungsleistungen ... fehlt“ (StuW 2008, 73, 81).

71 Allein das (in Teilen des Schrifttums verbreitete)Bestreben, de lege ferenda einen im vorbeschriebenenSinne global systemkonsistenten Rechtszustand herbeizu-führen, berechtigt den Senat jedoch nicht, etwaigen – alleinder Legislative vorbehaltenen – Gesetzesänderungendurch Rechtsfortbildung im Einzelfall vorzugreifen. Dennfür die – eine Rechtsfortbildung allein legitimierende – An-nahme, dass der streitgegenständliche Sachverhalt „nachdem Gedanken des Gesetzes“ (hier des § 22 Nr. 5 EStG)hätte mitgeregelt werden müssen, finden sich weder imWortlaut des Gesetzes noch in seiner Entstehungsge-schichte oder Begründung entsprechende Anhaltspunkte.

Der Wortlaut des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG bezieht sichallein auf inländische Befreiungs- und Fördertatbestände

72 Die sprachliche Fassung des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG,namentlich die Aufzählung einzelner konkret in Bezuggenommener Vorschriften des nationalen Rechts, deutetvielmehr darauf hin, dass nach der Vorstellung des deut-schen Gesetzgebers nur die Verwirklichung bestimmter(inländischer) Befreiungs- und Fördertatbestände währendder Ansparphase eine vollumfängliche nachgelagerte Be-steuerung des Auszahlungsbetrags zur Folge haben sollte.Hätte der „Plan“ des nationalen Gesetzgebers nämlichdarin bestanden, dem Prinzip der nachgelagerten Besteue-rung auch grenzüberschreitend Geltung zu verschaffen,

hätte es nahe gelegen, entweder unter Verzicht auf einedetaillierte Auflistung einzelner Befreiungs- und Fördertat-bestände allgemein darauf abzustellen, dass – wo und inwelcher Form auch immer – die Beiträge in der Ansparhasesteuerbegünstigt geblieben sind, oder den Gesetzeswort-laut des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG um eine – vergleichbareausländische Befreiungsvorschriften einschließende – Öff-nungsklausel zu erweitern.

Der deutsche Gesetzgeber musste den Fall auch nichtregeln, ...

73 Aus fiskalischer Sicht bestand für den nationalenGesetzgeber auch keine Veranlassung, den Umstand, dassBeiträge in einen ausländischen Altersvorsorgeplan imAusland und/oder nach ausländischem Recht steuerfreigestellt worden sind, bei der Ausgestaltung der (nachgela-gerten) Besteuerung der auf diesen Beiträgen beruhendenAuszahlungen im Inland – steuererhöhend – zu berücksich-tigen.

... weil durch das alleinige Besteuerungsrecht der USA inder Ansparphase das deutsche Steueraufkommen nichtgemindert wird

74 Da das Besteuerungsrecht während der Ansparphaseohnehin nicht Deutschland, sondern den USA zugewiesenist, hat deren Zugriffsverzicht keinerlei Minderung des in-ländischen Steueraufkommens zur Folge. Für den deut-schen Fiskus besteht daher – bei rein nationaler Be-trachtung – kein Bedürfnis, einen etwaigen Steuerausfall(zulasten der USA) in der Beitragsphase durch spätereNachholung des inländischen Steuerzugriffs in der Auszah-lungsphase zu kompensieren. Vor dem Hintergrund derErkenntnis, dass das Nebeneinander von nachgelagerterBesteuerung und Zuweisung des ausschließlichen Besteue-rungsrechts für Versorgungszahlungen zum Wohnsitzstaatim Ergebnis zu einer Verschiebung des Steueraufkommensführt (vgl. Scheffler/Köbl, IStR 2007, 113, 119, m. w. N.),kann daher nicht ohne weiteres angenommenwerden, dasses im nationalen Recht einen „Gedanken des Gesetzes“(hier: in § 22 Nr. 5 EStG) oder einen „Plan“ des Gesetzge-bers gibt, der auch etwaige Folgewirkungen der Besteue-rung in anderen Staaten einschließt.

Die Materialien zum Alterseinkünftegesetz rechtfertigenkeine Rechtsfortbildung

75 Eine im Wege der Rechtsfortbildung, durch Analogie-schluss oder – wie der Bekl. meint – durch „Substitution“zu überbrückende Gesetzeslücke ergibt sich auch nichtaus den Gesetzesmaterialien zum Alterseinkünftegesetz(vgl. Gesetzentwurf und Begründung vom 9. 12. 2003,BT-Drs. 15/2150; Gesetzentwurf der Bundesregierungvom 26. 2. 2004 und Bericht des Finanzausschusses vom29. 4. 2004, BT-Drs. 15/3004). Aus den zitierten Unterlagengeht vielmehr hervor, dass die Besteuerung von Altersein-künften bei ausländischemWohnsitz des Leistungsempfän-gers im Zuge der Beratungen im Bundestag und Bundesratgrundsätzlich thematisiert wurde, die damit einhergehen-den Probleme also von den Beteiligten gesehen wordensind. So haben die Beratungsteilnehmer durchaus erkannt,dass „der Systemwechsel der Alterseinkünftebesteuerungdazu führen kann, dass im Falle des Wegfalls der unbe-schränkten Steuerpflicht Altersbezüge nicht mehr nachge-lagert besteuert werden können“ (Stellungnahme desBundesrats, Anlage 2 zu BT-Drs. 15/2563, 9, unter Tz. 8).Beispielhaft genannt hat der Bundesrat in diesem Zusam-menhang den Fall, dass ein Rentner seinen Wohnsitz insAusland verlegt und das DBA dem Wohnsitzstaat dasBesteuerungsrecht zuweist. Problematisiert wird auch diesich daraus ergebende Folge, dass in diesen Fällen dieAltersvorsorgeaufwendungen die steuerliche Bemessungs-grundlage gemindert und zu einem niedrigeren Steuerauf-kommen in Deutschland geführt haben, die Steuern ausden später zufließenden Altersbezügen jedoch dem – aus-

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18 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 5

ländischen – Wohnsitzstaat zustehen. Zusammenfassendstellt der Bundesrat fest, dass in der Ruhestandsphase des-halb eine „systembedingte Besteuerungslücke“ entstehe,weil das Besteuerungsrecht in Deutschlandmangels Ansäs-sigkeit verloren gehe. Ausgehend von dieser Erkenntnishat der Bundesrat die Bundesregierung daher gebeten, „imweiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, welche wir-kungsvollen Möglichkeiten bestehen, bei Wegzug einesRentners ins Ausland die inländische Besteuerung vonAltersbezügen zu sichern oder die erlangten Steuervorteilezurückzufordern, insbesondere wenn das DBA dem Wohn-sitzstaat das Besteuerungsrecht für Altersbezüge zuweist“(Bericht des Finanzausschusses vom 29. 4. 2004, BT-Drs.15/3004, 6).

76 Aus dem vorab dargelegten Umstand, dass in denGesetzesmaterialien explizit bestimmte Auslandskonstella-tionen, nämlich solche, die typischerweise zu einer Minde-rung des inländischen Steueraufkommens führen, ange-sprochen sind, kann indes nicht geschlossen werden, dassdie – nicht genannte – streitgegenständliche KonstellationvomGesetzgeber nicht gesehen und andernfalls in der vomBekl. befürworteten Art undWeise steuerlich geregelt wor-den wäre (vgl. zur Argumentation aus den Gesetzesmateri-alien auch FG Köln, Urteil vom 29. 3. 2012 6K1101/08, EFG2012, 1675). Eine derartige Schlussfolgerung berücksich-tigt nicht hinreichend die in den jeweiligen Sachverhalts-varianten unterschiedlichen Interessenlagen. Währendnämlich die in den Gesetzesmaterialien beispielhaft aufge-führte Konstellation des nach der Erwerbsphase ins Aus-land ziehenden Rentners den deutschen Fiskus benachtei-ligt, weil sein (!) Verzicht auf den Steuerzugriff in derAnsparphase später in der Leistungsphase nicht – auchnicht teilweise – kompensiert wird, wird das nationale Steu-eraufkommen in Fällen der hier vorliegenden Art nicht ingleicher Weise geschmälert. „Geschädigt“ ist im streitge-genständlichen Sachverhalt vielmehr in erster Linie derUS-amerikanische Fiskus, der trotz Freistellung der Bei-träge während der Ansparphase in der Leistungsphase– wegen des nunmehr auf Deutschland übergegangenenBesteuerungsrechts – nicht auf die Auszahlung zugreifenkann und damit im Ergebnis „leer ausgeht“.

Besteuert werden darf im vorliegenden Fall allein derUnterschiedsbetrag zwischen der Auszahlung und derBeitragsleistung

77–81 ... 3. Da der Bekl. die streitige (Teil-)Kapitalauszah-lung aus dem 401(k)-Pension-Plan nach alledem zuUnrecht gem. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfangnachgelagert besteuert hat, ist die angefochtene Steuer-festsetzung dergestalt zu ändern, dass lediglich der Unter-schiedsbetrag zwischen der Leistung, d. h. dem ausgezahl-ten Betrag und der Summe der darauf entrichteten Beiträgei. H. v. – unstreitig – ... € der Besteuerung unterworfen wird.Ob innerhalb der hierfür maßgeblichen Rechtsgrundlagedes § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG die darin unter Buchst. b bezeich-nete – und nunmehr im Klageantrag genannte – Alternativeeinschlägig ist oder – wie von den Kl. zunächst vorgetra-gen – Buchst. c auf Auszahlungen aus einem 401(k)-Plananzuwenden ist, kann vorliegend auf sich beruhen, da sichdie im Tenor ausgesprochene Rechtsfolge sowohl aus § 22Nr. 5 Satz 2 Buchst. b i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG alsauch aus § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG ergibt.

Anmerkung

I. Problemstellung

Die Besprechungsentscheidung befasst sich mit einernach Auffassung der FinVerw. bestehenden Besteue-rungslücke. Gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG sind steuer-pflichtige sonstige Einkünfte auch die Leistungen ausAltersvorsorgeverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassenund Direktversicherungen. Auszahlungen namentlich

aus Altersvorsorgeplänen unterliegen in vollem Umfangder Besteuerung, wenn die Beitragszahlungen in derAnsparphase aufgrund bestimmter Tatbestände steuer-frei gestellt waren. Anderenfalls ist (in den Fällen des§ 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b und c EStG) nur die Differenzzwischen dem Auszahlungsbetrag und den Beitragszah-lungen der Besteuerung unterworfen (vgl. im Einzelnen§ 22 Nr. 5 Satz 2 EStG). Durch diese Differenzierung solldas Prinzip der Einmalbesteuerung sichergestellt wer-den.

Entscheidend für die Besteuerung des vollständigenAus-zahlungsbetrages ist nach dem Wortlaut des § 22 Nr. 5Satz 2 EStG eine Steuerbefreiung aufgrund bestimmterTatbestände des EStG. Nicht ausreichend ist, dass dieBeitragszahlungen aus anderen Gründen nicht der inlän-dischen Besteuerung unterworfen werden konnten. Soknüpft § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG insbesondere nicht anSteuerbefreiungen nach ausländischen Steuergesetzenan.

Hierdurch ergab sich auch im Fall der Besprechungsent-scheidung aus Sicht der FinVerw. das Problem, dass dieKl. in den Genuss eines doppelten steuerlichen Vorteilsgelangten. Einerseits waren die Beitragsleistungen derbis 2011 in den USA ansässigen Kl. nach US-amerikani-schem Recht steuerfrei gestellt, andererseits wollten die– inzwischen nach Deutschland zurückgekehrten – Kl.hier nur die Differenz zwischen dem Auszahlungsbetragund den Beitragsleistungen versteuern. Der Bekl. sahdarin einen Verstoß gegen das Prinzip der Einmalbesteu-erung.

II. Die Entscheidung des FG

Das FG Köln hat sich gleichwohl der Rechtsauffassungder Kl. angeschlossen. Für die gegenteilige Ansicht desBekl. sah es weder eine Rechtsgrundlage im nationalenRecht noch im Abkommensrecht. Die Kl. seien alleinin der Auszahlungsphase unbeschränkt steuerpflichtiggewesen, was für § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG nicht ausrei-chend sei. Eine Rechtsgrundlage für eine vollständigeBesteuerung des Auszahlungsbetrages ergebe sich auchnicht unter Heranziehung des DBA-USA. Die Auffassungder FinVerw. laufe – so das FG Köln – auf eine unzuläs-sige Rechtsfortbildung hinaus. Es könne nicht festgestelltwerden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers derStreitfall in der von der FinVerw. angenommenen Weisehabe geregelt werden sollen, wenn dieser ihn gesehenhätte. De lege lata nehme das EStG Durchbrechungendes Prinzips der Einmalbesteuerung hin. Ferner werdedurch die Steuerfreiheit der Beiträge in der Ansparphaseim vorliegenden Fall deutsches Besteuerungssubstratnicht gemindert.

III. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Der Besprechungsentscheidung ist zuzustimmen; dieAuszahlung aus dem US-amerikanischen Pensionsplanwar nur in der Höhe der Differenz der Auszahlungenzu den Beitragsleistungen der ESt zu unterwerfen. DasGesetz lässt in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG erkennen, dass dieSteuerbefreiung in der Anzahlungsphase auch tatsäch-lich zum Zuge gekommen sein muss. Entscheidend istdem Wortlaut nach insbesondere, dass auf die Beiträge„§ 3 Nummer 63, 63a, § 10a, Abschnitt XI oder Ab-schnitt XII angewendet wurden“. Der Umfang derBesteuerung in der Auszahlungsphase bemisst sich nachdem Umfang der tatsächlichen Steuerbefreiung in derAnsparphase nach den imTatbestand genannten Bestim-mungen (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 22Rz. 172). Auf Beiträge von Personen, die – wie in derBesprechungsentscheidung – während der Ansparphaseweder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtigwaren und bei denen die Steuerbefreiungen daher nichteinschlägig sein konnten, sind die Steuerbefreiungen

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EFG 2019 Nr. 1 19Entscheidung Nr. 6

nicht angewendet worden, so dass es nicht zu einer voll-ständigen nachgelagerten Besteuerung der Auszah-lungsbeträge kommen kann. Seinem Wortlaut nach legi-timiert § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG keine fiktive Betrachtungdergestalt, dass Beiträge ausreichend sind, die unter diedort genannten Tatbestände, etwa § 3 Nr. 63 EStG, ge-fallen wären, wenn die konkrete Person während derAnsparphase in Deutschland steuerpflichtig gewesenwäre. Ebenso wenig öffnet sich das Gesetz ausländischenRechtsordnungen und einer dort vorgesehenen ver-gleichbaren Steuerbefreiung. Das mag man unter demGesichtspunkt nachvollziehen, dass der Gesetzgebereine vollständige nachgelagerte Besteuerung nur dort fürgerechtfertigt hält, wo er selbst zuvor auf die Beitrags-zahlungen hätte zugreifen können, seinen Besteuerungs-anspruch aber durch die in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG enume-rativ genannten Tatbestände selbst zurückgenommenhat.

Zuzustimmen ist auch dem zweiten Schritt des FG Kölnin der Besprechungsentscheidung, dass sich eine voll-ständige nachgelagerte Besteuerung nicht unter Hinzu-ziehung des DBA-USA ergeben kann. Auch unter seinemEinfluss ist weder eine fiktive Betrachtung der Befrei-ungstatbestände vorzunehmen noch ist eine Steuerbe-freiung nach US-amerikanischem Recht ausreichend.Nach der Rspr. des BFH legen die DBA lediglich fest, inwelchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht beste-hende Steuerpflicht entfallen soll. Begriffe nach nationa-lem Recht beeinflusst das Abkommensrecht demgegen-über grundsätzlich nicht. Das Nebeneinander bilateralerAbkommen und nationalen Steuerrechts bedingt es, dassdie beiden Rechtsbereiche und darin verwandte Rechts-begriffe autonom auszulegen sind (BFH-Urteil vom20. 7. 2016 I R 50/15, BFHE 254, 365, BStBl II 2017, 230;Oellerich in Gosch, § 2 AO Rz. 48.1). Der Gesetzgebermag nicht gehindert sein, dieses Nebeneinander aufzu-heben; dies muss sich jedoch im Auslegungswege demGesetz entnehmen lassen (vgl. BFH-Urteil vom20. 7. 2016 I R 50/15, BFHE 254, 365, BStBl II 2017, 230).Vorliegend ist das nicht geschehen. Im Gegenteil nimmtdas Gesetz in § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG nur auf eine Vielzahlanderer Vorschriften des EStG Bezug.

Darüber hinaus befasst sich Art. 18A DBA-USA nur inso-weit mit der streitgegenständlichen Situation, als demAnsässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht (allein) für dieAuszahlungen aus dem Altersvorsorgeplan eingeräumtwird (Art. 18A Abs. 1 DBA-USA). Dass Deutschland die-ses Recht im vorliegenden Fall zusteht, war aber zu Rechtnicht streitig. Hinzu kommt, dass Art. 18A Abs. 1 DBA-USA das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats beiAuszahlungen aus dem Altersvorsorgeplan nicht weiterreglementiert, mit anderen Worten weder eine Aussagezu einer vollständigen noch einer nur teilweisen Besteue-rung trifft. Soweit Art. 18A DBA-USA überhaupt eineAussage zu den Beitragszahlungen trifft, geht es um Fall-gestaltungen, in denen der Staat des Altersvorsorgeplansund der Tätigkeitsstaat auseinanderfallen (s. Art. 18AAbs. 2 Buchst. a DBA-USA). Zutreffend hat das FG Kölnausgeführt, dass dies nicht die hier vorliegende Sachver-haltskonstellation ist. Denn die Kl. hielten sich währendder Ansparphase noch in den USA auf, die zugleich derVertragsstaat waren, in dem sie in den Altersvorsorge-plan einzahlten. Sie befanden sich mit anderen Wortennoch nicht in einer unter das DBA-USA fallenden trans-nationalen Sachverhaltskonstellation. Darüber hinausenthält Art. 18A DBA-USA auch keine Aussage zu demPrinzip der Einmalbesteuerung, das die FinVerw. auchin transnationalen Sachverhalten etablieren will.

Dies alles kann nicht im Wege der Rechtsfortbildungüberspielt werden. De lege lata hat der Gesetzgeber dasPrinzip der Einmalbesteuerung in § 22 Nr. 5 EStG reinnational gewährleistet. Mit dem Grundgedanken, ausdem heraus die vollständige nachgelagerte Besteuerung

durch § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG eingeschränkt wird, istder vorliegende Fall auch nicht vergleichbar. NimmtDeutschland seinen dem Grunde nach bestehendenSteueranspruch durch eine Befreiung zunächst einmalin der Ansparphase zurück, soll es jedenfalls das Rechterlangen, seinen Steuerzugriff im Wege der nachgela-gerten Besteuerung nachzuholen. Im Streitfall konnteDeutschland in der Ansparphase sein Besteuerungsrechtaber nicht zurücknehmen. Die Kl. waren zu diesem Zeit-punkt weder unbeschränkt noch beschränkt steuer-pflichtig.

Richter am FG Dr. Ingo Oellerich

6 Übertragung einer Pensionszusage auf eineVersorgungseinrichtung als Arbeitslohn

FG Köln, Urteil vom 27. 9. 2018 6 K 814/16 – Rev. eingelegt(Az. des BFH: VI R 45/18).

1. Leistungen, die der Arbeitgeber für die Zukunftssiche-rung eines Arbeitnehmers an eine Versorgungseinrich-tung erbringt, sind im Verhältnis zum ArbeitnehmerArbeitslohn, wenn sich der Vorgang wirtschaftlich be-trachtet so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeit-nehmer Mittel zur Verfügung gestellt und dieser sie zumErwerb der Zukunftssicherung verwendet hat. Davon istauszugehen, wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versor-gungseinrichtung ein unentziehbarer Rechtsanspruch aufdie Leistung zusteht. Ist das nicht der Fall, sind erst diespäter von der Versorgungseinrichtung ausgezahltenBezüge Arbeitslohn.

2. Eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung liegti. d. R. nicht vor, wenn der Steuerpflichtige den Rechtsfol-gen durch sein Verhalten hätte ausweichen können.

EStG § 3 Nr. 66, § 4e Abs. 3 Satz 3, § 6a, § 8 Abs. 1, § 11Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2, § 34 Abs. 1,Abs. 2 Nr. 4, § 40b Abs. 4; BGB § 415 Abs. 1 Satz 1; VAG§ 236 Abs. 1 Nr. 3.

1–11 Der zusammenmit seiner Ehefrau veranlagte Kl. warGesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH, welcheihm im Jahr 1993 eine Pensionszusage erteilt hatte. ImApril2010 wurde die A-GmbH an die B-GmbH veräußert. Gleich-zeitig wurde die Tätigkeit des Kl. als Geschäftsführer been-det. Anlässlich dieser Veräußerung und der damit verbun-denen Beendigung der Geschäftsführerstellung des damals54-jährigen Kl. wurde die dem Kl. gegenüber eingegan-gene Pensionsverpflichtung auf einen Pensionsfonds i. S.von § 236 VAG, die C-Pensionsfonds-AG, übertragen. AlsGegenleistung trat die A-GmbH ihre Ansprüche aus einerzur Deckung der Pensionszusage des Kl. abgeschlossenenRückdeckungsversicherung i. H. v. 257 644 € an den Pen-sionsfonds ab. Sie löste in ihrer Bilanz Buchführung die fürdie Pensionsverpflichtung gebildete Rückstellung i. H. v.233 680 € auf. Demgemäß ergab sich bei ihr ein Aufwandi. H. v. 23 964 € (= 257 644 € abzgl. 233 680 €).

Nachdem der Bekl. von dem Sachverhalt Kenntnis erlangthatte, änderte er den ESt-Bescheid 2010 der Kl. undrechnete dem steuerpflichtigen Arbeitslohn des Kl. die223 680 € aus der Auflösung der Rückstellung zu.

Aus den Gründen:

12 Die Klage ist unbegründet.

13 Der angefochtene ESt-Bescheid 2010 ist rechtmäßigund verletzt die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1FGO). Der Bekl. hat zutreffend im Zeitpunkt der Übertra-

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20 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 6

gung der dem Kl. von der A-GmbH erteilten Versorgungs-zusage auf die C-Pensionsfonds-AG steuerpflichtigen Ar-beitslohn des Kl. i. S. des § 19 EStG angenommen.

Arbeitslohn durch Vereinbarung über Ausscheiden zuge-flossen

14 Zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeitnach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören Gehälter, Löhnesowie andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäfti-gung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden.Einnahmen der vorgenannten Art sind nach § 11 Abs. 1Satz 1 EStG innerhalb des Kj. bezogen, in dem sie demSteuerpflichtigen zugeflossen sind (vgl. auch § 8 Abs. 1EStG).

15 Sagt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrunddes Dienstverhältnisses eine Leistung zu, begründet derAnspruch auf diese Leistung noch keinen gegenwärtigenZufluss von Arbeitslohn. Die bloße Einräumung vonAnsprüchen durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmerführt bei diesem regelmäßig noch nicht zum Zufluss vonEinnahmen. Erst der Eintritt des Leistungserfolgs durch dieErfüllung der Ansprüche bewirkt den Zufluss beim Arbeit-nehmer. Zugeflossen ist eine Einnahme nämlich erst dann,wenn der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlicherbringt und der Empfänger die wirtschaftliche Verfü-gungsmacht über die inGeld oder Geldeswert bestehendenGüter erlangt hat. Demgemäß löst die Zusage eines Arbeit-gebers, eine Altersversorgung aus eigenen, erst im Zeit-punkt der Zahlung bereitzustellenden Mitteln zu erbrin-gen, grundsätzlich noch keinen Zufluss vonArbeitslohn aus(BFH-Urteile vom 19. 5. 1993 I R 34/92, BFHE 171, 286,BStBl II 1993, 804; vom 27. 5. 1993 VI R 19/92, BFHE 172,46, BStBl II 1994, 246).

16 Die Arbeitslohnqualität von Zukunftssicherungsleis-tungen, bei denen die Leistung des Arbeitgebers an einenDritten – z. B. an einen Versicherer – erfolgt, hängt davonab, ob sich der Vorgang wirtschaftlich betrachtet so dar-stellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zurVerfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Erwerbder Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszuge-hen, wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versorgungsein-richtung, an die der Arbeitgeber Beiträge geleistet hat, einunentziehbarer Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht.Leistet der Arbeitgeber dagegen Zuwendungen an eineEinrichtung, die dem Arbeitnehmer keinen Rechtsan-spruch einräumt, sind erst die laufenden von der Ver-sorgungseinrichtung an den Arbeitnehmer ausgezahltenBezüge als Arbeitslohn zu qualifizieren (ständige Rspr. desBFH, vgl. Urteile vom 16. 4. 1999 VI R 66/97, BFHE 188,338, BStBl II 2000, 408; vom 27. 5. 1993 VI R 19/92, BFHE172, 46, BStBl II 1994, 246; vom 15. 7. 1977 VI R 109/74,BFHE 123, 37, BStBl II 1977, 761).

17 Nach diesen Grundsätzen stellt die von der A-GmbHdem Kl. erteilte Direktzusage – was zwischen den Beteilig-ten unstreitig ist – mangels Zufluss noch keinen Arbeitslohndes Kl. dar.

18 Arbeitslohn ist aber durch die Übertragung der Zusageauf die C-Pensionsfonds-AG entstanden. Der Kl. hat zwar– worauf er zu Recht hinweist – sowohl vor der Übertragungder Direktzusage als auch nach der Übertragung lediglicheine Anwartschaft auf eine Altersversorgung. Gleichwohlist aber Arbeitslohn gegeben. Denn bei wirtschaftlicherBetrachtung stellt sich der Vorgang so dar, als hätte dieA-GmbH dem Kl. Mittel zur Verfügung gestellt, die derKl. dann aufgewandt hat, um von einem fremden Dritten,nämlich der C-Pensionsfonds-AG, eine Pensionszusage zuerhalten, mit welcher er unabhängig von der wirtschaft-lichen Entwicklung der A-GmbH ist. Arbeitslohn ist ins-besondere deshalb anzunehmen, weil der Kl. gegen denPensionsfonds wie sich sowohl aus den vertraglichenRegelungen in Anlage 2 des von der A-GmbH mitder C-Pensionsfonds-AG abgeschlossenen Versorgungs-

vertrags ... als auch aus der gesetzlichen Regelung in § 236Abs. 1 Nr. 3 VAG ergibt, einen eigenen Anspruch auf dieLeistungen hat. Die A-GmbH hat dem Kl. nicht nur Versor-gungsleistungen versprochen, sondern ihr Versprechenbereits erfüllt, nämlich indem durch die Übertragung derAnsprüche auf den Pensionsfonds dem Kl. ein eigenerunentziehbarer Anspruch auf die Versorgungsleistungengegen den Pensionsfonds entstanden ist.

Keine entgegenstehende Rspr. des BFH

19 Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen derAnsicht der Kläger auch nicht aus den Entscheidungen desBFH vom 18. 8. 2016 in den Sachen VI R 18/13 (BFHE 255,58, BStBl II 2017, 730) und VI R 46/13 (BFH/NV 2017, 16).Die vom BFH entschiedenen Fälle unterscheiden sich ineinem wesentlichen Punkt vom vorliegenden Sachverhalt.Der BFH hatte nämlich in beiden Fällen über die Übertra-gung einer Pensionszusage von dem in der Rechtsformeiner GmbH geführten Arbeitgeber auf eine andere GmbHund nicht wie im vorliegenden Fall auf einen Pensionsfondszu befinden. Eine solche Schuldübernahme nach § 415Abs. 1 BGB führt nach Ansicht des BFH lediglich zu einemSchuldnerwechsel und bewirkt gerade noch keinen Zuflussbeim jeweiligen Pensionsberechtigten. Der BFH sah in denvon ihm entschiedenen Fällen noch keine wirtschaftlicheErfüllung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf die künfti-gen Pensionszahlungen, denn über den zur Übertragungder Pensionsverpflichtung verwendeten Betrag hätten dieArbeitnehmer nicht verfügen können. Die Sache stelle sichwirtschaftlich gerade nicht so dar, als ob der Arbeitgeberdem Arbeitnehmer den Betrag zur Verfügung gestellt unddieser ihn zum Erwerb einer Zukunftssicherung verwendethabe. An seiner früheren, hier einschlägigen Rspr. insbe-sondere im Urteil vom 16. 4. 1999 VI R 66/97 (BFHE 188,338, BStBl II 2000, 408), nach welcher von einem Zuflussvon Arbeitslohn aber dann auszugehen ist, wenn derArbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer– wie im Streitfall – einen unmittelbaren und unentziehba-ren Rechtsanspruch gegen eine Versorgungseinrichtungverschafft, hält er aber ausdrücklich weiterhin fest (BFH-Urteile vom 18. 8. 2016 VI R 18/13, BFHE 255, 58, BStBl II2017, 730, Rz. 22; VI R 46/13, BFH/NV 2017, 16, Rz. 17).

Keine Besteuerung bei der GmbH

20 Schließlich führt auch die Vorschrift des § 40b Abs. 4EStG zu keiner anderen Beurteilung. Der Gesetzgeber hatin § 40b Abs. 4 EStG eine Pflichtsteuerschuld des Arbeitge-bers für Sonderzahlungen an einen Pensionsfonds i. S. des§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EStG eingeführt. Da jedochSonderzahlungen i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2EStG nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Normnur vorliegen, wenn diese neben laufenden Zahlungen aneinen Pensionsfonds geleistet werden, liegen die Voraus-setzungen für eine Pflichtsteuerschuld des Arbeitgebers imStreitfall offensichtlich nicht vor.

Arbeitslohn ist steuerpflichtig

21 Der Arbeitslohn ist auch steuerpflichtig. Die Voraus-setzungen für eine Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 66 EStG sindnicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sind Leistungeneines Arbeitgebers an einen Pensionsfonds zur Übernahmebestehender Versorgungsverpflichtungen oder Versor-gungsanwartschaften durch den Pensionsfonds steuerfrei,wenn ein Antrag nach § 4e Abs. 3 EStG gestellt worden ist.Nach § 4e Abs. 3 Satz 1 EStG kann der Arbeitgeber aufAntrag die insgesamt erforderlichen Leistungen an einenPensionsfonds zur teilweisen oder vollständigen Über-nahme einer bestehenden Versorgungsverpflichtung oderVersorgungsanwartschaft durch den Pensionsfonds erst inden dem Wj. der Übertragung folgenden zehn Jahrengleichmäßig verteilt als BA abziehen. Ist eine Pensionsrück-stellung nach § 6a EStG gewinnerhöhend aufzulösen, ist§ 4e Abs. 3 Satz 1 EStG mit der Maßgabe anzuwenden,

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EFG 2019 Nr. 1 21Entscheidung Nr. 6

dass die Leistungen an den Pensionsfonds imWj. der Über-tragung in Höhe der aufgelösten Rückstellung als BA abge-zogen werden können; der die aufgelöste Rückstellungübersteigende Betrag ist in den dem Wj. der Übertragungfolgenden zehn Wj. gleichmäßig verteilt als BA abzuziehen(§ 4e Abs. 3 Satz 3 EStG). Das heißt, der Arbeitslohn ist inFällen, in denen wie im Streitfall eine Pensionsrückstellunggebildet wurde, beim Arbeitnehmer steuerfrei, wenn derArbeitgeber beantragt, im Jahr der Übertragung der Ver-sorgungsverpflichtung BA nur in Höhe der gebildetenRückstellung abzuziehen und den sich durch die Übertra-gung ergebenden Mehraufwand gleichmäßig auf dienächsten zehn Jahre zu verteilen.

22 Im Streitfall ist der Arbeitslohn des Kl. steuerpflichtig,denn die A-GmbH hat den Antrag nach § 4e EStG geradenicht gestellt. Sie hat den die bei ihr nach § 6a EStG für dieVersorgungszusage des Kl. gebildete Rückstellung über-steigenden Aufwand i. H. v. 23 964 € in voller Höhe im Jahrder Übertragung der Versorgungsansprüche auf den Pen-sionsfonds als Aufwand geltend gemacht und nicht die aufAntrag mögliche Verteilung des Aufwands auf zehn Jahregewählt. Die Ausführungen der Kl., im Streitfall hätte eskeines Antrags nach § 4e Abs. 3 EStG bedurft, weil es kei-nen die Rückstellung übersteigenden Aufwand gegebenhätte, gehen ins Leere. Denn mittlerweile ist zwischen denBeteiligten unstreitig, dass ein solcher Aufwand entstandenist.

Höhe des Arbeitslohns nicht zu beanstanden

23 Die Höhe des vom Beklagten angesetzten steuerpflich-tigen Arbeitslohns ist nicht zu beanstanden. Der Ansatz istjedenfalls nicht überhöht. Dabei kann dahingestellt blei-ben, ob der Bekl. möglicherweise einen höheren Betrag,nämlich den vom Arbeitgeber für die Übernahme der Pen-sionsverpflichtung durch Abtretung der Rückdeckungsver-sicherung geleisteten Betrag i. H. v. 257 644 € als steuer-pflichtigen Arbeitslohn des Kl. hätte ansetzen müssen. Dader Bekl. den Betrag auf die Höhe der beim Arbeitgebergebildeten Rückstellung von 233 680 € begrenzt hat, ver-bleibt es bei diesem Ansatz, denn eine Verböserung kommtim finanzgerichtlichen Verfahren aufgrund des Verbots derreformatio in peius nicht in Betracht.

Besteuerung nicht unverhältnismäßig

24 Entgegen der Ansicht der Kl. ist der steuerpflichtigeArbeitslohn auch nicht aufgrund des Übermaßverbots aufden Betrag i. H. v. 23 964 € zu begrenzen, welchen dieA-GmbH nach § 4e Abs. 3 EStG hätte verteilen können. EinVerstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgendeÜbermaßverbot und damit eine Verfassungswidrigkeit liegtvor, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastungextrem über das der Schematisierung zu Grunde liegendenormale Maß hinausgehen. Ein Steuerpflichtiger darf nichtzu einer unverhältnismäßigen Steuer oder zu einer Steuer-leistung, die erdrosselndeWirkung entfaltet, herangezogenwerden (BFH-Urteil vom 9. 11. 2017 III R 10/16, BFHE260, 9, BStBl II 2018, 255, m. w. N.). Im Streitfall wird zwarbeim Kl. die Steuerbefreiung für einen Betrag von 233 680 €vollständig versagt, obwohl bei seinem Arbeitgeber nur einvergleichsweise geringer Aufwand von 23 964 € unverteiltbleibt. Gleichwohl ist ein Verstoß gegen das Übermaßver-bot nicht anzunehmen, denn der Kl. hätte die Besteuerungabwenden können. Für die Beurteilung der Verfassungs-widrigkeit einer Norm ist u. a. von Bedeutung, ob derSteuerpflichtige den in der Norm angeordneten belasten-den Rechtsfolgen durch sein Verhalten ausweichen kann(BFH-Urteil vom 9. 11. 2017 III R 10/16, BFHE 260, 9,BStBl II 2018, 255; BFH-Beschluss vom 31. 7. 2014III B 13/14, BFH/NV 2014, 1901). Im Streitfall bestand dieseMöglichkeit, denn der Kl. hätte seine Zustimmung zurÜbertragung der Versorgungszusage an die Bedingungknüpfen können, dass die A-GmbH den Antrag gem. § 4eAbs. 3 EStG stellt. Nach der allgemeinen zivilrechtlichen

Regelung in § 415 BGB war nämlich für den Schuldner-wechsel eine Zustimmung des Kl. erforderlich und diesewurde vom Kl., wie sich aus Punkt 2.2 des zwischen derA-GmbH und der C-Pensionsfonds-AG abgeschlossenenVersorgungsvertrags (vgl. ESt-Akte) ergibt, auch erteilt.Dass der Kl. eine entsprechende Bedingung nicht gestellthat, muss er nun gegen sich gelten lassen.

Tarifermäßigung ergibt keine niedrigere Steuer

25 Möglicherweise ist für den demnach steuerpflichtigenArbeitslohn des Kl. eine Tarifermäßigung gem. § 34 Abs. 1i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 EStG zu gewähren. Bei der Zahlungder A-GmbH an den Pensionsfonds könnte es sich um eineVergütung handeln, die für eine mehrjährige Tätigkeit desKl., nämlich für dessen Geschäftsführungstätigkeit seit1993 gezahlt wird (vgl. zur Tarifermäßigung von Zahlungenzwecks Abfindung einer Versorgungsanwartschaft BFH-Urteile vom 12. 4. 2007 VI R 6/02, BFHE 217, 547, BStBl II2007, 581; vom 19. 9. 1975 VI R 61/73, BStBl II 1976, 65).Da sich ausweislich der Prüfberechnung des Bekl. ... beiAnwendung des § 34 Abs. 1 EStG im Streitfall aber keineniedrigere Steuerfestsetzung zugunsten der Kl. ergibt,bedarf diese Frage keiner weiteren Erörterung und dieKlage war abzuweisen.

26–27 Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGOwegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen ...

Anmerkung

I. Sachverhalt

Der Kl. war Geschäftsführer (und Gesellschafter) einerGmbH, die ihm eine Pensionszusage erteilt hatte. DieGmbHhatte für den zukünftigenAufwand eine Rückstel-lung gebildet, zur Deckung der Pensionszusage eine Ver-sicherung abgeschlossen und dafür Beiträge eingezahlt.17 Jahre später – im Streitjahr (2010) – sollten die Anteilean der GmbH – auch die des Kl. – veräußert und seineTätigkeit als Geschäftsführer beendet werden. Wederdas eine noch das andere hätte Auswirkungen auf diePensionszusage gehabt, da die vom Kl. erworbeneAnwartschaft längst unverfallbar geworden war (§ 1bBetrAVG). Allerdings war er seinerzeit erst 54 Jahre altund noch nicht pensionsberechtigt. Auf die wirtschaft-liche Zukunft seiner Schuldnerin, der GmbH, in dennächsten zehn Jahren hatte der Kl. keinen Einfluss mehr.Der Anspruch der GmbH gegen die Versicherung(257 644 €) war inzwischen mehr wert als ihre Verpflich-tung gegenüber dem Kl. (233 680 €). Es lag daher nahe,für die Pensionszusage eine neue Grundlage zu schaffen.

Seit 2002 ist der Pensionsfonds (§ 236 VAG) als sog.5. Durchführungsweg in die freiwillige betrieblicheAltersvorsorge und das ESt-Recht eingeführt worden(vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 4eRz. 1). Von dieserMöglichkeit wurde Gebrauch gemacht.Die GmbH einigte sich mit der C-Pensionsfonds-AG,dass diese die Pensionsverpflichtung übernimmt und ihrdafür der Anspruch aus der Versicherung abgetretenwird. Der Kl. erteilte die für eine – die GmbH – befreiendeSchuldübernahme erforderliche Genehmigung (§ 415Abs. 1 BGB). Ansonsten änderte sich für ihn nichts.

Das FA stellte sich jedoch, nachdem es von dem Vorgangerfahren hatte, auf den Standpunkt, dass dem Kl. durchseine Zustimmung steuerpflichtiger Arbeitslohn in Höhedes Wertes des Pensionsanspruchs (233 680 €) zugeflos-sen sei und erließ einen entsprechenden ESt-Bescheid.

II. Entscheidung des FG

Das FG hatte über folgende Einwendungen des Kl. zuentscheiden.

1. Der Kl. machte geltend, dass ihm im Streitjahr nichtsi. S. des § 8 Abs. 1 EStG zugeflossen sei. Die Besteuerung

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22 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 7

dürfe erst einsetzen, wenn und soweit der PensionsfondsBeträge auszahle. Diesen Einwand hielt das FG nicht fürberechtigt. Die Auffassung des Kl. sei nur dann richtig,wenn er gegen den Pensionsfonds keinen eigenenRechtsanspruch auf Erfüllung der Pensionszusage habe,was hier aber – unstreitig – der Fall sei. Die Sache stellesich wirtschaftlich so dar, als ob die GmbH dem Kl. die233 680 € zur Verfügung gestellt und er diesen Betragzum Erwerb seiner Zukunftssicherung verwendet habe.Das FG stützte sich dabei auf eine ständige Rspr. desBFH (Urteile vom 15. 7. 1977 VI R 109/74, BFHE 123, 37,BStBl II 1977, 761; vom 27. 5. 1993 VI R 19/92, BFHE 172,46, BStBl II 1994, 246; vom 16. 4. 1999 VI R 66/97, BFHE188, 338, BStBl II 2000, 408). Die vom Kl. angeführtenneueren Entscheidungen (vom 18. 8. 2016 VI R 18/13,BFHE 255, 58, BStBl II 2017, 730; VI R 46/13, BFH/NV2017, 16) sah das FG als mit dem Streitfall nicht ver-gleichbar an, da dort die Pensionszusage nicht auf einenPensionsfonds, sondern auf eine andere GmbH übertra-gen worden war.

2. Die vom Kl. angeführte Regelung in § 40 Abs. 4 i. V. m.§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EStG war schon nachihrem Wortlaut – Sonderzahlungen „neben den laufen-den Beiträgen“ – nicht einschlägig.

3. Das Gleiche galt für die vom Kl. für die hilfsweisebegehrte Steuerfreiheit des zugeflossenen Betrags zitier-ten Bestimmungen (§ 3 Nr. 66 i. V. m. § 4e Abs. 3 Satz 1EStG). Die danach mögliche Verteilung der Leistungender GmbH an den Pensionsfonds zur Übernahme derbestehenden Versorgungsverpflichtung kommt nachdem Gesetzestext nur infrage, wenn sie einen Antragstellt, diese erst in den dem Wj. der Übertragung folgen-den zehn Wj. gleichmäßig verteilt als BA abzuziehen.Einen solchen Antrag hatte die GmbH aber nicht gestellt.

4. Schließlich hatte der Kl. vorgebracht, die Anwendungder gesetzlichen Bestimmungen sei verfassungswidrig,weil sie ihn unverhältnismäßig belaste. In der Tat hatteder Kl. nach der Auffassung des FA 233 680 € zu versteu-ern, obwohl der – nicht verteilt bleibende – Aufwand derGmbH nur etwa ein Zehntel davon betrug, nämlich23 964 € (= 257 644 € Versicherungsanspruch abzgl.233 680 € Pensionsrückstellung). Dem hielt das FGjedoch entgegen, dass der Kl. die Möglichkeit gehabthabe, die Steuerbelastung abzuwenden. Denn ohneseine Genehmigung der befreienden Schuldübernahme(§ 415 Abs. 1 BGB) wäre es zu der Besteuerung gar nichtgekommen.

III. Beratungsbedürfnis

Der Kl. hätte sich bei Abschluss der Vereinbarung übersein Ausscheiden aus der GmbH steuerlich beraten las-sen können und sollen. Ohne seine Genehmigung wärees – so das FG – zu der Besteuerung nicht gekommen.Das ist für den Kl. im Revisionsverfahren keine günstigeAusgangsbasis.

Richter am FG Erwin Weingarten

7 Abzug von Aufwendungen für die Bewir-tung und Unterhaltung von Mandanten undGeschäftsfreunden durch eine Rechtsan-waltssozietät

FG Düsseldorf, Urteil vom 31. 7. 2018 10 K 3355/16 F,U– Nichtzulassungsbeschw. eingelegt (Az. des BFH:VIII B 129/18).

Aufwendungen für die Bewirtung und Unterhaltung vonMandanten und Geschäftsfreunden einer Rechtsanwalts-

sozietät unterliegen auch dann keinem Abzugsverbotgem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 oder 7 EStG, wenn die Veran-staltung, für die sie anfallen, zwar im Garten eines Privat-grundstücks eines Sozius stattfindet, den Gästen aberweder ein besonderes qualitatives Ambiente noch einbesonderes Unterhaltungsprogramm angeboten wird.Betrieblich veranlasst i. S. von § 4 Abs. 4 EStG sind dieseAufwendungen jedoch nur insoweit, als die Einladung– z. B. die eines Mandanten – auf die Berufstätigkeit desEinladenden zurückzuführende Gründe hat. Aufwendun-gen für die Einladung von Personen des öffentlichenLebens, z. B. aus Politik, Presse, Sport oder Wirtschaft,sind nicht abziehbar, falls sich nicht für ihre Einladung(ebenfalls) aus Sicht des Einladenden zweifelsfrei aus-schließliche oder nahezu ausschließliche beruflicheGründe feststellen lassen.

EStG § 4 Abs. 4 und 5 Satz 1 Nr. 4 und 7, § 12 Nr. 1.

1–17 Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.Strittig ist, ob Aufwendungen für die Veranstaltung vonsog. Herrenabenden als BA bei den Einkünften aus selb-ständiger Arbeit und die in den Aufwendungen enthalte-nen USt-Beträge als Vorsteuern zu berücksichtigen sind.Die Klin., eine Rechtsanwaltssozietät, veranstaltete in denStreitjahren (2006 bis 2008) sog. Herrenabende, zu denenausschließlich Männer eingeladen wurden. Diese Abendestanden jeweils unter einem Motto („Et kütt wie etkütt“, „Ein Sommernachtstraum“, „Fußball-EM 2008“). DieAbende fanden im Garten des Wohngrundstücks einesSozius der Klin. statt, wo bis zu 358Gäste begrüßt, unterhal-ten und bewirtet wurden. Die Klin. lud dazu die Gäste per-sönlich auf ihrem Briefpapier unter dem Namen der Sozie-tät ein. Die Kosten für die Herrenabende betrugen20 531,78 € (2006), 22 224,11 € (2007) und 22 811,81 €(2008). Die Klin. machte sie als BA geltend. Dem folgte derBekl. zunächst und erließ entsprechende Bescheide überdie gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünf-ten, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.Nach Durchführung einer Bp änderte der Bekl. dieseBescheide, indem er die Einkünfte aus selbständiger Arbeitum die Aufwendungen für die sog. Herrenabende erhöhte.Ebenso machte er den Abzug der Vorsteuer aus den Auf-wendungen rückgängig. Einspruch und Klage hiergegenblieben ohne Erfolg. Das FG vertrat im ersten Rechtsgangdie Auffassung, dass die Aufwendungen nach § 4 Abs. 5Satz 1 Nr. 4 EStG nicht abziehbar seien. Aufgrund des aus-gewählten und geschlossenen Teilnehmerkreises habe einZusammenhang mit der Lebensführung und gesellschaftli-chen Stellung der Eingeladenen bestanden. Durch den vonder Klin. geschaffenen Rahmen der Feiern hätten dieseEventcharakter gehabt und die Gelegenheit zu persönli-chen Gesprächen geboten. Die dagegen – nach Zulassungdurch den BFH – eingelegte Revision der Klin. hatte Erfolg(BFH-Urteil vom 13. 7. 2016 VIII R 26/14, BFHE 255, 7,BStBl II 2017, 161). Der BFH verwies die Sache zwecksPrüfung, ob der Zweck, die Gäste zu unterhalten, auch hin-sichtlich der Durchführung der Herrenabende die Grenzendes Üblichen überschritten habe und der Einladung derGäste etwa zu einer Jagd, zum Fischen oder auf eine Segel-oder Motorjacht vergleichbar gewesen sei, an das FGzurück. Den bisherigen Feststellungen zum Ort und zumAblauf der Feiern lasse sich nicht in ausreichendem Maßeentnehmen, ob den Gästen ein besonderes qualitativesAmbiente oder ein besonderes Unterhaltungsprogrammgeboten worden sei. Allein der Umstand, dass sich pro Her-renabend bis zu 358 Personen im Rahmen eines Gartenfes-tes getroffen hätten und austauschen konnten, reiche nichtaus, um den Herrenabenden einen Charakter beizumessen,der etwa der Einladung zu einer Segelregatta oder Jagdge-sellschaft vergleichbar sei. Auch ließen die Feststellungennicht den Schluss zu, ob das auf einer Bühne angeboteneUnterhaltungsprogramm neben der etwa zweistündigenBegrüßung der Gäste und der Vorstellung gemeinnützigerProjekte samt eines Spendenaufrufs einen die Veranstal-

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EFG 2019 Nr. 1 23Entscheidung Nr. 7

tung prägenden Charakter gehabt und welchen (besonde-ren) Inhalt es gehabt habe. Sollte sich – so der BFH – erge-ben, dass die Voraussetzungen des Abzugsverbots gem. § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht erfüllt seien, werde das FGzu prüfen haben, in welchem Umfang die Aufwendungenüberhaupt betrieblich veranlasst gewesen seien (§ 4 Abs. 4EStG) oder ob ein anderes Abzugsverbot aus dem Katalogdes § 4 Abs. 5 EStG einschlägig sein könne.

Aus den Gründen:

18 Die Klage ist teilweise begründet.

19 Die Klin. wird durch die angefochtenen Bescheide unddie Einspruchsentscheidungen im tenorierten Umfang inihren Rechten verletzt. Sie sind rechtswidrig und dahergem. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO zu ändern.

20 Von den von der Klin. erzielten Einnahmen aus selb-ständiger Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind die damitverbundenen betrieblich veranlassten Aufwendungen fürdie Veranstaltung der Herrenabende zur Hälfte abzuset-zen, § 4 Abs. 4 EStG. Ebenso ist die Klin., die Unternehme-rin i. S. des § 2 Abs. 1 UStG ist, nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1UStG zum Vorsteuerabzug der anteiligen Aufwendungenberechtigt. Eine fehlende unternehmerische Veranlassungi. S. des § 15 Abs. 1a UStG steht insoweit dem Abzug nichtentgegen.

Grundsätzliche Abzugsvoraussetzungen

21 Bei der Ermittlung der Einkünfte sind Aufwendungenals BA (§ 4 Abs. 4 EStG) abzuziehen, wenn sie durch dieEinkünfteerzielung veranlasst sind. Eine solche Veranlas-sung ist dann gegeben, wenn die Aufwendungen mit derEinkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihrsubjektiv zu dienen bestimmt sind, d. h., wenn sie inwirtschaftlichem Zusammenhang mit einer der Einkunfts-arten des EStG stehen (BFH-Beschluss vom 4. 6. 1990GrS 2–3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817; BFH-Urteilvom 7. 5. 2013 VIII R 51/10, BFHE 241, 360, BStBl II 2013,808). Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unter-nehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungenund sonstige Leistungen, die von einem anderen Unterneh-men ausgeführt worden sind, in Abzug bringen. Nichtabziehbar sind gem. § 15 Abs. 1a UStG die Vorsteuerbe-träge, die auf Aufwendungen entfallen, für die ein Abzugs-verbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 7 oder gem.§ 12 Nr. 1 EStG gilt. § 12 Nr. 1 EStG findet insoweit auchAnwendung, als eine Personengesellschaft wie etwa einePartnerschaft (vgl. Wacker in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 15Rz. 334) derartige Kosten zu Gunsten ihrer einkommen-steuerpflichtigen Gesellschafter übernimmt (BFH-Urteilvom 28. 4. 1983 IV R 131/79, BFHE 138, 545, BStBl II 1983,668).

22 Maßgeblich dafür, ob ein solcher Zusammenhangbesteht, ist zum einen die – wertende – Beurteilung des diebetreffenden Aufwendungen auslösenden Moments, zumanderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlichrelevanten Erwerbssphäre. Ergibt diese Prüfung, dass dieAufwendungen nicht oder in nur unbedeutendem Maßeauf privaten, der Lebensführung des Steuerpflichtigenzuzurechnenden Umständen beruhen, so sind sie als BAgrundsätzlich abzuziehen. Beruhen die Aufwendungenhingegen nicht oder nur in unbedeutendem Maße aufberuflichen/unternehmerischen Umständen, so sind sienicht abziehbar (BFH-Urteil vom 7. 5. 2013 VIII R 51/10,BFHE 241, 360, BStBl II 2013, 808).

Abzug nicht bereits durch ausdrückliche Abzugsverboteausgeschlossen

23 Ein BA-Abzug ist vorliegend nicht schon gem. § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 oder 7 EStG ausgeschlossen.

24 Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG dürfen Aufwendun-gen für Jagd und Fischerei, für Segeljachten oder Motor-

jachten sowie für ähnliche Zwecke und die hiermit zusam-menhängenden Bewirtungen den Gewinn nicht mindern,soweit die damit verfolgten Zwecke nicht selbst Gegen-stand einer mit Gewinnabsicht ausgeübten Betätigung desSteuerpflichtigen sind (§ 4 Abs. 5 Satz 2 EStG). Diese Aus-nahme liegt nicht vor. Die Klin. betreibt eine Partnerschaft,die aus RAen als Organen der Rechtspflege besteht (§ 1BRAO), und wird nicht selbst als originäre Eventagenturoder Organisator von Veranstaltungen tätig.

25 Der Senat hatte im Rahmen der Bindungswirkung des§ 126 Abs. 5 FGO zu prüfen, ob den Gästen der Herren-abende „ein besonderes qualitatives Ambiente oder einbesonderes Unterhaltungsprogramm geboten wurde“, daseinen Schluss auf Aufwendungen zulässt, die Gegenstandeiner überflüssigen und unangemessenen Unterhaltungund Repräsentation sind. Teilt man die insgesamt geltendgemachten Aufwendungen durch die Zahl der an den Ver-anstaltungen teilnehmenden Gäste von 350 bis 358 Perso-nen, ergeben sich Gesamtaufwendungen fürMusik, Veran-staltungstechnik und Bewirtung von 58,66 € bis 63,72 € jePerson. Die Bewirtungsaufwendungen beliefen sich aus-weislich der in den Bp-Handakten enthaltenen Rechnun-gen auf 22 bis 23 € je Person (ohne Getränke). Es wurdenu. a. Weißwürste, Leberkäse, Sauerkraut, Kartoffelsalat,Bratkartoffeln, Hamburger bzw. Cheeseburger serviert.Damit mag das Essen zwar einen rustikalen bis gutbürgerli-chen Charakter gehabt haben, wies aber keine kulinari-schen Besonderheiten wie z. B. Kaviar oder sonstige Fisch-oder Fleischspezialitäten auf. Ebenso mag das Musikpro-gramm zwar unterhaltend gewesen sein, war aber letztlichnicht von kulturellen Spitzenleistungen im Rahmen einersteuerlich nicht mehr berücksichtigungsfähigen Repräsen-tationsveranstaltung getragen. Dass allein die Höhe derAufwendungen pro Person kein Abzugsverbot begründet,ergibt sich auch aus einem Vergleich mit der Freigrenzebzw. dem Freibetrag für Betriebsveranstaltungen, der bei110 € pro Teilnehmer liegt (§ 19 Abs. 1 Nr. 1a EStG abVZ 2015; für die Rechtslage davor s. Krüger in Schmidt,EStG, 33. Aufl., § 19 Rz. 100: Freigrenze von 110 € je Teil-nehmer). Diese wertende Betrachtung der Höhe der Auf-wendungen steht ebenfalls einem Abzugsverbot nach § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG wegen Unangemessenheit entge-gen.

Aufteilungs- und Abzugsverbot gem. § 12 Nr. 1 EStGsteht teilweisem Abzug nicht entgegen

26 Ob Aufwendungen vollständig als BA abziehbar sind,hängt von den Gründen ab, inwieweit die Aufwendungenin wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Einkunftsartstehen. Die Gründe bilden das auslösende Moment, dasden Steuerpflichtigen bewogen hat, die BA zu tragen.Dabei kommt dem Steuerpflichtigen eine umfassende Dar-legungs- und Nachweispflicht zu. Diese Gründe sindanhand der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfallszu ermitteln. Lassen sich keine Gründe feststellen, die eineberufliche Veranlassung belegen, gehen entsprechendeZweifel zu Lasten des Steuerpflichtigen Dabei steht eineunbedeutende private Mitveranlassung dem vollständigenAbzug von BA nicht entgegen. Umgekehrt eröffnet einenur unbedeutende berufliche oder betriebliche Mitveran-lassung von Aufwendungen für die Lebensführung keinenBA-Abzug (BFH-Urteil vom 7. 5. 2013 VIII R 51/10, BFHE241, 360, BStBl II 2013, 808).

