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ENTWICKLUNG EINES NUMERISCHEN MENSCHMODELLS FÜR EIN DREI JAHRE ALTES KIND vorgelegt von Dipl.-Ing. Alexander Eisenach von der Fakultät V - Verkehrs- und Maschinensysteme der Technischen Universität Berlin zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Ingenieurwissenschaften - Dr.-Ing. – genehmigte Dissertation PROMOTIONSAUSSCHUSS: Vorsitzender: Prof. Dr.-Ing. Dietmar Göhlich Gutachter: Prof. Dr. rer. nat. Volker Schindler Gutachter: Dr.-Ing. Heiko Johannsen Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 10.02.2014 BERLIN 2014 D 83

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ENTWICKLUNG EINES NUMERISCHEN

MENSCHMODELLS FÜR EIN DREI JAHRE

ALTES KIND

vorgelegt von

Dipl.-Ing. Alexander Eisenach

von der Fakultät V - Verkehrs- und Maschinensysteme

der Technischen Universität Berlin

zur Erlangung des akademischen Grades

Doktor der Ingenieurwissenschaften

- Dr.-Ing. –

genehmigte Dissertation

PROMOTIONSAUSSCHUSS:

Vorsitzender: Prof. Dr.-Ing. Dietmar Göhlich

Gutachter: Prof. Dr. rer. nat. Volker Schindler

Gutachter: Dr.-Ing. Heiko Johannsen

Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft

Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 10.02.2014

BERLIN 2014

D 83

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ZUSAMMENFASSUNG

Bei Betrachtung des aktuellen Unfallgeschehens in Europa kann man feststellen, dass die

Sicherheit der Kinder als Insassen eines Fahrzeugs bereits ein hohes Niveau erreicht hat. Dennoch

bestehen noch viele Optimierungsmöglichkeiten, um die Sicherheit der Kinder weiter zu erhöhen.

Diese Aufgabe gestaltet sich weit schwieriger als die Optimierung der Insassenschutzsysteme für

erwachsene Fahrzeuginsassen. Die schnelle Entwicklung der Kinder, insbesondere die sich rasch

ändernden mechanischen Eigenschaften der Knochenstrukturen und vor allem die von Kind zu

Kind unterschiedliche Entwicklung, führt sowohl aus der Sicht der Gesetzgebung als auch aus der

Sicht des Entwicklers von Kinderschutzsystemen zu komplexen Aufgabenstellungen. Dabei

können numerische Menschmodelle wichtige Dienste leisten.

Die Hauptmotivation für die Entwicklung solcher Modelle ergibt sich aus der in einigen Fällen

nicht hinreichend genauen Biofidelität der Kinder-Crash-Test-Dummys. Die Dummys sind zwar zu

einem sehr wichtigen Werkzeug für die Unfallforschung geworden und sie werden auf absehbare

Zeit unverzichtbar bleiben, um jedoch noch genauere Analysen und noch bessere

Kinderschutzsysteme effizient entwickeln zu können, bedarf es neuer Werkzeuge. Eines davon sind

die Menschmodelle.

Das in dieser Arbeit entwickelte Modell basiert auf realen Geometriedaten eines drei Jahre alten

Kindes. Für die geometrische Zuordnung zu einem 50%-Perzentil wurde die Geometrie geringfügig

skaliert. Besonderes Augenmerk bei der Entwicklung dieses Modells lag auf der genauen

Abbildung der inneren Organe. Insbesondere im Kindesalter sind diese bei einem Fahrzeugaufprall

stärker gefährdet. Die Gründe hierfür sind einerseits die nicht komplett ausgebildeten

Knochenstrukturen und die im Vergleich zum erwachsenen Menschen unterschiedlichen

Körperproportionen.

Das Menschmodell beschreibt den Thorax und Abdominalbereich eines in einem generischen

Kinderschutzsystem sitzenden Kindes mit vereinfachten Extremitäten und einem vereinfachten

Kopf- und Halsbereich. Die Validierung des Modells erfolgt anhand von Ergebnissen aus

Leichenversuchen. Um sicherzustellen, dass die Ergebnisse aus den vorliegenden Erwachsenentests

den Kinderproportionen entsprechen, werden die Systemantworten entsprechend skaliert.

Mit Hilfe des fertigen Menschmodells lassen sich die Verletzungsrisiken im Falle eines Aufpralls

besser darstellen und abschätzen. Das Modell wird dazu beitragen können, die existierenden

Hardware-Dummy-Modelle noch weiter zu verbessern.

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V

ABSTRACT

Looking on the current road injury statics in Europe one can assume, that the child safety already

has achieved a rather high level. Still there are possibilities for optimisation. This task is more

complicated than improving the level of safety systems for adult passengers. The rapid growth of

children, especially the changing of the mechanical properties of bone tissue and the different

speeds of development compared child to child, leads from the view of legislation organisations

and the view of child restraint systems developers to complex tasks. Numerical human models can

simplify these tasks.

The main motivation for the development of these models is the in some cases not satisfactory

biofidelity properties of child crash test dummies. Although the dummies became an indispensable

tool for safety researchers, in order to perform even more complex and accurate analyses, new tools

have to be developed. One of these tools is the numeric human model.

The numerical model developed in this work is based on the geometry of a three year old child. For

the geometric adaptation to a 50th percentile the geometry was scaled. Special attention was paid on

the modelling of the inner organs. Especially at a young age the inner organs are more likely to be

injured in a car accident. The reasons for these are on the one hand the not fully developed bone

structures and, compared to an adult, different body proportions on the other hand.

The numeric human model describes the thoratic and abdominal area of a sitting child, the

extremities are simplified. The validation process was performed by comparing scaled adult post

mortem human subject test data.

With the help of the numeric human model the injury risks per body region can be estimated more

accurately. The model can also be useful in the improvement process of the existing hardware crash

test dummies.

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VII

DANKSAGUNG

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am

Fachgebiet Kraftfahrzeuge der TU Berlin.

Ich danke herzlich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. rer. nat. Volker Schindler, dem Leiter des

Fachgebiets Kraftfahrzeuge, der mit kritischen Diskussionen, vielen Freiräumen und Vertrauen in

meine Fähigkeiten zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Er hat meine Arbeit stets unterstützt

und durch seine wertvollen Kommentare sowie die sorgfältige Durchsicht außerordentlich

bereichert.

Dr.-Ing. Heiko Johannsen danke ich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Forschungsprojekt

CASPER, in dessen Rahmen die Arbeit entstanden ist. Seine Erfahrung, Unterstützung und

hilfreichen Empfehlungen vor allem in Hinblick auf die Zusammenarbeit in einem internationalen

Konsortium waren mir eine große Hilfe.

Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft, Leiter des Fachgebiets Medizintechnik,

der als weiterer Gutachter für diese Arbeit zur Verfügung steht. Prof. Dr.-Ing. Dietmar Göhlich,

Leiter des Fachgebiets Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik, danke ich für die

Übernahme des Prüfungsvorsitzes.

Weiterhin danke ich meinen Kollegen am Fachgebiet Kraftfahrzeuge für die freundliche und

kollegiale Zusammenarbeit sowie allen Studierenden, die mich im Rahmen von Diplom- und

Semesterarbeiten tatkräftig unterstützt haben.

Meiner Frau Alexandra danke ich von ganzem Herzen für die uneingeschränkte Unterstützung

während aller Entstehungsphasen dieser Arbeit, für die kritische Durchsicht, die zahlreichen

Verbesserungsideen und dafür, dass sie es geschafft hat, mich immer wieder neu zu motivieren.

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IX

INHALT

1 Motivation ................................................................................................................................... 1

1.1. Unfallgeschehen und dessen Entwicklung in den letzten Jahren ...................................... 2

1.2. Gefährdung von Kindern im Straßenverkehr als Insassen von Pkw ................................ 3

1.3. Fehlbenutzung von Kinderschutzsystemen ....................................................................... 4

2 Stand der Technik........................................................................................................................ 7

2.1 Die Q-Dummy Familie ......................................................................................................... 8

2.2 Übersicht numerische Menschmodelle ............................................................................... 13

2.2.1 Numerische Menschmodelle für Kinder..................................................................... 15

2.3 Verletzungsrisiko in Abhängigkeit von der Körperregion .................................................. 17

2.4 Verletzungsrisiko ................................................................................................................ 18

2.4.1 Brustverletzungen ....................................................................................................... 20

2.4.2 Abdominalverletzungen ............................................................................................. 21

2.4.3 Einflussfaktoren der Risikokurven ............................................................................. 21

2.5 Relevante Dummysensorik ................................................................................................. 23

2.5.1 Sensoren für den Brustbereich .................................................................................... 23

2.5.2 Sensoren für den Abdominalbereich .......................................................................... 26

2.5.2.1 APTS-Sensor .......................................................................................................... 26

2.5.2.2 FMS-Sensor ........................................................................................................... 27

2.5.2.3 Rouhana-Sensor ..................................................................................................... 31

3 Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells ................... 33

3.1 Gewinnung von Materialdaten aus PMHS .......................................................................... 33

3.2 Mechanische Eigenschaften menschlichen Gewebes in Abhängigkeit vom Alter ............. 35

3.3 Mechanische Definition von weichem Biogewebe ............................................................. 38

3.4 Materialdaten....................................................................................................................... 39

3.4.1 FE-Modelle für den Thorax ........................................................................................ 39

3.4.1.1 FE-Thorax-Modell von Ruan ................................................................................. 40

3.4.1.2 FE-Thorax-Modell von Kimpara ........................................................................... 41

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Inhalt

X

3.4.2 FE-Modelle für das Abdomen .................................................................................... 42

3.5 Problematik der wenig verfügbaren Kinderdaten................................................................ 44

3.6 Skalierung............................................................................................................................ 49

3.6.1 Geometrische Skalierung ............................................................................................ 49

3.6.2 Morphing .................................................................................................................... 51

3.6.3 Skalierung der Systemantworten ................................................................................ 52

3.6.4 Durch Skalierung entwickelte Kindermodelle ............................................................ 53

4 Geometriegrundlagen für das Menschmodell .......................................................................... 57

4.1 Unterschiede zur Anatomie des Erwachsenen und daraus resultierende

Verletzungsrisiken ........................................................................................................................ 57

4.2 Statistische Daten ................................................................................................................ 58

4.3 Das vorliegende PMHCS .................................................................................................... 59

4.4 Stellung der Wirbelsäule und ihre Bedeutung für die Unfallkinematik .............................. 61

4.5 Unterschiede in der Position des Dummys im Crash Test und von Kindern real

angenommenen Positionen ........................................................................................................... 62

5 Modellaufbau............................................................................................................................ 65

5.1 Vereinfachtes Menschmodell .............................................................................................. 65

5.2 Aufbereitung der Geometrie ................................................................................................ 66

5.3 Das Skelett........................................................................................................................... 68

5.4 Innere Organe ...................................................................................................................... 72

5.4.1 Die Lunge ................................................................................................................... 73

5.4.2 Das Herz ..................................................................................................................... 74

5.4.3 Die Leber .................................................................................................................... 76

5.4.4 Die Nieren .................................................................................................................. 77

5.4.5 Die Milz ...................................................................................................................... 77

5.4.6 Der Verdauungstrakt ................................................................................................... 78

5.4.7 Übriges Gewebe ......................................................................................................... 79

5.5 Extremitäten ........................................................................................................................ 80

5.6 Anpassung der Körperhaltung ............................................................................................. 80

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Inhalt

XI

6 Validation .................................................................................................................................. 83

6.1 Skaliergrößen ...................................................................................................................... 84

6.2 Lastfälle für die Validation des Menschmodells ................................................................. 86

6.2.1 Frontalaufprall ............................................................................................................ 86

6.2.2 Seitenaufprall .............................................................................................................. 88

6.3 Numerische Optimierung .................................................................................................... 89

6.4 Materialeigenschaften ......................................................................................................... 96

6.5 Messung der Abdominalbelastungen .................................................................................. 98

6.6 Vergleich von APTS- und FMS-Messergebnissen .......................................................... 100

6.6.1 Messung der Abdominalbelastungen in einer Simulation ........................................ 103

6.7 Durchführung einer Unfallrekonstruktion ......................................................................... 106

7 Zusammenfassung und Ausblick............................................................................................. 111

7.1 Ausblick ............................................................................................................................ 112

8 Quellenverzeichnis .................................................................................................................. 113

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1

1 MOTIVATION

Betrachtet man das aktuelle Unfallgeschehen in Europa, so kann man feststellen, dass die

Sicherheit der Kinder als Insassen eines Fahrzeugs ein hohes Niveau erreicht hat. Allerdings

besteht noch viel Optimierungsbedarf (im Hinblick auf Schutzsysteme, Testverfahren und

Testwerkzeuge), um die Sicherheit der Kinder auf einen vergleichbaren Level mit den

Erwachsenen Insassen zu bringen. Diese Aufgabe gestaltet sich weit schwieriger als die

Optimierung der Insassenschutzsysteme für erwachsene Fahrzeuginsassen. Die schnelle

Entwicklung der Kinder, die rapide wechselnden, mechanischen Eigenschaften der

Knochenstrukturen und vor allem die untereinander durchaus unterschiedliche Entwicklung führen

zu komplexen Aufgabenstellungen sowohl aus der Sicht der Gesetzgebung als auch aus der Sicht

des Entwicklers von Kinderschutzsystemen.

Die Kinderschutzsysteme werden kontinuierlich verbessert, neue gesetzliche und Verbrauchertests

mit immer strengeren Vorgaben werden eingeführt. Mittlerweile wird über Systeme wie

Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer speziell für Kinderrückhaltesysteme diskutiert. All dies soll

zur stetigen Verbesserung der Kindersicherheit beitragen. In den letzten 10 Jahren sank die Anzahl

der getöteten Kinder im Alter von 0-13 Jahren in Europa (EU-191) um ungefähr 50% (von 752 auf

374, Kirk et al., 2011).

Alle diese Optimierungsmaßnahmen werden mit speziell entwickelten Messwerkzeugen

durchgeführt, den Crash-Test-Dummys. In Europa verwendet man üblicherweise die P- und Q-

Dummy Familie, in Nordamerika verschiedene Derivate des H-III Dummys (siehe Kapitel 2).

Diese Werkzeuge sollen es erlauben, wiederholt sehr hohe Lasten in möglichst vielen

Körperregionen zu messen, ohne dabei beschädigt zu werden. Aus diesem Grund sind Dummys

sehr robust und teilweise sehr einfach aufgebaut, was tendenziell einen Widerspruch zu der

Anforderung an eine sehr gute Biofidelität, d.h. das Vermögen menschliche Eigenschaften

möglichst genau abzubilden, darstellt. Eine hohe Biofidelität wird jedoch benötigt, um komplexere

und bessere Schutzsysteme entwickeln zu können. Liefert der Dummy, ähnlich einer nicht

kalibrierten Waage, falsche Werte, besteht die Gefahr, das System in die falsche Richtung zu

optimieren.

Eine Möglichkeit, um Schwachstellen und Verbesserungspotenziale der heutigen Messwerkzeuge

aufzeigen zu können, ist die numerische Simulation. Rechnerisch lässt sich fast ein beliebiger

1 EU-19: EU Länder mit den verfügbaren detaillierten Unfallstatistiken der letzten 10 Jahre. (Belgien,

Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande,

Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechien und Großbritannien)

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1. Motivation

2

Komplexitätsgrad darstellen, das komplexeste Werkzeug zur Verbesserung der Sicherheit eines

Menschen in einem beliebigen System mit beliebigen äußeren Lasten ist die exakte Abbildung des

Menschen selbst. Das Ziel dieser Arbeit ist es, ein hinreichend genaues Modell eines Kindes in

einem Alter von drei Jahren aufzubauen, zu validieren und Potenzial zur Verbesserung der heute

verwendeten Kinder-Dummys aufzuzeigen.

1.1. UNFALLGESCHEHEN UND DESSEN ENTWICKLUNG IN DEN LETZTEN JAHREN

Während in den meisten EU-Ländern die Verletztenzahlen sowohl von Erwachsenen als auch von

Kindern als Insassen von Pkw stetig sinken, gibt es in einigen Ländern immer noch großen

Nachholbedarf. Jedoch existieren keine weltweiten Studien, welche die Anzahl der verletzten und

getöteten Kinder im Straßenverkehr einheitlich dokumentiert.

Nachfolgend werden einige Zahlen aus der Unfallstatistik in Europa genannt. Diese Arbeiten

wurden entweder von den CASPER2

-Partnern oder im Rahmen anderer europäischer

Forschungsprojekte durchgeführt.

Kirk [Kirk et al., 2012] führte eine detaillierte Analyse der CARE3-Datenbank in Bezug auf die

verletzen und getöteten Kinder als Insassen eines Fahrzeugs durch. Von insgesamt 896 getöteten

Kindern im Straßenverkehr (EU-234) entfallen 44% auf Fahrzeuginsassen. In den letzten 10 Jahren

sank die Anzahl der getöteten Kinder im Alter von 0-13 Jahren in Europa um ungefähr 50% (siehe

Abbildung 02). Die Auswertung legt nahe, dass die Reduktion der Todesopferzahl nicht speziell

auf Maßnahmen zur Verbesserung der Kindersicherheit zurückzuführen ist, sondern im Trend der

allgemeinen Sicherheitsentwicklung liegt.

2 CASPER: Child Advanced Safety Project for European Roads – Internationales, von der EU gefördertes

Forschungsprojekt mit dem Ziel der Verbesserung der Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr

3 CARE: Community Database on Accidents on the Roads in Europe - Datenbank aller Straßenverkehrs-

unfälle in Europa

4 EU-23: EU-19 mit zusätzlich: Estland, Litauen, Slowakei, Ungarn

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3

Abbildung 01: Verteilung der Anzahl der getöteten Kinder [Kirk, 2011]

Abbildung 02: Verlauf der Anzahl der getöteten Kinder von 1999 bis 2008 [Kirk, 2011]

1.2. GEFÄHRDUNG VON KINDERN IM STRAßENVERKEHR ALS INSASSEN VON

PKW

Kinder als Insassen von Fahrzeugen sind im Falle eines Unfalls besonders gefährdet. Ihr Körper ist

nicht vollständig ausgebildet und erreicht nicht die Robustheit eines Erwachsenen. Der Kopf ist im

Verhältnis zum Torso größer und schwerer, gleichzeitig sind die Knochenstrukturen sehr elastisch

und die stützende Muskulatur im Halsbereich ist nicht vollständig ausgebildet. Schäden,

insbesondere am Rückenmark im Bereich der Halswirbelsäule, können aus diesen Gründen bei

0.0%

0.5%

1.0%

1.5%

2.0%

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100

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300

400

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600

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1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Todesfälle mit

Kindern als Insassen

% aller Todesfälle

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1. Motivation

4

frontaler Belastung häufiger auftreten. Der Rippenkäfig im Brustkorb übernimmt die

Schutzfunktion der lebenswichtigen Organe, welche die Durchblutung des Körpers und die

Versorgung mit Sauerstoff sicherstellen. Bei einem Kind sind die Rippen im vorderen

Sternumbereich noch nicht als knöcherne Struktur ausgebildet und bieten somit nur wenig

Widerstand gegen Eindringung. Der Abdominalbereich des Kindes ist proportional größer als beim

Erwachsenen, zusätzlich sind einige innere Organe nicht in dem Maße vom Rippenkäfig geschützt,

wie später im Erwachsenenstadium. Das Becken des Kindes ist ebenfalls noch nicht vollständig

ausgebildet. Im Gegensatz zum Erwachsenen bieten die Hüftknochen bzw. der Beckenkamm wenig

Halt für den Beckengurt, welcher so bei einem Frontalaufprall auf das Abdomen abrutschen und

dort schwere Verletzungen verursachen könnte. Das Abrutschen des Beckengurtes vom

Beckenkamm kann bei einem Frontalaufprall zu Submarining5 führen. Auch die falsche Benutzung

der Rückhaltesysteme (Gurtlose6) oder eine falsche Sitzhaltung (die Wirbelsäule liegt nicht an der

Rückenlehne an, bzw. es besteht ein großer Abstand zwischen der unteren Rückenlehne und dem

Becken) können Submarining begünstigen.

Abbildung 03: Anatomie eines Neugeborenen (links) und eines Erwachsenen (rechts) Menschen

[Franklyn et al., 2007]

1.3. FEHLBENUTZUNG VON KINDERSCHUTZSYSTEMEN

Ein wichtiger Aspekt auf dem Gebiet der Kindersicherheit ist ein nach wie vor sehr hoher Anteil an

nicht richtig gesicherten Kindern im Fahrzeug. Die Fehlbenutzung (auch engl.: misuse) führt dazu,

5 Submarining: Ein Vorgang bei dem das Becken während einer Vorwärtsbewegung unter das Gurtband des

Beckengurts taucht und bei der das Gurtband schwere Abdominalverletzungen verursachen kann.

6 Gurtlose: Entsteht durch einen nicht straff angelegten Sicherheitsgurt.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

5

dass die Schutzwirkung der Kinderschutzsysteme (KSS) gemindert oder aufgehoben wird. Zu

solchen Fällen zählen beispielsweise falsch befestige Kindersitze, fehlerhaft angelegte Gurte oder

die Verwendung einer falschen Kindersitzgröße. Bei Misuse kann auch ein fortschrittliches

Schutzsystem nutzlos werden oder sogar das Verletzungsrisiko des Kindes erhöhen bzw. eines für

andere Insassen schaffen.

Es existieren einige Studien zur Erhebung der Fehlbenutzungsrate in Europa. Müller (Müller, 2013)

fasste europäische Studien mehrerer Jahre zusammen. Die Daten aus 2011 entstammen der

Erhebung im Rahmen des Forschungsprojektes CASPER. Dabei wurden Fahrer von Fahrzeugen in

den Städten Berlin, Lyon und Neapel beobachtet und befragt. Er kam zu dem Schluss, dass obwohl

die Anzahl der getöteten und schwerverletzten Kinder im Straßenverkehr über die Jahre gesunken

ist, sich die Fehlbenutzungsrate auf einem konstanten Niveau von ungefähr 60% befindet (siehe

Abbildung 06). Man muss an dieser Stelle zwischen leichten und schweren Misuse-Fällen

unterscheiden, auch wenn beide das Verletzungsrisiko bei einem Unfall erhöhen.

Abbildung 04: Vergleich der Einbauqualität mit älteren Feldstudien [Müller, 2013]

Die Auswertung der CASPER Feldstudie hat gezeigt, dass die Fehlbenutzung von Kindersitzen

nach wie vor ein weitverbreitetes und ernstzunehmendes Problem darstellt. Das Hauptproblem bei

der richtigen Benutzung von KSS liegt in der richtigen Führung des Fahrzeuggurts sowie der

generellen Sicherung des Kindersitzes im Fahrzeug. Beide Probleme ließen sich durch die Nutzung

von ISOFIX7-Sitzen beheben. Es zeigte sich allerdings, dass weniger als vier Prozent der

7 ISOFIX: Ein Befestigungssystem, welches den Kindersitz fest mit der an der Fahrzeugkarosserie ange-

brachten Haltern zwischen der Sitzfläche und der Rückenlehne verbindet

0

10

20

30

40

50

60

70

1997 2003 2006 2008 CASPER 2011

Pro

zen

t

Vergleich Einbauqualität

korrekt

Misuse

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1. Motivation

6

untersuchten Kindersitze mittels ISOFIX im Fahrzeug befestigt waren. Die Marktdurchdringung

dieses Systems ist äußerst gering [Müller, 2013].

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7

2 STAND DER TECHNIK

Die ersten Crashtest-Dummys entstanden in den 40er Jahren,

als das Automobil bereits zum Bestandteil des öffentlichen

Lebens gehörte. Mangels Auslegung der Fahrzeuge auf

Crashsicherheit und Insassenschutz war die Todesrate im

öffentlichen Verkehr zu dieser Zeit viel höher als es heute der

Fall ist, trotz der heutzutage viel höheren Verkehrsdichte. Der

erste Dummy wurde allerdings nicht für die

Automobilindustrie entwickelt, sondern im Auftrag der US-

amerikanischen Luftwaffe. Der Dummy wurde von „Sierra

Engineering Co.“ entwickelt und sollte den Forschern helfen,

Schleudersitze für Flugzeuge zu entwickeln. Das Skelett des

Dummys bestand aus laminiertem Kunststoff, Glasfasern und

Gelenken aus Stahl. Die Außenhaut bestand aus

Polyvinylchlorid. Die Gelenke konnten in der Steifigkeit

verstellt werden, der Dummy entsprach einem 95%-Perzentil8

des damaligen Bevölkerungsschnitts.

In den 50er Jahren folgten weitere Dummy-Modelle, welche

nun auch in der Automobilindustrie ihre Verwendung fanden.

Der Automobilkonzern General Motors (GM) entwickelte

zusammen mit SAE9 ein eigenes Modell, da keines der auf

dem Markt verfügbaren den Qualitätsanforderungen

entsprach. So entstand der Hybrid I-Dummy. Im Jahr 1973 folgte dann der verbesserte Hybrid II

und schließlich 1976 der Hybrid III, der bis heute weitverbreitetste Crashtest-Dummy.

Mittlerweile existieren mehrere Varianten des ursprünglichen Hybrid III, verschiedene Perzentile

beider Geschlechter, darunter auch drei Hybrid III-Kindermodelle, welche die Altersstufen drei,

sechs und zehn Jahre darstellen.

8 Perzentil: Ein Prozentrang. Ein 95%-Perzentil ist grösser und schwerer als 95% der betrachteten

Bevölkerungsgruppe.

9 SAE: Society of Automotive Engineers: Verband der Automobilingenieure, eine gemeinnützige

Organisation für Technik und Wissenschaft, welche 1905 gegründet wurde.

Abbildung 05: Sierra Sam Dummy

[NSA; 2011]

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2. Stand der Technik

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2.1 DIE Q-DUMMY FAMILIE

Das Standardwerkzeug der Unfallforscher in Bezug auf die Kindersicherheit im europäischen

Raum ist die Q-Dummy-Familie. Die Q-Dummys haben die zuvor als Standard geltenden P-

Dummys abgelöst. Sie sind sowohl in der Biofidelität als auch aus der Sicht der Anthropometrie

das aktuellste Crashwerkzeug. Die Entwicklung begann in den Neunzigern, durchgeführt von der

CDWG10

und wurde teilweise im europäischen Forschungsprojekt CREST11

weitergeführt. In 2013

werden Q-Dummys erstmalig in jedem Crashtest der Verbraucherschutzorganisation EuroNCAP

eingesetzt werden12

.

Abbildung 06: Die Q-Dummy-Familie, bestehend aus: Q1.5, Q3, Q0, Q6 und Q1 [EEVC; 2008]

Der erste entwickelte Q-Dummy war ein Q3, ein Dummy der ein dreijähriges Kind repräsentiert.

Ihm folgten in den darauffolgenden Jahren die Altersstufen Q0, Q1, Q1.5 und Q6. Der letzte und

der neueste Repräsentant der Q-Dummy Familie ist ein Q10 Dummy.

10 CDWG: Child Dummy Working Group – internationaler Zusammenschluss von Kindersicherheitsexperten

bestehend aus Vertretern der Forschung, Kindersitzherstellern, Dummyentwicklern und OEMs

11 CREST: Child Restraint Systems; FP5 EC Forschungsprojekt, 1996-2000

12 Ein Q3- und ein Q1.5-Dummy jeweils auf der Rückbank des getesteten Fahrzeugs, ab 2015 zusätzlich mit

Q6- und Q10-Dummys.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

9

Die Q-Dummys sind sowohl für Frontal- als auch für Seitenaufprallszenarien einsetzbar. Die

Instrumentierung ist so ausgelegt, dass sie je nach Anforderung auf die jeweilige Crashrichtung

ausgerichtet werden kann. Gemessen werden Beschleunigungen, Momente, Kräfte und

Eindrückungen in den wichtigsten Bereichen des Dummys. Einen serienreifen Sensor zur Messung

des Abdominal-Verletzungsrisikos gibt es nicht, jedoch existieren hierzu mehrere seriennahe

Prototypen.

13

Abbildung 07: Q-Dummy-Standardinstrumentierung, Q1.5 (kann je nach Modell variieren) [EEVC,

2008]

Das Design des Q1, Q1.5, Q3 und Q6 ist vergleichbar. Der Kopf und das Schlüsselbein sind aus

Kunststoff. Die Hals- und die Lendenwirbelsäule bestehen aus einer Kombination von Metall und

Gummibauteilen, welche Biegung und Scherung in alle Richtungen erlauben. Die Brustwirbelsäule

ist fest und der Brustkorb deformierbar. Das Abdomen besteht aus einem mit einer PVC-Haut

ummantelten Schaumeinsatz, welcher zwischen Brustkorb und Becken positioniert wird. Die

Beckenknochen sind durch eine Metallkonstruktion abgebildet. Die Extremitäten werden durch

eine Kombination aus Kunstsoffen und Metall dargestellt [EEVC, 2008].

13 Messwerte Q-Dummy Übersetzung (von oben nach unten): Kopf-Winkelgeschwindigkeit, Kopfbeschleu-

nigung, Kraft- / Momentmessung in der Halswirbelsäule, Thorax Beschleunigung, Brustbeschleunigung,

Brusteindrückung, Kraft- / Momentmessung in der Lendenwirbelsäule, Beckenbeschleunigung

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2. Stand der Technik

10

Die anthropometrischen Daten für die Entwicklung der Q-Dummys sind der CANDAT14

-

Datenbank entnommen. Für die Validation der Q-Dummys standen, wie auch in dieser Arbeit,

keine direkten biomechanischen Daten von Kinderkörpern zur Verfügung. Aus diesem Grund

wurde auf die Testergebnisse von Versuchen mit den Leichen Erwachsener zurückgegriffen. Die

Ergebnisse wurden im Anschluss auf das Kinderniveau skaliert. Die Zielvorgabe der Entwicklung

war das realitätsnahe, biofidele Verhalten vom Kopf, Hals, Brust und Bauchbereich im Frontal und

Seitenaufprall. Einige Validationsergebnisse werden in den nachfolgenden Abbildungen

dargestellt.

