Entwicklung eines Leichtbau- Fahrradrahmens

3/2011 lightweightdesign

Simulation

Entwicklung eines Leichtbau-Fahrradrahmens

In Kooperation mit dem Fahrradhersteller Ghost-Bikes GmbH aus Waldsassen haben Wissen-

schaftler am Institut für Strukturleichtbau und Sportgerätetechnik der TU Chemnitz die

Beanspruchungen eines Fahrradrahmens aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff im

Fahrbetrieb virtuell abgebildet und unter Anwendung physikalisch begründeter Bruchkriterien

das Versagen der komplexen Leichtbaustruktur analysiert und bewertet.

Faser-Kunststoff-Verbunde sind aufgrund ihrer hohen mechani-schen Leichtbaueigenschaften und der nahezu endbearbei-tungsfreien Fertigung der Trendwerkstoff im Rahmenbau von

Mountainbikes. Darüber hinaus lassen sich die Endlosfasern gezielt in Richtung der Belastungen anordnen und somit hohe gewichtsbe-zogene Bauteilfestigkeiten- und steifigkeiten der Rahmen erreichen. Zur Optimierung des Materialeinsatzes und der Bestimmung der Faserorientierung sind allerdings aufwendige Berechnungen not-wendig, die bei derartig komplexen Bauteilen den Einsatz von nu-merischen Berechnungsmethoden in Kombination mit physikalisch begründeten Versagenskriterien voraussetzen. Konventionelle Simulationsprogramme erfordern bei der Definition der Faserorientierung und des Laminataufbaus einen hohen Modellierungs-aufwand, sodass ihr effizienter Einsatz in der Fahrradindustrie bisher eher

auf metallische Werkstoffe beschränkt ist. Mit Ansys Composite PrepPost steht eine in Ansys Workbench-integrierte, speziell für geschichtete Ver-bundbauteile entwickelte Software zur Verfügung, die auf die Element- und Solver-Technologien von Ansys zurückgreift und durch innovative Modellierungs- und Auswertungsfunktionen die notwendigen Anpas-sungen zur Berechnung von Faser-Kunststoff-Verbundstrukturen we-sentlich vereinfacht [1]. Am Beispiel eines Fahrradrahmens aus hochfes-ten Kohlenstofffasern und Kunststoffmatrix ist der Einsatz dieser neuar-tigen Auslegungsmethode überprüft worden.

E R M I T T L U n G U n D n U M E R I S C H E A B B I L D U n G D E R B E T R I E B S L A S T E nFür eine detaillierte numerische Simulation ist die genaue Kenntnis der Betriebsbelastungen, der Randbedingungen und der ertragba-

»Konventionelle Programme bei der Beanspruchungs-analyse von FVK erfordern einen hohen Modellierungs-aufwand, sodass ihr Einsatz in der Fahrradindustrie bisher eher auf rein metallische Komponenten beschränkt ist.«Dipl.-Ing. norbert Schramm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strukturleichtbau und

Sportgerätetechnik der TU Chemnitz.

K o n s t r u K t i o n u n d E n t w i c K l u n g 4 3

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ren Beanspruchungen des Bauteils zwingend erforderlich. Die tech-nischen Anforderungen und zugehörigen Prüfverfahren werden für Mountainbikes durch die DIn En 14766 definiert. In zwei statischen Stoß- und drei dynamischen Rahmenprüfungen werden dazu ver-einfacht die Belastungen im Fahrbetrieb, wie zum Beispiel der Wie-getritt, bei dem der Fahrer sich zur besseren Kraftübertragung wäh-rend der Beschleunigung des Fahrrades aus dem Sattel erhebt, nachgebildet. Im Vergleich aktueller Untersuchungen zur Betriebslastenermitt-lung an Mountainbikes ist das Belastungsniveau der Rahmen-prüfungen mitunter nicht ausreichend, und es werden zudem nicht alle im Fahrbetrieb auftretenden Belastungen berücksich-tigt [2]. Daher prüft die Ghost-Bikes GmbH ihre Fahrradrahmen, Bild 1, zusätzlich nach der DInplus, die durch ein erhöhtes Leis-tungsprofil und eine zweistufige Prüfung ein erweitertes Zerti-fizierungsprogramm zu der DIn-norm darstellt. Am Beispiel der Wiegetrittprüfung sind in Tabelle 1 die Belastungsprofile der beiden Rahmenprüfungen gegenübergestellt. Die Prüfkräfte werden über Pneumatikzylinder abwechselnd auf die Pedale des im Prüfstand eingespannten Fahrrades über die vorgegebe-nen Lastspielwechsel aufgebracht.