27 Nicht entscheidend ist, inwieweit die Veranstaltungder Herrenabende mit dem Gebot der Zurückhaltung inder Werbung für RAe nach § 43b BRAO zu vereinbaren ist(arg. § 40 AO). Es verstößt nicht gegen die allgemeinenBerufspflichten nach § 43 BRAO, auch Personen, zu denenkein mandantschaftliches Verhältnis besteht, zu Infor-mationsveranstaltungen einzuladen, bei denen ein kosten-loser Imbiss gereicht wird (so BGH-Urteil vom 1. 3. 2001I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, unter teilweiser Aufgabe desBGH-Urteils vom 4. 7. 1991 I ZR 2/90, BGHZ 115, 105).

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24 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 7

28 Nach der Rspr. des BFH, der der Senat folgt, steht § 12Nr. 1 Satz 2 EStG einer Aufteilung von gemischt veranlass-ten, aber anhand ihrer beruflichen und privaten Anteiletrennbaren Kosten nicht entgegen. Der Große Senat ist derAuffassung, dass § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG kein allgemeinesAufteilungs- und Abzugsverbot normiert. Greifen die – fürsich gesehen jeweils nicht unbedeutenden – beruflichenund privaten Veranlassungsbeiträge (z. B. bei einer beruf-lich/privaten Doppelmotivation) so ineinander, dass eineTrennung nicht möglich ist, fehlt es also an objektivierba-ren Kriterien für eine Aufteilung, so kommt ein Abzug derAufwendungen insgesamt nicht in Betracht (vgl. zum Gan-zen BFH-Beschluss vom 21. 9. 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1,BStBl II 2010, 672). Bestehen dagegen nach Ausschöpfungder im Einzelfall angezeigten Ermittlungsmaßnahmenkeine gewichtigen Zweifel daran, dass ein abgrenzbarerTeil der Aufwendungen beruflich veranlasst ist, bereitetseine Qualifizierung aber Schwierigkeiten, so ist dieser An-teil unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umständezu schätzen (§ 162 AO, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Berufliche Veranlassung hinsichtlich der Einladung vonMandanten gegeben, dem Umfang nach allerdings nurmittels Schätzung bestimmbar

29 Für die danach erforderliche Beurteilung, ob die Auf-wendungen beruflich oder privat veranlasst sind, ist inerster Linie auf den Anlass der Veranstaltung abzustellen.Indes ist der Anlass einer Feier nur ein erhebliches Indiz,nicht aber das allein entscheidende Kriterium für die Beur-teilung der beruflichen oder privaten Veranlassung derAufwendungen. Trotz eines herausgehobenen persönli-chen Ereignisses kann sich aus den übrigen Umständendes Einzelfalls ergeben, dass die Aufwendungen beruflichveranlasst sind. Umgekehrt begründet ein Ereignis in derberuflichen Sphäre allein nicht die Annahme, die Aufwen-dungen seien (nahezu) ausschließlich beruflich veranlasst.Denn auch diese Ereignisse werden häufig im Rahmeneines privaten Festes unter Einschluss befreundeter Man-danten begangen. Ob die Aufwendungen BA sind, istdaher anhand weiterer Kriterien zu beurteilen. So ist vonBedeutung, wer als Gastgeber auftritt, wer die Gästelistebestimmt, ob es sich bei den Gästen um Mandanten,Geschäftsfreunde oder um Angehörige des öffentlichenLebens, der Presse, um Verbandsvertreter oder um privateBekannte oder Angehörige des Steuerpflichtigen handelt.Zu berücksichtigen ist außerdem, an welchem Ort die Ver-anstaltung stattfindet, ob sich die finanziellen Aufwendun-gen im Rahmen vergleichbarer betrieblicher Veranstaltun-gen bewegen und ob das Fest den Charakter einer privatenFeier aufweist oder ob das nicht der Fall ist. Sind Aufwen-dungen für eine Feier gemischt veranlasst, weil daransowohl Gäste aus dem privaten als auch dem beruflichenUmfeld teilgenommen haben, sind die Gesamtkosten antei-lig nach Gästen aufzuteilen. Die auf den einzelnen Gastentfallenden Kosten sind mangels eines objektiven Auftei-lungsmaßstabs zur Gänze entweder der beruflichen oderaber der privaten Sphäre zuzurechnen (so auch BFH-Urteilvom 8. 7. 2015 VI R 46/14, BFHE 250, 392, BStBl II 2015,1013). In Anwendung dieser Grundsätze gelangt der Senatzu der tatrichterlichen Überzeugung, dass die BA für dieHerrenabende hälftig aufzuteilen sind.

30 Aus der von der Klin. angeforderten Gästeliste, dienach den Erläuterungen in der m. V. und dem Vergleichder Einladungszahlen sowie der gelieferten Verpflegungs-einheiten nicht als Anwesenheitsliste den Herrenabendenzugrunde gelegt werden kann, geht hervor, dass insgesamt294 (2006), 321 (2007) und 370 (2008) Einladungen anMan-danten erfolgten, die – wie die Einladungen überhaupt –nicht unbedingt nur Einzelpersonen betrafen. 2006 wur-den 36, 2007 32 und 2008 42 potentielle Neu-Mandanteneingeladen. Die Einladungen aus dem Bereich Geschäfts-kontakte hat die Klin. auf 203 (2006), 234 (2007) und 264(2008) beziffert. Prozentual aufgeteilt ergeben sich Anteile

für Mandanten von jeweils 55 %, von potentiellen Neu-Mandanten von 7 % (2006), 5 % (2007) und 6 % (2008).Der prozentuale Anteil der Geschäftskontakte betrug 38 %(2006), 40 % (2007) und 39 % (2008). Nicht überprüfbarund feststellbar ist, wie viele der Eingeladenen den Ein-ladungen tatsächlich gefolgt sind. Hierüber kann auchdie Zahl der Rückantworten keine verbindliche Auskunftgeben, da sowohl Personen, die ihre Teilnahme zugesagthaben, nicht teilgenommen haben können, als auch Perso-nen ohne vorherige Zusage trotzdem an den Herrenaben-den teilgenommen haben können. Eine Teilnehmer- oderAnwesenheitsliste ist nicht geführt worden und kann daherder Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse nichtzugrunde gelegt werden.

31 Der Senat vermag jedoch nicht der Aufteilung der Klin.nach Teilnehmergruppen in der Weise folgen, dass dieseohne Weiteres beim BA-Abzug zu berücksichtigen sind.

32 Aus den Gästelisten, die in der Bp-Handakte enthaltensind und die zahlenmäßig von den später eingereichtenListen abweichen, ergibt sich, dass auch Mandantenüberwiegend mit ihrem Vornamen in der Einladung(„Lieber ...“) angeredet wurden, und zwar 2006 insgesamt208 von 456 (45,61 %), 2007 insgesamt 230 von 692(33,23%) und 2008 insgesamt 191 von 734 (26%). Daher istnicht sicher auszuschließen, dass auch private/persönlicheMotive (mit) Anlass für ihre Einladung waren. Ebenso hatder Senat Schwierigkeiten, die potentiellen Neu-Mandan-ten zahlenmäßig uneingeschränkt beim BA-Abzug zuberücksichtigen. Konkrete nachvollziehbare Erläuterun-gen, in welchen Fällen tatsächlich eine Mandatierungerfolgt ist, hat die Klin. nicht beigebracht. Die bloße Absichtder Klin., ihren Mandantenstamm zu erweitern, ist für denBA-Abzug allein nicht ausreichend (so auch Stapperfend inHerrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 EStG Rz. 793).

33 Den Gästelisten lässt sich im Übrigen entnehmen, dassals Geschäftskontakte Personen aus den Bereichen Politik,Presse, Wirtschaft, Sport, öffentliches Leben, Vereine ein-geladenworden sind. Die Klin. hat vorgetragen, dass nebenMandanten „selbstverständlich ... wie bei jeder Networ-king-Veranstaltungmaßgebliche Persönlichkeiten aus Ver-waltung, Politik, öffentlichem Leben und Vereinen eingela-den“ wurden. Exemplarisch weist der Senat auf folgendeEinladungen hin (es folgen die Namen der den jeweiligenBereichen zuzuordnenden Personen):

– Politik: ...

– Behörden: ...

– Presse: ...

– Banken: ...

– Sport: ...

– sonstige Vereine etc.: ...

– durch Familienverhältnisse bezeichnet: ...

– Sonstiges: ...

34 Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen er-scheint es dem Senat sachgerecht, den BA-Abzug hälftigzu beschränken. Dies steht auch in Übereinstimmung mitden Bekundungen des Prozessvertreters der Klin. in derm. V. zu Fragen der bei diesen Veranstaltungen zugrundezu legenden Compliance-Regelungen. Er sah wegen desfehlenden betrieblichen Bezugs der Einladungen für dieEingeladenen keine Notwendigkeit, dass diese eine Zu-stimmung des jeweiligen Compliance-Beauftragten vorAnnahme der Einladung hätten einholen oder ihm die Ein-ladungen hätten vorgelegen müssen. Ebenso lässt sich ausden vorgelegten Zeitungsartikeln, die den die Veranstal-tungen ausrichtenden Sozius betreffen, eine private Veran-lassung entsprechend dem Aufteilungsmaßstab entneh-men.

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EFG 2019 Nr. 1 25Entscheidung Nr. 8

Anmerkung

I. Besonderheiten des Streitfalls

Das FG hatte den Abzug der Aufwendungen für die Ver-anstaltungen, die im Garten des Privatgrundstücks einesSozius der Klin. stattfanden, im ersten Rechtsgang voll-ständig versagt. Anlass dafür war der „Eventcharakter“der Veranstaltungen, die – abhängig vom Motto, unterdem die jeweilige Veranstaltung stand – jeweils ein übereine reine Zusammenkunft der Sozien mit ihren Gästenhinausgehendes Programm hatten. Hinzu kam für dasFG der Ausschluss von Frauen von der Teilnahme an denVeranstaltungen (Herrenabende) und das Fehlen berufs-spezifischer Themen, wie sie bei Einladungen etwa zuInformationsveranstaltungen üblich sind, bei denen überneue Rechtsentwicklungen oder Gesetzgebungsvorha-ben berichtet wird, um die besondere Kompetenz derSozietät in diesem Bereich herauszustellen oder Man-danten bzw. mögliche Neu-Mandanten zu rechtzeitigenReaktionen auf sich verändernde rechtliche Rahmenbe-dingungen zu raten. Auch bei solchen Veranstaltungenmag es begleitend zu Bewirtungen kommen, allerdingslediglich auf dem Niveau eines dem Rahmen der Veran-staltung angepassten Imbisses. Das FG hatte deshalb § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG herangezogen und in dieserVorschrift die Rechtsgrundlage für die Abweisung derKlage gesehen.

Dem vermochte sich der BFH (Urteil vom 13. 7. 2016VIII R 26/14, BFHE 255, 7, BStBl II 2017, 161) – zumindestauf der Grundlage der im ersten Rechtsgang getroffenenFeststellungen – nicht anzuschließen. Seiner Ansichtnach gilt das Abzugsverbot nur für solche Aufwendun-gen, die die Lebensführung und die wirtschaftliche undgesellschaftliche Stellung der durch sie begünstigtenGeschäftsfreunde des Steuerpflichtigen berühren. ImStreitfall könne es daher nur einschlägig sein, wenn dieDurchführung der Veranstaltungen die Grenzen desÜblichen überschritten habe und der Einladung derGäste etwa zu einer Jagd, zum Fischen oder auf eineSegel- oder Motorjacht vergleichbar gewesen sei. DieVergleichbarkeit mit den in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStGgenannten Einrichtungen könne sich entweder ausBesonderheiten hinsichtlich des Ortes und Rahmens derVeranstaltung (Beschaffenheit, Lage, Ausstattung) odereinem besonderen qualitativ hochwertigen Unterhal-tungsprogramm am Ort der Veranstaltung ergeben.Allein der Umstand, dass sich pro Herrenabend bis zu358 Personen im Rahmen eines Gartenfestes treffen undaustauschen konnten, reiche nicht aus, um den Herren-abenden einen Charakter beizumessen, der etwa derEinladung zu einer Segelregatta oder Jagdgesellschaftvergleichbar wäre.

II. Die Entscheidung des FG

Durch die – gem. § 126 Abs. 5 FGO für das FG bindende –rechtliche Beurteilung des BFH zeichnete sich bereits vorden im zweiten Rechtsgang noch zu treffenden tatsäch-lichen Feststellungen zum Ablauf und Inhalt der Herren-abende ab, dass eine vollständige Versagung des Abzugsder Aufwendungen als BA nicht mehr in Betracht kom-men würde, weil weder die dargebotene Unterhaltungnoch die Bewirtung ein Niveau erreichten, das die Auf-wendungen zu ihrer Art nach überflüssigen und unange-messenen Repräsentationsausgabenmachten. Von daherstand auch weder § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG nochein anderes BA-Abzugsverbot dem zumindest teilweisenAbzug der Aufwendungen entgegen.

Angesichts der Einschränkung des in § 12 Nr. 1 EStGnormierten Aufteilungs- und Abzugsverbots durch denGroßen Senat des BFH (Beschluss vom 21. 9. 2009GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) stand nachder weiteren Prüfung der betrieblichen Veranlassung der

Veranstaltungen für das FG im zweiten Rechtsgang fest,dass die Aufwendungen teilweise abziehbar waren,nämlich insoweit, als sie auf Mandanten entfielen. Dazugehörte aber nur ein Teil der Gäste. Um insoweit denabziehbaren Teil der Aufwendungen quantifizieren zukönnen, hat das FG eine Schätzung gem. § 96 Abs. 1Satz 1 FGO i. V. m. § 162 Abs. 1 AO vorgenommen: Man-gels Teilnehmerlisten war nicht exakt feststellbar, wel-che der eingeladenen Personen tatsächlich erschienenwaren und damit, wie sich der Kreis der Gäste nachMan-danten einerseits und bloßen Geschäftsfreunden ande-rerseits zusammensetzte.

III. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Das Urteil des FG ist ein Beleg dafür, wie schwer – umnicht zu sagen: wie schlecht – die Berufs- von der Privat-sphäre zu trennen ist. Daran hat auch der zitierte BFH-Beschluss nichts geändert.

Ohne Teilnehmerlisten für die Gäste, die selbstverständ-lich nicht erwartet werden konnten, weil die Teilnahmean den Veranstaltungen im Belieben der Eingeladenenstand, konnte das Gericht den abziehbaren Teil der Auf-wendungen nur nach den für die Einladungsschreibengefertigten Listen von Mandanten und Geschäftsfreun-den schätzen. Dabei war anzunehmen, dass Geschäfts-freunde vermutlich zu einem verhältnismäßig größerenAnteil an den Veranstaltungen teilgenommen hatten,weil diese sich z. T. untereinander kannten und dahererwarten konnten, vertraute Gesprächsteilnehmer zu fin-den. Bei „bloßen“Mandanten, die die Sozietät noch dazuvielleicht schon vor Jahren für eine nur vereinzelte Bera-tung oder Klageerhebung in Anspruch genommen hat-ten, war dies eher weniger zu erwarten.

Bei den Geschäftsfreunden handelte es sich, wie dasFG im Einzelnen dargelegt hat, um Personen des öffent-lichen Lebens aus den Bereichen Politik, Behörden,Presse, Banken, Sport und Vereine. Soweit eine dieserPersonen zugleich konkreter Mandant war, kam zwarder BA-Abzug in Betracht. Auch dies hätte sich jedochohne Vorlage sämtlicher Mandantenakten nicht feststel-len lassen. Das FG ist nach den Namen und Funktionender „Geschäftsfreunde“ eher davon ausgegangen, dassinsoweit ganz allgemein oder gar aus persönlicher Ver-bundenheit (insbesondere in Bereichen wie Sport, Politikoder Vereinen) Kontakte gepflegt werden sollten, so dasses insoweit an einer beruflichenVeranlassung fehlte oderdiese – im Hinblick auf eine starke persönlich-privateMitveranlassung der Einladung – deutlich in den Hinter-grund trat.

IV. Hinweis für die Praxis

Der Sachverhalt erscheint – wie auch das Fehlen veröf-fentlichter Entscheidungen zu vergleichbaren Fällenzeigt – eher singulär. Rechtsanwälte, Notare, Ärzte oderandere Freiberufler, aber auch Gewerbetreibende, die zuInformationsveranstaltungen einladen, um dadurch fürsich zu werben und neue Mandanten, Patienten oderKunden zu gewinnen, müssen deshalb nicht befürchten,dass die Aufwendungen dafür vom FA nicht mehr aner-kannt würden. Ohne Hinweis auf die Einladung auchvon Personen, die aus anderen als eindeutig berufsbezo-genen Gründen eingeladen werden, wird weder die Ver-anlagungsstelle noch die Bp die Aufwendungen einerkritischen Würdigung unterziehen.

Vorsitzender Richter am FG Dr. Dirk Wüllenkemper

8 Überentnahmen bei Einnahmenüberschuss-rechnern

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. 10. 2018 5 K 1034/16 –Rev. eingelegt (Az. des BFH: VIII R 38/18).

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26 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 8

Überentnahmen liegen bei Einnahmenüberschussrech-nern vor, wenn die Entnahmen imWj. den Gewinn und dieEinlagen übersteigen. Bei Einnahmenüberschussrechnernist für das Vorliegen von Überentnahmen irrelevant, obdas Eigenkapital aufgebraucht ist.

EStG § 4 Abs. 4a Satz 6 i. V. m. Satz 1 bis 5.

1–21 Der Kl. ist Architekt und erzielte in den Streitjahren(2010, 2011 und 2013) Einkünfte aus selbständiger Arbeit.Seinen Gewinn ermittelte er durch Einnahmenüberschuss-rechnung. Selbst unter Mitwirkung der Beteiligten konntendie Gewinne, Einlagen und Entnahmen der Jahre vor 2003infolge des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen nicht mehrermittelt werden. Von 2003 bis 2013 ergaben sich folgendeGewinne, Einlagen und Entnahmen in Euro (Überentnah-men [ÜE] sind mit „–“, Unterentnahmen [UE] mit „+“gekennzeichnet.):

Jahr I. Ge- II. Ein- Summe Ent- ÜE/UE Schuld-winn lage I. + II. nahme zins lt.

Bekl.2003 171 211 119 614 290 825 342 345 – 51 520 2 9402004 163 412 36 003 199 415 148 129 + 51 286 7 0802005 63 818 10 800 74 618 160 522 – 85 904 1 9582006 69 870 64 500 134 370 138 075 – 3 705 10 5032007 172 635 95 690 268 325 217 974 + 50 351 4 4112008 141 162 95 232 236 394 185 988 + 50 406 1 4732009 245 213 87 095 332 308 438 828 – 106 520 7 8642010 222 257 49 800 272 057 253 088 + 18 969 2 3092011 99 793 59 696 159 488 217 329 – 57 840 6 2262012 158 957 50 894 209 851 254 734 – 44 883 1 1472013 211 356 40 520 251 876 215 705 + 36 171 4 414

Zur Finanzierung von AK und HK von Wirtschaftsgüterndes Anlagevermögens erklärte der Kl. Schuldzinsen i. H. v.894 € (2010), von 463 € (2011) und von 1 029 € (2013).

Nach den vom Kl. für die Jahre 2010, 2011 und 2013 einge-reichten Feststellungserklärungen ergingen zunächst Fest-stellungsbescheide, in denen der Bekl. die Einkünfte desKl. aus selbständiger Arbeit und die nicht abziehbarenSchuldzinsen feststellte. Die Bescheide ergingen unter Vor-behalt der Nachprüfung.

Sodann bemerkte der Bekl., dass die Berechnungen dernicht abziehbaren Schuldzinsen für Überentnahmen fehler-haft gewesen seien. Infolgedessen ergingen im August2015 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Feststellungsbe-scheide. Der Bekl. stellte Gewinne des Kl. i. H. v. 224 566 €(2010), i. H. v. 103 506 € (2011) und i. H. v. 212 692 € (2013)fest. Die Bescheide ergingen endgültig.

Aus den Gründen:

22 Die Klage hat keinen Erfolg. ... Die sinngemäßeAnwendung des § 4 Abs. 4a Satz 1 bis 5 EStG beim Kl., derseinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, gibt vor,dass eine Überentnahme bereits dann vorliegt, wenn dieEntnahmen den Gewinn zzgl. der Einlagen des Wj. über-schreiten ...

Der im Rahmen des § 4 Abs. 3 EStG sinngemäß anzuwen-dende § 4 Abs. 4a EStG

23–25 ... Nach § 4 Abs. 4a EStG sind Schuldzinsen nachMaßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überent-nahmen getätigt worden sind. Eine Übernahme ist derBetrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinnsund der Einlagen des Wj. übersteigen. Die nicht abziehba-ren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überent-nahme des Wj. zzgl. der Überentnahmen vorangegangenerWj. und abzgl. der Beträge, um die in den vorangegange-nenWj. der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen über-stiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt; bei der Ermitt-lung der Überentnahme ist vomGewinn ohne Berücksichti-gung der nachMaßgabe dieses Absatzes nicht abziehbaren

Schuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Be-trag, höchstens jedoch der um 2 050 € verminderte Betragder imWj. angefallenen Schuldzinsen, ist demGewinn hin-zuzurechnen. Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehenzur Finanzierung von AK oder HK von Wirtschaftsgüterndes Anlagevermögens bleibt unberührt. Die Sätze 1 bis 5sind bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sinn-gemäß anzuwenden; hierzu sind Entnahmen und Einlagengesondert aufzuzeichnen ...

Periodenübergreifende Berechnung ...

26 ... Der BFH (hat) entschieden (Urteil vom 14. 3. 2018X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744), dass dieBemessungsgrundlage der nichtabziehbaren Schuldzinsenaller in die Berechnung einzubeziehenden Wj. (der Total-periode) ab dem nach dem 31. 12. 1998 endenden Wj. biszum aktuellen Wj. entspricht. Hierbei ist auch eine Unter-entnahme im aktuellen Wj. mit zu berücksichtigen. Sodannentwickelt der BFH aufgrund der periodenübergreifendenBetrachtung die Berechnungsweise von Über- und Unter-entnahmen und bezieht „Verluste“, die gem. § 4 Abs. 1Satz 1 EStG begrifflich ebenfalls (negative) Gewinne dar-stellen, in die periodenübergreifende Berechnung vonÜber- und Unterentnahmen ein.

27 ... Unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom21. 9. 2005 X R 47/03 (BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504)und vom 17. 8. 2010 VIII R 42/07 (BFHE 230, 424, BStBl II2010, 1041, Rz. 18) führt der BFH aus, dass der Schuldzin-senabzug nur für den Fall eingeschränkt werden soll, dassder Steuerpflichtige mehr entnimmt als ihm hierfür anEigenkapital zur Verfügung steht. Dem widerspräche es,wenn Schuldzinsen allein deshalb unter dem Gesichts-punkt der „Überentnahme“ nicht abziehbar wären, weilder Steuerpflichtige einen Verlust erwirtschaftet hat, insbe-sondere dann, wenn er niemals eine Entnahme getätigt hat.Der auf dem Eigenkapitalmodell basierende § 4 Abs. 4aEStG will den Schuldzinsenabzug nur für den Fall ein-schränken, dass der Steuerpflichtige mehr entnimmt alsihm hierfür an Eigenkapital zur Verfügung steht (vgl. BFH-Urteil vom 14. 3. 2018 X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II2018, 744, Rz. 23). ... Wie § 4 Abs. 4a EStG in Fällen, indenen der Steuerpflichtige aufgrund der von ihm gewähl-ten Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG kein Eigenka-pital ausweist, zu behandeln ist, hat der BFH in seinemUrteil vom 14. 3. 2018 X R 17/16 (BFHE 261, 273, BStBl II2018, 744) nicht entschieden. Im Urteil vom 17. 8. 2010VIII R 42/07 (BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041) hat erjedoch ausgeführt, dass § 4 Abs. 4a EStG bei der Gewinner-mittlung nach § 4 Abs. 1 EStG und nach § 4 Abs. 3 EStGnicht stets zu gleichen Ergebnissen führen muss und hathervorgehoben, dass es im Fall eines Wahlrechts zwischenden Gewinnermittlungsarten dem Steuerpflichtigen ob-liegt, das für ihn günstige Verfahren zu wählen (BFH-Urteilvom 17. 8. 2010 VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010,1041, Rz. 21).

... als wesensprägendes Merkmal des § 4 Abs. 4a EStG

28 Jedoch führt der BFH im Urteil vom 14. 3. 2018X R 17/16 (BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744) weiter aus,dass die Beschränkung des Schuldzinsenabzugs perioden-übergreifend angelegt ist. Schuldzinsen sind solange nichtabziehbar, bis die Überentnahmen durch positive Gewinneund Einlagen wieder ausgeglichen sind. Dies folgt aus demGrundtatbestand des § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG („Überent-nahmen“), insbesondere aus der Berechnungsvorschriftdes § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG. So können Schuldzinsen nach§ 4 Abs. 4a EStG in einem Wj. u. U. selbst dann nichtabziehbar sein, wenn in diesem Jahr keine Überentnahmezu verzeichnen ist. Da Bemessungsgrundlage der nichtabziehbaren Schuldzinsen (vorbehaltlich des Satzes 4) dieSumme der alljährlich zu ermittelnden Über- und Unterent-nahmen von 1999 bis zumBeurteilungszeitraum ist, könnendie nicht abziehbaren Schuldzinsen auch ausschließlich

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EFG 2019 Nr. 1 27Entscheidung Nr. 8

auf Überentnahmen früherer Jahre beruhen. Die perioden-übergreifende Berechnung ist damit wesensprägendesMerkmal des § 4 Abs. 4a EStG (vgl. BFH-Urteil 14. 3. 2018X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, Rz. 28). § 4Abs. 4a Satz 3 EStG ordnet ausdrücklich die Addition sämt-licher Über- und Unterentnahmen aller relevanten Jahrean. ...

29 Die ... dargestellten Grundsätze für das einzelne Ver-lustjahr sind folgerichtig fortzuführen und auf die Total-periode anzuwenden. Das bedeutet, dass die als Bemes-sungsgrundlage i. S. des § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG anzuset-zende kumulierte Überentnahme nicht höher sein darf alsdie Entnahme der Totalperiode und auch nicht höher alsdie Differenz zwischen allen Entnahmen und Einlagen derTotalperiode. Deshalb sind sowohl die Entnahmen als auchdie Einlagen der Totalperiode zu addieren. Die Bemes-sungsgrundlage ist auf den Entnahmeüberschuss diesesgesamten Zeitraumes zu begrenzen. Ist der so ermittelteWert geringer als die kumulierten Überentnahmen derJahre ab 1999, sind die nicht abziehbaren Schuldzinsenaufgrund dieses Werts zu ermitteln. Auf diese Weise wirdsichergestellt, dass ein in der Totalperiode erwirtschafteterVerlust die Bemessungsgrundlage für die nicht abzieh-baren Schuldzinsen nicht erhöht (vgl. BFH-Urteil vom14. 3. 2018 X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744,Rz. 34 und 35).

Rechtsgrundsätze zu Überentnahmen beim Betriebsver-mögensvergleich auch auf Einnahmenüberschussrechneranzuwenden

30–31 ... Nach der höchstrichterlich vorgegebenen zwei-stufigen Prüfung des Schuldzinsenabzugs handelt es sichim Streitfall nicht um deshalb der Privatsphäre zuzuord-nende Schuldzinsen, weil sie der Finanzierung außerbe-trieblicher Zwecke dienen (1. Stufe), sondern um gem. § 4Abs. 4 EStG betrieblich veranlasste Schuldzinsen, beidenen auf der 2. Stufe zu prüfen ist, ob sie auf Überentnah-men beruhen und daher nach § 4 Abs. 4a EStG nichtabziehbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 21. 9. 2005 X R 47/03,BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504). ...

32–33 ... Der Senat geht weiter davon aus, dass die vomBFH mit Urteil vom 14. 3. 2018 zur Gewinnermittlung nach§ 4Abs. 1 EStG entwickeltenGrundsätze zur periodenüber-greifenden Berechnung von Über- und Unterentnahmengelten auch, wenn der Steuerpflichtige seinen Gewinngem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Die vom BFH zu § 4 Abs. 1EStG herausgearbeiteten Maßstäbe zur periodenübergrei-fenden Berechnung sind sinngemäß unter Beachtung derBesonderheiten der Gewinnermittlungsmethode der Ein-nahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG aufdiese zu übertragen. ...

Besonderheiten bei periodenübergreifender Berechnungder Über- und Unterentnahmen

34 ... Zur Überzeugung des Senats liegt bei der Einnah-menüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG bei durch-gängig erzielten Jahresüberschüssen eine Überentnahmebereits dann vor, wenn nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 4aSatz 2 EStG die Entnahme eines Wj. höher ist, als dieSumme des Gewinns und der Einlagen. Im Gegensatz zumBestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG kann es in Erman-gelung einer Bilanz bei § 4 Abs. 3 EStG keine Korrekturdadurch geben, dass der in ihr ausgewiesene Bestand vor-handenen Eigenkapitals höher ist, als die im maßgeblichenVeranlagungsjahr erfolgte Überentnahme bzw. die Summeder bis dahin erfolgten Überentnahmen abzgl. von Unter-entnahmen.

35 ... Nach demWortlaut von § 4 Abs. 4a Satz 6 Halbsatz 2EStG, der bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStGvom Steuerpflichtigen nur die gesonderte Aufzeichnungvon Entnahmen und Einlagen fordert, kann im Gegensatzzur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG und entgegender vomKl. vertretenen Auffassung kein (fiktives) Eigenka-

pital basierend auf einer Simulationsbilanz berücksichtigtwerden, um die Höhe der in denWj. als Bemessungsgrund-lage zu bestimmenden Überentnahmen zu überprüfen undes kann nicht erst von Überentnahmen ausgegangen wer-den, wenn vorhandenes Eigenkapital aufgebraucht ist.Grund dafür ist, dass im Rahmen der Einnahmenüber-schussrechnung vom Steuerpflichtigen kein Eigenkapitalauszuweisen ist.

36 ... § 4 Abs. 4a Satz 6 EStG gibt – wie dargelegt – die„sinngemäße“ Anwendung von § 4 Abs. 4a Satz 1 bis 5EStG vor. Ist das vorhandene Betriebsvermögen des Steuer-pflichtigen aufgrund der von ihm gewähltenGewinnermitt-lungsart nach § 4 Abs. 3 EStG nicht im Form einer Eröff-nungsbilanz und von stichtagsbezogenen Folgebilanzenauszuweisen, können die periodenübergreifend zu berech-nenden Überentnahmen in den jeweiligen Veranlagungs-jahren nicht wie bei § 4 Abs. 1 EStG entfallen, weil dieÜberentnahmen im Rahmen des vorhandenen Eigenkapi-tals liegen.

37 Insoweit verfängt der Einwand des Kl. nicht, die maxi-male Höhe der Überentnahmen 2010, 2011 und 2013 seiauf der Grundlage des zum 31. 12. 2009/1. 1. 2010 anzuset-zenden negativen Eigenkapitals i. H. v. – 47 505 € zuberechnen. Seinem Gedanken folgend verkennt derBevollmächtigte des Klägers, dass es sich hierbei nicht umeinen statischen Wert handeln kann, sondern dass auchdieser Betrag – auchwenn er nachÜberzeugung des Senatsim Rahmen des § 4 Abs. 3 EStG nicht angesetzt werdenkann – in jedem der Streitjahre neu zu berechnen wäre.

38 Zudem zeigt die vom Kl. zum 31. 12. 2010 hergeleiteteBilanz, dass im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4Abs. 3 EStG nicht zu berücksichtigende Werte (aus Forde-rungen aus Lieferungen und Leistungen und Verbindlich-keiten) angesetzt werden. Dies verdeutlicht, dass der Kl.bei der von ihm gewählten und dem Zu- und Abflussprinzipnach § 11 EStG folgenden Gewinnermittlung nach § 4Abs. 3 EStG Elemente des Betriebsvermögensvergleichsgem. § 4 Abs. 1 EStG berücksichtigt wissen will. Folgteman dieser Betrachtungsweise, würden die systematischenund vom Gesetzgeber vorgegebenen Unterschiede derGewinnermittlungsarten nach § 4 Abs. 3 EStG und nach§ 4 Abs. 1 EStG aufgebrochen.

39 ... Der Steuerpflichtige, der anstelle des Bestandsver-gleichs zur Ermittlung seines Gewinns die Einnahmenüber-schussrechnung wählt (vgl. BFH-Urteil vom 17. 8. 2010VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041), verzichtet(freiwillig) auf den ansonsten erforderlichen Ausweis vonEigen- und Fremdkapital in der Eröffnungsbilanz und denstichtagsbezogenen Folgebilanzen. Demzufolge kann er imRahmen des § 4 Abs. 4a Satz 6 EStG nicht vorbringen,dass die von ihm getätigten Entnahmen sein vorhandenesEigenkapital nicht aufgebraucht haben. Er kann auch nichtin Gestalt einer fiktiven Eigenkapitalermittlung die nach§ 4 Abs. 4a Satz 6 i. V. m. Satz 2 EStG zu berechnen-den Überentnahmen entsprechend der Gewinnermittlungdurch Bestandsvergleich beseitigen. Dies widerspricht dergesetzlichen Vorgabe der sinngemäßen Anwendung des§ 4 Abs. 4a Satz 1 bis 5 EStG und der Gewinnermittlungnach § 4 Abs. 3 EStG, die imWesentlichen das Zufluss- undAbflussprinzip nach § 11 Abs. 1 EStG umsetzt und geradeauf den Bestandsvergleich, der Jahresabschlüsse erfordert,verzichtet (vgl. Horschitz/Groß/Weidner/Fanck in Bilanz-steuerrecht und Buchführung, 10. Aufl., 70, „3.3.3. Unter-schiede zum Bestandsvergleich“, „Die Überschussrech-nung verzichtet grundsätzlich auf den Vergleich vonBeständen und begnügt sich mit dem Saldo der Geldbewe-gungen; Beckscher Bilanzkommentar, Handels-/Steuer-recht, § 241a HGB, S. 53 Rz. 7 „... die ... Einnahmenüber-schussrechnung gibt keine Information über das Vermögenvor.“).

40 ... Aufgrund der Unterschiede der Gewinnermittlungs-arten gem. § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG ist die unter-

Page 32: Entscheidungen der Finanzgerichte - Stollfuß Medien · 2019. 2. 12. · Bei Entscheidungen, von denen bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist, dass sie rechtskräftig sind, ist die

28 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 8

schiedliche Behandlung der Überentnahmen bei § 4 Abs. 1EStG einerseits und bei § 4 Abs. 3 EStG andererseits auchunter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten nach Art. 3Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt, zumal das BVerfG dieExistenz der unterschiedlichen einkommensteuerrechtli-chen Gewinnermittlungsvorschriften bislang nicht in Fragegestellt hat (vgl. Bode in NWB Praxishandbuch Bilanz-steuerrecht, 2. Aufl., S. 605, Rz. 2666, mit Rspr.-Nachwei-sen). Während die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStGdie Grundform darstellt (Bode in NWB PraxishandbuchBilanzsteuerrecht, 2. Aufl., S. 605, Rz. 2666), handelt es sichbei § 4 Abs. 3 EStG um die vereinfachte Art der Gewinner-mittlung. Das Betriebsergebnis der jeweiligen Berech-nungsperiode nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ist aufgrunddes Überschusses der Betriebseinnahmen über die BA zubestimmen (vgl. Wied in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4EStG Rz. 153).

41 Die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3EStG verzichtet bewusst auf die Erstellung von Bilanzen,um denGewinn durch die Geldzu- und -abgänge perioden-gerecht zu bestimmen. Dies ist i. S. des Art. 3 Abs. 1 GGder Grund, der auch die unterschiedliche Behandlung derÜberentnahmen im Rahmen des § 4 Abs. 1 EStG und des§ 4 Abs. 3 EStG, bei dem es für die Qualifikation als Über-entnahme allein darauf ankommt, dass die Entnahmen dieSumme von Gewinn und Einlagen im jeweiligen VZ über-steigen, sachlich rechtfertigt.

42 ... Will der Steuerpflichtige die Rechtsfolge der sinnge-mäßen Anwendung des § 4 Abs. 4a Satz 1 bis 5 EStG beiden jährlich zu berechnenden Überentnahmen nach § 4Abs. 4a Satz 2 EStG vermeiden, steht es ihm frei, von derGewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu § 4 Abs. 1 EStGüberzugehen und den Bestand an Eigenkapital durch diesodann zu erstellende Bilanz stichtagsbezogen zu doku-mentieren. Hinzu kommt, dass § 4 Abs. 3 EStG zwar einevereinfachte Abschnittsgewinnermittlung ermöglicht, dassjedoch – wie beim Bestandsvergleich – auch bei der Ein-nahmenüberschussrechnung das Postulat der Identität desTotalgewinns vom Beginn bis zum Ende des Betriebsbesteht und dass zudem der Steuerpflichtige spätestens beider Veräußerung oder Aufgabe der betrieblichen Tätigkeitvon der Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG zurGewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG überzugehen hat(vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 35. Aufl., § 4 Rz. 668).Auch dies dient dem Ziel, die Totalgewinngleichheit zwi-schen den Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 1 und Abs. 3EStG herzustellen. Übersteigt das in der infolge des Wech-sels zu erstellenden Eröffnungsbilanz ausgewiesene Eigen-kapital die Überentnahme des Wj. und der periodenüber-greifend ermittelten Überentnahmen der Totalgewinnperi-ode, findet spätestens beimWechsel von § 4 Abs. 3 EStG zu§ 4 Abs. 1 EStG die Angleichung an die Gewinnermittlungdurch Bestandsvergleich statt.

43 ... Will der Steuerpflichtige, der seinen Gewinn gem.§ 4 Abs. 3 EStG ermittelt, erreichen, dass die in den Veran-lagungsjahren angesetzten kumulierten Über-/Unterent-nahmen und die hinzugerechneten nicht abziehbarenSchuldzinsen bei der Betriebsbeendigung/-aufgabe imHinblick auf den dann zwingend vorzunehmenden Wech-sel von § 4 Abs. 3 EStG zu § 4 Abs. 1 EStG und das dannin der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital überprüft werden,steht es ihm frei, auf die Vorläufigkeit der Bescheide gem.§ 165 Abs. 1 AO hinzuwirken (vgl. Seer in Tipke/Kruse,AO/FGO, § 165 AO Rz. 53).

44 ... Soweit sich der Kl. in seiner Klagebegründung aufdie BFH-Urteile vom 21. 9. 2005 X R 47/03 (BFHE 211, 227,BStBl II 2006, 504), X R 40/02 (BFH/NV 2006, 512) und vom17. 8. 2010 VIII R 42/07 (BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041)berufen hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Steuerpflichti-gen in den vom BFH entschiedenen Fällen ihre Gewinnestets durch Bestandsvergleich gem. § 4 Abs. 1 EStG ermit-telt haben.

Anwendung der Rechtsgrundsätze im Streitfall

45–46 Mangels (noch) vorhandener Aufzeichnungen inden Jahren 2000 bis 2002 geht das Gericht davon aus, dassdie Über- und Unterentnahmen in diesen Jahren mit nullanzusetzen sind, zumal in der vorgelegten Bp-BerichtsakteimWirtschaftsjahr 2002 alleWertemit 0 € angesetzt wordensind ... Beginnend mit der Überentnahme des Klägers imJahr 2003 ergeben sich periodenübergreifend bis zumStreitjahr 2013 folgende betragsmäßig kumulierte Überent-nahmen (in Euro):

Jahr Überentnahme (–) Unterentnahme (+)2003 – 51 5202004 – 234 + 51 2862005 – 86 1382006 – 89 8432007 – 39 492 + 50 3512008 + 9 914 + 50 4062009 – 95 6062010 – 76 637 + 18 9692011 – 134 4772012 – 179 3602013 – 143 189

47 ... (Hiernach ergeben sich) hinzuzurechnende Schuld-zinsen i. H. v. 4 598 € (2010), von 8 068 € (2011) und von8 591 € (2013). Sie liegen betragsmäßig über den vomBekl. hinzugerechneten Schuldzinsen (2 309 € [2010],6 226 € [2011] und 4 414 € [2013]). Sie liegen betragsmäßigüber den vom Beklagten hinzugerechneten Schuldzinsen(2 309 € [2010], 6 226 € [2011] und 4 414 € [2013]), so dasses aufgrund des Verböserungsverbots bei diesen zu ver-bleiben hat.

48 Die Schuldzinsen des Kl. zur Finanzierung von Wirt-schaftsgütern des Anlagevermögens sind zwar zu berück-sichtigen gewesen. Jedoch haben die tatsächlich für dieÜberentnahmen 2010, 2011 und 2013 angefallenen Schuld-zinsen abzgl. der für die Wirtschaftsgüter des Anlagever-mögens angefallenen Schuldzinsen oberhalb der vom Bekl.angesetzten Schuldzinsen für die Überentnahmen gele-gen ... Auch unter Berücksichtigung des sinngemäß anzu-wendenden § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG ergibt sich hiernachkeine Änderung der vom Bekl. hinzugerechneten nichtabziehbaren Schuldzinsen.

49–50 ... Nach der vom BFH weiter vorgegebenen Kon-trollrechnung darf die Bemessungsgrundlage i. S. des § 4Abs. 4a Satz 3 EStG der zunächst kumuliert zu berechnen-den Überentnahme nicht höher sein als die Entnahme derTotalperiode und auch nicht höher als die Differenz zwi-schen allen Entnahmen und Einlagen der Totalperiode.Deshalb sind sowohl die Entnahmen als auch die Einlagender Totalperiode zu addieren und die Bemessungsgrund-lage ist auf den Entnahmeüberschuss dieses gesamten Zeit-raums zu begrenzen. Hieraus ergibt sich folgende Berech-nung (in Euro):

Jahr Entnahme Einlage2003 342 345 119 6142004 148 129 36 0032005 160 522 10 8002006 138 075 64 5002007 217 974 95 6902008 185 988 95 2322009 438 828 87 0952010 253 088 49 8002011 217 329 59 6962012 254 734 50 8942013 215 705 40 520Summen: 2 428 717 709 844

Differenz (Entnahmen abzgl. Einlagen): 1 718 873 €.

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EFG 2019 Nr. 1 29Entscheidung Nr. 9

51 Hiernach ergäbe sich ein Entnahmeüberschuss von1 718 873 € als Bemessungsgrundlage. Die nicht abziehba-ren Schuldzinsen belaufen sich hiernach auf 103 132 € ...Demgegenüber beläuft sich die Summe der vom Bekl.angesetzten nichtabziehbaren Schuldzinsen von 2003 bis2013 auf 50 325 €. Demnach ist die ... Berechnung im Streit-fall nicht nochmals nach den Vorgaben des BFH ... zu korri-gieren ...

52 ... Das Gericht hat die Revision zur Fortbildung desRechts gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen. Es ist bereitshöchstrichterlich klärungsbedürftig, ob die Entscheidungdes BFH zu § 4 Abs. 4a EStG (BFH-Urteil vom 14. 3. 2018X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744), die einenSteuerpflichtigen betraf, der seinen Gewinn durch Be-standsvergleich gem. § 4 Abs. 1 EStG ermittelte, gleicher-maßen im Fall der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStGanzuwenden ist und dazu führt, dass eine Überentnahmebei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn nach § 4Abs. 3 EStG ermittelt, dann nicht vorliegt, wenn er übergenügend „Eigenkapital“ verfügt, obwohl er dies in keinerBilanz ausweisen muss.

Anmerkung

Das FG hatte zu entscheiden, ob der Bekl. für die Streit-jahre 2010, 2011 und 2013 bei einem Einnahmenüber-schussrechner zutreffend Überentnahmen angenommenund nicht abziehbare Schuldzinsen als BA hinzugerech-net hat.

Mit Urteil vom 14. 3. 2018 X R 17/16 (BFHE 261, 273,BStBl II 2018, 744) hat der BFH unter Bezugnahmeauf vorangegangene Entscheidungen (BFH-Urteile vom21. 9. 2005 X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504;vom 17. 8. 2010 VIII R 42/07 BFHE 230, 424, BStBl II 2010,1041) im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1EStG daran festgehalten, dass § 4 Abs. 4a EStG denBetriebsausgabenabzug einschränkt, sofern die Summeder Entnahmen die Summe aus angesammelten Gewin-nen und Einlagen, also das gesamte in der Bilanz ausge-wiesene Eigenkapital übersteigt. Mit der Fassung des § 4Abs. 4a EStG entschied sich der Gesetzgeber für dasEigenkapitalmodell, wonach der Betriebsinhaber demBetrieb bei negativem Eigenkapital nicht mehr Mittel alserwirtschaftet und eingelegt entziehen soll (BFH-Urteilvom 17. 8. 2010 VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II2010, 1041).

Für die Einnahmenüberschussrechnung gibt § 4 Abs. 4aSatz 6 EStG die sinngemäße Anwendung des § 4 Abs. 4aSatz 1 bis 5 EStG vor. Das FG ist davon ausgegangen,dass die periodenübergreifende Berechnung sowohl bei§ 4 Abs. 1 EStG als auch bei § 4 Abs. 3 EStG wesensprä-gendes Merkmal des § 4 Abs. 4a EStG ist. Anders alsbeim Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStGliegt nach Auffassung des FG bei der Gewinnermittlunggemäß § 4 Abs. 3 EStG nicht erst dann eine Überent-nahme vor, wenn das vorhandene Eigenkapital vollstän-dig aufgebraucht ist. Vielmehr ist eine solche Überent-nahme schon zu bejahen, wenn die Entnahmen dieSumme aus den Entnahmen und dem Gewinn des Steu-erpflichtigen im jeweiligen Wj. übersteigen. Dies ergibtsich aus der sinngemäßen Anwendung der Sätze 1 bis 5des § 4 Abs. 4a EStG sowie aus der Systematik derGewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, bei der nichtbilanziert wird und infolgedessen kein Eigenkapital aus-zuweisen ist. Eine andere Betrachtungsweise würde diesystematische Unterscheidung der Gewinnermittlungs-arten nach § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG aufbrechen.

Für die Finanzbehörden, die Steuerpflichtigen und dieGerichte ergibt sich das Problem, dass nach dem BFH-Urteil vom 14. 3. 2018 X R 17/16 (BFHE 261, 273, BStBl II2018, 744) sowohl bei § 4 Abs. 1 EStG als auch bei § 4

Abs. 3 EStG (sofern die periodenübergreifende Berech-nung auch bei § 4 Abs. 3 EStG wesensprägendes Merk-mal ist) vom Jahr 1999 an bis in das jeweilige Streitjahrperiodenübergreifende Feststellungen zu treffen seinwerden, um – ungeachtet von im Streitfall nicht zuberücksichtigenden Verlusten – die Höhe der Über- bzw.Unterentnahmen des jeweiligen Streitjahres genau zubestimmen.

Das FG hat die Revision zur Fortbildung des Rechts zu-gelassen, damit der BFH klären kann, ob zum einendie periodenübergreifende Betrachtung sowohl bei § 4Abs. 1 EStG als auch bei § 4 Abs. 3 EStG Gültigkeit hatsowie zum anderen ob das FG die im BFH-Urteil vom14. 3. 2018 X R 17/16 (BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744)zu § 4 Abs. 1 EStG zum Verbrauch des EigenkapitalsaufgestelltenGrundsätze bei der Gewinnermittlung gem.§ 4 Abs. 3 EStG zu Recht nicht angewendet hat.

Richter am FG Ralf Riehl

9 Aufwendungen für Geländeverfüllung alsHK für auf den gewonnenen Flächen errich-tete Bauwerke

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. 9. 2018 6 K 1856/15 –Rev. eingelegt (Az. des BFH: IV R 33/18).

1. Aufwendungen für eine Geländeverfüllung können HKdes auf den gewonnenen Flächen errichteten Bauwerks(Gebäude, Betriebsvorrichtung oder Außenanlage) sein,wenn ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhangmit der gewählten Art der Bebauung und der beabsichtig-ten betrieblichen Nutzung besteht.

2. Die in Spundwandbauweise errichtete Kaimauer unddie Geländeverfüllung bilden eine Einheit mit der Folge,dass die HK einheitlich auf die betriebsgewöhnliche Nut-zungsdauer der Spundwand abzuschreiben sind.

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1; ErbbauRG § 12 Abs. 1Satz 1; BGB § 94 Abs. 1 Satz 1.

1–36 Die Klin. betreibt in der Rechtsform einer GmbH &Co. KG einen Containerterminal, der sukzessive um zweiSchiffsliegeplätze erweitert wurde. Aufgrund der örtlichenGegebenheiten mussten die für die Errichtung weitererContainerkrananlagen und die Erweiterung der vorhande-nen Lager- und Umschlagflächen und Gleisanlagen vorge-sehenen Flächen, an denen zugunsten der Klin. ein Erbbau-recht mit einer Laufzeit bis zum 31. 12. 2075 bestellt warund bei denen es sich im Wesentlichen um Wasserflächenhandelte, zunächst durch Geländeverfüllung nutzbar ge-macht werden. Zu diesem Zweck wurde die vorhandene, inSpundwandbauweise errichtete Kaimauer verlängert unddie dahinter liegenden Flächen mit geeignetem Bodenma-terial aufgefüllt, das zur Sicherung der Tragfähigkeit undzur Verringerung von Setzungen verdichtet wurde. In denGewinnermittlungen der Jahre 2007 bis 2010 nahm dieKlin. sowohl auf die Aufwendungen für die Verlängerungder Spundwand als auch auf die Aufwendungen für dieGeländeverfüllung Abschreibungen auf Grundlage einerNutzungsdauer von 20 Jahren vor. Der Bekl. vertrat, beiden Aufwendungen für die Geländeverfüllung handele essich um HK des Grund und Boden. Da die Klin. als Erbbau-berechtigte jedoch weder zivilrechtliche noch wirtschaft-liche Eigentümerin des Erbbaugrundstücks geworden sei,sei ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden, derentsprechend der vertraglich vereinbarten Dauer des Erb-baurechts erfolgswirksam aufzulösen sei.

Aus den Gründen:

37–38 Die ... Klage hat ... in der Sache Erfolg. ...

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30 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 9

39 Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei denKosten der Geländeverfüllung nicht um Aufwendungen,die demGrunde nach als HK des Grund und Boden anzuse-hen sind. Die Aufwendungen sind vielmehr den HK der inSpundwandbauweise errichteten Kaimauer als Betriebs-vorrichtung zuzuordnen.

Aufwendungen keine HK für Grund und Boden

40 1. Die Aufwendungen für die Geländeverfüllungensind nicht als HK des Grund und Boden zu qualifizieren.

41 a) Zwar können nach der Rspr. des BFH Aufwendun-gen (nachträgliche) HK des Grund und Boden darstellen,die unmittelbar der erstmaligen oder einer wesentlich ver-besserten Nutzung des Grund und Boden dienen (BFH-Urteil vom 27. 1. 1994 IV R 104/92, BFHE 174, 136, BStBl II1994, 512). So wurden HK des Grund und Boden z. B. ange-nommen, wennGrundstücke, z. B. Unland oder ehemaligesStraßengelände, erstmals für die land- und forstwirtschaft-liche Nutzung urbar gemacht wurden (RFH-Urteil vom11. 10. 1939 IV 420/39, RStBl 1940, 28; vgl. auch BFH-Urteile vom 26. 6. 1975 IV R 66/72, BFHE 116, 545, BStBl II1976, 8; vom 16. 2. 1984 IV R 229/81, BFHE 140, 456,BStBl II 1984, 424) sowie bei hohen anschaffungsnahenerstmaligen Bearbeitungskosten einer in Südamerika gele-genen Naturschafweide, die für eine intensivere landwirt-schaftliche Nutzung erforderlich waren (BFH-Urteil vom8. 11. 1979 IV R 42/78, BFHE 129, 138, BStBl II 1980, 147).Kennzeichnend für diese Fälle war es, dass die Aufwendun-gen jeweils nicht durch die Bebauung, sondern durch dieNutzung des Grund und Boden als solchem – i. d. R. fürland- und forstwirtschaftliche Zwecke – verursacht wordenwaren. Entsprechend führen Maßnahmen zur Landgewin-nung durch Eindeichung oder Aufschüttung vonWasserflä-chen, die nicht im Zusammenhang mit einer Bebauung derneu geschaffenen Flächen stehen, zu HK des Grund undBoden (vgl. auch Ehmcke in Blümich, EStG/KStG/GewStG,§ 6 EStG Rz. 790). Durch die Maßnahmen erfährt der bis zudiesem Zeitpunkt unter Wasser liegende Grund und Bodenangesichts der nunmehr möglichen Bebauung zumindesteine wesentliche Verbesserung.

Hier enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mitBauwerken

42 b) Anders als in den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Fällen stehen im Streitfall die Aufwendungenfür die Gewinnung der für die Terminalerweiterungen er-forderlichen Flächen durch Geländeverfüllung dagegenunmittelbar im Zusammenhang mit der Errichtung vonBauwerken auf den neu geschaffenen Flächen, so dass dieAufwendungen nach Auffassung des Senats den HK dieserWirtschaftsgüter – im Streitfall ... der Kaimauer (Spund-wand) – zuzuordnen sind.

43 Der Senat verkennt dabei nicht, dass es sich bei demGrund und Boden und einem aufstehenden Bauwerk – seies Gebäude, Außenanlage oder Betriebsvorrichtung –steuerrechtlich um unterschiedliche Wirtschaftsgüter han-delt (vgl. BFH-Beschluss vom 16. 7. 1968 GrS 7/67, BFHE94, 124, BStBl II 1969, 108; BFH-Urteil vom 6. 2. 2014IV R 41/10, BFH/NV 2014, 847). Nach der höchstrichter-lichen Rspr. können jedoch Aufwendungen, die durch dieBearbeitung des Grund und Boden entstanden sind, denHK des auf dem Grund und Boden errichteten Bauwerkszuzuordnen sein, wenn ein enger zeitlicher und sachlicherZusammenhang mit der gewählten Art der Bebauung undder beabsichtigten betrieblichen Nutzung durch denSteuerpflichtigen besteht (vgl. BFH-Urteile vom 27. 1. 1994IV R 104/92, BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512; vom26. 8. 1994 III R 76/92, BFHE 176, 89, BStBl II 1995, 71).

44 In dem der Entscheidung vom 27. 1. 1994 IV R 104/92(BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512) zugrunde liegendenFall hatte der Steuerpflichtige eine Lagerhalle und einePlatzbefestigung als Anlieferungszone und Wendeplatz für

die neue Halle auf einem Hanggrundstück errichtet, wobeiAufwendungen für Abtragung und Begradigung der Hang-lage anfielen. Der Entscheidung vom 26. 8. 1994 III R 76/92(BFHE 176, 89, BStBl II 1995, 71) liegt die Errichtung einesBetriebsgebäudes mit Verwaltungsräumen, einer Ausstel-lungshalle und einer Waschhalle auf einemGrundstück mitstarker Hanglage zugrunde, das zum Teil mit Bäumen,Sträuchern und Buschwerk bewachsen war, wobei Kostenfür Hangabtrag, Aushub und Abtransport von unbrauch-barem Boden sowie Lieferung und Einbau von nichtbindi-gem Boden angefallen waren. In beiden Fällen ordnete derBFH die Aufwendungen für die Erdarbeiten den HK derGebäude bzw. der Außenanlagen zu. Die aufgrund derHanglage über die beim Bau eines Gebäudes regelmäßiganfallenden Erdarbeiten – wie Abtragung, Lagerung, Ein-planierung bzw. Abtransport des Mutterbodens, Aushubdes Bodens für die Baugrube, Lagerung und ggf. Abtrans-port des Bodens – hinausgehenden Aufwendungen seienangefallen, weil eine bestimmte Art der Bebauung und eineentsprechende betriebliche Nutzung realisiert werden soll-ten. Der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang zwi-schen den Aufwendungen und der betrieblichen Nutzungrechtfertigte eine Zuordnung zu den HK des Gebäudesbzw. der Außenanlagen. Dieser Zuordnung stehe nicht ent-gegen, dass der Aufwand bei einer späteren erneutenBebauung nicht mehr anfalle und der Aufwand sich überdie Nutzungsdauer der zunächst errichteten Bauwerkehinaus als nützlich erweisen könne (BFH-Urteile vom27. 1. 1994 IV R 104/92, BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512;vom 26. 8. 1994 III R 76/92, BFHE 176, 89, BStBl II 1995, 71).In gleicher Weise wurden die Kosten für die Errichtungbzw. Erneuerung einer Hangstützmauer durch den BFHdem Gebäude (HK bzw. Erhaltungsaufwand) zugeordnet(BFH-Urteil vom 14. 9. 1965 I R 93/63 U, BFHE 83, 488,BStBl III 1965, 674; vom 3. 6. 1975 VIII R 156/71, BFHE 116,32, BStBl II 1975, 696). Der Senat hält diese Grundsätzeauch auf den Fall übertragbar, dass die im Zusammenhangmit einer Bebauung erforderliche „Bearbeitung“ desGrundund Boden in der Weise erfolgt, dass bisher unter Wasserliegender Boden durch Aufschüttung nutzbar gemachtwird.