Abbildung 08: Q3-Referenztest, Validation der Halswirbelsäule, Halsmoment über Biegewinkel

[EEVC, 2008]

Abbildung 08 zeigt die Ergebnisse der Validation der Halswirbelsäule des Q3-Dummys. Dabei

wird der Kopf, bzw. eine Ersatzmasse für den Kopf mit dem Hals an einem Pendel befestigt,

welches gegen eine deformierbare Wabenstruktur prallt. Der Kopf/Hals-Bereich hat dabei keinen

Kontakt zu anderen Bauteilen. Die Last resultiert aus der Massenträgheit des Kopfes und des

Halsbereichs, während das Pendel abgebremst wird. Dieser Test soll einen Frontalaufprall

simulieren, bei dem der Oberkörper des Insassen durch das Gurtsystem festgehalten wird. Der

Bereich der Biofidelität ist durch die stückweise geraden Linienzüge gekennzeichnet.

14 CANDAT: Child Anthropometry Database. Eine Datenbank mit anthropometrischen Daten von Kindern,

aufgenommen in verschiedenen Regionen der USA, Europa und Japan.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

11

Abbildung 09: Q3-Referenztest, Validation des Brustbereichs, Kraft über Brusteindrückung [EEVC,

2008]

Der Frontalaufprall wird mittels eines Pendels simuliert, das mit einer konstanten Geschwindigkeit

den Thorax trifft. Der Dummy wird dabei horizontal nicht festgehalten und ist aufrecht sitzend auf

einer starren Platte positioniert. Der runde Impaktor simuliert dabei eigentlich keine

fahrzeugtypische Last auf den Oberkörper, höchstens der Aufprall des Abdomens auf das Lenkrad

kann damit verglichen werden. Dieser Lastfall ist für Kinder nicht relevant, da diese immer mit

einem Gurtsystem gesichert werden und kein Lenkrad vor sich haben. Das Eindringen einer festen

Struktur in den Oberkörper ist daher unwahrscheinlich.

Der Lastfall gilt jedoch trotzdem als Quasi-Standard bei der Auslegung von anthropometrischen

Testobjekten. Die Daten wurden einer Testreihe mit PMHS15

entnommen, welche in den 70er

Jahren von Kroell durchgeführt wurde [Kroellet et al., 1971]. Die Testreihe bestand aus 14 PMHS

im Alter von 19 bis 81 Jahren, als Aufprallstelle wurde der frontale und der transversale

Mittelpunkt des Sternums16

definiert. Die Ergebnisse dieser Tests waren unter anderem Kraft-Weg-

Kennungen für den Oberkörper, welche in skalierter Form auch für Kinder gültig sind. Diese Tests

sind auch Grundlage für die Validation des in dieser Arbeit entwickelten Kindermodells.

15 PMHS: Post Mortem Human Subject; ein menschlicher Körper / eine Leiche als Versuchsobjekt

16 Sternum: lat. für Brustbein

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2. Stand der Technik

12

Wie in Abbildung 09 zu sehen, ist die Steifigkeit des Dummys höher als das Zielniveau aus den

Leichenversuchen. Eine mögliche Ursache ist die Tatsache, dass der Q3-Dummy im Thoraxbereich

eine steife Wirbelsäule hat. So wird die Aufprallenergie allein von den Rippen aufgenommen. Bei

einem Menschen hingegen wird ein Teil der Deformationsenergie durch die Verformung in der

Wirbelsäule abgebaut. Der Einfluss dieser Diskrepanz auf die ermittelte Verletzungs-

wahrscheinlichkeit zwischen den mit Hilfe des Dummys ermittelten Verletzungskriterien und den

realen Verletzungswahrscheinlichkeiten könnte mit Hilfe eines validierten Menschmodells

untersucht werden.

Abbildung 10: Ergebnisse aus Leichenversuchen, Frontalaufprall Thorax, Kraft über Weg [Kroell et

al., 1971]

Abbildung 11 stellt den Kraft-Weg Korridor für den Abdominaltest dar. Die Last wird über ein

Gurtband aufgebracht, welches in gespanntem Zustand geführt auf den Abdominalblock des

Dummys aufprallt. Die entsprechenden Tests wurden von Rouhana an lebenden Schweinen

durchgeführt [Rouhana, 1989]. Der Abdominalbereich der Schweine ist dem des menschlichen

Körpers sehr ähnlich, vor allem hinsichtlich der Größenverhältnisse der einzelnen inneren Organe

zueinander.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

13

Abbildung 11: Q3-Referenztest, Validation des Bauchbereichs, Kraft über Baucheindrückung [EEVC,

2008]

Der Abdominalbereich der Q-Dummys ist sehr einfach gestaltet, was der Reduktion der Kosten,

der Komplexität und der Reparaturanfälligkeit und somit insgesamt der Effizienz der Dummys als

Testobjekt zugutekommt. Auf der anderen Seite stellt dieses Design die Forscher vor die

schwierige Aufgabe, verlässliche Messinstrumente in diesem Bereich zu gestalten. Hinzu kommt

das Fehlen von ausführlichen Tests an PMHS als Basis für die Validation des Abdominalbereichs.

Wie in Abbildung 11 zu sehen, stellt der Korridor eine progressive Kraft-Weg Kennung dar,

während der reale Abdominalblock im Test einen linearen Verlauf beschreibt. Dies ist ein weiterer

Kritikpunkt an der Auslegung des Dummy Abdominalbereichs.

2.2 ÜBERSICHT NUMERISCHE MENSCHMODELLE

Die ersten numerischen oder mathematischen Menschmodelle im Bereich der Insassensicherheit

wurden in den 70er Jahren entwickelt [Prasad, 1993]. Die Beschreibung des Menschen beschränkte

sich dabei auf einen Satz von hintereinander geschalteten Federn und Dämpfern zur Simulation der

Verformung, bzw. auf eine Reihe starrer Körper mit definierten Gelenksteifigkeiten und -freiheiten

zur Simulation der Bewegung des Insassen bei einem möglichen Aufprall.

In den 90er Jahren gab es eine Reihe von Entwicklungen von FE-Menschmodellen, welche mehr

oder weniger gut den menschlichen Körper abbildeten bzw. auf einzelne Lastfälle validiert waren.

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2. Stand der Technik

14

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind es Arbeiten von Plank & Eppinger (1989), Huang (1994),

Wang (1995) und Iwamoto (2000).

Hervorzuheben sind die Menschmodelle THUMS17

[Furusu et al., 2001] und HUMOS18

[Thollon et

al., 2002], welche bis zum jetzigen Zeitpunkt in der jeweiligen letzten Entwicklungsstufe die am

weitesten entwickelten Menschmodelle für den Erwachsenenkörper darstellen.

Abbildung 12: THUMS-Menschmodell, Insassen- und Fußgängerversion, Darstellung der inneren

Organe [Dynamore, 2012]

Im Verlauf der letzten 10 Jahre wurden die beiden Modelle kontinuierlich optimiert und verfeinert.

Es existieren verschiedene Perzentilgrößen (welche mittels Skalierung abgeleitet wurden), Männer-

und Frauenmodelle sowie Insassen- und Fußgängermodelle. Ausgehend von diesen

Menschmodellen wurden auch Anstrengungen unternommen, mittels Skalierung numerische

Modelle für Kinder zu entwickeln.

Eine Sonderstellung nimmt das GHBMC19

Menschmodell ein. Das GHBMC Konsortium

entwickelt sehr detaillierte numerische Modelle, welche Erwachsene in unterschiedlichen

Perzentilabstufungen repräsentieren. Die Pläne des Konsortiums sind ambitioniert und die

bisherigen Forschungsergebnisse lassen auf einen hohen Qualitätsgrad der Modelle schliessen.

17 THUMS: Total Human Model for Safety, entwickelt seit 1997 von Toyota Inc.

18 HUMOS: Human Model for Safety, entwickelt seit 2001 von einem europäischen Zusammenschluss an

Fahrzeugherstellern, Zulieferern, Universitäten und staatlichen Forschungseinrichtungen.

19 GHBMC: Global Human Body Models Consortium, vorwiegend Nordamerikanischer Zusammenschluss

aus Fahrzeugherstellern und Forschungseinrichtungen.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

15

Geplant ist auch die Entwicklung von Menschmodellen für Kinder verschiedener Altersstufen

[Combest, J., 2013].

2.2.1 NUMERISCHE MENSCHMODELLE FÜR KINDER

Es existieren bereits einige numerische Menschmodelle, welche Kinder verschiedener Altersstufen

abbilden. Die meisten von ihnen entstanden allerdings aus bereits vorhandenen

Erwachsenenmodellen mittels Skalierung. Die Proportionen von verschiedenen Körperbereichen,

insbesondere vom Kopf zum Körper, ändern sich sehr stark im Laufe der Entwicklung des Kindes.

Daher ist eine Größenskalierung vom Erwachsenen- zum Kindermodell sehr komplex und der eher

weniger geeignete Weg, ein neues Menschmodell zu entwickeln. In der nachfolgenden Tabelle sind

fundamentale Unterschiede (sowohl aus geometrischen als auch aus biomechanischen

Gesichtspunkten) zusammengefasst, die gegen eine Skalierung sprechen.

Tabelle 01: Unterschiede zwischen Erwachsenen- und Kinderkörpern [Ciglaric, 2007]

Eine ausführliche Zusammenfassung der Unterschiede wurde von Klinich [Klinich et al., 1996]

aufgestellt, einige weitere Merkmale aus ihrer Veröffentlichung sind in der nachfolgenden Liste

zusammengefasst:

• unterschiedliche Proportionen der Kopfgesamtmasse

• nicht vollständig ausgebildete Halswirbel bis zu einem Alter von 4-6 Jahren (C1

und C2 Wirbel20

)

20 C1, C2 Wirbel: auch Atlas und Axis Wirbel genannt. Sie bilden die ersten Halswirbel und zusammen die

Kopfgelenke mit der tragenden und der bewegungsführenden Funktion.

Körperregion Fundamentale Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen

Extremitäten

Physiologie

Knochen sind stärker deformierbar

Knorpel können mehr Energie absorbieren

Gelenke sind elastischer

Becken

Physis (drei getrennte, mit Knorpelgewebe zusammengehaltene Bereiche)

Knochen sind stärker deformierbar

Knorpel können mehr Energie absorbieren

Gelenke sind elastischer

Brustkorb

Torsoproportionen und Brustkorbgeometrie

Verhältnis zwischen Knochen und Knorpelstrukturen im Brustkorb

Knochen sind stärker deformierbar

Knorpel können mehr Energie absorbieren

Schädel

Schädelplatten verändern sich mit dem Alter, bis sie schließlich

zusammenwachsen

Knochen sind stärker deformierbar

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2. Stand der Technik

16

• Leber und Milz sind nicht vom Rippenkäfig geschützt

• Iliac crest21

nicht vollständig entwickelt, bis zu einem Alter von 10 Jahren

Aus den oben genannten Gründen und nach Betrachtung der genauen zeitlichen Veränderung der

Wachstumsphase und Entwicklung der einzelnen Organe kommt eine Skalierung eines

Erwachsenenmodells für das in dieser Arbeit gesetzte Ziel nicht in Frage. Es wird allgemein davon

ausgegangen, dass die Altersstufe sechs Jahre die untere Grenze für eine Skalierbarkeit vom

Erwachsenen zum Kind darstellt.

21 Iliac Crest: Beckenkamm, vorderer oberer Bereich des Beckenknochens, bietet Schutz für die unteren

Abdominalorgane und bei den Erwachsenen Halt für den Beckengurt

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

17

2.3 VERLETZUNGSRISIKO IN ABHÄNGIGKEIT VON DER KÖRPERREGION

Bei der Entwicklung des numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind (im

Nachfolgenden Abgekürzt durch: 3JAMM22

) standen die Anforderungen an das Modell relativ früh

in der Entwicklungsphase fest bzw. wurden in Zusammenarbeit mit den Forschungspartnern des

CASPER Projekts festgelegt. Neben den mathematischen Anforderungen wie z.B. minimal

zulässiger Zeitschrittweite sollte der spätere Anwender mit diesem Modell dazu fähig sein, Lasten

in den Bereichen mit besonders hohem Verletzungsrisiko im Frontal- und Seitenaufprall ermitteln

zu können.

Folgende Verletzungsmuster sind für den Torso eines drei Jahre alten Kinds als Insasse eines

Kraftfahrzeugs relevant:

Tabelle 02: Erwartete Verletzungsmuster

Es wurde festgelegt, dass folgende innere Organe als eigenständige Organe modelliert werden:

Lungen

Herz

Leber

Nieren

Milz

Die Festlegung nur auf diese Organe beruht auf der Tatsache, dass es sich hierbei um kompakte

oder nahezu kompakte Organe handelt, während z.B. der Magen und der Verdauungstrakt hohle

Organe darstellen. Nach der Analyse der CHILD23

Datenbank wurde deutlich, dass schwere

Verletzungen bei Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren besonders häufig in den kompakten

Organen des Abdominalbereichs, sowohl beim Frontal- als auch Seitenaufprall, auftreten.

22 3JAMM: drei Jahre altes Menschmodell

23 CHILD: Advanced methods for improved Child Safety, EC FP6 Forschungsprojekt 2003 - 2006

Bereich Verletzungsmuster

Thorax Organverletzungen ohne Rippenbrüche

Abdomen Verletzungen der weichen Organe (Leber, Milz und Nieren) durch das Eindringen

des Beckengurts oder gurtführender Bauteile in den Bauchbereich

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2. Stand der Technik

18

Tabelle 03: Besonders gefährdete Körperregionen; Frontalaufprall [CASPER, 2009]

Alter Kopf Hals Brust Abdomen Becken Arme Beine

3 Jahre

6 Jahre

10 Jahre

Verletzungs-

muster

Schädel und

Hirn-

verletzungen

Gehirner-

schütterung,

Schädelhirn-

trauma

und

Subdural-

hämatoma

Verletzungen

der Wirbel C1

bis C4. Mit

zunehm. Alter

Brüche.; des

weiteren

Halswirbel-

Verrenkungen

(m. u. o.

Verletzungen

des Rücken-

marks)

1-3j. Organ-

verletzungen

ohne Rippen-

brüche

6-10j. Organ-

verletzungen

mit Rippen-

brüchen

Verletzungen

der Organe

(Leber,

Nieren und

Milz) durch

Gurtpene-

tration

(Submarining

und OoP)

Keine

schweren

Verletzungen

beobachtet.

Detailliertes

Becken-

modell

dennoch

notwendig f.

weitere

Analysen

Knochen-

brüche,

insbesondere

in der

Rebound-

phase, wenig

Daten

verfügbar

Knochen-

brüche,

insbesondere

in der

Rebound-

phase, wenig

Daten

verfügbar

Tabelle 04: Besonders gefährdete Körperregionen; Seitenaufprall [CASPER, 2009]

Keine schweren Verletzungen

Hohes Verletzungsrisiko / Verletzungsschwere

Keine ausreichende Information verfügbar

2.4 VERLETZUNGSRISIKO

Die breite Streuung in der Bevölkerung in Bezug auf die Massen und Größen der menschlichen

Körper macht es unmöglich, eine Verletzung bei einer gegebenen Last exakt vorauszubestimmen.

Außerdem lassen sich physikalisch messbare Größen, welche beispielsweise mit einem Dummy

ermittelt werden, nicht direkt in eine Verletzungsschwere umrechnen. Stattdessen bedient man sich

statistischer Tools und stellt Risikokurven für eine bestimmte Verletzungsschwere, im Allgemeinen

nach der AIS24

Skala, auf. Diese Verletzungsskala beinhaltet klassifizierte Überlebens-

24 AIS: Abbreviated Injury Scale: Vereinfachte Verletzungsskala, eine Bewertungsskala für die Letalität von

Einzelverletzungen.

Alter Kopf Hals Brust Abdomen Becken Arme Beine

3 Jahre

6 Jahre

10 Jahre

Verletzungs-

muster

Schädel und

Hirn-

verletzungen

Gehirner-

schütterung,

Schädelhirn-

trauma

und

Subdural-

hämatoma

Unklar,

Verletzungen

treten

zusammen

mit

Kopfverletzu

ngen auf

1-3j. Organ-

verletzungen

ohne Rippen-

brüche

6-10j. Organ-

verletzungen

mit Rippen-

brüchen

Verletzungen

der weichen

Organe durch

CRS- oder

Tür- Seiten-

struktur

Geringes

Verletzungs-

risiko laut der

vorliegenden

Statistik.

Knochen-

brüche im

Schulter und

Oberarm-

bereich

durch

Penetration

der Seiten-

struktur

Knochen-

brüche im

Schienbein

und

Oberschen-

kelknochen

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

19

wahrscheinlichkeiten für alle Verletzungsmuster. Bei realen Verletzungen im Straßenverkehr

ermitteln die Rettungskräfte bzw. das behandelnde ärztliche Personal die aufgetretenen

Verletzungsschweren. Sofern der Unfallhergang genau bekannt ist, kann er in einem Labor mit den

zu den Insassen passenden Crashdummys nachgestellt werden. So können die gemessenen

Dummywerte mit dem realen Unfall verknüpft werden. Ist eine statistisch relevante Anzahl an

Unfallrekonstruktionen gegeben, kann mit den ermittelten Werten mittels statistischer

Regressionsanalyse25

die Kurve für das Risiko des Erleidens einer bestimmten Verletzungsschwere

in Abhängigkeit von den Messgrößen aufgestellt werden. Eine statistisch genügend große Anzahl

an Fällen ist nötig, da jede Person eine unterschiedliche Toleranzgrenze gegenüber Verletzungen

hat. Idealerweise ist die Verteilung der biomechanischen Toleranzgrenzen eine Gaußkurve; ist die

Anzahl der betrachteten Fälle zu gering, gibt die binär logistische Regressionsrechnung keine

statistisch validen Risikokurven aus.

Tabelle 05: AIS-Verletzungsschweregrade [AAAM, 1998, Johannsen, 2006]

25 Statistische Regressionsanalyse: Ein statistisches Verfahren mit dem Ziel, Zusammenhänge zwischen zwei

oder mehreren Variablen zu identifizieren und Prognosen für die Veränderung dieser Variablen aufstellen zu

können.

26 Subkapsulär: unter einer Organkapsel gelegen

27 Parenchymale Destruktion: Zerstörung des organcharakteristischen Gewebes

AIS Schweregrad Beispielverletzungen (Abdominalbereich)

1 Gering Hautabschürfung oder -Prellung

2 Mäßig Große Platzwunde; einfacher Leberkapselriss

3 Schwer, nicht lebensgefährlich Dickdarmdurchbruch; Subkapsuläre26

Kontusion

4 Bedeutend, lebensgefährlich,

Überleben wahrscheinlich

Durchdringung der Blase; parenchymale Destruktion27

der

Leber < 75% der Leberlappen

5 Kritisch, Überleben unsicher Nierenriss mit vollständiger Zerstörung des Organs

6 Maximal, als praktisch nicht

überlebbar gewertet Abriss der Leber, vollständige Trennung aller Gefäße

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2. Stand der Technik

20

Eine beispielhafte Verteilung der Verletzungsrisikokurven ist in Abbildung 13 dargestellt.

Demnach führt eine Belastung (hier: des Kopfes) mit einem gemessenen HIC28

Wert von 1000 in

90% der Fälle zu einer AIS2 und in knapp über 50% der Fälle zu einer AIS3 Verletzung.

Abbildung 13 Verletzungsrisikokurven, Prozentuales Risiko über HIC Wert [Hayes, 2007]

2.4.1 BRUSTVERLETZUNGEN

Die Verletzungen im Brustbereich sind meist die Folge von Intrusion von Fahrzeugkomponenten

wie z.B. dem Lenkrad bei einem Frontalaufprall (nicht relevant für Kinder) oder der Seitenteile

(Türverkleidung, Seitenteile vom Kindersitz) in einem Seitenaufprall. Durch zu starke Rückhaltung

durch den Gurt können insbesondere bei älteren Menschen Rippenbrüche entstehen, da bei ihnen

die Elastizität der Knochen bereits abgebaut hat oder das Knochengewebe durch Krankheiten wie

Osteoporose geschwächt ist. Bei einem drei Jahre alten Kind sind die Knochenstrukturen noch sehr

elastisch, daher wird hier nicht mit Rippenfrakturen gerechnet. Diese Aussage wird durch die in

Kapitel 2.3 genannten Quellen gestützt.

Beim Thorax wird zwischen drei verschiedenen Verletzungsmechanismen unterschieden

[Schmitt, 2010]:

Belastung durch Kompression

Belastung, die durch viskoses Materialverhalten charakterisiert werden kann

Belastung der inneren Organe durch Trägheit

28 HIC: Head Injury Criterion, ein Kriterium zur Bewertung von Kopfverletzungen, basierend auf dem im

Kopf aufgetretenem linearen Beschleunigungsverlauf

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21

Die Art und Weise wie diese Belastungen zu Verletzungen der einzelnen Organe führen können ist

Unterschiedlich und ist Abhängig vom Organtyp. Eine entsprechende Übersicht ist in dem Kapitel

5.4 gegeben.

Auf der Dummy-Seite sind von der EEVC die nachfolgenden Grenzwerte für den Thorax

vorgeschlagen worden.

Tabelle 06 Vorgeschlagene Grenzwerte für einen Q3 Dummy [EEVC, 2008]

Belastung Grenzwert29

Brustbeschleunigung a3ms30

55g

Brusteindrückung 36mm

2.4.2 ABDOMINALVERLETZUNGEN

Prinzipiell sind Abdominalverletzungen hinsichtlich der Verletzungsmechanismen und

Verletzungsmuster vergleichbar mit denen des Thorax. Beim Abdomen kommt erschwerend hinzu,

dass er keine schützenden Strukturen wie den Rippenkäfig besitzt. Das Abdomen wird in der

Transversalebene von unten durch die Beckenknochen und in der Frontalebene von hinten durch

die Wirbelsäule und die massiven Muskelstränge am Rücken geschützt. Die Vielzahl und die

unterschiedlichen Anbindungen der inneren Organe des Abdomens führen ebenfalls zu einer

komplexen Problemstellung.

Eine Übersicht der Verletzungsmöglichkeiten der einzelnen Organe ist im Kapitel 5.4 gegeben.

2.4.3 EINFLUSSFAKTOREN DER RISIKOKURVEN

Die in Kapitel 2.4 beschriebenen Risikokurven sollten insbesondere dann kritisch betrachtet

werden, wenn die Fallzahl für die Berechnung wie im Fall der Verletzungen von Kindern gering

ist. Praxl [Praxl, 2011] führte eine Untersuchung zur Verlässlichkeit der Risikokurven durch. Er

zeigt, dass folgende Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf die berechnete Risikoverteilung

haben können:

Sampling: die Ungenauigkeit der statistische Verteilung der untersuchten Fälle

29 Grenzwert: In diesem Kontext eine Belastung, bei welcher eine 50 prozentige Chance besteht, dabei eine

MAIS3+ Verletzung zu erleiden.

30 a3ms: Ein Grenzwert für Beschleunigung, gemessen in g (9,806 m/s²), der über eine Dauer von 3

Millisekunden bestimmt wird

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2. Stand der Technik

22

"Zensur" der Daten: Das Setzen von falschen oder ungenügenden Toleranzgrenzwerten, so

dass einige Punkte sich über / unter der Toleranzgrenze befinden.

Testschwere: Eine der Realität nicht entsprechende Testschwere (in diesem Kontext der

PMHS Tests) führt zur Ungenauigkeiten außerhalb dieser Testschwere.

statistisches Modell: Die Wahl der Berechnungsmethode für die Ermittlung der

Risikokurven kann das Ergebnis ebenfalls beeinflussen.

Nach dem Abschluss des CASPER-Projekts standen insgesamt 136 mit Dummys vollständig

rekonstruierte reale Unfälle und 87 Schlittenversuche zur Verfügung [Johannsen et al., 2012].

„Vollständig rekonstruierter Unfall“ beschreibt in diesem Zusammenhang die Nachstellung eines

realen Verkehrsunfalls, in welchem auch Kinder Verletzungen erlitten haben. Die Unfälle werden

exakt nachkonstruiert (exakte Fahrzeugmodelle, Geschwindigkeiten, Auftreffwinkel), die

Belastungswerte werden mit Hilfe von Dummys gemessen. In einem Schlittenversuch wird

dagegen nur ein Teilaspekt des Unfalls rekonstruiert. Vorausgesetzt der abstrahierte Teil des

Unfalls ist für die zugrundeliegende Untersuchung hinreichend genau, sind die Ergebnisse dieser

Untersuchungen denen aus vollständiger Rekonstruktion gleichzusetzen.

Die 136 Rekonstruktionen beinhalten Unfälle mit allen untersuchten Altersklassen (Q0, Q1, Q1.5,

Q3, Q6) in Frontal- und Seitenaufprallkonfiguration, wovon 30 Rekonstruktionen mit einem Q3

Dummy sind. Unterteilt man diese Fälle auf die Körperbereiche, in denen die Verletzungen

aufgetreten sind sowie die Schwere der Verletzungen und die Belastungsrichtung, so wird die

Anzahl der für die Regressionsrechnung zur Verfügung stehenden Fälle sehr gering.

Abbildung 14 Errechnete AIS Verteilung für Abdominalbelastungen als Funktion des

Abdominaldrucks, Rekonstruktionen mit einem Q3 (blau) und Q6 (orange) Dummy, Q6 Werte

skaliert [Johannsen, 2012]

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23

2.5 RELEVANTE DUMMYSENSORIK

Die Betrachtung der Sensorik der verwendeten Dummymodelle ist insofern wichtig, als dass die

Messwerte später mit den Messwerten des Menschmodells vergleichbar sein sollten. Es ist davon

auszugehen, dass nicht jede Sensorart in einem Simulationsmodell direkt nachempfunden werden

soll. Vielmehr geht es bei dieser Betrachtung um die grundlegenden Messprinzipien um ein

allgemeines Verständnis der Dummymesstechnik zu schaffen. Die nachfolgende Übersicht der

Dummysensorik in den betrachteten Bereichen stellt indirekt auch die Anforderungen an das

Menschmodell bezüglich der zu implementierenden Signalaufnehmer dar.

2.5.1 SENSOREN FÜR DEN BRUSTBEREICH

In Abschnitt 2.4.1 wurden die Verletzungsmechanismen beschrieben, welche im Brustbereich

wirken. Die die Belastung beschreibenden physikalischen Größen sind Kompression bzw.

Eindringtiefe, Kompressionsgeschwindigkeit und Beschleunigung. Die Eindringtiefe und die

Brustbeschleunigung werden im Dummy direkt gemessen, für die Effekte der Viskosität kann

zusätzlich die Eindringgeschwindigkeit aus dem zeitlichen Verlauf der Eindringtiefe errechnet

werden.

Die Messung der Beschleunigung an einem bestimmten Punkt erfolgt direkt mittels entsprechender

Beschleunigungssensoren. Der Sensor misst die Beschleunigung indem die auf eine Prüfmasse

wirkende Trägheitskraft bestimmt wird. Diese Technik ist sehr weit verbreitet und hoch entwickelt.

Heutige Sensoren sind sehr klein, robust und weitestgehend unempfindlich gegen Störfaktoren wie

Temperaturschwankungen oder Vibration.

Für die Ermittlung des Eindrückverlaufs werden verschiedene Messkonzepte eingesetzt. Die

einfachste Methode ist das Einsetzen eines Stringpotentiometers31

. Da dieses Messsystem durch die

eigene Trägheit die Messung unter Umständen verfälschen kann, wurden optische Systeme zur

Messung des Eindringverlaufs entwickelt.

Das am weitesten verbreitete Messsystem zur Ermittlung der Brusteindrückung im Q3-Dummy ist

das System IR-TRACC32

von Humanetics. Die Basis des Sensors bietet eine Teleskopstange im

Inneren; an jeweils gegenüberliegenden Seiten sind eine Infrarot-LED und ein Fototransistor

positioniert. Je grösser der Auszug der Teleskopstange ist, desto weniger Lichteinfall wird vom

31 Stringpotentiometer: Ein System zur Messung eines Auszug-, bzw. Deformationsweges. Bestehend aus

einem Auszugelement (häufig ein Seil), welches an einer im Inneren des Systems befestigten Spiralfeder

angebracht ist. Durch die Messung der Rotation kann der Auszug errechnet werden.

32 IR-TRACC: Infra-Red Telescoping Rod for the Assessment of Chest Compression

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2. Stand der Technik

24

Fototransistor gemessen. Der Q3-Dummy ist so konstruiert, dass der IR-TRACC sowohl für den

Frontal- als auch für den Seitenaufprall konfiguriert werden kann.

Abbildung 15 Grundstruktur eines Q6 Dummys mit einem auf Frontalaufprall ausgerichteten IR-

TRACC Sensor [Waagmeester, 2006]

Ein weiteres, auf dem optischen Messprinzip basierendes Messsystem soll der Vollständigkeit

halber benannt werden. Obgleich dieses System aufgrund seiner Komplexität und Größe nicht in

einem Kinderdummy eingesetzt werden kann, bietet es Potential für zukünftige Entwicklungen.

Das sogenannte RibEye-System besteht aus mehreren LEDs, zwei optischen Sensoren und einer

Interfaceeinheit.

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25

Abbildung 16: RibEye System, li.: LED’s (A), zwei optische Sensoren (B), Interfaceeinheit (C & E),

Dummy Spinebox (D); re.: System im Einsatz am Brustkorb des HIII Dummys [Yoganandan et al.,

2009]

Die LEDs werden an den einzelnen Rippen des HIII-Dummys befestigt. Die unterschiedliche

Taktung der einzelnen LEDs ermöglicht es, jeden Messpunkt unabhängig von den benachbarten

betrachten zu können. Durch die Verwendung von zwei Sensoren werden die Verschiebungen der

Messpunkte in einem zweidimensionalen Raum (xy-Ebene) gemessen. Die Messpunkte können

beliebig festgelegt werden. So ist es z.B. möglich die Biegekurve einzelner Rippen zu bestimmen,

indem mehrere Sensoren auf einer Rippe angebracht werden.