Sowohl die norm als auch das zusätzliche Zertifizierungsprogramm berücksichtigen allerdings nicht alle im Fahrbetrieb wirkenden Be-lastungen, sodass aktuelle Forschungsprojekte zur Betriebslastener-mittlung an Fahrrädern analysiert und aus den Ergebnissen eine er-weiterte Rahmenprüfung abgeleitet wurde [3]. Durch die Erhöhung des Belastungsniveaus, die Berücksichtigung von Bremsbelastungen sowie variablen Sattel- und Lenkerlasten wurde zusätzlich zur Wie-getrittprüfung nach DIn En 14766 und DInplus ein drittes Lastkol-lektiv definiert. Anschließend konnte der Versuchsaufbau der Rah-menprüfungen durch ein Mehrkörpersimulationsmodell mit Pro/Engineer Mechanism Dynamics Option virtuell abgebildet und aus den äußeren dynamischen Prüfkräften (orange Pfeile) die Belastun-gen (hellblaue Pfeile), die auf den Fahrradrahmen im Bereich des Tretlagers, des Steuerrohrs und der Hinterachse einwirken, analysiert sowie in sieben quasi-statische Lastfälle überführt werden, Bild 2.

S I M U L A T I O n I n A n S y S W O R K B E n C HFür die numerische Strukturanalyse, die Voraussetzung für die anschließende Versagensbewertung der Leichtbaustruktur ist, wurde in Ansys Workbench ausgehend von der CAD-Geometrie des kohlenstofffaserverstärkten Fahrradrahmens ein Simulations-modell erstellt und die sieben Lastfälle darauf übertragen. Um die unterschiedlich belasteten Bereiche des Bauteils durch eine

Bild 1 Beispiel eines Mountainbikes von Ghost-Bikes

Tabelle 1 Leistungsprofil der Rahmenprüfung Wiegeritt nach DIN EN

14766 und DINplus

Prüfung des Rahmens / Gabel-Einheit

Anzahl der Lastwechsel Prüfkraft

DIn En 14766 100.000 1200 n

DInplus (Stufe 1) 100.000 1200 n

DInplus (Stufe 2) 10.000 1500 n

»Für eine detaillierte wirklichkeitsnahe Simulation ist die genaue Kenntnis der Betriebsbelastungen, der Randbedingungen und der ertragbaren Bean-spruchungen des Bauteils zwingend erforderlich.«Dipl.-Ing. Jörg Kaufmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strukturleichtbau und

Sportgerätetechnik der TU Chemnitz.

4 4 K o n s t r u K t i o n u n d E n t w i c K l u n g


zielgerichtete Materialzuwei-sung optimal auszulegen wur-de der Rahmen virtuell in mehrere Segmente unterteilt, Bild 3. Durch die assoziative Kopplung z wischen dem CAD-System und der Ansys Workbench ist es möglich, die Geometrie des Fahrradrah-mens beliebig zu verändern oder unterschiedliche Materi-alsysteme zu analysieren. Das erstellte Simulationsmodell konnte dadurch zur Beanspru-chungsanalyse eines zweiten

Bild 3 Segmentiertes Flächenmodell des Fahrradrahmens Bild 4 Applizierte dMS-Rosetten

Bild 2 Mehrkörpersimulationsmodelle der Rahmenprüfung Wiegeritt nach diN EN 14766 und der erweiterten Rahmenprüfung

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Fahrradrahmes aus der Aluminiumknetlegierung En AW-6061 verwendet werden.In experimentellen Untersuchungen wurden auf beide Bauteile Deh-nungsmessstreifen, Bild 4, appliziert und die Beanspruchungen wäh-rend der Wiegetrittprüfung nach DIn En 14766 und DInplus auf ei-nem branchentypischen Prüfstand bei Ghost-Bikes analysiert, Bild 5. Mit einer Abweichung von maximal 15 % zwischen den numeri-schen Ergebnissen und den ex-perimentell bestimmten Mess-werten konnte das Simulations-modell erfolgreich verifiziert werden.

V E R S A G E n S A n A L y S EDie Versagensanalyse ist auf-grund des in Ansys Work-bench integrierten Composi-te-Tools in einem geschlosse-nen Prozess durchführbar, und das vollständig definierte Si-mulationsmodell konnte zur faserverbundspezifischen Mo-dellierung des Fahrradrah-mens direkt übernommen werden, Bild 6. Die Materialde-finition inklusive versagensre-levanter Parameter erfolgte durch manuelle Eingabe und durch den Import von in ESA-Comp erstellten Materialkom-binationen. Diese wurden an-schließend zu Einzelschichten, Laminaten und Laminatgrup-pen mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften sowie Gesamtdicken zusam-mengefasst und den segmen-tierten Bereichen des Modells zugewiesen, Bild 7. Mittels Ansys Composite Prep-Post ist es gelungen, die Faser-orientierung in jedem Bereich individuell an der Geometrie des Fahrradrahmens und unter Berücksichtung des Herstell-prozesses auszurichten. Für die Versagensanalyse wurden ins-gesamt 16 Laminatkonfigurati-onen mit Standard-, hochfes-ten sowie hochsteifen Kohlefa-sern erstellt und miteinander verglichen, Tabelle 2.