Aufgrund örtlicher Gegebenheiten und betrieblicherErfordernisse besteht insgesamt enger und zeitlicherZusammenhang zur Bebauung

45 c) Auch im Streitfall besteht ein enger zeitlicher undsachlicher Zusammenhang der Aufwendungen für dieGeländeverfüllung mit der gewählten Art der Bebauungund der beabsichtigten betrieblichen Nutzung durch dieKlin., der es nach Auffassung des Senats rechtfertigt, dieAufwendungen den HK des auf den gewonnenen Flächenerrichteten Wirtschaftsguts – im Streitfall den HK der Kai-mauer (Spundwand) – zuzuordnen.

46 Die Klin. beabsichtigte, den von ihr betriebenen Con-tainerterminal um weitere Schiffsliegeplätze zu erweitern.Eine effektive betriebliche Nutzung der geplanten Schiffs-liegeplätze erfordert einen unmittelbaren Zugang zumWasser, um den Schiffen das Anlegen zum Be- und Entla-den der Fracht an der Kaimauer zu ermöglichen. Zudemwerden landseitig weitere Flächen für Kran-, Gleis- undStraßenanlagen sowie für Lagerplätze benötigt. Aufgrundder örtlichen Gegebenheiten und der betrieblichen Erfor-dernisse des Unternehmens der Klin. wurde die geplanteErweiterung in derWeise durchgeführt, dass die bisherigenWasserflächen für eine Bebauung nutzbar gemacht wur-den. ... Die Kosten für die Geländeverfüllung sind damitangefallen, weil die Klin. eine bestimmte Art der Bebau-ung und eine bestimmte betriebliche Nutzung realisierenwollte. Die gewählte Art der Bebauung war dem Umstandgeschuldet, dass die neuen Schiffsliegeplätze mit direktemZugang zum Wasser im unmittelbaren Anschluss an diebereits vorhandenen Schiffsliegeplätze errichtet werdensollten. Der Zusammenhang der Geländeverfüllungen mit

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EFG 2019 Nr. 1 31Entscheidung Nr. 9

der Errichtung der Bauwerke war damit nicht nur zeitlicher,sondern auch sachlicher Art. Dies rechtfertigt im Streitfalldie Zuordnung der Aufwendungen zu den HK der auf dengewonnenen Flächen errichteten Bauwerke, im Streitfallder Kaimauer (Spundwand). Dieser Zuordnung steht esnicht entgegen, dass der Aufwand für die Geländeverfül-lung bei einer späteren erneuten Bebauung nicht mehranfallen wird (BFH-Urteile vom 27. 1. 1994 IV R 104/92,BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512; vom 26. 8. 1994III R 76/92, BFHE 176, 89, BStBl II 1995, 71).

47 d) Zu den HK zählen neben den Aufwendungen, dieunmittelbar die Geländeverfüllung betreffen – ... insbeson-dere Aufwendungen für das eingebrachte Bodenmaterial,die erforderlichen Nassbagger- und Erdarbeiten und diePlanungskosten – auch die Aufwendungen für die aufGrundlage der öffentlich-rechtlichen Genehmigung durch-zuführenden sonstigen Maßnahmen (... Verlegung desDeichs, landschaftspflegerische Maßnahmen sowie natur-schutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen). Auch für diese„Begleitmaßnahmen“ besteht ein enger zeitlicher undsachlicher Zusammenhang mit der gewählten Art derBebauung und der beabsichtigten betrieblichen Nutzungdurch die Klin. Denn ohne diese Maßnahmen wären diefür die Geländeverfüllung erforderlichen Genehmigungennicht erteilt worden, so dass die von der Klin. geplanteBebauung nicht hätte realisiert werden können.

Aufwendungen sind insgesamt HK der Kaimauer alsBetriebsvorrichtung, ...

48 2. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls sind die Auf-wendungen für die Geländeverfüllung insgesamt den HKder in Spundwandbauweise errichteten Kaimauer alsBetriebsvorrichtung zuzuordnen.

49 a) Bei der Kaimauer handelt es sich um eine demBetrieb der Klin. dienende Betriebsvorrichtung. Nach derhöchstrichterlichen Rspr. setzt der Begriff der Betriebsvor-richtung Gegenstände voraus, durch die das Gewerbeunmittelbar betrieben wird. Es genügt nicht, dass dieAnlage zu einem gewerblichen Betrieb gehört oder dasssie für die Ausübung des konkret ausgeübten Gewerbebe-triebs nützlich, notwendig oder sogar vorgeschrieben ist.Erforderlich ist vielmehr, dass die Anlage in einer besonde-ren Beziehung zum ausgeübten Betrieb steht, d. h., dassihr in Bezug auf die Ausübung des Gewerbebetriebs eineähnliche Funktion wie einerMaschine zukommt (z. B. BFH-Urteil vom 28. 2. 2013 III R 35/12, BFHE 240, 453, BStBl II2013, 606). Nach diesenGrundsätzen ist die in Spundwand-bauweise errichtete Kaimauer als Betriebsvorrichtunganzusehen. Ein wesentlicher Teil des Betriebs eines Contai-nerterminals ist das Be- und Entladen von Schiffen, so dassdie Kaimauer, an der die Schiffe zu diesem Zweck anlegen,in einer besonderen Beziehung zumUnternehmen der Klin.steht, das Gewerbe also unmittelbar durch diese betriebenwird (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. 2. 1962 III 222/58 U,BFHE 74, 474, BStBl III 1962, 179). Entsprechend ordnetauch der gleichlautende Erlass der obersten Finanzbehör-den der Länder zur Abgrenzung des Grundvermögens vonden Betriebsvorrichtungen vom 15. 3. 2006 (BStBl I 2006,314) bzw. vom 5. 6. 2013 (BStBl I 2013, 734) unter Tz. 4.5.Kaimauern, die hauptsächlich dem Hafenbetrieb (Be- undEntladen von Schiffen) dienen, den Betriebsvorrichtungenzu (vgl. auch H 8.1 Abs. 4 „Benutzung einer Kaianlage“GewStH 2016).

... weil Spundwand und Geländeverfüllung Einheitbilden

50 b) Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfallserscheint es nach Auffassung des Senats sachgerecht, dieAufwendungen für die Geländeverfüllung insgesamt denHK der Betriebsvorrichtung Kaimauer (Spundwand) zuzu-ordnen. Die Spundwandkonstruktion bildet mit dem dahin-ter aufgefüllten und verdichteten Bodenmaterial eine Ein-

heit. Die Errichtung der Spundwand vermag ohne dieMaß-nahmen zur Geländeverfüllung ihren Zweck als Kaimauerzur Be- und Entladung der den Containerterminal anfah-renden Schiffe nicht zu erfüllen. In gleicher Weise ist einedauerhafte und für die darauf einwirkenden Belastungenhinreichend stabile Einbringung des Bodenmaterial ohneErrichtung der Spundwand nicht möglich. Die für dieErweiterung durch die Aufschüttung und Verdichtung deseingebrachten Bodenmaterials gewonnenen Flächen sindinsbesondere im Bereich der Kaianlage erheblichen Belas-tungen ausgesetzt, so dass der Spundwand für die Gewähr-leistung der Tragfähigkeit eine besondere Bedeutungzukommt. Neben der Stabilisierung dient die Spundwandauch dem Schutz gegen die Abtragung des Bodenmateri-als. Ohne die Spundwand drohte das eingebrachte Boden-material im Laufe der Zeit durch das Wasser des Hafen-beckens weggespült zu werden. Damit richtet sich dieLebensdauer des aufgefüllten Geländes zwangsläufig nachder Lebensdauer der Spundwand. Dies unterscheidet dieGeländeauffüllung im Streitfall von den „normalen“ Maß-nahmen für ein Grundstück, auf die der Bekl. abstellt.Neben der gemeinsamen Zweckbestimmung sind Spund-wand und eingebrachtes Bodenmaterial auf eine dauer-hafte feste Verbindung angelegt. Der Geländeauffüllungwäre im Übrigen ohne die Spundwand schon aus techni-schen Gründen nicht für die von der Klin. vorgesehenenbetrieblichen Zwecke nutzbar, da es – wie dargelegt – ander erforderlichen Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit feh-len würde, so dass es sachgerecht erscheint, die Kostender Geländeverfüllung insgesamt den HK der Kaimauer(Spundwand) als Betriebsvorrichtung zuzuordnen.

Keine andere Beurteilung aufgrund des zugunsten derKlin. bestellten Erbbaurechts

51 c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nichtdaraus, dass die Maßnahmen zur Geländeverfüllung Was-serflächen betrafen, für die der Klin. lediglich ein Erbbau-recht bestellt war. Zwar ist die Klin. als Erbbauberechtigteweder zivilrechtliche noch wirtschaftliche Eigentümerindes mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks gewor-den (vgl. BFH-Urteile vom 10. 12. 1998 III R 61/97, BFHE187, 526, BStBl II 1999, 390; vom 2. 5. 1984 VIII R 276/81,BFHE 141, 498, BStBl II 1984, 820). Die Klin. ist jedochEigentümerin der auf dem belasteten Grundstück errichte-ten Bauwerke (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ErbbauRGi. V. m. § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Unter dem im Erbbau-rechtsgesetz nicht näher umschriebenen Begriff des Bau-werks ist eine unter Verwendung von Arbeit und Materiali. V. m. dem Erdboden hergestellte Sache zu verstehen(BGH-Urteil vom 10. 1. 1992 V ZR 213/90, BGHZ 117, 19).Im Hinblick auf den sachenrechtlichen Bestimmtheits-grundsatzmuss die Beschaffenheit des Bauwerks im Bestel-lungsvertrag zumindest ungefähr bezeichnet und von derdinglichen Einigung umfasst sein (vgl. BGH-Urteil vom17. 3. 1967 V ZR 63/64, BGHZ 47, 190). Von dem Begriffdes Bauwerks i. S. des ErbbauRG und von der Bestimmungder Beschaffenheit in den durch die Klin. geschlossenenErbbaurechtsverträgen ... wird nach Auffassung des Senatsauch die Erweiterung des Containerterminals einschließ-lich der Kaimauer (Spundwand) umfasst (vgl. für eineHafenanlage Rapp in Staudinger, BGB, § 1 ErbbauRGRz. 12; Westermann in Ermann, BGB, § 1 ErbbauRG Rz. 6;vgl. für eine Golfanlage BGH-Urteil vom 10. 1. 1992V ZR 213/90, BGHZ 117, 19). Damit hat die Klin. entgegender Auffassung des Bekl. mit den Kosten für die Gelände-verfüllungen keine Aufwendungen für das fremde Wirt-schaftsgut Grund und Boden der Erbbauverpflichteten,sondern für das in ihrem Eigentum stehendeWirtschaftsgutKaimauer (Spundwand) als Betriebsvorrichtung getätigt.

Einheitliche Abschreibung auf betriebsgewöhnliche Nut-zungsdauer von 20 Jahren

52 3. Die Klin. hat in nicht zu beanstandender Weise fürdie Aufwendungen für die Geländeverfüllung als Teil der

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32 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 10

HK der Betriebsvorrichtung Kaimauer (Spundwand) einenAbschreibungszeitraum von 20 Jahren zugrunde gelegt. ...

53–54 a) Abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermö-gens sind mit den AK oder HK, vermindert um die AfAnach § 7 EStG anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die AfAbemisst sich nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungs-dauer (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Als Teil der HK der Betriebs-vorrichtung Kaimauer (Spundwand) unterliegen auch dieAufwendungen für die Geländeverfüllung der AfA nach § 7EStG. ...

55 b) Nach der in den Streitjahren geltenden AfA-Tabellefür den Wirtschaftszweig „Hafenbetriebe“ (BMF-Schrei-ben vom 6. 12. 2001 IV D 2 – S 1551 – 470/01, BStBl I 2001,836) beträgt die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer fürSpundwände 20 Jahre. Die Zugrundelegung dieses Ab-schreibungszeitraums führt auch angesichts des Umstands,dass ein Großteil der HK der Wirtschaftsguts Kaimauer(Spundwand) auf die Maßnahmen zur Geländeauffüllungentfällt, nicht zu einer unzutreffenden Besteuerung. Dennder Bestand der Geländeauffüllung ist – wie dargelegt –vom Bestand der Spundwand abhängig. Ohne die Spund-wand fehlte es an der für die von der Klin. vorgesehenebetriebliche Nutzung erforderlichen Tragfähigkeit undDauerhaftigkeit der Geländeverfüllung, so dass es nachAuffassung des Senats sachgerecht erscheint, der Ab-schreibung die sich aus der AfA-Tabelle ergebende Nut-zungsdauer von 20 Jahren zugrunde zu legen.

56–60 c) Selbst wenn man im Hinblick darauf, dass durchdie Geländeverfüllungen erhebliche zu unterschiedlichenZwecken genutzte Flächen geschaffen wurden, eine Zu-ordnung der Aufwendungen insgesamt zu den HK der Kai-mauer (Spundwand) für nicht gerechtfertigt hielte, würdedies zu keinem abweichenden steuerlichen Ergebnis füh-ren. In diesem Fall wären die Aufwendungen für die Gelän-deverfüllung anteilig den HK der Oberflächenbefestigungzuzurechnen, für die die Klin. in nicht zu beanstandenderWeise ebenfalls einen Abschreibungszeitraum von 20 Jah-ren zugrunde gelegt hat. ...

61 …Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutungder Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Anmerkung

I. Problemstellung

Das FG hatte über die steuerliche Behandlung von Maß-nahmen zur Landgewinnung im Zusammenhang mit derErweiterung eines Containerterminals zu entscheiden.Die für die Erweiterung erforderlichen Flächen, an denenzugunsten der Klin. ein Erbbaurecht bestellt worden warund bei denen es sich im Wesentlichen um Wasserflä-chen handelte, wurden durch eine Geländeverfüllungnutzbar gemacht. Dazu wurde die vorhandene in Spund-wandbauweise errichtete Kaimauer verlängert und diedahinter liegenden Flächen mit geeignetem Bodenmate-rial aufgefüllt, das zur Sicherung der Tragfähigkeit undzur Verringerung von Setzungen verdichtet wurde. DieKlin. schrieb sowohl die Aufwendungen für die Spund-wand als auch die Aufwendungen für die Geländeverfül-lung auf eine Nutzungsdauer von 20 Jahren linear ab.Der Bekl. vertrat die Auffassung, die Aufwendungenfür die Geländeverfüllung seien dem Grunde nach alsHK des Grund und Boden anzusehen. Da die Klin. alsErbbauberechtigte jedoch weder zivilrechtliche nochwirtschaftliche Eigentümerin der entstandenen Flächengeworden sei, sei für die Aufwendungen ein aktiverRechnungsabgrenzungsposten zu bilden und dieser ent-sprechend der vertraglich vereinbarten Dauer des Erb-baurechts erfolgswirksam aufzulösen.

II. Entscheidung des FG

Das FG hat der Klage stattgegeben und die Aufwendun-gen im Zusammenhang mit der Geländeverfüllung alsHK der in Spundwandbauweise errichteten Kaimauer alsBetriebsvorrichtung angesehen. Aufwendungen für dieBearbeitung des Grund und Boden seien den HK der aufihm errichteten Bauwerke (Gebäude, Betriebsvorrichtun-gen oder Außenanlagen) zuzuordnen, wenn – wie imStreitfall aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und denbetrieblichen Erfordernissen der Klin. – ein enger zeitli-cher und sachlicher Zusammenhang mit der gewähltenArt der Bebauung und der beabsichtigten betrieblichenNutzung durch den Steuerpflichtigen besteht. Das FGverweist insoweit auf die BFH-Urteile vom 27. 1. 1994IV R 104/92 (BFHE 174, 136, BStBl II 1994, 512) und vom26. 8. 1994 III R 76/92 (BFHE 176, 89, BStBl II 1995, 71).Danach sind anlässlich der Errichtung eines Gebäudesentstandene Aufwendungen, die für das Abtragen desTeils eines Hanges und den anschließenden Abtransportdes Erdreiches entstanden sind, als HK des Gebäudes zubehandeln.

Zudem sieht das FG die in Spundwandbauweise errich-tete Kaimauer und die Geländeverfüllung im Hinblickdarauf als Einheit, dass die Spundwand insbesondereauch dem Schutz vor Abtragung des eingebrachtenBodenmaterials diene und sich damit die Nutzungsdauerdes aufgefüllten Geländes nach der Nutzungsdauer derSpundwand richte. Dies habe zur Folge, dass die Auf-wendungen für die Geländeverfüllung insgesamt denHK der Kaimauer als Betriebsvorrichtung zuzuordnenseien und eine einheitliche Abschreibung auf die be-triebsgewöhnliche Nutzungsdauer der Spundwand vor-zunehmen sei.

Für die Beurteilung war nach Auffassung des FG uner-heblich, dass die Klin. als Erbbauberechtigte nicht zivil-rechtliche oder wirtschaftliche Eigentümerin des Erbbau-rechtsgrundstücks geworden sei. Die Aufwendungen fürdie Geländeverfüllung seien der Kaimauer als Betriebs-vorrichtung zuzuordnen, die als auf dem Erbbaugrund-stück errichtetes Bauwerk gem. § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2ErbbauRG i. V. m. § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB im Eigentumder Klin. stehe.

III. Hinweise für die Praxis

Bei dem Grund und Boden und den auf dem Grundund Boden errichteten Bauwerken – seien es Gebäude,Außenanlagen oder Betriebsvorrichtungen – handelt essich steuerrechtlich um unterschiedliche Wirtschaftsgü-ter. Schwierigkeiten bei der Zuordnung der HK zu deneinzelnen Wirtschaftsgütern ergeben sich immer dann,wenn im Zusammenhang mit der Bebauung auch Arbei-ten am Grund und Boden durchgeführt werden. Das FGhat die Revision zugelassen, da – soweit ersichtlich –eine höchstrichterliche Entscheidung zur steuerlichenBehandlung von Landgewinnungsmaßnahmen im Zu-sammenhang mit einer Bebauung der entstandenenFlächen noch nicht ergangen ist.

Richterin am FG Regina-Maria Everling

10 Keine Versteuerung eines geldwerten Vor-teils für die private Nutzung eines Feuer-wehreinsatzfahrzeugs

FG Köln, Urteil vom 29. 8. 2018 3 K 1205/18 – Rev. einge-legt (Az. des BFH: VI R 43/18).

Wird einem Leiter der freiwilligen Feuerwehr, der in die-ser Funktion ständig einsatzbereit ist, ein Feuerwehrein-

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EFG 2019 Nr. 1 33Entscheidung Nr. 10

satzfahrzeug dauerhaft zur Verfügung gestellt, das dieserauch für private Fahrten nutzen kann bzw., um seine stän-dige Einsatzbereitschaft sicherzustellen, nutzen muss, trittder Vorteil der privaten Nutzung des Fahrzeugs hinterdem ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesseder Gemeinde als Feuerschutzträgerin zurück. Der Vorteildes Leiters der freiwilligen Feuerwehr erweist sich ledig-lich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktio-naler Zielsetzungen der Gemeinde, hingegen nicht alsArbeitslohn in Form eines geldwerten Vorteils.

EStG § 8 Abs. 2, § 42d.

1–17 Die Klin. ist eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen,belegen im Zuständigkeitsbereich des Bekl. Sie unterhältfür den Brandschutz und die Hilfeleistung eine FreiwilligeFeuerwehr nach Maßgabe des Gesetzes über den Brand-schutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz(BHKG).

Der Zeuge A ist als tariflich Beschäftigter vollbeschäftigtbei der Klin. angestellt. Daneben ist der Zeuge A als Leiterder Freiwilligen Feuerwehr der Klin. tätig. Vor diesem Hin-tergrundwurde er für sechs Jahre gem. § 11 Abs. 1 BHKG inein Ehrenbeamtenverhältnis auf Zeit berufen. Der Zeuge Awohnt 5 km von seiner Arbeitsstätte bei der Klin. entfernt.

In seiner Eigenschaft als ehrenamtlicher Leiter der Freiwil-ligen Feuerwehr der Klin. wurde dem Kl. ein Einsatzfahr-zeug zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich umeinen Kommandowagen zu einem Bruttolistenpreis i. H. v.14 000 €. Das Fahrzeug ist mit einem fest verbauten Digital-funkgerät, einem fest verbauten Navigationsgerät – gekop-pelt mit einem Meldeempfänger – sowie mit einer fest ver-bauten Sondersignalanlage ausgestattet. Daneben befin-den sich in dem PKW die persönliche Schutzausrüstungdes Zeugen, eine Rolle Flatterband, vier Faltleitkegel,Werkzeuge zur Türöffnung, ein Erste-Hilfe-Rucksack sowieDokumentenmappen und Feuerwehrpläne für verschie-dene Objekte in der Gemeinde.

Der gestellte PKW stand dem Zeugen rund um die Uhr zurVerfügung. In den streitgegenständlichen Jahren nutzte erihn für regelmäßige Fahrten zwischen Wohnung und Ar-beitsstätte sowie für Mittagsheimfahrten. Daneben nutzteer den PKW an mehreren Tagen der Woche, um zu Feuer-wehreinsätzen zu gelangen oder um andere Aufgaben ausseiner Tätigkeit als Leiter der freiwilligen Feuerwehr wahr-zunehmen. Dazu gehörten u. a. die Beschaffung von per-sönlicher und sachlicher Ausrüstung oder die Beratung vonin der Gemeinde ansässigen Firmen im Bereich des vor-beugenden Brandschutzes. Darüber hinaus besuchte derZeuge in den Streitjahren mehrtägige Seminare.

Im Falle einer längeren Abwesenheit aufgrund Urlaubsoder Krankheit gab der Zeuge den PKW an den stellvertre-tenden Leiter der Feuerwehr ab. Laut Aufstellung handeltees sich dabei in den einzelnen Streitjahren um jeweils unge-fähr drei Wochen in den Sommermonaten sowie einigeTage im Dezember wegen Urlaubs und um knapp1,5 Wochen wegen Krankheit.

Im Rahmen einer bei der Klin. stattgefundenen LSt-Apstellte die Prüferin fest, dass es sich bei der dauerhaftenGestellung des Einsatzfahrzeugs an den Zeugen A umeinen geldwerten Vorteil handele, der zu versteuern sei.Der Bekl. erließ daraufhin am 27. 1. 2017 einen Haftungs-und Nachforderungsbescheid über LSt, Solz und KiSt überinsgesamt 2 223,86 € für den Zeitraum 1. 1. 2013 bis30. 9. 2016.

Aus den Gründen:

18–19 I. Die Klage ist zulässig und begründet. ...

Keine Ausübung des Wahlrechts auf Pauschalierunggem. § 40 Abs. 2 EStG

20 1. Soweit sich die Klin. gegen den Nachforderungsbe-scheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung wendet, wardieser aufzuheben, da die Klin. ihr Wahlrecht auf Pauscha-lierung gem. § 40 Abs. 2 EStG nicht ausgeübt hat.

21 a) Nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG kann der Arbeitgeberdie LSt mit einem Pauschsteuersatz i. H. v. 15 % für Sach-bezüge in Form der unentgeltlichen oder verbilligten Beför-derung eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung undArbeitsstätte erheben, soweit diese Bezüge den Betragnicht übersteigen, den der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG als WK geltend machenkönnte, wenn die Bezüge nicht pauschal besteuert würden.

22 Für die Pauschalierung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStGist ein Antrag oder eine Genehmigung durch das FA– anders als bei der Pauschalierung nach § 40 Abs. 1EStG – nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 24. 9. 2015VI R 69/14, BFHE 251, 247, BStBl II 2016,176, m. w. N.). Esbesteht jedoch ein Wahlrecht des Arbeitgebers auf Pau-schalierung, welches durch die Anmeldung der mit einemPauschsteuersatz erhobenen LSt ausgeübt wird (vgl. BFH-Urteil vom 24. 9. 2015 VI R 69/14, BFHE 251, 247, BStBl II2016,176; Krüger in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 40 Rz. 11;Eisgruber in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 40 Rz. 18; zur Pau-schalierung nach § 40a EStG ebenso BFH-Urteil vom26. 11. 2003 VI R 10/99, BFHE 204, 186, BStBl II 2004, 195).Übt der Arbeitgeber diesesWahlrecht zugunsten einer Pau-schalierung aus, ist er gem. § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG Schuld-ner der pauschalen LSt und kann per Pauschalierungsbe-scheid in Anspruch genommen werden.

23 b) Die Inanspruchnahme der Klin. als Schuldnerin derpauschalen LSt scheitert im Streitfall bereits daran, dass dieKlin. das Wahlrecht auf Pauschalierung nicht ausgeübt hat.Nach eigenen Angaben der Klin. hat diese keinen Pauscha-lierungsantrag gestellt bzw. keine entsprechende Wahl-rechtserklärung abgegeben. Auch aus den Steueraktenund der LSt-Außenprüfungsakte ist nicht erkennbar, dassdie Klin. LSt mit einem Pauschalsteuersatz i. H. v. 15 %gem. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gegenüber dem Bekl.angemeldet hat.

Überlassung des Feuerwehrkommandowagens kein geld-werter Vorteil

24 2. Der Haftungsbescheid in Form der Einspruchsent-scheidung war aufzuheben, da die ständige Überlassungdes Feuerwehrkommandowagens nicht zu einem alsArbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 8 Abs. 2EStG zu bewertenden geldwerten Vorteil des Zeugen Ageführt hat.

25 a) Gemäß § 42d EStG haftet der Arbeitgeber für LSt,die er gem. § 38 Abs. 2, § 41a EStG einzubehalten undabzuführen hat. Das ist die LSt, die sich aus dem zugeflos-senen Arbeitslohn (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) des betreffen-den Lohnzahlungszeitraums nach den Merkmalen der LSt-Karte ergibt. Zum Arbeitslohn gehören gem. § 19 Abs.1Satz 1 Nr. 1 EStG u. a. Vorteile, die für eine Beschäftigunggewährt werden.

Gestellung eines Kfz für Fahrten zwischen Wohnung undArbeitsstätte zwar grundsätzlich Arbeitslohn, aber ...

26 aa) Nach der Rspr. des BFH handelt es sich bei derGestellung eines Kfz für Fahrten zwischen Wohnung undArbeitsstätte und für private Fahrten in aller Regel umeinen solchen geldwerten Vorteil und damit um Arbeits-lohn (vgl. BFH-Urteil vom 25. 5. 2000 VI R 195/98, BFHE192, 299, BStBl II 2000, 690).

... kein geldwerter Vorteil bei notwendiger Begleiter-scheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung

27 Diese Regel gilt allerdings nicht ausnahmslos. Der BFHhat in ständiger Rspr. betont, dass zum Arbeitslohn i. S. des

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34 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 10

§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur Vorteile gehören, die „für“ eineBeschäftigung gewährt werden. Dem in § 19 Abs. 1 Nr. 1EStG benutzten Tatbestandsmerkmal „für“ eine Beschäfti-gung sei zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vomArbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakterhaben müsse. Demgegenüber seien solche Vorteile keinArbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung allerUmstände des Einzelfalls auch nicht im weitesten Sinne alsGegenleistung für die Leistung ihres Empfängers bzw. alsEntlohnung darstellen, sondern sich lediglich als not-wendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielset-zungen des Aufwendenden erweisen (BFH-Urteile vom22. 3. 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529;vom 22. 3. 1985 VI R 82/83, BFHE 143, 550, BStBl II 1985,532; vom 22. 3. 1985 VI R 26/82, BFHE 143, 539, BStBl II1995, 641; vom 4. 6. 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II1993, 687; vom 25. 5. 2000 VI R 195/98, BFHE 192, 299,BStBl II 2000, 690). Der Vorteil müsse im ganz überwiegendeigenbetrieblichen Interesse gewährt sein. Dafür müssesich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhedes Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nurgebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zurAnnahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheitfür den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergeben,dass die betriebliche Zielsetzung ganz im Vordergrundstehe und ein damit einhergehendes eigenes Interesse desArbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, ver-nachlässigt werden könne (BFH-Urteile vom 4. 6. 1993VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687; vom25. 5. 2000 VI R 195/98, BFHE 192, 299, BStBl II 2000, 690).Es bestehe eine Wechselwirkung zwischen der Intensitätdes eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers unddem Ausmaß der Bereicherung des Arbeitnehmers. Jehöher aus der Sicht des Arbeitnehmers die Bereicherunganzusetzen sei, desto geringer zähle das aus der Sicht desArbeitgebers vorhandene eigenbetriebliche Interesse (vgl.BFH-Urteil vom 22. 6. 2006 VI R 21/05, BFHE 214, 252,BStBl II 2006, 915).

Vergleichbarer Fall im BFH-Urteil vom 25. 5. 2000VI R 195/98 ...

28 bb) Gestützt auf diese Kriterien hat der BFH im Urteilvom 25. 5. 2000 VI R 195/98 (BFHE 192, 299, BStBl II 2000,690) den Entlohnungscharakter der Gestellung einesWerk-stattwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits-stätte eines Monteurs während seiner einwöchigen Ruf-bereitschaften abgelehnt, weil der Arbeitgeber mit derKfz-Gestellung allein das Ziel verfolgte, dass seine Arbeit-nehmer beim Auftreten von Störungen an der Elektrizitäts-versorgung schnellstmöglich mit der Schadensbeseitigungbeginnen konnten. Aufgrund der bestehenden Versor-gungsverträge war der Arbeitgeber im Schadensfall ver-pflichtet, Störungen der Energieversorgung schnellstmög-lich zu beseitigen. Damit erfolgte die Gestellung im ganzüberwiegenden eigenbetrieblichen Interesse. Die Eintei-lung der Arbeitnehmer zu den Rufbereitschaften dientenicht dem Zweck, den betroffenen Arbeitnehmern eineVergünstigung zu gewähren, was sich bereits aus der Artder Einsatzfahrzeuge (Transporter, Kombifahrzeuge, PKWmit Heckklappe) und dem in ihnen zur Schadensbeseiti-gung mitgeführten Material ergab. Hinzu kam, dass dieArbeitnehmer die Einsatzfahrzeuge während der Dauer derjeweiligen Rufbereitschaft nur für Fahrten zwischen Woh-nung und Arbeitsstätte und für die jeweiligen Reparatur-einsätze, nicht aber für Privatfahrten nutzen durften.

... und im Urteil des Niedersächsischen FG vom24. 8. 2007 1 K 11553/04

29 cc) Ein vergleichbarer Sachverhalt lag dem Urteil desNiedersächsischen FG vom 24. 8. 2007 1 K 11553/04 (EFG2007, 1938) zugrunde, in dem dieses zu der Entscheidungkam, dass die private Nutzung des einem technischenEinsatzleiter während seiner einwöchigen Bereitschafts-

wochen vom Landkreis gestellten Einsatzfahrzeuges, dasäußerlich ein auffälliges Erscheinungsbild aufwies, aus-nahmsweise nicht zu einer Einnahme im Sinne eines geld-werten Vorteils führte. Das Niedersächsische FG begrün-dete dies damit, dass der Vorteil des Einsatzleiters aus derprivaten Nutzung gering sei und angesichts der ganz über-wiegenden Interessen des Landkreises an der Erledigungseiner öffentlichen Aufgaben und der daraus folgendenVerpflichtung des Einsatzleiters, das Einsatzfahrzeug stän-dig bei sich zu führen, vernachlässigt werden könne.

30 dd) Ausgehend von diesen Erwägungen erweist sichdie dem Zeugen A im Streitfall gewährte Möglichkeit derprivaten Nutzung des Kommandowagens nicht als Ein-nahme im Sinne eines geldwerten Vorteils.

Gestellung des Einsatzfahrzeugs bezweckte, funktiona-len und zügigen Brandschutz sicherzustellen

31 aaa) Die Gestellung des Einsatzfahrzeugs an den Zeu-gen diente im Streitfall dem ganz überwiegenden eigenbe-trieblichen Interesse der Klin., als Feuerschutzträgerin füreinen funktionalen und zügigen Brandschutz zu sorgen.

32 Nach dem BHKG ist die Klin. verpflichtet, vorbeu-gende und abwehrende Maßnahmen bei Brandgefahrenzu gewährleisten. Dieser Verpflichtung kann die Klin. nurgerecht werden, wenn sie eine leistungsfähige Feuerwehrunterhält, die ständig einsatzbereit ist und zu jeder Zeitschnellstmöglich am Unfallort erscheinen kann.

Zeuge A permanent einsatzbereit

33 Die ständige Einsatzbereitschaft der freiwilligen Feu-erwehr der Klin. bestätigte der Zeuge A in seiner Verneh-mung in der m. V. Der Zeuge führte glaubhaft aus, dasses aufgrund des Fehlens einer Berufsfeuerwehr im Kreiserforderlich sei, dass die freiwillige Feuerwehr und insbe-sondere er, als Leiter der freiwilligen Feuerwehr, ständigeinsatzbereit seien. Tatsächlich komme er auf ca. 160 Ein-sätze im Jahr, die jederzeit, auch an Feiertagen wieWeihnachten oder Silvester, stattfinden könnten. Der Kl.schilderte weiterhin in Einzelheiten, dass er das Einsatz-fahrzeug neben den Fahrten zwischen Wohnung undArbeitsstätte sowohl für sämtliche private Fahrten als auchfür Fahrten, die er in seiner Funktion als Bediensteter derKlin. absolviere, nutze. Dies sei zwingend erforderlich, danur so seine ständige Einsatzbereitschaft gewährleistetwerden könne, weil er derart von jedem Aufenthaltsortdirekt an den Unfallort fahren könne, um als Einsatzleiterals Erster vor Ort zu sein.

34 Neben der ständigen Einsatzbereitschaft setzt eineffektiver Brandschutz auch das schnelle Erscheinen derFeuerwehr am Unfallort voraus. Insbesondere die früheAnwesenheit des Einsatzleiters ist für den Erfolg des Feuer-wehreinsatzes entscheidend. Nach seinen eigenen Schilde-rungen koordiniert der Zeuge nach seinem Eintreffen amUnfallort, den er regelmäßig vor den mit Löschfahrzeugenausgerüsteten Kollegen erreicht, den weiteren Einsatz undentscheidet, in welcher Truppenstärke und mit welcherAusrüstung die Feuerwehr erscheinen muss. Überdieskann er vor Ort ggf. bereits Erste Hilfe leisten.

35 Die permanente Überlassung des Einsatzfahrzeugs anden Zeugen ist ein besonders geeignetes Mittel, um derVerpflichtung der Klin., eine leistungsfähige Feuerwehr zuunterhalten, gerecht zu werden. Mit der Fahrzeuggestel-lung verfolgte die Klin. auch allein das Ziel, diese Ver-pflichtung zu erfüllen, denn der als Einsatzleiter grundsätz-lich nicht entbehrliche Zeuge kann unzweifelhaft schnelleram Einsatzort erscheinen, wenn er dorthin direkt von sei-nem aktuellen Aufenthaltsort fährt, als wenn er bei jedemEinsatz zunächst mit seinem Privatfahrzeug zur Feuerwa-che fahren müsste, um dort ein Einsatzfahrzeug abzuholen.

36 Darüber hinaus zeigt die Tatsache, dass der Zeuge dasFahrzeug bei länger andauernder Abwesenheit an seinen

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EFG 2019 Nr. 1 35Entscheidung Nr. 10

Stellvertreter abgibt, dass die Fahrzeuggestellung an dieFunktion des Leiters der freiwilligen Feuerwehr gekoppeltist und nicht zu dem Zweck erfolgt, dem Zeugen für seineTätigkeit einen Vorteil zu gewähren.

37 Diese Zielsetzung und Zweckbestimmung unterstrei-chen die Intensität des eigenbetrieblichen Interesses derKlin. an der Fahrzeugüberlassung.

Interesse des Zeugen an der privaten Nutzung des Fahr-zeugs tritt hinter dem ganz überwiegenden eigenbetrieb-lichen Interesse der Klin. zurück

38 bbb) Das Interesse des Zeugen, das Einsatzfahrzeugauch privat nutzen zu können, tritt demgegenüber hinterdem ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse derKlin. zurück. Für den Senat stellt sich die private Nutzungs-möglichkeit des Fahrzeugs sogar eher als zusätzliche Belas-tung des Zeugen als als dessen Vorteil dar.

39 Zwar besteht ein Vorteil des Zeugen darin, dass ihmdas Fahrzeug permanent zur Verfügung steht und er somitauch privat frei über das Fahrzeug verfügen kann. Diesefreie Verfügbarkeit wird jedoch faktisch durch die ständigeEinsatzbereitschaft des Zeugen eingeschränkt. Die stän-dige Einsatzbereitschaft führt letztlich sogar dazu, dass denZeugen anstatt einer permanenten Nutzungsmöglichkeiteine permanente Nutzungspflicht trifft. Nach seiner eige-nen Aussage führt seine ständige Einsatzbereitschaft z. B.dazu, dass er zu privaten Veranstaltungen getrennt vonseiner, mit dem Privatfahrzeug anreisenden Familie, mitdem Einsatzfahrzeug erscheinen muss, um im Einsatzfalldie Veranstaltung ohne Rücksicht auf die Rückreise derFamilie schnellstmöglich verlassen zu können.

40 Hinzu kommt, dass auch die äußere Gestaltung desFahrzeugs sowie die mitzuführende Ausrüstung die privateNutzung eher hinderlich machen. Zum einen ist der Zeugeaufgrund der äußeren Beschaffenheit des Fahrzeugs stets– auch wenn er sich außerhalb eines Einsatzes befindet –als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr zu erkennen, zumanderen ermöglichen die diversen, stets mitzuführendenAusrüstungsgegenstände keine uneingeschränkte privateNutzung, wie es etwa ein gewöhnliches Fahrzeug, z. B. fürgrößere Einkäufe, erlauben würde.

Keine Schlechterstellung der Klin. wegen permanenterEinsatzbereitschaft

41 ccc) Der Senat verkennt nicht, dass der streitige Sach-verhalt insofern von den Sachverhalten abweicht, die denEntscheidungen des BFH und des Niedersächsischen FGzugrunde lagen, als dass dort jeweils nur eine zeitlichbeschränkte Rufbereitschaft bestand und eine umfänglicheprivate Nutzung, über die Fahrten zwischen Wohnung undArbeitsstätte hinaus, untersagt war. Dies rechtfertigt jedochfür den Streitfall keine abweichende Einordnung. DerSenat sieht keine Veranlassung, die Klin. aufgrund derständigen Einsatzbereitschaft des Zeugen schlechter zubehandeln, als wenn er „nur“ einzelne Wochen im Jahr zurRufbereitschaft eingeteilt wäre und „nur“ während diesesZeitraumes ständig einsatzbereit sein müsste. Dies insbe-sondere, da der Zeuge in seiner Vernehmung glaubhafterläutert hat, dass seine permanente Einsatzbereitschafttatsächlich besteht und praktiziert wird, was sich z. B.dadurch zeigt, dass er auch an Feiertagen und bei privatenFeiern jederzeit mit einem Einsatz rechnen und einsatzbe-reit sein muss. Dass es nach Aussage des Zeugen auchvorkomme, dass er sich bei besonderenAnlässen von seinerBereitschaft abmelde oder mehrtägige Auswärtsseminarebesuche, steht der grundsätzlichen Annahme der ständigenEinsatzbereitschaft nicht entgegen. Zum einen hat derZeuge glaubhaft vorgetragen, dass diese Anlässe eher dieAusnahme seien, zum anderen hat er geschildert, dass indiesen Fällen sein Stellvertreter die Einsatzleitung über-nehme, der entweder den Einsatzwagen bei ihm mit demErsatzschlüssel abhole oder sich einen Kommandowagen

von der unmittelbar an seinen Wohnsitz angrenzendenFeuerwache nehme, so dass ein effektiver Brandschutzweiterhin gewährleistet ist.

42 Auch die Tatsache, dass sich die private Nutzung desZeugen nicht bloß auf seine Fahrten zwischen Wohnungund Arbeitsstätte begrenzt, führt ebenfalls zu keiner ab-weichenden Einordnung. Vielmehr unterstreicht dies dieGlaubwürdigkeit des Zeugen hinsichtlich seiner ständigenEinsatzbereitschaft, da er im plötzlichen Einsatzfall nurdann schnellstmöglich am Unfallort erscheinen kann, wenner das Fahrzeug tatsächlich ständig bei sich führt.

Genaue Einordnung der Tätigkeit des Zeugen im Streit-fall nicht erforderlich

43 b) Da im Streitfall keine Einnahme im Sinne einesgeldwerten Vorteils vorliegt und der angefochtene Haf-tungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung bereitsdeshalb aufzuheben ist, hatte sich der Senat nicht mit derFrage zu befassen, ob es sich bei der Tätigkeit des Zeu-gen A als Leiter der freiwilligen Feuerwehr um eine eigen-ständige Tätigkeit aus nichtselbständiger Arbeit, um einenTeil bzw. einen Annex seiner nichtselbständigen Haupttä-tigkeit bei der Klin. oder um eine sonstige Tätigkeit han-delt, die eine Inanspruchnahme der Klin. als Arbeitgeberingem. § 42d EStG ausgeschlossen hätte.

Zulassung der Revision

44–45 ... III. Die Revision ist zuzulassen. Die Zulassungder Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. In demBereich der Gestellung eines Einsatzfahrzeugs durch einenFeuerschutzträger besteht eine gewisse Rechtsunsicher-heit, die geklärt werden sollte.

Anmerkung

I. Problemstellung

Die Beteiligten stritten darüber, ob die permanente Über-lassung eines Feuerwehreinsatzfahrzeugs durch die Klin.in ihrer Funktion als Feuerschutzträgerin an den Leiterder freiwilligen Feuerwehr für diesen einen geldwertenVorteil bedeutete, für den die Klin. als Haftungsschuld-nerin in Anspruch genommen werden konnte. Die Klin.berief sich diesbezüglich auf Entscheidungen des BFHund des Niedersächsischen FG, die in vergleichbarenSachverhalten jeweils zu dem Ergebnis gekommenwaren, dass das eigenbetriebliche Interesse des Arbeit-gebers an der Fahrzeuggestellung das Interesse desArbeitnehmers überwiege, weshalb ein geldwerter Vor-teil abzulehnen sei.

II. Stand der Rspr.

Das FG beschäftigt sich zunächst mit der Rspr. des BFH,in der dieser trotz der Gestellung eines Fahrzeugs fürFahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einengeldwerten Vorteil ablehnt, wenn dies eine notwendigeBegleiterscheinung einer betriebsfunktionalen Zielset-zung des Arbeitgebers ist und der konkrete Vorteil desArbeitnehmers vor diesem Hintergrund vernachlässigtwerden kann. In diesem Zusammenhang befasst sich dasFG mit den von der Klin. angeführten Entscheidungendes BFH und des Niedersächsischen FG, die – gestütztauf die zuvor genannte Rspr. des BFH – einen geldwertenVorteil bei der Gestellung eines Einsatzfahrzeugs bzw.eines Fahrzeugs, das für Rufbereitschaftszwecke zur Ver-fügung gestellt wird, ablehnen und ein überwiegendeseigenbetriebliches Interesse des jeweiligen Arbeitgebersan der Fahrzeuggestellung bejahen. Dabei verkennt dasFG jedoch nicht, dass sich die den genannten Entschei-dungen zugrunde liegenden Sachverhalte insoweit vondem Streitfall unterscheiden, als dass dort jeweils nureine auf einzelne Tage bzw. Wochen im Jahr zeitlich

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beschränkte Fahrzeuggestellung vorlag und darüberhinaus – jedenfalls in dem der Entscheidung des BFHzugrunde liegenden Sachverhalt – eine private Nutzungdes gestellten Fahrzeugs ausgeschlossen war.

III. Die Entscheidung des FG

Für die Bewertung des dem Zeugen im Streitfall zugute-kommenden Vorteils stellt das FG sodann jedoch nichtauf eine quantitative Betrachtungsweise, gemessen ander zeitlichen Verfügbarkeit des Fahrzeugs über dasJahr, ab, sondern bewertet die Nutzungsmöglichkeit desFahrzeugs durch den Zeugen qualitativ. Auch wenn dietatsächliche private Nutzung des Fahrzeugs durch denZeugen zeitlich nicht unerheblich sei, so erweise sichdiese permanente Nutzung für den Zeugen nicht als Vor-teil, sondern vielmehr als eine zusätzliche Verpflichtung,die mit erheblichen privaten Einschränkungen einher-gehe (z. B. die Pflicht bei Familienveranstaltungen mitzwei PKW anzureisen oder der geringe Stauraum imFahrzeug aufgrund der stets mitzuführenden Ausrüs-tungsgegenstände). Darüber hinaus rechtfertigt das FGdie uneingeschränkte private Nutzungsmöglichkeit desZeugen damit, dass der von der Klin. mit der Fahrzeugge-stellung verfolgte Zweck, eine jederzeit einsatzbereiteFeuerwehr zu unterhalten, nur erreicht werden kann,wenn der Zeuge das Fahrzeug permanent während sei-ner Einsatzbereitschaft, d. h. faktisch immer, bei sichführt. Denknotwendig setze dies zugleich voraus, dass erdas Fahrzeug auch zu privaten Fahrten nutze.

Die Fragestellung, ob die Klin. Arbeitgeberin des Zeugenwar und somit überhaupt als Haftungsschuldnerin gem.§ 42d EStG in Anspruch genommen werden durfte, warim Streitfall nicht entscheidungserheblich, so dass dasFG die Qualifikation der Tätigkeit des Zeugen als Leiterder freiwilligen Feuerwehr offenlassen konnte. Ansons-ten hätte sich das FG festlegen müssen, ob die Ausübungdes Ehrenamts durch den Kl. untrennbar mit seiner(Haupt-)Tätigkeit für die Klin. als Gemeindebediensteterverbunden und aufgrund dessen insgesamt als nichtselb-ständige Tätigkeit i. S. des § 19 EStG einzuordnen wäre,ob es sich ggf. aufgrund der Höhe der gezahlten Entschä-digungen um eine nichtselbständige Tätigkeit i. S. des§ 19 EStG gehandelt hätte oder ob vielmehr die Voraus-setzungen für sonstige Einkünfte i. S. des § 22 EStG vor-gelegen hätten.

IV. Ausblick

Durch die vom FG zugelassene und vom Bekl. eingelegteRevision erhält der VI. Senat des BFH die Möglichkeit,sich erneut mit einer Fahrzeuggestellung im überwie-genden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers zubefassen. Die Klin. betonte in dem Verfahren vor demFG die enorme Bedeutung dieser Streitfrage für sie selbstund das Ehrenamt in der freiwilligen Feuerwehr imAllgemeinen. Diese Einschätzung bestätigte sich auchdurch im Internet verfügbare Stellungnahmen und Gut-achten von Berufsverbänden, die zwar einerseits auf dieEntscheidungen des BFH und des Niedersächsischen FGverwiesen, die verbleibende Rechtsunsicherheit imBereich der permanenten Gestellung eines Einsatzfahr-zeugs bedauerten.

Richterin Dr. Eva Juntermanns

11 Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung insAusland

Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. 4. 2018 5 K 262/16 –Rev. eingelegt (Az. des BFH: VI R 21/18).

Wird ein Arbeitnehmer im Rahmen eines Entsendever-trags für längere Zeit zu einem verbundenen Unterneh-men ins Ausland entsandt und schließt er dort einen loka-len Arbeitsvertrag ab, wonach er dem Direktionsrecht desausländischen Unternehmens unterstellt ist, liegt im Aus-land eine erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG2014 vor.

Vom ausländischen Arbeitgeber gewährte Zuschüsse fürUnterkunft und Heimfahrten sind dementsprechend nichtim Rahmen des Progressionsvorbehaltes steuerfrei zu be-handeln, soweit auch die Voraussetzungen einer beruflichveranlassten doppelten Haushaltsführung nicht vorliegen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und 5, Abs. 4, § 32b Abs. 1Nr. 3.

1–14 Streitig ist, ob Reisekostenerstattungen eines insAusland entsandten Arbeitnehmers im Rahmen des Pro-gressionsvorbehalts als steuerfrei zu behandeln sind. DieKl. sind verheiratet und werden zusammen zur ESt veran-lagt. Sie unterhalten eine inländische Wohnung in H. DerKl. erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit auseinem Beschäftigungsverhältnis mit dem VW-Konzern. DerKl. wurde zunächst im VW-Werk in Wolfsburg eingesetzt.

Im Frühjahr 2013 traf der Kl. mit der VWAG eine Entsende-vereinbarung, wonach er ab dem Sommer 2013 eine Tätig-keit bei der VW Group of America übernehmen wird. DieDauer des Auslandseinsatzes war – vorbehaltlich einer Ver-längerung – bis zum Sommer 2016 befristet. Das Arbeitsver-hältnis mit der Heimatgesellschaft wurde mit Beginn desAuslandseinsatzes ruhend gestellt. Der Entsendevertragsah weiterhin vor, dass der Kl. einen lokalen Arbeitsvertragmit der Gastgesellschaft schließt, der u. a. Einzelheiten zuseinem Aufgabengebiet, Befugnissen und Verantwortlich-keiten regeln sollte. Die Entsendevereinbarung trat ergän-zend neben den ruhenden Arbeitsvertrag mit der Heimat-gesellschaft und den lokalen Arbeitsvertragmit der Gastge-sellschaft. Am Arbeitsplatz unterlag der Kl. den Regeln derGastgesellschaft und war verpflichtet, die Unternehmens-politik und die Prozesse der Gastgesellschaft zu befolgen.Die Arbeitsbedingungen während des Auslandseinsatzes,insbesondere Arbeitszeiten, krankheitsbedingte Abwesen-heiten, Feiertage und Freistellungen richteten sich grund-sätzlich nach den Regelungen des lokalen Arbeitsvertragsmit der Gastgesellschaft sowie den für die Gastgesellschaftgeltenden betrieblichen, tariflichen und gesetzlichen Rege-lungen in ihrer jeweiligen Fassung. Bei Dienstreisen vomEinsatzort galten die Bestimmungen der Reisekostenrege-lung der Gastgesellschaft.

In dem (lokalen) Arbeitsvertrag mit der VW Group of Ame-rica waren u. a. die Zusatzleistungen festgelegt, auf die derKl. Anspruch hatte (Mietkostenzuschuss, Dienstwagen,Zuschuss für Flugkosten in das Heimatland, Versicherungin der amerikanischen Sozialversicherung, Anspruch fürSprachtraining der Familienangehörigen). Zudem warendie arbeitsfreien Feiertage geregelt. Die Arbeitszeitenmussten im Einklang mit jenen der amerikanischen Kolle-gen stehen. Schließlich wurde die Verpflichtung begründet,demUnternehmen treu und sorgfältig zu dienen, sich jeder-zeit im Interesse des Unternehmens zu verhalten, keineweiteren bezahlten Tätigkeiten anzunehmen, Vertraulich-keit zu wahren und die Gesetze zu achten. Entsprechenddiesem Vertrag trat der Kl. die Stelle in den USA im Som-mer 2013 an. Seine Ehefrau, die Klin., begleitete ihn wäh-rend des Auslandsaufenthaltes. Die Kl. bezogen eine Woh-nung in den USA. Die Wohnung in H blieb bestehen.

15–18 In der ESt-Erklärung 2014 gab der Kl. ausländi-schen Arbeitslohn i. H. v. (umgerechnet) 175 413,82 € an.Dieser Betrag beinhaltet laut amerikanischer Gehaltsab-rechnung einen Wohnungskostenzuschuss, ein Flugbudgetund einen Zuschuss für Möbelmiete. Der Kl. ging davonaus, dass die Möbelmiete und das Flugbudget in voller

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EFG 2019 Nr. 1 37Entscheidung Nr. 11

Höhe 3 700 $ (= 2 875,09 €) und der Wohnungskosten-zuschuss i. H. v. 20 400 $ (= 15 355,66 €, entspricht demZuschuss, den der VW-Konzern einem alleinstehendenMit-arbeiter erstattet, sog. Single-Mietbudget) als steuerfreieWK-Erstattungen zu behandeln seien. Der Bekl. wich indem ESt-Bescheid 2014 insoweit von der Steuererklärungab, als er die ausländischen Einkünfte in voller Höhe miteinem Betrag von 175 413 € in die Berechnung des Steuer-satzes nach § 32b EStG einbezog. Der Einspruch der Kl.blieb erfolglos.

19–32 Mit ihrer Klage machen die Kl. geltend, dass Reise-kostenerstattungen in der beantragten Höhe im Rahmendes Progressionsvorbehalts als steuerfrei zu behandelnseien. Sie vertreten die Auffassung, dass es sich bei demAuslandseinsatz des Kl. um eine beruflich bedingte Aus-wärtstätigkeit handele. Notwendige Mehraufwendungeneines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Übernach-tungen an einer Tätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeits-stätte sei, seien WK bzw. könnten vom Arbeitgeber steuer-frei erstattet werden. Eine Auswärtstätigkeit sei nicht dauer-haft, wenn der Arbeitnehmer an seine erste Tätigkeitsstättezurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzenwerde. Die Vereinbarung mit der Gastgesellschaft würdenicht zu einer neuen ersten Tätigkeitsstätte führen. Es han-dele sich insofern nicht um einen eigenständigen Arbeits-vertrag. Ohne Arbeitsvertragmit dem entsendenden Unter-nehmen und Entsendevertrag gäbe es die arbeitsrechtlicheVereinbarungmit der Gastgesellschaft nicht. Der Abschlusslokaler Arbeitsvereinbarungen mit der Gastgesellschafterfolge, weil er Voraussetzung für den Erhalt eines Arbeits-visums, nach örtlichen arbeitsrechtlichen Vorschriften er-forderlich oder aus unternehmenssteuerlichen Gründennotwendig sei. Aus Sicht des Arbeitgebers sei er ein bloßerFormalismus. Ohne den ruhenden Arbeitsvertrag mit deminländischen Arbeitgeber wäre der Arbeitnehmer nicht zueinem Auslandseinsatz bereit, weil dieser ihm nach derRückkehr die Fortsetzung seiner Tätigkeit zu den bisheri-gen Bedingungen garantiere.

Der Bekl. dagegen meint, dass die Beschäftigungsstätte inden USA zur ersten Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4Satz 2, Abs. 4 EStG geworden sei. Die Aufwendungen fürWohnung und Flüge seien deshalb begrifflich keine WK.Die Erstattung dieser Kosten gehöre zu dem im Rahmendes Progressionsvorbehalts zu berücksichtigenden auslän-dischen Einkommen. Die Voraussetzungen einer beruflichveranlassten doppelten Haushaltsführung lägen ebenfallsnicht vor, da die Klin. den Kl. in die USA begleitet habe.Der Lebensmittelpunkt der Familie sei damit in die USAverlagert worden.

Aus den Gründen:

33 Die Klage ist unbegründet.

34 Der Bekl. hat die Einkünfte der Kl. in dem ESt-Bescheid 2014 vom 9. 5. 2016 zutreffend festgesetzt.

Welteinkommensprinzip

35 1. Die Kl. sind auch im Streitjahr 2014 in Deutschlandunbeschränkt steuerpflichtig. Gemäß § 1 Abs. 1 EStG sindnatürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oderihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt ein-kommensteuerpflichtig. Die Kl. haben ihren Wohnsitz in Hwährend der Zeit der Entsendung des Kl. in die USA beibe-halten. Damit unterliegen die von ihnen erzielten Einkünftegrundsätzlich der deutschen ESt (sog. Welteinkommens-prinzip).

Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nichtselbständi-ger Arbeit in den USA steht nach DBA-USA denVereinigten Staaten zu

36 2. Soweit der Kl. aus dem nichtselbständigen Beschäf-tigungsverhältnis mit VW Group of America Einnahmen

erzielt, unterliegen diese allerdings dem Besteuerungs-recht der Vereinigten Staaten. Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-USA können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen,die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person ausunselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteu-ert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Ver-tragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so kön-nen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staatbesteuert werden. Ungeachtet dieser Regelung könnennach Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-USA Vergütungen, dieeine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine imanderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeitbezieht, nur im erstgenannten Staat besteuert werden,wenn der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nichtlänger als 183 Tage während des betreffenden Kj. aufhält.Da sich der Kl. im Streitjahr mehr als 183 Tage in den USAaufgehalten hat, steht das Besteuerungsrecht für die Ein-künfte aus nichtselbständiger Arbeit aus der Beschäftigungin den USA nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-USA den Verei-nigten Staaten zu.

37 3. Berücksichtigung finden die ausländischen Ein-künfte des Kl. jedoch bei der Ermittlung des Steuersatzes.Gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG ist auf das nach § 32aAbs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besondererSteuersatz anzuwenden, wenn ein unbeschränkt Steuer-pflichtiger Einkünfte bezogen hat, die nach einem Abkom-men zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfreisind. Das ist – wie oben dargelegt – bei den Einkünften ausder nichtselbständigen Berufstätigkeit in den USA der Fall.

Die Einkünfte aus den USA sind aber in voller Höhebeim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen

38 4. Die ausländischen Einkünfte sind beim Progressi-onsvorbehalt in Höhe eines Betrages von 175 413,82 € zuberücksichtigen. Entgegen der Rechtsmeinung der Kl. stelltein darin enthaltener Teilbetrag von 18 140,75 € keinensteuerfreien WK-Ersatz dar. Gemäß § 3 Nr. 16 EStG sindsteuerfrei die Vergütungen, die Arbeitnehmer außerhalbdes öffentlichen Dienstes von ihrem Arbeitgeber zur Erstat-tung von Reisekosten, Umzugskosten und Mehraufwen-dungen bei doppelter Haushaltsführung erhalten, soweitsie die nach § 9 EStG als WK abziehbaren Aufwendungennicht übersteigen. Voraussetzung für die steuerfreie Erstat-tung ist mithin, dass die erstatteten Aufwendungen begriff-lich WK sind.

Die erstatteten Aufwendungen sind keine WK, da dasVW-Werk in den USA „erste Tätigkeitsstätte“ gewordenist

39 a) WK sind nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und 5a EStGAufwendungen des Arbeitnehmers für beruflich veran-lasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung underster Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG sind bzw.notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers fürberuflich veranlasste Übernachtungen an einer Tätigkeits-stätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist. Damit wären dieAufwendungen des Kl. für Reisen in die USA und für dieWohnung in USA nur dann als WK abziehbar, wenn dasVW-Werk in den USA nicht als erste Tätigkeitsstätte anzu-sehen wäre. Zur Überzeugung des Senats stellt dieseBetriebsstätte für die Zeit des Aufenthaltes des Kl. in denVereinigten Staaten jedoch eine erste Tätigkeitsstätte dar.

Gesetzliche Definition des Begriffs „erste Tätigkeitstätte“

40 Nach § 9 Abs. 4 EStG in der ab dem 1. 1. 2014 gelten-den Gesetzesfassung ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfestebetriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbunde-nen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vomArbeitgeberbestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zuge-ordnet ist. Die Zuordnung i. S. des Satzes 1 wird durch diedienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie diediese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.

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Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszu-gehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauerdes Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätigwerden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtlicheFestlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht ein-deutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrich-tung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweisearbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zweivolle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner verein-barten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

VW-Werk in USA ist eine ortsfeste betriebliche Einrich-tung eines mit der VW AG verbundenen Unternehmens

41 Das VW-Werk in USA ist eine ortsfeste betrieblicheEinrichtung eines mit der VW AG verbundenen Unterneh-mens. Dieser Tätigkeitsstätte war der Kl. für die gesamteDauer seiner Entsendung in die USA vom 1. 7. 2013 bis zum30. 6. 2016 und damit dauerhaft zugeordnet. Die Zuordnungergibt sich aus den beiden Verträgen, die der Kl. für denZeitraum seiner Entsendung in die Vereinigten Staatenabgeschlossen hat (Entsendevertrag und lokaler Arbeits-vertrag mit VW Group of America).

Kl. war nach den maßgeblichen Regelungen im Entsende-vertrag und lokalen Arbeitsvertrag dem Direktionsrechtvon VW USA unterstellt, ...

42 Entgegen der Rechtsansicht der Kl. hat der Kl. für dieZeit seiner Entsendung in die USA ein gesondertes arbeits-rechtliches Regelungswerk vereinbart, dass sich aus denBestimmungen des Entsendevertrags und des lokalenArbeitsvertrags zusammensetzt. In diesen Verträgen wer-den mit den Vertragspartnern, der Vertragsdauer, derzugewiesenen Aufgabe, den Arbeitszeiten und der Höheder Vergütung einschließlich Zusatzleistungen alle ver-tragswesentlichen Bestandteile eines Arbeitsvertrags gere-gelt. Zudem wird der Kl. dem Direktionsrecht von VWGroup of America unterstellt (Ziff. 4.4. des Entsendever-trags, Einleitung („you will be considered an employee ofVolkswagen Group of America“) des lokalen Arbeitsver-trags). Hinsichtlich des bisherigen Arbeitsvertrags mit derVW AG wird demgegenüber ausdrücklich das Ruhen fürdie Zeit des Auslandseinsatzes angeordnet (Ziff. 2.1. desEntsendevertrags). Soweit die Kl. darauf hinweisen, dassArbeitsverträge mit amerikanischen Arbeitnehmern einenanderen Inhalt aufweisen, mag dieses zwar zutreffen. DaArbeitsverträge im Rahmen der Vertragsfreiheit unter-schiedlich ausgestaltet sein können, ist dieses kein durch-greifendes Argument, weshalb die getroffenen vertragli-chen Vereinbarungen nicht Bestandteil eines Arbeitsver-trags sein sollen.

... und „für die Dauer des Dienstverhältnisses“ dem VW-Werk in den USA zugeordnet

43 Die Unterstellung des Kl. unter das Direktionsrecht derVW Group of America bewirkt eine dienst- oder arbeits-rechtliche Zuordnung zum VW-Werk in den USA i. S. des§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG. Zudem liegt aufgrund des Abschlus-ses eines eigenständigen Arbeitsvertrags eine Zuordnungi. S. des zweiten Regelbeispiels in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStGvor. Wegen der Suspendierung des Arbeitsvertrags mit derVWAG in Deutschland kann sich im Streitfall der Terminus„für die Dauer des Dienstverhältnisses“ nur auf den imEntsendezeitraum geltenden lokalen Arbeitsvertrag undden Entsendevertrag, nicht aber auf den deutschenArbeitsvertrag mit der VWAG beziehen. Da der Kl. für dengesamten Entsendezeitraum von drei Jahren der Betriebs-stätte in den USA zugeordnet war, erstreckte sich dieZuordnung über die gesamte Dauer des Bestehens desmaßgeblichen Dienstverhältnisses (ähnlich – für Fälledes Leiharbeitsverhältnisses – Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG Rz. 547).

Erste Tätigkeitsstätte kommt auch im Rahmen einesbefristeten Dienstverhältnisses in Betracht

44 Soweit die Kl. meinen, dass eine erste Tätigkeitsstättenur im Rahmen eines unbefristeten Dienstverhältnisses vor-liegen könne, entspricht dieses nicht der Gesetzeslage, danach § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 3 EStG befristete Arbeitsver-hältnisse von mindestens 48 Kalendermonaten zwingend(„ist ... auszugehen“) zur Annahme einer dauerhaftenZuordnung führen. Zudem handelt es sich bei den drei Tat-bestandsvarianten des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nur um Regel-beispiele („insbesondere davon auszugehen“), woraus imUmkehrschluss folgt, dass auch bei kürzeren Zeiträumender Zuordnung eine „dauerhafte“ Zuordnung i. S. desGesetzes vorliegen kann.

45 Für das gefundene Auslegungsergebnis streitet imÜbrigen auch die Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG.Danach ist in Fällen fehlender dienst- oder arbeitsrechtli-cher Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte im Rahmen einerquantitativen Betrachtung eine Betriebsstätte bereits dannerste Tätigkeitsstätte im Sinne des Gesetzes, wenn derArbeitnehmer an ihr je Arbeitswochemindestens zwei volleArbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbartenregelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Es wäre nichtschlüssig, warum der Kl., der für den gesamten Zeitraumseiner Entsendung ausschließlich an einer einzigen Be-triebsstätte tätig geworden ist, dort keine erste Tätigkeits-stätte gehabt haben sollte, obwohl er dieser Betriebs-stätte sogar ausdrücklich durch Arbeitsvertrag zugewiesenwurde.

Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppeltenHaushaltsführung liegen nicht vor

46 b) Schließlich kann der Kl. die streitigen Aufwendun-gen auch nicht nach den Grundsätzen über eine beruflichveranlasste doppelte Haushaltsführung abziehen. Einedoppelte Haushaltsführung liegt nach § 9Abs. 1 Satz 3Nr. 5Satz 2 EStG nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb desOrtes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haus-stand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstättewohnt. Hausstand in diesem Sinne ist der Haushalt, dender Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also seinErst- oder Haupthaushalt (BFH-Urteil vom 16. 1. 2013VIR 46/12, BFHE 240, 241, BStBl II 2013, 627). Bei einemverheirateten Arbeitnehmer liegt der Mittelpunkt derLebensinteressen grundsätzlich an dem Ort, an dem er mitseinem Ehepartner wohnt (BFH-Urteil vom 8. 10. 2014VI R16/14, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511). Im Streitfallhat die Klin. ihren Ehemann in die USA begleitet; von daherist die Wohnung am Ort der ersten Tätigkeitsstätte – undnicht die Wohnung in H – Lebensmittelpunktswohnung, sodass die Lebensführung nicht auf zwei verschiedene Haus-halte aufgeteilt war und damit keine doppelte Haushalts-führung vorlag.

47–48 ... Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 1Nr. 1 FGO. Es liegt bislang noch keine höchstrichterlicheEntscheidung zur der Frage vor, unter welchen Vorausset-zungen in Entsendefällen von einer dauerhaften Zuord-nung i. S. des § 9 Abs. 4 EStG auszugehen ist.

Anmerkung

I. Problemstellung/Entscheidungserhebliche Norm

Im Besprechungsfall war darüber zu entscheiden, ob imRahmen einer dreijährigen Entsendung vom ausländi-schen Arbeitgeber gezahlte Flugkosten- undWohnungs-kostenzuschüsse im Rahmen des Progressionsvorbe-halts als steuerfreier WK-Ersatz zu behandeln sind. Ent-scheidungserheblich war hierbei letztlich, unter welchenVoraussetzungen in Entsendefällen von einer dauerhaf-ten Zuordnung i. S. des § 9 Abs. 4 EStG 2014 auszugehenist.

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EFG 2019 Nr. 1 39Entscheidung Nr. 11

1. Der Kl. war bei VW in Wolfsburg angestellt. Anfang2013 schloss er mit seinem Arbeitgeber einen Entsende-vertrag, wonach er ab dem Sommer 2013 eine Tätigkeitbei VWUSA übernehmen wird. Die Dauer des Auslands-einsatzes war bis zum Sommer 2016 befristet. Das Ar-beitsverhältnis mit VW Deutschland wurde mit Beginndes Auslandseinsatzes ruhend gestellt. Der Entsende-vertrag sah außerdem vor, dass der Kl. einen lokalenArbeitsvertragmit der Gastgesellschaft schließt, der u. a.Einzelheiten zu seinemAufgabengebiet undVerantwort-lichkeiten regeln sollte. Auf der Grundlage eines solchenlokalen Arbeitsvertrags mit VW USA trat der Kl. im Som-mer 2013 seine Tätigkeit in den USA an. Sowohl in demEntsendevertrag als auch in dem lokalen Arbeitsvertragwurde der Kl. dem Direktionsrecht des amerikanischenArbeitgebers unterstellt.

Der Kl. erhielt im Streitjahr 2014 von seinem auslän-dischen Arbeitgeber Arbeitslohn i. H. v. ca. 175 000 €.Darin waren u. a. Flugkosten- und Wohnungskostenzu-schüsse enthalten, die der Kl. bei der Ermittlung desSteuersatzes nach § 32b EStG (Progressionsvorbehalt)i. H. v. ca. 18 000 € als steuerfreien WK-Ersatz (§ 3 Nr. 16EStG) behandelt haben wollte. Er vertrat die Auffassung,dass es sich bei diesen Zuschüssen um Reisekostener-satz handele. Sein Auslandseinsatz sei eine beruflichbedingte Auswärtstätigkeit an einer Tätigkeitsstätte, dienicht erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG 2014sei. Dementsprechend seien nach § 9 Abs. 1 Satz 3 EStGnotwendige Mehraufwendungen für Fahrten und Über-nachtungen WK bzw. deren Erstattung nach § 3 Nr. 16EStG steuerfrei.

2. Gemäß § 3 Nr. 16 EStG sind die Vergütungen steuer-frei, die Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Diens-tes von ihrem Arbeitgeber zur Erstattung von Reisekos-ten, Umzugskosten und Mehraufwendungen bei doppel-ter Haushaltsführung erhalten, soweit sie die nach § 9EStG als WK abziehbaren Aufwendungen nicht über-steigen. Voraussetzung für die steuerfreie Erstattung istsomit, dass die erstatteten Aufwendungen begrifflichWK sind.

WK sind nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und 5a EStGAufwendungen des Arbeitnehmers für beruflich veran-lasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischenWohnung underster Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG sind bzw.notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmersfür beruflich veranlasste Übernachtungen an einerTätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist. Nachder Legaldefinition des § 9 Abs. 4 EStG 2014 ist ersteTätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung desArbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten,der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist (§ 9Abs. 4 Satz 1 EStG 2014). Die Zuordnung wird grundsätz-lich durch die dienst- und arbeitsrechtlichen Festlegun-gen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Wei-sungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG 2014). Von einerdauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen,wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer desDienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von48Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätigwerden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG 2014). Fehlt einesolche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eineTätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist ersteTätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der derArbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglichtätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeits-tage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbartenregelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll (§ 9 Abs. 4Satz 2 EStG 2014).

Im Besprechungsfall hatte das FG nunmehr darüber zuentscheiden, ob in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal

„dauerhafte Zuordnung“ letztlich auf den ursprüng-lichen Arbeitsvertrag mit dem inländischen Arbeitgeberoder auf den Entsendevertrag und den lokalen Arbeits-vertrag abzustellen ist.

II. Die Entscheidung des FG

Das FG wies die Klage ab. Es teilte nicht die Auffassungdes Kl., wonach vorrangig auf den ursprünglichen Ver-trag mit dem entsendenden Arbeitgeber abzustellen seiund eine Auswärtstätigkeit nicht dauerhaft sei, wenn derArbeitnehmer an seine erste, inländische Tätigkeitsstättezurückkehren werde. Das FG hielt für die Beurteilungder „dauerhaften Zuordnung“ die Regelungen im Ent-sendevertrag und lokalen Arbeitsvertrag für maßgeb-lich. Wegen der Suspendierung des Arbeitsvertrags inDeutschland könne sich im Streitfall der Terminus „fürdie Dauer des Dienstverhältnisses“ nur auf den im Ent-sendezeitraum geltenden lokalen Arbeitsvertrag undden Entsendevertrag, nicht aber auf den deutschenArbeitsvertrag mit der VW AG beziehen. Da der Kl. fürden gesamten Entsendezeitraum von drei Jahren derBetriebsstätte in den USA zugeordnet gewesen sei,erstreckte sich die Zuordnung über die gesamte Dauerdes Bestehens des maßgeblichen Dienstverhältnisses.Das FG verwarf insbesondere auch die Ansicht des Kl.,dass eine erste Tätigkeitsstätte nur im Rahmen einesunbefristeten Dienstverhältnisses vorliegen könne. Diesentspreche nicht der Gesetzeslage. Nach § 9 Abs. 4 Satz 3Alt. 3 EStG 2014 führten befristete Arbeitsverhältnissevon mindestens 48 Kalendermonaten nämlich zwingendzur Annahme einer dauerhaften Zuordnung. Zudem han-dele es sich bei den drei Tatbestandsvarianten des § 9Abs. 4 Satz 3 EStG nur um Regelbeispiele. Hieraus folgeim Umkehrschluss, dass auch bei kürzeren Zeiträumender Zuordnung eine „dauerhafte“ Zuordnung i. S. desGesetzes vorliegen könne.

Da die Klin. den Kl. in die USA begleitet habe, hättenauch die Voraussetzungen einer beruflich veranlasstendoppelten Haushaltsführung nicht vorgelegen (§ 9 Abs. 1Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Steuerfreie Kostenerstattungenkönnten daher auch unter diesem Gesichtspunkt nichtvorliegen.

III. Konsequenzen/Hinweise für die Praxis

Gegen das Besprechungsurteil ist ein Revisionsverfah-ren beim BFH anhängig (Az. des BFH: VI R 21/18). DasFG hatte am 19. 4. 2018 außerdem noch über zwei Paral-lelverfahren (Az.: 5 K 266/16 und 5 K 256/16) zu entschei-den, gegen die ebenfalls Revision beim BFH eingelegtwurde (Az. des BFH: VI R 22/18 undVI R 23/18). Es bleibtabzuwarten, ob der BFH die Auffassung des FG teilt.Auswirkungen könnte dies ggf. auch auf die Beurteilungvon Leiharbeitsverhältnissen haben. Hierzu hat das Nie-dersächsische FG mit Urteil vom 30. 11. 2016 9 K 130/16(EFG 2017, 202, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 6/17)zwar entschieden, dass der Betrieb des Entleihers grund-sätzlich keine erste Tätigkeitsstätte des Leiharbeitneh-mers darstellt. Es hat aber gleichzeitig darauf hingewie-sen, dass eine Zuordnung für die Dauer des Dienstver-hältnisses (§ 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG 2014) bei be-fristeten Leiharbeitsverhältnissen ggf. ausnahmsweisedenkbar sei, wenn die Zuordnung für die gesamte Dauerzu einem bestimmten Betrieb des Entleihers bereitsbei Beginn des Leiharbeitsverhältnisses feststehe. Die-sen Gesichtspunkt hat das FG in dem Besprechungs-urteil unter Hinweis auf entsprechende Äußerungenim Schrifttum (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Rau-pach, EStG/KStG, § 9 EStG Rz. 547) ebenfalls herangezo-gen.

Vorsitzender Richter am FG Heinz Neu

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40 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 12

12 An ehrenamtliche Mitglieder einer Vertre-terversammlung oder eines Verwaltungs-rats (Selbstverwaltungsorgane i. S. desSGB IV) gezahlte Entschädigungen für Zeit-aufwand (§ 41 Abs. 3 SGB IV) sind steuer-pflichtig

FGMünster, Urteil vom 31. 10. 2018 7 K 1976/17 E – vorläu-fig nicht rechtskräftig.

1. Ein ehrenamtliches Mitglied einer Vertreterversamm-lung oder eines Verwaltungsrats (Selbstverwaltungsor-gane i. S. des SGB IV) übt eine selbständige Tätigkeit i. S.des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG aus.

2. Entschädigungen für Zeitaufwand, die aufgrund einerin 1. genannten Tätigkeit gem. § 41 Abs. 3 SGB IV gezahltwerden, sind gem. § 18 EStG steuerpflichtig.

3. Das BFH-Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256,250, BStBl II 2018, 571), nach dem an ehrenamtliche Rich-ter gezahlte Entschädigungen für Zeitversäumnis nichtsteuerbar sind, ist auf eine in 1. genannte Tätigkeit nichtübertragbar.

4. Entschädigungen für Zeitaufwand, die aufgrund einerin 1. genannten Tätigkeit gezahlt werden, sind nicht nach§ 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Nr. 12 Satz 2.

1 Streitig ist, ob an den Kl. gezahlte Entschädigungen fürZeitaufwand gem. § 41 Abs. 3 SGB IV steuerpflichtige Ein-nahmen i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind.

2–3 Der Kl. ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der ...Er war im Streitjahr 2015 Mitglied bzw. alternierender Vor-sitzender des Verwaltungsrates der Krankenkasse X undMitglied der Vertreterversammlung der Y (Körperschaft desöffentlichen Rechts). Aufgrund dieser Eigenschaften erhieltder Kl. die folgenden Zahlungen (pauschale Entschädigungfür Zeitaufwand):

X Aus Anlass der Teilnahme an Sitzungendes Verwaltungsrates und dessen Aus-schüssen 628 €Für die Tätigkeit außerhalb der o. a.Sitzungen 6 240 €

Y Sitzungsgeld gem. § 41 Abs. 3 SGB IV 130 €

4 In der ESt-Erklärung für 2015 setzte der Kl. Einkünfteaus selbständiger Arbeit – Aufwandsentschädigungen –i. H. v. ... € an. In diesen Einkünften waren auch die o. g.pauschalen Entschädigungen für Zeitaufwand enthalten.Der Bekl. veranlagte ihn hinsichtlich dieser Einkünfte erklä-rungsgemäß.

5–9 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Kl.Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass der BFHin dem Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256, 250,BStBl II 2018, 571) entschieden habe, dass eine an ehren-amtliche Richter gezahlte Entschädigung für Zeitversäum-nis nicht steuerbar sei. Hieraus folge, dass auch die an ihngezahlten Entschädigungen für Zeitaufwand nicht steuer-bar seien.

Aus den Gründen:

10–11 Die Klage ist unbegründet.

12–13 Die an den Kl. gezahlten Entschädigungen für Zeit-aufwand gem. § 41 Abs. 3 SGB IV sind steuerpflichtigeEinnahmen i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG.

Selbständige Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG

14 Der Kl. übt eine (sonstige) selbständige Tätigkeit i. S.des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG aus.

15 Das EStG definiert nicht, was unter einer selbständi-gen Tätigkeit zu verstehen ist. Allerdings enthält § 18 EStGeine Aufzählung der dazugehörigen Tätigkeiten. Hiernachkönnen Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einer frei-beruflichen Tätigkeit, als Einnehmer einer staatlichenLotterie oder aus einer sonstigen selbständigen Tätigkeiterzielt werden (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG). Der Begriffder sonstigen selbständigen Tätigkeit wird im Gesetz wie-derum durch eine beispielhafte Aufzählung der Vergütun-gen für die Vollstreckung von Testamenten, für Vermö-gensverwaltung und für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmit-glied erläutert. Diese beispielhafte Aufzählung stellt einennicht abschließenden Katalog der in Betracht kommendenTätigkeiten dar. Weitere Tätigkeiten fallen in den Anwen-dungsbereich dieser Regelung, wenn sie ihrer Art nach denRegelbeispielen vergleichbar sind. Das ist z. B. der Fall,wenn die Tätigkeit die Betreuung fremder Vermögensinte-ressen umfasst, aber darüber hinaus auch, wenn es sichum eine selbständig ausgeübte fremdnützige Tätigkeit ineinem fremden Geschäftskreis handelt (BFH-Urteil vom15. 6. 2010 VIII R 14/09, BFHE 230, 54, BStBl II 2010, 909).Darüber hinaus erfordert der Begriff der selbständigenArbeit grundsätzlich die vier positiven Merkmale einesGewerbebetriebs: Selbständigkeit, Nachhaltigkeit, Teil-nahme am wirtschaftlichen Verkehr und Gewinnerzie-lungsabsicht (BFH-Urteil vom 30. 3. 1994 I R 54/93, BFHE175, 40, BStBl II 1994, 864).

Vergleichbar mit der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmit-glieds

16–18 Die Tätigkeit des Kl. als Mitglied der Selbstverwal-tungsorgane der X und der Y ist nach ihrer Art mit demin § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG aufgeführten Regelbeispiel derTätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds vergleichbar. Auf-sichtsratsmitglieder i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG sindMitglieder von Organen einer Körperschaft wie Aufsichts-rat oder Verwaltungsrat oder andere Personen, die mit derÜberwachung der Geschäftsführung beauftragt sind(Wacker in Schmidt, EStG, § 18 Rz. 150). Der Kl. war Mit-glied von Selbstverwaltungsorganen von Körperschaftendes öffentlichen Rechts, die u. a. mit der Überwachung derGeschäftsführung der jeweiligen Körperschaft beauftragtsind (im Ergebnis auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom18. 1. 1989 1 K 186/86, juris).

Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr

19 Die Tätigkeit des Kl. erfüllt auch die sonstigen Merk-male (Selbständigkeit, Nachhaltigkeit, Teilnahme am wirt-schaftlichen Verkehr und Gewinnerzielungsabsicht), dieim Rahmen der selbständigen Arbeit erforderlich sind. Ins-besondere liegt eine Teilnahme am allgemeinenwirtschaft-lichen Verkehr vor.

20 Eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Ver-kehr erfordert, dass der Steuerpflichtige im Unterschied zueinem reinen Abnehmer (Konsumenten) als Anbieter vonGütern oder Leistungen über den internen (privaten) Be-reich hinaus am allgemeinen Markt gegen Entgelt und fürDritte erkennbar auftritt. Die Funktion dieses Merkmalsbesteht in der Trennung des Markteinkommens (aufgrundGüter-/Leistungsaustausch) von sonstigen Vermögens-mehrungen (Wacker in Schmidt, EStG, § 15 Rz. 20).

21 Der Kl. wird in seiner Eigenschaft als Mitglied bzw.alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrats der X undals Mitglied der Vertreterversammlung der Y entschädigt.In beiden Fällen erfolgen Entschädigungen nach § 41SGB IV. Diese Vorschrift regelt die Entschädigung von den-jenigen Personen, die ehrenamtlich für einen Versiche-rungsträger tätig sind. Abs. 1 betrifft eine Erstattung vonbaren Auslagen, Abs. 2 eine Erstattung von Verdienstaus-fällen und Abs. 3 die Leistung eines Pauschbetrags für Zeit-aufwand. Sinn und Zweck dieser Entschädigungen ist, dassden ehrenamtlich Tätigen infolge der Ausübung ihrer

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EFG 2019 Nr. 1 41Entscheidung Nr. 12

Tätigkeit keine (finanziellen) Nachteile und mittelbareMo-tivationseinbußen entstehen. Erforderlich ist diese Rege-lung, da die ehrenamtlich Tätigen gegenüber den Versi-cherungsträgern nicht in einem Arbeits- oder Dienstver-hältnis stehen. Für den Streitfall ist in diesem Zusammen-hang insbesondere § 41 Abs. 3 SGB IV zu beachten, nachdessen Satz 1 den Mitgliedern der Selbstverwaltungsor-gane für jeden Kalendertag einer Sitzung ein Pauschbetragfür Zeitaufwand geleistet werden kann. Darüber hinauskann nach Satz 2 an bestimmte Personen – u. a. den (stell-vertretenden) Vorsitzenden der Selbstverwaltungsorgane –ein Pauschbetrag für Zeitaufwand für die Tätigkeit außer-halb von Sitzungen geleistet werden. Hierdurch sollen(finanzielle) Nachteile und mittelbareMotivationseinbußendurch den erforderlichen Zeit- und Arbeitsaufwand inZusammenhang mit den Sitzungen aufgefangen werden.Dieser erforderliche Zeit- undArbeitsaufwand resultiert vorallem aus der Vor- und Nachbereitung der Sitzungen (z. B.Lektüre der Protokolle und Einladungen, einschließlich derAnlagen; Teilnahme an Informations- und Schulungsver-anstaltungen) sowie aus der persönlichen Teilnahme anden Sitzungen (vgl. Löcher in Eichenhofer/Wenner, § 41SGB IV Rz. 1, 13).

22–23 Vor diesem Hintergrund handelt der Kl. bei seinenstreitgegenständlichen Tätigkeiten im Rahmen eines Leis-tungsaustauschs. Es besteht ein unmittelbarer Zusammen-hang zwischen den Tätigkeiten des Kl. und den von der Xund der Y gewährten Entschädigungen. Aus dem zwischendem Kl. und der jeweiligen Körperschaft bestehenden(öffentlich-rechtlichen) Rechtsverhältnis ergibt sich, dassdie gewährten Entschädigungen den Gegenwert für dieerbrachten Leistungen des Kl. bilden. Sinn und Zweckdieser Entschädigungen ist es, die ehrenamtlich Tätigen– mangels eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses – für ihreTätigkeit zu motivieren. Bei wirtschaftlicher Betrachtungist dies nicht anders zu werten, als eine Lohnzahlung imRahmen eines Arbeitsverhältnisses. Die Lohnzahlung istder Gegenwert für die vom Arbeitnehmer erbrachte Leis-tung, entschädigt ihn für den erforderlichen Zeit- undArbeitsaufwand und soll ihn zu weiterer Arbeit motivieren.Diese bei wirtschaftlicher Betrachtung vorliegende Ver-gleichbarkeit kann nicht allein deshalb entfallen, weil derArbeitnehmer begrifflich einen „Lohn“ bzw. ein „Entgelt“erhält und der für ein Selbstverwaltungsorgan der Versi-cherungsträger Tätige eine „Entschädigung“.

BFH-Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 ist nicht übertrag-bar

24 Entgegen der Auffassung des Kl. folgt auch ausdem BFH-Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256,250, BStBl II 2018, 571) kein abweichendes Ergebnis.Zunächst bezieht sich diese Entscheidung allein auf Zah-lungen nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungs-gesetz (JVEG). Sie hat – für sich genommen – keine Auswir-kungen auf andere Formen ehrenamtlichen Engagements(Trossen, HFR 2017, 398, 399).

25 Der BFH gelangt in dieser Entscheidung zu demErgebnis, dass eine an ehrenamtliche Richter gezahlte Ent-schädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG nichtsteuerbar sei. Zunächst führt der BFH hierzu aus, dasskeine Entschädigung i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vorliege. Die Entschädigung fürZeitaufwand trete nicht an die Stelle von entgangenen oderentgehenden Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.Weiter sei auch keine Steuerbarkeit nach § 22 Nr. 3 EStGgegeben. Es fehle an einem wirtschaftlichen Leistungsaus-tausch. Zwar könnten Einnahmen aus einer ehrenamtli-chen Tätigkeit zu Einkünften i. S. des § 22 Nr. 3 EStG füh-ren. Allerdings setze dies voraus, dass die Zahlungen durchdie ehrenamtliche Tätigkeit ausgelöst werden und dieseTätigkeit nach dem Gesamtbild der Verhältnisse den Tat-bestand eines auf Leistungsaustausch gerichteten Verhal-tens trägt. Bezogen auf eine an einen ehrenamtlichen Rich-

ter gezahlte Entschädigung für Zeitaufwand seien dieseVoraussetzungen nicht erfüllt. Die Tätigkeit und die Ent-schädigung stünden nicht in einem Gegenseitigkeitsver-hältnis. Der ehrenamtliche Richter solle nur pauschal fürdie entstandene Zeitversäumnis entschädigt werden. Dieszeige sich auch an der Formulierung in § 16 JVEG, derinsoweit nur von „Entschädigung“ und nicht von „Vergü-tung“ oder „Honorar“ spreche.

26 Diese Ausführungen des BFH lassen sich auf den vor-liegenden Streitfall nicht mit dem Ergebnis übertragen,dass die an den Kl. gezahlten Entschädigungen für Zeitauf-wand nicht gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerbar sind. Fürden erkennenden Senat sind die an ehrenamtliche Richtergem. § 16 JVEG einerseits und an ehrenamtlicheMitgliederder Selbstverwaltungsorgane gem. § 41 Abs. 3 SGB IVandererseits gezahlten Entschädigungen für Zeitversäum-nis bzw. Zeitaufwand nicht ohne weiteres miteinander ver-gleichbar. Bereits hinsichtlich des persönlichen Anwen-dungsbereichs des § 16 JVEG einerseits und des § 41 Abs. 3SGB IV andererseits ergeben sich Unterschiede. § 16 JVEGrichtet sich ausschließlich an ehrenamtliche Richter. § 41Abs. 3 SGB IV richtet sich nicht nur an die Mitglieder derSelbstverwaltungsorgane (Satz 1), sondern auch an dieVersichertenältesten und die Vertrauenspersonen (Satz 2)und erfasst somit verschiedene Formen des ehrenamtlichenEngagements bei Versicherungsträgern. Darüber hinausbeziehen sich die an ehrenamtliche Richter gezahlten Ent-schädigungen für Zeitversäumnis auf die Dauer der Heran-ziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezei-ten (maximal zehn Stunden je Tag) und betragen 6 € jeStunde. Die Entschädigungen für Zeitaufwand für die Mit-glieder der Selbstverwaltungsorgane, Versichertenältestenund Vertrauenspersonen können auch für eine Tätigkeitaußerhalb der Sitzungen geleistet werden (§ 41 Abs. 3Satz 2 SGB IV). Diese fehlende Vergleichbarkeit zeigt sichauch im Streitfall. Der Kl. bezieht einen Pauschbetrag fürZeitaufwand für eine Tätigkeit außerhalb von Sitzungeni. H. v. 6 240 € von der X. Einem ehrenamtlichen Richterwürde eine solche Entschädigung für eine Tätigkeit außer-halb seiner Heranziehung bereits dem Grunde nach nichtgeleistet werden. Im Übrigen liegen die an den Kl. gewähr-ten Entschädigungen auch der Höhe nach weit über denüblicherweise an ehrenamtliche Richter geleisteten Ent-schädigungen für Zeitversäumnis.

27–32 Im Ergebnis dürfte dies auch der jüngsten Rspr.des BFH entsprechen. Nach dem BFH-Urteil vom 3. 7. 2018VIII R 28/15 (BFHE 261, 537, BStBl II 2018, 715) ist wederdie ehrenamtliche Tätigkeit als Versichertenberater nochdie ehrenamtliche Tätigkeit als Mitglied eines Wider-spruchsausschusses mit der Tätigkeit eines ehrenamtlichenRichters vergleichbar. Diesen Tätigkeiten ist immanent,dass sie im Interesse der Versicherten und der Versicherun-gen erfolgen. Dies unterscheidet sie von der Tätigkeit einesunabhängigen Richters. Demzufolge kann das BFH-Urteilvom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256, 250, BStBl II 2018,571) nicht auf diese ehrenamtlichen Tätigkeiten übertragenwerden.

Keine Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG

33 Schließlich sind die an den Kl. gezahlten Entschädi-gungen für Zeitaufwand gem. § 41 Abs. 3 SGB IV nichtgem. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei (im Ergebnis auch FGHamburg, Urteil vom 30. 6. 1988 II 132/85, EFG 1989, 10).

34–35 Gemäß § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG sind bestimmte auseiner Bundeskasse oder Landeskasse gezahlte Bezügesteuerfrei. Gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG gilt das Gleiche fürBezüge, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichenKassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahltwerden, soweit nicht festgestellt wird, dass sie für Ver-dienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder denAufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar überstei-gen. Rechtsgrundlage für die an den Kl. gezahlten Entschä-

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42 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 13

digungen war § 41 Abs. 3 SGB IV. Danach können alsEntschädigungen Pauschbeträge für Zeitaufwand geleistetwerden. Mithin handelt es sich um Zahlungen für Zeitver-lust, der die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStGausschließt (BFH-Urteil vom 3. 7. 2018 VIII R 28/15, BFHE261, 537, BStBl II 2018, 715).

36 Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung derRechtssache zuzulassen.

Anmerkung

I. Problemstellung und Sachverhalt

Das FG hatte über die Frage zu entscheiden, ob sich dasBFH-Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE, 256, 250,BFHE 256, 350, BStBl II 2018, 571), nach dem an ehren-amtliche Richter gezahlte Entschädigungen für Zeitver-säumnis nicht steuerbar sind, auch auf andere Formenehrenamtlichen Engagements auswirkt.

Der Kl. war ehrenamtliches Mitglied einer Vertreterver-sammlung und eines Verwaltungsrats (Selbstverwal-tungsorgane i. S. des SGB IV). In dieser Eigenschafterhielt er pauschale Entschädigungen für Zeitaufwandgem. § 41 Abs. 3 SGB IV.

II. Rechtsauffassung des Kl.

Der Kl. ist der Auffassung, dass das BFH-Urteil vom31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256, 250, BStBl II 2018, 571)auf andere Formen ehrenamtlichen Engagements über-tragen werden könne. Insbesondere seien die Entschei-dungsgründe auf seine ehrenamtlichen Tätigkeiten unddie an ihn gezahlten Entschädigungen für Zeitaufwandentsprechend anzuwenden. Für die an ehrenamtlicheRichter gezahlten Entschädigungen für Zeitversäumnishabe der BFH entschieden, dass diese nicht steuerbarseien. Entscheidend sei gewesen, dass diesen Entschädi-gungen kein Leistungsaustausch zugrunde liege. Diesgelte auch für die an ihn gezahlten Entschädigungen.

III. Die Entscheidung des FG

Der 7. Senat des FG Münster hat die Klage abgewiesen.Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass der Kl.mit seinem ehrenamtlichen Engagement eine selbstän-dige Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausgeübthabe. Die Selbstverwaltungsorgane, in denen der Kl.tätig war, seien mit einem Aufsichtsrat vergleichbar.Außerdem habe der Kl. am allgemeinen wirtschaftlichenVerkehr teilgenommen. Entgegen seiner Auffassunghabe ein Leistungsaustausch vorgelegen. Die an ihngezahlten Entschädigungen würden eine Gegenleistungfür den vom ihm erbrachten Arbeitsaufwand (Vor- undNachbereitung sowie Durchführung der Sitzungen) dar-stellen. In diesem Zusammenhang stellte der Senat fest,dass das BFH-Urteil vom 31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE256, 250, BStBl II 2018, 571) nicht mit dem Ergebnis aufden Kl. angewandt werden könne, dass die an ihngezahlten Entschädigungen nicht steuerbar seien. Ent-scheidend war für den Senat, dass die Tätigkeiten underzielten Entschädigungen des Kl. nicht mit der Tätigkeitund den Entschädigungen eines ehrenamtlichen Richtersvergleichbar seien.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung knüpft an das BFH-Urteil vom31. 1. 2017 IX R 10/16 (BFHE 256, 250, BStBl II 2018, 571)an. Sie verdeutlicht, dass die fehlende Steuerbarkeit deran ehrenamtliche Richter gezahlten Entschädigungen fürZeitversäumnis nicht ohne weiteres auf andere Formenehrenamtlichen Engagements übertragen werden kann.

V. Konsequenzen für die Praxis

Nach der Entscheidung des BFH zur fehlenden Steuer-barkeit von Entschädigungen für Zeitversäumnis, die an

ehrenamtliche Richter gezahlt werden, dürften vieleehrenamtlich Tätige an ihre Berater mit der Frage heran-getreten sein, ob sich diese Entscheidung auch auf ihrehrenamtliches Engagement übertragen lasse und ggf.bezogene Entschädigungen für Zeitaufwand demzufolgenicht zu versteuern seien.

Nach der vorliegenden Entscheidung ist diese Fragezumindest für gem. § 41 Abs. 3 SGB IV gezahlte Entschä-digungen für Zeitaufwand zu verneinen.

Richter Dr. Jan Dominik

13 Kein Abzug von AK bei Barabfindungenim Zuge eines Aktientauschs

FG Münster, Urteil vom 9. 10. 2018 2 K 3516/17 E – Rev.eingelegt (Az. des BFH: VIII R 44/18).

1. Eine Barabfindung, die bei einem Aktientausch i. S. des§ 20 Abs. 4a Satz 1 EStG zusätzlich zu den übernommenenAnteilen als Gegenleistung gezahlt wird, gilt nach § 20Abs. 4a Satz 2 EStG in voller Höhe – ohne Abzug von AK –als Kapitalertrag i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

2. § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG verstößt nicht gegen Art. 3Abs. 1 GG.

EStG § 20 Abs. 4a Satz 1 und 2, Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Satz 4,§ 32d Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1.

1–15 Im Zuge einer Fusion wurden die Anteile des Kl. ander Fa. M (USA) im Jahr 2015 umgetauscht in Aktien derS (USA), zzgl. einer Barabfindung, für die die Bank KapSteinbehielt.

Der Kl. beantragte die Überprüfung dieses Steuereinbe-halts gem. § 32d Abs. 4 EStG. Er meint, bei Barabfindungeni. S. des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG seien AK in Abzug zubringen. Abzuziehen seien anteilige AK der M-Anteile ent-sprechend dem Verhältnis der Barabfindung zur gesamtenGegenleistung. § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG qualifiziere denBarausgleich entgegen Art. 3 Abs. 1 GG als Ertrag i. S. des§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, obwohl keine Fruchtziehung, son-dern eine Substanzverwertung stattfinde. Zumindest seiendie AK der hingegebenen Anteile, soweit sie den Verkehrs-wert der erhaltenen Anteile überstiegen, abzuziehen.

Aus den Gründen:

16 Die Klage ist unbegründet.

Merkmale des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG sind erfüllt

17–18 ... Erhält der Steuerpflichtige bei einem Aktien-tausch i. S. des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG zusätzlich zu einge-tauschten Aktien eine Gegenleistung, gilt diese gem. § 20Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i. S. des § 20 Abs. 1Nr. 1 EStG. Die Übernahme von M durch S im Jahr 2015erfüllt die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 1 Halb-satz 1 EStG. ...

§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG sieht keinen Abzug von AK vor

19 Der Bekl. hat die ... Barabfindung zutreffend gem. demWortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung in vollerHöhe ohne Abzug von AK als Kapitalerträge i. S. des § 20Abs. 4a Satz 2 EStG angesetzt.

Der Abzug von AK kann nicht im Wege einer verfas-sungskonformen Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStGerreicht werden, ...

20 Die vom Kl. begehrte Auslegung des § 20 Abs. 4aSatz 2 EStG dahingehend, dass imWege einer verfassungs-

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EFG 2019 Nr. 1 43Entscheidung Nr. 13

konformen Auslegung der Norm bei der Besteuerung derBarabfindung (anteilige) AK der bisherigen, im Zuge dergesellschaftsrechtlichenMaßnahme eingetauschten Aktienin Abzug zu bringen sind, scheidet aus.

... denn ein solches Normverständnis ergibt sich nach kei-ner anerkannten Auslegungsmethode

21 Lässt eine Norm unter Berücksichtigung von Wortlaut,Entstehungsgeschichte, Zweck und Gesetzeszusammen-hang mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einemverfassungsgemäßen Ergebnis führt, ist diejenige Ausle-gung geboten, die mit dem GG in Einklang steht. Wortlautund Gesetzeszweck ziehen einer verfassungskonformenAuslegung aber zugleich Grenzen. Ein Normverständnis,das mit demWortlaut und Zweck der anzuwendenden Nor-men sowie demGesetzeszusammenhang nicht mehr in Ein-klang zu bringen ist, kann durch eine verfassungskonformeAuslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein sol-ches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willendes Gesetzgebers treten würde (BVerfG-Beschluss vom15. 10. 1996 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 93, m. w. N.).Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getrof-fen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspo-litischer Vorstellungen verändern und durch eine judika-tive Lösung ersetzen (vgl. BVerfG-Urteil vom 3. 4. 19901 BvR 1186/89, NJW 1990, 1593; FG Münster, Beschlussvom 24. 3. 2011 8 K 2430/09 GrE, EFG 2011, 1449). ImStreitfall scheitert die vom Kl. angestrebte Auslegung ameindeutigen Wortsinn des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG, amNormzweck und am systematischen Zusammenhang zwi-schen § 20 Abs. 4a Satz 1 und 2 EStG. Der Wortlaut des§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG ordnet ohne jede Einschränkungan, dass die Gegenleistung, die zusätzlich zu den neuenAnteilen gewährt wird, als „Ertrag“ i. S. des § 20 Abs. 1Nr. 1 EStG gilt. Das Wort „Gewinn“, das § 20 Abs. 4a Satz 1EStG bezüglich der späteren Veräußerung der erworbenenAnteile verwendet und das nach der Legaldefinition in § 20Abs. 4 EStG eine Residualgröße aus Einnahmen einerseitsund bestimmten Aufwendungen und AK andererseitsbezeichnet, enthält § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG gerade nicht.§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG regelt eine Fiktion, die nach demGesetzeswortlaut und seiner systematischen Stellung imRegelungsgefüge des § 20 Abs. 4a EStG die gesamtezusätzliche Gegenleistung, ohne Abzug von (anteiligen)AK, betrifft. Auch mit Sinn und Zweck der Norm sowiedem im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Willen desGesetzgebers ist eine Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 2EStG, bei der (anteilige) AK der bisherigen Aktien in Abzugzu bringen sind, nicht vereinbar. Im Bericht des Finanzaus-schusses (BT-Drs. 16/11108, 16) und im Gesetzentwurf derBundesregierung (Entwurf eines JStG 2009, BT-Drs.16/10189, 50) wird der Regelungszweck des § 20 Abs. 4aEStG ausdrücklich dahingehend beschrieben, dass dieAbgeltungsteuer im Zusammenhang mit gesellschafts-rechtlich veranlassten Kapitalmaßnahmen praktikabel aus-gestaltet werden sollte. Der Gesetzgeber hat in den in § 20Abs. 4a Satz 1 EStG geregelten Fällen in dem Bewusstsein,dass die dort genannten Tauschfälle im Grundsatz steuer-lich zu Veräußerungsvorgängen führen, eine Verschiebungder Besteuerung in die Zukunft vorgesehen, bei der dieAK der erhaltenen Anteile mit den AK der hingegebenen,bisherigen Anteile angesetzt werden sollten („Fußstapfen-theorie“). Nur in Fällen, in denen ein übernehmendesUnternehmen neben eigenen Anteilen als weitere Gegen-leistung auch eine Barkomponente anbietet, sollte „dieseZahlung als Ertrag steuerpflichtig zu behandeln“ sein(Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/11108, 16). Ausdieser Formulierung, die „Zahlung“ und „Ertrag“ gleich-setzt, wird deutlich, dass der Gesetzgeber bewusst in § 20Abs. 4a Satz 2 EStG die (anteiligen) AK der hingegebenenAnteile nicht zum Abzug zulassen wollte, getreu demGesetzeszweck, im Ergebnis eine vereinfachende Rege-lung zu schaffen und die Besteuerung des Tauschvorgan-

ges mit den notwendigen, ggf. kompliziert zu ermittelndenBerechnungsgrößen in die Zukunft zu verlagern.

§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG verstößt nicht gegen Art. 3Abs. 1 GG

22 Auch die Aussetzung des Verfahrens und die Einho-lung einer Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1Satz 1 GG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kommt imStreitfall nicht in Betracht. Der Senat ist der Überzeugung,dass die Regelungen in § 20 Abs. 4a Satz 1 und 2 EStGverfassungskonform sind. Sie verstoßen insbesondere nichtgegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1GG.

Art. 3 Abs. 1 GG als Maßstab für steuerliche Regelungen...

23 Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetz-geber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Unglei-ches ungleich zu behandeln. Aus dem allgemeinen Gleich-heitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand undDifferenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen fürden Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zueiner strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserforder-nisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür,unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber denGleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt undallgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffe-nen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche be-stimmen (ständige Rspr., z. B. BVerfG-Beschluss vom12. 5. 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111).

... begrenzt den weiten Entscheidungsspielraum desGesetzgebers durch das Gebot der Ausrichtung derSteuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit unddurch das Gebot der Folgerichtigkeit

24 Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber beider Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestim-mung des Steuersatzes einen weitreichenden Entschei-dungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzge-bers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die dasGesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so alsrechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere imBereich des ESt-Rechts, vor allem durch zwei engmiteinan-der verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot derAusrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfä-higkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danachmuss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuer-licher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuer-pflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hochzu besteuern, während die Besteuerung höherer Einkom-men im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Ein-kommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung dessteuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmalgetroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinneder Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmenvon einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen einesbesonderen sachlichen Grundes (ständige Rspr., z. B.BVerfG-Beschluss vom 12. 5. 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE123, 111).

25 Die für die Lastengleichheit im ESt-Recht maßgeblichefinanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetz-geber nach dem objektiven und dem subjektiven Netto-prinzip. Danach unterliegt der ESt grundsätzlich nur dasNettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbs-einnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen)Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenz-sichernden Aufwendungen andererseits. Das BVerfG hatbisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip, wie esin § 2 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommt, Verfassungsranghat; jedenfalls aber kann der Gesetzgeber dieses Prinzipbeim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen undsich dabei generalisierender, typisierender und pauschalie-

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44 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 13

render Regelungen bedienen (ständige Rspr., z. B. BVerfG-Beschluss vom 12. 5. 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111).

26 Nach diesemMaßstab verletzt § 20 Abs. 4a Satz 2 EStGden allgemeinen Gleichheitssatz nicht.

Zusätzliche Gegenleistungen i. S. des § 20 Abs. 4a Satz 2EStG unterliegen wegen der Grundentscheidung in § 20Abs. 4a Satz 1 EStG folgerichtig nicht den strengen Ver-lustausgleichsbeschränkungen des § 20 Abs. 6 Satz 4EStG

27 Vom weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebersumfasst ist insbesondere der Umstand, dass ein nach § 20Abs. 4a Satz 2 EStG zu versteuernder Ertrag, der im Zugeeines Anteilstauschs entsteht, durch den Verweis auf § 20Abs. 1 Nr. 1 EStG als Ertrag qualifiziert wird, für den diestrengen Verlustausgleichsbeschränkungen des § 20 Abs. 6Satz 4 EStG, denen Anteilsveräußerungen normalerweiseunterliegen, nicht gelten. Insofern handelt es sich um einefolgerichtige Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grund-entscheidung des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG, dass derAnteilstausch als solcher erst in der Zukunft besteuert wer-den soll, wenn dem Steuerpflichtigen Gewinne aus derVeräußerung der erhaltenen Anteile zufließen. Der Gesetz-geber ist dabei von der nicht zu beanstandenden Annahmeausgegangen, dass auf diese Weise im Zeitpunkt desAnteilstauschs die streitanfällige Bewertung des Veräuße-rungspreises und des konkreten Veräußerungszeitpunktesvermieden werden könnte und die Banken – auf Grundfehlender Zahlungsvorgänge – nicht die KapSt vom Steuer-pflichtigen einfordernmüssten (Gesetzentwurf der Bundes-regierung, Entwurf eines JStG 2009, BT-Drs. 16/10189, 50).Diesen legitimen Vereinfachungsgedanken führt § 20Abs. 4a Satz 2 EStG konsequent und folgerichtig weiter,indem er, falls zusätzlich zu den Anteilen eine Gegenleis-tung erbracht wird, diese der sofortigen Besteuerung unter-wirft. Dabei hatte der Gesetzgeber Barkomponenten, alsoZahlungen, vor Augen (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/11108, 16). In diesen Fällen ist Liquidität vorhan-den, auf die mit der KapSt zugegriffen werden kann. DerVereinfachungszweck der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 1EStG würde indes konterkariert, falls bei der Besteuerungder Baraufgabe nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG wie beiregulären Veräußerungsvorgängen AK abzuziehen wären.Da die ursprünglichen AK prinzipiell nach § 20 Abs. 4aSatz 1 EStG fortgeführt werden sollen, kommt ein vollstän-diger Abzug aller AK bei der Besteuerung der Barabfin-dung nach der gesetzgeberischen Grundentscheidungnicht in Betracht. Zur Ermittlung der Höhe etwaiger anteili-ger AK, die steuermindernd in Abzug zu bringen wären,müssten genau diejenigen streitanfälligen Daten ermitteltwerden (Veräußerungszeitpunkt, Wert der eingetauschtenund der neuen Anteile), die zur Schaffung der Verein-fachungsregelung des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG geführthaben. Das wiederum wäre mit dem legitimen Gesetzes-zweck unvereinbar.

Die zeitliche Verlagerung des Abzugs der AK der bisheri-gen Anteile in die Zukunft verstößt nicht gegen dasobjektive Nettoprinzip

28 Die Vorschriften des § 20 Abs. 4a Satz 1 und 2 EStGverstoßen auch nicht gegen das objektive Nettoprinzip,indem sie den Abzug von AK auf den Zeitpunkt in dieZukunft verlagern, in dem die erworbenen Aktien veräu-ßert werden. Das objektive Nettoprinzip gebietet zwar denAbzug von Aufwendungen, die mit der Einkunftserzielungin einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen, aller-dings von Verfassungs wegen nicht notwendigerweise injedem einzelnen – aus rein erhebungstechnischenGründengewählten – VZ. Danach wird eine Beschränkung des verti-kalen Verlustausgleichs durch das allgemeine Leistungs-fähigkeitsprinzip nicht grundsätzlich ausgeschlossen, so-lange nur tatsächlich entstandene Verluste überhaupt, ggf.in einem anderen VZ, und wenn auch beschränkt auf die

gleiche Einkunftsart, steuerlich berücksichtigt werden.Denn Art. 3 Abs. 1 GG entfaltet seine Wirkung grundsätz-lich VZ-übergreifend (z. B. BFH-Urteile vom 22. 9. 2016IV R 2/13, BFHE 255, 225, BStBl II 2017, 165; vom28. 4. 2016 IV R 20/13, BFHE 253, 260, BStBl II 2016, 739;vom 18. 10. 2006 IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007,259; vom 10. 2. 2015 IX R 8/14, BFH/NV 2015, 830; BFH-Beschluss vom 29. 4. 2005 XI B 127/04, BFHE 209, 379,BStBl II 2005, 609, jeweils m. w. N.). Nach diesem Maßstabist das objektive Nettoprinzip nicht dadurch verletzt, dassdie Baraufgabe selbst dann vollumfänglich besteuert wird,wenn die bis zum Zeitpunkt des Anteilstauschs entstande-nen stillen Reserven niedriger sein sollten als die Barabfin-dung. Denn die gesetzliche Regelung stellt sicher, dass diefortgeführten AK in jedem Falle bei einer späteren Ver-äußerung zum Abzug kommen. Insofern verbietet sich vordem Hintergrund des objektiven Nettoprinzips eine iso-lierte Betrachtung der Besteuerungsfolgen im Zeitpunktdes Anteilstauschs und im späteren Zeitpunkt der Veräuße-rung der erworbenen Anteile. Diese Überlegung mussinsbesondere auch für Fälle gelten, in denen es bei einerfiktiven regulären Veräußerung im Zeitpunkt des Anteils-tauschs zu einem Veräußerungsverlust gekommen wäre.Der Gesetzgeber darf entsprechend dem Gesetzeszweckauch in diesen Fällen auf die Baraufgabe als Steuersubstratzugreifen. ImÜbrigen ergeben sich aus denGesetzmateria-lien keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dieseFälle von der Besteuerung ausnehmen wollte.