Für den möglichen Einsatz im Q3-Dummy könnte man die Eindrückung im Brustkorb in zwei

unterschiedlichen Höhen messen. Insbesondere im Seitenaufprall würde man mit einem solchen

System detailliertere Messergebnisse produzieren. Der Brustkorb des Q3-Dummys ist zwar als ein

Bauteil ausgeführt, die seitlichen Aussparungen ermöglichen jedoch unterschiedliche

Eindrückungen im unteren und im oberen Brustkorbbereich.

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2. Stand der Technik

26

2.5.2 SENSOREN FÜR DEN ABDOMINALBEREICH

Es existieren keine Sensoren für den Abdominalbereich in der Serienproduktion. Jedoch wurden in

den letzten Jahren einige Prototypen entwickelt. Auch wenn man sich vergleichbare HIII-

Kinderdummys anschaut, existieren dort parallele Entwicklungen. Johannsen [Johannsen, 2006] hat

eine detaillierte Auflistung aller Prototypen und Messsysteme zusammengestellt. In den folgenden

beiden Absätzen wird hier nur auf zwei Prototypen von CASPER-Partnern eingegangen.

Die beiden Sensortypen unterscheiden sich sowohl in der Bauart als auch im Messprinzip stark

voneinander. Beide Systeme wurden während des EU Projekts CHILD entwickelt. Das von

IFSTTAR33

(ehemals INRETS) entwickelte System wird innerhalb des Abdominalblocks platziert

und misst den zeitlichen Druckverlauf. Das an der TU Berlin entwickelte System wird auf der

Außenfläche des Abdominalblocks platziert und misst den zeitlichen Verlauf der Kräfte, die auf

das Abdomen wirken.

2.5.2.1 APTS-SENSOR

Der APTS34

-Sensor wurde während des CHILD-Projekts entwickelt. Er besteht aus zwei weichen

PU-Zylindern, welche mit einem inkompressiblen Gel gefüllt sind. Zur Positionierung des APTS-

Sensors wird der Abdominalblock des Q-Dummys mit entsprechenden Aussparungen versehen.

Abbildung 17: APTS-Sensor und dessen Positionierung im Abdominalblock [Beillas, 2012]

Das Ausgangssignal dieses Sensorsystems sind zeitliche Druckverläufe des linken und rechten

Zylinders. Die positiven Eigenschaften des Sensorsystems sind sein einfacher Aufbau und damit

verbunden eine hohe Wiederholbarkeit und geringe Wartungskosten. Nachteilig wirken sich die

geringfügige Beeinflussung der Steifigkeit des Abdominalblocks (bei niedrigen

33 IFSTTAR: Institut français des sciences et technologies des transports, de l'aménagement et des réseaux:

Französisches Institut der Wissenschaft und Technologie für Verkehr, Planung und Vernetzung

34 APTS: Abdominal Pressure Twin Sensor: Abdominaldruck Doppelsensor

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

27

Verformungsgeschwindigkeiten) und die mögliche Verfälschung der Messergebnisse bei vertikaler

Kompression des Abdominalblocks35

aus.

Der Druckverlauf im Inneren des Abdomens ist eine abstrakte Größe: Sie ist nicht direkt

vergleichbar mit den auf den bzw. im Inneren des Menschen wirkenden Lasten und bleibt somit

dem Einsatz in Dummymodellen vorbehalten. Als Bemessungsgröße für die Schwere der

aufgebrachten Belastung sind die Messergebnisse dieses Systems jedoch ausreichend.

2.5.2.2 FMS-SENSOR

Der FMS36

-Sensor wurde ebenfalls während des CHILD-Projekts entwickelt, wobei folgender

Anforderungskatalog während der Entwicklungsphase definiert wurde [Johannsen, 2006]:

Messbarkeit eines geeigneten Verletzungskriteriums (VC oder Kontaktkraft)

zeitabhängige Messung

Krafteinwirkung soll örtlich bestimmbar sein

Möglichkeit der Sensierung der Kräfte, welche durch den Becken- und Schultergurt,

Lenkrad (nur für Erwachsenendummys) und Airbag verursacht werden können

Verlässlichkeit der Messungen in Bezug auf Robustheit und Wiederholbarkeit

anwendbar auf bereits existierende Dummys, ohne den Zwang größere Modifikationen

vornehmen zu müssen

keine signifikante Veränderung des Dummyverhaltens/ -performance

geringe Anschaffungs- und Unterhaltskosten (einfache Kalibrierung, lange

Kalibrierungsintervalle)

mit Standardmesswerkzeugen der Crashtechnik verwendbar (keine zusätzliche DAU37

oder

Wandlergeräte notwendig)

Keines der kommerziell erhältlichen Sensorsysteme erfüllte zur damaligen Zeit alle Kriterien,

weswegen auf eine Kompromisslösung zurückgegriffen wurde. Das neue Sensorsystem bestand aus

einer Gruppe von einzelnen Drucksensoren des Typs FlexiForce A102. Es handelt sich dabei um

sehr dünne (0,1mm) und flexible Sensoren mit einem Sensorbereich von 9,5mm im Durchmesser.

35 Vertikale Kompression des Abdominalblocks: Bedingt durch die Bauweise des Abdominalblocks wird

dieser zwischen dem Rippenkäfig und dem Becken gepresst. Bei einer starken Neigung des Oberkörpers wird

der Abdominalblock komprimiert.

36 FMS: Force Matrix Sensor: Kraft-Matrix Sensor

37 DAU: Data Acquisition Unit: Messgerät zur Aufnahme und Speicherung von Crashdaten während eines

Versuchs

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2. Stand der Technik

28

Der einzelne Sensor wirkt wie ein elektrischer Widerstand: Wenn er nicht belastet wird beträgt

dieser 20 MOhm, bei Belastung sinkt er [Johannsen, 2006].

Abbildung 18: Flexiforce A102 Sensor [Johannsen, 2006]

Das Ausgangssignal dieses Messsystems ist eine Flächenpressung gemessen an der Oberfläche des

Abdominalblocks. Das Produkt aus Flächenpressung und Sensorfläche ist die Kraft. Diese wird in

jedem einzelnen Sensor der Matrix gemessen, in der Q3-Konfiguration sind es 20 Stück.

Die nachfolgende Abbildung 19 zeigt die Anordnung der einzelnen Sensoren. Die Anordnung

wurde so gewählt, dass der Abstand zwischen zwei Sensoren immer kleiner ist als 30 mm. Damit

kann sichergestellt werden, dass der Gurt als Hauptverursacher von Abdominalverletzungen in

einem Unfall immer auf mindestens einen Sensor Druck ausübt.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

29

Abbildung 19: Konzeption der Sensormatrix (oben) und das fertiggestellte Sensorsystem (unten)

[Johannsen, 2006]

Die Vorteile dieses Systems sind die gute Lokalisierbarkeit der Krafteinleitung und die Möglichkeit

des direkten Vergleichs der Ausgangssignale mit physikalischen Größen (Druck und Kraft an der

Außenfläche). Dem gegenüber stehen einige Nachteile wie die hohe Komplexität und damit

Störanfälligkeit, ein hoher Kalibrierungsaufwand38

und die hohe Anzahl an Messsignalen (Mess-

und Auswertungsaufwand). Da sich die Messergebnisse dieses Systems besonders gut für

Vergleiche mit Simulationsmodellen (Dummy und Menschmodellen) eignen, wurde im Rahmen

des CASPER-Projekts versucht, das Sensorsystem zu optimieren. In der nachfolgenden Tabelle 07

sind die größten Nachteile und mögliche Verbesserungsvorschläge aufgelistet.

38 Kalibrierung: ein Messprozess zur Feststellung der Abweichung eines Messgeräts und die Berück-

sichtigung der festgestellten Abweichung bei der Benutzung des Messgeräts zur Korrektur der gemessenen

Werte.

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2. Stand der Technik

30

Tabelle 07: Verbesserungsmöglichkeiten für den FMS-Sensor

Problem Ursache Lösungsvorschläge

Hoher

Kalibrierungsaufwand

20 verwendete Sensoren (Q3)

26 verwendete Sensoren (HIII 50%)

Reduktion der Anzahl der Sensoren

bei gleichzeitigem Beibehalten des

Mindestabstands von 30mm durch

Verwendung von Sensoren mit

größerem Durchmesser

Kombination von mehreren

Sensoren (3-4) zu einem Schaltkreis

Sensorkappen aus 1-2mm dicken

Metallplatten zum Schutz des

Sensors und Erhöhung der

Sensorfläche

Beschädigte Kabel nach

dem Test

Hohe Kräfte wirken auf die Kabel

während des Tests.

Andere Anordnung der Kabel auf

dem Sensor, Erhöhung der

“Kabellose”

Kabel sind an der Außenfläche

positioniert und haben direkten

Kontakt mit dem Sicherheitsgurt

In den Abdominalblock eingravierte

Kabelkanäle

Hohe Streuung

Fehlerhafte Sensoren Nicht lösbar

Hohe Scherkräfte verursachen

fehlerhafte Messungen39

Verwenden einer dickeren

Schutzschicht bei gleichzeitigen

Einbußen in der Messgenauigkeit

Sensorkappen aus 1-2mm dicken

Metallplatten zum Schutz des

Sensors und Erhöhung der

Sensorfläche

Zu hohe punktuelle Lasten führen zur

Beschädigung des Sensors

Nicht lösbar / Sensorbauart

bedingte Eigenschaft

Bis auf die Neuanordnung der Kabel und die implementierten Kabelkanäle im Abdominalblock

wurden alle Lösungsvorschläge näher untersucht. Keiner der Verbesserungsvorschläge führte zu

einer deutlichen Qualitätsverbesserung des Sensorsystems. Der verwendete Sensortyp Flexiforce

A102 wird in Großserie produziert und in vielen Bereichen eingesetzt. Nach Gesprächen mit dem

Hersteller TekScan wurde deutlich, dass sich dieser Sensortyp generell sich nicht gut für diesen

Einsatzzweck eignet. Es besteht die Möglichkeit Sensoren nach seinen eigenen Vorgaben fertigen

zu lassen, welche die Nachteile des vorhandenen nicht besitzen würden. Eine solche

Neuentwicklung würde 10.000 - 15.000 $ kosten [TekScan, 2010]. Ein Auszug aus dem

39 Hohe Scherkräfte verursachen fehlerhafte Messungen: Nach Rücksprache mit dem Hersteller Tekscan sind

die verwendeten Sensoren besonders anfällig bei hohen Scherkräften.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

31

Sensorprogramm und die damit verbundenen Messmöglichkeiten sind in der nachfolgenden

Abbildung 20 dargestellt.

2.5.2.3 ROUHANA-SENSOR

Ein drittes, bereits existierendes Sensorkonzept stellt das von Ford Motor Company entwickelte

System dar. Mangels einer offiziellen Sensorbezeichnung wird dieser Sensor häufig auch „Rouhana

Sensor“ genannt, benannt nach dem eigentlichen Entwickler Dr. Stephen Rouhana. Entwickelt

wurde es ursprünglich für den Einsatz in einem HIII-Dummy. Es existieren Derivate für einen

HIII-5%- und einen HIII-Kinderdummy. Der Abdominaleinsatz40

besteht aus einer robusten, aus

mehreren Schichten Silikon bestehenden Hülle, gefüllt mit einer stromleitenden Flüssigkeit. Auf

der stoßzugewandten Innenseite des Abdomens sind sechs Elektroden platziert, verteilt über die

Fläche des Abdomens. Auf der Innenseite befindet sich eine Elektrode. Bei Eindrückung des

Abdominaleinsatzes verringert sich der Abstand der Elektroden zueinander. Mit der Änderung des

Abstands sinkt auch der elektrische Widerstand des sich dazwischen befindenden Mediums. Die

Widerstandsänderung kann im Nachhinein in Eindrückung umgerechnet werden.

Zu Beginn des CASPER-Projekts war der Einsatz auch dieses Prototyps geplant. Mangels

ausreichender Verfügbarkeit und aus anderen logistischen Gründen kam dieser Sensor innerhalb

der CASPER-Rekonstruktionsversuche leider nie zum Einsatz.

40 Abdominaleinsatz: In diesem Zusammenhang ein Bestandteil des Crashtest Dummys, ein (je nach

Ausführung) mit Schaummaterial gefüllter und mit Silikonhaut umspannter Block, welcher zwischen dem

Becken und dem Brustkorb platziert wird. Mit seinen mechanischen Eigenschaften soll er das menschliche

Abdomen nachbilden.

Abbildung 20: Kundenspezifische Sensorkonfigurationen des Herstellers TekScan; von li. oben nach

re. unten: Sensor mit einer großen Messfläche, beliebig kombinierbare Einzelsensoren in einem

Gehäuse, Sensormatrix und Auszug aus den Messergebnissen der Sensormatrix [Tekscan, 2010]

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33

3 MATERIAL UND GEOMETRIEDATEN ALS BASIS FÜR DIE

ENTWICKLUNG DES MENSCHMODELLS

Ein Modell ist ein Abbild der Wirklichkeit. Es ist durch mindestens drei Merkmale gekennzeichnet

[Stachowiak, 1973]:

- Abbildung: Ein Modell ist stets ein Modell von etwas, nämlich Abbildung, Repräsentation

eines natürlichen oder eines künstlichen Originals, das selbst wieder Modell sein kann.

- Verkürzung: Ein Modell erfasst im Allgemeinen nicht alle Attribute des Originals, sondern

nur diejenigen, die dem Modellentwickler bzw. -nutzer relevant erscheinen.

- Pragmatismus: Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie

erfüllen ihre Ersetzungsfunktion für bestimmte Subjekte, innerhalb bestimmter

Zeitintervalle und unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tätliche

Operationen.

Bevor ein Modell entwickelt werden kann, müssen die Eigenschaften der "Wirklichkeit" in der

beabsichtigten Güte in einer dem späteren Modell entsprechenden Qualität zusammengetragen

werden. Die Eigenschaften, um die es sich hier handelt, sind Geometrie und Materialdaten des

menschlichen Körpers, insbesondere die einem dreijährigen Kind entsprechenden Eigenschaften.

3.1 GEWINNUNG VON MATERIALDATEN AUS PMHS

Neben der möglichst genauen und anatomisch korrekten geometrischen Darstellung von

menschlichen Organen ist bei der Entwicklung eines Menschmodells die exakte Abbildung der

mechanischen Eigenschaften besonders wichtig. Die Definition der Werkstoffeigenschaften kann

dabei fast beliebig komplex gestaltet werden. Voraussetzung für deren Festlegung ist dabei das

Vorhandensein von entsprechenden Testresultaten der untersuchten Werkstoffproben.

Während z.B. bei einer Stahllegierung die relevanten Informationen leicht ermittelbar sind, ist die

Gewinnung der Materialdaten für menschliches Gewebe deutlich komplexer. Wenn überhaupt,

lassen sich ausführliche Materialtests mit menschlichem Gewebe nur an Leichen durchführen. Aus

ethischen Gründen werden Versuche mit Kinderleichen zumindest in Europa meist nicht mehr

durchgeführt. Hinsichtlich der Qualität der Testergebnisse und der Aussagekraft über die

mechanischen Eigenschaften lebenden Gewebes müssen Tests mit PMHS aus folgenden Gründen

kritisch hinterfragt werden:

Muskelspannung. Die Vorspannung, die nötig ist, um bestimmte Körperstellungen zu halten

und bestimmte Aktionen auszuführen, fehlt bei einem PMHS-Test. Die fehlende

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

34

Muskelvorspannung kann die Systemantwort des Gesamtkörpers, d.h. die Bewegung der

einzelnen Körperregionen relativ zueinander, im Falle eines Crashs beeinflussen. Außerdem

können bei Erkennung von Gefahr, wie sie z.B. ein unmittelbar bevorstehender Aufprall mit

einem anderen Fahrzeug darstellt, weitaus größere Muskelkräfte aufgebaut werden

(Schockstarre) als der Mensch bewusst aufbringen könnte [Wilkie, 1956]. Die Messung dieser

Kräfte an lebenden Probanden gestaltet sich problematisch. Zum einen ist es sowohl technisch

als auch vor dem Hintergrund der Rechtsordnung nicht möglich, mehrere Probanden unter

Testbedingungen in einen einheitlichen Schockzustand zu versetzen. Zum anderen kann die

Anspannung einzelner Muskeln nicht gemessen werden, ohne den Probanden dabei Sonden tief

in das Muskelgewebe einzupflanzen. Eine Annäherung bieten Softwarelösungen, die es unter

Zuhilfenahme eines detailliert aufgebauten Skelett-Muskelmodells erlauben, aus einer

ausgeübten Kraft (z.B. dem Druck auf das Bremspedal) die Anspannung in den einzelnen

Muskelsträngen und Gelenken zu berechnen [Rasmussen et al., 2001].

Der Vollständigkeit halber sollte auch erwähnt werden, dass die Muskelvorspannung ab einer

gewissen Unfallschwere wiederrum nur eine untergeordnete Rolle einnimmt, da die kinetische

Energie durch Trägheit des Körpers die maximalen Muskelkräfte, bzw. Muskelenergie bei

weitem übersteigt

Totenstarre. Das Eintreten der Totenstarre ist ein unmittelbar nach dem Tod einsetzender

Prozess, bei dem die einzelnen Muskelstränge nach und nach durch das Ausbleiben der

Regeneration und der Zirkulation wichtiger Stoffe im Körper erstarren. Die ersten

Muskelfasern versteifen sich bei Zimmertemperatur bereits nach 1-2 Stunden (Muskeln der

Augenlider), die vollständige Erstarrung ist nach 6-12 Stunden erreicht. Die Erstarrung der

Muskeln beginnt sich 24 bis 48 Stunden nach dem Tod zu lösen, bedingt durch die im Körper

stattfindenden Zersetzungsprozesse. Zu diesem Zeitpunkt haben eine Vielzahl von

Gewebetypen des menschlichen Körpers ihre ursprünglichen mechanischen Eigenschaften

bereits verloren oder so stark verändert, dass sie für die Tests nur noch bedingt geeignet sind.

Durch Kälte wird der Prozess der Erstarrung verlangsamt bzw. gestoppt. In der Regel werden

die PMHS eingefroren gelagert und 3-4 Tage vor dem eigentlichen Test bei Zimmertemperatur

aufgetaut [Kerrigan, 2005]. In der gleichen Zeit werden sie mit Adaptern und Haltern für die

Messtechnik präpariert. Das Einfrieren des Biogewebes an sich verändert die mechanischen

Eigenschaften nicht, Studien von Woo [Woo, 1985] belegen dies.

Fehlende Blutzirkulation. Einige innere Organe sind sehr stark durchblutet und post mortem

nicht mehr vergleichbar hinsichtlich ihrer Dichte, Festigkeit und des Versagensverhaltens.

Besonders stark wirkt sich dieser Effekt bei der Leber aus. Um den „lebendigen“ Zustand zu

simulieren, werden solche Organe daher künstlich mit Flüssigkeit versorgt [Sparks, 2007],

während sie Materialtests unterzogen werden. Die Verletzungen der inneren Organe sind ohne

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

35

eine funktionierende Zirkulation (mit Blut oder einer Kontrastflüssigkeit) erheblich schwerer

festzustellen [Cavanaugh, 1986].

Fehlende Respiration. Dieser Effekt betrifft nur die Lunge. Eine mit Luft oder Gasen mit

vergleichbaren Eigenschaften gefüllte Lunge beeinflusst die Größe des Brustkorbs und die

Position des Zwerchfells. Mit der Änderung der Zwerchfellposition geht eine leichte

Verlagerung der unmittelbar darunterliegenden abdominalen Organe einher.

Hohes Alter der verfügbaren PMHS. Das Alter der meisten für Versuche zur Verfügung

stehenden PMHS ist sehr hoch, da u.a. aus rechtlichen Gründen nur PMHS zur Verfügung

stehen, die aufgrund einer natürlichen Todesursache verstorben sind. So beträgt zum Beispiel

das Durchschnittsalter in den Studien von Pritz [Pritz, 1978] 78 Jahre. In den letzten Jahren

haben sich die Forscher zunehmend auf Studien mit "jüngeren" PMHS konzentriert, so [Matsui

et al., 1999] mit einem Durchschnittsalter von 51 Jahren. Der wichtigste Unterschied zum

durchschnittlich alten Menschen in biomechanischer Hinsicht sind die veränderten

mechanischen Eigenschaften des Knochengewebes. Neben dem natürlichen Abbau der Dichte

und der Elastizität mit zunehmendem Alter, sind viele ältere Menschen von Osteoporose

betroffen, einer Krankheit die für einen zusätzlichen Knochenschwund sorgt. Außerdem sind

die teilweise veränderte Körperhaltung, der Abbau von Muskel- und Zunahme von Fettgewebe

und generell die reduzierte Elastizität in den meisten Gewebetypen als Folge zunehmenden

Alters zu erwähnen [Bulger et al., 2000], [Dejeammes et al., 1996] und [Shimamura et al.,

2003].

Vor allem die Veränderung der Gewebeeigenschaften mit fortschreitendem Alter ist für die

Entwicklung von Menschmodellen, insbesondere von Kindermodellen besonders wichtig. Im

nachfolgenden Kapitel werden die Ergebnisse einer Literaturrecherche zu den mechanischen

Eigenschaften von menschlichem und tierischem Gewebe zusammengefasst.

3.2 MECHANISCHE EIGENSCHAFTEN MENSCHLICHEN GEWEBES IN

ABHÄNGIGKEIT VOM ALTER

Menschliches Gewebe ändert sich mit dem Alter nicht nur strukturell, sondern auch durch

Abnahme der Elastizität, bzw. häufig sind diese Veränderungen miteinander verknüpft. Die

meisten Änderungen während des Lebenszyklus geschehen im Knochengewebe. Bei Neugeborenen

ist es vollständig elastisch. Darüber hinaus sind zum Zeitpunkt der Geburt nicht alle

Knochenstrukturen vollständig ausgebildet. Mit steigendem Alter "verknöchern" die

Skelettstrukturen, die Knochen werden immer spröder. Bis zu einem Alter von 18-22 Jahren

verfestigen sich die Knochenstrukturen zunehmend. Danach sind die Knochen sowohl geometrisch

als auch mechanisch vollkommen ausgebildet und ändern ihre Eigenschaften für einen langen

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

36

Zeitraum nicht mehr wesentlich [Mertz et al., 1997]. Erst in höheren Jahren verändert sich das

Knochengewebe wieder: Dichte und Elastizität nehmen ab, häufig wird das Knochengewebe durch

Krankheiten (Osteoporose) zusätzlich geschwächt.

Eine Untersuchung zur Veränderung der mechanischen Eigenschaften von Knochen mit dem Alter

wurde von Mertz [Mertz et al., 1997] durchgeführt. Dabei testete er Knochengewebe, entnommen

aus Schädeln (Scheitelbein41

) unterschiedlich alter Personen. Das Resultat wird als Funktion der

Abhängigkeit des E-Moduls vom Alter dargestellt (siehe Abbildung 21). Demnach beträgt das E-

Modul für Knochengewebe eines dreijährigen Kindes ca. 4,2 GPa42

und erreicht sein Maximum

von 9,9 GPa in einem Alter von ca. 18 Jahren.

Abbildung 21: Elastisches Biegemodul von Knochengewebe (GPa) in Abhängigkeit vom Alter (Y),

schwarze Linie - Interpolation [Mertz et al., 1997]

Auch das Muskel- und Sehnengewebe erfährt starke Veränderungen der mechanischen

Eigenschaften innerhalb eines Lebenszyklus. Dazu wurden viele Untersuchungen sowohl an

41 Scheitelbein: Ein Teil des Schädels, welches die hintere Seitenwand und das Schädeldach bildet.

42 GPa: GigaPascal; 1 GPa entspricht 1 kN/mm²

0

2

4

6

8

10

12

0 5 10 15 20

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

37

menschlichem als auch an Gewebe von Säugetieren (meist wurden Schweine als Testobjekte

verwendet) durchgeführt. Die größten Veränderungen dieser Gewebetypen betreffen die

Unterschiede im maximalen Muskeltonus und der Kontraktionsgeschwindigkeit. Für ein Kind im

Alter von drei Jahren können diese Unterschiede vernachlässigt werden. Die Muskeln werden als

"passiv" betrachtet, d.h. es findet keine instinktive Anspannung der Muskeln bei der Erkennung

einer lebensbedrohlichen Situation statt, welche zu einer eventuellen Anspannung oder

Verlagerung des Körpers und somit zu einem anderen Bewegungsablauf während eines Unfalls

führen würden. Die mechanischen Eigenschaften dieser Gewebetypen werden demnach als

altersunabhängig betrachtet.

Gewebe der "festen" und "hohlen"43

Organe verändern ebenfalls ihre mechanischen Eigenschaften

mit dem Alter [Parry, 1978], jedoch nicht in dem Maße, dass Sie einen entscheidenden Einfluss auf

die Kinematik in einem crashrelevanten Lastfall ausüben. Dies hat mit der sich mit dem

fortschreitenden Alter ändernden Zusammensetzung des Bindegewebes44

zu tun. Insbesondere sind

es die verschiedenen Typen von Kollagenfasern45

die diesen Effekt herbeirufen. Je nach

Gewebestruktur werden die einzelnen Fasern entweder dicker oder sie werden stärker miteinander

verflochten. Im allgemeinen führen diese Veränderungen zur Abnahme von Elastizität.

Für die weiteren Betrachtungen wird also nur die altersspezifische Änderung des E-Moduls vom

Knochengewebe berücksichtigt. Die sich ebenfalls verändernden Eigenschaften des

Knochengewebes wie Festigkeit und Bruchdehnung46

werden nicht berücksichtigt, da nach Analyse

der Verletzungsmuster (siehe Kapitel 2.3) keine Knochenbrüche bei einem drei Jahre alten Kind als

Insasse eines Kraftfahrzeugs erwartet werden. Die mechanischen Eigenschaften anderer

Gewebetypen werden aus den Testergebnissen mit erwachsenen PMHS entnommen. Im Rahmen

einer anschließenden Validierung (siehe Kapitel 6) werden geringfügige Änderungen der

Materialeigenschaften vorgenommen, um so auf das einem dreijährigen Kind entsprechenden

Niveau zu kommen.

43 "Fest" bzw. "hohl": in diesem Kontext kompakte im Sinne von „ausgefüllte“ Organe wie beispielsweise

Leber und Nieren bzw. hohle Organe wie beispielsweise Magen und Darmtrakt.

44 Bindegewebe: Zusammenfassung verschiedener Gewebetypen mit der gemeinsamen Eigenschaft, eine

stützende und / oder umhüllende Funktion zu haben.

45 Kollagen: Ein Strukturprotein, hauptsächlicher Bestandteil des Bindegewebes. Kollagen hat eine sehr hohe

Zugfestigkeit.

46 Festigkeit und Bruchdehnung von Knochengewebe nehmen mit dem Alter ebenfalls stark ab. Wang [Wang

et al., 2002] stellte eine Abnahme der Festigkeit von bis zu 20% und eine Abnahme der Brucharbeit (Nmm)

von bis zu 39% zwischen 19 und 89 Jahren fest. Zioupos (Zioupos et al., 1998) kam zu einer Reduktion der

Festigkeit des Knochengewebes von 3,7% und einer Reduktion der Brucharbeit von 8,7%, pro Dekade ab

dem 35-sten Lebensjahr.

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

38

3.3 MECHANISCHE DEFINITION VON WEICHEM BIOGEWEBE

Die einfachste und am weitesten verbreitete Methode zur Beschreibung von Biogewebe ist die

Definition des Spannungs-Dehnungs-Zustandes, welcher gewöhnlich in einem einaxialen

Zugversuch ermittelt wird. Diese Definition ist zunächst quasistatisch47

. Für verschiedene

Verformungsgeschwindigkeiten werden weitere, geschwindigkeitsabhängige Spannungs-

Dehnungs-Zustände definiert. Die aus solchen Tests gewonnenen Kraft-Weg-Kurven sind

nichtlinear und haben eine nach oben hin konkave Form. Anfangs ist die Steifigkeit sehr gering.

Mit steigender Kraft erhöht sich die Steifigkeit des Gewebes, bis ein lineares Verhalten erreicht

wird. Mit weiter steigender Belastung fällt die Steifigkeit als Ergebnis erster

Versagenserscheinungen in den einzelnen Fasern wieder ab [Woo, 1984]. Nicht alle Gewebetypen

eignen sich für Zugversuche. Es ist nicht immer möglich, eine geeignet große Gewebeprobe für den

Versuch zu extrahieren, da die einzelnen Organe unterschiedliche geometrische Eigenschaften

aufweisen. Eine weitere mögliche Fehlerquelle stellen insbesondere bei Messungen weicher

Gewebetypen technische Schwierigkeiten dar, speziell dann, wenn die Organe z.B. durch

Blutdruck gefüllt sind. In diesem Fall müssen die Organe als ganze Objekte getestet werden. In-

vitro48

werden sie künstlich durch Füllung mit Flüssigkeiten bzw. Luft annähernd in ihren

ursprünglichen Zustand im lebenden Körper gebracht. Es existieren auch vereinzelte

Testergebnisse mit In-vivo49

-Organen. Es handelt sich hierbei um Tierversuche, bei denen ein

Organ komplett aus dem Körper entnommen, jedoch nicht von der körpereigenen Peripherie wie

Blutgefäßen oder Nervensträngen getrennt wurde.

Jedes weiche Biogewebe hat mechanisch gesehen eine zeitabhängige Komponente. Sowohl die

Verformungsgeschwindigkeit als auch die Frequenz einer sich wiederholender Belastung haben

Einfluss auf das Verhalten. Die Gründe dafür liegen in den komplexen Strukturen des lebenden

Gewebes, der Zusammensetzung aus verschiedenen Zellstrukturen, der je nach Funktion

unterschiedlichen Versorgung mit Nährstoffen und dem zeitabhängigen Gehalt von Mineralien im

Gewebe. Diese Eigenschaften können durch ein numerisches Werkstoffmodell aufgrund ihrer

Komplexität nicht in einem Vollkörper-Simulationsmodell abgebildet werden. In einer

Crashumgebung kommt es vor allem auf die visko-elastischen Eigenschaften an.