Im Postprocessing überzeugte das neue Composite- Tool vor allem durch die Implementierung vieler aktueller Versagenskriterien so-wie der Möglichkeit der intergralen und schichtweisen Ergebnis-auswertung, sodass für den kohlenstofffaserverstärkten Fahrradrah-men in den einzelnen Lastfällen jeweils die kritischen Bereiche identifiziert werden konnten. Unter Anwendung der neuen Bruch-kriterien nach Puck [4] und Cuntze [5], die bei der Vorhersage des

TABEllE 2 laminatkonfigurationen mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften

Bild 5 Versuchsaufbau und Messtechnik für die Rahmenprüfung



Versagens von endlosfaserver-stärkten Laminaten eine sehr gute Übereinstimmung mit ex-perimentellen Untersuchun-gen aufweisen [6], ist es ferner gelungen, das exakte Versa-gensverhalten der Leichtbau-struktur zu bestimmen. Diese Informationen wurden an-schließend für die gezielte An-passung des Lagenaufbaus verwendet und unterschiedli-che Variantenstudien durchge-führt. Das Ergebnis der Unter-suchungen ist ein optimierter kohlenstofffaserverstärkter Rahmen, der die Festigkeitsan-forderungen des Bauteils er-füllt, Bild 8, und im Vergleich zu den ursprünglichen Varianten sogar kostengünstiger in der Herstellung ist.

Z U S A M M E n F A S S U n GDurch die erfolgreiche numeri-sche Abbildung der Rahmen-prüfung Wiegetritt nach DIn 14766 und DInplus konnten die Belastungen, die auf einen Fahrradrahmen einwirken, ana-lysiert und systematisiert wer-den. Darüber hinaus wurde aus den Ergebnissen aktueller Be-triebslastenermittlungen an Mountainbikes eine erweiterte

Bild 7 laminatkonfiguration im ESAComp (links) und Kontrolle des laminataufbaus im ACP (rechts)

Bild 6 Arbeitsablauf der numerischen Simulation des CFK-Fahrradrahmens

»Im Vergleich aktueller Untersuchungen zur Betriebslastenermittlung an Mountainbikes ist das Belastungsniveau der Rahmenprüfungen nach DIn En 14766 mitunter nicht ausreichend.«Prof. Dr.-Ing. habil. Lothar Kroll ist Direktor des Instituts für Strukturleichtbau und Sportgerätetechnik

der TU Chemnitz.



Rahmenprüfung mit erhöhtem Belastungsniveau und unter Berück-sichtigung von Bremsbelastungen, Sattel- und Lenkerlasten abgelei-tet und auf das erstellte Simulationsmodell übertragen. Mittels der anschließenden Versagensanalyse mit Ansys Composite PrepPost sind nicht nur die Festigkeits- und Steifigkeitseigenschaften von fa-serverstärkten Fahrradbauteilen optimal auf die Anforderungen im Fahrbetrieb angepasst worden, sondern der Entwicklungsprozess neuer Ultraleichtbau-Komponenten konnte deutlich beschleunigt werden. Entgegen der für die Fahrradbranche typischen „Trial and Error“-Entwicklungsmethodik ist es dadurch gelungen, die Anzahl kosten- und zeitintensiver Versuche an Prototypen drastisch zu ver-ringern.� ●

L I T E R A T U R H I n W E I S E[1] Wintermantel, M.; Dutly, M.: AnSyS Composite PrepPost. CADFEM-Broschüre: ACP Presseankündigung, 02/2009

[2] Otto, M.: Prüfung von CFK-Fahrradkomponenten - Er fahrung aus der Prüfpraxis. DVM Workshop: Prüfverfahren und Qualitätssicherungs-methoden unter Berücksichtigung von CFK-Werkstoffen, Berlin: 12. Und 13. november 2009

[3] Geminger, T.: Betriebsfestigkeit von geschweißten Fahrradrahmen. Uni-versität Kassel, Institut für Werkstofftechnik, Abschlussbericht, Mai 2009

[4] Puck, A.: Festigkeitsanalyse an Faser-Matrix-Laminaten: Modelle für die Praxis. München Wien: Hanser Verlag, 1996

[5] Cuntze, R.: non-linear Failure Analysis of FRP Laminates composed of UD lamina. Vortrag, ESPOO, Helsinki, 01. Februar 2005

[6] Soden, P. D.; Kaddour, A.S.; Hinton, M. J.: Recommendations for de-signers and researchers resulting from the world-wide failure exercise. In: Comp Sci Tech (2004), nr. 64, S. 589-604

Die autoren:

DIPL.-InG. nORBERT SCHRAMM ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter in der Fachgruppe „Berechnung, Simulation und Auslegung“ am Institut für Strukturleichtbau und Sportge-rätetechnik der TU Chemnitz. DIPL.-WIRT.-InG. JöRG KAUFMAnn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe „Berechnung, Simulation und Auslegung“ am Institut für Strukturleichtbau und Sportgerätetechnik der TU Chemnitz. PROF. DR.-InG. HABIL. LOTHAR KROLL ist Direktor des Instituts für Strukturleichtbau und Sportgerätetechnik der TU Chemnitz.Bild 8 inverse Reservefaktoren nach Bruchkriterien von Puck für die optimierte

laminatkonfiguration

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