Die Nichtverrechenbarkeit eines etwaigen späteren Ver-lustes aus der Veräußerung der übernommenen Anteilemit der zusätzlichen Gegenleistung i. S. des § 20 Abs. 4aSatz 2 EStG ist hinzunehmen

29 Dass ein in der Zukunft möglicherweise entstehenderVerlust aus der Veräußerung der neuen Anteile wegen § 20Abs. 6 Satz 4 EStG nicht im Wege des Verlustrücktrags mitden nach § 20 Abs. 4a Satz 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStGzu versteuernden Erträgen verrechnet werden kann, ist alsnotwendige Folge des konsequent umgesetzten Verein-fachungszweckes des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG hinzuneh-men. Letztlich sieht die gesetzliche Regelung vor allemkeinen vollständigen Ausschluss der Verlustverrechnungaus der Veräußerung der beim Anteilstausch erhaltenenAktien vor. Ein solcher Ausschluss wäre nach der Rspr. desBVerfG (BVerfG-Beschluss vom 30. 9. 1998 2 BvR 1818/91,BVerfGE 99, 88) nicht zulässig. Vielmehr können die Ver-luste ohne zeitliche Begrenzung mit zukünftigen steuerba-ren Gewinnen aus anderen privaten Aktienveräußerungs-geschäften verrechnet werden. Dabei besteht grundsätz-lich auch eine realistische Chance auf eine zukünftigeVerrechnung etwaiger Verluste aus der Veräußerung dererhaltenen Aktien mit Gewinnen aus der Veräußerunganderer Aktien. Hinzunehmen ist nach Ansicht des Sena-tes, dass es im Einzelfall, insbesondere bei fortgeschritte-nem Alter des Steuerpflichtigen und einer ungünstigenWertentwicklung des Aktienportfolios, faktisch zu einerendgültigen Nichtverrechenbarkeit von Verlusten aus derVeräußerung der im Zuge des Anteilstauschs erhaltenenAktien kommen kann. Da der Wertanlage in Aktien dasRisiko von Kursschwankungen immanent ist, ist die Ein-schätzung des Gesetzgebers, dass die Regelung des § 20Abs. 6 Satz 4 EStG zur Abwehr von Gefahren für den Haus-halt erforderlich sei, nach dem bei der Prüfung von Art. 3Abs. 1 GG anzulegenden Maßstab nicht zu beanstanden(i. E. ebenso Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom28. 2. 2018 5 K 69/15, EFG 2018, 948, zu § 20 Abs. 6 Satz 5EStG a. F.).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es nicht, im Zeitpunkt desAnteilstauschs der Entstehung etwaiger nur begrenzt ver-rechenbarer späterer Verluste aus der Veräußerung derübernommenen Anteile entgegenzuwirken

30 Der Gesetzgeber hat die Grenzen seines weiten Ge-staltungsspielraums auch nicht dadurch überschritten, dass

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EFG 2019 Nr. 1 45Entscheidung Nr. 13

er eine in Zukunft möglicherweise drohende Entstehungvon nach § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nur beschränkt verrechen-baren Verlusten im Zuge von Anteilstauschvorgängennicht entgegengewirkt hat und statt dessen etwaige Bar-aufgaben ohne Abzugsmöglichkeit von AK gem. § 20Abs. 4a Satz 2 EStG in vollem Umfang der Besteuerungunterworfen hat. Zwar ist die Baraufgabe bei wirtschaft-licher Gesamtbetrachtung des Anteilstauschs eine Gegen-leistung für die Hingabe der ursprünglichen Anteile.Gerade in den Fällen, in denen die fortgeführten AK derursprünglichen Anteile die fiktiven AK der erhaltenenAnteile übersteigen, erscheint es auch nicht als fernlie-gend, dass es bei dem späteren Anteilsverkauf durch denerst zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Abzug der AKsteuerlich eher zu einem negativen Ergebnis kommt, alswenn die AK zumindest anteilig bereits steuerminderndbei der Besteuerung der Barabfindung zu berücksichtigenwären. Bei typisierender und pauschalierender Betrach-tung besteht allerdings auch in diesen Fällen generell einerealistische Chance auf eine zukünftige Verrechnung die-ser Verluste mit Gewinnen aus anderen Aktienveräußerun-gen. Der Gesetzesvollzug würde im Gegenteil massiverschwert, wenn § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG, der die durch§ 20 Abs. 4a Satz 1 EStG gewährte steuerliche Privilegie-rung des Anteilstauschs durch die zeitliche Verschiebungder Steuerpflicht in die Zukunft für die Barabfindungdurchbricht, durch den Abzug (anteiliger) AK so schwierighandhabbar würde, dass der Gesetzeszweck des § 20Abs. 4a Satz 1 EStG im Ergebnis konterkariert würde. Diepotentielle Belastungswirkung, die § 20 Abs. 4a Satz 1 EStGim Zusammenspiel mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG im Einzelfallentfalten kann, ist aus der Perspektive des einzelnen Anle-gers bei einem von Kursschwankungen geprägten Investi-tionsobjekt hinzunehmen.

31–32 ... Die Revision ist gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zurFortbildung des Rechts zugelassen.

Anmerkung

I. Problemstellung

Das FG hatte über die Frage zu entscheiden, ob bei derVersteuerung von Barabfindungen, die im Zuge einesAnteilstauschs als zusätzliche Gegenleistung zu denerhaltenen Anteilen gezahlt werden, die AK der bisheri-gen Anteile zumindest anteilig steuermindernd berück-sichtigt werden können.

II. Entscheidung des FG

Das FG hat die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich vonder Überlegung leiten lassen, dass § 20 Abs. 4a Satz 2EStG, dessen Wortlaut den Abzug von AK nicht vorsieht,auch nach keiner anderen anerkannten Auslegungsme-thode (Systematik, Sinn und Zweck, Entstehungsge-schichte) so zu verstehen ist, dass ein solcher Abzuggeboten wäre. Da das FG nur eine Deutung der Norm fürmöglich gehalten hat, konnte die Auffassung des Kl., § 20Abs. 4a Satz 2 EStG sei im Wege verfassungskonformerAuslegung anders zu verstehen, nicht durchgreifen.Denn die verfassungskonforme Auslegung setzt mehreremögliche Auslegungen einer Norm voraus, von denennur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt.

Zentralen Raum in der Entscheidung nimmt die Überprü-fung von § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG am Maßstab des Art. 3Abs. 1 GG ein. Die maßgeblichen Fragestellungen erge-ben sich dabei vor allem aus dem Zusammenspiel von§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG mit § 20 Abs. 4a Satz 1 und § 20Abs. 6 Satz 4 EStG. Die Grundentscheidung des § 20Abs. 4a Satz 1 EStG, den Anteilstausch erst dann zubesteuern, wenn dem Steuerpflichtigen Erträge aus derVeräußerung der erhaltenen Anteile zufließen, basiertauf einem aus Sicht des FG legitimen Vereinfachungsge-

danken: Auf diese Weise sollen streitanfällige Bewer-tungen vermieden werden und die Banken von der– mangels Liquiditätszuflusses – andernfalls notwendi-gen Einforderung von KapSt entlastet werden. Wenn nunzusätzlich zu den Aktien Barkomponenten geleistet wer-den, die naturgemäß zahlenmäßig leicht zu bestimmensind, ist Liquidität vorhanden, so dass es folgerichtigerscheint, durch § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG auf diese Bar-komponenten bereits im Zeitpunkt des Anteilstauschssteuerlich zuzugreifen. Folgerichtig vor demHintergrunddes Vereinfachungsgedankens, der § 20 Abs. 4a Satz 1EStG zugrunde liegt, ist es auch, diese Barkomponentennicht um AK zu mindern. Anderenfalls würden genaudiejenigen Streitigkeiten drohen, die vermieden werdensollten. Genauso folgerichtig ist es, die Besteuerung derBarkomponente aus dem strengen Verlustverrechnungs-system des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auszunehmen.

Da das objektive Nettoprinzip nur gebietet, dass entstan-dene Verluste überhaupt zu berücksichtigen sind, undden Abzug von Aufwendungen nicht notwendigerweisein jedem einzelnen VZ gebietet, ist es nicht zu beanstan-den, dass die AK der bisherigen Anteile nicht schon imZeitpunkt des Anteilstauschs bei der Besteuerung derBarkomponente in Abzug zu bringen sind, sondern erstspäter, bei der Veräußerung der erhaltenen Anteile.

Dass etwaige Verluste, die in der Zukunft, bei einer Ver-äußerung der übernommenen Anteile, entstehen, nichtverrechnet werden können mit den nach § 20 Abs. 4aSatz 2 EStG zu versteuernden Barkomponenten, isthinzunehmen. Denn solche Verluste gehen grundsätz-lich nicht unter; es besteht eine realistische Chanceauf Verlustverrechnung mit Gewinnen aus anderen pri-vaten Aktienveräußerungsgeschäften. Der Gesetzgeberbrauchte auch keine Regelungen treffen, die möglichezukünftige Verluste verhindern sollen.

III. Einordnung/Würdigung der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung setzt sich ausführlich mitder Frage der Vereinbarkeit von § 20 Abs. 4a Satz 2 EStGmit Art. 3 Abs. 1 GG auseinander. Soweit ersichtlich,handelt es sich um das erste Urteil zu dieser Thematik.In der Literatur wird § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG teilweise als„missglückt“ bezeichnet (z. B. Bron/Seidel, DStZ 2009,268).

Davon abzugrenzen ist die im BFH-Urteil vom20. 10. 2016 VIII R 10/13 (BFHE 255, 537, BStBl II 2017,262) behandelte Thematik einer verfassungswidrigenund deshalb unzulässigen Rückwirkung des § 20 Abs. 4aSatz 2 EStG. In jenem Urteil hatte der BFH klargestellt,dass die Besteuerung des Barausgleichs zu einem ver-fassungsrechtlich unzulässigen Zugriff des Fiskus aufbereits steuerentstrickte Vermögenspositionen führenwürde, wenn der Barausgleich anlässlich eines Aktien-tauschs gezahlt wurde für vor dem 1. 1. 2009 erworbeneausländische Aktien, die wegen Ablaufs der einjährigenVeräußerungsfrist bereits steuerentstrickt waren. ImStreitfall hingegen hatte der Kl. die Aktien der Fa. Merst nach Einführung der Abgeltungsteuer, in den Jahren2013 und 2014, erworben, so dass sich die Rückwirkungs-problematik nicht stellte.

Mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des einge-schränkten Verlustausgleichs bei Verlusten aus der Ver-äußerung von Aktien gem. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a. F.(jetzt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) hat sich das Schleswig-Holsteinische FG in seinem Urteil vom 28. 2. 20185 K 69/15 (EFG 2018, 948) ausführlich auseinanderge-setzt. Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter demAz. VIII R 11/18 anhängig.

IV. Konsequenzen/Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass steuerbare Vorgänge nichtvollständig planbar sind. Beim Anteilstausch ist der

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46 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 14

Steuerpflichtige selbst typischerweise nicht in denUmwandlungsvorgang eingebunden. Gerade mit fort-schreitendem Alter des Steuerpflichtigen kann es ggf.zunehmend schwieriger werden, einen wirtschaftlichsinnvollen Zeitpunkt für die Veräußerung der übernom-menen Anteile zu finden. Wegen der eingeschränktenMöglichkeit zum Verlustausgleich gem. § 20 Abs. 6Satz 4 EStG besteht dann die potentielle Gefahr, dass imEinzelfall ggf. ein solcher Veräußerungsverlust mangelsrealisierbarer verrechenbarer Gewinne nicht genutztwerden kann. Diese Umstände führen jedoch nach denAusführungen imBesprechungsfall nicht zu einer Verfas-sungswidrigkeit des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG. Sollte diezugelassene Revision eingelegt werden, sollen etwaigeSteuerfälle unter Hinweis auf dieses Revisionsverfahrenoffengehalten werden.

Richterin am FG Dr. Bernadette Mai

14 Aufwendungen für die krankheitsbe-dingte Unterbringung von Angehörigenin einem Pflegeheim als ag. Bel. unterBerücksichtigung der zumutbaren Belas-tung

FGBaden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom13. 3. 2018 11 K 3653/15 – rechtskräftig.

1. Zu den Aufwendungen, die nach § 33 EStG zum Abzuggebracht werden können, gehören auch Aufwendungenfür die krankheitsbedingte Unterbringung von Angehöri-gen in einem Altenpflegeheim, während Aufwendungenfür deren altersbedingte Heimunterbringung nur nach§ 33a EStG berücksichtigt werden können. Eine Auftei-lung der durch das Pflegeheim in Rechnung gestelltenKosten in Unterhaltskosten i. S. des § 33a EStG einer-seits und Krankheitskosten i. S. des § 33 EStG anderseitskommt bei der krankheitsbedingten Unterbringung vonAngehörigen in einem Altenpflegheim nicht in Betracht(Anschluss an ständige Rspr. des BFH).

2. Die Regelung des § 33 EStG ist nicht verfassungswidrig,soweit danach aufgrund der Berücksichtigung der zumut-baren Belastung gem. § 33 Abs. 3 EStG Zahlungen im Rah-men des Elternunterhalts, die für die krankheitsbedingtePflege eines Elternteils geleistet werden, nicht in vollerHöhe zugelassen werden.

EStG § 33, § 33a Abs. 1; BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1; GGArt. 1, Art. 3, Art. 6, Art. 20.

1–22 Streitig ist die Berücksichtigung von Zahlungen imRahmen des Elternunterhalts als ag. Bel.

Die Kl. sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 2012und 2013 antragsgemäß zusammenveranlagt. Sie habeneine Tochter (T). In den Streitjahren leistete die Klin. Bei-träge zum laufenden Unterhalt ihrer Mutter i. H. v. 3 310 €(2012) bzw. 3 018 € (2013). Die Mutter war aufgrund einesSchlaganfalls ab 2010 bis zu ihrem Tod (September 2013)in einem Pflegeheim in A untergebracht, zunächst mit Pfle-gestufe 1, ab April 2013 mit Pflegestufe 3. Für die Heimun-terbringung stellte das Pflegeheim regelmäßig Leistungenin Rechnung, die u. a. Kosten für Unterkunft und Verpfle-gung, eine Pflegepauschale und Pflegekosten (jeweilsabhängig von der Pflegestufe) umfassten. In den Rechnun-gen wurde der von der Pflegeversicherung gezahlte Betragzum Abzug gebracht. Die Rechnungen für das Jahr 2012beliefen sich für die Monate Februar bis Dezember auf ins-gesamt 16 688,45 €, im Jahr 2013 von Januar bis Augustauf insgesamt 15 520,10 €. Dabei handelt es sich um die

Monate, in denen die Klin. laufenden Unterhalt leistete. ...Die Mutter der Klin. verfügte über eigenes Einkommen auseiner Altersrente, einer Witwenrente und einer Betriebs-rente. ...

Ab Juli 2010 gewährte das Landratsamt B der Mutter derKlin. Leistungen nach dem 7. Kapitel des SGB XII (Hilfezur Pflege). Zum 31. 1. 2012 stellte es seine Leistungen andie Mutter ein. Mit Schreiben vom 23. 1. 2012 teilte dasLandratsamt der Klin. mit, nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGBhafte sie entsprechend ihrer Einkommens- und Vermögens-verhältnisse anteilig für die Aufwendungen für ihre Mut-ter. ... Zudem forderte das Landratsamt die Klin. in demSchreiben auf, den von ihm ab dem 1. 11. 2010 bis Januar2012 geleisteten Unterhalt für ihre Mutter i. H. v. insgesamt3 677,20 € zu erstatten. ... Die Klin. bezahlte den angefor-derten Betrag im Verlauf des Jahres 2012 in zehn Raten.

In den ESt-Erklärungen 2012 und 2013 beantragten die Kl.u. a. die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen für ihreMutter als ag. Bel. Der für das Jahr 2012 geltend gemachteBetrag i. H. v. 6 987 € setzt sich zusammen aus den in zehnRaten an das Landratsamt B geleisteten Zahlungen i. H. v.insgesamt 3 677,20 € und den ab Februar 2012 als laufenderUnterhalt gezahlten Beträgen von 350 € im Februar undMärz 2012 sowie 290 € abApril 2012, insgesamt 3 310 €. Derfür das Jahr 2013 geltend gemachte Betrag von insgesamt3 018 € umfasst den von der Klin. in diesem Jahr geleistetenElternunterhalt i. H. v. jeweils 290 € für die Monate Januarbis Mai und – aufgrund der Einstufung in Pflegestufe 3 –von 515 € für Juni bis August, insgesamt 2 995 €, sowie eineÜberweisung von 10 € an die ... Klinik und eine Rechnungüber 13,63 € für Medizintechnik, die von der Klin. für ihreMutter bezahlt worden war. ...

Im ESt-Bescheid für das Jahr 2012 vom 23. 5. 2013 bliebendie geltend gemachten Aufwendungen unberücksichtigt.Im ESt-Bescheid für das Jahr 2013 vom 31. 7. 2014 erkanntedas FA die geltend gemachten Aufwendungen nach § 33EStG dem Grunde nach an; sie blieben jedoch aufgrundder vom FA auf Grundlage des Einkommens beider Kl.berechneten zumutbaren Belastung i. H. v. 4 851 € ohnesteuerliche Auswirkung.

Im Rahmen der Einspruchsverfahren änderte das FA denESt-Bescheid 2012 mit Bescheid vom 18. 11. 2015, erkannteZahlungen an das Pflegeheim für die Unterbringung derMutter i. H. v. 3 751 € im Rahmen des § 33 EStG demGrunde nach als ag. Bel. an, berücksichtigte aber nachAbzug einer errechneten zumutbaren Belastung i. H. v.3 065 € lediglich einen Betrag von 695 € als ag. Bel. DerBescheid für das Jahr 2013 wurde nicht geändert. Mit Ein-spruchsentscheidung vom 20. 11. 2015 wies das FA beideEinsprüche, die es zur gemeinsamen Entscheidung verbun-den hatte, als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren änderte das FA die ESt-Festsetzung für das Jahr 2012mit Bescheid vom 21. 12. 2017erneut und nahm nunmehr u. a. die Berechnung der zu-mutbaren Belastung entsprechend dem BFH-Urteil vom19. 1. 2017 VIR75/14 (BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684)stufenweise vor, brachte von den Unterhaltsleistungeni. H. v. 3 751 € nunmehr 2 391 € als zumutbare Belastungzum Abzug und erkannte 1 360 € als ag. Bel. an.

Im Rahmen der Begründung der Klage vertreten die Kl. imWesentlichen die Auffassung, die zumutbare Belastung seinur auf der Grundlage des auf die Klin. entfallendenAnteilsamGesamtbetrag der Einkünfte zu berücksichtigen und dieRegelungen in §§ 33 und 33a EStG seien verfassungswidrig,soweit danach Zahlungen im Rahmen des Elternunterhalts,die für die krankheitsbedingte Pflege eines Elternteilsgeleistet werden, nicht in voller Höhe zum Abzug zugelas-sen werden. Es liege ein Verstoß gegen das Verbot derBesteuerung des Existenzminimums sowie eine verfas-

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EFG 2019 Nr. 1 47Entscheidung Nr. 14

sungswidrige Ungleichbehandlung von Eltern- und Kindes-unterhalt vor. Insofern seien die Regelungen verfassungs-konform auszulegen. ...

Der Bekl. tritt der Klage insoweit nicht mehr entgegen, alsdie Kl. bei der ESt 2012 einen Abzug von ag. Bel. i. H. v.4 596 € beanspruchen, hält aber im Übrigen an seinerRechtsauffassung fest. ...

Aus den Gründen:

23 Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der ESt-Bescheid 2012 vom 21. 12. 2017 ist rechtswidrig und verletztdie Kl. in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der ESt-Bescheid 2013 ist hingegen nicht zu beanstanden.

24 Die geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen fürdie Mutter der Klin. können lediglich im Rahmen des § 33EStG Berücksichtigung finden und auch nur, soweit sie denBetrag der zumutbaren Belastung übersteigen. Dies ist aus-schließlich im VZ 2012 der Fall und auch dort nur in dertenorierten Höhe (s. dazu 1.). Die Regelung des § 33 EStGist auch nicht verfassungswidrig, soweit sie tatsächlichgeleisteten Elternunterhalt nicht in voller Höhe zum Abzugzulässt (s. dazu 2.).

Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbrin-gung von Angehörigen in einem Altenpflegeheim kön-nen ag. Bel. gem. § 33 Abs. 1 EStG sein

25 1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird, wenn einem Steuer-pflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als derüberwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtige gleicherEinkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisseund gleichen Familienstands erwachsen (ag. Bel.), aufAntrag die ESt dadurch ermäßigt, dass der Teil der Auf-wendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbareBelastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfteabgezogen wird. Aufwendungen erwachsen dem Steuer-pflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtli-chen, tatsächlichen oder sittlichenGründen nicht entziehenkann und soweit die Aufwendungen den Umständen nachnotwendig sind und einen angemessenen Betrag nichtübersteigen (Abs. 2 der Vorschrift). Zu den Aufwendungen,die nach § 33 Abs. 1 EStG zum Abzug gebracht werdenkönnen, fallen nach ständiger höchstrichterlicher Rspr.auchAufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbrin-gung von Angehörigen in einem Altenpflegeheim, wäh-rend Aufwendungen für deren altersbedingte Heimunter-bringung nur nach § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt wer-den können. Eine Aufteilung von durch das Pflegeheim inRechnung gestellten Kosten in Unterhaltskosten i. S. des§ 33a EStG einerseits und Krankheitskosten i. S. des § 33EStG andererseits kommt bei der krankheitsbedingtenUnterbringung von Angehörigen in einem Altenpflege-heim nicht in Betracht (s. Entscheidungen des BFH, z. B.Urteil vom 30. 6. 2011 VIR 14/10, BFHE 234, 191, BStBl II2012, 876, NJW 2011, 3262; Beschluss vom 8. 11. 2012VIB 82/12, BFH/NV 2013, 525; zuletzt Urteil vom 4. 10. 2017VI R22/16, BFHE 259, 352, BStBl II 2018, 179, m. w. N.).

Dem Grunde nach liegen ag. Bel. i. S. des § 33 Abs. 1EStG vor

26 a) Die Beteiligten sind sich einig, dass die Unterbrin-gung der Mutter der Klin. krankheitsbedingt erfolgte undsowohl die Zahlungen der Klin. im Rahmen des Elternun-terhalts als auch die im Jahr 2012 geleisteten Zahlungenan das Landratsamt B aufgrund ihrer Haftung für vomLandkreis geleistete Hilfe zur Pflege nach dem SGB XIIdem Grunde nach im Rahmen des § 33 Abs. 1 EStG als ag.Bel. abzugsfähig sind. Unstreitig ist auch die Höhe der vonder Klin. in den Streitjahren getragenen Aufwendungen fürden Unterhalt ihrer Mutter i. H. v. insgesamt 6 987 € imJahr 2012 (inklusive des Haftungsbetrags) und 2 995 € imJahr 2013. Die Aufwendungen sind der Klin. auch zwangs-

läufig i. S. des § 33 Abs. 2 EStG erwachsen. Auch hierübersind sich die Beteiligten einig. Insoweit wird auf die Nieder-schrift der im Rahmen der m.V. von den Beteiligten abge-gebenen Erklärungen verwiesen.

Berücksichtigung der zumutbaren Belastung auf derGrundlage des Gesamtbetrages der Einkünfte beiderEhegatten

27 b) Die Aufwendung können jedoch nur teilweise zumAbzug gebracht werden.

28 aa) Nach § 33 Abs. 1 EStG ist nur der Teil der Aufwen-dungen abzugsfähig, der die dem Steuerpflichtigen zumut-bare Belastung übersteigt. Diese wird u. a. auf der Grund-lage des Gesamtbetrags der Einkünfte ermittelt (Abs. 3 derVorschrift). Dabei ist – anders als die Kl. meinen – derGesamtbetrag der Einkünfte beider Ehegatten zugrundezu legen, auch wenn nur die Klin. zum Unterhalt verpflich-tet ist. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 33 EStG, derin Abs. 1 Satz 1 von Aufwendungen eines Steuerpflichtigenim Singular spricht („Erwachsen einem Steuerpflichtigen ...größere Aufwendungen“), bei der Bestimmung der zumut-baren Belastung in Abs. 3 der Vorschrift dagegen vomGesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) der Steuer-pflichtige im Plural ausgeht („Die zumutbare Belastungbeträgt bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte ... beiSteuerpflichtigen ...“). Zudem folgt dies aus der Wahl dervon den Kl. beantragten Zusammenveranlagung, bei derdie Einkünfte der Ehegatten den Ehegatten gemeinsamzugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist,die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtigerbehandelt werden (§ 26b EStG). Der BFH hat dies selbstfür den Fall einer getrennten Veranlagung so beurteilt (vgl.BFH-Urteil vom 26. 3. 2009 VIR59/08, BFHE 224, 453,BStBl II 2009, 808).

29 Die Anknüpfung der Bemessungsgrundlage für dieErmittlung der zumutbaren Belastung an den Gesamtbe-trag der Einkünfte in § 33 Abs. 3 EStG ist verfassungsrecht-lich auch nicht zu beanstanden. Zur Begründung verweistder Senat auf das BFH-Urteil vom 19. 1. 2017 VIR75/14(BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684, unter II. 3. und 4.).

Berechnung der abzugsfähigen ag. Bel. und derzumutbaren Belastung im Streitfall

30 bb) Im VZ 2012 betrug die zumutbare Belastung derKl. nach § 33 Abs. 3 EStG 2 391 €. Dieser Betrag ergibt sichunter Berücksichtigung eines Gesamtbetrags der Einkünftebeider Kl. i. H. v. 76 400 € und eines Kindes bei einer stu-fenweisen Berechnung im Sinne der neueren Rspr. des BFH(Urteile vom 19. 1. 2017 VIR 75/14, BFHE 256, 339, BStBl II2017, 684; vom 27. 7. 2017 III R 1/09, BFHE 259, 279, BStBl II2018, 96). Dieser Rspr. hat das FA mit dem Änderungsbe-scheid vom 21. 12. 2017 Rechnung getragen, dabei aller-dings zu Unrecht die an das Landratsamt erstatteten Unter-haltsleistungen nicht berücksichtigt. Diese in Raten geleis-teten Erstattungen i. H. v. 3 677 € sind nicht anders zubeurteilen als die ab Februar 2012 von der Klin. auf dieRechnungen des Pflegeheims ihrer Mutter geleisteten lau-fenden Zahlungen. Nachdem das FA dies ausweislich sei-ner Erklärungen in der m.V. nicht mehr in Frage stellt,erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

31 Zieht man den so ermittelten Betrag der zumutbarenBelastung i. H. v. 2 391 € vom Gesamtbetrag der von derKlin. im Jahr 2012 geleisteten Unterhaltszahlungen i. H. v.6 987,20 € ab, ergibt sich der vom Senat für Recht erkannte,als ag. Bel. nach § 33 Abs. 1 EStG zum Abzug zuzulassendeBetrag i. H. v. 4 596 €.

32 cc) Im VZ 2013 ergibt sich bei Berücksichtigung einesGesamtbetrags der Einkünfte beider Kl. i. H. v. 80 851 €eine zumutbare Belastung i. H. v. 4 186,36 €. Dabei waranders als im Jahr 2012 unstreitig keine Kinderkomponentefür die Tochter T zu berücksichtigen, da diese in diesem

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Jahr bereits eigene Einkünfte erzielte (siehe die in der Nie-derschrift über die m.V. aufgenommenen entsprechendenErklärungen der Beteiligten). Damit liegen die von derKlin. im Jahr 2013 geleisteten Unterhaltszahlungen i. H. v.2 995 € selbst bei Berücksichtigung der weiteren von derKlin. getragen 10 € für die ... Klinik und einer Rechnungüber 13,63 € für Medizintechnik, die von der Klin. für ihreMutter bezahlt worden waren, noch unterhalb des vomGesetzgeber als zumutbare Belastung angesehenen Betra-ges und können nicht als ag. Bel. abgezogen werden.

In Bezug auf Zahlungen im Rahmen des Elternunterhaltsfür die krankheitsbedingte Pflege eines Elternteils sinddie Regelungen des § 33 EStG nicht verfassungswid-rig, ...

33 2. Die Regelung des § 33 EStG ist auch nicht verfas-sungswidrig, soweit danach Zahlungen im Rahmen desElternunterhalts, die für die krankheitsbedingte Pflege desElternteils geleistet werden, nicht in voller Höhe zumAbzug zugelassen werden. Insbesondere führt der nach§ 33 Abs. 3 EStG vorgenommene Abzug weder zu einerBesteuerung des steuerfrei zu stellenden Existenzmini-mums noch zu einer Ungleichbehandlung von Eltern- undKindesunterhalt, wie die Kl. sie rügen. Vielmehr trägt dieRegelung über den Ansatz einer zumutbaren Belastung inAbs. 3 der Vorschrift dem Grundsatz der Besteuerung nachder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung (so auchKanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33EStG Rz. 216 a. E.; s. im Übrigen die nachfolgend im Einzel-nen zitierte höchstrichterliche Rspr.).

... und zwar weder aufgrund der Steuerfreiheit desExistenzminimums ...

34 a) Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurtei-lung ist das aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip derSteuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der Staatdas Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen,als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungeneines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Fami-lie benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität,wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorgehat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkom-mensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nachdem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveaurichtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos ausallgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellenhat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Ein-kommens entziehen (BVerfG-Beschluss vom 13. 2. 20082BvL1/06, BVerfGE 120, 125, HFR 2008, 500, NJW 2008,1868; s. auch BFH-Urteile vom 2. 9. 2015 VI R32/13, BFHE251, 196, BStBl II 2016, 151; vom 25. 4. 2017 VIII R 52/13,BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949; BFH-Beschluss vom29. 9. 2016 III R 62/13, BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259).Zu dem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Exis-tenzminimum gehören grundsätzlich auch die Aufwendun-gen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegever-sorgung. Solche Aufwendungen umfassen dem Grundenach nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung,sondern auch den eigentlichen Sachaufwand für eineKrankenversorgung (BFH-Urteil vom 2. 9. 2015 VIR32/13,BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151).

35 Unstreitig ist das freizustellende Existenzminimum derKl. selbst – und im VZ 2012 auch dasjenige der Tochter –vorliegend nicht berührt, da die Steuerfreiheit insoweitdurch den Grundfreibetrag und die – wenn auch um denBetrag der zumutbaren Belastung gekürzte – Abzugsmög-lichkeit nach § 33 EStG gewährt wurde. Die Kl. rügen viel-mehr die faktische Besteuerung des Existenzminimums derMutter der Klin., die zwar nicht unmittelbar erfolgt, sichaber aus der Versagung des vollständigen Abzugs derUnterhaltsleistungen bei ihnen ergebe.

36 Wie vorstehend ausgeführt ist das Existenzminimumdes jeweiligen Steuerpflichtigen bzw. das der Familievon der Steuer freizustellen (vgl. grundlegend BVerfG-Beschluss vom 29. 5. 1990 1BvL20/84, BVerfGE 82, 60,BStBl II 1990, 653). Das Existenzminimum muss demSteuerpflichtigen nicht nur nach Abzug der Steuern erhal-ten bleiben. Der Gesetzgeber darf auch nur das darü-ber hinausgehende Einkommen der Besteuerung unter-werfen, weil andernfalls Familien mit unterhaltsbedürfti-gen Familienmitgliedern gegenüber anderen Familien,gegenüber kinderlosen Ehepaaren und gegenüber kin-derlosen Alleinstehenden benachteiligt werden würden(BVerfG-Beschluss vom 29. 5. 1990 1BvL 20/84, BVerfGE82, 60, BStBl II 1990, 653). Diesen verfassungsrechtlichenAnforderungen hinsichtlich der das Familienexistenzmini-mum repräsentierenden Aufwendungen wird steuersyste-matisch dadurch Genüge getan, dass § 32a Abs. 1 Satz 2Nr. 1 EStG das zu versteuernde Einkommen in Höhe einesGrundfreibetrags mit einem Steuertarif von 0 € besteuert,also steuerfrei belässt, und § 32 Abs. 6 EStG bei der Ermitt-lung des zu versteuernden Einkommens der Eltern denAbzug von Kinderfreibeträgen zulässt.

37 Allerdings hat das BVerfG bereits entschieden, dassweder Art. 3 Abs. 1 noch Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeberdazu zwingen, Aufwendungen, die ein Steuerpflichtigernach den hierfür maßgebenden gesetzlichen Vorschriftenfür den Unterhalt eines Familienangehörigen zu leisten hat,stets in vollem Umfang bei der Besteuerung zum Abzugzuzulassen (vgl. den BVerfG-Beschluss vom 29. 5. 19901BvL 20/84, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653). Vielmehrunterscheidet es zwischen Kosten der Existenzsicherung imengeren Sinne und solchen im weiteren Sinne, zu denen esin seinem Beschluss vom 26. 1. 1994 1BvL12/86 (BVerfGE89, 346, BStBl II 1994, 307) etwa die Unterhaltsaufwendun-gen für ein im Rahmen der Berufsausbildung auswär-tig untergebrachtes volljähriges Kind zählt. Auch hinsicht-lich der die Existenzsicherung berührenden Krankheits-kosten lässt das BVerfG erkennen, dass der Gesetzgebernicht gehalten ist, deren vollen Abzug uneingeschränktzu gewährleisten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 13. 2. 20082BvL1/06, BVerfGE 120, 125). Vielmehr kann die Abzugs-fähigkeit auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leis-tungsniveau begrenzt werden. Denn nur dies gehört zumExistenzminimum im engeren Sinne. Dies gilt nicht nur fürdie Abzugsfähigkeit der eine eigene Erkrankung betreffen-den Aufwendungen, sondern gleichermaßen für vom Steu-erpflichtigen in Bezug auf eine Erkrankung eines Angehö-rigen getragene Kosten und namentlich auch für die Kosteneines Pflegeheims. Dazu zählen nämlich nicht ausschließ-lich die Kosten eines untypischen Sonderbedarfs, der einensteuerlichen Abzug über den in § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1EStG geregelten Grundfreibetrag hinaus notwendig er-scheinen lässt. Vielmehr beinhalten die Rechnungen desTrägers des Pflegeheimes regelmäßig auch Kosten fürdie Unterbringung und Verpflegung der Heimbewohner,deren steuerliche Berücksichtigung vorliegend als Teil desExistenzminimums grundsätzlich durch den bei der Mutterder Klin. anzusetzenden Grundfreibetrag gewährleistet istund dazu führt, dass diese auf ihre Renteneinkünfte keineSteuer zu zahlen braucht. Dementsprechend wird in derRspr. des BFH die Auffassung vertreten, dass Heimkostennur vermindert um eine Haushaltsersparnis als ag. Bel.betrachtet werden könnten (vgl. z. B. BFH-Urteil vom4. 10. 2017 VIR22/16, BFHE 259, 352, BStBl II 2018, 179).Da mithin ein Teil der vom Pflegeheim berechneten Leis-tungen steuerlich bereits entlastet ist, besteht keine verfas-sungsrechtliche Notwendigkeit, die Rechnungsbeträge,soweit sie nicht entweder von Dritter Seite (Pflegversiche-rung) und von der Mutter getragen worden sind, in vollemUmfang bei den Kl. steuerlich zu entlasten. Vielmehrerscheint vor diesem Hintergrund die Anwendung des § 33Abs. 3 EStG bei der Berücksichtigung einer ag. Bel. auchbei Kosten der vorliegenden Art durchaus sachgerecht; sieist jedenfalls nicht verfassungswidrig. Der von den Kl. für

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die Kosten der Heimunterbringung von Eltern vertretenengegenteiligen Auffassung vermag der Senat deshalb nichtzu folgen.

... noch wegen einer etwaigen Ungleichbehandlung vonEltern- und Kindesunterhalt

38 b) Die Regelung des § 33 EStG ist auch nicht wegeneiner etwaigen Ungleichbehandlung von Eltern- und Kin-desunterhalt verfassungswidrig. Hinsichtlich der steuer-lichen Behandlung der für die Mutter der Klin. getragenenUnterhaltsaufwendungen liegt die von den Kl. gerügteUngleichbehandlung nicht vor.

39 aa) Bei den der Klin. aufgrund der Pflegebedürftigkeitihrer Mutter entstandenen Unterhaltsaufwendungen han-delt es sich nicht um typische Unterhaltsaufwendungen fürden allgemeinen Lebensbedarf, sondern um untypischeUnterhaltsaufwendungen. Die Abgrenzung von typischenund untypischen Unterhaltsaufwendungen und deren Be-rücksichtigung nach § 33a bzw. § 33 EStG ist im Fall vonAufwendungen aufgrund der Pflegebedürftigkeit einesUnterhaltsberechtigten unabhängig davon vorzunehmen,aus welchem Grund und welcher Rechtsgrundlage dieUnterhaltsverpflichtung resultiert. Untypische Unterhalts-aufwendungen wie infolge Pflegebedürftigkeit entstan-dene Aufwendungen sind nicht nur im Rahmen der Unter-haltspflicht gegenüber Eltern, sondern auch dann nach § 33EStG zu berücksichtigen, wenn es sich bei dem Unterhalts-berechtigten, der nicht in der Lage ist, die Aufwendungenselbst zu tragen, um ein Kind des Steuerpflichtigen handelt.Dies hat der BFH bereits in seinem Urteil vom 19. 6. 2008III R 57/05 (BFHE 222, 338, BStBl II 2009, 365, m. w. N.) ent-schieden. Auch im Rahmen des sog. Realsplittings ist zwi-schen typischen und untypischen Unterhaltsaufwendun-gen zu differenzieren. So sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStGa. F., jetzt § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG, lediglich typischeAufwendungen zur Bestreitung der Lebensführung zuberücksichtigen gewesen, z. B. für Ernährung, Wohnung,Kleidung (BFH-Beschlüsse vom 17. 5. 2006 XIB128/05,BFH/NV 2006, 2053), nicht aber für krankheitsbedingtenUnterhalt. Die von den Kl. vorgetragene Ungleichbehand-lung betrifft nicht vergleichbare Sachverhalte, nämlich denVergleich von laufendem Kindes- und Ehegattenunterhaltmit untypischen krankheitsbedingten Unterhaltsaufwen-dungen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlungvermag der erkennende Senat vorliegend nicht zu erken-nen.

Bisherige Rspr. des BFH in vergleichbaren Fällen

40 bb) Der Senat sieht sich in seiner Auffassung durch dieRspr. des BFH bestätigt. In dem bereits genannten Urteilvom 30. 6. 2011 VIR14/10 (BFHE 234, 191, BStBl II 2012,876, NJW 2011, 3262) hat dieser in einem mit dem vorlie-genden Streitfall vergleichbaren Sachverhalt (Heranzie-hung der Tochter für einen Teil der Heimkosten einesElternteils durch den Träger der Sozialleistungen) denAbzug der in § 33 Abs. 3 EStG geregelten zumutbarenBelastung weder in verfassungsrechtlicher Hinsicht nochüberhaupt in Frage gestellt. Eine entsprechende Entschei-dung zur Verfassungsmäßigkeit der Versagung einer Be-rücksichtigung von Aufwendungen für die krankheitsbe-dingte Unterbringung von Angehörigen in einem Alten-pflegeheim hat der BFH in seinem Beschluss vom8. 11. 2012 VIB 82/12 (BFH/NV 2013, 525) getroffen. Diegegen den Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerdehat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen(Beschluss vom 9. 8. 2015 2BvR84/13, StEd 2015, 550).

41 Zwischenzeitlich hat der BFH seine Rspr. zur Verfas-sungsmäßigkeit des Ansatzes einer zumutbaren Belastungunter Hinweis auf eine erneute Überprüfung insbesonderehinsichtlich der Berücksichtigung einer zumutbaren Belas-tung bei Krankheitskosten auch im Hinblick auf die in derLiteratur geäußerte Kritik (z. B. Mellinghoff in Kirchhof,

EStG, 17. Aufl., § 33 Rz. 48, m. w. N.; Karrenbrock/Petrak,DStR 2016, 47; Haupt, DStR 2010, 960; Kosfeld, FR 2013,359) mit Beschluss vom 21. 2. 2018 VI R11/16 (BFHE 260,507, BStBl II 2018, 469) bestätigt.

42–43 c) Auch für eine „verfassungskonforme Ausle-gung“ im Sinne des Klägerbegehrens ist danach keinRaum, da es bei der vorgenommenen Anwendung dersteuerlichen Regelungen an einem Verstoß gegen die Ver-fassung fehlt. ...

Zulassung der Revision

44 Die Revision war im Hinblick auf die grundsätzlicheBedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGOzuzulassen. Der BFH hat zwar die Anwendbarkeit des § 33Abs. 3 EStG (auch) für Konstellationen der vorliegendenArt im Urteil vom 30. 6. 2011 VI R14/10 (BFHE 234, 191,BStBl II 2012, 876, NJW 2011, 3262, a. E.) bestätigt. Er hatsich in der genannten Entscheidung allerdings nicht mitden damit verbundenen grundrechtlichen Fragestellungenauseinandergesetzt. Nachdem die Heranziehung von Kin-dern für einen Teil der Pflegeheimkosten ihrer Elternin der Lebenswirklichkeit zunehmend größere Bedeutungerlangt, liegt eine vertiefte höchstrichterliche Prüfung undBeurteilung der von den Kl. aufgeworfenen Fragen im Inte-resse der Fachöffentlichkeit.

Anmerkung

I. Problemstellung/Sachverhalt

Das FG hatte zu entscheiden, in welchem Umfang Bei-träge der Klin. zum laufenden Unterhalt ihrer Mutter alsag. Bel. gem. § 33 EStG zu berücksichtigen sind.

Im zugrundeliegenden Fall leistete die Klin. laufendeUnterhaltszahlungen an ihre pflegebedürftige und ineinem Pflegeheim lebende Mutter. Die eigenen Ein-künfte der Mutter reichten nicht aus, die nach Abzugder Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherungverbleibenden Kosten des Pflegeheims zu decken. Darü-ber hinaus wurde die Klin. anteilig vom Landkreis für dievom Sozialhilfeträger zunächst an die Mutter geleiteteHilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Haftung genom-men.

Die Kl. begehrten die Unterhaltszahlungen der Klin. anihre Mutter sowie die von der Klin. an den Landkreisgezahlte Erstattung der Hilfe zu Pflege vollständig, d. h.ohne Abzug einer zumutbaren Belastung, als ag. Bel. zuberücksichtigen. Der Bekl. ließ den Abzug der Aufwen-dungen als ag. Bel. hingegen nur insoweit zu, als sie diezumutbare Belastung überstiegen.

II. Rechtslage

In ständiger Rspr. geht der BFH davon aus, dass Aufwen-dungen, die einem Steuerpflichtigen für die krankheits-bedingte Unterbringung eines unterhaltsberechtigtenAngehörigen in einem Altenpflegeheim entstehen, weilder Angehörige nicht in der Lage ist diese selbst zu tra-gen, als Krankheitskosten ag. Bel. i. S. des § 33 EStGdarstellen, während Aufwendungen für deren altersbe-dingte Heimunterbringung nur nach § 33a Abs. 1 EStGberücksichtigt werden können. Eine Aufteilung derarti-ger Kosten in Unterhaltskosten i. S. von § 33a EStG undKrankheitskosten i. S. von § 33 EStG kommt nicht inBetracht (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011 VI R 14/10,BFHE 234, 191, BStBl II 2012, 876; BFH-Beschluss vom8. 11. 2012 VI B 82/12, BFH/NV 2013, 525). Abziehbargem. § 33 EStG sind neben den Pflegekosten auch dieKosten, die auf die Unterbringung und Verpflegung ent-fallen, soweit es sich hierbei um gegenüber der normalenLebensführung entstehende Mehrkosten handelt. Dem-entsprechend sind die Aufwendungen für die krankheits-

Page 54: Entscheidungen der Finanzgerichte - Stollfuß Medien · 2019. 2. 12. · Bei Entscheidungen, von denen bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist, dass sie rechtskräftig sind, ist die

50 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 15

bedingte Unterbringung im Grundsatz um eine Haus-haltsersparnis zu kürzen, es sei denn, der Pflegebedürf-tige behält seinen normalen Haushalt bei (vgl. BFH-Urteil vom 4. 10. 2017 VI R 22/16, BFHE 259, 352, BStBl II2018, 179).

III. Die Entscheidung des FG

Das FG gelangt zu demErgebnis, dass die Unterbringungder Mutter der Klin. krankheitsbedingt erfolgte undsowohl die Zahlungen der Klin. im Rahmen des Elternun-terhalts als auch die Zahlungen aufgrund ihrer Haftungfür die vom Landkreis geleistete Hilfe zur Pflege nachdem SGB XII dem Grunde nach im Rahmen des § 33Abs. 1 EStG als ag. Bel. abzugsfähig sind. Diese Aufwen-dungen können nach Auffassung des FG allerdings nurteilweise unter Berücksichtigung zumutbaren Belastunggem. § 33 Abs. 3 EStG, die entsprechend der neuen Rspr.des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 19. 1. 2017 VI R 75/14,BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684) stufenweise auf derGrundlage des Gesamtbetrages der Einkünfte beiderEhegatten zu ermitteln ist, zum Abzug gebracht werden.Eine Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte aufder Basis des nur auf die Klin. entfallenden Anteils amGesamtbetrag der Einkünfte kommt für das FG sowohlnach dem Wortlaut der Norm als auch gesetzessystema-tisch nicht in Betracht.

Das FG hält die Regelungen in § 33 EStG auch nicht fürverfassungswidrig, soweit danach Zahlungen imRahmendes Elternunterhalts, die für die krankheitsbedingtePflege eines Elternteils geleistet werden, nicht in vollerHöhe zum Abzug zugelassen werden. Das FG vermaginsofern weder einen Verstoß gegen das Prinzip der Steu-erfreiheit des Existenzminimums noch eine verfassungs-widrige Ungleichbehandlung von Eltern- und Kindes-unterhalt festzustellen. In seiner Rechtsauffassung siehtsich das FG durch die Rspr. des BFH bestätigt.

IV. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Wie das FG zutreffend ausführt, steht die Entscheidungim Einklang mit der Rspr. des BVerfG und des BFH. Ent-gegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung, dieAnrechnung einer zumutbaren Belastung verstoße gegendas aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip abzuleitendeNettoprinzip, bestehen nach der Rspr. des BVerfG inso-fern keine verfassungsrechtlichen Bedenken, solangeder Steuerpflichtige nach Abzug der zumutbaren Belas-tung noch über das sozial- und steuerrechtlich garan-tierte Existenzminimum verfügt. Der BFH und die FGegehen ebenfalls von der Verfassungsmäßigkeit der zu-mutbaren Belastung gem. § 33 Abs. 3 EStG (auch inBezug auf Krankheitskosten) aus (vgl. BFH-Urteile vom21. 2. 2018 VI R 11/16, BFHE 260, 507, BStBl II 2018, 469;vom 2. 9. 2015 VI R 32/13, BFHE 251, 196, BStBl II 2016,151, jeweils m. w. N.; zusammenfassend Kanzler in Herr-mann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33 EStG Rz. 216).

V. Hinweise für die Praxis

Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-tung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuge-lassen und dies damit begründet, dass eine vertieftehöchstrichterliche Prüfung und Beurteilung der aufge-worfenen Fragen im Interesse der Fachöffentlichkeitstehe. Diese Erwartung wird nicht erfüllt werden, dagegen das Besprechungsurteil keine Revision eingelegtwurde. Eine Änderung oder Modifizierung der höchst-richterlichen Rspr. wäre allerdings angesichts der bishe-rigen eindeutigen Positionierung des BFH in Bezug aufdie streitigen Rechtsfragen wohl auch nicht zu erwartengewesen.

Zutreffend ist der Hinweis des FG, dass die Heranzie-hung von Kindern für einen Teil der Pflegeheimkostenihrer Eltern in der Lebenswirklichkeit zunehmend grö-

ßere Bedeutung erlangt. Dies gilt selbstverständlich ingleicher Weise für Aufwendungen eines Steuerpflichti-gen für die eigene Pflege, Pflege der Lebenspartnerin/des Lebenspartners oder die Pflege eines Kindes. Dieweit verbreitete Erwartung einer möglichst umfassen-den steuerlichenAbzugsfähigkeit dieser Aufwendungen,ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung, istzwar durchaus verständlich, angesichts der bestehendenGesetzeslage sowie der hierzu ergangenen höchstrich-terlichen Rspr. aber in der Praxis, ohne eine entspre-chende Gesetzesänderung, nicht zu erfüllen.

Vorsitzender Richter am FG Ingo Lutter

15 Ermäßigte Besteuerung von Kapitalabfin-dungen für eine vor 2005 abgeschlosseneRiesterrente

FGNürnberg, Urteil vom 11. 7. 2018 5 K 1130/17 – Rev. ein-gelegt (Az. des BFH: X R 24/18).

Bei der Kapitalabfindung für eine vor dem Jahr 2005 abge-schlossene Riesterrente handelt es sich um außerordent-liche Einkünfte, die gem. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 EStGermäßigt zu besteuern sind.

EStG § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 4, § 93 Abs. 3.

1–21 Streitig ist, ob die Kapitalabfindung einer Riester-Kleinbetragsrente i. S. des § 93 Abs. 3 EStG gem. § 34 Abs. 1und Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt zu besteuern ist. Im Rah-men des am 13. 3. 2003 abgeschlossenen Vertrags war dieMöglichkeit einer sofortigen Einmalzahlung nicht verein-bart. Die Bank 1 bot dem Kl. am 3. 3. 2015 im Hinblick aufdie ab dem 1. 1. 2005 eingeführte Möglichkeit einer zula-genunschädlichen Kapitalabfindung für Kleinbetragsren-ten in § 93 Abs. 3 EStG eine Kapitalabfindung für seineRiesterrente an, die sich ab Rentenbeginn auf monatlich21 € belaufen hätte. Der Bekl. erfasste die Kapitalabfindungfür die Riesterrente bei den sonstigen Einkünften in vollerHöhe. Den Einspruch wies der Bekl. als unbegründetzurück. Nach Ansicht des Kl. sei die Einmalzahlung alsatypische Auszahlung zu behandeln und daher steuerfrei.Es handele sich um einen Altvertrag, bei dem eine Kapital-auszahlung ursprünglich nicht zulässig und auch vertrag-lich nicht vorgesehen gewesen sei.

Nach Ansicht des Bekl. könne gem. § 93 Abs. 3 EStG eineKleinbetragsrente seit 2005 generell steuerunschädlichabgefunden werden. Es handele sich daher bei einer ent-sprechenden Abfindung nicht um eine atypische Auszah-lungsart. Auch wenn im Streitfall eine Kapitalabfindungnicht vertraglich vereinbart gewesen sei, so sei sie docheine typische Auszahlungsart bei Kleinbetragsrenten. Diesfolge durch die Änderung des ESt-Rechts durch das Be-triebsrentenstärkungsgesetz, wonach § 22 Nr. 5 EStG mitWirkung ab dem VZ 2018 durch folgenden Satz 13 ergänztwurde: „Für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen nach§ 93 Abs. 3 EStG ist § 34 Abs. 1 EStG entsprechend anzu-wenden.“ Dieser Gesetzesänderung hätte es aber nichtbedurft, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des§ 34 EStG in der Vergangenheit nicht vorgelegen hätten.

Aus den Gründen:

22 I. Die Klage ist begründet.

Grundsätzliche Steuerpflicht von Riesterrenten

23 1. Die Inanspruchnahme der steuerlichen Förderungführt dazu, dass die späteren Rentenleistungen aus demAltersvorsorgevertrag gem. § 22 Nr. 5 EStG in voller Höhe

Page 55: Entscheidungen der Finanzgerichte - Stollfuß Medien · 2019. 2. 12. · Bei Entscheidungen, von denen bis zur Drucklegung bekanntgeworden ist, dass sie rechtskräftig sind, ist die

EFG 2019 Nr. 1 51Entscheidung Nr. 15

– also nicht nur mit dem Ertragsanteil – zu versteuern sind(Wacker in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 79 Rz. 1). EineSteuerbefreiung ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Voraussetzungen der ermäßigten Besteuerung gem. § 34Abs. 1 EStG

24 2. Die Kapitalabfindung ist als Vergütung für mehrjäh-rige Tätigkeiten gem. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG ermä-ßigt zu besteuern.

Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten

25 a) § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG ist grundsätzlich auf alleEinkunftsarten anwendbar, sofern die tatbestandlichenVoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind und im Ein-zelfall keine Gründe für eine einschränkende Auslegunggegeben sind. Weder dem Wortlaut noch der Systematiknoch dem Zweck der Norm lässt sich eine Beschränkungihres Anwendungsbereichs auf bestimmte Einkunftsartenentnehmen (BFH-Urteile vom 25. 2. 2014 X R 10/12, BFHE245, 1, BStBl II 2014, 668; vom 23. 10. 2013 X R 3/12, BFHE243, 287, BStBl II 2014, 58).

26 Die Kapitalabfindung stellt eine „Vergütung für mehr-jährige Tätigkeiten“ dar. Als „Vergütung“ in diesem Sinnekommen alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert in Be-tracht, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligenEinkunftsart erzielt. Die „Tätigkeit“ besteht bei Altersein-künften in der früheren Leistung von Beiträgen (BFH-Urteilvom 23. 10. 2013 X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II2014, 58). Die Voraussetzung der Mehrjährigkeit (vgl. dieLegaldefinition in § 34 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG) istebenfalls erfüllt, da die früheren Beitragszahlungen des Kl.sich über mindestens zwei VZ erstreckten und einen Zeit-raum von mehr als zwölf Monaten umfassten.

27 b) Die Einkünfte sind auch außerordentlich.

28 aa) Dieses Erfordernis wird sowohl vom Wortlaut des§ 34 Abs. 1 EStG als auch von dem des Einleitungssatzesdes § 34 Abs. 2 EStG vorausgesetzt. Vergütungen für mehr-jährige Tätigkeiten sind nur dann außerordentlich, wenndie Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsge-mäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteer-zielung entspricht (BFH-Urteil vom 20. 9. 2016 X R 23/15,BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347). Bei der nicht vertragsge-mäßen oder atypischen Kapitalabfindung handelt es sichnach dieser Entscheidung des BFH um zwei verschiedeneTatbestände, die dieser unabhängig voneinander geprüfthat. Es liegen also bereits dann außerordentliche Einkünftevor, wenn eine der beiden Alternativen erfüllt ist.

Einmalzahlung nicht vertragsgemäß

29 bb) Vorliegend war die Geltendmachung der Kapital-abfindung nicht vertragsgemäß, weil sie in dem im Jahr2003 abgeschlossenen Vertrag keine Rechtsgrundlagegehabt hat. Die dem Senat vorliegenden Vertragsbedin-gungen sind insoweit eindeutig und entsprechen derRechtslage des Jahres 2003, nach der eine Kapitalabfin-dung zuwendungsschädlich gewesen wäre. Hierüber sindsich auch die Beteiligten einig.

30 Die von der Bank 1 mit Schreiben vom 3. 3. 2015 ange-botene Kapitalabfindung hat zwar bürgerlich-rechtlich zueiner Vertragsänderung geführt. Für die steuerliche Beur-teilung, wie sie auch vom BFH vorgenommen worden ist(BFH-Urteil vom 20. 9. 2016 X R 23/15, BFHE 255, 209,BStBl II 2017, 347), ändert sich dadurch aber nichts, weildie nachträglich vereinbarte Kapitalabfindung nicht demursprünglichen Riestervertrag entspricht.

31 Bereits aus diesem Grund liegt eine nicht vertragsge-mäße Durchführung vor, so dass die Einkünfte als außer-ordentlich anzusehen sind.

Atypischer Ablauf

32 cc) Die Kapitalabfindung stellt vorliegend auch einenatypischen Ablauf in Bezug auf die Einkünfteerzielung dar.

33 Nach Auffassung des BFH sind für den Bereich derBasisversorgung ausschließlich Rentenzahlungen typisch.Vor diesem Hintergrund hat der BFH die von einzelnenVersorgungswerken vorgesehene Möglichkeit, Beiträge,die vor 2005 geleistet worden sind, durch eine einmaligeKapitalzahlung abzufinden, als „eng begrenzte und aus-laufende Ausnahmeregelung“ angesehen (BFH-Urteil vom23. 10. 2013 X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58).Auch in der Literatur wird die Ablösung wiederkehrenderBezüge durch eine Kapitalabfindung grundsätzlich als aty-pisch angesehen (Gänger in Bordewin/Brandt, EStG, § 34Rz. 36; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG,§ 34 EStG Rz. 67).

34 Für Riesterrenten wäre eine Kapitalabfindung bis zurÄnderung des § 93 Abs. 3 EStG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 4Buchst. a AltZertG mit Wirkung zum 1. 1. 2005 zulagen-schädlich gewesen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses desvorliegenden Riestervertrags war eine solche Abfindungs-möglichkeit auch für Kleinbetragsrenten untypisch. Alleinder Umstand, dass Versicherer im Hinblick auf die spätergeschaffene Möglichkeit einer zulagenunschädlichen Ka-pitalabfindung versucht haben dürften, die Versicherten inmöglichst großer Zahl zur Annahme dieser Abfindung zubewegen, macht einen solchen Ablauf keineswegs typisch.Die Abfindung stand nicht im Belieben der Versicherer,sondern hat in jedem Einzelfall einen Entschluss des Versi-cherten zur Annahme dieser Abfindung vorausgesetzt. Die-ses dem im bis zum 31. 12. 2004 geltenden Recht veranker-ten Leitbild einer lebenslangen Ergänzung zur Basisversor-gung widersprechende Verhalten ist nicht typisch.