47 quasistatisch: Ein Prozess der unendlich langsam abläuft.

48 „In-vitro“: lat. “Im Glas”, ein Vorgang der außerhalb des lebenden Organismus stattfindet.

49 „In-vivo“: lat. “Im Lebendigen”, ein Vorgang der innerhalb des lebenden Organismus stattfindet.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

39

3.4 MATERIALDATEN

Zum Zeitpunkt der Recherche lagen keine detaillierten Testergebnisse zum mechanischen

Verhalten von menschlichem Gewebe in Abhängigkeit vom Alter vor. Es wurde daher entschieden,

auf Materialmodelle für das Gewebe von Erwachsenen zurückzugreifen. In einer Literatur-

recherche wurden Materialdefinitionen zusammengetragen, die in kürzlich publizierten bzw.

entwickelten numerischen Menschmodellen verwendet wurden (siehe Kapitel 3.4.1 und 3.4.2). Das

Hauptaugenmerk lag dabei auf Modellen des Thorax- und Abdominalbereichs, da in dem zu

entwickelnden Modell der Schwerpunkt auf die Abbildung der Verletzungen der genannten

Bereiche gesetzt ist. Anzumerken ist, dass nahezu alle Materialdefinitionen auf die fundamentale

Arbeit von Hiroshi Yamada [Yamada, 1970] zurückzuführen sind. Er stellte die erste vollständige

und sehr detaillierte Übersicht von Testergebnissen an Biogewebe für nahezu jeden Bereich des

menschlichen Körpers zusammen.

Die in den nachfolgenden Kapiteln dargestellte Zusammenfassung basiert größtenteils auf der

Arbeit von Yang [Yang et al., 2006]. In dieser Publikation werden die neuesten Menschmodelle

zusammenfassend dargestellt.

3.4.1 FE-MODELLE FÜR DEN THORAX

Es existieren mehrere Modelle für den menschlichen Thoraxbereich. Die beiden jeweils zum

Zeitpunkt der Recherche aktuellsten und ausführlich dokumentierten Modelle von Ruan [Ruan et

al., 2003] und Kimpara [Kimpara et al., 2005] werden in der nachfolgenden Tabelle

zusammengefasst.

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

40

Tabelle 08: Übersicht FE-Menschmodelle für den Thoraxbereich [Yang K. et al., 2006]

3.4.1.1 FE-THORAX-MODELL VON RUAN

Das Thorax-Modell von Ruan [Ruan et al., 2003] ist Teil eines Gesamtkörpermodells. Die

Geometrie basiert auf einem Vorgängermodell von Wang [Wang et al., 1995]. Eine Besonderheit

dieses Modells ist, dass für die Validation des Brustbereichs Probanden statt PMHS eingesetzt

wurden. Nach Ansicht der Autoren führt dieses Vorgehen zu einem besseren Verständnis der

physikalischen Vorgänge bei einem Aufprall. Zur Validation wurden sowohl Frontal- und

Seitenaufprallversuche als auch Belastungsversuche mit einem Gurtband durchgeführt. Die

Modellantworten korrelieren sehr gut mit den Versuchsdaten [Yang K. et al., 2006].

50 Wayne State University Human Thoratic Model

51 Total Human Model for Safety, 5% Frau

52 Solids: ein FE-Volumenelement

53 Spongiosa: Ein schwammartig aufgebautes System aus feinen Knochenbälkchen, auch inneres Knochen-

gewebe genannt.

54 Shells: ein FE Flächenelement

55 Kortikalis: äußere, feste Schicht der Knochen

Autor; Jahr Ruan 2003 Kimpara 2005

Software LS-DYNA LS-DYNA

Größe 50% Mann 5% Frau

Geometrie basierend auf Wang et al, 1995

WSUHTM50

[Shah et al., 2001]

THUMS-AF0551

[Kimpara et al.,

2005]

Modellierungsdetails:

Rippen Solids

52 – Spongiosa

53

Shells54

– Kortikalis55

Solids – Spongiosa

Shells – Kortikalis

Knorpelgewebe Elastische solids Elastische solids

Sehnen- und Muskelgewebe Elastische shells Elastische shells

Wirbelknochen Elastische solids Elastische solids

Bandscheiben Viskoelastische solids Viskoelastische solids

Innere Organe Viskoelastisch Nichtlineares Schaummaterial

Validation

Frontal- und Seitenaufprall mit

einem Pendel und verschiedenen

Aufprallgeschwindigkeiten.

Belastung durch einen Gurt

Frontal-, Seiten- und

Schrägaufprall.

Ballistischer Brustaufprall

Verwendung Frontal- und Seitenaufprall Abbildung der Rippenfrakturen

bei einer 5% Frau

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

41

3.4.1.2 FE-THORAX-MODELL VON KIMPARA

Das Modell von Kimpara ist eine Kombination aus zwei zuvor entwickelten Menschmodellen für

den Thoraxbereich. Das WSUHTM [Shah et al., 2001] und das THUMS-AF05 [Kimpara et al.,

2005] wurden hierfür verwendet. Die wesentliche Verbesserung im Vergleich zu den Vorgänger-

modellen ist die Einführung der geschlechtsspezifischen Unterschiede des Rippenkäfigs bezüglich

der Anatomie und vor allem der Materialeigenschaften. Die Modellantworten wurden anhand von

sechs Kadaverversuchen mit Frontal-, Seiten- und Schrägaufprallversuchen validiert. Zusätzlich

wurden ballistische Aufprallversuche56

durchgeführt [Yang K. et al., 2006].

In Tabelle 09 werden die Materialeigenschaften der beiden Thoraxmodelle zusammengefasst. Die

in den nachfolgenden Tabellen verwendeten physikalischen Größen werden im Kapitel 6.4

beschrieben.

56 Ballistische Aufprallversuche – In diesem Zusammenhang: Aufprallversuche mit einem leichten

Prüfkörper (Projektil), welcher mit sehr hoher Geschwindigkeit auf das zu untersuchende Objekt trifft. Die

Projektile werden meist pyrotechnisch oder mit Gasdruck aus einer simulierten Geschosswaffe auf den

Testkörper geschossen. Diese Art von Untersuchungen werden häufig für die Entwicklung von z.B.

Schusssicherer Kleidung durchgeführt.

Page 54: Entwicklung eines numerischen Menschmodells für …...ENTWICKLUNG EINES NUMERISCHEN MENSCHMODELLS FÜR EIN DREI JAHRE ALTES KIND vorgelegt von Dipl.-Ing. Alexander Eisenach von der

3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

42

Tabelle 09 Materialeigenschaften der vorgestellten FE-Thorax-Modelle [Yang K. et al., 2006]

3.4.2 FE-MODELLE FÜR DAS ABDOMEN

Analog zu den FE-Thorax-Modellen werden in Tabelle 10 zwei aktuelle FE-Modelle für den

Abdominalbereich vorgestellt.

57 NP: Nucleus Pulposus, gallertiges Gewebe im Inneren der Bandscheibe

58 AF: Anulus Fibrosus, der äußere, knorpelige Teil der Bandscheibe

59 Trachea: Luftröhre

60 Ösophagus: Speiseröhre

Autor; Jahr Ruan 2003 Kimpara 2005

Knochen

G0-G∞)

Rippen 2000 kg/m³ - 9.6 GPa – 4.4 GPa –

1.8 GPa Cortical: 2000 kg/m³ - 9.86 GPa

– 0.3

Trabecular: 1000 kg/m³ - 40

MPa – 0.45

2000 kg/m³ - 11 GPa – 0.3

Sternum 2000 kg/m³ - 9.6 GPa – 4.4 GPa –

2.3 GPa

Wirbelknochen 2750 kg/m³ - 106.7 MPa – 0.2

Knorpel ( 1500 kg/m³ - 53 MPa – 9 MPa – 0

MPa 1000 kg/m³ - 49 MPa – 0.4

Zwischenrippenmuskel ( 1100 kg/m³ - 2.1 MPa – 0.35 MPa

– 0 MPa 1000 kg/m³ - 1 MPa – 0.3

Bandscheiben

G0-G∞)

NP57

1040 kg/m³ - 2.3 GPa – 0.2 MPa –

18MPa

1000 kg/m³ - 12.7 MPa – 0.34 AF

58

1040 kg/m³ - 307 MPa – 32 MPa –

0 MPa

Innere Organe

G0-G∞-

)

Lungen 600 kg/m³ - 0.22 MPa – 20 kPa –

7.5 kPa 600 kg/m³ - 10 kPa

Herz 1000 kg/m³ - 2.6 MPa – 440 kPa –

150 kPa

1000 kg/m³ - 1.33 MPa – 220

kPa – 75 kPa

Aorta 1200 kg/m³ - 4 MPa – 0.4 4000 kg/m³ - 4MPa – 0.4

and. Arterien 1200 kg/m³ - 20 MPa – 0.4 2000 kg/m³ - 20 MPa – 0.4

Trachea59

1200 kg/m³ - 16.7 MPa – 0.4 2000 kg/m³ - 10 MPa – 0.4

Ösophagus60

1200 kg/m³ - 3 MPa – 0.4 2000 kg/m³ - 3 MPa – 0.4

Blut G0-G∞) 1040 kg/m³ - 70 kPa – 15 kPa – 5

kPa 1000 kg/m³ - 2 GPa – 0 – 0

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

43

Tabelle 10: Übersicht FE-Menschmodelle für den Abdominalbereich [Yang K. et al., 2006]

61 Visible Human Project: Sammlung von detaillierten geometrischen Daten des menschlichen Körpers. Zur

Aufnahme wurden die eingefrorenen Leichen von Freiwilligen in dünne (1-0,33mm) Scheiben zerschnitten

und digitalisiert [Ackermann, 1999].

62 Bricks: engl. Würfel, während „solids“ ein Oberbegriff für 3D Elemente ist, beschreibt „bricks“ einen

bestimmten Elementtyp (Hexaeder). Mit Hexaedern modellierte Volumina sind im Allgemeinen rechnerisch

stabiler bei sehr hohen Verformungen. Der Modellierungsaufwand steigt jedoch erheblich beim Einsatz von

Hexaeder-Elementen im Vergleich zu z.B. Tetraeder-Elementen.

63 Vena cava inferior: untere Hohlvene, ein venöses Blutgefäß der unteren Bauchhöhle

64 Verschiedene physikalische Materialmodelle bei Lee umd Ruan Modellen, die einzelnen Kennwerte sind

nicht direkt miteinander vergleichbar. Entsprechende Materialgesetze werden im Kapitel 6.4 beschrieben.

Autor / Jahr Lee and Yang 2001 Ruan et al. 2005

Software PAM-CRASH LS-DYNA

Geometrie basierend auf:

Visible Human Project61

Visible Human Project

Elemente

Feste Organe Solids Leber Bricks62

Haut Solids Milz Bricks

Muskeln Solids Linke Niere Bricks

Leberbänder Solids Rechte Niere Bricks

Hohle Organe Membran Abdomen Solids

Zwerchfell Shells Zwerchfell Shells

Blutgefäße Shells

Komponenten

Leber, Milz, Nieren, Vena cava inferior

63, Abdominal Aorta, Leber-

vene / -arterie, Nierenvene / -arterie, Milzvene / -arterie, Zwerchfell

Leber, Milz, Nieren, Vena cava inferior, Abdominal Aorta, Zwerchfell

Knochengewebe

- kg/m³, E – Gpa) Elastisch plastische Materialdefinition

Siehe Tabelle 09

Rippen, Brustbein

2000/1.15E+01/0.3

Sakrum, Femur, Beckenknochen

2000/1.21E+01/0.3

Wirbelknochen 2000/2.65E-02/0.3

Innere Organe

E1/E2 (E - Mpa) Nichtlinear viskoelastisch (Typ 22)

K/G0/G∞/ (K - Mpa, G - kPa) Linear viskoelastisch

Leber64

0.195/0.10 Leber 2.875/230/43.6/0.635

Milz 0.488/0.25 Milz 2.875/230/43.6/0.635

Nieren 0.352/0.15 Nieren 2.875/230/43.6/0.635

Hohle Organe Membran (Typ 150)

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

44

Tabelle 11: Materialeigenschaften der vorgestellten FE Abdomen Modelle [Yang K. et al., 2006]

Die gewählten Materialeigenschaften basieren größtenteils auf Veröffentlichungen zwischen 1970

und 1995. Beide FE-Modelle wurden teilweise anhand von gleichen Versuchsergebnissen validiert.

Beide Modelle zeigten gute Übereinstimmungen mit den Versuchsergebnissen.

3.5 PROBLEMATIK DER WENIG VERFÜGBAREN KINDERDATEN

Die Durchführung von Tests mit Kinderleichen ist aus vielerlei Sicht umstritten und problematisch.

Zum einen existieren weniger geeignete PMHS im Kindes- als im Erwachsenenalter, zum anderen

bestehen ethische Bedenken hinsichtlich der Durchführung von Versuchen mit verstorbenen

Kindern. Daten aus Freiwilligenversuchen, bei denen ohnehin nicht die einem Verkehrsunfall

65 Typ 101 / 21: in diesem Kontext: Elemententyp im FE-Solver PAM-Crash. Typ 101: 2D-Schalenelemente,

Typ 21: 1D-Balkenelemente

66 Ligamentum Falciforme: Bauchfelllappen; Er unterteilt die Leber vertikal in die linke und rechte Seite und

verläuft von der Leber bis zum Bauchnabel.

Autor / Jahr Lee and Yang 2001 Ruan et al. 2005

Andere

- kg/m³, E – Gpa)

K/G0/G∞/ (K - Mpa, G - kPa) Wichtige Blutgefäße

Elastisch (Typ 101) 1.0/4E-04/0.4

Zwerchfell

Elastisch (Typ 10165

) 1.0/3E-03/0.3 Abdomen

Linear, viskoelastisch

0.145/15.03/5.01/0.635 Ligamentum Falciforme

66

Elastisch plastisch 1.0/1.2E-02/0.4

Rippenknorpel

Elastisch plastisch 1.5/2.5E-02/0.4 y/(E – MPa, y – kPa)

Zwerchfell

Elastisch plastisch

27.0/125/0.35

Bandscheiben

Elastisch plastisch 1.0/1.03E-02/0.45

Zwischenrippenmuskeln

Elastisch plastisch 1.0/1.03E-02/0.4

Haut & Oberflächenmuskeln

Elastischer Schaum mit Hysterese

(Typ 21) E = 1 MPa

Verwendung Abdominalaufprall Abdominalaufprall

Validation

Pendelversuche [Viano, 1989]

Fallversuche [Walfisch et al., 1980]

Aufprall mit einem starren Rohr

[Cavanaugh et al., 1986]

Pendelversuche [Viano, 1989]

Aufprall mit einem starren Rohr

[Cavanaugh et al., 1986, Hardy et al.,

2001]

Gurtbelastung [Hardy et al., 2001]

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

45

äquivalenten Belastungsgrößen erreicht werden, sind so gut wie nicht durchführbar. Das zulässige

Lastniveau im Vergleich zu erwachsenen Freiwilligen ist nochmals geringer. Die Ergebnisse

einiger weniger Tests, welche in den letzten Jahren durchgeführt wurden, werden in diesem Kapitel

zusammengefasst.

Ouyang [Ouyang et al., 2006] führte Tests an PMHCS67

durch, um die Verletzungsmechanismen

des Thorax im frontalen Aufprall zu untersuchen. Insgesamt neun PMHCS im Alter von 2 bis 12

Jahren wurden getestet. Die Testobjekte wurden unterteilt in zwei Altersgruppen (2 bis 4 und

5 bis 12 Jahre alt) und zugehörige Impaktormassen (2,5 bzw. 3,5 kg). Die Ergebnisse dieser

Testreihe zeigten keine Korrelation der beobachteten Verletzungen zu den Kennwerten ‚maximale

Brusteindrückung‘, ‚VC68

‘ oder ‚maximale Beschleunigung‘. Es konnte jedoch eine große

Abhängigkeit der erzeugten Verletzungen zum maximalen Energieeintrag festgestellt werden.

Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse für die höhere Altersgruppe eine höhere Reaktionskraft.

Demnach steigt die Gesamtsteifigkeit des Thorax in einem Frontalaufprall mit dem Alter an, was

mit der bekannten Reifung des knöchernen Systems zusammenpasst.

Maltese [Maltese et al., 2008] wählte für seine Testreihe eine alternative Methode. Er untersuchte

das Verhalten des Thorax während einer Herz-Lungen-Wiederbelebung69

(HLW), bei der der

Thorax des Patienten vergleichbare Kompressionen wie bei den üblich durchgeführten PMHS-

Tests erfährt, allerdings bei einer deutlich geringeren Kompressionsrate. Dafür wurde ein

automatisierter Defibrillator70

mit einem Kraft-Weg-Sensor ausgestattet. Maltese wertete insgesamt

18 Fälle mit Patienten im Alter von 8 bis 22 Jahren aus. Das Ergebnis war unter anderem die

Feststellung, dass die Steifigkeit des Thorax in frontaler Richtung bis zu einem Alter von 40 Jahren

ansteigt. Ab diesem Alter fällt sie bis zu einem Alter von 60 Jahren wieder nahezu auf das Niveau

von Kindern. Das Abfallen der Steifigkeit im hohen Alter lässt sich durch das sich ändernde

Verhältnis zwischen Muskel- und Fettgewebe, die Abnahme der Knochenmasse und vor allem

durch die Abnahme der Elastizität und dadurch die Erhöhung der Knochenbruchgefahr erklären.

67 PMHCS: Post Mortem Human Child Subject

68 VC: „viscous criterium“, das Maximum aus dem Produkt von Verformungsgeschwindigkeit und

Kompression

69 Herz-Lungen-Wiederbelebung: Durchführung von Maßnahmen, die einen Atem- und Kreislauf-Stillstand

beenden sollen.

70 Automatisierter Defibrillator: Ein Gerät welcher die Funktion Elektroschock und Herzdruckmassage

vereint. Das Gerät besteht aus einer ebenen Platte, auf der der Oberkörper des Patienten positioniert wird.

Um den Brustkorb des Patienten wird ein breites Band gelegt, welches mittel Elektromotoren rhythmisch

gestrafft wird.

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

46

Abbildung 22: Kraft-Weg-Kennung der Thoraxsteifigkeit eines Kindes [Maltese et al., 2008]

Diese Feststellung wiederspricht teilweise den momentan gängigen Skalierverfahren, welche die

Steifigkeit als lineare Funktion des Alters und/oder der Größe beschreiben (Siehe Kapitel 3.6) .

Kent [Kent et al., 2009] führte im Rahmen seiner Untersuchungen an einem PMHCS eine

umfassende Literaturrecherche zu den bisher durchgeführten PMHCS Tests durch (siehe Tabelle

12).

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

47

Tabelle 12: Zusammenfassung der bisher durchgeführten Tests an PMHCS [Kent, 2009]

Test

Nr.

Ge

sch

win

dig

keit

[km

/h]

Mit

tle

re

Sch

litte

n

Be

sch

l. [

g]

ckh

alte

syst

em

Alt

er

[J]

Ge

sch

l.

Mas

se [

kg]

rpe

rgrö

ße

[cm

]

Qu

elle

71

Ve

rle

tzu

ngs

-

Sch

we

re

HD 36-75 31 18 Beckengurt m.

Kissen72

2,5 M 16 97 1 AIS 1

HD 38-75 40 20 Beckengurt m.

Kissen 6 W 27 125 1 Keine

HD 39-75 40 21 Beckengurt m.

Kissen 6 M 30 124 1 AIS 1

HD 41-75 40 21 Beckengurt m.

Kissen 11 M 31 139 1 AIS 2

HD 5 46 15 4 Pkt. Gurt 10 M 39 139 3 AIS 2

APR 1 50 13 Kissen 2 W 13 87 3 Keine

HSR1 48 20 5 Pkt. Gurt 6 M 17 109 2 Unbekannt

HD 8 49 15 Fahrzeuggurt (3

Pkt. Gurt) 13 M 39 162 3 Keine

HD 9 49 25 3 Pkt. Gurt 12 F 52 144 3 AIS 1

APR 2 50 13 Kissen 2 F 13 87 3 Unbekannt

HD 89-12 49 18 Kissen 2,5 F 17 91 4 AIS 3

76/41 50 20 3 Pkt. Gurt 12 M 41 147 1 AIS 1

Kent stellte mit einem PMHCS in einem Alter von 7 Jahren die Versuche von Maltese nach.

Außerdem führte er bis zum Zeitpunkt der Anfertigung dieser Arbeit die einzigen Versuche an

PMHCS mit Gurtbeanspruchungen durch. Die Versuche mit Belastung des Abdomens wurden mit

Versuchen an Kadavern von jungen Schweinen verglichen.

71 Quellen: 1 – [Kallieris et al. 1976], 2 – [Wismanns et al. 1976], 3 – [Dejammes et al. 1974], 4 – [Brun-

Cassan et al. 1993]

72 Kissen: In diesem Zusammenhang eine feste Struktur, die gewöhnlich am Beckengurt befestigt wird und

das Abdomen des Kindes flächig abstützt (engl.: shield).

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

48

Abbildung 23 Verschiedene Beanspruchungskonfigurationen der Versuche von Kent. Von links nach

rechts: Schultergurt, verteilte Last, unteres Abdomen, oberes Abdomen und HLW [Kent, 2009]

Die Auswertung der Ergebnisse dieser Versuchsreihe ergab, dass die Testergebnisse mit keinem

der bisherigen experimentellen Lastfälle übereinstimmen. Die Thoraxsteifigkeit während der Herz-

Lungen-Wiederbelebungs-Versuche war nahezu doppelt so hoch wie bei den Versuchen von

Maltese [Maltese, 2008]. Das Abdomen war leicht steifer als bei den Versuchen mit den

Schweinekadavern [Kent, 2006]. Zusätzlich wurden Versuche an erwachsenen PMHS auf das

Niveau des untersuchten Kindes skaliert und die Testergebnisse verglichen. Die skalierten

Korridore waren in der Kraft-Weg-Kennung alle deutlich „weicher“.

Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe müssen jedoch kritisch betrachtet werden: Es handelte sich

nur um ein PMHCS im Alter von 7 Jahren. In Bezug auf seine Abmaße entspräche das Kind

statistisch einem 10 Jahre alten 50%-Perzentil. Während der Versuchsreihe sind mehrere Rippen

gebrochen (insgesamt 13 Rippenbrüche). Dabei wurde nicht genau dokumentiert nach welchem

Versuch welche Rippen brachen, daher ist eine Veränderung der Thoraxsteifigkeit zwischen den

einzelnen Versuchen nicht auszuschließen. Da davon auszugehen ist, dass Rippenbrüche eher zu

einer Reduktion der Thoraxsteifigkeit führen, ist die Qualität der Vergleichbarkeit mit anderen

experimentellen Lastfällen gering.

Nichtdestotrotz stellen solche Versuchsreihen eine Bereicherung des Wissens um die

biomechanischen Eigenschaften von menschlichem Gewebe und deren Veränderungen im Alter

dar. Sie zeigen auf, dass die bisher getroffenen Annahmen zwar nicht grundsätzlich falsch, für eine

detailliertere Betrachtung jedoch verbesserungswürdig sind und geben gleichzeitig Denkanstöße

für neuartige Test- und Vergleichsmethoden.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

49

3.6 SKALIERUNG

Skalierung hat mit dem aus dem Lateinischen überführten Begriff scalae73

nicht mehr viel

gemeinsam. Mit Skalierung wird die Anpassung eines Systems mit Hilfe von Faktoren bezeichnet,

die sich aus den mechanischen Zusammenhängen ableiten lassen. Sie erlaubt es, funktionale

Zusammenhänge auf einen anderen Anwendungsfall zu übertragen. Das Maß der Skalierung kann

abhängig von einer oder von mehreren Variablen sein. Das Skalengesetz kann linear oder nicht-

linear sein. Der Skalierprozess kann mitunter sehr komplex sein. Neben der reinen geometrischen

Skalierung können auch mechanische Eigenschaften eines Systems skaliert werden. Man erhält so

ein geometrisch identisches System, welches aber bei gegebenen Systemanregungen eine andere

Systemantwort liefert. Eine weitere Methode ist das Skalieren der Systemantwort selbst, um bei

gleichen Anregungen ein ähnlich agierendes Systems zu erschaffen, welches sich vom Original

entweder in der Geometrie oder den mechanischen Eigenschaften unterscheidet.

In den nachfolgenden Kapiteln werden drei geeignete Skaliermethoden vor dem Hintergrund der

FEM-Modellierung und mit besonderem Bezug auf die Biomechanik des Menschen kurz

zusammengefasst.

3.6.1 GEOMETRISCHE SKALIERUNG

Die geometrische Skalierung ist ein Prozess der Änderung der Größe eines Systems. Sofern das

System einfach aufgebaut ist, bedeutet es nur einen Rechenschritt pro Knotenkoordinate des

Systems.

Abbildung 24: Skalierung eines einfachen geometrischen Objekts

Soll ein komplexes System wie ein numerisches Menschmodell skaliert werden, um ein einem

anderen Alter entsprechendes Derivat zu erzeugen, ist dieser Vorgang nicht mehr trivial. Folgende

Grundlagen sollten dabei beachtet werden.

73 Scalae: lat. für Treppe, Leiter

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

50

Schwerpunktanpassung

Ein komplexes System besteht aus mehreren Objekten, welche miteinander verknüpft sind. Werden

am Beispiel des Menschmodells zunächst nur die äußeren Abmessungen betrachtet, sind die

Verhältnisse der einzelnen Körperteile in Abhängigkeit vom Alter unterschiedlich. Da in der Regel

jedes Objekt um seinen Schwerpunkt skaliert wird, müssen die zusätzlichen Verschiebungen der

einzelnen Schwerpunkte zueinander berücksichtigt werden.

Abbildung 25: Skalierung mehrerer einzelner Objekte ohne die Anpassung der Schwerpunktlage

Netzbereinigung an den Schnittflächen zwischen mehreren Bauteilen

Wenn einzelne Objekte mit unterschiedlichen Faktoren skaliert wurden und deren Lage durch die

Angleichung der Schwerpunktposition angepasst ist, so müssen die Netzstrukturen an den Grenzen

zwischen den einzelnen Objekten manuell abgestimmt werden.

Abbildung 26: Konflikte an den Schnittstellen zwischen zwei Objekten

Wird dieses Vorgehen auf ein komplexes FE-Modell wie das eines Menschen angewandt, so wird

der Aufwand zur Bereinigung und Korrektur der Schnittflächen unverhältnismäßig hoch. Nahezu

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

51

alle modernen Präprozessor74

-Softwarelösungen bieten jedoch eigens für solche Problemstellungen

entwickelte Befehlsgruppen. Dieses Vorgehen lässt sich unter dem Begriff Morphing75

zusammenfassen. Ein entsprechender mathematischer Ansatz wird im nächsten Kapitel

beschrieben.

3.6.2 MORPHING

Die ursprüngliche Methode, die als Grundlage für alle modernen Morphing-Algorithmen dient,

wurde 1951 von D. Krige entwickelt [Krige, 1951]. Er entwickelte eine Interpolationsmethode, mit

der eine räumliche Schätzung anhand von gesetzten raumfesten Änderungsvariablen berechnet

werden kann. Es ist ein effizientes und fehlerunanfälliges Interpolationsverfahren. Das Beispiel in

Abbildung 27 zeigt das Ergebnis einer Kriging-Interpolation. Die Ausgangsfläche ist eine ebene

Fläche (nicht dargestellt). Die schwarzen Punkte beschreiben die bekannten Änderungsvariablen

(Änderung in z-Richtung). Das eingefärbte Netz stellt das Ergebnis der Interpolation für einen

beliebigen Punkt dar.

Abbildung 27: Beispiel einer Kriging-Interpolation; schwarz: gegebene Änderungsvariablen, farbiges

Netz: resultierende Abweichungen [Lophaven et al., 2002]

Durch das Setzen von einigen charakteristischen Punkten (gewöhnlich Punkte an knöchernen

Strukturen) an einem numerischen Menschmodell lässt sich mit dem Kriging-Ansatz ein qualitativ

74 Präprozessor: Ein Computerprogramm, das Eingabedaten vorbereitet und zur weiteren Bearbeitung an ein

weiteres Programm übergibt. In diesem Kontext: Software zur visuellen Erstellung und Bearbeitung von FE-

Modellen.

75 Morphing: Ein Prozess zum Berechnen von Zwischenstadien zweier unterschiedlicher Objekte durch

Interpolation und Verzerrungen. In diesem Kontext: Ein Prozess zur Manipulation eines FE-Netzes.

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

52

hochwertiges Ersatzmodell erstellen. Auch bei dieser Methode gibt es Grenzen: Sehr starke Verfor-

mungen bzw. Änderungen an der Statur (z.B. von stehend nach sitzend) können nicht ohne

weiteres gemorpht werden. Die damit verbundenen, starken Dehnungen an den Gelenken würden

das numerische Netz unter Umständen instabil machen. Des Weiteren gelten auch hier die in

Kapitel 2.2 erwähnten Grenzen bei der Skalierung eines erwachsenen Menschmodells auf ein Kind.

3.6.3 SKALIERUNG DER SYSTEMANTWORTEN

Eine weitere Methode ist das Skalieren der Systemantwort. Diese Methode basiert auf einer

physikalischen Dimensionsanalyse und ist anwendbar auf Systeme, in denen thermische und

elektrische Einflüsse unberücksichtigt bleiben. Anhand von einigen bekannten Daten wird

angenommen, dass das betrachtete System ähnlich agieren wird wie ein vergleichbares System.

Hierzu ist die Definition von drei fundamentalen Skalierfaktoren notwendig: Länge, Dichte und

Steifigkeit. Skalierungsgrößen aller anderen physikalischen Größen können mittels dieser Ver-

hältnisse bestimmt werden [Melvin, 1995].

Im Kontext dieser Arbeit werden aus PMHS-Tests an Erwachsenen gewonnene Daten auf das

gewünschte Niveau der Kinder skaliert. Es werden sowohl die Testschwere76

als auch die

Ergebnisse, z.B. die gewonnenen Kraft-Weg-Kennungen für eine bestimmte Aufprallart errechnet.

Dabei wird die Annahme getroffen, dass die Dichte identisch ist.

Tabelle 13 zeigt die Skalierfaktoren, die demnach gebildet werden können [Eppinger, 1999].

Tabelle 13: Skalierfaktoren für verschiedene physikalische Größen [Eppinger, 1999]

Skaliergröße Formel

Länge IL = L1 / L2

Masse IM = ( IL )³

Elastizitätsmodul IE = E1 / E2

Zeit IT = IL / ( IE )1/2

Beschleunigung IA = IE / IL

Kraft IF = ( IL )² IE

Moment IM = ( IL )³ IE

HIC IHIC = ( IE )² / ( IL )1,5

76 Testschwere: Häufig wird die Annahme des gleichen Energieeintrags verwendet. Je nachdem ob das

untersuchte System starke Dehnratenabhängigkeit besitzt, wird entweder die Testgeschwindigkeit oder die

aufgebracht Kraft / Impaktormasse als ein konstanter Wert angenommen.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

53

Eine ausführliche Studie von Mertz [Mertz et al., 1997] stellt Skalierfaktoren für die Entwicklung

von HIII-Kinderdummys entsprechend dem Alter von einem, anderthalb, drei und sechs Jahren dar.

Die in der nachfolgenden Tabelle dargestellten Skalierfaktoren bezeichnen das geometrische

Skalierverhältnis einzelner Körperbereiche in drei Dimensionen und das entsprechende

Massenverhältnis (λm) dar. Die Basis für diese Skalierfaktoren ist ein 50%-Perzentil-Mann. Die

zugrundeliegenden anthropometrischen Daten stammen aus verschiedenen Quellen. Sie beinhalten

Größen und Gewichte der Menschen in Nordamerika von 1973 bis 1986. Bei der Bestimmung

neuer Skalierfaktoren sollten die anthropometrischen Daten sorgfältig geprüft werden. Betrachtet

man die Wachstumsakzeleration77

, so ist davon auszugehen dass ein 50 Perzentil Mann im Jahre

2013 geringfügig größer ist als ein 50 Perzentil vor 30 Jahren. Die kontinentalen Unterschiede in

den Durchschnittsgrößen als auch die immer höhere Anzahl an übergewichtigen Menschen,

insbesondere übergewichtiger Kinder in den Industriestaaten [Ebbeling, 2002], üben einen großen

Einfluss auf die statistischen Größen aus und sollten bei der Auswahl kritisch betrachtet werden.

Tabelle 14: Skalierfaktoren78

für die Entwicklung von HIII-Kinderdummys [Mertz et al., 1997]

Körperregion λ 0,5 Jahre 1 Jahr 1,5 Jahre 3 Jahre 6 Jahre

Kopf

λx 0,775 0,817 0,844 0,876 0,914

λy 0,775 0,817 0,844 0,876 0,914

λz 0,775 0,817 0,844 0,876 0,914

λm 0,465 0,548 0,599 0,672 0,764

Hals

λx 0,577 0,590 0,590 0,637 0,618

λy 0,577 0,590 0,590 0,637 0,618

λz 0,577 0,590 0,590 0,637 0,700

λm 0,192 0,205 0,205 0,259 0,267

Torso

λx 0,455 0,485 0,508 0,556 0,618

λy 0,455 0,485 0,508 0,556 0,618

λz 0,484 0,529 0,557 0,602 0,700

λm 0,100 0,124 0,143 0,186 0,267

3.6.4 DURCH SKALIERUNG ENTWICKELTE KINDERMODELLE

In den letzten Jahren wurden einige Menschmodelle entwickelt. Die meisten Modelle basieren auf

dem HUMOS und damit auf einem fast 50%-Perzentil-Mann (Europa). Aus dieser Basisgeometrie

77 Wachstumsakzeleration: Die Zunahme der Körpergröße der Menschen von Generation zu Generation,

insbesondere in Industriestaaten als Folge besserer Ernährung, Umwelt und reduzierter Stresseinwirkung.

78 Skalierfaktor λ für die Umrechnung von Dummy-Größen, basierend auf anthropometrischen Daten des

Menschen.

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3. Material und Geometriedaten als Basis für die Entwicklung des Menschmodells

54

sind viele Menschmodelle entstanden. Die Skalierung beschränkte sich hierbei allerdings auf die

Erstellung neuer Größen wie 95%- und 5%-Perzentile und die Änderung der Körperhaltung der

Modelle. Es wurden auch einige wenige Kindermodelle entwickelt, die nachfolgend beschrieben

werden.

Das neueste Mitglied der THUMS-FE-Menschmodelle ist die Nachbildung eines sechs Jahre alten

Kindes. Der THUMS-6YO ist vorerst nur in der Fußgängerposition, also stehend, modelliert. Es

gibt bislang nur wenig Material über den Validationsstand und Einsatzzweck dieses Modells.

Von TNO79

wurde ein skalierbares Menschmodell in MADYMO entwickelt [Rodarius et al., 2007].

Durch die Definition von 35 anthropologischen Größen, der Eingabe von 16 Skalierfaktoren oder

durch das Nutzen hinterlegter anthropologischer Datenbanken kann das Modell mittels des

MADYMO-Skalier-Tools in verschiedene Zustände überführt werden, die sich in Größe und

Gewicht unterschieden. Das Skalieren auf die Größe von Kindern war hierbei nicht immer

möglich, da sich resultierende Modelle als unpassend erwiesen bzw. aufgrund der starken

Skalierung grobe Fehler aufwiesen. Auch wurden altersabhängige Materialeigenschaften nicht

berücksichtigt.

Abbildung 28: TNO-Skalierung eines Erwachsenenmodells auf Kinderniveau [Rodarius et al., 2007]

Ein numerisches Kindermodell wurde an der Nagoya Universität in Japan entwickelt, um

verschiedene Kinderrückhaltesysteme zu evaluieren [Mizuno et al. 2007]. Das Modell wurde durch

die Skalierung des THUMS-Modells erzeugt und nach dem Zertifizierungsverfahren des Hybrid-

III-3YO-Dummys für den Frontalaufprall validiert. Das Modell ist öffentlich nicht verfügbar. Die

79 TNO: Toegepast Natuurwetenschappelijk Onderzoek - Niederländische Organisation für Angewandte

Naturwissenschaftliche Forschung

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

55

Ergebnisse zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen dem Verhalten des Dummys und dem

des Menschmodells bei einem Frontalaufprall.

Abbildung 29: Vergleich des skalierten Menschmodells mit dem HIII-Kinderdummy

[Mizuno et al., 2007]

In 2008 wurde das japanische Modell weiter verfeinert und auf die Lastfälle Frontal- und

Seitenaufprall im Hals, Thorax und Abdominalbereich validiert (Abbildung 30).

Abbildung 30: Darstellung der Validationsversuche des skalierten Menschmodells für den Frontal-

und Seitenaufprall [Koizumi et al., 2008]

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57

4 GEOMETRIEGRUNDLAGEN FÜR DAS MENSCHMODELL

Die korrekte und detaillierte geometrische Beschreibung des Menschen ist bei der Entwicklung

eines numerischen Abbilds besonders wichtig. Während eine Vielzahl von Daten zu den äußeren

Abmessungen existiert, sind die inneren Abmaße nicht in statistisch ausreichender Anzahl

vorhanden. Dies gilt insbesondere für Kinder. Eine im vorherigen Kapitel beschriebene Skalierung

der Erwachsenengeometrie ist für die inneren Organe nicht zulässig, da sie sich im Verlauf des

Lebens nicht linear proportional zu den äußeren Abmessungen entwickeln.

Für diese Arbeit wurde die genau vermessene Geometrie eines Individuums zugrunde gelegt. Das

Kind entsprach in den Abmessungen ungefähr dem statistischen Mittelwert. Für die Anpassung des

Modells an ein 50%-Perzentil wurden statistische Daten (äußere Geometrieabmessungen)

verschiedener Quellen herangezogen.

4.1 UNTERSCHIEDE ZUR ANATOMIE DES ERWACHSENEN UND DARAUS

RESULTIERENDE VERLETZUNGSRISIKEN

Kinder als Insassen von Fahrzeug sind im Falle eines Unfalls besonders gefährdet. Der Körper ist

nicht vollständig ausgebildet und erreicht bei weitem nicht die Robustheit eines Erwachsenen. Der

Kopf ist im Verhältnis zum Torso grösser und schwerer, gleichzeitig sind die Knochenstrukturen

sehr elastisch und die stützende Muskulatur im Halsbereich nicht vollständig ausgebildet. Schäden,

insbesondere am Rückenmark im Bereich der Halswirbelsäule, können aus diesen Gründen bei

frontaler Belastung viel häufiger auftreten. Der Rippenkäfig im Brustkorb übernimmt die

Schutzfunktion der lebenswichtigen Organe, die für die Durchblutung des Körpers und die

Versorgung aller Organe mit Sauerstoff verantwortlich sind. Bei einem Kind sind die Rippen im

vorderen Bereich des Sternums noch nicht als knöcherne Struktur ausgebildet und bieten somit nur

wenig Widerstand gegen Eindringung. Der Abdominalbereich ist relativ größer als beim

Erwachsenen, zusätzlich sind einige innere Organe nicht in dem Maße vom Rippenkäfig geschützt,

wie es später im Erwachsenenstadium der Fall ist. Das Becken des Kindes ist ebenfalls noch nicht

vollständig ausgebildet. Im Gegensatz zum Erwachsenen bieten die Hüftknochen bzw. der

Beckenkamm wenig Halt für den Beckengurt, welcher so bei einem Frontalaufprall auf den

Abdomen abrutschen und schwere Abdominalverletzungen verursachen kann. Das Abrutschen des

Beckengurtes kann bei einem Frontalaufprall zu Submarining führen. Ursache dafür kann ebenfalls

die falsche Benutzung der Rückhaltesysteme (Gurtlose) oder eine falsche Körperhaltung sein, in

der die Wirbelsäule nicht an der Rückenlehne anliegt bzw. ein großer Abstand zwischen der

unteren Rückenlehne und dem Becken entsteht.

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4. Geometriegrundlagen für das Menschmodell

58

4.2 STATISTISCHE DATEN

Die Grundlage für die innerhalb des Forschungsprojektes CASPER entwickelten Kindermodelle

bildet eine von einem der Forschungspartner durchgeführte Studie [Serre et al., 2010]. In dieser

Studie wurde eine Vielzahl von anthropometrischen Daten von drei- und sechsjährigen Kindern

erhoben. Vermessen wurden bei dieser Erhebung Kinder einer nord-französischen Schule. Zwar

fehlt eine Aussage über die Repräsentanz dieser Daten bzw. über den Vergleich zu anderen

europäischen Kindern, jedoch umfassen sie die relevanten Maße in stehender und (in einem

Kinderrückhaltesystem) sitzender Position und sind aktuell.

Um die für die Validation notwendigen Ergebnisse der Versuche an erwachsenen PMHS auf das

Niveau eines drei Jahre alten Kindes zu skalieren, wurden Daten aus dem „Anthropologischen

Atlas“ [Greil et al., 1986] ausgewählt. In ihm wurden u.a. zahlreiche anthropometrische Daten der

damaligen Bevölkerung der DDR gesammelt. Diese Daten sind nicht aktuell, aber dennoch bilden

sie gerade aus diesem Grund die Versuchspersonen der in dieser Arbeit zugrundeliegenden

Vergleichsuntersuchungen besser ab, da Effekte wie z.B. die Akzeleration der Körpergröße im

Verlauf der letzten Jahrzehnte damit in gewisser Weise berücksichtigt werden.

Tabelle 15: Anthropometrische Datenbasis (Auszug) [Serre, 2010 und Greil, 1986]

Maß CASPER

Kind, 3 Jahre

Anthropologischer Atlas

Erwachsener, männlich 18-59

Jahre

Brustbeinhöhe, sitzend80

287 mm (Maß 15)

Brustbeinhöhe, stehend 1409 mm (S. 81)

Nabelhöhe, sitzend 119 mm (Maß 16)

Nabelhöhe, stehend 1065 mm (S. 87)

Beckenhöhe, sitzend 94 mm (Maß 17) 237 mm (S. 163)

Projektivische Beinlänge81

812 mm (S. 143)

Brustkorbtiefe82

148 mm (Maß 6) 236 mm (S. 101)

Bauchtiefe 166 mm (Maß 7) 291 mm (S.165)

Brustkorbbreite 178 mm (Maß 9) 309 mm (S. 95)

Bauchbreite 161 mm (Maß 10)

Taillenbreite 303 mm (S. 93)

Körpergewicht 14,37 kg CANDAT 78,0 kg (S. 325)

80 gemessen in KRS

81 Projektivische Beinlänge = Körperhöhe – Stammlänge; Stammlänge: ein Höhenmaß, gemessen in aufrecht

stehender Position, zwischen dem obersten Kopfpunkt und untersten Torso / Beckenpunkt

82 Erwachsener stehend, Kind sitzend

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

59

4.3 DAS VORLIEGENDE PMHCS

Die Geometriebeschreibungen für die in dieser Arbeit beschriebene Entwicklung eines

Menschmodells stammen von einem dreijährig verstorbenen Kind. Die Leiche des Kindes wurde

mittels Computertomografie in seinen Abmessungen digitalisiert. Derartige Untersuchungen könne

aus gesundheitlichen Gründen nur an Leichen durchgeführt werden. Um einen Detaillierungsgrad

zu erreichen, der nötig ist um die inneren Organe voneinander unterscheiden zu können, muss die

Strahlungsstärke so hoch eingestellt sein, dass lebende Organismen dauerhaft geschädigt werden

können.

Das Kind entsprach in den Abmessungen ungefähr dem statistischen Mittelwert. Die

Geometriedaten wurden von einem CASPER-Forschungspartner (LMU83

) bereitgestellt. Das

PMHCS wurde in der Transversalebene in einem Abstand von jeweils einem Millimeter

eingescannt. Der resultierende Datensatz besteht aus 3279 Einzelbildern.

Tabelle 16: Vergleich der Abmessungen mit einem statistischen Durchschnitt und einem Q3-Dummy

PMHCS CANDAT [%] Q3-Dummy

Alter 3,26 Jahre 3,00 Jahre 3,00 Jahre

Höhe 94 cm 95,02 cm 98,5 cm

Gewicht 18 kg 14,37 kg 14,5 kg

Mit Hilfe des Einsatzes verschiedener Softwarelösungen wurde aus den 3279 Einzelbildern eine

Raumkarte gebildet. Anschließend wurden die gewünschten inneren Organe optisch voneinander

separiert und als Raumpunktewolken exportiert.

83 LMU: Ludwig-Maximilians-Universität München

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4. Geometriegrundlagen für das Menschmodell

60

Abbildung 31: Separation der einzelnen Organe (hier: Leber) und eine Gesamtdarstellung des

PMHCS [CASPER, 2010]

Wie aus der Tabelle 16 ersichtlich ist, entsprach das PMHCS nicht ganz den statistischen

Durchschnittswerten. Insbesondere das hohe Übergewicht musste in der späteren Modellierungs-

phase korrigiert werden.

Das Kind starb im Alter von drei Jahren und drei Monaten an Lungenversagen. Daher musste

zunächst geprüft werden, ob eine mögliche Fehlbildung berücksichtigt werden muss. Die

Bezeichnung der Todesursache (COPD84

) ist ein Sammelbegriff und beschreibt eine Gruppe von

Lungenkrankheiten. Eine dieser Krankheiten ist eine Bronchitis-Form, welche zu einer

Missbildung führen kann. Bei dieser Krankheit kann sich die Form des Brustkorbs bedingt durch

ständige Atemnot und die damit verbundene Ausdehnung der Lunge verändern. In der

Transversalebene bildet der Brustkorb bei gesunden Erwachsenen ein Oval. Bei Menschen mit

Lungenerkrankungen ab dem Kindesalter an entwickelt sich der Brustkorb mehr zu einem Kreis.

Nach Prüfung entsprechender Querschnitte des vorhandenen PMHCS konnte jedoch keine

Fehlbildung festgestellt werden.

Eine weitere Fehlerursache, welche eine spätere Anpassung erforderte, ist die Position des PMHCS

beim Scanvorgang. Bedingt durch die Bauweise des verwendeten CT-Scanners kann ein Mensch

nur in liegender Position eingescannt werden. Das Menschmodell soll aber in der sitzenden

Position verwendet werden. Diese Tatsache macht Anpassungen an der Wirbelsäule und damit

84 COPD: engl.: chronic obstructive pulmonary disease - chronisch obstruktive Lungenerkrankung

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

61

gleichzeitig an der Position aller inneren Organe und an den Schultern nötig, welche in einer

sitzenden Position nach unten gezogen werden.

4.4 STELLUNG DER WIRBELSÄULE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE

UNFALLKINEMATIK

Die Korrektur der Körperhaltung wurde im späten Entwicklungsstadium des numerischen Modells

durchgeführt. Die Stellung der Wirbelsäule und der Beckenwinkel wurden an eine sitzende

Position angepasst, basierend auf den Ergebnissen von Beillas [Beillas et al., 2009]. In dieser

Studie wurden verschiedene Körperhaltungen von neun Probanden im Alter von 26 bis 42 Jahren

mittels einer Magnetresonanztomografie untersucht. Die einzelnen Positionen (stehend, sitzend,

gebeugt nach vorn und liegend) unterschieden sich bis auf die liegende Position kaum voneinander.

Zwischen der liegenden und der sitzenden Position wurden die größten Unterschiede beobachtet.

So betrug die maximale Organverschiebung 39 mm, die maximale Änderung des abdominalen

Volumens betrug 1300 cm³.

Abbildung 32: Unterschiede zwischen der sitzenden (dunkel) und liegenden (hell) Position [Beillas et

al., 2009]

Die in Abbildung 32 dargestellten Organe und die Wirbelsäule sind deutlich voneinander zu

unterscheiden. Folgende Unterschiede in der Position der Körperorgane können einen großen

Einfluss auf die Unfallkinematik ausüben:

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4. Geometriegrundlagen für das Menschmodell

62

Tabelle 17: Stellung der Wirbelsäule und ihre Bedeutung für die Unfallkinematik

Bereich Einfluss auf die Unfallkinematik

Beckenwinkel

Der Beckenwinkel bestimmt die Interaktion zwischen dem unteren Abdomen,

dem Beckenkamm und dem Beckengurt bei einem Frontalaufprall. Ein falsch

positioniertes Becken kann in der Unfallrekonstruktion zu Submarining führen,

wo keins beobachtet werden sollte und umgekehrt.

Volumen des

Abdomens

Das Volumen des Abdomens ändert sich bei jeder Bewegung des Körpers. Es

werden nicht nur die inneren Organe mitbewegt, es ändert sich auch die

Gesamtsteifigkeit des ohnehin schon weichen Abdomens. Sowohl im Frontal als

auch im Seitenaufprall kann dies zu einem veränderten Aufprallverhalten führen.

Wirbelsäulenverlauf

T1-T12

Der Verlauf der Thorax-Wirbel 1-12 beschreibt eine Kurve und beeinflusst somit

auch den Sternumwinkel und die Rippenposition. Abstrahiert betrachtet ist der

Rippenkäfig eine Blattfeder, welche ihre Steifigkeit je nach Winkel ändert.

Insbesondere bei einem Frontalaufprall kann dies zu einem veränderten

Aufprallverhalten führen.

Falsche Position der

inneren Organe

Die Position der inneren Organe beeinflusst die Verletzungswahrscheinlichkeit

bzw. die Auftreffwahrscheinlichkeiten bei Unfällen, in denen die Verletzungen

durch hohe Penetration (Fahrzeuggurt, Kinderitz- oder Verkleidungsteile)

verursacht werden.

4.5 UNTERSCHIEDE IN DER POSITION DES DUMMYS IM CRASH TEST UND VON

KINDERN REAL ANGENOMMENEN POSITIONEN

Die Auslegung der Kinderrückhaltesysteme basiert auf der Annahme, dass ein Kind im Kindersitz

eine aufrechte Position einnimmt. Dabei passt sich die Wirbelsäule dem Verlauf der Rückenlehne

an und es besteht kein größerer Abstand zwischen der Wirbelsäule und dem Kindersitz. Dieser

Zustand entspricht nicht immer der Realität. Kinder sind häufig abgelenkt durch ihre Umgebung

und nehmen entsprechend andere Sitzpositionen ein bzw. bleiben nicht dauerhaft in einer Position

und wechseln diese häufig. Einige Studien belegen diese Behauptung. Andersson [Andersson et al.,

2010] untersuchte das Verhalten von Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren in zwei

verschiedenen Kindersitzen (Gruppe II/III Kindersitztypen85

). Der Vergleich wurde bewusst

zwischen einem älteren Kindersitzmodell, welches den heutigen Sicherheitsstandards nicht mehr

entspricht (Sitz X) und einem aktuellen Kindersitzmodell (Sitz Y) gewählt.

85 Gruppe II / III Kindersitz: Eine Sitzerhöhung mit Rückenlehne

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

63

Abbildung 33: Die untersuchten Kindersitzmodelle. Links: Sitz X, rechts: Sitz Y [Andersson et al.,

2010]

Die Untersuchung wurde mit sechs Probanden in einem Fahrzeug durchgeführt. Eine Fahrt dauerte

ungefähr 50 Minuten. Es zeigte sich, dass die Kinder im alten Kindersitztyp in 75% der gesamten

Fahrtzeit eine richtige Sitzposition einnahmen, im modernen Kinderschutzsystem hingegen nur in

45% der Zeit. Dies wird damit begründet, dass die Rundumsicht im modernen Kindersitz durch die

seitlichen Schutzpolster deutlich eingeschränkt ist. Andere Studien weisen auf vergleichbare

Ergebnisse hin. Charlton [Charlton et al., 2010] kommt auf eine Fehlbenutzungsrate86

von sogar

70%.

Die Effekte der nicht korrekten Sitzhaltung auf das Verletzungsrisiko von Kindern wurden bisher

kaum untersucht. Konstruktionsbedingt kann man einen Dummy nicht in jeder Position einsetzen,

ein Menschmodell würde an dieser Stelle mehr Möglichkeiten eröffnen.

86 Fehlbenutzung: im Sinne des Einnehmens einer unnatürlichen Sitzposition (bei korrekt angelegtem Gurt),

welche in einem möglichen Aufprall zu deutlich höherem Verletzungsrisiko tragen würde.

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65

5 MODELLAUFBAU

Das in dieser Arbeit entwickelte Modell beschreibt das 50er-Perzentil eines drei Jahre alten Kindes.

Das numerische Modell wurde mit der Zielsetzung entwickelt, Untersuchungen in Frontal- und

Seitenaufprallrichtung durchführen zu können. Der Schwerpunkt dieser Untersuchungen liegt dabei

auf der Möglichkeit, das Verletzungsrisiko einzelner innerer Organe abschätzen zu können.

Die Arbeit entstand im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts CASPER. Neben dem

Modell für das drei Jahre alte Kind entstanden auch Modelle für ein ein- und sechsjähriges Kind.

Alle CASPER-Modelle sind als Vollkörpermodelle konzipiert worden. Mehrere Forschungspartner

haben Modelle für unterschiedliche Körperbereiche entwickelt, welche am Ende des

Forschungsprojekts zusammengesetzt werden sollten. Das in dieser Arbeit behandelte

Menschmodell beschreibt ein Vollkörpermodell mit einem detaillierten Thorax- und Abdominal-

bereich mit vereinfachten Ersatzmodellen für Kopf, Hals und Extremitäten.

5.1 VEREINFACHTES MENSCHMODELL

Bei der Entwicklung des Menschmodells stand neben einem hohen Detaillierungsrad eine schnelle

Rechenfähigkeit87

des Modells im Vordergrund. Die Simulationen mit dem Menschmodell sollten

nicht wesentlich länger dauern als die Simulationen mit einem Dummymodell. Der hohe

Detaillierungsgrad erfordert jedoch ein möglichst feines Netz, welches unmittelbar zu einer

längeren Simulationszeit führt. Als ein ungefährer Anhaltspunkt wurde festgelegt, dass die

durchschnittliche Elementgröße88

und somit Anzahl der Elemente im Modell ungefähr mit der des

numerischen Dummymodells vergleichbar ist. Dieser Wert entspricht ca. sieben Millimetern.

Die Festlegung auf eine minimale Kantenlänge von sieben Millimetern beschreibt gleichzeitig den

maximalen Detaillierungsgrad aller inneren Organe bzw. der geometrischen Eigenschaften des

Körpers. Organe oder Organbereiche kleiner als sieben Millimeter werden nicht berücksichtigt.

Darunter fallen z.B. Venen und Arterien, Speise- und Luftröhre sowie große Teile des

Verdauungstrakts.

87 Rechenfähigkeit: In diesem Zusammenhang ein Maß für die Zeit, welche für die numerische Berechnung

eines bestimmten Lastfalls mit diesem Modell benötigt wird.

88 Elementgröße: die Kantenlänge des Elements, egal ob 2D- oder 3D-Elemente

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5. Modellaufbau

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In Kapitel 2.3 wurde die Festlegung auf Ausmodellierung der inneren Organe basierend auf ihrer

Wichtigkeit aus dem Verletzungsrisiko getroffen. Die Wahl der Organe steht nicht im Konflikt zur

gewählten Netzgröße.

Betrachtet man andere Körperregionen, so ist es besonders der Kopf- und Halsbereich, welcher mit

einem besonders feinen FE-Netz abgebildet werden muss, um ein aussagekräftiges numerisches

Modell erstellen zu können. Der Grund hierfür ist die komplexe Kinematik des Kopf- und

Halsbereichs bei einem Aufprall. Die Halswirbel sind an mehreren Stellen miteinander verbunden

und viel filigraner als die Brust- bzw. Lendenwirbel. Ohne eine detaillierte Abbildung der

Geometrie kann das Zusammenspiel dieser Wirbel nicht hinreichend genau nachgestellt werden.

Dies ist ein Grund dafür, dass dieser Bereich in diesem Modell nur abstrakt abgebildet wurde, eine

detaillierte Nachbildung würde schätzungsweise den gleichen Betrag der Zeit einnehmen, wie für

die Entwicklung des Thorax- und Abdomenmodells nötig war.

Innerhalb von CASPER wurde ein detailliertes Modell des Kopf- und Halsbereichs von UDS89

entwickelt.

5.2 AUFBEREITUNG DER GEOMETRIE

Die Geometrie für das Menschmodell stammt von einer Kinderleiche, sie wurde von einem

Forschungspartner innerhalb des Projekts CASPER zur Verfügung gestellt. Das ursprüngliche

Format, welches die Computertomographie-Geräte liefern, beinhaltet viele Schnittbilder in einer

Ebene des Modells im Graustufenformat. Diese Ebene entspricht der Scanrichtung und ist bedingt

durch die Form des Scanners in den meisten Fällen die Transversalebene.

Mittels zusätzlicher Softwarelösungen wurden die einzelnen Organe, voneinander zu unterscheiden

durch unterschiedliche Graustufen, eingefärbt und zu einer 3D-Punktewolke zusammengefasst. Die

Umrisse dieser Punktewolken für jedes einzelne Organ, die Skelettstruktur und die Außenhaut

wurden vom Forschungspartner zur Verfügung gestellt, die weitere Aufbereitung der Geometrie

und die Erstellung eines rechenfähigen FE-Netzes erfolgte in Eigenleistung.

89 UDS: Universität Straßburg, Systemes Biomecaniques

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

67

Abbildung 34: Zwischenstadium der Geometrieaufbereitung

Die Aufbereitung der Geometrie erforderte den Einsatz verschiedener Tools in mehreren

Iterationsschritten. Viele Bereiche, insbesondere die Beschreibung der knöchernen Strukturen

erforderten darüber hinaus umfangreiche manuelle Korrekturen.

Punktewolke Flächenerstellung

in CATIA

Import und Bearbeitung in

Hypermesh

2D Netzerzeugung

Flächen-erzeugung

Volumen-erzeugung

3D Netzerzeugung

Netzoptimierung

Abbildung 35: Einzelne Schritte von der Punktewolke bis zur Erzeugung eines FE-Netzes

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5. Modellaufbau

68

5.3 DAS SKELETT

Das Skelett des Menschmodells wird mit Ausnahme des Rippenkäfigs als nicht deformierbare

Struktur modelliert. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen ist die bereits beschriebene

Abbildungsqualität nicht immer mit einer definierten Netzgröße durchführbar. Zum anderen sind

die als starre Körper modellierten Bereiche nicht für das Frontal- und Seitenaufprallverhalten

relevant. Diese Vereinfachung betrifft die einzelnen Wirbel, wobei sich diese durch die Verbindung

mit elastischen Bandscheiben zueinander bewegen können. Eine weitere Struktur stellt der

Beckenknochen dar. In diesem Bereich werden keine schweren Verletzungen im Alter von drei

Jahren und als Insasse eines verunfallten Fahrzeugs erwartet (siehe dazu Kapitel 2.3).

Abbildung 36 Modellierung der Skelettstrukturen

Wie auf Abbildung 36 zu erkennen, ist das Skelett des dreijährigen Menschmodells vollkommen

symmetrisch modelliert. Dies entspricht nicht der natürlichen Entwicklung des menschlichen

Körpers. Jeder Körper bzw. jede Skelettstruktur ist geringfügig unsymmetrisch. Hinzu kommt, dass

bei einem drei Jahre alten Kind insbesondere der Rippenkäfig noch nicht vollständig ausgebildet ist

und der vordere Bereich der Rippen noch aus Knorpelmasse besteht. Vergleicht man Abbildung 36

mit Abbildung 34, so können deutliche Unterschiede in der Ausbreitung und Position der einzelnen

Rippen festgestellt werden. Damit das Seitenaufprallverhalten auf der linken und rechten Seite

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

69

gleich bleibt (wenn man von einem geringen Einfluss der unsymmetrischen Position der inneren

Organe wie Herz oder Leber absieht), musste der Rippenkäfig symmetrisch gestaltet werden.