35 Die Kapitalabfindungwar daherweder vertraglich ver-einbart noch typisch.

Ergänzung des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG für die Jahre vor2005 deklaratorisch

36 dd) Die Änderung des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG ab dem1. 1. 2018 betrifft neuere Fälle, in denen sich die Versiche-rer die Kapitalabfindung für Kleinbetragsrenten vorbehal-ten haben (BT-Drs. 18/11286). Dies bedeutet aber nicht imUmkehrschluss, dass Fälle vor dem 1. 1. 2018, in denenkeine Abfindung vorgesehen war, nach der bisherigenRechtslage von der Vergünstigung des § 34 EStG ausge-schlossen gewesen wären. Die Rechtsänderung betrifftVertragsabschlüsse aus den Jahren 2005 bis 2017, in denendie Möglichkeit zur Kapitalabfindung von vornherein ver-traglich vereinbart worden ist; selbst wenn man sie aufFälle ohne eine solche Vereinbarung aus dem Zeitraum biszum 31. 12. 2004 ausdehnen wollte, wäre sie insoweit reindeklaratorisch.

37 Die Einkünfte aus der Riesterversicherung sind daherbegünstigt gem. § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern.

38 3. Daraus ergibt sich folgende Berechnung der ESt2015: ...

39 Der ESt-Bescheid 2015 vom 22. 5. 2017 in Gestalt derEinspruchsentscheidung vom 9. 8. 2017 war daher dahin-gehend abzuändern, dass die ESt 2015 auf ... € herabgesetztwird.

40–41 ... III. Die Revision war zuzulassen. Die Revision istgem. § 115 Abs. 2 FGO nur zuzulassen, wenn die Rechtssa-che grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder die Fortbil-dung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichenRspr. eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2). Betriffteine als klärungsbedürftig aufgeworfene Rechtsfrage aus-gelaufenes oder auslaufendes Recht, hier die Tarifbegüns-tigung für Kapitalabfindungen gem. § 93 Abs. 3 EStG, dieseit dem 1. 1. 2018 in § 22 Abs. 1 Nr. 5 Satz 13 EStG gesetz-

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52 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 16

lich geregelt ist, muss erkennbar sein, dass die Rechtsfragesich noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis innicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen könnte, wie diesbei Fragen aus fortgeltendem Recht regelmäßig der Fallist (BFH-Beschluss vom 11. 5. 2017 VI B 105/16, BFH/NV2017, 1172). Im vorliegenden Fall ist die Revision im Hin-blick auf die große Zahl Betroffener und die beim BFHanhängigen Revisionsverfahren X R 39/17 und X R 7/18zuzulassen, um die Einheitlichkeit der Rspr. sicherzustel-len.

Anmerkung

I. Problemstellung

Vor dem VZ 2005 wäre die Abfindung einer Riesterrentedurch eine Einmalzahlung grundsätzlich zulagenschäd-lich gewesen. Erst infolge der Änderung des § 93 Abs. 3EStG bezüglich der Zulagenunschädlichkeit der Abfin-dung von Kleinbetragsrenten hat sich für die Versiche-rungsunternehmen die Möglichkeit eröffnet, die verwal-tungsaufwändige Auszahlung der Kleinbetragsrentendurch eine Einmalzahlung zu vermeiden, ohne dass dieSparer ihre Zulagenberechtigung verlieren. Offen blieballerdings die einkommensteuerliche Behandlung desAuszahlungsbetrags selbst. Die grundsätzliche Steuer-pflicht der Riesterrente gem. § 22 Nr. 5 EStG, die der Kl.zunächst in Zweifel gezogen hat, ist am Ende der m. V.nicht mehr streitig gewesen, so dass allein die Anwend-barkeit des ermäßigten Steuersatzes gem. § 34 Abs. 1und 2 EStG zu beurteilen war. Diese setzt nach gefestig-ter Rspr. des BFH. voraus, dass die Zusammenballung derEinkünfte nicht dem vertraglich Vereinbarten entsprichtund außerordentlich ist (BFH-Urteil vom 23. 10. 2013X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, m. w. N.).Dies ist bei den nach Einführung des § 93 Abs. 3 EStGabgeschlossenen Riesterverträgen, die eine Abfindungs-möglichkeit für Kleinbetragsrenten regelmäßig vorgese-hen haben, wohl nicht mehr der Fall gewesen, so dassdie Anwendung des § 34 EStG durch § 22 Nr. 5 Satz 13EStG angeordnet werden musste. Aber wie ist mit den„Altverträgen“ von vor 2005 ohne eine entsprechendeRegelung zu verfahren?

II. Rechtsauffassungen

Der Kl. verweist insoweit darauf, dass in seinem Riester-vertrag keine Abfindung durch Einmalzahlung vorgese-hen gewesen ist. Dies spricht für das Vorliegen begüns-tigter Einkünfte. Die FinVerw. – es hat offensichtlicheine entsprechende Weisungslage für das beklagte FAbestanden – hält die Abfindung einer Kleinbetragsrenteunabhängig vom Fehlen einer vertraglich vorgesehenenRegelung nicht für untypisch. Außerdem will sie aus derErgänzung des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG schließen, dassdiese Änderung konstitutiv und die Rechtslage zuvoranders gewesen sein müssten.

III. Die Entscheidung des FG

Das FG ist bezüglich der Anwendung des § 34 Abs. 1EStG der Auffassung des Kl. gefolgt. Die spätere Ände-rung des § 93 Abs. 3 EStG ist bei Abschluss des Riester-vertrags nicht absehbar gewesen, so dass die Abfindungeiner auf Lebenszeit angelegten Rente durch eine Ein-malzahlung aus Sicht der Vertragsbeteiligten untypischist. Auch den außerordentlichen Charakter hat das FGbejaht und befindet sich insoweit auf einer Linie mit demGesetzgeber, der ansonsten kaum die Anwendung desermäßigten Steuersatzes in § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG ange-ordnet hätte.

Die Entscheidung betrifft zwar vordergründig nur „Alt-verträge“, die vor dem Jahr 2005 geschlossen wordensind. Im Hinblick auf die Vielzahl an Riesterverträgenund die Unsicherheit, die bei der Frage der Anwendung

des ermäßigten Steuersatzes gem. § 34 Abs. 1 EStG häu-fig auftritt, hat die Entscheidung dennoch grundsätzlicheBedeutung. Das FG hat zugunsten der Riestersparer ent-schieden, die trotz ihrer guten Absicht, privat für dasAlter vorzusorgen, nicht über eine Kleinbetragsrentehinausgekommen sind. Ob der BFH dem folgen wird,bleibt abzuwarten.

IV. Hinweise für die Praxis

Die Annahme des Angebots der Banken bzw. Versiche-rungen, eine Kleinbetragsrente durch eine Einmalzah-lung abzufinden, will gut überlegt sein. Dies gilt auch insteuerlicher Hinsicht, jedenfalls bis der BFH über dasanhängige Revisionsverfahren X R 24/18 entschiedenhat. Sollte die Annahme schon erfolgt sein, wäre daraufhinzuwirken, dass die Veranlagung insoweit vorläufiggem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO vorgenommen bzw.durch Einlegen eines Einspruchs offengehalten wird.

Richter am FG Bernhard Köhler

EinkommensteuerDoppelbesteuerungsabkommen

16 Aufteilung des Arbeitslohns eines im grenz-überschreitenden Verkehr tätigen Berufs-kraftfahrers

FG Düsseldorf, Urteil vom 13. 11. 2018 10 K 2203/16 E –Rev. eingelegt (Az. des BFH: I R 45/18).

Das Besteuerungsrecht bezüglich des Arbeitslohns einesin Deutschland wohnhaften Berufskraftfahrers, der füreinen in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber fährt,ist für Tage, an denen er Fahrtstrecken sowohl in den Nie-derlanden als auch in Deutschland oder einem Drittstaatzurücklegt, nach den jeweiligen Fahrtzeiten aufzuteilen.Können diese nicht genau ermittelt werden, so sind sie zuschätzen. Eine dabei entstehende Doppelbesteuerung desArbeitslohns durch dessen gesamte oder nahezu gesamteBesteuerung in den Niederlanden berührt die Rechtmä-ßigkeit der den vorstehenden Grundsätzen entsprechen-den deutschen Steuerbescheide nicht. Sie kann nur durchein Verständigungsverfahren ausgeräumt werden.

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; DBA-Niederlande 1959 Art. 10,Art. 25; DBA-Niederlande 2015 Art. 14; OECD-MAArt. 15.

1–4 Strittig ist im Hinblick auf das BesteuerungsrechtDeutschlands als Wohnsitzstaat des Kl. und das Besteue-rungsrecht der Niederlande als Ansässigkeitsstaat desArbeitgebers des Kl. die Aufteilung von Arbeitslohn, dieder Kl. als Berufskraftfahrer für Arbeitstage bezogen hat,an denen er mit seinem Fahrzeug sowohl in den Niederlan-den als auch in einem anderen Staat der EU und/oder derSchweiz unterwegs war.

Der Kl. war in den Streitjahren (2013 und 2014) mit Trans-portfahrzeugen seines Arbeitgebers in den Niederlanden,in Deutschland, in Belgien, in Frankreich und in derSchweiz unterwegs. Im Streitjahr 2013 war er an insgesamt130 von 219 Arbeitstagen sowohl in den Niederlanden alsauch in Deutschland unterwegs, im Streitjahr 2014 war diesan 102 von 228 Arbeitstagen der Fall. Der Kl. legte zusam-men mit den in Deutschland abgegebenen Steuererklärun-gen als „Fahrtenbuch“ bezeichnete, von seinem Arbeitge-ber abgezeichnete monatliche Aufstellungen für die Streit-jahre vor, aus denen für jeden Arbeitstag unter Angabe derjeweiligen Orte die zurückgelegte Fahrtstrecke, die dabeidurchfahrenen Staaten und die Zeitpunkte der Grenzüber-

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EFG 2019 Nr. 1 53Entscheidung Nr. 16

tritte hervorgingen. Er ermittelte für 2013 einen in Deutsch-land steuerpflichtigen Arbeitslohn von 1 899 € (rd. 4 % desgesamten Arbeitslohns) und für 2014 einen solchen von3 412 € (rd. 7,5 % des gesamten Arbeitslohns). Dabei ginger davon aus, dass das Besteuerungsrecht an Tagen, andenen er zumindest einen Teil der Fahrtstrecke in den Nie-derlanden zurückgelegt hatte, den Niederlanden zustehe.

Der Bekl. sah das Besteuerungsrecht der Niederlande da-gegen nur für den Teil des Arbeitslohns als gegeben an,der auf Tage entfiel, an denen der Kl. eine ausschließlichdurch die Niederlande führende Fahrtstrecke zurückgelegthatte. Das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn, der aufausschließlich außerhalb der Niederlande zurückgelegteFahrtstrecken entfiel, stehe Deutschland zu. Soweit der Kl.an ein und demselben Tag eine sowohl durch die Nieder-lande als auch durch andere Staaten führende Fahrtstreckezurückgelegt habe, sei das Besteuerungsrecht je hälftig aufdie Niederlande und auf Deutschland aufzuteilen. DerArbeitslohn sei daher im Jahr 2013 zu 79/219 und im Jahr2014 zu 68/228 steuerpflichtig und lediglich im Übrigensteuerfrei und nur – nach Abzug der damit in wirtschaftli-chem Zusammenhang stehendenWK – bei der Berechnungdes besonderen Steuersatzes gem. § 32b EStG zu berück-sichtigen. Entsprechend dieser Berechnung ergingen ESt-Bescheide für 2013 vom 11. 8. 2015 und für 2014 vom17. 2. 2016.

Mit seiner nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klagehält der Kl. an der Rechtsansicht fest, dass Deutschlanddas Besteuerungsrecht hinsichtlich seines Arbeitslohns nurinsoweit zustehe, als dieser auf Tage entfalle, an denener ausschließlich Fahrtstrecken außerhalb der Niederlandezurückgelegt habe. Dagegen stehe das Besteuerungsrechtden Niederlanden nicht nur insoweit zu, als der Arbeitslohnauf Tage entfalle, an denen er ausschließlich Streckeninnerhalb der Niederlande zurückgelegt habe, sondernauch insoweit, als er auf Tage entfalle, an denen er einenTeil der Fahrtstrecke in den Niederlanden zurückgelegthabe. Der Kl. hat Steuerbescheide der niederländischenFinVerw. vorgelegt, durch die er für die Streitjahre in denNiederlanden veranlagt wurde. Danach wurde den von derniederländischen FinVerw. vorgenommenen Steuerfestset-zungen jeweils der gesamte in den Streitjahren erzielteBruttoarbeitslohn zugrunde gelegt. Steuermindernd abge-zogen wurden allerdings im Ausland versteuerte Einkom-mensbeträge („Totaal vrijstelling in het buitenland belastinkomen“). Diese Steuerfestsetzungen wurden vom Kl.nicht angefochten.

Aus den Gründen:

5 I. Die Klage ist unbegründet.

6 Die ESt-Bescheide für 2013 und 2014 waren nicht gem.§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO zu ändern, weil sie nicht i. S. von§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO rechtswidrig sind und den Kl.deshalb nicht in seinen Rechten verletzen. Der Bekl. hatden Arbeitslohn, den der Kl. in den Streitjahren bezogenhat, in jeweils zutreffendem Umfang der Besteuerung unddem Progressionsvorbehalt unterworfen.

7 1. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünf-ten aus nichtselbständiger Arbeit u. a. Löhne für eineBeschäftigung im privaten Dienst.

Abkommensrechtliches Arbeitsortprinzip

8 a) Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte stehtDeutschland ungeachtet der unbeschränkten ESt-Pflichtdes Kl. gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG nach Art. 10 Abs. 1DBA-Niederlande 1959 nur insoweit zu, als die Arbeit, fürdie der Kl. die Einkünfte bezogen hat, nicht in den Nieder-landen ausgeübt wurde.

9 Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 hat, wenneine natürliche Person mit Wohnsitz in einem der Vertrags-

staaten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht,der andere Staat, d. h. im Streitfall die Niederlande, dasBesteuerungsrecht für diese Einkünfte, wenn die Arbeit indem anderen Staat ausgeübt wird, sofern nicht Art. 10Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 Anwendung findet, wasjedoch im Hinblick auf die nicht erfüllten Tatbestands-merkmale des Art. 10 Abs. 2 Buchst. b DBA-Niederlande1959 nach zutreffender Ansicht der Beteiligten nicht derFall ist. Ausgeübt wird die Tätigkeit eines Arbeitnehmersdort, wo er sich tatsächlich aufhält. Ausschlaggebend istdie physische Anwesenheit im Tätigkeitsstaat (vgl. BFH-Urteil vom 25. 11. 2014 I R 27/13, BFHE 248, 153, BStBl II2015, 448). Ein Berufskraftfahrer wie der Kl. hält sich wäh-rend der Arbeitsausübung in oder bei seinem Fahrzeug auf(vgl. BFH-Urteil vom 31. 3. 2004 I R 88/03, BFHE 206, 64,BStBl II 2004, 936). Das Fahrzeug ist daher der Ort derArbeitsausübung.

10 Danach steht in den Fällen, in denen der Berufskraft-fahrer seinen Wohnsitz in Deutschland hat, sein Arbeitge-ber aber in einem anderen Vertragsstaat ansässig ist,Deutschland das Besteuerungsrecht für die Vergütungenaus nichtselbständiger Arbeit zu, die auf Tätigkeiten desBerufskraftfahrers im Inland entfallen. Soweit der Berufs-kraftfahrer seine Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem derArbeitgeber ansässig ist, ist die Anwendung des Art. 15Abs. 2 OECD-MA ausgeschlossen, weil die Voraussetzun-gen des Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA nicht vorliegen.Mit jedem Tätigwerden des Berufskraftfahrers im Ansäs-sigkeitsstaat des Arbeitgebers steht diesem als Tätigkeits-staat das Besteuerungsrecht insoweit zu (Art. 15 Abs. 1OECD-MA). Übt der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit ineinem Drittstaat aus, d. h. weder in Deutschland noch indem Staat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, steht dasBesteuerungsrecht für die auf den Drittstaat entfallendenArbeitsvergütungen im Verhältnis zum Ansässigkeitsstaatdes Arbeitgebers Deutschland als Wohnsitzstaat desBerufskraftfahrers zu. Soweit die Tätigkeit im jeweiligenDrittstaat an nicht mehr als 183 Tagen ausgeübt wird,verbleibt das Besteuerungsrecht regelmäßig bei Deutsch-land (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. 3. 20056 K 1664/04, FGReport 2005, 82, juris; BMF-Schreibenvom 12. 11. 2014 IV B 2 – S 1300/08/10027, 2014/0971694,BStBl I 2014, 1467, Rz. 285 ff.; nunmehr BMF-Schreibenvom 3. 5. 2018 IV B 2 – S 1300/08/10027, 2018/0353235,BStBl I 2018, 643, Rz. 338 ff.).

11 Die gegenteilige Rechtsauffassung des Kl., wonach imFalle eines Berufskraftfahrers dem Ansässigkeitsstaat sei-nes Arbeitgebers, im Streitfall also den Niederlanden, beijedem Tätigwerden des Berufskraftfahrers in diesem Staatdas Besteuerungsrecht als Tätigkeitsstaat zustehe, ist unzu-treffend. Abgesehen davon, dass der Kl. sich dafür zuUnrecht auf Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2015 bzw.Art. 15 Abs. 1 des OECD-MAbezieht, die im Streitfall ange-sichts der Geltung von Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande1959 nicht einschlägig sind, ergibt sich aus jenen Bestim-mungen nichts anderes als aus dieser, weil sich das Be-steuerungsrecht stets danach richtet, in welchem Staat derBerufskraftfahrer seine Arbeit ausübt, d. h. mit dem Fahr-zeug seines Arbeitgebers unterwegs ist.

Arbeitslohn für Tage mit Fahrten in den Niederlandenund Drittstaaten im Schätzungsweg zeitanteilig aufzutei-len

12 b) Der Bekl. hat danach die Einkünfte des Kl. zutref-fend insoweit besteuert, als sie Tage betreffen, in denender Kl. seine Tätigkeit ausschließlich in Deutschland oderin einem anderen Staat als den Niederlanden (Drittstaat)erbracht hat. Soweit der Kl. während eines Arbeitstagessowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland und/oder in einem Drittstaat Fahrtstrecken zurückgelegt hat,war die Vergütung dafür aufzuteilen. Diese Aufteilungmuss zwar nicht zwingend hälftig erfolgen, wie das BMFdies im Schreiben vom 19. 9. 2011 IV B 3 – S 1301-LUX/

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54 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 16

07/10002, 2011/0736274 (BStBl I 2011, 849) zum deutsch-luxemburgischen DBA unter Tz. 4 der Anlage 1 vertritt.Die Aufteilung hat vielmehr im Verhältnis der jeweili-gen Arbeitsstunden zu erfolgen (ebenso Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15MA Rz. 146).

13 Die vom Kl. vorgelegten, als Fahrtenbuch bezeichne-ten Aufzeichnungen enthalten jedoch keine Angaben zuden im jeweils durchfahrenen Staat erbrachten Arbeits-stunden. Der Kl. hat dort lediglich die Uhrzeit des Grenz-übertritts angegeben. Angaben dazu, wann er wo mitdem Fahrzeug losgefahren ist, wann er es am jeweiligenArbeitstag endgültig abgestellt hat, wann er Lenkzeitunter-brechungen hatte undwie hoch die tägliche Höchstlenkzeitwar, enthalten die Aufzeichnungen nicht. Dann ist derUmfang der Tätigkeit im jeweiligen Staat nach § 162 Abs. 1AO zu schätzen. Anhaltspunkte für eine andere als die vomBekl. vorgenommene Schätzung, die zu einer hälftigenAufteilung geführt hat, liegen nicht vor. Die Schätzung desBekl. ist daher nicht zu beanstanden, so dass das Gerichtnicht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1Satz 1 FGO) Gebrauch macht.

Anwendung des Progressionsvorbehalts rechtmäßig

14 2. Soweit das Besteuerungsrecht für die vom Kl. bezo-genen Einkünfte danach den Niederlanden zustand, durfteder Bekl. diese Einkünfte gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2DBA-Niederlande 1959 i. V. m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStGdem Progressionsvorbehalt unterwerfen. Auch insoweitlassen die angefochtenen Bescheide keinen Rechtsfehlerzum Nachteil des Kl. erkennen.

Doppelbesteuerung aufgrund niederländischer Steuer-festsetzungen nur durch Verständigungsverfahren zubeseitigen

15 3. Die angefochtenen Steuerbescheide waren auchnicht deshalb dem Begehren des Kl. entsprechend zuändern, weil es ohne eine solche Änderung angesichtsder von der niederländischen FinVerw. für die Streitjahreerlassenen Steuerbescheide zu einer Doppelbesteuerungder vom Kl. erzielten Einkünfte aus nichtselbständigerArbeit kommt. Aus Sicht des Gerichts widersprechen nichtdie inländischen, sondern die von der niederländischenFinVerw. erlassenen Steuerbescheide der durch Art. 10Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 getroffenen Regelung zurAufteilung des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus nicht-selbständiger Arbeit im Fall eines Berufskraftfahrers. Diedadurch eingetretene Doppelbesteuerung kann der Kl.daher, worauf auch der BFH in einem vergleichbaren Fallhingewiesen hat (Urteil vom 31. 3. 2004 I R 88/03, BFHE206, 64, BStBl II 2004, 936), nur durch die Einleitung undeinen für ihn erfolgreichen Abschluss eines Verständi-gungsverfahrens (Art. 25 DBA-Niederlande 1959) beseiti-gen.

16–17 ... III. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGOzur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Anmerkung

I. Problemstellung

Der Kl., der sowohl in Deutschland als auch in den Nie-derlanden Steuererklärungen abgegeben hatte, musste,nachdem er die deutschen Steuerbescheide erhaltenhatte, feststellen, dass sein Arbeitslohn für die Streitjahreinsoweit doppelt besteuert wordenwar, als die niederlän-dische FinVerw. den Arbeitslohn bis auf einen Abzug fürFinanzierungszinsen für selbstgenutztes Wohneigentumund einen Steuerabzugsbetrag voll besteuert hatte, dasdeutsche FA aber auch den Teil des Arbeitslohns alssteuerpflichtig behandelte, der auf im grenzüberschrei-tenden Verkehr in Deutschland oder Drittstaaten zurück-

gelegte Strecken entfiel. Die niederländischen Steuerbe-scheide waren bestandskräftig, so dass der Kl. nur nochdie deutschen Steuerbescheide anfechten konnte. SeinerAnsicht nach durfte es zu der Doppelbesteuerung nichtkommen, weil er – wie die niederländische FinVerw. –nur den Teil des Arbeitslohns als in Deutschland steuer-pflichtig ansah, der auf Tage entfiel, an denen er Fahrtenausschließlich außerhalb der Niederlande durchgeführthatte.

II. Besonderheiten des Streitfalls

Der Arbeitslohn von Arbeitnehmern, die keinen ortsfes-ten, sondern einen mobilen grenzüberschreitendenArbeitsplatz haben, ist – wie der Streitfall zeigt – einbesonderes Steuersubstrat, das das Interesse nicht nureines Fiskus weckt. Art. 15 Abs. 3 OECD-MA sieht des-halb vor, dass ungeachtet der in Art. 15 Abs. 1 OECD-MAfür die Zuweisung des Besteuerungsrechts getroffenenRegelung („Arbeitsortprinzip“) Vergütungen für unselb-ständige Arbeit, die an Bord eines Seeschiffes oder Luft-fahrzeuges, das im internationalen Verkehr betriebenwird, oder an Bord eines Schiffes, das der Binnenschiff-fahrt dient, ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteu-ert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichenGeschäftsleitung des Unternehmens befindet (ähnlichbzw. ebenso Art. 10 Abs. 3 DBA-Niederlande 1959 undArt. 14 Abs. 4 DBA-Niederlande 2015). Für die Arbeit anBord eines Straßenfahrzeugs im internationalen Verkehrfindet sich eine vergleichbare Bestimmung nur in Art. 15Abs. 3 DBA-Türkei 1989 und in Art. 14 Abs. 3 DBA Spa-nien 2011.

Ohne eine solche Regelung droht aber die im Streitfalleingetretene Doppelbesteuerung, wenn ein Vertrags-staat – wie hier die Niederlande – das Arbeitsortprinzipin Art. 10 Abs. 3 DBA-Niederlande 1959 weniger feinsin-nig als etwa Deutschland auslegt (Fahrzeug als Arbeits-ort), vielmehr ungeachtet der Fahrtätigkeit den Betriebs-sitz des niederländischen Arbeitgebers als Arbeitsortansieht. Auch wenn dies aus den niederländischenSteuerbescheiden nicht explizit hervorging, muss ange-nommenwerden, dass ihnen eine derartige Rechtsauffas-sung der niederländischen FinVerw. zugrunde liegt.

III. Die Entscheidung des FG

Das FG hat – dem in Deutschland allgemein geteiltenVerständnis des Arbeitsortes eines Berufskraftfahrers fol-gend – die Aufteilung des Arbeitslohns für Tage, andenen der Kl. sein Fahrzeug sowohl in den Niederlandenals auch außerhalb der Niederlande geführt hatte, fürzutreffend gehalten. Auch den Aufteilungsmaßstab (hälf-tige Teilung) hat es nicht beanstandet, weil präzisereAngaben zum Umfang der im jeweiligen Staat geleiste-ten Arbeitszeit nicht zur Verfügung standen.

IV. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Das Urteil steht im Einklang mit der höchstrichter-lichen Rspr. zum Verständnis des abkommensrechtlichenArbeitsortprinzips (vgl. BFH-Urteile vom 31. 3. 2004I R 88/03, BFHE 206, 64, BStBl II 2004, 936; vom25. 11. 2014 I R 27/13, BFHE 248, 153, BStBl II 2015, 448).Die Zulassung der Revision soll es dem Kl. gleichwohlermöglichen, seine davon abweichende Rechtsauffas-sung dem BFH zu unterbreiten. Ob der BFH von seinerRspr. abweichen wird, erscheint angesichts ihrer Bestäti-gung bis in die jüngste Zeit hinein indes zweifelhaft.

V. Konsequenzen für die Praxis

DemKl. bleibt, um die Doppelbesteuerung zu beseitigen,nur der Weg des Verständigungsverfahrens. Die deut-sche FinVerw. hatte in der Vergangenheit zwar versucht,in Zusammenarbeit mit der niederländischen FinVerw.eine die Doppelbesteuerung vermeidende Aufteilung

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EFG 2019 Nr. 1 55Entscheidung Nr. 17

des Arbeitslohns im Wege eines in den Niederlandendurchzuführenden Antragsverfahrens zu erreichen. Die-ses Verfahren hat sich jedoch angesichts der Auffassungder niederländischen FinVerw., nach der den Niederlan-den schon bei geringster Berührung ihres Staatsgebietesdurch den Berufskraftfahrer das Besteuerungsrecht fürden gesamten Arbeitslohn für diesen Tag zusteht, nichtbewährt und wurde daher nicht fortgeführt.

Im Streitfall dürfte sich das Verständigungsverfahrenangesichts des Inkrafttretens des DBA-Niederlande 2015am 1. 12. 2015 noch nach Art. 25 DBA-Niederlande 1959richten. Dies könnte sich im Hinblick auf die zeitlichenBeschränkungen, die Art. 25 Abs. 1 Satz 2 DBA-Nieder-lande 2015 vorsieht, für den Kl. als vorteilhaft erweisen.Bei einem für ihn positiven Ausgang des Verständi-gungsverfahrens dergestalt, dass die deutschen Steuer-bescheide zu ändern wären, stünde ungeachtet zwi-schenzeitlich eingetretener Bestandskraft § 175a AO alsÄnderungsgrundlage zur Verfügung.

Vorsitzender Richter am FG Dr. Dirk Wüllenkemper

EinkommensteuerKörperschaftsteuerGewerbesteuer

17 Cateringaufwendungen am Filmset alsgekürzt abziehbare BA

FG Köln, Urteil vom 6. 9. 2018 13 K 939/13 – vorläufig nichtrechtskräftig.

Kosten, die ein Filmproduktionsunternehmen für unent-geltlich ausgegebene Speisen und Getränke für die amDrehort (Set) mit der Herstellung der Aufnahmen beschäf-tigten Personen aufwendet, sind Aufwendungen für „dieBewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass“ undnur zu 70 % als BA abzugsfähig, soweit die Speisen undGetränke auch denjenigen Personen gereicht werden, dienicht den zu den eigenen Arbeitnehmern des Unterneh-mens gehören, aber z. B. als Arbeitnehmer der beteiligtenFernsehsender bei der Produktion am Set mitwirken.

EStG § 4 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, Abs. 7, § 19Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; KStG § 8 Abs. 1; GewStG § 7 Satz 1;HGB § 275 Abs. 2.

1–33 Die Klin. ist eineGmbH, die in den Streitjahren (2005bis 2008) u. a. im Auftrag verschiedener FernsehsenderFilme produzierte. Während der Aufnahmearbeiten am Setbot sie den dort tätigen Personen über ein Catering-Unter-nehmen unentgeltlich Speisen und Getränke an. In derenGenuss kamen neben ihren eigenen Arbeitnehmern auchdie Arbeitnehmer des jeweiligen Fernsehsenders, die Auf-tragnehmer der Klin. und deren Arbeitnehmer. Alle Teil-nehmer an einem Catering wurden auf einer gesondertenListe erfasst. Die Cateringaufwendungen wurden auf einemgesonderten Konto in der Finanzbuchhaltung der Klin.erfasst.

Die Klin. behandelte die Aufwendungen für das Cateringin vollem Umfang als BA. Für ihre eigenen Arbeitnehmerführte sie eine Lohnversteuerung durch.

Im Anschluss an eine Bp stellte sich der Bekl. auf denStandpunkt, dass die Cateringkosten, die die Klin. für dienicht bei ihr angestellten Personen aufgewandt hatte, unterdie Kürzungsvorschrift für Bewirtungsaufwendungen ausgeschäftlichem Anlass nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1EStG fallen und deshalb nur zu 70 % als BA abzugsfähig

seien. Die restlichen 30 %, nämlich unstreitig 29 984 €(2005), 39 242 € (2006), 11 598 € (2007) und 4 422 € (2008)rechnete der Bekl. dem Gewinn der Klin. wieder hinzu.Gegen die entsprechend geänderten KSt- und GewSt-Messbescheide für die Streitjahre hat die Klin. nach erfolg-losem Einspruch Klage erhoben.

Aus den Gründen:

34–38 ... Die Klage ist unbegründet, da der Bekl. zu Rechtdie Cateringaufwendungen nur gekürzt zum Abzug zuge-lassen hat. Die Aufwendungen sind zwar demGrunde nachBA. Sie stellen jedoch Bewirtungsaufwendungen i. S. des§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG und§ 7 Satz 1 GewStG dar und fallen nicht unter die Rückaus-nahme des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG.

Cateringaufwendungen sind BA, ...

39 Bei den Aufwendungen für das Catering für die Perso-nen, die am jeweiligen Drehort (Set) der von der Klin. her-gestellten Produktionen anwesend waren, handelt es sichum BA nach § 4 Abs. 4 EStG. Dies ergibt sich bereits aus derRechtsform der Klin., da Kapitalgesellschaften über keineaußerbetriebliche Sphäre verfügen (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 4. 12. 1996 I R 54/85, BFHE 182, 123; zuletztBFH-Urteile vom 27. 7. 2016 I R 8/15, BFHE 255, 32, BStBl II2017, 214; I R 12/15, BFHE 255, 39, BStBl II 2017, 217;I R 71/15, BFH/NV 2017, 60, jeweils m. w. N.). Dass die Auf-wendungen zu den Kosten der Herstellung eines immateri-ellen Wirtschaftsguts (Fernsehproduktion) gehören, ändertnichts an ihrer Eigenschaft als BA. Deshalb ist es entgegendem Vorbringen der Klin. in diesem Zusammenhang uner-heblich, wie die Aufwendungen in der Gliederung des§ 275 Abs. 2 HGB buchungstechnisch zu erfassen sind.

... als Bewirtungsaufwendungen aber nur gekürzt abzieh-bar

40 Jedoch dürfen – trotz ihrer Eigenschaft als BA – Auf-wendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäft-lichem Anlass nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG denGewinn nicht mindern, soweit sie 70 % der Aufwendungenübersteigen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassungals angemessen anzusehen und deren Höhe und betrieb-liche Veranlassung nachgewiesen sind. Die Aufwendun-gen unterliegen außerdem der besonderen Aufzeichnungs-pflicht gem. § 4 Abs. 7 EStG.

41 a) Die streitbefangenen Aufwendungen der Klin.unterfallen dieser Kürzungsvorschrift.

Catering ist „Bewirtung“ i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2Satz 1 EStG

42 Das von der Klägerin organisierte Catering stellt eine„Bewirtung“ i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG dar.Eine solche „Bewirtung“ ist jede Darreichung von Speisen,Getränken oder sonstigen Genussmitteln zum sofortigenVerzehr (vgl. BFH-Urteil vom 3. 2. 1993 I R 57/92, BFH/NV1993, 530; BFH-Beschluss vom 6. 6. 2013 I B 53/12,BFH/NV 2013, 1561; BFH-Urteil vom 18. 9. 2007 I R 75/06,BFHE 219, 78, BStBl II 2008, 116). Im Streitfall wurden denan den Drehorten tätigen Personen unstreitig Speisen undGetränke zum sofortigen Verzehr unentgeltlich überlassen.Das allein reicht für die Annahme einer Bewirtung aus.

43 Die Bewirtungsaufwendungen treten auch nicht inden Hintergrund und sind aus Vereinfachungsgründen alsbloße Annehmlichkeiten zu werten („übliche Gesten derHöflichkeit“ wie Kaffee, Tee oder Gebäck, vgl. BFH-Urteilvom 17. 7. 2013 X R 37/10, BFH/NV 2014, 347; FG Müns-ter vom 28. 11. 2014 14 K 2477/12 E,U, EFG 2015, 453;Abschn. 4.10 Abs. 5 Satz 9 Nr. 1 EStR 2005 und 2008). Dazumüsste den Speisen und Getränken objektiv kein eigen-ständiges Gewicht neben der Veranstaltung, in der sie aus-gegeben werden, zukommen (vgl. Spilker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz. H 22).

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56 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 17

44 Der Senat kann offenlassen, ob das schon nach denAusführungen der Klin. deshalb nicht der Fall ist, da siedem Catering, ohne das eine effektive Durchführung derProduktion wegen Pausenzeiten o. Ä. nicht gewährleistetwäre, nachvollziehbar eine betriebsnotwendige Funktionzuschreibt. Unstreitig und letztlich entscheidend ist, dassdas Catering Mahlzeiten ersetzt, wie der Hinweis der Klin.auf das ansonsten erforderliche Aufsuchen eines Restau-rants, Imbisses oder Supermarkts zeigt. Selbst das Servie-ren kleinerer Gerichte ist nach der Zweckbestimmung des§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG als Bewirtung anzuse-hen (vgl. Spilker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4Rz. H 22, „z. B. belegte Brötchen, Suppen, ‚Häppchen‘u. Ä.“; Broudré, DStR 1995, 117, 119, „belegte Schnittchen,Brötchen mit Siedewurst, kleine Kartoffel- oder Nudelge-richte, Suppen“; Broudré, DB 1995, 1430, 1431, „auch ...Kuchen, Torten u. Ä.“; Pohl in Bordewin/Brandt, EStG, § 4Rz. 2543, „belegte Brote, Brötchen oder ‚Häppchen‘, Sup-pen, Kartoffelsalat mit Würstchen o. Ä.“).

45 b) Die Klin. hat das Catering bezahlt, so dass sie auchunter diesem Aspekt in den Anwendungsbereich des § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG fällt (vgl. BFH-Urteil vom17. 7. 2013 X R 37/10, BFH/NV 2014, 347, mit Anm.Nöcker,HFR 2014, 228). Dem steht nicht entgegen, dass der Klin.die Cateringaufwendungen von ihren Auftraggebern beimErwerb der fertigen Produktion als Teil der Vergütung derKlin. erstattet wurden. Denn die Klin. will diese Aufwen-dungen als BA absetzen. Im Übrigen hat die Klin. im Rah-men der Organisation ihrer Produktionen das jeweiligeCatering-Unternehmen beauftragt und deren Ablauf vor-gegeben. Die Catering-Unternehmen handeln auch imNamen und für Rechnung der Klin. (vgl. zu diesen An-forderungen im Arbeitnehmerbereich BFH-Urteil vom19. 6. 2008 VI R 48/07, BFHE 222, 363, BStBl II 2008, 870).

Bewirtung erfolgte auch aus geschäftlichem Anlass

46 c) Diese Bewirtung erfolgte auch aus geschäftlichemAnlass. Dieser – gesetzlich nicht definierte – Begriff ist nachder Rspr. des BFH ein Unterfall der betrieblichen Veranlas-sung. Er umfasst insbesondere die Bewirtung von Personen,zu denen Geschäftsbeziehungen bestehen oder angebahntwerden sollen. Eine „geschäftliche Veranlassung“ fehlthingegen, wenn ein Unternehmen seine eigenen Arbeit-nehmer bewirtet. Nur derjenige Bewirtungsaufwand, dereinerseits betrieblich veranlasst ist und andererseits auf dieBewirtung dieser eigenen Arbeitnehmer entfällt, kann des-halb unbeschränkt abgezogen werden.

Auslegung der Norm anhand der Entstehungsgeschichte

47 Eine solche Verknüpfung der Abzugsbegrenzung mitder Bewirtung von Personen, die nicht Arbeitnehmer desBewirtenden sind, ergibt sich zwar nicht unmittelbar ausdem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG. Einedahingehende Auslegung der Vorschrift wird aber durchihre Entstehungsgeschichte gestützt. Die im Streitjahr gel-tende Fassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStGwurde durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. 7. 1988(BGBl. I 1988, 1093) in das Gesetz eingefügt. Die Vorschriftersetzte den bis dahin geltenden § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2Satz 1 EStG, der „Aufwendungen für die Bewirtung vonPersonen, die nicht Arbeitnehmer des Steuerpflichtigensind“ einer vergleichbaren Abzugsbeschränkung unter-warf. Vor dem Inkrafttreten der Neufassung konntenBewirtungsaufwendungen zweifelsfrei nur insoweit unbe-grenzt abgezogen werden, als es um die Bewirtung vonArbeitnehmern des Bewirtenden ging; alle anderen Bewir-tungsaufwendungen unterfielen unabhängig von Anlassund Umfang der Bewirtung dem Anwendungsbereich derAbzugsbeschränkung. Durch die Änderung des Gesetzes-wortlauts wollte der Gesetzgeber erklärtermaßen zumeinen diejenigen Aufwendungen in die Abzugsbeschrän-kung einbeziehen, die im Zusammenhang mit einer Bewir-tung von Geschäftsfreunden auf an der Veranstaltung teil-

nehmende Arbeitnehmer entfallen (vgl. Begründung desFinanzausschusses, BT-Drs. 11/2536, 46, 76). Zum ande-ren wollte er mit der Formulierung „aus geschäftlichemAnlass“ klarstellen, dass im Hinblick auf die „reine Arbeit-nehmerbewirtung“ keine Änderung gegenüber der bishe-rigen Rechtslage eintreten sollte (vgl. Bericht des Finanz-ausschusses, BT-Drs. 11/2536, 76). Schließlich heißt esin der Gesetzesbegründung, dass die Neufassung auchdann eingreife, wenn ein Unternehmen im Rahmen sei-ner Öffentlichkeitsarbeit „bloße Besucher“ bewirte (vgl.Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 11/2536, 76). Dieseinerzeit vorgenommene Gesetzesänderung zielte mithinausschließlich auf eine Erweiterung des Anwendungsbe-reichs der Vorschrift ab. Für die Annahme, dass bei be-stimmten Gestaltungen bislang nur eingeschränkt abzieh-bare Aufwendungen nunmehr unbegrenzt abziehbar seinsollten, bietet die Gesetzesgeschichte keinen Anhalts-punkt. Daher wäre es – und das ist auch für den Streitfallaus Sicht des Senats entscheidend – mit dem Willen deshistorischen Gesetzgebers nicht vereinbar, den Gesetzes-wortlaut in einer Weise auszulegen, die abweichend vonder früheren Rechtslage die Möglichkeit des unbeschränk-ten Abzugs über den Bereich der Arbeitnehmerbewirtunghinaus ausdehnt. Zudemwürde ein solches Verständnis dieHandhabbarkeit der gesetzlichen Regelung ohne Not be-einträchtigen. Denn dann müsste der Begriff „geschäft-licher Anlass“ in anderer Weise von demjenigen der„betrieblichen Veranlassung“ abgegrenzt werden. Dieskönnte sinnvoll nur durch eine wertende Betrachtung derGesamtumstände der Bewirtung geschehen. Daraus wür-den zwangsläufig zusätzliche Schwierigkeiten erwachsen,die sich durch die Anknüpfung an den arbeitsrechtlichenStatus des Bewirteten vermeiden lassen (vgl. zu diesemVerständnis BFH-Urteil vom 18. 9. 2007 I R 75/06, BFHE219, 78, BStBl II 2008, 116).

Geschäftlicher Anlass liegt vor, wenn – aus betrieblicherVeranlassung – andere Personen als die eigenen Arbeit-nehmer bewirtet werden

48 Damit ist nach allgemeiner Auffassung ein geschäft-licher Anlass gegeben, wenn eine betrieblich veranlassteBewirtung keine nur betriebsinterne (Arbeitnehmer-)Be-wirtung ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 7. 9. 2011 I R 12/11,BFHE 235, 225, BStBl II 2012, 194; Spilker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz. H 47; Bode in Kirchhof,EStG, 176. Aufl., § 4 Rz. 202; Nacke in Littmann/Bitz/Pust,EStG, § 4 Rz. 1691). Dem schließt sich der Senat an.

49 Nach Maßgabe dieses Gesetzesverständnisses greifenauch die weiteren Einwände der Klin. nicht durch. Ihre inden Vordergrund gestellte Argumentation zur betriebs-funktionalen Notwendigkeit des Caterings (bestmöglicheKoordination der Arbeiten an dem jeweiligen Drehort,Koordinierung und Flexibilität bei der Umsetzung einesDrehplans unter Berücksichtigung hoher Kosten einerseitsund geringer Kosten des Caterings andererseits, notwen-dige Begleiterscheinung innerhalb des Produktionsprozes-ses, fehlender Repräsentationscharakter) hält der Senatzwar für nachvollziehbar und überzeugend. Sie vermagaber nur die ohnehin gegebene betriebliche Veranlassungdes Caterings zu unterstreichen, ist aber für die Auslegungdes § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG unerheblich. Ausdem gleichen Grund spielt es auch keine Rolle, wie imallgemeinen Sprachgebrauch und im wirtschaftlichen Ver-kehr eine „Bewirtung aus geschäftlichem Anlass“ verstan-den wird. Ebenso ist es gleichgültig, ob die Bewirtung dazudient, „beim Essen“ geschäftliche Dinge zu besprechen,um Geschäftsbeziehungen zu festigen oder anzubahnen.Die Vorschrift ist, wie ihre Entwicklungsgeschichte zeigt,insoweit gerade nicht punktuell einzuschränken. Entgegendem Vorbringen der Klin. zum Wortlaut des § 4 Abs. 5Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG hat der Gesetzgebermit der Formu-lierung „aus geschäftlichem Anlass“ zum Ausdruck ge-bracht, dass die Kosten einer angemessenen Darreichung

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EFG 2019 Nr. 1 57Entscheidung Nr. 17

von Speisen und Getränken nur teilweise abzugsfähig seinsollen.

Überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klin. ander Bewirtung nicht relevant

50 Insbesondere teilt der Senat in diesem Zusammenhangnicht die von der Klin. aus dem BFH-Urteil vom 21. 1. 2010VI R 51/08 (BFHE 228, 85, BStBl II 2010, 700) zur lohn-steuerrechtlichen Beurteilung hergeleitete Sichtweise zurVerdrängung eines geschäftlichen Anlasses durch einüberwiegend eigenbetriebliches Interesse. In dieser Ent-scheidung hat der BFH die Annahme steuerpflichtigenArbeitslohns nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG abgelehnt,wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern aus ganzüberwiegend eigenbetrieblichem Interesse Speisen undGetränke unentgeltlich oder verbilligt zur Verfügung stellt(vgl. auch FG Hamburg vom 17. 9. 2015 2 K 54/15, EFG2016, 36, zur unentgeltlichen Mahlzeitengestellung anMit-arbeiter auf einer Offshore-Plattform). Der Senat kannoffenlassen, ob er sich diesen Rechtsprechungsgrundsätzenbezogen auf die Verhältnisse im Streitfall für Zwecke derLSt anschließen könnte. Zwar könnte in den vorgenanntenFällen, wie im Streitfall, aber auch bei anderen Bewir-tungen, bei denen die Präsenz der Arbeitnehmer am Ar-beitsplatz zwingend notwendig ist (z. B. im Bereich derFürsorge oder der Gefahrenabwehr und -bekämpfung),eine „betriebsfunktionale Zwangslage“ vorliegen. Letztlichsteht diese Rspr. aber in keinem Zusammenhang mit derAuslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr lässtsich kein Rechtssatz entnehmen, wonach ein überwiegendeigenbetriebliches Interesse einen ansonsten bestehenden„geschäftlichen Anlass“ allgemein überlagert.

Bewirtung kein Gegenstand eines Leistungsaustauschs

51 d) Die streitbefangenen Kosten für das Catering fallenauch nicht deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG, weil sie als Gegenstand einesAustauschverhältnisses im Sinne eines Leistungsaustau-sches keine Bewirtung aus geschäftlichem Anlass darstel-len.

52 Wie der BFH (vgl. Urteil vom 17. 7. 2013 X R 37/10,BFH/NV 2014, 347, m. w. N.) unter Hinweis auf Darstellun-gen in der einschlägigen Fachliteratur ausgeführt hat,gehören Bewirtungsaufwendungen, die im Leistungsaus-tausch vergütet werden, nicht zu den von § 4 Abs. 5 Satz 1Nr. 2 EStG gemeinten Aufwendungen. Exemplarisch ver-weist der BFH auf die Verpflegung von Seminarteilneh-mern, die den Aufwand durch die Bewirtung mittels ent-sprechend erhöhter Seminargebühren selbst tragen. Einevergleichbare Gegenleistung fehlt im Streitfall.

53 Die bewirteten Personen haben keine Gegenleistungfür das Catering erbracht, sondern nur die vertraglichgeschuldete Mitwirkung an der jeweiligen Produktion.Dass das Catering Gegenstand eines Leistungsaustauschesin dem Sinne gewesen wäre, aufgrund dessen die bewirte-ten Personen die Teilnahme an dem Catering hätten bean-spruchen können oder konkrete Gegenleistungen für dasCatering erbracht hätten, hat selbst die Klin. nicht behaup-tet. Auch aus den vorgelegten Akten ergeben sich keinerleiAnhaltspunkte in dieser Richtung. Es liegt daher nur eineBewirtung – anlässlich – eines auf andere Vertragsgegen-stände gerichteten Leistungsaustausches vor. Dies ent-spricht auch dem Vorbringen der Klin., die stets betont hat,dass das Catering, wie bereits dargestellt, in ihrem über-wiegend eigenbetrieblichen Interesse erfolgt sei, um dieKosten gering zu halten und Zusatzkosten zu vermeiden.

54 Die bewirteten Personen hatten auch keine aus demVertragsverhältnis zwischen der Klin. und den jeweiligenAuftraggebern, ggf. im Rahmen eines Vertrags zu GunstenDritter i. S. des § 328 Abs. 1 BGB, abzuleitenden Ansprücheauf die Gewährung unentgeltlicher Verpflegung. Unstrei-tig sind die Kosten für das Catering gegenüber den Auf-

traggebern als Kalkulationsgröße im Produktionsvertragangegeben worden. Gegenstand des Leistungsaustauscheswaren daher nur die Entgelte der Auftraggeber und diedurch die Klin. gefertigten Produktionen.

55 Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass durch die Produk-tionsverträge zugunsten der verschiedenen Nutznießer,also den Arbeitnehmern der Klin., den selbständigen Mit-wirkenden und den Arbeitnehmern der Auftraggeber, einAnspruch auf Gewährung des Catering begründet werdensollte, bestehen nicht. Es sind keine Gründe ersichtlich,warum die jeweiligen Auftraggeber allen an der Produk-tion beteiligten Personen Verpflegungsansprüche einräu-men sollten.

56 Letztlich bestand auch kein Austauschverhältnis mitden jeweiligen Auftraggebern der Klin., das eine Anwen-dung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG ausschließen könnte.Die Vertragspartner der Klin. haben die erfolgreiche Her-stellung der jeweils vereinbarten Produktion vergütet. Überdie konkreten Schritte und Maßnahmen zur kostengünsti-gen Produktion hat die Klin. nach Maßgabe eigener Vor-stellungen entschieden. Dass nicht das Catering vergütetworden ist, ergibt sich auch aus dem eigenen Vorbringender Klin., wonach die tatsächlichen Kosten im Einzelfallgeringer waren als die kalkulierten Kosten ... Auf die Frage,ob ansonsten eine mittelbare Bewirtung durch die Auftrag-geber vorläge (vgl. BFH-Urteil vom 17. 7. 2013 X R 37/10,BFH/NV 2014, 347, m. w. N.), kommt es daher nicht an.

(Rück-)Ausnahme des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht ein-schlägig

57 e) Die Klägerin kann sich nicht auf die (Rück-)Aus-nahme des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG berufen. Diese Ausnahmegreift nur bei Bewirtungen ein, die unmittelbar Gegenstandder erwerbsbezogenen bewirtenden Tätigkeit sind (vgl.BFH-Urteil vom 7. 9. 2011 I R 12/11, BFHE 235, 225, BStBl II2012, 194). An einer solchen – in Gewinnabsicht ausgeüb-ten – Bewirtung fehlt es; die Klin. unterhielt keinen gastro-nomischen Betrieb. Vielmehr diente die unentgeltlicheBewirtung nur indirekt der Förderung ihrer mit Gewinnab-sicht ausgeübten Tätigkeit zur Produktion von Fernsehsen-dungen. Die Klin. hat zudem keine anderen Leistungen andie an den Drehorten tätigen Mitarbeiter erbracht.

58 f) Die Höhe der von der Klin. getragenen Cateringauf-wendungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig, so dassder Senat von weiteren Ausführungen absieht.

59 Es kann in diesem Zusammenhang weiterhin offen-bleiben, ob mit Blick auf das vom Senat geteilte Gesetzes-verständnis der höchstrichterlichen Rspr. zur Auslegungdes § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG auch die bisherzum uneingeschränkten Abzug zugelassenen Aufwendun-gen für die Bewirtung der eigenen Arbeitnehmer inden Anwendungsbereich der Bewirtungsaufwendungenaus geschäftlichen Anlass einzubeziehen sind. Damit gingeeine Verböserung einher, die im finanzgerichtlichen Ver-fahren unzulässig ist (vgl. zum sog. Verböserungsverbotz. B. BFH-Beschlüsse vom 10. 3. 2016 X B 198/15, BFH/NV2016, 1042; vom 8. 5. 2018 VIII B 124/17, BFH/NV 2018,822; Ratschow in Gräber, FGO, 8. Aufl., § 96 Rz. 51,m. w. N.).

60 g) Schließlich kommt es im Streitfall nicht darauf an,ob die besonderen Aufzeichnungspflichten des § 4 Abs. 5Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG einerseits und § 4 Abs. 7 EStGandererseits erfüllt sind.

61–62 ... 4. Gründe für eine Revisionszulassung liegennicht vor. Der Senat weicht insbesondere nicht von der Aus-legung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG durch diehöchstrichterliche Rspr. ab, die von der ganz h. M. in derLiteratur geteilt wird.

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58 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 17

Anmerkung

Der Abspann eines Kinofilms besteht aus den „Credits“.Die teilweise schier endlose Liste der Namen zeigt, dassdie Zahl der Menschen hinter der Kamera um ein Vielfa-ches größer ist die der Schauspieler und Komparsen. Ins-besondere werden bei den „Credits“ die vielen Personengenannt, die unmittelbar bei den Aufnahmen amDrehortmitgewirkt haben, nämlich Regisseur, Produzent, dieVerantwortlichen für Kamera, Bild und Ton, Aufnahme-leiter, Beleuchter, Maskenbildner, Requisiteur, diverseAssistenten, Fahrer, Security und viele andere. Zeit istGeld – ein Drehtag kann bis zu zwölf Stunden dauernund muss gut vorbereitet sein. Dabei darf die Verpfle-gung der vielen Menschen nicht vergessen werden. Des-halb ist es keine Überraschung, dass selbst ein Catering-unternehmen bei den „Credits“ auftaucht.

I. Problemstellung

Der Produzent bzw. die Produktionsgesellschaft beauf-tragt in aller Regel ein Cateringunternehmen damit, allenam Set anwesenden Personen Speisen und Getränkeanzubieten. Das geschieht üblicherweise unentgeltlich,und dabei wird nicht unterschieden zwischen den eige-nen Arbeitnehmern der Produktionsgesellschaft unddenjenigen Personen, die entweder selbständig tätig sind(insbesondere die Schauspieler, der Regisseur und derKameramann) oder die bei anderen Unternehmen (z. B.den Fernsehsendern) beschäftigt sind und die Film-aufnahmen überwachen. Daraus ergibt sich einkom-mensteuerrechtlich ein Problem. Cateringaufwendungensind zwar BA (§ 4 Abs. 4 EStG). Nach § 4 Abs. 5 Satz 1Nr. 2 Satz 1 EStG dürfen aber Aufwendungen für dieBewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass,soweit sie 70%der Aufwendungen übersteigen, die nachder allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessenanzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlas-sung nachgewiesen sind, den Gewinn nicht mindern.Wenn die Cateringaufwendungen unter diese Vorschriftfallen, geht der Produktionsgesellschaft für 30 % davonder Betriebsausgabenabzug verloren. Genauso hatte dashier beklagte FA bei der Klin., einer Filmproduktionsge-sellschaft in der Rechtsform einer GmbH, die KSt und dieGewSt-Messbeträge festgesetzt.

II. Die Argumentation der Klin.

Im Zentrum der Klagebegründung stand in tatsächlicherHinsicht die zwingende Notwendigkeit des Cateringfür den reibungslosen Ablauf der Dreharbeiten. Dieseergebe sich aus dem engen Zeitfenster einer Produktion,das einer statischen Pausenregelung entgegenstehe. Ein-zelne Mitwirkende hätten ihre Pausen kurzzeitig nachMaßgabe des Produktionsablaufs unterbrechen müssen,da die Dreharbeiten wegen der Kosten und der Vorgabennicht hätten ins Stocken geraten dürften. Die Mitwirken-den hätten sich jederzeit am Drehort, d. h. in der Produk-tionshalle bzw. bei einem Außendreh im nahen Umfeld,verfügbar halten müssen. Angesichts der Produktions-konzepte sei eine Verköstigung nur sehr schwer oderüberhaupt nicht möglich, es sei denn, sie – die Klin. –hätte es, wie geschehen, den Beteiligten ermöglicht, einewarme Mahlzeit unmittelbar am Drehort einzunehmen.Hinzu komme, dass sich an den Produktionsstätten meistin fußläufiger Nähe kein Restaurant oder Imbiss befun-den habe, in denen z. B. 80 Personen innerhalb von30Minuten hätten verpflegt werden können. Allein diese30 Minuten hätten den Produktionsablauf erheblichbeeinträchtigt, z. B. wegen zusätzlicher Kosten für län-gere Mietzeiten und für Zuschläge oder Vertragsstrafen.Deshalb seien ihr die Cateringaufwendungen stets vonihren Auftraggebern erstattet worden. Die Cateringauf-wendungen seien Teil ihrer Kostenkalkulation, aus dersie ihre mit dem jeweiligen Fernsehsender zu vereinba-rende Vergütung errechne. Es habe keine Möglichkeit

bestanden, von den Nicht-Arbeitnehmern ein Entgelt zuverlangen.

III. Die Entscheidung des FG

1. Das FG hält die Argumentation der Klin. zur betriebs-funktionalen Notwendigkeit des Catering ausdrücklich„für nachvollziehbar und überzeugend“. Es hat jedochkeine Möglichkeit gesehen, daraus einen durchschla-genden Einwand gegen die Anwendung von § 4 Abs. 5Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG zu entwickeln. Dass die Kostenfür das Catering Aufwendungen für die Bewirtung vonPersonen sind, konnte nicht ernsthaft zweifelhaft sein.Da die Bewirtung unentgeltlich stattgefunden hatte,konnte § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG nicht unterHinweis auf einen Leistungsaustausch abgelehnt wer-den. Auf der Hand lag schließlich, dass sich die Klin.nicht auf § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG – Bewirtung als (unmittel-barer) Gegenstand der mit Gewinnabsicht ausgeübtenBetätigung – berufen konnte.