Die Positionen der einzelnen Wirbel mussten ebenfalls korrigiert werden. Sie lagen nicht alle in der

Sagittalebene. Bedingt durch die Position des Körpers beim Einscannvorgang ergaben sich leichte

Verschiebungen der einzelnen Wirbelkörper zueinander. Die Wirbelsäule lag als zusammen-

hängender Körper vor, so dass für den Korrekturschritt alle Wirbelkörper einzeln herausgeschnitten

und angeordnet werden mussten.

Abbildung 37: Modellierung eines Wirbelkörpers

Die Vernetzung des Rippenkäfigs wurde im Laufe des Entwicklungsprozesses mehrmals verändert.

Die anfänglich angedachten Qualitätskriterien führten in den ersten Simulationen zu instabilen

Ergebnissen. Um eine möglichst homogene Durchbiegung einer Rippe abbilden zu können, musste

das Netz sehr gleichmäßig entlang derselben gestaltet werden. Dies erfolgt durch Projektion eines

Netzprofils entlang der Rippenlinie. Die verschiedenen zur Auswahl stehenden Profile wurden auf

ihre Tauglichkeit in einer Hilfsrechnung überprüft. Das Ziel war dabei ein Profil zu finden, welches

in einer FE-Simulation in alle Biegerichtungen einen homogenen Biegewiederstand aufweist.

Kontaktflächen der benachbarten Wirbel –

Superior Articular Process

Inferior Articular Process

Wirbelboden, Anbindung an die

Bandscheibe

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5. Modellaufbau

70

Abbildung 38: FE-Netzoptimierung Rippenkäfig

Für ein möglichst realitätsgetreues Abbilden des Deformationsverhaltens in verschiedenen

Aufprallsituationen ist insbesondere die detaillierte Gestaltung der Wirbelsäule und des Brustkorbs

wichtig. Die Wirbelsäule, das tragende Gerüst des menschlichen Körpers, ist eine sehr komplexe

Kombination aus festen, elastischen und plastischen Elementen.

Jeder Wirbelkörper ist zunächst mit dem jeweils benachbarten Wirbelkörper durch eine

Bandscheibe verbunden, welche sowohl plastisches als auch elastisches Materialverhalten aufweist.

Zusätzlich gehen von den verschiedenen Fortsätzen des Wirbelkörpers elastische Federelemente zu

den benachbarten Wirbeln und zu den Elementen der Rückenmuskulatur. Diese Elemente

repräsentieren Muskel- und Sehnenstränge des menschlichen Körpers. Durch den Einsatz

elastischer Federelemente bleibt das Modell unter einer geringen Selbstspannung, vergleichbar mit

der Körperspannung. Dadurch wird die Körperhaltung bei definiertem Einfluss der

Erdbeschleunigung immer aufrechterhalten, was bei längeren Simulationszeiten positiv ist.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Abbildung 39: Darstellung eines Wirbelkörpers eines Erwachsenen aus der Literatur [Gray, 1918] und

vom Menschmodell mit definierten Anbindungspunkten (rot)

Die realitätsgetreue Anbindung der Rippen ist besonders entscheidend für die valide Abbildung des

Seitenaufprallverhaltens. Die seitliche Ausprägung des Wirbelkörpers, der Querfortsatz, stellt eine

gelenkige Verbindung zur jeweils entsprechenden Rippe dar. In dem dreijährigen Menschmodell ist

dieses Gelenk als ein elastischer Körper dargestellt, modelliert aus der tatsächlichen Geometrie.

Die Steifigkeit dieser elastischen Körper wurde mittels Validation (siehe auch Kapitel 6) ermittelt

und an die gegebenen Lastanforderungen optimiert.

Abbildung 40: Darstellung der Wirbelsäule, Implementierung der Anbindung der Rippen (schwarz

umrandet) an die Wirbelkörper

Elastische Elemente

Rippen

Bandscheibe

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5. Modellaufbau

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Der vordere Bereich des Rippenkäfigs (in Abbildung 40 rot dargestellt) stellt den noch nicht

verknöcherten Teil des Rippenkäfigs dar. Dieser Bereich besteht hauptsächlich aus Knorpelgewebe

und ist deutlich weicher in biomechanischer Hinsicht. Der exakte Übergang vom Knorpel- zum

Knochengewebe konnte anhand der gelieferten Geometriedaten eindeutig bestimmt werden, da sich

die Dichte des Gewebes mit Einsetzen des Verknöcherungsprozesses ebenfalls ändert.

5.4 INNERE ORGANE

Die genaue Abbildung der inneren Organe spielt zwar für das gesamte Deformationsverhalten des

Menschmodells eine eher untergeordnete Rolle. Sie ist jedoch sehr wichtig, um später das

Verletzungsrisiko anhand der Deformation und / oder Spannungsverteilungen abschätzen zu

können. Abweichungen können die Interaktion der einzelnen inneren Organe untereinander stark

beeinflussen und somit das Ergebnis der Untersuchungen verfälschen.

So wie auch die Knochenstrukturen basiert die Geometrie der inneren Organe auf Daten derselben

Quelle. Der Prozess der Umwandlung der Geometriedaten in ein FE-Netz entspricht grob dem in

Kapitel 5.2 beschriebenem Ablauf. Aufgrund der Komplexität war jedoch eine manuelle

Nacharbeit für jedes Organ erforderlich. Die Darstellung der einzelnen Organe, deren Funktion im

Körper und die Verletzungsmechanismen in einer Fahrzeugunfallumgebung werden in den

nachfolgenden Kapiteln kurz beschrieben.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Abbildung 41: Numerisches Menschmodell eines dreijährigen Kinds, Schnitte durch verschiedene

Sagittalebenen

5.4.1 DIE LUNGE

Die Lunge ist ein zur Atmung dienendes, überlebenswichtiges Körperorgan. Die Lunge besteht aus

zwei Lungenflügeln, jeder Lungenflügel ist in mehrere Lungenlappen unterteilt90

.

Die Atmung wird durch Erzeugung von Unter- und Überdruck realisiert. Die Außenluft strömt bei

Unterdruck durch die Luftröhre ein und das Lungenvolumen erhöht sich. Der Unterdruck wird

hauptsächlich durch das Zwerchfell erzeugt. Zusätzlich wirken verschiedene Brustmuskeln zur

Unterstützung des Atemprozesses.

Die beiden Lungenflügel sind für den stetigen Austausch mit Atemluft und stetiger Blutzirkulation

mittig mit der Luftröhre und dem Herz verbunden. Das Lungengewebe besteht hauptsächlich aus

zwei Gewebetypen: einem luftführendem Gewebe und einem für die Anreicherung des Blutes mit

Sauerstoff zuständigen Gewebe.

Im Menschmodell ist die Lunge als Volumenkörper bzw. als zwei Lungenflügel-Volumina

modelliert. Die Lunge hat eine reibungsfreie Kontaktdefinition zu den benachbarten Organen und

ist mittig (Höhe Luftröhre / Aorta) und unten am Zwerchfell durch gemeinsame Knoten verbunden.

90 Lungenlappen: Beim Menschen ist der linke Lungenflügel in zwei und der rechte in drei Lungenlappen

unterteilt.

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5. Modellaufbau

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Abbildung 42: Lunge [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

Die Verletzungen der Lunge bei Insassen eines Kraftfahrzeugs können in zwei Arten unterteilt

werden. Zum einen kann das Gewebe durch Eindringen von Fremdkörpern beschädigt werden wie

z.B. bei Rippenbrüchen. Zum anderen kann das Gewebe bei sehr starken Beschleunigungen

verletzt werden. Durch mikroskopisch kleine Risse am Gewebe kann es zur Füllung des

Lungenvolumens mit Blut kommen, bei Beschädigung der Pleura91

die Lunge. In beiden Fällen ist

die Anreicherung des Bluts mit Sauerstoff gestört, was je nach Verletzungsschwere zum Tod

führen kann [Yen et al., 1988].

Die Messung der Belastungen kann im Simulationsmodell durch Ermittlung von

Volumenänderung, innerem Druck und Eindrückung in Abhängigkeit von der Zeit realisiert

werden. Die real auftretenden Verletzungswahrscheinlichkeiten können mit den eben genannten

physikalischen Größen abgeschätzt werden.

5.4.2 DAS HERZ

Das Herz ist ein Hohlorgan, welches die Versorgung aller Organe mit Blut und den darin

gebundenen überlebenswichtigen Stoffen sichert. Idealisiert betrachtet, ist das Herz eine

Verdrängerpumpe aus Muskelgewebe. Das Blut wird mittels Volumenänderung und Schaltung der

Herzklappen durch das Arterien- und Venensystem befördert. Die Zirkulation erfolgt dabei immer

nur in eine Richtung. Das Herz besteht aus zwei Hauptkammern und jeweils einer Vorkammer.

Im Menschmodell ist das Herz als ein Volumen modelliert. Bei der Abschätzung der Materialdichte

wurde die Füllung des Herzens mit Blut berücksichtigt. Das Herz hat eine reibungsfreie

91 Pleura: Brustfell; eine dünne Haut welche die Lungenhälften umschließt. Sie agiert als gleitende Ver-

schiebeschicht für die Lungenbewegungen innerhalb des Körpers.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Kontaktdefinition zu den benachbarten Organen und ist oben an den Fortsätzen zur Aorta und der

oberen Hohlvene durch gemeinsame Knoten verbunden.

Abbildung 43: Herz [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

Die Verletzungsmuster am Herzen unterteilen sich in zwei Hauptursachen. Wie es bei den meisten

Gewebetypen der Fall ist, sind Verletzungen durch Riss- und Quetschwunden möglich.

Quetschungen entstehen durch hohe Kompression und können das Muskelgewebe des Herzens

beschädigen, wodurch die Funktion des Herzens, je nach Schwere der Verletzung, beeinträchtig

wird. Bei sehr hohen Aufprallgeschwindigkeiten (15 – 20 m/s) kann es zu Herzrhythmus-

störungen92

oder zum Herzstillstand kommen [Schmitt et al., 2010]. Zusätzlich können bei sehr

hoher Aufprallgeschwindigkeit und damit auch lokaler hoher Beschleunigung die Aorta oder die

obere Hohlvene abreißen und die Versorgung des Körpers mit Blut unterbrechen oder stark

einschränken.

Die Messung der Belastungen kann im Simulationsmodell durch Ermittlung von

Volumenänderung, innerem Druck und Eindrückung in Abhängigkeit von der Zeit realisiert

92 Herzrhythmusstörungen: Man unterscheidet zwischen Vorhofflimmern (Arrhythmia, Rhythmusstörung der

Herz – Vorhofkammern, die Effizienz des Herzens sinkt stark ab, jedoch nicht im lebensbedrohlichem

Maße), Kammerflimmern (Fibrillation, eine Herzrhythmusstörung bei der die Herzmuskeln nicht mehr

geordnet angeregt werden, führt zu einem kompletten Abfall der Pulsleistung und zum Tod des Verletzten)

und Arrest (Herzstillstand durch komplette elektromechanische Entkoppelung).

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5. Modellaufbau

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werden. Die real auftretenden Verletzungen können mit den eben genannten physikalischen Größen

abgeschätzt werden.

5.4.3 DIE LEBER

Die Leber kontrolliert den gesamten Stoffwechsel des Körpers. Sie befindet sich im oberen rechten

Abdomenbereich. Bei Erwachsenen ist die Leber teilweise vom Rippenkäfig geschützt. Da bei

Kindern das Größenverhältnis von Abdomen zu Thorax anders ausgeprägt ist, liegt die Leber bei

ihnen größtenteils unterhalb der Rippen und ist dementsprechend weniger geschützt.

Das Gewebe der Leber ist größtenteils gleichmäßig strukturiert. Sie ist unterteilt in zwei

Leberlappen. Auf der Oberseite ist die Leber teilweise verwachsen mit dem Zwerchfell, auf der

Unterseite ist sie an die Leberpforte93

angebunden.

Die Modellierung der Leber im Menschenmodell wurde mit einem Volumenkörper realisiert. Die

Anbindung an die benachbarten Organe entspricht dem eben beschriebenen Zustand und ist mittels

gemeinsamen Knotenpunkten realisiert. Der Kontakt zu den benachbarten Organen ist reibungsfrei

gestaltet.

Abbildung 44: Leber [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

Hinsichtlich der Verletzungsmechanismen lassen sich die im Abdomen liegenden Organe in zwei

unterschiedliche Typen einordnen: Die kompakten Organe wie Leber, Milz und die Nieren sind im

Allgemeinen in einer Fahrzeugunfallumgebung stärker gefährdet durch starke Eindrückung verletzt

zu werden. Die hohlen oder teilweise hohlen Organe sind dabei weniger gefährdet [Schmitt et al.,

2010]. Eine sehr große Rolle spielt die Position des Organs im Abdominalbereich. Die

93 Leberpforte: Ein System aus Arterien und Venen, über die die Leber mit Blut- und Nahrungsbestandteilen

aus dem Magen versorgt wird.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Beschaffenheit des Abdominalbereichs erlaubt große Verschiebungen der inneren Organe

gegeneinander, ohne dass Schäden am Gewebe entstehen müssen. Die einzige feste Struktur im

Abdominalbereich (in der Transversalebene) bildet die Wirbelsäule. Organe sind dementsprechend

stärker gefährdet, wenn sie bei einem Aufprall durch Bestandteile der Rückhaltesysteme in

Richtung der Wirbelsäule belastet werden [Schmitt et al., 2010].

5.4.4 DIE NIEREN

Die Nieren sind wie die Leber für den Stoffwechsel des Körpers zuständig. Sie sind zuständig für

die Ausscheidung von Endprodukten des Stoffwechsels und die Regulierung des Wasserhaushalts

im Körper.

Die Nieren liegen jeweils seitlich der Wirbelsäule, die linke und rechte Niere arbeiten autark. Ein

Mensch kann problemlos mit nur einer Niere überleben. Der Aufbau des Nierengewebes ist

ungleichmäßig. Im numerischen Modell ist die Niere wie auch alle anderen kompakten Organe als

Volumenkörper ausgelegt. Die Anbindung der Nieren an die Nachbarorgane erfolgt entsprechend

dem natürlichen Geflecht aus Arterien, Venen und Harnleitern mittig zur Wirbelsäule hin

ausgerichtet, durch gemeinsame Knoten. Die Kontaktdefinition ist reibungsfrei gestaltet.

Abbildung 45: Niere [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

5.4.5 DIE MILZ

Die Milz ist ein Organ, welches die Zusammensetzung des Bluts aus roten und weißen

Blutkörperchen regelt. Aufgrund ihrer geringen Größe und der Position (oberhalb der linken Niere)

ist die Milz bei einem erwachsenen Menschen in einer Fahrzeugunfallumgebung wenig gefährdet.

Bei Kindern ist das Verletzungsrisiko durch andere Größenverhältnisse und den verhältnismäßig

weicheren Rippenkäfig geringfügig höher (siehe Kapitel 2.3).

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5. Modellaufbau

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Abbildung 46: Milz [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

Im numerischen Modell ist die Milz als ein Volumenkörper ausgebildet. Die Anbindung der Milz

an die Nachbarorgane erfolgt entsprechend der Anbindung an die Arterien durch gemeinsame

Knoten. Die Kontaktdefinition ist reibungsfrei gestaltet.

5.4.6 DER VERDAUUNGSTRAKT

Der gesamte Verdauungstrakt, bestehend aus Magen, Dünn-, Blind- und Dickdarm, wurde im

numerischen Menschmodell zusammengefasst. Diese Organe zählen zu den sogenannten „hohlen“

Organen, da sie nur partiell mit Nahrung, Nahrungsresten und Verdauungsreststoffen gefüllt sind.

Abbildung 47: Verdauungstrakt [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung]

Hohle Organe sind bei hohen Aufprallgeschwindigkeiten weniger gefährdet als die festen oder

kompakten Organe. Bei sehr großen Kompressionen, kann es jedoch zu schweren Verletzungen des

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Magen-Darm-Trakts kommen. Eine typische Abdominalverletzung bei einer Fahrzeugkollision im

Frontalaufprall stellt die Penetration des Abdominalbereichs durch den Beckengurt dar. In den

meisten Fällen ist der Beckengurt dabei nicht richtig positioniert bzw. die falsche Sitzposition des

Insassen führt dazu, dass das Becken um die y-Achse rotiert und unterhalb des Beckengurts

durchrutscht. Je nach Unfallschwere kann der Beckengurt das Abdomen bis zur Wirbelsäule

komprimieren, was zu schweren Verletzungen führen kann [Schmitt, 2010].

Im numerischen Menschmodell ist der Verdauungstrakt in zwei Volumina unterteilt (mit

Tetraederelementen vernetzt). Das obere Volumen repräsentiert den Magen, den Zwölffingerdarm,

die Bauchspeicheldrüse und Teile des quer verlaufenden Dickdarms. Das untere Volumen

repräsentiert den Dünndarm. Beide Volumina sind auf der rechten mittleren Seite miteinander

verbunden, was dem Übergang vom Zwölffingerdarm zum Dünndarm entspricht.

5.4.7 ÜBRIGES GEWEBE

Das Haut-, Muskel- und Fettgewebe wurde getrennt modelliert, soweit die Komplexität es zuließ.

Die Haut besteht aus einer Schicht von drei Hexaederelementen. Die äußere, zwei Millimeter dicke

Schicht repräsentiert die Haut. Mit den darunterliegenden Schichten wurde das Muskel- und

Fettgewebe modelliert. Je nach Körperbereich sind diese Schichten 1 – 15 mm dick.

Darüber hinaus wurden die Hohlräume zwischen den ausmodellierten inneren Organen und der

Außenhaut zu drei unterschiedlichen Volumen kombiniert:

Abbildung 48: Kombiniertes inneres Gewebe

Es wurden sämtliche Hohlräume im numerischen Menschmodell geschlossen. Dabei wurde darauf

geachtet, dass die Möglichkeit der Verschiebung der inneren Organe zueinander bei Verformung

des Körpers innerhalb ihrer anatomischen Grenzen gewährleistet ist.

Muskel- und Fettgewebe

Gewebe zwischen den Rippen und der Lunge; Speiseröhre;

Luftröhre; Aorta; obere Hohlvene

Innere Rückenmuskulatur

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5. Modellaufbau

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5.5 EXTREMITÄTEN

Für einen Einsatz des numerischen Modells in Insassensimulationen reicht ein Modell des Torsos

nicht aus. Um die korrekte Interaktion zwischen den Rückhaltesystemen sicherzustellen, müssen

zumindest die Außenflächen der interagierenden Extremitäten ausmodelliert sein.

Für das numerische Menschmodell eines dreijährigen Kindes wurden die oberen und unteren

Extremitäten nicht detailliert aufgebaut. Die Ansätze der Oberarme wurden durch nicht

deformierbare Blöcke ersetzt, das Schultergelenk wurde vereinfachend modelliert und innerhalb

der Schulterblattgelenkpfanne platziert. Eine Bewegung der Oberarme bei einem Aufprall ist somit

möglich. Um die Trägheit der fehlenden Unterarme zu kompensieren, wurde eine Punktmasse für

jeden Arm definiert.

Analog zu den Oberarmen wurden nur die Oberschenkel ausmodelliert. Die Oberschenkel sind

jedoch deformierbar, damit eine realitätsnahe Interaktion zwischen dem Kindersitz und dem

Menschmodell gegeben ist. Da das numerische Modell nur in sitzender Position eingesetzt wird,

wurde auf eine Modellierung der Hüftgelenke verzichtet. Die Unterschenkel wurden ebenfalls

durch Punktmassen ersetzt.

Der Kopf des numerischen Modells ist ebenfalls ähnlich den Oberarmen aufgebaut. Der Kopf

besteht aus einer undeformierbaren Hülle mit einer Ersatzmasse. Die Kopfersatzmasse ist fest mit

dem obersten ausmodelliertem Wirbel T1 verbunden.

Tabelle 18: Ersatzmassen des numerischen Menschmodells

Komponente Masse

Kopf 1,300 kg

Arme 2x 0,450kg

Beine 2x 0,750kg

5.6 ANPASSUNG DER KÖRPERHALTUNG

Die Körperhaltung, in der die Geometrie des numerischen Menschmodells aufgenommen wurde,

entsprach einer liegenden Position. Da der Einsatz des Modells später eine sitzende Position

zwingend erforderlich macht, war eine Anpassung notwendig, die den in Kapitel 4.4 vorgestellten

Unterschieden hinsichtlich der Position der inneren Organe gerecht wird.

Aufgrund der Komplexität der zu ändernden Geometrie wurde das bereits vernetzte Modell in

einem Simulationslauf angepasst. Die Anpassung erfolgte, indem den Knochenstrukturen eine

Rotation vorgeschrieben bzw. eine Krafteinwirkung auf die Knochenstrukturen definiert wurde.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Neben der Rotation des Beckens und der Änderung der Wirbelsäulenkurve wurden die Schultern

abgesenkt. Die Simulation verlief in mehreren Schritten. Nach jedem Schritt wurde das FE-Netz

gespeichert, auf negative Elemente oder unnatürlich starke Verzerrungen aufgrund der Deforma-

tion überprüft und für den nächsten Anpassungsschritt freigegeben.

Abbildung 49: Anpassung des Menschmodells an eine sitzende Position (Zwischenschritt: Einstellung

der Biegung der Brustwirbelsäule, li.: Ausgangszustand, re.: Ergebnis der Simulation)

Abbildung 50: Anpassung des Menschmodells an eine sitzende Position (Zwischenschritt: Absenkung

der Schulterblätter und des Oberarmwinkels)

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5. Modellaufbau

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Im letzten Schritt wurde das numerische Menschmodell an das statistisch mittlere Gewicht für die

Altersgruppe der dreijährigen Kinder angepasst. Dies setzte eine massive Reduktion des Fett-

gewebes voraus. Hierfür wurde das FE-Netz der Außenhaut an Stellen mit besonders dicker

Fettschicht manuell an den Körper angenähert und das darunterliegende Netz in der Tiefe reduziert.

Die Änderungen wurden an Bauch, Brust, dem unteren Rückenbereich, Hals und unterhalb der

Oberarme durchgeführt.

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6 VALIDATION

Validation oder Validierung ist der Nachweis eines Systems über dessen Fähigkeit, reproduzierbare

und verlässliche Antworten auf genau definierte Fragestellungen erzeugen zu können. Der Prozess

der Validation beinhaltet neben diesem Nachweis die Evolution des Systems, d.h. die einzelnen

Schritte bzw. Änderungsstufen, welche zu einem validen System geführt haben.

Wie bereits in Kapitel 5 beschrieben, fand die Entwicklung des Menschmodells parallel mit

CASPER-Forschungspartnern statt. Jeder Partner entwickelte unterschiedliche Bereiche des

Menschmodells. Da anschließend ein Gesamtmodell erstellt werden sollte, basierten sie alle auf der

gleichen Geometrie. Das Konzept für die Validation des in dieser Arbeit beschriebenen Mensch-

modells sah vor, die in Eigenleistung entwickelten Bereiche des Körpers am zusammengesetzten

Menschmodell zu validieren. Folgende Punkte sprechen für diese Vorgehensweise.

- Erhöhung der Genauigkeit durch valide Abbildung des Modellverhaltens an dessen

Schnittebenen

- realistische und „greifbarere“ Interpretation der Ergebnisse durch die Darstellung des

gesamten Menschmodells

- Möglichkeit der Darstellung und Abbildung von komplexeren Lastfällen

Demgegenüber stehen die negativen Aspekte dieser Vorgehensweise.

- höherer Aufwand bei der Validation durch eine höhere Anzahl an Freiheitsgraden

- Exakte Passgenauigkeit an den Schnittstellen des Modells wird zwingend vorausgesetzt.

- (Vor-)Validation der einzelnen Teilbereiche trotzdem notwendig

- gleiche Modellierungsweise notwendig, um keine numerischen Nebeneffekte an den

Schnittstellen des Modells zu erzeugen

Die Validation anhand eines kompletten Menschmodells konnte bis zum Ablauf des

Forschungsprojekts CASPER nicht durchgeführt werden, da andere Körpereiche entweder von der

Modellierungsweise her nicht kompatibel (detailliertes Kopf- und Halsmodell) oder gar nicht

vorhanden waren (detailliertes Becken- und Oberschenkelmodell).

Der Validationsprozess wurde daher auf die Teilbereiche Thorax und Abdomen beschränkt. Die

fehlenden Körperbereiche wurden durch die in Kapitel 5.5 beschriebenen Ersatzmodelle

abgebildet. Die einzelnen Schritte werden in den nachfolgenden Kapiteln beschrieben.

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6. Validation

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6.1 SKALIERGRÖßEN

Damit die Vergleichbarkeit zwischen den PMHS-Tests und den Simulationen mit einem

Menschmodell möglich ist, müssen die im Versuch auftretenden Lasten skaliert werden.

Die Methode der Skalierung der Systemantwort wurde in Kapitel 3.6.3 kurz beschrieben. Folgende

vergleichende Lastfälle wurden zur Bildung der Skalierfaktoren herangezogen:

- Thorax, Frontal- und Seitenaufprall: Biegebalkenmodell

- Abdomen, Frontal- und Seitenaufprall: Druckstabmodell

Sowohl bei einem Frontal- als auch einem Seitenaufprall wird die Aufprallenergie des

Thoraxbereichs zum großen Teil vom Rippenkäfig aufgenommen. Idealisiert betrachtet, stellt die

Rippenwand einen Biegebalken dar. Das entsprechende physikalische Ersatzmodell würde den

Thoraxaufprall also möglichst genau abbilden bzw. zu möglichst realistischen Skalierfaktoren

führen.

Das Abdomen stellt - im physikalischen Sinne und auf das Belastungsszenario bezugnehmend -

einen homogenen Körper mit einer nahezu konstanten Steifigkeit dar. Als entsprechendes

Ersatzmodell wurde somit ein Druckstab ausgewählt.

Abbildung 51: Biegebalken und Druckstabmodell zur Bildung der Skalierfaktoren [Kirscht, 2012]

Die Bildung der einzelnen Faktoren wurde unter folgenden Annahmen getroffen:

- Die Änderung der Elastizität im Biegebalkenmodell entspricht der Änderung des E-Moduls

vom Knochengewebe und ist bekannt (siehe Kapitel 3.2).

- Das „E-Modul“ des Abdomens bleibt konstant.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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- Die Aufprallgeschwindigkeit wird bei allen Belastungsszenarien nicht verändert, damit

Effekte der viskosen Materialeigenschaften die Ergebnisse nicht verfälschen.

- Die Dichte des Gewebes ändert sich nicht mit dem Alter

Die einzelnen Skalierfaktoren wurden aus den geometrischen Verhältnissen zwischen einem

Erwachsenen- und Kinderkörper ermittelt. Um die Prüfkörpermasse zu ermitteln, wurden die

Gleichungen aus dem Energie- und Impulserhaltungssatz gebildet. Aufgelöst nach dem

Massenverhältnis und durch Einsetzen der fundamentalen Geometriegrößen ergeben sich so die

neuen Testkonfigurationen, abhängig von der Belastungsart und Belastungsrichtung.

Die anthropometrischen Daten als Basis für die Skalierung wurden aus mehreren Quellen

entnommen [Serre, 2010] und [Greil, 1986]. Zusammengetragen, analysiert und für diese

Fragestellung aufbereitet wurden sie von [Kirscht, 2012].

Tabelle 19: Skaliergrößen für den Thorax des 3JAMM

Typ Skalierfaktoren

Geometrie

S.Tho.x 0,627

S. Tho.y 0,576

S. Tho.z 0,458

Masse S. Tho.m 0,166

Kraft S. Tho.F.fro 0,176

S. Tho.F.lat 0,097

Beschleunigung S. Tho.a.fro 1,063

S. Tho.a.lat 0,587

Trägheitsmoment S. Tho.I.fro 0,113

S. Tho.I.lat 0,088

Elastizitätsmodul S. Tho.E 0,475

Tabelle 20: Skaliergrößen für das Abdomen des 3JAMM

Typ Skalierfaktoren

Geometrie

S.Abd.x 0,570

S.Abd.y 0,531

S.Abd.z 0,535

Masse S.Abd.m 0,162

Kraft S.Abd.F.fro 0,284

S.Abd.F.lat 0,305

Beschleunigung S.Abd.a.fro 1,753

S.Abd.a.lat 1,882

Federsteifigkeit S.Abd.k.fro 0,499

S.Abd.k.lat 0,575

Elastizitätsmodul S.Abd.E 1,000

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6. Validation

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Folgende Parameter der einzelnen Lastfälle wurden mittels Skalierung der Systemantwort

errechnet. Die Beschreibung der einzelnen Lastfälle findet sich in den nachfolgenden Kapiteln.

Tabelle 21: Skalierte Lastfälle für den Thorax des 3JAMM

Typ Frontal Thorax Seite Thorax

Original Skaliert Original Skaliert

Impaktor Größe Rigid Pendulum,

152mm 81,5mm

Rigid pendulum,

150mm 82,5mm

Impaktor Masse 23,6 kg 3,874 kg 23,4 kg 3,66 kg

Impaktor

Geschwindigkeit 6,7 m/s 6,7 m/s 3,6 m/s 3,6 m/s

Tabelle 22: Skalierte Lastfälle für das Abdomen des 3JAMM

Typ Frontal Abdomen Seite Abdomen

Original Skaliert Original Skaliert

Impaktor Größe Rigid bar, 25mm 13,8mm Rigid pendulum,

150mm 82,5mm

Impaktor Masse 32 kg 4,844 kg 23,4 kg 3,66 kg

Impaktor

Geschwindigkeit 6,12 m/s 6,12 m/s 3,6 m/s 3,6 m/s

6.2 LASTFÄLLE FÜR DIE VALIDATION DES MENSCHMODELLS

Der Thorax- und der Abdominalbereich werden für Frontal- und Seitenaufprall validiert, wofür

entsprechende PMHS Versuche nachsimuliert werden. Die Aufprallschwere wird auf das Niveau

eines drei Jahre alten Kindes skaliert, so dass die Ergebnisse zwischen realen Tests und Simulation

direkt vergleichbar sind. Insgesamt handelt es sich um vier unterschiedliche Lastfälle.

6.2.1 FRONTALAUFPRALL

Die Frontalaufpralltests für den Thorax wurden von Kroell [Kroell et al., 1971] durchgeführt.

Insgesamt 14 PMHS im Alter von 19 - 81 Jahren wurden eingesetzt. Der Aufprallpunkt war auf die

Mitte des Sternums gerichtet, der Aufprallkörper wurde als Pendel ausgeführt. Die

Aufprallgeschwindigkeiten betrugen zwischen 6,2 und 14,3 m/s. Die Impaktormasse wurde

zwischen 1,63 und 23,5 kg variiert.

Für die Validation des Menschmodells wurden die Tests mit der größten Impaktormasse und der

kleinsten Geschwindigkeit94

ausgewählt (Tests markiert als 18FM-22FM, siehe Abbildung 52). Die

94 Auswahl von PMHS Tests mit größter Masse und kleinster Aufprallgeschwindigkeit: In dieser

Testkonfiguration spielen die dynamischen Effekte wie Dehnratenabhängigkeit und Dämpfung die geringste

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

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Ergebnisse der Simulationen mit dem Menschmodell stellen Kraft-Weg-Kennungen dar, welche

mit PMHS-Tests und den Simulationsergebnissen mit einem Q3-Dummy verglichen werden.

Abbildung 52: Kraft-Weg-Kennungen aus PMHS-Tests von Kroell [Kroell et al., 1971], rot markiert:

die für die Validation herangezogenen Versuchskurven.

Die Frontalaufpralltests für das Abdomen wurden von Cavanaugh [Cavanaugh et al., 1986]

durchgeführt. Die Gruppe der PMHS bestand aus acht männlichen und vier weiblichen Leichen.

Das durchschnittliche Gewicht betrug 74,1 kg, die durchschnittliche Körpergröße 177 cm. Das

Durchschnittsalter betrug 54,7 Jahre. Die PMHS wurden mit Beschleunigungsaufnehmern am

Schädel, an den Rippen und an der Wirbelsäule versehen. Die Eindrückung wurde anhand von

Highspeed-Aufnahmen gemessen. Es wurden zwei unterschiedliche Impaktormassen eingesetzt.

Der Impaktor bestand aus einer undeformierbaren Stange mit einem Durchmesser von 25 mm und

einer Länge von 381 mm.

Für die Tests wurden die PMHS aufrecht sitzend positioniert. Die Oberschenkel wurden an einer

horizontalen Ebene abgestützt. Der Aufprall erfolgte frontal, die Aufprallhöhe entsprach der Höhe

des dritten Lendenwirbels L3 [Cavanaugh et al., 1986].

Es wurden insgesamt 61 Tests mit zwei verschiedenen Aufprallgeschwindigkeiten durchgeführt.

Die Ergebnisse wurden normiert und skaliert, um eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen

PMHS herzustellen.

Rolle. Eine Validation auf diesen Lastfall ist somit am wenigsten anfällig für durch die eben beschriebenen

Effekte induzierten Fehler.

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6. Validation

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Als Resultat wurde eine hohe Korrelation zwischen der Steifigkeit des Abdomens und der

Aufprallenergie festgestellt. Der Anstieg der entsprechenden Kraft-Weg-Kennung verläuft nahezu

linear (von der Eindrückung unabhängige, konstante Steifigkeit des Abdomens). Nachdem die

Impaktorenergie vollständig abgebaut wurde, fällt die Reaktionskraft nahezu vertikal ab (siehe

Abbildung 53).

Abbildung 53: Kraft -Weg-Kennungen. Frontalaufprall, Abdomen [Cavanaugh et al., 1986]

6.2.2 SEITENAUFPRALL

Viano [Viano et al., 1989] führte Tests an 14 PMHS in einer Seitenaufprallkonfiguration in zwei

verschiedenen Transversalebenen durch. Die Testgruppe bestand aus 11 männlichen und drei

weiblichen Leichen. Das Durchschnittsgewicht betrug 67,2 kg, die durchschnittliche Körpergröße

170,9 cm. Die Instrumentierung der PMHS entsprach der in Kapitel 6.2.1 beschriebenen Gruppe.

Als Impaktor wurde ein zylindrisches Pendel mit einem Durchmesser von 15 cm und einem

Gewicht von 23,4 kg verwendet. Es wurden drei verschiedene Auftreffgeschwindigkeiten unter-

sucht. Die Aufprallrichtung war so angeordnet, dass der Rippenkäfig an einer flachen Stelle

getroffen wird. Dies entspricht ungefähr einer Rotation der Aufprallrichtung von 30° um die z-

Achse, der Aufprall findet demnach von schräg vorne statt.

Das Ergebnis dieser Tests waren Kraft-Weg-Kennungen für den Seitenaufprall. Es wurden

außerdem MAIS 4+-Verletzungen in Abhängigkeit vom VC-Kriterium und der relativen Brust- und

Abdomenkompression dokumentiert.

Fo

rce [N

] *

10

2 100

75

50

25

0

0 60 120 180 240

Pen [mm]

ABD

100 Hz filtered and normalized

14

2419

33

28

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

89

Abbildung 54: Kraft –Weg - Kennungen. Seitenaufprall, Abdomen [Viano et al., 1989]

6.3 NUMERISCHE OPTIMIERUNG

Die im vorhergehenden Kapitel beschriebenen, skalierten Lastfälle wurden im Frontal- und

Seitenaufprall mit dem drei Jahre alten Menschmodell simuliert. Zu Vergleichszwecken wurde

dieselbe Konstellation auch mit dem FE-Modell des Q3-Dummys berechnet. Die Konfiguration der

Aufprallrechnungen entsprachen exakt den in den Kapiteln 6.2.1 und 6.2.2 beschriebenen PMHS-

Tests. Als Aufprallgeschwindigkeit wurde von den vorgestellten Lastfällen die jeweils niedrigste

Geschwindigkeit verwendet.

Abbildung 55: Thorax Tests, Frontal- und Seitenaufprallkonfiguration. Vergleich Mensch- und Q3-

Dummymodell

Page 102: Entwicklung eines numerischen Menschmodells für …...ENTWICKLUNG EINES NUMERISCHEN MENSCHMODELLS FÜR EIN DREI JAHRE ALTES KIND vorgelegt von Dipl.-Ing. Alexander Eisenach von der

6. Validation

90

Abbildung 56: Abdomen Tests, Frontal- und Seitenaufprallkonfiguration (Dummy Jacke und

Außengewebe des 3JAMM teilweise ausgeblendet)

Die Validation erfolgte teilautomatisiert. Zur Verfügung stand die Software Hyperstudy von

Altair95

.

Das Ziel der Optimierungsrechnungen und des Validationsprozesses war es, die aus der

Literaturrecherche gewonnenen Materialparameter der einzelnen Körperteile in ihrer Definition zu

verfeinern, so dass die Modellantwort den skalierten PMHS-Testergebnissen entspricht. Im ersten

Schritt des Validierungsprozesses wurde eine DOE96

-Studie durchgeführt. Untersucht wurde der

Einfluss von Materialparametern97

verschiedener Körperbereiche auf die maximale Deformation

und die maximale Reaktionskraft des Modells. Die Variation erfolgte innerhalb fest definierter

95 Altair Hyperstudy: Eine Software zur Solverunabhängigen Durchführung von Designstudien, Optimie-

rungen und stochastischen Analysen

96 DOE (engl. Design of Experiment): Ein Prozess zur Untersuchung des Wirkzusammenhangs verschiedener

Einflussfaktoren. Das Ziel der DOE-Studie ist es, die Anzahl der Einflussfaktoren bzw. Variationsparameter

zu minimieren, indem weniger wirksame Parameter identifiziert und aus der Optimierungsstudie ausge-

schlossen werden

97 Materialparameter: (In diesem Zusammenhang) Variablen des jeweiligen Werkstoffmodels. Variiert

wurden (je nach Materialdefinition) E-Modul, Dichte und verschiedene Viskositätsparameter.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

91

Größen, die aus Erfahrungswerten gebildet wurden. Es wurden nur realistische Grenzwerte

angenommen.

Zusätzlich wurde ein Stabilitätskriterium eingeführt, welches sicherstellte, dass das 3JAMM

rechnerisch stabil ist. Dieser Schritt ist für die Einsatzfähigkeit und -vielfalt des Menschmodells

besonders wichtig, da einige Materialmodelle in bestimmten Konstellationen numerisch instabil

werden können. Die Instabilität führt meist zu einem rasanten, lokalen Anstieg der Verformungs-

geschwindigkeit an beliebigen Punkten des FE-Netzes. Der Anstieg ist dabei so groß, dass die

Berechnung des nächsten Rechenschrittes vom Solver nicht mehr gelöst werden kann bzw. einige

Elemente kollabieren und ein negatives Volumen erreichen. Besonders häufig tritt dieser Effekt in

einem 3D-FE-Netz beim Einsatz von sehr weichen Materialien auf.

Abbildung 57 Beispielhafte DOE-Analyse, Darstellung von Korrelationswerten zwischen

Systemantworten und festgelegten Parametern [Kirscht, 2012]

Nachdem die Anzahl der Variablen durch die DOE-Studie reduziert werden konnte, wurde eine

Optimierungsstudie durchgeführt. Es wurden alle vier Lastfälle gleichzeitig simuliert. Das Ziel des

Optimierers war es, das maximale Kraftniveau und die maximale Eindrückung in die durch

Skalierung gewonnenen Zielkorridore zu bringen. In einigen Fällen wichen die Ergebnisse aus den

Initialläufen sehr deutlich vom Zielkorridor ab, insbesondere in den Thoraxaufprall-Rechnungen.

Die Rechnungen des Abdominalaufpralls hingegen lieferten bereits im ersten Lauf annehmbare

Ergebnisse. In den nachfolgenden Abbildungen sind die Ergebnisse der Optimierungsstudie dar-

gestellt. Die Ergebnisse der Initialläufe sind jeweils mit einer gestrichelten Linie gekennzeichnet.

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6. Validation

92

Abbildung 58: Thoraxaufprall frontal, Kraft-Weg Kennungen

Im frontalen Lastfall wird das maximale Kraftniveau im Thorax durch die Optimierung

betragsmäßig um zwei Drittel gesenkt. Die geforderte Eindrückung wird nur knapp nicht erreicht.

Das Maximalniveau liegt ca. 40 % über dem Korridor. Die Kennung des Q3-Modells weist zwei

deutliche Maxima auf, die den Korridor um mehr als 100 % überragen [Kirscht, 2012].

Auch wenn ein direkter Vergleich zur Referenzkurve nicht möglich ist, weist die Kennung des

Thorax im lateralen Belastungsfall im Vergleich zur Kennung des Q3 auch hier ein wesentlich

niedrigeres und breiteres, maximales Kraftniveau auf. Das Kraftmaximum des Q3 liegt viermal so

hoch wie das des Antwortkorridors. Die Kennungen beider Modelle zeigen einen sehr schnellen

Anstieg auf ihr Kraftniveau. Die gewünschte Eindrückung wird im lateralen Lastfall nicht erreicht

[Kirscht, 2012].

Die Ergebnisse des Q3-Dummy-Modells wichen ebenfalls unerwartet stark vom Zielkorridor ab.

Ein Vergleich mit den in Hardware durchgeführten Zertifizierungstests zeigt, dass das

Simulationsmodell zumindest mit den Testergebnissen des Hardwaremodells sehr gut

übereinstimmt. Der für die Entwicklung des Q3-Dummys skalierte Zielkorridor basiert auf den

gleichen PMHS-Testergebnissen. Die skalierte Aufprallschwere entspricht der in dieser Arbeit

skalierten, der Zielkorridor beschreibt jedoch eine ca. 1,6-fache maximal erreichbare Kraft.

Legt man über die Ergebnisse der 3JAMM-Simulationen die Q3-Zielwerte, so liegen sie perfekt im

Korridor (ma. Kraftniveau 1 kN, maximale Eindrückung 40mm). Dies legt die Vermutung nahe,

dass das für die Kompressibilität des Brustkorbs gewählte Ersatzmodell eines Biegestabs die

vorliegenden Lastfälle nicht korrekt abbildet. Im Rahmen einer Weiterentwicklung des Modells

sollte das Ersatzmodell und als Resultat der Zielkorridor revidiert werden. Für die Bewertung des

Deformationsverhaltens wird daher der Q3 Zielkorridor herangezogen.

3JAMM

Q3

Initiallauf Ergebnis der Optimierung

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

93

Abbildung 59: Testergebnisse des Q3-Dummys in einem Frontalaufprall, Auszug aus den

Validationstests [EEVC, 2008]

Abbildung 60: Thoraxaufprall frontal und lateral, Darstellung der maximalen Eindrückung

Im lateralen Thoraxaufprall weist das Menschmodell ebenfalls eine viel weichere Kennung als der

Q3 auf, auch wenn in diesem Fall der Zielkorridor nicht getroffen wird. An dieser Stelle sollte

erwähnt werden, dass bei der Entwicklung des Q3-Dummys omnidirektionales

Verformungsverhalten im Lastenheft definiert wurde, während des Entwicklungsprozesses jedoch

das Hauptaugenmerk auf den Frontalaufprall gesetzt wurde. In dem Abschlußbericht des EEVC

existiert keine Kraft-Weg Kennung / Zielkorridor für den lateralen Thoraxaufprall. Es existieren

jedoch skalierte Zielkorridore für den Seitenaufprall, sie basieren auf den Untersuchungen von

Kroell [Kroell et al., 1974] und wurden auf das Niveau eines drei Jahre alten Kindes skaliert

[Ratingen et al., 1997]. Die in dieser Arbeit gewählten Lastfälle für den lateralen Thoraxaufprall

wurden mit einer höheren Aufprallgeschwindigkeit durchgeführt und sind daher nicht mit den

Ergebnissen aus den eben genannten Quellen vergleichbar.

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6. Validation

94

Abbildung 61: Thoraxaufprall lateral, Kraft-Weg-Kennungen

Das Kraftniveau der Abdomen-Kennungen liegt in beiden Lastfällen weitestgehend innerhalb der

Grenzen des Korridors. Der Kraftanstieg verläuft im frontalen Belastungsfall knapp oberhalb des

Korridors, im lateralen in diesem. Die Kraft-Weg-Kurven erreichen auch in diesen beiden

Lastfällen die minimale Eindrückung von 79 mm des Antwortkorridors nicht. Dies scheint im

frontalen Lastfall auch nicht möglich, da der Impaktor in der Referenzsimulation schon vor dem

Erreichen des gewünschten Deformationsweges auf die Wirbelsäule des Kindes traf, wodurch der

Kraft-Peak in der Kennung zustande kommt. Dennoch verlaufen beide optimierten Kennungen des

Kindermodells näher am Antwortkorridor als die Kennung des Q3-Dummys [Kirscht, 2012].

Abbildung 62: Kraft-Weg-Kennungen, Abdominalaufprall frontal

3JAMM

Q3

3JAMM

Q3

minimale

Eindrückung

Initiallauf Ergebnis der Optimierung

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

95

Abbildung 63: Kraft-Weg Kennungen, Abdominalaufprall lateral

Sowohl im Frontal- als auch im lateralen Aufprall im Abdomenbereich erscheinen die Korridor-

werte für die Eindrückung zu hoch. Es ist denkbar, dass das für den Abdominalbereich gewählte

Ersatzmodell des Druckstabs eine zu starke Vereinfachung darstellt und die Skalierung zu falschen

Werten führt. Eine weitere mögliche Fehlerursache könnte die Messmethode bei der Durchführung

der PMHS-Tests sein. Die Messung der Eindrückung erfolgte optisch anhand einer Videoanalyse

durch Vergleich von zwei, an jeweils gegenüberliegenden Stellen des Abdomens liegenden

Messpunkten. Da sich der Körper der PMHS während des Aufpralls geringfügig verformt

(Krümmung des gesamten Körpers), können hier Messungenauigkeiten das Ergebnis verfälschen.

Der Einsatz von Seilzugpotentiometern könnte die Messgenauigkeit erhöhen, ist jedoch im Falle

eines PMHS nur sehr schwer einsetzbar. Eine weitere Möglichkeit wäre es, durch Messung der

Impaktor- und der Körperbeschleunigung und anschließende doppelte Integration die Trajektorien

der beiden Messpunkte zu bestimmen. Diese Methode würde am ehesten der im Simulationsmodell

durchgeführten Messung entsprechen.

3JAMM

Q3

Initiallauf Ergebnis der Optimierung

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6. Validation

96

Abbildung 64: Abdominalaufprall frontal und lateral, Darstellung der maximalen Eindrückung

6.4 MATERIALEIGENSCHAFTEN

Die Ergebnisse der Optimierungsstudie und die Materialeigenschaften der einzelnen Körperteile

werden in diesem Kapitel zusammengefasst. Im Wesentlichen wurden zwei verschiedene

Materialdefinitionen für die Abbildung des Gewebes verwendet, die Definitionen „Viscoelastic“

und „Simplified Rubber / Foam“.

Viscoelastic: Ein viskoelastisches Material vereint sowohl elastische als auch viskose Eigen-

schaften. Da die Strukturen im menschlichen Körper aus einer komplexen Zellen- und Faser-

struktur mit unterschiedlichen Eigenschaften aufgebaut ist, kann man jedes beliebige Gewebe des

menschlichen Körpers als viskoelastisch betrachten.

Viskoelastizität wird durch folgende Merkmale charakterisiert [Zachow, 1998]:

- Relaxation: Wird ein Material ruckartig deformiert und wird die Deformation anschließend

aufrechterhalten, ist mit der Zeit ein Rückgang der Materialspannung zu beobachten.

- Kriechen: Befindet sich ein Material unter konstanter Spannung, so ist eine fortschreitende

Deformation zu beobachten.

- Hysterese: Bei kontinuierlicher Be- und Entlastung eines Materials ändert sich je nach

Phase das Elastizitätsmodul.

Das viskoelastische Verhalten wird im FEM-Solver LS-Dyna mittels folgender Konstanten

beschrieben:

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

97

ρ – Dichte

K – Kompressionsmodul98

G0 – Schubmodul (Kurzzeit)

G∞ – Schubmodul (Unendlich)

β – Dämpfungskonstante

Die Definition des Schubmoduls durch G0 und G∞ ist nötig, da der Schubmodul viskoser

Werkstoffe zeit- und belastungsabhängig ist. Der aktuelle Schubmodul wird mittels folgender

Gleichung berechnet:

( ) ( )

Das Materialgesetz ist gleichermaßen gültig für 1-D-, Schalen- und Volumenelemente.

Simplified Rubber / Foam: Ein Materialmodell für weiche, gummi- oder schaumartige Werkstoffe.

Das wesentliche Materialverhalten wird mittels einer Spannungs-Dehnungs-Kurve definiert.

Darüber hinaus sind folgende Konstanten für die Materialdefinition ausschlaggebend:

ρ – Dichte

KM – Lineares Kompressionsmodul

µ – Dämpfungskonstante

G – Schubmodul

pr/β – Querkontraktionszahl

Dieses Materialmodell ist gültig für Schalen- und Volumenelemente. Im Laufe der Stabilitäts-

untersuchungen mit dem 3JAMM hat es sich als das rechnerisch stabilste Modell für die Abbildung

der sehr weichen Abdomenbereiche herausgestellt.

98 Kompressionsmodul: Eine physikalische Größe, welche den Widerstand eines Volumenkörpers gegen eine

Komprimierung beschreibt. Er wird definiert als:

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6. Validation

98

Tabelle 23: Finale Materialeigenschaften des 3JAMM

Organ Materialkarte Werte

K G0 G

kg/mm³ kN/mm² kN/mm² kN/mm²

Knorpel Viscoelastic 1.04 e-06 3.07 3.2 e-02 0 0.3

Fettgewebe Viscoelastic 1.1 e-06 5.98 e-04 6.55 e-05 1.22 e-05 0.635

Herz Viscoelastic 1.0 e-06 2.6 e-03 4.4 e-04 1.5 e-05 0.635

Zwischenrippen-

Muskeln Viscoelastic 1.1 e-06 2.5 e-01 3.5 e-02 3.5 e-03 0.635

Bandscheiben Viscoelastic 1.5 e-06 5.3 e-02 9.0 e-03 0 0.3

Nieren Viscoelastic 1.1 e-06 2.1 e-03 2.3 e-04 4.3 e-05 0.635

Leber Viscoelastic 1.1 e-06 2.3 e-03 1.84 e-04 3.44 e-05 0.635

Lunge Viscoelastic 6.0 e-07 4.4 e-05 4.0 e-06 1.5 e-06 0.635

Rippen Viscoelastic 2.0 e-06 4.0 1.833 0.75 0.3

Haut Viscoelastic 1.5 e-06 1.19 e-03 9.51 e-05 1.78 e-05

Milz Viscoelastic 1.1 e-06 2.1 e-03 2.3 e-04 4.3 e-05 0.635

Sternum Viscoelastic 1.5 e-06 2.0 3.39 e-01 0 0.3

Wirbelkörper Rigid99

2.75 e-06

KM G pr/

Oberer

Abdomenbereich

Simplified

Rubber / Foam 1.1 e-06 5.25 e-04 1.0 e-03 3.75 e-05 0.49

Unterer

Abdomenbereich

Simplified

Rubber / Foam 1.1 e-06 1.65 e-03 1.0 e-03 1.81 e-04 0.49

6.5 MESSUNG DER ABDOMINALBELASTUNGEN

Nachdem das Modell in der Validation der einzelnen Körperbereiche mit einfachen, voneinander

abgegrenzten Lastfällen verfeinert wurde, ist die Rekonstruktion eines realen Unfalls der

abschließende Teil des Validationsprozesses.

Mit diesem Schritt wäre die Einsatzfähigkeit des 3JAMM bewiesen und es könnten erste

Prognosen hinsichtlich der Verletzungskriterien aufgestellt, indem reale Verletzungen mit den

Ergebnissen der Simulation verglichen werden.

Da der Abdominalbereich im ersten Schritt der Validation deutlich bessere Übereinstimmung mit

den errechneten Zielkorridoren zeigte, wird der Schwerpunkt bei der Suche nach einem geeigneten

Rekonstruktionsfall auf die Verletzungen des Abdominalbereichs gelegt. Für die Rekonstruktion

99 rigid: undeformierbar

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

99

eines realen Unfalls ist neben der exakten Beschreibung des Unfallhergangs, der erlittenen

Verletzungen der Insassen und der Deformationen am Fahrzeug der Nachweis der Validität der

Rekonstruktion100

entscheidend.

Die CASPER/CHILD-Unfalldatenbank beinhaltet eine große Anzahl realer Unfälle mit Kindern als

Insassen. Die meisten dieser Unfälle wurden rekonstruiert. Es werden stetig neue Unfälle

aufgenommen und in einem Crash-Labor rekonstruiert. Über die Validität der Rekonstruktion

entscheidet eine Expertengruppe, bestehend aus einigen Forschungspartnern des CASPER- bzw.

CHILD-Projekts. Die im Crash-Labor eingesetzten Kinderdummys wurden wahlweise mit zwei

Abdominalsensortypen ausgestattet101

, den in Kapitel 2.5.2.1 bzw. 2.5.2.2 beschriebenen APTS-

und FMS-Sensoren. Bevor die Rekonstruktion mittels numerischer Simulation durchgeführt

werden kann, müssen die unterschiedlichen Messmethoden untereinander verglichen und Konzepte

zur Erzeugung gleicher Messwerte in der Simulation aufgestellt werden.

Die Funktionsweise der beiden Sensortypen ist grundsätzlich unterschiedlich. Der APTS-Sensor

misst den Druck im Inneren des Abdomens, der FMS die auf die Außenfläche des Abdomens

wirkende Kraft bzw. Flächenpressung. Nach dem in Kapitel 2.4 beschriebenen Prinzip wurden

erste Abschätzungen zur Korrelation der Messergebnisse beider Sensortypen und den

Verletzungsschweren erstellt (Tabelle 24 und Tabelle 25).

Tabelle 24 Erste Abschätzungen der AIS-Verletzungsschwere basierend auf Messungen des APTS-

Sensors [CASPER, 2012]

Max. innerer Druck 0 - 1.25 hPa > 1.4 hPa

AIS 0-2 3+

Die Werte in dieser Tabelle basieren auf Ergebnissen von 30 rekonstruierten Unfällen aus dem

CHILD- und CASPER-Forschungsprojekt. Für eine verlässliche, statistisch richtige Aussagekraft

müssen noch mehr Rekonstruktionen mit diesem Sensortyp durchgeführt werden.

100 Validität der Unfallrekonstruktion: Sie ist gegeben, wenn beide Fahrzeuge (im realen und rekonstruierten

Unfall) ein vergleichbares Deformationsniveau aufweisen, die Verletzungsschweren mit den in der

Konstruktion gemessenen Werten am Dummy korrelieren und (falls vorhanden) gleiche Schaltzeiten der

Rückhaltesysteme nachgewiesen werden können (Zündzeitpunkte der Airbags und Gurtstraffer).

101 Sensorausstattung: Je nach Verletzungsmuster und Sensorverfügbarkeit existieren auch Tests mit

gleichzeitig beiden oder gar keinen eingesetzten Sensortypen

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6. Validation

100

Tabelle 25 Erste Abschätzungen der AIS-Verletzungsschwere basierend auf Messungen des FMS-

Sensors [CASPER, 2012]

Max. Oberflächendruck 0 - 0.17 N/mm² > 0.2 N/mm²

AIS 0-2 3+

Für diesen Sensortyp gilt ebenfalls die Aussage, dass die in der Tabelle angegebenen Werte auf

einer geringen Anzahl an Rekonstruktionsversuchen basieren. Hinzu kommt, dass aufgrund der

Komplexität des FMS-Systems innerhalb des CASPER-Projekts keine neuen Rekonstruktionen mit

diesem Sensorsystem mehr durchgeführt wurden.

6.6 VERGLEICH VON APTS- UND FMS-MESSERGEBNISSEN

Das bereits angesprochene Problem der bisher nur wenigen verfügbaren Messergebnisse mit den

Abdominalsensoren ließe sich umgehen, wenn sich die Ausgabe der Messungen zweier

verschiedener Sensortypen mittels Umrechnung vergleichen ließe. Somit würde sich die Anzahl der

zum Vergleich heranziehbaren Untersuchungen ungefähr verdoppeln. Bislang gibt es jedoch keine

Studien dazu. Daher wurde der Versuch unternommen, eine Korrelation zwischen den zwei

Sensortypen identifizieren.

Grundlage für die folgende Untersuchung bildet die CASPER/CHILD-Datenbank. Sie wurde nach

Unfällen mit folgenden Kriterien durchsucht:

drei, oder ungefähr drei Jahre altes Kind als Insasse

beide Sensortypen wurden gleichzeitig eingesetzt.

im realen Unfall waren Abdominalverletzungen vorhanden.

der Versuch wurde als valide eingestuft.

Nur zwei Fälle entsprachen den gesetzten Suchkriterien. Die Versuchsbeschreibungen sind in

Tabelle 26 zusammengefasst.

Tabelle 26: Zur Vergleichsbetrachtung geeignete Unfallrekonstruktionen [CASPER/CHILD-

Datenbank]

CCN Alter Rekonstruktion

durch: Sensor Daten Abdominalverletzungen

1081 3 TUB APTS & FMS AIS 5 / Pankreas102

-Bruch

1082 4 INRETS APTS & FMS AIS 3 / Beschädigung einiger innerer Organe

102 Pankreas: Bauchspeicheldrüse

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101

Fall-Nr. CCN 1081: Das Fahrzeug kam auf einer Landstraße aus unbekannter Ursache von der

Fahrbahn ab. Das rechte Vorderrad geriet in einen parallel zur Straße verlaufenden Graben, so dass

ein Wiedereinscheren auf die Fahrbahn nicht möglich war. Das Fahrzeug prallte in Folge auf einen

Teil einer Straßenbarriere, welche am Ende des Grabens positioniert war. Die

Aufprallgeschwindigkeit wird auf 50 - 55 km/h geschätzt.

Das Kind saß hinter dem Fahrer und erlitt zahlreiche schwere Verletzungen innerer Organe,

verursacht durch das Eindringen des Beckengurts in den Abdominalbereich. Der Unfall wurde am

Fachgebiet Kraftfahrzeuge der TU Berlin rekonstruiert.

Abbildung 65 zeigt die von beiden Sensoren gemessenen Abdominalbelastungen im Rekonstruk-

tionsversuch. Beide Kurven haben eine unterschiedliche Skalierung der y-Achse, so dass nur die

Form der Belastungslinien verglichen werden kann.

Abbildung 65: Vergleich des APTS-(durchschnittlicher Druckverlauf) und FMS-Sensorsystems

(summierter Kraftverlauf, Unfallrekonstruktion CCN 1081)

Es kann festgestellt werden, dass die in dieser Unfallrekonstruktion von beiden Sensorsystemen

gemessenen Daten nicht vergleichbar sind. Die Kurven sind hinsichtlich des Zeitpunkts der

gemessenen Maximalwerte, des Verlaufs von Anstieg und Abfall sowie der gemessenen

Belastungsdauer nicht miteinander vergleichbar.

Fall-Nr. CCN 1082: Das Fahrzeug fuhr auf einer Landstraße und stieß mit einem

entgegenkommenden Fahrzeug zusammen, welches seine Fahrspur aus ungeklärten Gründen

verließ. Die beiden Fahrzeuge trafen frontal aufeinander. Die Annäherungsgeschwindigkeit beider

Fahrzeuge wird auf 110 km/h geschätzt.