2. Die Entscheidung hing deswegen allein davon ab, wiedas Merkmal „aus geschäftlichem Anlass“ auszulegenist. Dabei ist das FG nach eingehender Untersuchungder Entstehungsgeschichte der Norm zu dem Ergebnisgelangt, dass ein geschäftlicher Anlass immer dann vor-liegt, wenn die bewirteten Personen „nicht Arbeitnehmerdes Steuerpflichtigen sind“. Das war der Text von § 4Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG i. d. F. vor dem StRefG1990 vom 25. 7. 1988 (BGBl. I 1988, 1093) gewesen.Durch die neue, für die Streitjahre geltende Gesetzesfas-sung sollte der Anwendungsbereich für die Kürzung derBA nicht etwa eingeschränkt, sondern erweitert werden.Da das beklagte FA im Streitfall lediglich die Aufwen-dungen für die Verpflegung der gerade nicht bei derKlin. beschäftigten Personen gekürzt hatte, waren alleVoraussetzungen von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStGerfüllt.

3. Das FG hätte der Klage nur stattgeben können, wennes einen gänzlich neuen Weg in der Auslegung derVorschrift beschritten hätte, auf den die Klin. hingewie-sen hatte. Es ging um die Rspr. des BFH (Urteil vom21. 1. 2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl II 2010, 700),wonach die unentgeltliche oder verbilligte Bewirtung derArbeitnehmer durch den Arbeitgeber keinen steuer-pflichtigen Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)darstellt, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieb-lichen Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Der BFH gehtdavon aus, dass eine Wechselwirkung zwischen derIntensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeit-gebers und dem Ausmaß der Bereicherung des Arbeit-nehmers besteht. Je höher aus der Sicht des Arbeitneh-mers die Bereicherung anzusetzen sei, desto geringerwiege das aus der Sicht des Arbeitgebers vorhandeneeigenbetriebliche Interesse. Trete das Interesse des Ar-beitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in denHintergrund, könne eine Lohnzuwendung zu verneinensein. Daraus leitete die Klin. ab, dass man den „geschäft-lichen Anlass“ für die Bewirtung von Personen verneinenmüsse, wenn der Steuerpflichtige – wie sie selbst imStreitfall – an dieser Bewirtung ein überwiegend eigen-betriebliches Interesse habe; dieses überlagere danngleichsam den geschäftlichen Anlass. Einer solchen Aus-legung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG vermochtedas FG sich nicht anzuschließen. Anzumerken ist, dassdie Klin. von der Richtigkeit ihrer Argumentation offen-sichtlich selbst nicht ganz überzeugt war. Immerhin hattesie wegen der Cateringaufwendungen für ihre eigenenArbeitnehmer – trotz ihres angeblich überwiegendeigenbetrieblichen Interesses – eine Lohnversteuerungdurchgeführt.

IV. Zulassung der Revision

Das FG hat keine Gründe für die Zulassung der Revisiongesehen und darauf hingewiesen, dass es nicht von der

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EFG 2019 Nr. 1 59Entscheidung Nr. 18

Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG durchdie höchstrichterliche Rspr. abweiche und diese von derganz h. M. in der Literatur geteilt werde. Diese Begrün-dung erscheint nicht zwingend.

Gerade wenn die Relevanz eines überwiegend eigenbe-trieblichen Interesses des Steuerpflichtigen an der Bewir-tung von Personen, die nicht zu seinen Arbeitnehmerngehören, für die Beurteilung des geschäftlichen Anlassesi. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG bisher inRspr. und Literatur nicht diskutiert worden ist, steht eineetwaige „Fortbildung des Rechts“ im Raum, die eine Ent-scheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).In keinem der Sachverhalte, die den vom FG zitiertenBFH-Entscheidungen zugrunde lagen, haben die Steuer-pflichtigen ein so überwiegend eigenbetriebliches Inte-resse an der Bewirtung geltend machen können wie dieKlin. Zur steuerlichen Behandlung von Cateringaufwen-dungen bei Filmproduktionsunternehmen gibt es, soweitersichtlich, bisher überhaupt keine BFH-Entscheidung.Dass es in der Bundesrepublik, insbesondere in den„Medienstädten“, viele gleichartige Unternehmen gibt,die aus den gleichen Gründen wie die Klin. bei Drehar-beiten alle dort anwesenden Personen unentgeltlichbewirten, steht außer Frage. Die Rechtssache hat zudemgrundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Man darf also gespannt sein, ob die Klin. gegen dieNichtzulassung der Revision Beschwerde einlegt und,wenn ja, wie der BFH darüber entscheiden wird.

Richter am FG Erwin Weingarten

Finanzgerichtsordnung

18 Fortsetzungsfeststellungsklage: Keinberechtigtes Feststellungsinteresse wegeneines beabsichtigten Amtshaftungsprozes-ses, wenn sich eine Arrestanordnungbereits vor Klageerhebung erledigt hat

FGMünster, Urteil vom 31. 10. 2018 7 K 2396/16 AO – vor-läufig nicht rechtskräftig.

Wenn sich eine Arrestanordnung bereits vor Klage-erhebung erledigt hat, besteht für eine wegen dieserArrestanordnung erhobene (Fortsetzungs-)Feststellungs-klage kein berechtigtes (Fortsetzungs-)Feststellungsinte-resse aufgrund eines Amtshaftungsprozesses.

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4.

1–11 Streitig ist, ob eine Arrestanordnung gegenüber derX-GmbH rechtswidrig gewesen ist.

Auf Ersuchen des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahn-dung A-Stadt ordnete der Bekl. am 23. 6. 2016 den ding-lichen Arrest in das Vermögen der X-GmbH an. Die Arrest-anordnung erfolgte aufgrund § 324 AO und zur Sicherungvon USt-Schulden i. H. v. insgesamt 4 929 187 €. DieseSumme setzte sich wie folgt zusammen:

Schuldgrund Zeitraum SchuldbetragUSt 2014 1 320 329 €

2015 2 841 996 €Januar 2016 441 106 €Februar 2016 195 283 €März 2016 130 473 €

Summe 4 929 187 €

Den Arrestanspruch begründete der Bekl. im Wesentlichenmit Ermittlungsergebnissen, nach denen dem Land Nord-

rhein-Westfalen mit hinreichender Sicherheit demnächstein Steueranspruch in dieser Höhe zustehen würde. DieArrestschuldnerin habe umsatzsteuerpflichtige Umsätzebisher zu Unrecht als umsatzsteuerfrei behandelt. Darüberhinaus begründete er den Arrestgrund zuvorderst damit,dass die bisher ermittelten Umstände das Bestreben derhandelnden Personen erkennen ließen, die tatsächlichenErlös- und Umsatzverhältnisse gegenüber den Steuerbe-hörden zu verschleiern.

Zeitgleich mit der persönlichen Zustellung der Arrest-anordnung übergab der Bekl. der X-GmbH geänderteUSt-Bescheide für die o. g. Zeiträume und über die o. g.Beträge. Die USt-Abschlusszahlungen waren sofort fällig.

Die X-GmbH zahlte noch am Tag der Bekanntgabe derArrestanordnung und der geänderten USt-Bescheide einenBetrag i. H. v. 4 000 000 €. Sie vereinbarte mit dem Bekl.,dass die restliche Zahllast aus den USt-Bescheiden in Ratenbis spätestens zum 8. 7. 2016 überwiesen werden sollte.Daraufhin hob der Bekl. gegenüber verschiedenen Bankenausgebrachte Pfändungsverfügungen auf.

Am 28. 7. 2016 hat die X-GmbH wegen der Arrestanord-nung Klage erhoben (wegen der USt-Bescheide s. Verfah-ren des FG Münster mit den Az. 15 V 2440/16, EFG 2017,1463, und 5 K 2292/17, noch anhängig). Nach Klageerhe-bung wurde über das Vermögen der X-GmbH das Insol-venzverfahren eröffnet und der Kl. zum Insolvenzverwalterbestellt (Beschluss des AG B-Stadt vom ... 2017). Der Kl. hatdas Verfahren in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalteraufgenommen. Er habe ein berechtigtes Interesse an derFeststellung, dass die Arrestanordnung rechtswidrig gewe-sen sei. Er beabsichtige eine Amtshaftungsklage zu erhe-ben.

Der Kl. beantragt, festzustellen, dass die Arrestanordnungdes Bekl. vom 23. 6. 2016 rechtswidrig gewesen ist.

Aus den Gründen:

12 Die Klage hat keinen Erfolg.

13 Sie ist, wovon auch die Beteiligten ausgehen, als Fort-setzungsfeststellungsklage zu qualifizieren. Mangels Vor-liegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses ist dieKlage jedoch unzulässig.

14 Soweit ein angefochtener VA rechtswidrig ist und derKl. dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gerichtden VA und die etwaige Entscheidung über den außerge-richtlichen Rechtsbehelf auf (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1FGO). Hat sich der VA vorher durch Zurücknahme oderanders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durchUrteil aus, dass der VA rechtswidrig gewesen ist, wennder Kl. ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat(§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).

Feststellungsklage bei Erledigung nach Erhebung einerAnfechtungsklage

15 Der aus § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO hergeleitete Sonder-fall der Feststellungsklage – die Fortsetzungsfeststellungs-klage – bezieht sich auf Fälle, in denen sich eine zulässigeAnfechtungsklage vor der gerichtlichen Entscheidung inder Hauptsache erledigt hat, z. B. durch Rücknahme desangefochtenen VA oder durch antragsgemäße Änderung.Das Interesse der Kl. an einer Feststellung ist in diesenFällen schutzwürdig, da die Kl. nicht ohne Not um dieFrüchte des bisherigen Prozesses gebracht werden dürfen.Dies gilt insbesondere dann, wenn das Klageverfahrenunter einem entsprechenden Aufwand einen bestimmtenStand erreicht hat und sich mit der Erledigung desursprünglichen Antrags die Frage stellt, ob dieser Aufwandnutzlos gewesen sein soll und der Kl. wegen der – häufignicht auf sein Verhalten zurückgehenden – Erledigung indiesem Klageverfahren leer ausgehen muss (vgl. BVerwG-

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60 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 18

Urteile vom 28. 4. 1967 IV C 163.65, DVBl. 1968, 220; vom18. 4. 1986 8 C 84/84, BayVBl. 1987, 502; vom 27. 3. 19984 C 14/96, DVBl. 1998, 896, zu dem mit § 100 Abs. 1 Satz 4FGO wortgleichen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

16 Vorliegend hat sich die streitbefangene Arrestanord-nung nicht während eines laufenden Klageverfahrens, son-dern bereits vor Klageerhebung erledigt. Die in § 324 AOgeregelte Anordnung des dinglichen Arrests dient derSicherung der Vollstreckung von Geldforderungen desSteuergläubigers. Sie soll die Zeitspanne überbrücken, inder die Vollstreckung noch nicht zulässig ist, weil z. B. nochkein vollstreckbarer VA (§ 251 AO) vorliegt oder die Leis-tung noch nicht fällig, das Leistungsgebot noch nichtergangen oder die Wochenfrist mit der Aufforderung zurLeistung noch nicht verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO).Sobald über die den Gegenstand des Arrests bildendenSteuerforderungen Steuerbescheide ergangen sind, die dieVollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 254 AO erfüllen,bedarf es der Arrestanordnung nicht mehr. Das Arrest-verfahren wird in das normale Vollstreckungsverfahrenübergeleitet und als solches fortgesetzt. Mit der Überlei-tung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahrenwird die Arrestanordnung gegenstandslos. Ein über dieArrestanordnung geführter Rechtsstreit findet dadurch inder Hauptsache seine Erledigung (vgl. BFH-Urteile vom22. 7. 2008 VIII R 8/07, BFHE 222, 46; vom 7. 7. 1987VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702). Im Streitfall übergab derBekl. der X-GmbH zeitgleich mit der persönlichen Zustel-lung der Arrestanordnung geänderte USt-Bescheide für diein der Arrestanordnung genannten Zeiträume und Schuld-beträge. Die hiernach von der X-GmbH geschuldeten USt-Abschlusszahlungen waren sofort fällig. Es kann dahinste-hen, ob sich die Arrestanordnung nachfolgend durch dieZahlungen der X-GmbH an den Bekl. oder durch das Vor-liegen vollstreckbarer USt-Bescheide erledigt hat. Jeden-falls zahlte die X-GmbH vor Klageerhebung die fälligenUSt-Abschlusszahlungen und lagen vor Klageerhebungvollstreckbare USt-Bescheide vor, die den Gegenstand derArrestanordnung bildeten.

„Analoge“ Anwendung bei Erledigung vor Erhebungeiner Klage

17 Zwar steht die Erledigung der Arrestanordnung vorKlageerhebung der Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststel-lungsklage allein nicht entgegen. Nach der Rspr. des BFHist dies unbeachtlich und damit eine Fortsetzungsfeststel-lungsklage auch in Fällen zulässig, in denen sich der streit-befangene VA schon vor Klageerhebung erledigt hat (BFH-Urteile vom 10. 7. 2002 X R 65/96, BFH/NV 2002, 1567; vom7. 8. 1979 VII R 14/77, BFHE 128, 346).

Aber: Kein berechtigtes Feststellungsinteresse wegeneines Amtshaftungsprozesses

18 Allerdings hat der Kl. kein berechtigtes Interesse ander Feststellung, dass der streitbefangene VA rechtswidrigist.

19 Ein berechtigtes Interesse kann ein durch die Sachlagevernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse rechtlicher,wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Ein berechtigtesFeststellungsinteresse kann sich hiernach u. a. aus einemRehabilitationsinteresse, einer Wiederholungsgefahr oderder Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erge-ben. Jedenfalls muss der Kl. sein berechtigtes Interesse ander Feststellung substantiiert darlegen (BFH-Urteil vom10. 2. 2010 XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450).

20 Zur Begründung seines Feststellungsinteresses beruftsich der Kl. auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage. Einefinanzgerichtliche Entscheidung in dem Streitfall sei fürden Schadensersatzprozess nicht unerheblich. Das grobrechtswidrige Vorgehen des Bekl. müsse bereits in demhier anhängigen Rechtsstreit festgestellt werden. Die Fest-stellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung sei

für die geplante Verfolgung der Amtshaftungsansprüchedurch den Kl. von Bedeutung.

21 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sichdie streitbefangene Arrestanordnung vor Klageerhebungerledigt hat. Unter Beachtung der Gründe für die Schutz-würdigkeit des Interesses eines Kl. an einer Feststellungder Rechtswidrigkeit eines VA im Rahmen einer Fortset-zungsfeststellungsklage ist für die Frage, ob im Hinblickauf einen beabsichtigten Amtshaftungsprozess ein berech-tigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeiteines erledigten VA besteht, maßgeblich, ob der Kl. sofortund unmittelbar vor dem zuständigen Zivilgericht Klageerheben konnte, oder ob er gezwungen war, zunächst einefinanzgerichtliche Klage zu erheben. Hat sich der VA schonvor der Klageerhebung erledigt, bedarf es in diesen Fällenkeines Rechtsschutzes durch ein FG. Der Kl. kann wegendes von ihm erstrebten Schadensersatzes unmittelbar daszuständige Zivilgericht anrufen. Dieses ist auch für dieKlärung steuerrechtlicher (Vor-)Fragen zuständig. Mithinfehlt es in einem solchen Fall an einem schutzwürdigenInteresse an einer finanzgerichtlichen Fortsetzungsfeststel-lungsklage (vgl. BVerwG-Urteil vom 27. 3. 1998 4 C 14/96,DVBl. 1998, 896, zu dem mit § 100 Abs. 1 Satz 4 FGOwortgleichen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

22 Der BFH führt in diesem Zusammenhang aus, dass imFalle der Erledigung eines angefochtenen VA im Verlaufdes Klageverfahrens ein besonderes Feststellungsinteressemöglicherweise unter dem Gesichtspunkt der Prozessöko-nomie daraus abgeleitet werden kann, dass die Rechtmä-ßigkeit des angefochtenen VA in dem bereits eingeleitetengerichtlichen Verfahren abschließend geklärt werden kannund dazu nicht ein weiteres Verfahren benötigt werde. Diesgelte jedoch nicht, wenn die Erledigung des streitbefange-nen VA bereits vor Klageerhebung erfolgt sei. Bei einersolchen Fallgestaltung könne ein Feststellungsinteressenicht mit der Konzentration auf ein einmal eingeleitetesVerfahren begründet werden (BFH-Urteil vom 26. 9. 2007I R 43/06, BFHE 219, 13, unter Verweis auf BVerwG-Urteilvom 27. 3. 1998 4 C 14/96, DVBl. 1998, 896).

23 Unter Beachtung dieser Grundsätze besteht im Streit-fall kein berechtigtes Interesse an der Feststellung derRechtswidrigkeit der Arrestanordnung wegen eines be-absichtigten Amtshaftungsprozesses. Die streitbefangeneArrestanordnung hat sich vor Klageerhebung erledigt. DieX-GmbH und der Kl. waren somit nicht gezwungen,zunächst eine finanzgerichtliche Anfechtungsklage zu er-heben, um deren Früchte sie durch die Erledigung derArrestanordnung gebracht würden. Vielmehr hätten sieunmittelbar das zuständige Zivilgericht anrufen können.Dieses ist im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses auchfür die Klärung der steuerrechtlichen Vorfrage zuständig,ob die Arrestanordnung eine rechtswidrige Handlung desBekl. darstellt.

Kein Abweichen von finanzgerichtlicher Rspr.

24–25 ... Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechts-sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Durch die Rspr.des BFH ist – unter Verweis auf die ständige Rspr. desBVerwG – geklärt, dass eine Fortsetzungsfeststellungs-klage bei Erledigung des angefochtenen VA vor Klageer-hebung zwar grundsätzlich zulässig ist. Jedoch fehlt in die-sen Fällen das besondere Feststellungsinteresse, wenn dieRechtswidrigkeit des erledigten VA in einem anderen Ver-fahren eigenständig beurteilt und entschieden werdenkann (so auch Schmidt-Troje in Gosch, AO/FGO, § 100FGO Rz. 44, unter Verweis auf BFH-Urteil vom 26. 9. 2007I R 43/06, BFHE 219, 13). Im Übrigen weicht der erken-nende Senat auch nicht von anderen finanzgerichtlichenEntscheidungen ab. Zwar wurde in jüngerer Zeit die Zu-lässigkeit von Fortsetzungsfeststellungsklagen in Fällenbejaht, in denen sich eine streitbefangeneArrestanordnungvor Klageerhebung erledigt hatte und das besondere Fest-

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EFG 2019 Nr. 1 61Entscheidung Nr. 19

stellungsinteresse auf einen beabsichtigten Schadenser-satzprozess gestützt wurde (FG München, Urteil vom2. 3. 2009 7 K 4374/06, EFG 2009, 949, rkr.; FG Berlin-Bran-denburg, Urteil vom 13. 10. 2016 10 K 10324/14, EFG 2017,186, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 35/16). Allerdingssetzen sich diese Entscheidungen nicht mit der hier ent-scheidungserheblichen Frage auseinander.

Anmerkung

I. Problemstellung

Der Kl. begehrte die Feststellung, dass eine Arrestanord-nung – die sich bereits vor Klageerhebung erledigthatte – rechtswidrig gewesen ist. Sein Feststellungsinte-resse begründete er mit einem beabsichtigten Amtshaf-tungsprozess.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Fortsetzungs-feststellungsklage hatte der Senat über die Frage zu ent-scheiden, ob (allein) die Absicht einen Amtshaftungspro-zess zu führen für ein schutzwürdiges Feststellungsinte-resse ausreicht, wenn sich die streitgegenständlicheArrestanordnung bereits vor Klageerhebung erledigthatte.

II. Rechtslage

Der gesetzlich geregelte Fall einer Fortsetzungsfeststel-lungsklage betrifft die Konstellation, dass sich im Laufeeines Anfechtungsprozesses der angefochtene VA erle-digt. In diesem Fall kann der Kl. sein Begehren daraufrichten, dass das Gericht feststellt, dass dieser erledigteVA rechtswidrig gewesen ist (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).Für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist ein berechtig-tes Interesse des Kl. an der Feststellung erforderlich. Dieskann sich aus einerWiederholungsgefahr, einemRehabi-litierungsinteresse und einem beabsichtigten Schadens-ersatz-/Amtshaftungsprozess ergeben.

Darüber hinaus lässt die finanzgerichtliche Rspr. eineFortsetzungsfeststellungsklage für die Konstellation zu,in der sich ein VA bereits vor Klageerhebung erledigt hat(„analoge“ Anwendung des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).Freilich ist auch in diesen Fällen ein berechtigtes, schutz-würdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrig-keit erforderlich.

III. Die Entscheidung des FG

Der Senat hat entschieden, dass der Kl. kein berechtig-tes, schutzwürdiges Fortsetzungsfeststellungsinteressehat. Nach den von der verwaltungsgerichtlichen Rspr.herausgearbeiteten Grundsätzen und der hierauf bezug-nehmenden Rspr. des BFH kann ein Fortsetzungsfeststel-lungsinteresse im Fall der Erledigung vor Klageerhebung– also bei „analoger“ Anwendung des § 100 Abs. 1 Satz 4FGO – nicht (allein) mit einem beabsichtigten Amtshaf-tungsprozess begründet werden. In diesem Fall bestehtkein Bedürfnis für eine Feststellung der Rechtswidrigkeitdurch das FG. Die Frage, ob das Handeln des FA rechts-widrig gewesen ist, kann und ist ebenso von dem für denAmtshaftungsprozess zuständigen Zivilgericht beant-wortet werden. Es besteht kein Recht auf eine diesbezüg-liche Entscheidung durch das sachnähere FG.

IV. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Gerade in Hinblick auf die jüngere finanzgerichtlicheRspr. erscheint die vorliegende Entscheidung bemer-kenswert. Das FG München (Urteil vom 2. 3. 20097 K 4374/06, EFG 2009, 949, rkr.) und das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13. 10. 2016 10 K 10324/14,EFG 2017, 186, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 35/16)haben die Zulässigkeit von Fortsetzungsfeststellungskla-gen in Fällen bejaht, in denen sich die streitbefangeneArrestanordnung vor Klageerhebung erledigt hatte und

das besondere Feststellungsinteresse auf einen beabsich-tigten Amtshaftungsprozess gestützt wurde. Allerdingssetzen sich diese Entscheidungen – soweit ersichtlich –nicht mit der hier entscheidungserheblichen Frage aus-einander.

V. Hinweise für die Praxis

In der Beratungspraxis dürfte sich für einen effekti-ven Steuerrechtsschutz anbieten, vor Erledigung einerArrestanordnung eine Klage zu erheben. Sollte sich dieArrestanordnung im Laufe des sodann anhängigen Kla-geverfahrens erledigen, könnte sich der Kl. für dieBegründung seines Fortsetzungsfeststellungsinteressesmit Erfolg auf einen beabsichtigten Amtshaftungsprozessberufen.

Richter Dr. Jan Dominik

FinanzgerichtsordnungKostengesetze

19 Zulässigkeit eines wiederholten Antragsauf AdV – Kostenentscheidung

FG München, Beschluss vom 28. 11. 2018 7 V 2273/18 –rechtskräftig.

1. Die im BFH-Beschluss vom 13. 5. 2015 X S 9/15(BFH/NV 2015, 1099) vertretene Auffassung, dass in einemBeschluss über einen Antrag auf Änderung oder Aufhe-bung eines AdV-Beschlusses eine Kostenentscheidungnicht zu treffen ist, führt nicht dazu, dass solche Beschlüssekostenrechtlich ohne Folgen sind.

2. Der Antrag auf Änderung eines AdV-Beschlusses nach§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ist zulässig, wenn der Steuerpflich-tige bisher keine Veranlassung hatte, Umstände geltendzu machen, die das steuerliche Thema betrafen, auf dasdas Gericht die (teilweise) Ablehnung des AdV-Beschlus-ses stützte, weil dieses Thema zwischen den Beteiligtenbis dahin nicht streitig war.

3. Die Änderung des ursprünglichen Aussetzungsbe-schlusses führt auch zu einer Anpassung des ursprüng-lichen Kostenbeschlusses

FGO § 69 Abs. 6, Abs. 3 Satz 1; GKG § 3.

1–7 Die Astin. begehrt die Änderung des Beschlusses vom2. 8. 2018 7 V 1342/18 (n. v.), mit dem einem Antrag aufAdV des Bescheids über den GewSt-Messbetrag 2008 nurteilweise entsprochen wurde. Das FG hatte in diesemBeschluss zwar ernstliche Zweifel, ob bei der Astin. die tat-bestandlichen Voraussetzungen für eine gewerbesteuer-liche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG vor-lagen, setzte aber zulasten der Astin. eine bisher noch nichtberücksichtigte vGA i. H. v. 461 153 € an, da ein angemes-senes Honorar für die treuhänderische Verwaltung vonImmobilien nahestehender Personen durch die Astin. nichtvereinbart worden sei. Die Astin. machte u. a. geltend, dasFG habe fehlerhaft angenommen, dass die Immobilien-eigentümer keinerlei Verwaltervergütung geleistet hätten;eine höhere prozentuale Verwaltungsvergütung sei ausbestimmten Gründen nicht gerechtfertigt.

Aus den Gründen:

8 Der Antrag auf Änderung des Beschlusses vom2. 8. 2018 in Sachen AdV des GewSt-Messbetrags 2008führt zu einer weitergehenden AdV des GewSt-Messbe-trags 2008 i. H. v. nun insgesamt 31 618 €.

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62 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 19

9 1. Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO kann das Gericht derHauptsache Beschlüsse betreffend die AdV jederzeitändern oder aufheben. Nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kannjedoch der Beteiligte die Änderung oder Aufhebung ledig-lich wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahrenohne Verschulden nicht geltend gemachter Umständebeantragen.

10 2. Vorliegend ist der Änderungsantrag der Astin.zulässig. Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGOliegen vor. Denn der Ansatz einer vGA aufgrund der feh-lenden Vereinbarung eines angemessenen Verwaltungs-honorars mit den Grundstückseigentümern war vor Erlassdes AdV-Beschlusses vom 2. 8. 2018 zwischen den Beteilig-ten noch nicht thematisiert worden. Für die Astin. bestanddaher bisher noch keine Veranlassung, Umstände geltendzu machen, die für die Bemessung einer vGA von Bedeu-tung sein können.

11 3. Auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbrin-gens der Astin. kann bei summarischer Prüfung nicht davonausgegangen werden, dass mit den Grundstückseigentü-mern ein angemessenes Honorar vereinbart wurde, so dassdas Gericht weiterhin den Ansatz einer vGA dem Grundenach für zutreffend erachtet. Jedoch ist diese bei summari-scher Prüfung im Hinblick auf das ergänzte Vorbringen derAstin. niedriger anzusetzen.

12–20 3.1. Auch aus dem ergänzten Vorbringen der Astin.ergibt sich nicht, dass ein angemessenes Honorar für dieVerwaltung der (Fremd-)Immobilien vereinbart wurde. ...Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Astin. gehtdas Gericht für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschut-zes nun von einer vGA i. H. v. 160 871,95 € aus (bisher461 153 € ...) ... Der auszusetzende GewSt-Messbetrag 2008ermittelt sich wie folgt: ...

21 5. Die ursprüngliche Kostenentscheidung im Beschlussvom 2. 8. 2018 ... ist dem nun gegebenen Verhältnis desUnterliegens anzupassen. Mehrere Verfahren nach § 69Abs. 3 FGO gelten innerhalb eines Rechtszugs als ein Ver-fahren (vgl. Vorbemerkung 6.2 Abs. 2 Satz 2 Kostenver-zeichnis – Anlage 1 zum GKG). Die Entscheidung über denAntrag nach § 69 Abs. 6 FGO ist unselbständiger Bestand-teil des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO. Das GKG enthältkeinen besonderen Gebührentatbestand für diesen Antrag(vgl. BFH-Beschluss vom 13. 5. 2015 X S 9/15, BFH/NV2015, 1099). Mit einer Änderung des ursprünglichen Aus-setzungsbeschlusses ist damit auch die ursprüngliche Kos-tenentscheidung zu überprüfen und ggf. anzupassen.

Anmerkung

I. Problemstellung

Der AdV-Beschluss erwächst lediglich in formelle, nichtaber in materielle Rechtskraft. Hieraus resultiert dieinhaltliche Abänderbarkeit des AdV-Beschlusses, wobeijedoch die Beteiligten einen Antrag auf Änderung oderAufhebung nur unter den einschränkenden Vorausset-zungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO stellen können. Zwarstellt das Aufhebungs- oder Abänderungsverfahren einneues, selbständiges Verfahren dar, welches ein nach§ 69 Abs. 3 oder 5 FGO formell abgeschlossenes Verfah-ren erfordert. Gebührenrechtlich wird jedoch fingiert,dass mehrere Verfahren innerhalb eines Rechtszuges alsein Verfahren gelten (Vorbemerkung 6.2 Abs. 2 Satz 2zum Hauptabschnitt 2 Kostenverzeichnis – Anlage 1 zu§ 3 Abs. 2 GKG). In der Rspr. ist jedoch umstritten, welcheKonsequenzen daraus zu ziehen sind. Zwar besteht weit-gehend Einigkeit darüber, dass bei wiederholt gestelltenAnträgen bzw. Abänderungsanträgen in Aussetzungs-sachen der Steuerpflichtige innerhalb eines Rechtszugesnur einmal zur Zahlung von Gerichtsgebühren herange-zogen wird. Unklarheit herrscht jedoch darüber, ob esbei Änderungen von Aussetzungsbeschlüssen auch zu

einer Änderung der Kostenentscheidung kommt oder obdie ursprüngliche Kostenentscheidung von späterenÄnderungsbeschlüssen unberührt bleibt. Ebenso stelltsich vor diesemHintergrund die Frage, ob ein wiederhol-ter Antrag auf AdV kostenrechtlich ohne Folgen bleibt.

II. Die Rspr. des BFH und der FGe

Letztere Auffassung hat offenbar der X. Senat des BFHin seinem Beschluss vom 13. 5. 2015 X S 9/15 (BFH/NV2015, 1099) vertreten. Mit der Begründung, die Entschei-dung über den Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO seiunselbstständiger Bestandteil des Verfahrens nach § 69Abs. 3 FGO und eines fehlenden Gebührentatbestandsim GKG hat er entschieden, dass im Beschluss über einen(ablehnenden) Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eineKostenentscheidung nicht zu treffen sei. Diese Auffas-sung vertrat im Ergebnis auch das FG des Saarlandes inden Beschlüssen vom 4. 1. 2008 1 KO 1663/07 (EFG 2008,488) und 1 KO 1665/07 (EFG 2008, 490), das FGHamburgim Beschluss vom 13. 1. 2009 3 V 35/09 (juris) sowiedas FG München in den Beschlüssen vom 16. 9. 201013 V 2356/10 (juris) und vom 22. 7. 2003 2 V 1075/03(EFG 2004, 279). Dagegen hatte der VII. Senat des BFHim Beschluss vom 13. 10. 1981 VII E 15/81 (BFHE 134,229, BStBl II 1982, 137) entschieden, dass zwar mehrereVerfahren innerhalb eines Rechtszuges die gebühren-rechtliche Folge hätten, dass sie als ein Verfahren gelten.Anders als der X. Senat des BFH hat er jedoch nichtentschieden, dass im Beschluss über den Änderungs-antrag keine Kostenentscheidung zu treffen sei, son-dern vielmehr darauf verwiesen, dass dann, wenn einzunächst ablehnender Beschluss zugunsten des Ast.geändert wird, damit korrespondiert auch die Kostenent-scheidung zu ändern ist. Etwas klarer hatte dies bereitsdas FGMünchen im Beschluss vom 1. 7. 1980 XI 82/80 Er(EFG 1981, 204) zum Ausdruck gebracht, indem es aus-führte, dass die Regelung des Kostenverzeichnisses zumGKG hinsichtlich mehrerer AdV-Verfahren nur eine ein-heitliche Kostenentscheidung zulasse und bei jeder Ent-scheidung über einen zweiten oder weiteren Antragdamit über die Kosten des Gesamtverfahrens zu befindensei. Der 5. Senat des FG München hat im Beschluss vom17. 10. 2011 5 V 2134/11 (juris) die Notwendigkeit einerKostenentscheidung im Beschluss über einen erneutenAdV-Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO trotz der Rege-lung im Kostenverzeichnis zu § 3 Abs. 2 GKG damitbegründet, dass weitere Gerichtskosten in Form vonAus-lagen sowie weitere außergerichtliche Kosten entstehenkönnen. Das FG Düsseldorf traf im Beschluss vom18. 8. 2003 18 V 2628/03 A (EFG 2004, 995) eine Kosten-entscheidung mit der Begründung, dass die Entschei-dung über den Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 FGOim Regelfall keine Entscheidung über die Rechtmäßig-keit des ursprünglichen Aussetzungsbeschlusses ent-halte. Nur wenn ausnahmsweise Gründe zur Änderungdes Aussetzungsbeschlusses führten, die schon vonAnfang an Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefoch-tenen Bescheide hätten begründen müssen, wäre eineeinheitliche Kostenentscheidung zu treffen.

III. Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hat mit der Begründung, dass die Entschei-dung über denAntrag nach § 69Abs. 6 FGO ein unselbst-ständiger Bestandteil des Verfahrens nach § 69 Abs. 3FGO ist, keine neue Kostenentscheidung getroffen undsich insoweit der Auffassung des BFH im Beschluss vom13. 5. 2015 X S 9/15 (BFH/NV 2015, 1099) angeschlossen.Allerdings ist nach Auffassung des Senats im Falle einerÄnderung des ursprünglichen Aussetzungsbeschlussesauch die ursprüngliche Kostenentscheidung zu überprü-fen und ggf. anzupassen.

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EFG 2019 Nr. 1 63Entscheidung Nr. 20

IV. Konsequenzen/Hinweise für die Praxis

Soweit aus dem sprachlich missverständlichen BFH-Beschluss vom 13. 5. 2015 X S 9/15 (BFH/NV 2015, 1099)der Schluss gezogen wird, dass Änderungsbeschlüssenach§ 69 Abs. 6 FGOwegen des fehlenden Gebührentat-bestands generell kostenrechtlich ohne Folgen seien, hatdas FG München nunmehr klargestellt, dass dem nichtso ist. Vielmehr hat es – was auch im Einklang mit derEntscheidung des BFH im Beschluss vom 13. 10. 1981VII E 15/81 (BFHE 134, 229, BStBl II 1982, 137) steht –die Anpassung der ursprünglichen Kostenentscheidunggefordert. Indirekt hat es damit auch der Auffassungdes FG Düsseldorf im Beschluss vom 18. 8. 200318 V 2628/03 A (EFG 2004, 995) und von Teilen der Lite-ratur widersprochen, dass ein Abänderungsbeschlussauch hinsichtlich des Kostenausspruchs nur ex-nunc-Wirkung entfaltete (so Streck/Olgemüller, DStR 1995,877).

Vorsitzender Richter am FG Dr. Joseph Forchhammer

Gewerbesteuer

20 Keine erweiterte Grundbesitzkürzung,wenn Grundstücke verwaltet werden, dienicht ausschließlich zu Wohnzweckengenutzt werden

Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. 9. 2018 10 K 174/16 –Rev. eingelegt (Az. des BFH: IV R 32/18).

Eine für die sog. erweiterte Grundbesitzkürzung schäd-liche Nebentätigkeit liegt dann vor, wenn neben der Ver-waltung eigenen Grundbesitzes auch Grundstücke ver-waltet werden, in denen Mieteinheiten bestehen, die nichtzu Wohnzwecken vermietet werden (hier: Büro, Fahr-schule und Hotel).

Wohnungsbauten liegen nur vor, wenn die vorhandenenFlächen ausschließlich Wohnzwecken dienen.

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 2.

1–19 Die Klin. (GmbH & Co. KG) erzielte im Streitjahr(2011) gewerbliche Einkünfte aus dem Bau, der Anschaf-fung und Bewirtschaftung von Wohnungen sowie gewerb-lich genutzten Gebäuden für eigene Rechnung sowie ausder Verwaltung sonstigen Vermögens. Die Klin. verwaltete5 831 Wohnungen, 79 gewerbliche Einheiten sowie 2 930Garagen und Stellplätze, die sich alle in ihrem Eigentumbefanden. Daneben verwaltete sie drei fremde Einheiten,wobei – gemessen an der Nutzfläche – 18,5 % der Nutzflä-che (Büro), 2 % der Nutzfläche (Fahrschule) sowie 6 % derNutzfläche (Hotel) nicht auf Wohnungen entfielen. Aus derVerwaltung der drei Einheiten erzielte die Klin. einenErtrag i. H. v. 75 960 €.

Der Bekl. veranlagte die Klin. zunächst erklärungsgemäßund berücksichtigte eine erweiterte Grundbesitzkürzungi. H. v. 9 527 612 €. Nach einer Bp. vertrat der Bekl. dieAuffassung, dass die erweiterte Grundbesitzkürzung nichtzu gewähren sei, da die Klin. neben eigenem Grundbesitznicht ausschließlich fremde Wohnungsbauten verwaltethabe. In einem Änderungsbescheid setzte der Bekl. sodanndie einfache Grundbesitzkürzung an (Einheitswertkürzung)und setzte gegenüber der Klin. einen GewSt-Messbetragi. H. v. 304 048 € fest.

Aus den Gründen:

Die erweiterte Grundbesitzkürzung war nicht zu gewäh-ren

20–22 ... Der Bekl. hat den Gewerbeertrag des Streitjahreszutreffend ermittelt. Die Voraussetzungen für eine erwei-terte Kürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG liegen bei derKlin. nicht vor.

23 Der Vorschrift folgend tritt bei Unternehmen, die aus-schließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenemGrundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nut-zen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Ein-oder Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen er-richten und veräußern, bei der Ermittlung des Gewerbeer-trages (§ 7 GewStG) gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG aufAntrag an die Stelle der Kürzung nach Nr. 1 Satz 1 derVorschrift die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrages,der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grund-besitzes entfällt.

Begriff „Wohnungsbau“ ist nicht legaldefiniert – Wort-lautauslegung erfasst nur Gebäude, die zu Wohnzweckenbestimmt sind

24 Die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStGist somit u. a. zu versagen, wenn der Steuerpflichtige nebeneigenem Grundbesitz und eigenem Kapitalvermögen nichtnur Wohnungsbauten betreut. Der Begriff „Wohnungsbau-ten“ ist gesetzlich nicht geregelt. Ausgehend vomWortlautumfasst der Begriff Gebäude, die zuWohnzwecken genutztwerden.

Streitig, ob über den Wortlaut hinaus auch weitereGebäude erfasst sind

25 Die Frage, ob über den Wortlaut hinaus auch die Ver-waltung gemischt genutzter Grundstücke unschädlich ist,wenn das Gebäude zu mehr als 66,66 % Wohnzweckendient, ist in der Literatur umstritten.

26 So verweist Kronawitter (in Kronawitter, GewStG, § 9Rz. 31) auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 9Nr. 1 Satz 3 GewStG, wonach i. V. m. der Errichtung undVeräußerung von Eigentumswohnungen Teileigentum imSinne des Wohnungseigentumsgesetzes errichtet und ver-äußert wird und das Gebäude zu mehr als 66,66 % Wohn-zwecken dient. Diese 2/3-Regelung müsse entsprechendauf die übrigen „Wohnungsbauten“ angewandt werden.Auch Paprotny (in Deloitte, GewStG, § 9 Nr. 1 Rz. 6) führtaus, dass kein Grund ersichtlich sei, warum die Regelungdes § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG nur für Wohnungs-/Teileigen-tum gelten solle (so auch Renner in Bergemann/Wingler,GewStG, § 9 Rz. 60; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG,§ 9 Nr. 1 Rz. 29).

27–28 Anders hingegen sieht dies Gosch (in Blümich,EStG/KStG/GewStG, § 9 GewStG Rz. 95). Seiner Auffas-sung folgend umfasst der Begriff „Wohnungsbauten“ aus-schließlich die zu Wohnzwecken dienende Gebäude, ein-geschlossenMietgrundstücke, EFH, Häuser, die aus Eigen-tumswohnungen bestehen; er leitet dies insbesondere ausdem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes ab.

Der Senat folgt der engen Auslegung des Wohnungsbau-begriffs

29–30 ... Das Gesetz selbst differenziert nicht zwischenausschließlich zu Wohnzwecken genutzten und gemischt-genutzten Gebäuden. Es spricht vorbehaltlos und aus-schließlich von „Wohnungsbauten“. Unter Wohnungsbauwird laut Duden das Bauen von Wohnungen, Bauprojekteim Wohnungsbau und Wohngebäude verstanden (https://www.duden.de/rechtschreibung/Wohnungsbau, StandSeptember 2018). Gemischtgenutzte Grundstücke, dieauch über einen gewerblich genutzten Teil verfügen, sinddemgemäß vom Wortlaut des Begriffs Wohnungsbau nichterfasst.

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64 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 20

In systematischer Hinsicht sieht nur Satz 3 gemischtgenutzte Grundstücke vor

31 Eine solche dem Wortlaut folgende Auslegung wirdzudem durch die systematische Überlegung gestützt, dadas Gesetz in § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG lediglich für dieErrichtung und Veräußerung von Teileigentum ausdrück-lich eine Ausnahmeregelung enthält. Danach ist für eineBegünstigung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG eine betrieb-liche Gebäudenutzung von maximal 33,33 % unschädlich.Der Gesetzgeber hat also lediglich für den Fall von Woh-nungs- bzw. Teileigentum nach demWohnungseigentums-gesetz eine spezielle Ausnahmeregelung für gemischtge-nutzte Grundstücke getroffen. Wegen dieses Ausnahme-charakters der speziellen Regelung in Satz 3 verbietet sicheine erweiterte Auslegung in Satz 2. Vielmehr lässt diesnach dem Grundsatz des argumentum e contrario denSchluss zu, dass die übrigen gemischtgenutzten Grund-stücke mithin im Zusammenhang mit der Betreuungvon Wohnungsbauten nicht einbezogen sind (Goschin Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 9 GewStG Rz. 95,m. w. N.). Nachdem das GewStG in der VergangenheitzahlreichenÄnderungen unterlegenwar und in Anbetrachtder in der Literatur laut gewordenen Kritik an der insoweitmangelhaften Gesetzesfassung (Roser in Lenski/Steinberg,GewStG, § 9 Nr. 1 Rz. 173), geht der Senat davon aus,dass der Gesetzgeber die Bestimmung des § 9 Nr. 1 Satz 2GewStG ansonsten entsprechend anders formuliert hätte(so auch Gosch in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 9GewStG Rz. 95).

Eine gewerbliche Teilnutzung ist nicht immer unschäd-lich

32 Insbesondere gibt es auch keinen allgemeinen Grund-satz, dass im Rahmen der Wohnungsbauförderung regel-mäßig ein gewisser Anteil an gewerblicher Nutzung füreine Förderung unschädlich ist. Vielmehr bedarf es hierfüreiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. So regelt § 75Abs. 2 BewG, dass einMietwohngrundstück vorliegt, wenndie Grundstücke zu mehr als 80 % Wohnzwecken dienen.Auch die alte Wohnungsbauförderung des § 7b EStGsetzte gem. § 7b Abs. 1 Satz 1 EStG ausdrücklich voraus,dass es sich um Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuseroder Eigentumswohnungen handelte, die zu mehr als66,66 % Wohnzwecken dienen. Eine vergleichbare Rege-lung enthält, wie bereits ausgeführt, § 9 Nr. 1 Satz 3GewStG im Zusammenhang mit der Errichtung und Ver-äußerung von Eigentumswohnungen/Teileigentum i. S.des Wohnungseigentumsgesetzes. Für die übrigen Woh-nungsbauten i. S. des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG fehlt esallerdings an einer solchen Regelung.

33 Weiterhin handelt es sich bei der Vorschrift des § 9Nr. 1 GewStG um eine Begünstigungsnorm, die auchansonsten, der höchstrichterlichen Rspr. folgend, sehr rest-riktiv auszulegen ist. So gibt es z. B. keine Geringfügig-keitsgrenze im § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

34 Dementsprechend umfassen Wohnungsbauten nurGebäude, die ausschließlich Wohnzwecken dienen.

35 Nachdem es sich bei den drei Verwaltungseinheitenum keine Eigentumswohnungen/Teileigentum i. S. desWohnungseigentumsgesetzes handelt, führt auch die nurgeringe gewerbliche Nutzung dieser Bauten zur Versa-gung der erweiterten Kürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2GewStG.

36 ... Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGOwegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelas-sen.

Anmerkung

I. Problemstellung

Strittig ist die GewSt-Belastung der Einkünfte aus derVermögensverwaltung (im Streitfall ca. 9,5 Mio. €). Diese

unterfallen grundsätzlich der erweiterten Grundbesitz-kürzung. Unstreitig mit GewSt zu belasten sind dagegendie Verwaltungserträge (im Streitfall ca. 76 000 €). Strittigist allein, ob die Nebentätigkeit (Verwaltung) die GewSt-Freistellung der Vermögensverwaltung verhindert. § 9Nr. 1 Satz 2 GewStG regelt die unschädlichen Nebentä-tigkeiten und erfasst hierbei die Verwaltung fremdenGrundvermögens, soweit es sich um „Wohnungsbauten“handelt. Der Gesetzgeber wollte durch die Unschädlich-keit dieser Nebentätigkeit wohnungswirtschaftlich be-deutsame Wohnungsunternehmen begünstigen (BFH-Urteil vom 31. 7. 1990 I R 13/88, BFHE 162, 111, BStBl II1990, 1075).

II. Rechtsauffassungen

Die Klin. war der Auffassung, dass es sich bei den dreiverwalteten Einheiten um Wohnungsbauten (§ 9 Nr. 1Satz 2 GewStG) handele. Ein Wohnungsbau sei bereitssprachlich nicht mit einer Wohnung gleichzusetzen. Diegeringe Zahl gewerblicher Einheiten sei unschädlich.Dies ergebe sich bereits aus Satz 3 der Vorschrift, der zu66,66 % zu Wohnzwecken genutzte Grundstücke genü-gen lasse. Eine entsprechende Höhe habe § 7b EStG a. F.geregelt. Auch im Bewertungsrecht (§ 75 BewG) lasseder Gesetzgeber eine Nutzung zu Wohnzwecken i. H. v.80 % ausreichen.

Der Bekl. vertrat die Auffassung, dass der Begriff desWohnungsbaus mit dem Begriff des Wohngebäudesgleichzusetzen sei. Eine solche Verwaltung liege nichtvor. Die erweiterte Grundbesitzkürzung könne auchnicht in Ansatz kommen, weil die schädliche Nebentätig-keit nur von geringem Umfang gewesen sei. Der Bekl.folgt insoweit den GewStR 2009, die für die Bestimmungdes Begriffs „Wohnungsbauten“ nicht auf § 7b EStG a. F.verweisen (H 9.2 GewStR 2009). Auch in der Literaturwird dies so vertreten, denn wenn in § 9 Nr. 1 Satz 3GewStG eine Begünstigung (hier: gemischte Nutzung)enthalten sei, könne diese nicht im Umkehrschluss auchauf § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ausgedehnt werden. Hierzumüsse der Gesetzgeber die Begünstigung erweitern (soGosch in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 9 GewStGRz. 95; ebenso Wendt, FR 2004, 212, 213).

III. Die Entscheidung des FG

Das FG versagt die erweiterte Grundbesitzkürzung, dafür eine Begünstigung der Nebentätigkeit eine gesetz-liche Anordnung erforderlich sei. Der Wortlaut („Woh-nungsbauten“) erfasse keine gemischtgenutzten Grund-stücke (Rz. 29 bis 30). Die Begünstigungsnorm sei sehrrestriktiv auszulegen (Rz. 33). Die Erweiterung des § 9Nr. 1 Satz 3 GewStG sei nicht übertragbar (Rz. 31), insbe-sondere bestehe kein allgemeiner Grundsatz, dass eingewisser Anteil an gewerblicher Nutzung für eine Woh-nungsbauförderung regelmäßig unschädlich sei (Rz. 32).

IV. Einordnung und Würdigung der Entscheidung

Die restriktive Auffassung des FG ist nicht zu beanstan-den, denn es obliegt allein dem Gesetzgeber, Ausnah-men von der Besteuerung zu regeln. Eine Ausdehnungder Begünstigung im Wege der Rechtsfortbildung dürfteauch nicht zulässig sein, denn die Problematik ist allge-mein bekannt; von einer planwidrigen Regelungslückedes Gesetzgebers kann nicht ausgegangen werden. DerBFH hat zudem hinsichtlich des Begriffs der „Betreuung“der Wohnungsbauten auf die Begrifflichkeit i. S. des § 37II. WoBauG a. F. abgestellt (BFH-Urteil vom 17. 9. 2003I R 8/02, BFHE 203, 504, BStBl II 2004, 243). In § 2II. WoBauG a. F. wird Wohnungsbau als das „Schaffenvon Wohnraum“ definiert, somit dürfte der Begriff der„Wohnungsbauten“ im Sinne von „Bauten mit Wohn-raum“ zu verstehen sein.

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EFG 2019 Nr. 1 65Entscheidung Nr. 21

V. Konsequenzen/Hinweise für die Praxis

Dass die Rechtsfrage zumindest 14 Jahre einer Beantwor-tung durch den BFH harrte (so Wendt, FR 2004, 212, 213)dürfte maßgeblich auf entsprechender steuerlicher Bera-tung beruhen. Nachdem der BFH mehrfach entschiedenhatte, dass auch schädliche Nebentätigkeiten von ganzgeringem Umfang (sog. Ausschließlichkeitsgebot) dieerweiterte Grundbesitzkürzung verhindern (BFH-Urteilvom 17. 5. 2006 VIII R 39/05, BFHE 213, 64, BStBl II 2006,659), wurden vielfältige Konstellationen in der Rspr. the-matisiert (Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen, vgl.FG Düsseldorf vom 29. 6. 2017 8 K 2641/15 G, EFG 2018,465, mit Anm. Neu, Rev. eingelegt, Az. des BFH:III R 36/17; Betrieb von PV-Anlagen, vgl. FG Berlin-Bran-denburg vom 13. 12. 2011 6 K 6181/08, EFG 2012, 959,rkr.). Der IV. Senat des BFH hat nunmehr Gelegenheitzur Klärung der Streitfrage.

Richter am FG Dr. Tibor Schober

Grunderwerbsteuer

21 Zurechnung eines fiktiven Grunderwerbsbei der Obergesellschaft

FG München, Urteil vom 24. 10. 2018 4 K 1101/15 – Rev.eingelegt (Az. des BFH: II R 44/18).

Die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung des imzivilrechtlichen Eigentum einer Untergesellschaft stehen-den Grundvermögens an deren Obergesellschaft setztvoraus, dass die Obergesellschaft aufgrund eines (frühe-ren) unter § 1 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges alsErwerberin des Grundvermögens anzusehen ist.

GrEStG § 1 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 1.

1–17 Im Jahr 2011 trat Y die beiden einzigen Geschäftsan-teile an der ABC GmbH sowie den einzigen Kommanditan-teil an der ABC-KG an die luxemburgische Personengesell-schaft ABC-S.e.c.s. gegen Gewährung neuer Anteile an derABC-S.e.c.s. ab. Das Gesellschaftsvermögen der ABC-S.e.c.s. hielt auch zuvor allein Y. Weiterer Gesellschafterder ABC-S.e.c.s. war die ABC-S.a.r.l., eine Kapitalgesell-schaft luxemburgischen Rechts, deren Anteile ebenfallsvon Y gehalten wurden. Die ABC-KG war wiederum alsKommanditistin zu 100 % an der Klin., einer inländischenKG, beteiligt, welche wiederum Alleingesellschafterin dergrundbesitzenden Tochtergesellschaft Z-AG ist. Die Z-AGwurde im Rahmen einer Bargründung im Wesentlichendurch die Klin. errichtet. Von den Inhaberaktien der Z-AGübernahm die Klin. 99,97%.Nach der Bargründung erwarbdie Z-AG die streitgegenständlichen Grundstücke. Im Jahr2002 übernahm die Klin. die (bislang nicht von ihr gehalte-nen) Aktien an der Z-AG, so dass sie ab diesem Zeitpunktzu 100 % an der Z-AG beteiligt war. Infolge dieser obendargestellten Konzernumstrukturierung erließ der Bekl. am22. 11. 2013 einen an die Klin. gerichteten Bescheid überdie gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagenfür die GrESt (Feststellungsbescheid), der mit dem Vorbe-halt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO versehen war.In diesem Bescheid stellte der Bekl. fest, dass die im Vermö-gen der Z-AG befindlichen Grundstücke grunderwerbsteu-erlich zum Vermögen der Klin. gehören und die oben dar-gestellte Konzernumstrukturierung im Hinblick auf dieGrundstücke der Z-AG nach § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStGsteuerbefreit ist. Im Jahr 2013 verkaufte die Klin. 5,1 % derAnteile an der Z-AG an die luxemburgische Kapitalgesell-schaft DEF-S.a.r.l. Mit notariellem Vertrag ebenfalls im Jahr2013 wurde die ABC-KG in die Rechtsform einer KGaAformgewechselt. Am 4. 4. 2014 erließ der Bekl. einen nach

§ 164 Abs. 2 AO geänderten Feststellungsbescheid. Hier-bei ging der Bekl. davon aus, dass eine Änderung desBescheids vom 22. 11. 2013 veranlasst wäre. So hätte sichder Anteil von Y am Vermögen der ABC-S.e.c.s. durch denAnteilsverkauf im Jahr 2013 durch die Klin. an DEF-S.a.r.l.innerhalb von fünf Jahren um 5,1% vermindert. DesWeite-ren hätte Y durch den Formwechsel seine restliche gesamt-händerische (sachenrechtliche) Mitberechtigung an denGrundstücken der Z-AG innerhalb von fünf Jahren verlo-ren. Die restliche (94,9 %) Begünstigung nach § 6 Abs. 3Satz 1 GrEStG wäre daher rückwirkend zu versagen. Dengegen den Änderungsbescheid vom 4. 4. 2014 eingelegtenEinspruch wies der Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom25. 3. 2015 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob dieKlin. Klage.

Aus den Gründen:

18 Die Klage ist begründet.

19–20 Die Grundstücke der Z-AG waren der Klin. – man-gels vorherigen Erwerbs – grunderwerbsteuerrechtlichnicht zuzurechnen. Dies ergibt sich nach Auffassung desSenats aus nachfolgenden Erwägungen:

Voraussetzungen für die grunderwerbsteuerrechtlicheZurechnung von Grundstücken an eine Obergesellschaft

21 Die Rechtsansicht des Bekl., dass allein die Stellungder Klin. als Gründungsgesellschafterin der Z-AG (i. H. v.99,97 %) eine Zurechnung der streitgegenständlichenGrundstücke der Z-AG an die Klin. erlaubt, ist unzutreffend(irreführend hierzu Pahlke, GrEStG, 5. Aufl., § 1 Rz. 278)und nicht vom Gesetz gedeckt. So lässt sich die grunder-werbsteuerrechtliche Zurechnung nicht vom grunderwerb-steuerrechtlichen Erwerbstatbestand trennen, sondernsetzt letzteren gerade voraus. Nach der Rspr. des BFHgehört i. S. des § 1 Abs. 2a GrEStG ein Grundstück danneiner Personengesellschaft, wenn es ihr aufgrund einesunter § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG fallenden Erwerbsvor-ganges grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 11. 12. 2014 II R 26/12, BFHE 247, 343, BStBl II2015, 402); Entsprechendes gilt für eine grundbesitzendeKapitalgesellschaft i. S. des § 1 Abs. 3 GrEStG (vgl. BFH-Urteile vom 25. 8. 2010 II R 65/08, BFHE 231, 239, BStBl II2011, 225; vom 29. 9. 2004 II R 14/02, BFHE 207, 59, BStBl II2005, 148). Die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnungdes im zivilrechtlichen Eigentum einer (Unter-)Gesellschaftstehenden Grundvermögens an deren Obergesellschaftsetzt demnach voraus, dass letztere aufgrund eines (frühe-ren) unter § 1 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges alsErwerberin des Grundvermögens anzusehen ist. Im Streit-fall jedoch besaß die Z-AG bei ihrer Gründung im Jahr1994 noch keine Grundstücke. Vielmehr hat die Z-AG dievon dem klagegegenständlichen Feststellungsbescheidvom 4. 4. 2014 erfassten Grundstücke ... seinerzeit selbstaufgrund eines unter § 1 Abs. 1 GrEStG fallenden Erwerbs-vorganges erworben. Dieser Erwerb der Grundstückedurch die Z-AG ist aber kein grunderwerbsteuerlicherErwerb durch die Klin. Insbesondere hat die Mehrheitsbe-teiligung (i. H. v. 99,97 %) die Klin. nicht zur Erwerberinder streitgegenständlichen Grundstücke gemacht.

Absenkung der Beteiligungsgrenze für Anteilserwerbeab dem 1. 1. 2000 unerheblich

22 Auch konnte allein die gesetzliche Verschärfung bzw.Absenkung der Beteiligungsgrenze für Anteilserwerbe(i. S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) ab dem 1. 1. 2000 durchdas StEntlG 1999/2000/2002 (BGBl. I 1999, 402) im Streitfallnicht zu einer Besteuerung (und damit einer grunderwerb-steuerrechtlichen Zurechnung der Grundstücke der Z-AGan die Klin.) führen. Es fehlt insoweit an einem Akt desRechtsverkehrs im Sinne eines Erwerbstatbestandes nachdem GrEStG.

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66 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 21

Aufstockung der Beteiligung an der Z-AG auf 100 %ebenfalls unerheblich

23 Schließlich wurde auch mit dem Erwerb der restlichen0,03 % der Z-AG Anteile durch die Klin. und durch diedamit verbundene Aufstockung der Beteiligung auf 100 %im Jahr 2002 der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStGnicht verwirklicht:

24 Zwar setzt der für Beteiligungserwerbe seit dem1. 1. 2000 (vgl. § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG) und damit auchim Jahr 2002 geltende Erwerbstatbestand des § 1 Abs. 3Nr. 1 GrEStG nur mehr eine Beteiligung von mindestens95 % voraus.

25 Jedoch versteht der Senat den für Beteiligungserwerbeseit dem 1. 1. 2000 geltenden Erwerbstatbestand des § 1Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht in dem Sinne, dass jeder Übertra-gungsakt, an dessen Ende eine Vereinigung von mindes-tens 95 % der Anteile steht, steuerbar ist, wenn bereitsvor dem Zeitpunkt des Absenkens der Beteiligungsgrenze(d. h. spätestens am 31. 12. 1999) die kritische Grenze von95 % überschritten war. Nach Auffassung des Senats liegtvielmehr gerade kein i. S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStGsteuerbarer Vorgang vor, wenn bereits vor dem Erwerbweiterer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaftdie qualifizierte Mehrheit von mindestens 95 % erreichtwar. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats bereitsaus demWortlaut („durch die Übertragung“) des § 1 Abs. 3Nr. 1 GrEStG (in der „verschärften“ Fassung des StEntlG1999/2000/2002), der eine Kausalität zwischen Beteili-gungserwerb und Überschreiten der 95%-Grenze voraus-setzt (so auch Pahlke, GrEStG, 5. Aufl., § 23 Rz. 29). NachAnsicht des Senats verlangt der Gesetzeswortlaut die „erst-malige Vereinigung von mindestens 95 %“ als Folge derAnteilsübertragung; so im Übrigen auch der BFH in seinemUrteil vom 23. 3. 1977 II R 18/74 (BFHE 122,162, BFHE 122,162, BStBl II 1977, 565). Hierin hat der BFH bereits – beieiner dem Streitfall parallelen Rechtslage und bei einemdem Streitfall entsprechenden Sachverhalt – entschieden,dass keine GrESt-Pflicht eintritt, wenn eine Gesellschaft,die bereits (im Zeitpunkt vor der Absenkung der Beteili-gungsgrenze von 100 % auf mindestens 95 %) zu mindes-tens 95 % an einer grundbesitzenden Gesellschaft beteiligtwar, einen weiteren Anteil erwirbt.

26 Diese Auffassung wird imÜbrigen ersichtlich auch vonder FinVerw. geteilt, die überdies in Tz. 1 der gleichlauten-den Ländererlasse (BStBl I 1999, 991) auch auf das BFH-Urteil vom 23. 3. 1977 II R 18/74 (BFHE 122, 162, BStBl II1977, 565) verweist.

27 Schließlichwird die Auffassung des Senats nahezu ein-hellig durch das Schrifttum gestützt (vgl. z. B. Hofmann,GrEStG, 8. Aufl., § 23 Rz. 17; Behrens in Behrens/Wachter,GrEStG, § 1 Rz. 488; Heine, UVR 1999, 282; Rösel, DStR1999, 1844; Eggers/Fleischer/Wischott, DStR 1999, 1301).

28 Soweit ersichtlich, vertritt in der Literatur allein Viskorfdie Auffassung, dass in Konstellationen wie im Streitfalleine steuerbare Anteilsvereinigung i. S. von § 1 Abs.3 Nr. 1GrEStG vorliegt (vgl. Viskorf in Boruttau, 17. Aufl., § 23Rz. 69). Er stützt sich dabei auf das durchaus nicht abwe-gige Argument, dass der Gesetzgeber durch die Gesetzes-änderung infolge des StEntlG 1999/2000/2002 eine Ver-schärfung der steuerbaren Anteilserweiterung und geradekeine Lockerung erreichen wollte.

29 Nach Ansicht des Senats besteht jedoch eine Rege-lungslücke für diejenigen Gesellschaften, die das Beteili-gungsverhältnis in der verschärften Gesetzesfassung vonmindestens 95 % bereits vor der Absenkung der Beteili-gungsgrenze (von 100 % auf 95 %) erfüllt haben. Zwar istnach der Übergangsregelung des § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStGdie Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG „erstmals auf Erwerbs-vorgänge anzuwenden, die nach dem 31. 12. 1999 ver-wirklicht werden“. Jedoch ist der vorliegende Fall, dass

eine Anteilsvereinigung nach den Vorschriften des neuenRechts bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetre-ten wäre, wenn das neue Recht damals bereits gegoltenhätte, nicht explizit geregelt worden.

30 Der Senat sieht sich daran gehindert, den Wortlaut des§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG im Wege einer „teleologischenExtension“ dahingehend auszulegen, dass allein die Auf-stockung einer (bereits vor dem 1. 1. 2000 bestehenden undmehr als 95%igen, jedoch weniger als 100%igen) Betei-ligung auf eine dann 100%ige Beteiligung nach dem31. 12. 1999 steuerbar ist. So reicht es für eine teleologischeExtension zum einen nicht aus, dass eine gesetzliche Rege-lung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig („rechts-politische Fehler“) anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom2. 12. 2015 V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547).Zum anderen wäre die o. g. teleologische Extension dieSchaffung eines neuen, vom Gesetzgeber bislang ungere-gelten Besteuerungstatbestandes. Die Schaffung von Be-steuerungstatbeständen ist jedoch ausschließlich demGesetzgeber vorbehalten.

31 Schließlich ist nach Auffassung des Senats (auch unterHeranziehung der Gesetzesmaterialien) unklar und kannmithin auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesetz-geber die Fälle der „Aufstockung“ bewusst nicht (im Sinneeiner Steuerbarkeit) regeln wollte und damit bewusst eineRegelungslücke in Kauf genommen hat. So sollten durchdie Herabsetzung der Anteilsgrenze des § 1 Abs. 3 GrEStGvon 100 % auf 95 % mit Wirkung ab 1. 1. 2000 durchdas StEntlG 1999/2000/2002 jedenfalls „bisher bestehendenicht gerechtfertigte Unterschiede im Vergleich zu § 1Abs. 2a bezüglich der Höhe des steuerrelevanten Anteils“ausgeräumt werden (BT-Drs. 14/265, 204). Im Vordergrundgestanden haben dürfte auch die Befürchtung von Steuer-ausfällen durch Zurückbehaltung bzw. Übertragung vonZwerganteilen auf fremde Personen (BT-Drs. 14/265, 204).

Mangels grunderwerbsteuerrechtlicher ZurechnungKlin. nicht Steuerschuldner

32 Da – ausgehend von den obigen Erwägungen – dieGrundstücke der Z-AG der Klin. grunderwerbsteuerrecht-lich nicht zugerechnet werden können und damit nicht i. S.des § 1 Abs. 2a GrEStG gehören, konnte die Klin. auch– entgegen der unzutreffenden Rechtsauffassung des FA –nicht Steuerschuldnerin i. S. von § 13 Nr. 6 GrEStG im Hin-blick auf die Grundstücke der Z-AG sein. Mithin ist derstreitgegenständliche Feststellungsbescheid vom 4. 4. 2014in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. 3. 2015rechtswidrig, verletzt die Klin. dadurch i. S. des § 100 Abs. 1Satz 1 FGO in ihren Rechten und ist daher aufzuheben.

Zulassung der Revision

33–35 ... Die Revision zum BFH wird wegen grundsätz-licher Bedeutung der entschiedenen Rechtsfragen zugelas-sen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Dies gilt insbesondere für dieFragen der grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnung vonGrundstücken an eine Obergesellschaft sowie des Anwen-dungsbereichs des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG i. d. F. desStEntlG 1999/2000/2002.

Anmerkung

I. Ausgangslage

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der grund-erwerbsteuerrechtlichen Zurechnung von Grundstückeneiner Untergesellschaft an eine Obergesellschaft. DieseFrage kann sich, wie der Streitfall zeigt, insbesondere beiKonzernstrukturierungen stellen. Während die Erwerbs-vorgänge des § 1 Abs. 1 GrEStG sich am Zivilrecht (z. B.Nr. 1: Kaufvertrag, § 433, § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB; Nr. 2:§§ 873, 925 BGB) orientieren, enthalten die Erwerbsvor-gänge in § 1 Abs. 2a und in § 1 Abs. 3 GrEStG (vom

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EFG 2019 Nr. 1 67Entscheidung Nr. 22

Zivilrecht losgelöste) Fiktionen. So ist der Erwerbsvor-gang in § 1 Abs. 2a GrEStG die Fiktion eines Rechtsge-schäfts, das auf Übereignung des Grundstücks auf eineneue Personengesellschaft gerichtet ist. Der gegenüber§ 1 Abs. 2a GrEStG subsidiäre § 1 Abs. 3 GrEStG fingiertebenfalls zivilrechtlich nicht vorhandenen grundstücks-bezogene Grundstückserwerbe und trägt dem UmstandRechnung, dass derjenige, der mindestens 95 % derAnteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft hat, einevergleichbare Rechtsposition hat wie ein Grundstücks-eigentümer. Auch wenn durch diese Fiktionen Steuer-umgehungen verhindert werden (sollen), führt diegrunderwerbsteuerliche Loslösung vom Zivilrecht zuvielfältigen Abgrenzungsproblemen, wie der Bespre-chungsfall zeigt.

II. Konstellation im Streitfall

Die klagende Personengesellschaft war Alleingesell-schafterin der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft. Dasich die Gesellschafterstruktur der Klin., die selbstGrundvermögen besaß, änderte, stellte sich die Frage imRahmen des § 1 Abs. 2a GrEStG, ob der Klin. auch dieGrundstücke der grundbesitzenden Untergesellschafti. S. des § 1 Abs. 2a GrEStG gehören, obwohl die Klin.gerade nicht zivilrechtlich Eigentümerin dieser Grund-stücke war. Die grunderwerbsteuerrechtliche Zurech-nung des im zivilrechtlichen Eigentum einer Untergesell-schaft stehenden Grundvermögens an deren Obergesell-schaft setzt aber nach gefestigter BFH-Rspr. voraus, dassdie Obergesellschaft aufgrund eines (früheren) unter § 1GrEStG fallenden Erwerbsvorganges als Erwerberin desGrundvermögens anzusehen ist.

III. Rechtliche Würdigung

Da die Klin. den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStGim Rahmen der Beteiligung an der Untergesellschaftnicht verwirklicht hat, war eine grunderwerbsteuerlicheZurechnung der Grundstücke der Untergesellschaft andie Klin. nicht möglich:

So war allein die Tatsache, dass die Klin. als Gründungs-gesellschafterin 99,97 % der Anteile an der grundbesit-zenden Untergesellschaft besaß, nicht ausreichend füreine grunderwerbsteuerliche Zurechnung der Grund-stücke der Untergesellschaft an die Klin. Denn die Unter-gesellschaft hatte bei ihrer Gründung noch keine Grund-stücke besessen.

Auch hat im Streitfall die Klin. in den Folgejahren nachder Gründung der Untergesellschaft den Tatbestand des§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht verwirklicht. Weder durchdie gesetzliche Verschärfung der Beteiligungsgrenze fürAnteilserwerbe (i. S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) ab dem1. 1. 2000 noch durch die 100% Beteiligungsaufstockungan der Untergesellschaft ist der Tatbestand des § 1 Abs. 3Nr. 1 GrEStG verwirklicht worden. Zwar ist der Wortlaut(„durch die Übertragung“) des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG(in der „verschärften“ Fassung des StEntlG 1999/2000/2002) auslegungsbedürftig. Jedoch hat das FG – in Über-einstimmung mit dem BFH-Urteil vom 23. 3. 1977II R 18/74 (BFHE 122, 162, BStBl II 1977, 565), dem ganzüberwiegenden Schrifttum und der Auffassung derFinVerw. – den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStGdahingehend ausgelegt, dass eine Kausalität zwischenBeteiligungserwerb und Überschreiten der 95%-Grenzeerforderlich ist.

IV. Zulassung der Revision

Schließlich hat das FG die Revision zum BFH wegengrundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtsfra-gen zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Insbesondereist die Frage des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 3Nr. 1 GrEStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 überden Streitfall hinaus von großer praktischer Bedeutung

bei künftigen Gesetzesverschärfungen (mit Herabsetzender Beteiligungsgrenzen). Daher sollten – aus Gründender Rechtssicherheit – bei künftigen Gesetzesverschär-fungen (mit Herabsetzen der Beteiligungsgrenzen) expli-zit die Fälle geregelt werden, in denen eine Anteilsverei-nigung nach den Vorschriften des neuen Rechts bereitsvor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten wäre,wenn das neue Recht damals bereits gegolten hätte. Esbleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie der BFH diegrunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung von Grund-stücken an eine Obergesellschaft sowie den Anwen-dungsbereich des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG i. d. F. desStEntlG 1999/2000/2002 beurteilt.

Richter am FG Dr. Linus Zeller-Müller

Umsatzsteuer

22 Steuerfreie und ermäßigt zu versteuerndeUmsätze eines Vereins für Verkehrserzie-hung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 28. 6. 2018 5 K 250/16 –Rev. eingelegt (Az. des BFH: V R 26/18).

1. Einnahmen aus Fahrsicherheitstrainings sind gem. § 4Nr. 22 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei.

2. Die Umsätze mit der Vermietung eines Rettungssimula-tors durch einen gemeinnützigen Verein sind nach § 12Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zu versteuern.

UStG § 4 Nr. 22 Buchst. a; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1Buchst. i.

1 Der Kl. ist ein e.V., der am 19. 3. 1959 gegründet wurde.Satzungszweck ist nach § 2 der in den Streitjahren gültigenSatzung:

2 Der Verein hat den Zweck, innerhalb des Gebietes ...und des Landkreises ... ausschließlich und unmittelbargemeinnützig i. S. der AO die Verkehrssicherheit und dieVerkehrserziehung zu fördern undOrganisationen, Vereineund Einzelpersonen, welche die gleichen Ziele verfolgen,zusammenzufassen. Der Verein bemüht sich um eine vor-bildliche Verkehrsgesinnung und Verkehrsmoral bei allenVerkehrsteilnehmern.

3 Fassung bis 8. 4. 2013: Er fördert die Verkehrserziehungin den Schulen

4 Fassung ab 9. 4. 2013: Er fördert die VerkehrserziehungdurchAngebote im Bereich Bildung und Fortbildung, durchVerkehrsaufklärung sowie durch Angebote für materielleund persönliche Dienstleistungen im Rahmen der vorhan-denen Möglichkeiten.

5 Der Verein ist eine anerkannte Vertretung der Verkehrs-teilnehmer. In dieser Eigenschaft berät er die Behörden undnimmt zu den Problemen des Straßenverkehrs, soweit siedie Sicherheit und Vermeidung von Versverkehrsunfällenbetreffen, Stellung.

6 Gewinn wird nicht erstrebt, etwaige Überschüsse dürfennur für die satzungsgemäßen Zwecke verwendet werden.

7 Ausweislich der Protokolle über die Jahresmitglieder-versammlungen am 1. 4. 2014 und am 16. 4. 2015 führte derKl. 44 (2013) bzw. 43 (2014) Sicherheitstrainings für denPKW, zehn (jeweils 2013 und 2014) Sicherheitstrainings fürMotorräder und ein Sicherheitstraining für Senioren (nur2013) durch.

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68 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 22

8 Aus den Sicherheitstrainings erzielte der Kl. Einnahmeni. H. v. brutto 36 879,95 € (2013) und 21 457,83 € (2014).

9–10 Die Einnahmen aus dem Fahrsicherheitstraining hatder Kl. im weiteren Verfahrensverlauf wie folgt aufgeglie-dert:

2013 2014Sicherheitstraining Berufsge-nossenschaften 15 169,00 € 5 795,00 €Sicherheitstraining Bundes-wehr 1 120,00 €Sicherheitstraining Teilneh-mer unter 25 Jahre 10 460,00 € 6 300,00 €davon Zuschuss Landkreis 6 530,00 € 3 930,00 €sonstige Teilnehmer 10 130,95 € 9 262,83 €

11 Zudem erwarb der Kl. gegen Rechnung vom 24. 9. 2013einen Rettungssimulator. Der Rechnungsbetrag beläuft sichauf 42 950 € zzgl. 8 160,50 € USt. Am 30. 9. 2013 leistete derKl. eine Anzahlung i. H. v. 25 000 €, die Restzahlung i. H. v.26 110,50 € erfolgte bei Lieferung im Januar 2014. Zu-dem erwarb der Kl. mit Rechnung vom 15. 10. 2014 einengebrauchten Renault-Bus zum Preis von 13 655,46 € zzgl.2 594,54 € USt.

12 Mit dem Rettungssimulator erzielte der Kl. in 2014 Ein-nahmen i. H. v. brutto 6 734 €. Dabei stellt er den SimulatorVeranstaltern (z. B. Autohäusern) anlässlich Firmenjubi-läen, Tag der offenen Tür usw. gegen Entgelt zur Verfü-gung. Die Nutzer können dabei trainieren, sich aus einemumgestürzten Auto zu befreien. Die zur Bedienung des Ret-tungssimulators anwesenden Vereinsmitglieder nutzen dieGelegenheit zur Öffentlichkeitsarbeit und machen dieBesucher auf die Arbeit der Verkehrswacht aufmerksam.Daneben kommt der Simulator auch bei Schulen zum Ein-satz. Insoweit verlangt der Kl. kein Entgelt für die Überlas-sung des Rettungssimulators. Den gebrauchten Renaultverwendet der Kl., um den Simulator an die Einsatzorte zutransportieren.

13 Da der Kl. davon ausging, dass seine Umsätze umsatz-steuerfrei seien, gab er keine USt-Erklärungen ab. Der Bekl.vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Umsätzeaus dem Fahrsicherheitstraining mit dem ermäßigtenSteuersatz von 7 % der USt unterliegen würden. Mit USt-Bescheiden 2013 und 2014, jeweils vom 24. 6. 2016, schätzteder Bekl. die Besteuerungsgrundlagen, wobei er von denEinnahmen aus den Sicherheitstrainings ausging, die inden Protokollen der Kassenprüfung enthalten waren. Diemit dem Rettungssimulator erzielten Einnahmen berück-sichtigte der Bekl. zu diesem Zeitpunkt nicht. Vorsteuernschätzte der Bekl. mit 300 € (2013) und 200 € (2014).

14 Gegen diese Bescheide legte der Kl. Einspruch ein.Während des Einspruchsverfahrens kündigte der Bekl. mitSchreiben vom 31. 10. 2016 an, dass er beabsichtige, die mitdem Rettungssimulator erzielten Einnahmen zusätzlich zuerfassen, und wies auf die sich daraus ergebende Verböse-rung hin. Mit Einspruchsbescheid vom 2. 11. 2016 setzte derBekl. die USt 2014 entsprechend herauf, wobei er ebenfallsvon der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausging.Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück.

15 Der Kl. meint, dass die Umsätze aus dem Fahrsicher-heitstraining nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG sowie § 4 Nr. 22Buchst. a UStG steuerbefreit seien. Diese Normen hättenihre gemeinschaftsrechtliche Grundlage in Art. 132 Abs. 1Buchst. i der MwStSystRL und müssten entsprechend die-ser Bestimmung ausgelegt werden. Danach befreiten dieMitgliedstaaten die Erziehung von Kindern und Jugend-lichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbil-dung sowie berufliche Umschulung und eng damit verbun-dene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenstän-den. Voraussetzung für die Befreiung sei, dass die Umsätze

durch Einrichtung des öffentlichen Rechts oder durchandere Einrichtungen erbracht würden, die von dem jewei-ligen EU-Mitgliedstaat als Einrichtung mit vergleichbarerZielsetzung anerkannt werden. Sinn und Zweck der Steuer-befreiung sei es, den Zugang zu den Bildungs- und Fortbil-dungsleistungen nicht durch höhere Kosten zu versperren,die entstehen würden, wenn Tätigkeiten der USt unterwor-fen würden. Auf die Ziele der Personen, die die Bildungs-leistungen in Anspruch nehmen, komme es nicht an.

16 Mit Urteil vom 7. 9. 1999 „Greg und Greg“ habe derEuGH klargestellt, dass unter den Begriff Einrichtungennicht nur juristische Personen fielen. Auch natürliche Perso-nen könnten in diesem Sinne Einrichtungen sein. Die Vor-bereitung auf einen Beruf sei anders als die Vorbereitungauf eine Prüfung weit auszulegen. Hierunter fielen alle For-men der Aus-, Weiter- und Fortbildung. Das BVerwG sehedas Tatbestandsmerkmal Vorbereitung auf einen Berufauch dann als erfüllt an, wenn die Leistung der privatenEinrichtung lediglich der beruflichen Orientierung oder derVorbereitung auf die Wahl eines Berufs diente.

17 Die Fahrsicherheitstrainings seien als Verkehrserzie-hung anzusehen und damit mit Leistungen in Schulen ver-gleichbar. Das niedersächsische Kultusministerium habemit Erlass vom 3. 9. 2002 das Curriculum Mobilität an allge-meinbildenden und berufsbildenden Schulen eingeführt.Dieses sei ein fächerübergreifendes Bausteinkonzept füralle Schulformen und biete den Schulen vielfältige Mög-lichkeiten, in den Fächern und über die Fächer hinaus pra-xisnahen, projektorientierten wie auch lehrgangsorientier-ten Unterricht zu gestalten. Bei vier von zehn Bausteinenwerde vom Kultusministerium auf die Angebote der Lan-desverkehrswacht Niedersachsen verwiesen. Als Maß-nahme für den Unterricht werde u. a. das von der Landes-verkehrswacht Niedersachsen angebotene Sicherheitstrai-ning sowie das Projekt Aktion junge Fahrer den Schulenangeboten. Die Landesverkehrswacht habe aufWunsch desKultusministeriums einen Leitfaden entwickelt, der den ört-lichen Schulen und den örtlichen Verkehrswachten eineHilfestellung für die Umsetzung vonMobilität in der schuli-schen Praxis gebe. Daraus folge, dass das Sicherheitstrai-ning Schulunterricht sei.

18 Soweit der Kl. Fahrsicherheitstrainings für die Berufs-genossenschaften anbiete sei darauf hinzuweisen, dassdiese nach § 14 SGB VII vorrangig die Aufgabe hätten,Arbeits- und Wegeunfälle, Berufskrankheiten und arbeits-bedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mit-teln zu verhindern. Damit seien die Fahrten keine Privat-fahrten. Die Berufsgenossenschaften seien Institutionender gesetzlichen Unfallversicherung und damit Sozialver-sicherungsträger. Die Berufsgenossenschaften erfüllteninfolgedessen mit dem Unfallverhütungstraining ihren ge-setzlichen Auftrag.

19 Es möge zwar sein, dass ein Fahrsicherheitstrainingnicht originär der beruflichen Ausbildung oder Fortbildungdiene. Aber auch hier werde theoretisch wie praktisch einFahrverhalten geschult, mit dem gezielt Unfälle vermiedenwerden könnten. Soweit Fahrzeuge beruflich verwendetwürden, bestehe insofern ein Bezug zu einer beruflichenTätigkeit. Der Fall sei deshalb nicht vergleichbar mit Veran-staltungen, die der Freizeitgestaltung dienten wie Keramik-und Töpferkurse.

20 Der Kl. verweist darüber hinaus auf die Rspr. zurumsatzsteuerlichen Behandlung von Fahrschulunterricht.Insoweit hätten FGe die entsprechenden Umsätze alssteuerfrei behandelt. Schließlich habe der BFH mit Be-schluss vom 10. 7. 2012 VB33/12 (BFH/NV 2012, 1676) eineAdV im Hinblick auf die steuerliche Behandlung von Fahr-sicherheitstrainings gewährt.

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EFG 2019 Nr. 1 69Entscheidung Nr. 22

21 Hinsichtlich der mit dem Rettungssimulator erzieltenUmsätze räumt der Kl. ein, dass die nicht steuerbefreitseien. Sie würden aber – ebenso wie die Einnahmen ausdem Fahrsicherheitstraining – zum Zweckbetrieb gehörenund unterlägen dem ermäßigten Steuersatz, weil sie derÖffentlichkeitsarbeit des Vereins dienten. Der Kl. siehtauch keine Konkurrenz zu anderen Anbietern vergleichba-rer Veranstalter. Insbesondere die vom Bekl. herangezoge-nen Fahrtrainings des ADAC seien anders gestaltet undwürden die Simulation fahrerischer Grenzsituationen um-fassen. Der Kl. trainiere demgegenüber in erster Liniedefensives Fahren.

22–26 Der Kl. hat bis zum Abschluss des Einspruchsver-fahrens keine Vorsteuern geltend gemacht und auf dieAnregung des Bekl., Nachweise über Vorsteuern einzurei-chen, nicht reagiert. Im Klageverfahren hat er sich ent-schieden, für die unter den maßgeblichen Grenzen derKleinunternehmerbesteuerung liegenden mit dem Ret-tungssimulator erzielten Umsätze zur Regelbesteuerung zuoptieren und die Vorsteuern aus den Rechnungen über denErwerb des Rettungssimulators sowie des Renaults geltendzu machen. Der Kl. ist insoweit der Auffassung, dass er diegesamten Vorsteuern in den Streitjahren geltend machenkönne. Soweit der Rettungssimulator und der Renaultunentgeltlich genutzt würden, sei eine Korrektur über eineunentgeltliche Wertabgabe vorzunehmen, die sich in 2014auf 312,47 € belaufe. ...

27 Der Bekl. ist der Auffassung, dass die Umsätze aus demFahrsicherheitstraining umsatzsteuerpflichtig seien. Um-sätze aus dem Fahrsicherheitstraining, die nicht speziellder beruflichen Ausbildung, Fortbildung oder beruflichenUmschulung dienten, seien keine ihrer Art nach gem. § 4Nr. 21 und § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG steuerfreien Bildungs-leistungen. Zwar seien diese Normen i. S. des Art. 132Buchst. i und j der MwStSystRL auszulegen. Danachkomme eine Befreiung für Leistungen in Betracht, die alsErziehung von Kindern und Jugendlichen, Schule oderHochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung oder beruf-liche Umschulung anzusehen sei.

28 Im Fahrsicherheitstraining werde praktisch wie theo-retisch ein Fahrverhalten des Pkw und Motorradfahrersgeschult, mit dem gezielt Unfälle vermieten werden sollen.Die Kurse würden sich infolgedessen an Teilnehmer rich-ten, die die erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse imPrivatleben anwendeten. Das gelte insbesondere auch fürFahrten zur Arbeitsstelle. Sofern an den Kursen im Einzel-fall Außendienstmitarbeiter teilnähmen, gäbe das den Kur-sen kein anderes Gepräge.

29 Auch aus dem BFH-Beschluss vom 10. 7. 2012VB33/12 (BFH/NV 2012, 1676) ergebe sich nichts anderes.Der BFH habe es als entscheidend angesehen, ob ernst-hafte Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ein Fahrsicher-heitstraining im Hinblick auf die Empfehlungen der Kultus-ministerkonferenz zur Mobilitäts- und Verkehrserziehungin der Schule in den Schulunterricht integriert werdenkönnten. Dies sei indes nicht der Fall. Das Fahrsicherheits-training mit seinen intensiven fahrpraktischen Elementensei nicht mit der in der Schule erbrachten allgemeinen Ver-kehrserziehung vergleichbar. Die Verkehrserziehung inden Schulen sei demgegenüber theoretischer Natur.

30 Der Bekl. vertritt zuletzt die Auffassung, dass die mitdem Fahrsicherheitstraining und dem Rettungssimulatorerzielten Umsätze nicht dem ermäßigten Steuersatz, son-dern dem Regelsteuersatz von 19 % unterliegen würden.Der ADAC führe in relativer Nähe ... ebenfalls Fahrsicher-heitstrainings durch, weshalb der Kl. zum ADAC inWettbe-werb trete. Von daher könnten die Umsätze nicht demZweckbetrieb des Kl. zugerechnet werden. Insoweit erhöhesich die USt gegenüber dem bisherigen Ansatz.

31 Die Verfahrensbeteiligten haben sich dahingehend tat-sächlich verständigt, dass der Rettungssimulator und dasKfz zu 50 % entgeltlich und zu 50 % unentgeltlich genutztwerden. Der Bekl. zieht daraus die Konsequenz, dass dieVorsteuern aus der Anschaffung der Wirtschaftsgüter auchnur zu 50 % abgezogen werden könnten. Beim Einsatz inden Schulen liege eine teilunternehmerische nichtwirt-schaftliche Verwendung vor, die zu einer Vorsteuerkürzungführe und nicht etwa zum Ansatz einer unentgeltlichenWertabgabe.

32 Für den Bereich der Fahrsicherheitstrainings hat sichder Bekl. weiterhin bereit erklärt, im Schätzungswege dieVorsteuern aus Verwaltungskosten mit 500 € (2013) und1 000 € (2014) zu berücksichtigen. Wegen des seinerAnsicht nach zur Anwendung kommenden höheren Steuer-satzes hat der Bekl. für 2013 rechnerisch eine höhereSteuerfestsetzung als bisher ermittelt, die wegen des Ver-bots der Verböserung im Klageverfahren nicht in Ansatzkommt. Für 2014 hat der Bekl. eine niedrigere Steuerfest-setzung ermittelt und dementsprechend in der m.V. die USt2014 auf 1 087,97 € herabgesetzt.

33 Der Bekl. regt an, das Verfahren bis zur Entscheidungdes EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des BFHin dem Verfahren VR38/16 ruhen zu lassen.

Aus den Gründen:

34 Die Klage ist teilweise begründet.

35 Die Klage hat insoweit Erfolg, als die Einnahmen ausdem Fahrsicherheitstraining umsatzsteuerfrei sind und dieEinnahmen aus der Vermietung des Rettungssimulatorsdem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Die geltend ge-machten Vorsteuern sind jedoch in geringerer Höhe alsbeantragt abzugsfähig.

Das Verfahren war aufgrund der EuGH-Vorlage des BFHzum Fahrschulunterricht nicht zum Ruhen zu bringen

36–37 1. ... Der Senat folgt nicht der Anregung des Bekl.,das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH in dem Ver-fahren Rs. C-449/17 über das Vorabentscheidungsersuchendes BFH (EuGH-Vorlage vom 16. 3. 2017 VR38/16, BFHE258, 167, BStBl II 2017, 1017) ruhen zu lassen. In diesemVerfahren geht es um die Steuerfreiheit von Umsätzen ausdem Fahrschulunterricht. Insoweit geht es u. a. um dieFrage, ob Fahrlehrer Privatlehrer i. S. des Art. 132 Abs. 1Buchst. j der MwStSystRL sind und ob Fahrschulen „Ein-richtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat aner-kannter vergleichbarer Zielsetzung“ sind. Diese Fragestel-lungen sind für den Streitfall aber nicht erheblich. Alleindie Frage 1 des Vorlagebeschlusses zur Auslegung desBegriffs des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132Abs. 1 Buchst. i und j der MwStSystRL weist Berührungs-punkte zum hier anhängigen Rechtsstreit auf. Die Ausfüh-rungen des BFH zur ersten Vorlagefrage sind jedoch aufdie Verhältnisse bei Fahrschulen zugeschnitten, so dasszweifelhaft ist, ob das künftige EuGH-Urteil zur Entschei-dungsfindung in diesem Verfahren beitragen kann.

Umsätze aus der Durchführung der Fahrsicherheits-trainings sind nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStGumsatzsteuerfrei

38–39 2. ... Die Einnahmen aus den Fahrsicherheitstrai-nings sind umsatzsteuerfrei

40 Umsatzsteuerfrei sind nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStGdie Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissen-schaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Per-sonen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirt-schaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Ein-richtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweckeines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenndie Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten ver-wendet werden.

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70 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 22

41 Gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRLbefreien die Mitgliedstaaten die Umsätze aus der Erzie-hung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oderHochschulunterricht, die Aus- und Fortbildung sowie dieberufliche Umschulung und die damit eng verbundenenDienstleistungen und Lieferungen von Gegenständendurch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit sol-chen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungenmit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter ver-gleichbarer Zielsetzung.

Persönlicher Anwendungsbereich der Befreiungsvor-schrift ist erfüllt

42 Die Klin. ist ein gemeinnütziger Verein und unterfälltdamit demKreis der nach § 4Nr. 22 Buchst. a UStG begüns-tigten Steuersubjekte. Die Fahrsicherheitstrainings stellenKurse belehrender Art dar, die den Teilnehmern imGemeinwohlinteresse Fertigkeiten mit dem Ziel des siche-ren und defensiven Fahrens vermitteln. In der Satzung desKl. ist schließlich ausdrücklich festgelegt, dass dieser keineGewinne anstrebt und etwaige Überschüsse ausschließlichzur Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke verwendendarf. Damit sind sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 4Nr. 22 Buchst. a UStG erfüllt.

Sachlicher Anwendungsbereich der Befreiungsvorschriftist auch erfüllt

43 Zwar ist das nationale USt-Recht grundsätzlich richtli-nienkonform im Lichte der Regelungen der MwStSystRLauszulegen (BFH-Urteile vom 27. 4. 2006 VR53/04, BFHE213, 256, BStBl II 2007, 16; vom 25. 4. 2018 XI R21/16, BFHE261, 436, BStBl II 2018, 505; BFH-Vorlagebeschluss an denEuGH vom 7. 2. 2018 XIR7/16, BFHE 261, 94, DStR 2018,1229). Die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegungwerden dann allerdings erreicht bzw. überschritten, wenndie einschränkende Auslegung der nationalen Rechtsvor-schrift keinen Anhalt mehr im Wortlaut der Rechtsnormfindet (BFH-Urteile vom 9. 8. 2007 VR27/04, BFH/NV 2007,2213; vom 23. 1. 2013 XIR25/11, BFHE 239, 547, BStBl II2013, 417; vom 3. 12. 2015 VR43/13, BFHE 252, 171,BStBl II 2016, 858). Der Wortlaut des § 4 Nr. 22 Buchst. aUStG enthält keinen Ansatzpunkt dafür, die Steuerbefrei-ung allein auf erzieherische und berufsbezogene Veran-staltungen zu beschränken. Insofern würden zur Überzeu-gung des Senats die Grenzen einer zulässigen richtlinien-konformen Auslegung überschritten, würde man bei derAuslegung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG dessen Wort-laut durch den Text des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i derMwStSystRL ersetzen. Vielmehr kann sich der Kl. hier aufdie für ihn günstigere nationale Vorschrift des § 4 Nr. 22Buchst. a UStG berufen; danach sind die Einnahmen ausden Fahrsicherheitstrainings umsatzsteuerfrei.

44 Im Übrigen würde sich zumindest hinsichtlich derKurse für die Berufsgenossenschaften und der Bundeswehr(Umsätze 2013: 16 289 €, Umsätze 2014: 5 795 €) auch beieinschränkender richtlinienkonformer Auslegung des § 4Nr. 22 Buchst. a UStG entsprechend der Regelung desArt. 132 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL kein anderesErgebnis in der Sache ergeben. Denn die Berufsgenossen-schaften und die Bundeswehr übernehmen deshalb dieKosten für die Teilnahme an den Fahrsicherheitstrainings,weil die Kursteilnehmer beruflich mit Kfz unterwegs sindund sie durch das Erlernen von Techniken des defensivenFahrens das Risiko, in einen Verkehrsunfall verwickelt zuwerden, mindern sollen. Insofern ist bei ihnen die Teil-nahme an den Fahrsicherheitstrainings als berufliche Fort-bildung i. S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRLzu qualifizieren.

45 Auf die weitere Frage, ob die Umsätze dem Regel-oder dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, kommt es andieser Stelle nicht an.

Die Umsätze aus der Vermietung des Rettungssimulatorssind nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zuversteuern

46–47 3. ... Die Einnahmen aus der Vermietung des Ret-tungssimulators an Autohäuser sind umsatzsteuerpflichtig.Dass insoweit keine Steuerbefreiungsnorm einschlägig ist,räumt auch der Kl. ein.

48 Entgegen der Rechtsauffassung des Bekl. unterliegendiese Umsätze dem ermäßigten Steuersatz der USt. Gemäߧ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Steuerauf 7 % für die Leistungen der Körperschaften, die aus-schließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oderkirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51 bis 68 AO). Das giltnicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichenGeschäftsbetriebs ausgeführt werden. Für Leistungen, dieim Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, giltSatz 1 nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie derErzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführungvon Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mitdem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungenanderer Unternehmer ausgeführt werden, oder wenn dieKörperschaft mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68AO bezeichneten Zweckbetriebe ihre steuerbegünstigtensatzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklicht.

Die Vermietung des Rettungssimulators stellt Zweckbe-trieb dar

49 Der Kl. ist ein Verein, der mit dem in § 2 der Satzungniedergelegten Ziel der Förderung der Verkehrssicherheitund der Verkehrserziehung unmittelbar und ausschließlichgemeinnützige Zwecke verfolgt. Zwar begründet die Über-lassung des Rettungssimulators gegen Entgelt einen wirt-schaftlichen Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO, d. h. eineselbständige, nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmenerzielt werden, die über den Rahmen einer Vermögensver-waltung hinausgehen. Dieser wirtschaftliche Geschäftsbe-trieb ist jedoch Zweckbetrieb.

50 Ein Zweckbetrieb ist nach § 65 AO gegeben, wenn derwirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtungdazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwe-cke der Körperschaft zu verwirklichen, die Zwecke nurdurch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden kön-nen und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nichtbegünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nichtin größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es beiErfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbarist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.Denn der Kl. verknüpft die Vermietung des Rettungssimu-lators mit der Öffentlichkeitsarbeit. Er nutzt den Kontaktzu einem größeren Publikum, um auf seine Arbeit undseine nichtwirtschaftliche Tätigkeit aufmerksam zu ma-chen. Insofern steht nicht die Einnahmeerzielung, sonderndie Verfolgung der steuerbegünstigten satzungsmäßigenZwecke im Vordergrund. Die Erzielung von Einnahmenwiederum ist erforderlich, um die mit dem Einsatz des Ret-tungssimulators verbundenen Kosten wie etwa die Fahrt-kosten zum Einsatzort abdecken zu können. Der Senatkann schließlich nicht erkennen, dass der Kl. mit der Ver-mietung des Rettungssimulators zu anderen nicht begüns-tigten Unternehmern in Wettbewerb tritt. Soweit der Bekl.auf Angebote des ADAC zum Fahrtraining auf Verkehrs-übungsplätzen verweist, differenziert er nicht hinreichendzwischen dem Fahrsicherheitstraining und der Vermietungdes Rettungssimulators. Jedenfalls lässt sich der Internet-seite ..., auf der der ADAC das Leistungsangebot des Fahr-sicherheitszentrums ... vorstellt, nicht entnehmen, dass erRettungssimulatoren zur Miete anbietet. Im Übrigen hatder Bekl. auch in keiner Weise dargelegt, dass die vomADAC mit dem Fahrsicherheitszentrum erzielten Umsätzeder Regelbesteuerung unterliegen. Denkbar wäre auchhier, dass die entsprechenden Umsätze einem Zweckbe-trieb des ADAC zugeordnet sind und mit dem ermäßigten

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EFG 2019 Nr. 1 71Entscheidung Nr. 22

Steuersatz versteuert werden, so dass der Kl. durch dieAnwendung des ermäßigten Steuersatzes keinen Wettbe-werbsvorteil erlangt.

Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung

51 Die Umsätze aus der Vermietung des Rettungssimula-tors sind beim Kl. umsatzsteuerlich zu erfassen. Zwar wirddie für Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldeteUSt nach § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben, wenn der Umsatzzzgl. der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenenKj. 17 500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kj.50 000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die steuer-pflichtigen Umsätze des Kl. liegen im Streitfall weit unter-halb der Umsatzgrenzen für die Anwendung der Kleinun-ternehmerbesteuerung. Der Unternehmer kann jedochnach § 19 Abs. 2 UStG bis zur Unanfechtbarkeit der Steuer-festsetzung gegenüber dem FA erklären, dass er auf dieAnwendung der Kleinunternehmerbesteuerung verzichtet.Im Streitfall hat der Kl. konkludent zur Regelbesteuerungoptiert, indem er im Verlaufe des Klageverfahrens seinenKlagantrag erweitert und den Abzug von Vorsteuern ausdem Erwerb des Rettungssimulators und des Renaultsbegehrt hat, die der Erzielung der in Rede stehendenUmsätze dienen.

Abzug der Vorsteuern ist nach § 15 Abs. 4 UStG entspre-chend der unternehmerischen Nutzung auf 50 % des gel-tend gemachten Betrags begrenzt

52–53 4. ... Der Kl. kann die Vorsteuern aus den Rechnun-gen über den Erwerb des Rettungssimulators und desRenault-Bus nur zu 50 % abziehen.

54 Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmerdie gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen undsonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmerfür sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteu-ern abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setztvoraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14aUStG ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondertausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausfüh-rung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenndie Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet wordenist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Vom Vorsteuerabzug istnach § 15 Abs. 2 UStG ausgeschlossen die Steuer für dieLieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichenErwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistun-gen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreieUmsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer einen fürsein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innerge-meinschaftlich erworbenen Gegenstand oder eine von ihmin Anspruch genommene sonstige Leistung nur z. T. zurAusführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug aus-schließen, so ist gem. § 15 Abs. 4 UStG der Teil der jeweili-gen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Aus-schluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirt-schaftlich zuzurechnen ist.

55 Der Kl. hat den Rettungssimulator und den Renault fürsein Unternehmen erworben. Er verfügt auch über formellordnungsgemäße Rechnungen i. S. des § 14 Abs. 4 UStG,so dass er dem Grunde nach zum Vorsteuerabzug berech-tigt ist. Da der Kl. bereits 2013 eine Vorauszahlung für denAnfang 2014 gelieferten Rettungssimulator geleistet undder leistende Unternehmer ihm zu diesem Zeitpunkt eineRechnung erteilt hat, kann der Kl. bereits 2013 anteilig Vor-steuern abziehen. Dies ist insoweit im Übrigen auch zwi-schen den Verfahrensbeteiligten unstreitig.

56 Allerdings kann der Kl. nicht wie beantragt den vollenVorsteuerabzug aus den Rechnungen für den Rettungs-simulator und den Renault beanspruchen. Vielmehr ist derVorsteuerabzug der Höhe nach zu kürzen, da der Kl. dieWirtschaftsgüter nur zu 50 % im Rahmen der Vermietungan Autohäuser genutzt und im Übrigen unentgeltlich anSchulen überlassen hat. Erfolgt wie hier nur teilweise eine

unternehmerische und ansonsten eine nichtwirtschaftlicheVerwendung des Wirtschaftsguts, so sind die Vorsteuernanalog § 15 Abs. 4 UStG auf die Tätigkeitsbereiche aufzu-teilen (BFH-Urteil vom 3. 3. 2011 VR23/10, BFHE 233, 274,BStBl II 2012, 74). Nur im Falle einer hier nicht vorliegen-den unternehmensfremden Verwendung würde – dem Kla-geantrag des Kl. entsprechend – ein Zuordnungswahlrechtmit Korrektur des Vorsteuerabzugs über den Ansatz einerunentgeltlichenWertabgabe bestehen. Aus diesemGrundekann der Kl. nur 50 % der Vorsteuern in Abzug bringen.

57–58 5. Die USt für die Streitjahre 2013 und 2014 ist imErgebnis wie folgt festzusetzen: ...

Nebenentscheidungen

59–61 ... Der Senat lässt die Revision gem. § 115 Abs. 2Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Anmerkung

I. Problemstellung

Das Niedersächsische FG hatte über zwei voneinanderunabhängige Fragestellungen zu befinden:

1. Sind die Einnahmen aus Umsätzen, in deren RahmenFahrsicherheitstrainings erbracht werden, umsatz-steuerfrei?

2. Sind Umsätze aus der Vermietung eines Rettungssi-mulators durch einen gemeinnützigen Verein nach§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zu versteu-ern?

Beide Fragen hat das Niedersächsische FG bejaht.

II. Rechtsauffassungen/die Entscheidung des FG

Die Klagestattgabe beider Streitpunkte dürfte keinesfallszwingend sein.

1. USt-Freiheit von Fahrsicherheitstrainings

Zunächst hat sich das Niedersächsische FG dafür ent-schieden, das Verfahren nicht zum Ruhen zu bringenund nicht auf das Ergebnis der EuGH-Vorlage zumFahrschulunterricht (BFH-Beschluss vom 16. 3. 2017V R 38/16, BFHE 258, 167, BStBl II 2017, 1017) zu warten.Dies war – nach dem Verständnis des NiedersächsischenFG zur Auslegung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG – konse-quent, aber nicht unbedingt zu erwarten. Nach der Rspr.des BFH sind bei richtlinienkonformer Auslegung von § 4Nr. 22 Buchst. a UStG nicht alle Vorträge, Kurse undandere Veranstaltungen zur Erlernung von Fähigkeitenoder Fertigkeiten „wissenschaftlicher oder belehrenderArt“ von der USt befreit, sondern nur diejenigen, die alsErziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schul-oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildungoder berufliche Umschulung anzusehen sind (BFH-Beschluss vom 10. 7. 2012 V B 33/12, BFH/NV 2012,1676). Für die USt-Befreiung von Fahrsicherheitstrai-nings dürfte es bei dieser Auslegung von § 4 Nr. 22Buchst. a UStG daher darauf ankommen, ob der Fahr-schulunterricht – genauso wie das Fahrsicherheitstrai-ning – als besondere Formen der Verkehrserziehung alsSchul- oder Hochschulunterricht angesehen werdenkann. Das Niedersächsische FG hat hingegen eine der-artige richtlinienkonforme Auslegung von § 4 Nr. 22Buchst. a UStG abgelehnt, weil es die Wortlautgrenzeals überschritten ansieht. Da die Richtlinienvorgabe aberenger gefasst ist als der deutsche Wortlaut, würde dierichtlinienkonforme Auslegung eine teleologische Re-duktion der nationalen Vorschrift herbeiführen. Es stelltsich die Frage, wie die „Wortlautgrenze“ bei einerReduktion der Vorschrift auf den Gehalt, der mit Unions-recht übereinstimmt, überschritten werden kann. Dies

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72 EFG 2019 Nr. 1 Entscheidung Nr. 22

dürfte nur bei teleologischer Extension oder Analogie derFall sein. Es dürfte daher auch für das Fahrsicherheits-training von erheblicher Bedeutung sein, wie der EuGHüber die Steuerbefreiung von Fahrschulunterricht ent-scheidet.

2. Ermäßigte Versteuerung der Umsätze aus der Ver-mietung eines Rettungssimulators

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG sind dieLeistungen der Körperschaften, die ausschließlich undunmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchlicheZwecke verfolgen (§§ 51 bis 68 AO), ermäßigt zu besteu-ern (Grundsatz). Der Grundsatz gilt nicht für Leistungeneines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (Ausnahme). Dajedes Unternehmen i. S. des § 2 UStG auch einen wirt-schaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt, kommt die Aus-nahme praktisch stets zum Zug. Der Grundsatz greiftwiederum ein, wenn es sich um einen Zweckbetrieb(§§ 65 bis 68 AO) handelt (Rückausnahme).Die Rückaus-nahme gilt wiederum nur, wenn eine der folgenden zweiAlternativen erfüllt ist (Bedingung der Rückausnahme):Die Ausführung der Umsätze dient nicht in erster Linieder Erzielung zusätzlicher Einnahmen, die in unmittelba-rem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unter-liegenden Leistungen anderer Unternehmer stehen, oderdie Körperschaft verwirklicht mit diesen Leistungen ihrein den §§ 66 bis 68 AO bezeichneten satzungsgemäßenZwecke selbst (vgl. zur komplizierten gesetzgeberischenRegelungstechnik FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom7. 11. 2016 5 K 5372/14, EFG 2017, 1396, mit Anm. Kes-sens).

Das Niedersächsische FG sieht mit knapper Begründungin der Vermietung des Rettungssimulators einen Zweck-betrieb, da die Vermietung des Rettungssimulators mitder Öffentlichkeitsarbeit verbunden sei. Auch würde derWettbewerb nicht verzerrt werden, da für das FG nichterkennbar sei, dass der klagende Verein zu anderennicht begünstigten Unternehmern in Wettbewerb trete.

Meines Erachtens sind die Ausführungen des Nieder-sächsischen FG jedenfalls undifferenziert. Sowohl die all-gemeine Definition des Zweckbetriebs nach § 65 Abs. 1AO als auch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG setzenvoraus, dass durch die Besteuerung mit dem ermäßigtenSteuersatz der streitgegenständlichen Leistungen keineWettbewerbsverzerrungen eintreten. Die Klärung der

Entscheidungen der FinanzgerichteVerlag: Stollfuß Medien GmbH & Co. KG, Dechenstr. 7, 53115 Bonn, Fernruf (02 28) 7 24-0, Telefax (02 28) 7 24-9 11 81; Bankkonto: Sparkasse KölnBonn31 022 775 (BLZ 370 501 98), IBAN: DE10370501980031022775, SWIFT-BIC: COLSDE33XXX; Satz: Cicero Computer GmbH, Bonn, 53225 Bonn; Druck: BonnerUniversitäts-Buchdruckerei.

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ISSN 0421–2991

Frage, ob Wettbewerbsverzerrungen eintreten können,erfordert einerseits die Bestimmung, welche Leistungenmiteinander verglichen werden sollen, und andererseitsdie Feststellung, welche Unternehmer auf welchemMarkt – abstrakt oder konkret – wo im Wettbewerb ste-hen. Wird nur die ganz konkrete Leistung (Vermietung)des ganz konkreten Gegenstands (Rettungssimulator imEigentum des klagenden Vereins) betrachtet, kannnatürlich keine Wettbewerbsverzerrung vorliegen, weilder klagende Verein der einzige ist, der diese konkreteLeistung erbringen kann. Also stellt sich als nächstes dieFrage, ob für die Prüfung der Wettbewerbsverzerrungauf die Vermietung von Rettungssimulatoren allgemeinoder nicht sogar auf das genus proximum, die entgelt-liche Überlassung von beweglichen körperlichen Ge-ständen jedweder Art, abzustellen ist. Jedenfalls beiLetzterem wäre eine unterschiedliche Besteuerungoffensichtlich. Bezogen auf die im Wettbewerb stehen-den Unternehmer betrachtet das Niedersächsische FGallein den ADAC als möglichen Konkurrenten. Hinsicht-lich dieses Konkurrenten habe das beklagte FA nichtnachgewiesen, dass der ADAC der Regelbesteuerungunterliegend Rettungssimulatoren vermietet habe. Ob-schon die Überwälzung der Feststellungslast auf das FAfraglich ist, wäre zu klären, ob nicht eine abstrakteÜberprüfung der Marktverhältnisse bereits zur Feststel-lung von Wettbewerbsverzerrungen führt und abstrakteVerzerrungen ausreichen. Es dürfte nämlich nicht völligunwahrscheinlich sein, dass auch nicht gemeinnüt-zige Vereine Rettungssimulatoren vermieten. Außerdemwürde eine eingehende Wettbewerbsprüfung die Festle-gung erfordern, welches Marktgebiet zugrunde gelegtwird. Ist ein Konkurrent vor Ort, im Land Niedersachsen,deutschland- oder europaweit erforderlich? Wie dieseFragen zu beantworten sind, ist höchstrichterlich weitge-hend noch nicht geklärt. Eine eingehende Auseinander-setzung im Rahmen der Revision ist mit Blick auf anderebei FGe anhängige Verfahren wünschenswert.

III. Hinweise für die Praxis

Die Besteuerung von Leistungen gemeinnütziger Kör-perschaften bedarf weiterer Klärung durch die höchst-richterliche Rspr. Derzeit können in diesem BereichBesteuerungsergebnisse nicht sicher vorhergesagt wer-den.

Richter am FG Dr. Felix Magnus Kessens

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EFG 2019 Nr. 1 VVorschau

Vorschauauf demnächst zur Veröffentlichung gelangende wichtige Entscheidungen

Einkommensteuer

6. 9. 2018 Niedersächsisches FG, Urteil 1 K 10041/15, Verlustberücksichtigung bei TonnagebesteuerungEStG § 5a Abs. 4a Satz 3, Abs. 5 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

20. 11. 2018 FG Münster, Urteil 15 K 655/16 E, Kein Abzug von Strafverteidigungskosten als WK oder ag. Bel.EStG § 9 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 33 Abs. 1; StPO § 467 Abs. 2 und 3

20. 9. 2018 Sächsisches FG, Urteil 6 K 619/17, Keine Kürzung des Sonderausgabenabzugs wegen Bonuszahlungeneiner KrankenkasseEStG § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a; SGB V § 65a

14. 11. 2018 FG Nürnberg, Urteil 5 K 732/17, Kutschunternehmen als LiebhabereibetriebEStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2

28. 11. 2018 FGMünster, Urteil 1 K 71/16 E, Zur Frage, ob die Enteignung eines Grundstücks ein privates Veräuße-rungsgeschäft i. S. des § 23 EStG darstelltEStG § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

8. 11. 2018 FG Düsseldorf, Urteil 12 K 1250/18 E,F, Zeitliche Begrenzung der Möglichkeit zur Rücknahme einesAntrags auf ermäßigte Besteuerung nicht entnommener GewinneEStG § 34a Abs. 1, § 10d Abs. 1 Satz 2; AO § 351 Abs. 1

Einkommensteuer/Lohnsteuer

11. 10. 2018 FG Köln, Urteil 7 K 2053/17, PKW-Rabatt für Arbeitnehmer eines mit dem Autohersteller verbundenenUnternehmens kein steuerpflichtiger ArbeitslohnEStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Erbschaftsteuer

1. 11. 2018 Niedersächsisches FG, Urteil 1 K 7/18, Junges Verwaltungsvermögen bei neu gegründeter GesellschaftErbStG 2015 § 13b Abs. 2 Satz 3

Gewerbesteuer

18. 10. 2018 FG Münster, Urteil 10 K 4079/16 G, Gewerbesteuerfreibetrag bei Gründung einer atypisch stillenGesellschaftGewStG § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1

Körperschaftsteuer/Einkommensteuer

20. 11. 2018 FG Düsseldorf, Urteil 13 K 2486/17 E, Steuerpflicht der Auszahlung eines KSt-Guthabens, wenn dieForderung unter Nennwert erworben wurdeKStG 2015 § 37; EStG 2015 § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und Satz 2, Abs. 4

Umwandlung

18. 9. 2018 FG Hamburg, Urteil 6 K 77/16, Buchwertfortführung bei AbspaltungUmwStG § 11, § 15