APTS

MFS

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6. Validation

102

Während der Fahrer und der Beifahrer bei diesem Aufprall nur leichte Verletzungen (MAIS 1)

erlitten, verstarb das vierjährige Kind an der Unfallstelle, einige Minuten nachdem die

Rettungskräfte eingetroffen waren. Es wies äußerlich keine schweren Verletzungen auf und war bei

Bewusstsein. Nach dem Unfall hatte es sich selbst abgeschnallt und das Fahrzeug verlassen. Durch

die starke Penetration des Abdominalbereichs durch den Fahrzeuggurt kam es jedoch zum Abriss

eines inneren Organs Die exakte Verletzungsbeschreibung ist nicht dokumentiert. Der Unfall

wurde von INRETS rekonstruiert.

Bei der Unfallrekonstruktion ist ein Sensor des APTS-Systems ausgefallen. Vergleicht man die

Ausgabe des intakten Sensors mit der mittleren gemessenen Kontaktkraft des FMS-Systems, so

weisen die Belastungskurven durchaus ähnliche Charakteristika auf. Allerdings stimmt das

Skalierungsverhältnis beider y-Achsen zueinander nicht mit den Ergebnissen aus dem Versuch

1081 überein (5750 im CCN 1081 und 12600 im CCN 1082).

Abbildung 66: Vergleich des APTS- und FMS-Sensorsystem, Unfallrekonstruktion CCN 1082, links:

fehlerhafte Messung des einen Kanals im APTS, rechts: APTS vs. FMS (FMS gemittelt)

Nach der ersten, nicht erfolgreichen Schätzung der Vergleichbarkeit beider Sensorsysteme wurde

die Auswahl geeigneter Fälle um die “nicht validen” Unfallrekonstruktionen erweitert. Die nicht

vorhandene Validität bezieht sich hierbei auf die gesamte Unfallrekonstruktion und schließt eine

korrekte Funktionsweise und somit Vergleichbarkeit der beiden Sensorsysteme nicht aus.

APTS

FMS

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

103

Tabelle 27: Vergleich aller verfügbaren CHILD-Rekonstruktionsfälle mit beiden Abdominal-Sensor-

systemen im Einsatz [Johannsen; 2006]

Test-

Nummer

Rekonstr

uktion

durch

AIS Pmax links Pmax

rechts Pmax

Pmax

durchschn.

Summiert

e Kraft

FMS CF60

Summierte

Kraft / Pmax

durchschn.

0352 TRL 2 0,98 1,38 1,38 1,18 200 169

0391 TUB 4 1,68 1,36 1,68 1,52 790 520

1006 PSA 5 0,44 0,58 0,58 0,51 444 871

1029 IDIADA 4 0,5 0,59 0,59 0,545 415 761

1029-S1 IDIADA 4 1 1 1 1 494 494

1029-S2 IDIADA 4 0,7 0,6 0,7 0,65 373 574

1043 BAST 0 1,04 0,99 1,04 1,015 1176 1159

1067 INRETS 0 0,25 0,2 0,25 0,225 197 876

1081 TUB 5 0,28 0,42 0,42 0,35 262 749

1082 INRETS 3 1,4 2,3 2,3 1,85 285 154

1102 FIAT 0 0,3 0,2 0,3 0,25 93 372

1144 IDIADA 0 0,6 0,7 0,7 0,65 829 1275

1149 BAST 1 0,31 0,155 46 297

1171 TRL 3 1,4 1,4 1,4 1,4 793 566

1207-1 BAST ? 0,7 0,5 0,7 0,6 33 55

1207-2 BAST 0 1,2 1 1,2 1,1 446 405

1207-3 BAST 0 0,4 0,5 0,5 0,45 4 9

1215 FIAT 2 0,4 1 1 0,7 148 211

1229 1 1,1 1,7 1,7 1,4 251 179

Es wurde versucht, das Verhältnis zwischen den Ausgaben beider Sensoren zu bilden um eine

Vergleichbarkeit darstellen zu können. Die letzte Spalte in Tabelle 27 zeigt den aus dem

Maximaldruck des APTS-Systems und der summierten maximalen Kraft des FMS-Systems

gebildeten Quotienten. Die meisten Quotienten befinden sich im Bereich zwischen 150 und 800. Es

konnte kein lineares, quadratisches oder logarithmisches Verhältnis zwischen den zwei

Sensortypen festgestellt werden.

Da die beiden Messsysteme offensichtlich nicht untereinander vergleichbar sind, wurde im

nächsten Schritt der Versuch unternommen, die unterschiedlichen Messprinzipien in einer

Simulationsumgebung nachzubilden und miteinander zu vergleichen.

6.6.1 MESSUNG DER ABDOMINALBELASTUNGEN IN EINER SIMULATION

Was das FMS-System betrifft, so ist die Vergleichbarkeit von Hardware- zu Software-Modell von

vornherein gegeben. Das FMS-System misst Kontaktkräfte auf der Oberfläche des Abdomens in

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6. Validation

104

Richtung des Normalvektors103

. Die Ausgabe der Kontaktkräfte kann in jedem beliebigen FEM-

Berechnungsprogramm definiert werden. Die in Kontakt stehenden Oberflächen können

entsprechend dem Hardware-Original definiert werden.

Im Rahmen des CAPER-Projekts durchgeführte Fallturmversuche mit dem FMS-Sensor und die

anschließenden Simulationen bestätigen eine gute Korrelation zwischen Hardware- und Software-

Modellen.

Eine exakte Abbildung des APTS-Systems als FEM-Modell ist für den Einsatz in einem

Menschmodell nicht praktikabel. Das System beansprucht viel Platz, welcher in einem mit inneren

Organen modellierten Abdomen nicht vorhanden ist. Eine Skalierung des APTS-Systems ist

ebenfalls nicht möglich. Die Deformationen der Druckbehälter und die Wechselwirkungen

zwischen den Behälterhüllen und der viskosen Flüssigkeit würden in einem skalierten System

unterschiedlich sein. Stattdessen gilt es eine Methode zu finden, die zu den Messergebnissen des

APTS-Systems vergleichbare Messergebnisse innerhalb einer Simulationsumgebung und basierend

auf derselben physikalischen Größe, dem Druck, liefert.

Die nachfolgenden Untersuchungen wurden in einer reinen Simulationsumgebung durchgeführt.

Das Simulationsmodell des Q3-Abdomeneinsatzes wurde mit einem zylindrischen Impaktor

beaufschlagt. Um mehrere Aufprallschweren zu untersuchen, wurde die Aufprallgeschwindigkeit

in drei Stufen (3, 6 und 9 m/s) variiert. Der Abdominalblock wurde auf der dem Aufprall

abgewandten Seite fixiert, die Impaktorbewegung in nur eine Richtung beschränkt.

In dem in Abbildung 67 dargestellten Schnitt ist der innere Druck in den jeweiligen Elementen

visualisiert. Die physikalische Größe Druck in einem Volumenelement gehört ebenfalls zu den

Standardausgabegrößen des FE-Berechnungsprogramms. Der dargestellte Druckverlauf macht auf

die Ursache der fehlenden Korrelation zwischen der Sensierung der äußeren Kontaktkräfte und der

Messung des inneren Drucks aufmerksam. Die grün eingefärbten Elemente haben einen inneren

Druck von ungefähr 0, die warmen Farbtöne einen positiven Druck und die kalten Farbtöne einen

negativen inneren Druck104

. Das für den Abdominalblock verwendete Materialgesetz entspricht

einem kompressiblen und isotropen105

Material. Das menschliche Gewebe ist größtenteils

anisotrop. Bei dem gewählten Abstraktionsgrad und unter Berücksichtigung des Einsatzzwecks ist

die Verwendung von nur isotropen Materialgesetzen ausreichend.

103 Normalvektor: Ein Vektor, der senkrecht auf einer Oberfläche steht.

104 Negativer innerer Druck: In diesem Kontext ein Unterdruck, entstanden durch das dynamische

Kompressionsverhalten des Materials unmittelbar nach der Kompressionsschicht

105 Isotropie: Richtungsunabhängigkeit einer Eigenschaft

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

105

Abbildung 67: Schnitt durch den Q3-Abdominalblock (Aufprall mit 6 m/s, Druckverlauf)

Der Druckverlauf an den Stellen, die sich unmittelbar in Kontakt mit dem Impaktor befinden, ist

positiv. Auf die positive Druckwelle folgt durch Kompression und Volumenveränderung ein

Expansionsbereich mit negativem Druckverlauf. Der durchschnittliche Druckverlauf aus allen

Elementen des zu untersuchenden Körpers würde so exakt dem Quotienten aus Kontaktkraft und

Kontaktfläche, also dem FMS-Messprinzip, entsprechen. Die Auswertung von Druckverläufen aller

Elemente stellt einen nicht unerheblichen Mehraufwand bei der Auswertung solcher Aufprallarten

dar. Auch wenn die Auswertung durch Entwicklung spezieller Skripte automatisiert werden

könnte, ist dieser Ansatz in einer produktiven Umgebung nicht praktikabel.

Das APTS-System ist nicht in der Lage, lokal negativen Druck zu messen, da es an den

Außenflächen nicht mit der Umgebung fest verbunden ist. Bei starken Deformationen entsteht ein

Leerraum zwischen Sensoraußenwand und Umgebung.

Es wurden mehrere Ansätze zur Vereinfachung der Druckmessung unternommen. Um die lokalen

Einflüsse der Kompressions- und Expansionswelle im Inneren des Abdominalblocks zu

minimieren, wurde eine hohe Anzahl von Messpunkten gewählt (100 Stück). Diese Punkte wurden

mittels Zufallsverfahren ausgesucht. Anschließend wurden die 100 Druckverläufe so modifiziert,

dass die negativen Kurvenbereiche gleich null gesetzt wurden und damit nur der positive Druck

analysiert werden konnte.

negativer Druck

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6. Validation

106

Abbildung 68: Vergleich Druck- und Kontaktkraft-Messmethode (Q3-Abdominalblock,

Aufprallgeschwindigkeit: 6 m/s)

Mit diesem Ansatz gelang es, eine halbwegs gute Korrelation zwischen den zwei Messmethoden

herzustellen. Diese gute Korrelation konnte jedoch nicht in Simulationen mit anderen

Aufprallgeschwindigkeiten reproduziert werden.

Abschließend lässt sich feststellen, dass keine praktikable Vergleichsmethode für druck- und

kontaktkraftbasierende Messergebnisse gefunden werden konnte. Somit besteht keine direkte

Vergleichsmöglichkeit der Abdominalbelastungen von Hardware-Dummy-Versuchen und

Simulationen mit einem Menschmodell. Für eine Abschätzung der Unfallschwere und der

Verletzungswahrscheinlichkeiten muss daher auf die Kontaktkraftmethode zurückgegriffen

werden. Ein Vergleich von Dummy- und Menschmodell-Messwerten ist damit in einer

Simulationsumgebung ohne zusätzlichen Auswertungsaufwand möglich.

6.7 DURCHFÜHRUNG EINER UNFALLREKONSTRUKTION

In der Durchführung einer Unfallrekonstruktion soll die Tauglichkeit des numerischen Modells für

eben diesen Einsatz geprüft werden. Es sollen eventuelle Schwachstellen des Modells aufgedeckt

und analysiert werden.

Für die Durchführung einer Unfallrekonstruktion wurde der Unfall mit der Nummer CCN1081

ausgewählt (siehe Kapitel 6.6). Das Kind war mittels einer Sitzerhöhung und des fahrzeugseitigen

Drei-Punkt-Gurtes gesichert. Es wurde vermutet dass die Sitzhaltung des Kindes zum Zeitpunkt

Kontaktkraft / Kontaktfläche

Durchschnittlicher positiver Druck

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

107

des Unfalls nicht ganz aufrecht war, so dass zwischen Becken und Rückenlehne ein großer Abstand

entstand, bzw. der Winkel der Wirbelsäule in der vertikalen Ebene nicht dem der Rückenlehne

entsprach. Insgesamt wurde dieser Lastfall in vier Rekonstruktionsversuchen an der TU Berlin

nachgestellt. Es wurden ein Versuch mit einem kompletten Fahrzeug und drei Schlittenversuche106

durchgeführt. In den Schlittenversuchen wurde die Sitzhaltung des Dummys variiert.

Für diesen Schritt wurde das numerische Menschmodell in einer „Einsitzsimulation“ angepasst,

indem es vorpositioniert und mit einer konstanten Beschleunigung in z-Richtung beaufschlagt

wurde. Zur Beschleunigung der Einsitzprozedur betrug die z-Beschleunigung der doppelten

Erdbeschleunigung, die Rechendauer betrug 200ms.

Abbildung 69 Positionierung des 3JAMM für die Unfallrekonstruktion, li.: undeformiert, re.:

deformierter Zustand.

Die Beschleunigungskurve in x-Richtung wurde aus den Messergebnissen der Unfallrekonstruktion

entnommen. Ähnlich wie bei den Schlittenversuchen wurde das Simulationsmodell nur in x-

Richtung beaufschlagt, es wird also davon ausgegangen dass die Rotation des Fahrzeugs während

des Unfalls keine entscheidende Rolle auf die Insassenkinematik ausübt und die Belastung in x-

Richtung überwiegend ist.

106 Schlittenversuch: Im Vergleich zu einer vollständigen Unfallrekonstruktion besteht die Testumgebung in

einem Schlittenversuch aus einer befestigten, undeformierbaren Karosserie. Die Karosserie ist auf einem in

x-Richtung geführtem Schlitten montiert, welcher mit einem definierten Verzögerungspuls abgebremst wird.

In einem Schlittenversuch können nur Beschleunigungen in eine Richtung abgebildet werden.

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6. Validation

108

Die Simulation brach nach 62ms mit einer Fehlermeldung ab, kurz nachdem die maximale

Fahrzeugbeschleunigung erreicht wurde. Die Abbruchursache war ein berechnetes negatives

Volumen eines Elements der inneren Organe. Eine detaillierte Auswertung der Messwerte ist daher

weniger aussagekräftig. Nachfolgend soll nun die Performance des Modells kritisch betrachtet

werden.

Abbildung 70 Vergleich der Dummy- / Menschmodellkinematik bei 62ms

Wie auf Abbildung 70 zu erkennen ist, schneidet der Schultergurt den Hals des Dummys während

der Vorwärtsbewegung sehr stark ein. Derselbe Effekt ist auch in der Simulation mit dem 3JAMM

zu beobachten. Die Tatsache, dass das numerische Menschmodell keinen ausmodellierten

Halsbereich besitzt, führt zu einer unnatürlichen Verlagerung des Schultergurts und zur Gefahr des

„Durchrutschens“ des Oberkörpers unter dem Gurt. Das Durchrutschen des Gurtes konnte jedoch

nicht festgestellt werden, auch wenn die zum Vergleich mit den Versuchsvideos notwendige

eingestellte Perspektive einen anderen Eindruck vermitteln könnte. In einer Simulation mit einem

Vier- oder Fünfpunktgurt wäre dieser negative Effekt nicht so stark ausgeprägt. Für die Fähigkeit,

aussagekräftige Prognosen mittels des numerischen Menschmodells in einer Unfallrekonstruktion

erstellen zu können ist ein mit Volumenelementen modellierter Halsbereich jedoch zwingend

erforderlich.

In der nachfolgenden Abbildung ist ein Schnitt in der Sagittalebene zum Zeitpunkt des

Simulationsabbruchs dargestellt (Teile des Menschmodells und der Rückhaltesysteme

ausgeblendet).

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

109

Abbildung 71 Sagittalschnitt durch das Menschmodell zum Zeitpunkt 62ms, Rekonstruktion von

CCN1081

Bei näherer Betrachtung kann man feststellen, dass die Bandscheibe zwischen dem L4 und dem L5

Wirbel (letzter und vorletzter Wirbel) unnatürlich stark deformiert ist. Dieser Effekt beruht auf der

Tatsache dass die Beckenknochen und der L5 Wirbel im Modell fest miteinander verbunden sind.

Da gleichzeitig die Ersatzmassen für die Beine am Beckenknochen befestigt sind, fehlt die

Elastizität in diesem Bereich. Für die Deformation der Wirbelsäule, bzw. die Wechselwirkungen

zwischen dem L4 und L5 Wirbel bedeutet es dass die auf das Becken wirkende Kraft mit einem

Hebelarm in die Wirbelsäule eingeleitet wird. Durch gezielte Anpassung der Steifigkeit in diesem

Bereich, oder durch die Abbildung der fehlenden Elastizitäten (Modellierung der abstrahierten

Extremitäten) kann dem entgegengewirkt werden.

Ein ähnliches fehlerhaftes Deformationsverhalten ist am Übergang Th1 Wirbel zu Kopfersatzmasse

zu beobachten, wenngleich dieser Effekt nicht so stark ausgeprägt ist.

Es hatte sich herausgestellt dass die eigentliche Ursache für das Versagen einiger Elemente und des

Simulationsabbruchs das Materialmodell der Lunge ist. In dem numerischen Menschmodell ist die

Lunge das Organ mit der geringsten Dichte. Das gewählte Materialmodell ist offensichtlich bei

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6. Validation

110

sehr starker Deformation numerisch nicht stabil, auch wenn während der Validationsversuche

dieses Verhalten nicht beobachtet werden konnte. Die Ls-Dyna Materialdatenbank bietet zahlreiche

Optionen zur Abbildung sehr weicher Materialen, deren mathematische Beschreibung

unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von dem gewählten Materialgesetz „Viscoelastic“. Die

Materialkonstanten müssten also umgerechnet, oder anhand von Ersatzmodellen mittels

zusätzlichen Simulationen experimentell bestimmt werden.

Zusammenfassend lässt sich eine nur bedingte Tauglichkeit des Menschmodells für eine

Rekonstruktion eines realen Unfalls feststellen. Die Anzahl der verbesserungswürdigen Punkte ist

jedoch überschaubar, der Aufwand zur Beseitigung dieser Fehler anhand der gemachten

Verbesserungsvorschläge ist als gering einzustufen. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Fertigstellung

dieser Arbeit nur beschränkt vorhandener Zugangsmöglichkeit zum Rechencluster der TU-Berlin

wurde jedoch entschieden auf eine weitere Iterationsschleife zu verzichten und den

Modellierungsprozess abzuschließen.

Die Validation erfolgte anhand von PMHS Versuchen. Die in den Versuchen verwendeten

Lastfälle sind aus der Sicht des Einsatzzwecks des Menschmodells abstrakt, eine Erweiterung

dieser Lastfälle für den Validationsprozess ist wünschenswert. Insbesondere sind Ergebnisse aus

experimentellen Tests mit Gurtbandbelastungen für die Validation erwünscht, die Verfügbarkeit

solcher Ergebnisse ist leider noch nicht ausreichend.

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

111

7 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Die vorliegende Arbeit beschreibt den Prozess der Entwicklung eines numerischen

Menschmodells. Die Motivation für die Arbeit lag darin begründet, ein Werkzeug zu entwickeln,

mit dem es möglich ist, komplexe Untersuchungen auf dem Gebiet der Biomechanik machen zu

können. Die Einsatzumgebung für das entwickelte Modell sind Fahrzeugunfallszenarien mit

Kindern als Insassen.

Das Modell wurde von Grund auf neu entwickelt. Es entspricht einem 50-Perzentil eines drei Jahre

alten Kindes und basiert auf realen Geometriedaten. Die für die Biofidelität des

Simulationsmodells entscheidende Definition der Materialparameter wurde durch das

Zusammentragen und Auswerten von Daten aus vorangegangenen Studien auf diesem Gebiet

bestimmt. In einem Validationsprozess wurden die Materialparameter geringfügig korrigiert, so

dass die Kinematik des Menschmodells in verschiedenen Lastfällen den Zielkorridoren entspricht.

Die Zielkorridore basieren auf Ergebnissen von Versuchen mit erwachsenen PMHS. Nach einer

Auswahl geeigneter Versuche wurden sie für die einem dreijährigen Kind entsprechenden

Größenordnungen skaliert. Die Skalierfaktoren wurden basierend auf Geometriedaten der Kinder

und Erwachsenen ermittelt.

Die Ergebnisse der Validationssimulationen zeigten eine gute Übereinstimmung mit den

Zielkorridoren für den Abdominalbereich. Lastfälle mit Thoraxaufprallarten korrelierten nur mäßig

gut mit den gesetzten Zielkorridoren. Der direkte Vergleich mit einem Q3-Dummy zeigte deutliche

Unterschiede in den Steifigkeiten beider Modelle.

In einer abschließenden Rekonstruktionssimulation wurden die Tauglichkeit zur Unfall-

rekonstruktion und der Entwicklungsstand des Modells kritisch betrachtet. Eine erfolgreiche

vollständige Rekonstruktionssimulation konnte aufgrund von numerischen Instabilitäten nicht

durchgeführt werden. Es wurden Verbesserungspotenziale aufgedeckt und Lösungsmöglichkeiten

diskutiert.

Die wichtigsten Punkte bei einer weiterführenden Entwicklung des numerischen Menschmodells

für ein drei Jahre altes Kind sind die Modellierung der abstrahierten Körperbereiche und die

Erweiterung der Validation um weitere Lastfälle. Des Weiteren sollten mehrere Geschwindigkeits-

stufen in die Validation einfließen.

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7. Zusammenfassung und Ausblick

112

7.1 AUSBLICK

Die numerische Simulation und das „virtuelle Testen“ spielen heutzutage bei nahezu jeder

technischen Entwicklung eine sehr große Rolle. Der Einsatz von virtuellen Modellen führt sowohl

zu schnelleren Entwicklungszeiten als auch zu einem immer komplexeren Verständnis für

zahlreiche Fragestellungen. Auf dem Gebiet der Insassensicherheit sind Menschmodelle

unverzichtbar geworden.

Numerische Menschmodelle helfen den Entwicklern, durch besseres Verständnis der Materie und

die Fähigkeit komplexere Analysen in einer höheren Anzahl von Lastfällen durchführen zu können,

die Qualität der Schutzsysteme für Insassen jedes Alters fortwährend zu verbessern. Die

Verbesserung kann durch unterschiedliche Weisen erreicht werden. Mit Verbesserung der

Verletzungsprognosequalität können die Verletzungswahrscheinlichkeiten und somit auch

Schutzkriterien exakter bestimmt werden. Mit Optimierung von Crashtest-Dummys mittels

gewonnenen Erfahrungen auf dem Gebiet der Biomechanik können die Schutzsysteme besser auf

die Insassen in verschiedenen Crashszenarien angepasst werden.

Die numerischen Menschmodelle an sich werden in Zukunft immer weiter verfeinert. Sowohl aus

der Sicht der Netzqualität als auch von der Abbildungsgüte werden die Modelle immer komplexere

Stände annehmen. Dieser Trend ist Anhand der aktuellen Veröffentlichungen auf diesem Gebiet

eindeutig zu erkennen. Die steigende Komplexität erfordert immer mehr Rechenleistung, welche

allerdings in Zeiten von Cloud-Computing eine untergeordnete Rolle einnimmt. In Zukunft wird

die Bandbreite der Datenverbindungen und nicht die Rechenleistung der beschränkende Faktor

sein.

Mit der höheren Qualität der Menschmodelle müssen die Verletzungswahrscheinlichkeiten nicht

mehr abgeschätzt werden, sie könnten direkt ermittelt werden. Voraussetzung dafür ist ein

fundiertes Wissen der Materialeigenschaften des menschlichen Gewebes. Mit den weitaus stärker

entwickelten numerischen Menschmodellen für Erwachsene können bereits jetzt Schäden wie

Knochenbrüche, Sehnen- oder Knorpelversagen relativ zuverlässig abgebildet werden.

Alle diese Entwicklungen führen zu einer Erhöhung der Insassensicherheit und Reduktion der

Anzahl der Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr. Es bleibt nur die Frage offen welches

Ziel zuerst erreicht wird, das ultimativ sichere Rückhaltesystem für alle Insassen, oder das

intelligente Fahrzeug welches Unfälle komplett vermeidet.

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121

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 01: Verteilung der Anzahl der getöteten Kinder [Kirk, 2011] ......................................... 3

Abbildung 02: Verlauf der Anzahl der getöteten Kinder von 1999 bis 2008 [Kirk, 2011]................ 3

Abbildung 03: Anatomie eines Neugeborenen (links) und eines Erwachsenen (rechts) Menschen

[Franklyn et al., 2007]................................................................................................ 4

Abbildung 04: Vergleich der Einbauqualität mit älteren Feldstudien [Müller, 2013] ....................... 5

Abbildung 05: Sierra Sam Dummy [NSA; 2011] .............................................................................. 7

Abbildung 06: Die Q-Dummy-Familie, bestehend aus: Q1.5, Q3, Q0, Q6 und Q1 [EEVC; 2008] .. 8

Abbildung 07: Q-Dummy-Standardinstrumentierung, Q1.5 (kann je nach Modell variieren) [EEVC,

2008] .......................................................................................................................... 9

Abbildung 08: Q3-Referenztest, Validation der Halswirbelsäule, Halsmoment über Biegewinkel

[EEVC, 2008] .......................................................................................................... 10

Abbildung 09: Q3-Referenztest, Validation des Brustbereichs, Kraft über Brusteindrückung

[EEVC, 2008] .......................................................................................................... 11

Abbildung 10: Ergebnisse aus Leichenversuchen, Frontalaufprall Thorax, Kraft über Weg [Kroell

et al., 1971] .............................................................................................................. 12

Abbildung 11: Q3-Referenztest, Validation des Bauchbereichs, Kraft über Baucheindrückung

[EEVC, 2008] .......................................................................................................... 13

Abbildung 12: THUMS-Menschmodell, Insassen- und Fußgängerversion, Darstellung der inneren

Organe [Dynamore, 2012] ....................................................................................... 14

Abbildung 13 Verletzungsrisikokurven, Prozentuales Risiko über HIC Wert [Hayes, 2007] ......... 20

Abbildung 14 Errechnete AIS Verteilung für Abdominalbelastungen als Funktion des

Abdominaldrucks, Rekonstruktionen mit einem Q3 (blau) und Q6 (orange) Dummy,

Q6 Werte skaliert [Johannsen, 2012] ....................................................................... 22

Abbildung 15 Grundstruktur eines Q6 Dummys mit einem auf Frontalaufprall ausgerichteten IR-

TRACC Sensor [Waagmeester, 2006] ..................................................................... 24

Abbildung 16: RibEye System, li.: LED’s (A), zwei optische Sensoren (B), Interfaceeinheit (C &

E), Dummy Spinebox (D); re.: System im Einsatz am Brustkorb des HIII Dummys

[Yoganandan et al., 2009] ........................................................................................ 25

Abbildung 17: APTS-Sensor und dessen Positionierung im Abdominalblock [Beillas, 2012] ....... 26

Abbildung 18: Flexiforce A102 Sensor [Johannsen, 2006] ............................................................. 28

Abbildung 19: Konzeption der Sensormatrix (oben) und das fertiggestellte Sensorsystem (unten)

[Johannsen, 2006] .................................................................................................... 29

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8. Quellenverzeichnis

122

Abbildung 20: Kundenspezifische Sensorkonfigurationen des Herstellers TekScan; von li. oben

nach re. unten: Sensor mit einer großen Messfläche, beliebig kombinierbare

Einzelsensoren in einem Gehäuse, Sensormatrix und Auszug aus den

Messergebnissen der Sensormatrix [Tekscan, 2010] ............................................... 31

Abbildung 21: Elastisches Biegemodul von Knochengewebe (GPa) in Abhängigkeit vom Alter (Y),

schwarze Linie - Interpolation [Mertz et al., 1997] ................................................. 36

Abbildung 22: Kraft-Weg-Kennung der Thoraxsteifigkeit eines Kindes [Maltese et al., 2008] ..... 46

Abbildung 23 Verschiedene Beanspruchungskonfigurationen der Versuche von Kent. Von links

nach rechts: Schultergurt, verteilte Last, unteres Abdomen, oberes Abdomen und

HLW [Kent, 2009] ................................................................................................... 48

Abbildung 24: Skalierung eines einfachen geometrischen Objekts ................................................. 49

Abbildung 25: Skalierung mehrerer einzelner Objekte ohne die Anpassung der Schwerpunktlage 50

Abbildung 26: Konflikte an den Schnittstellen zwischen zwei Objekten ........................................ 50

Abbildung 27: Beispiel einer Kriging-Interpolation; schwarz: gegebene Änderungsvariablen,

farbiges Netz: resultierende Abweichungen [Lophaven et al., 2002] ...................... 51

Abbildung 28: TNO-Skalierung eines Erwachsenenmodells auf Kinderniveau [Rodarius et al.,

2007] ........................................................................................................................ 54

Abbildung 29: Vergleich des skalierten Menschmodells mit dem HIII-Kinderdummy [Mizuno et

al., 2007] .................................................................................................................. 55

Abbildung 30: Darstellung der Validationsversuche des skalierten Menschmodells für den Frontal-

und Seitenaufprall [Koizumi et al., 2008] ................................................................ 55

Abbildung 31: Separation der einzelnen Organe (hier: Leber) und eine Gesamtdarstellung des

PMHCS [CASPER, 2010] ....................................................................................... 60

Abbildung 32: Unterschiede zwischen der sitzenden (dunkel) und liegenden (hell) Position [Beillas

et al., 2009] .............................................................................................................. 61

Abbildung 33: Die untersuchten Kindersitzmodelle. Links: Sitz X, rechts: Sitz Y [Andersson et al.,

2010] ........................................................................................................................ 63

Abbildung 34: Zwischenstadium der Geometrieaufbereitung .......................................................... 67

Abbildung 35: Einzelne Schritte von der Punktewolke bis zur Erzeugung eines FE-Netzes........... 67

Abbildung 36 Modellierung der Skelettstrukturen ........................................................................... 68

Abbildung 37: Modellierung eines Wirbelkörpers ........................................................................... 69

Abbildung 38: FE-Netzoptimierung Rippenkäfig ............................................................................ 70

Abbildung 39: Darstellung eines Wirbelkörpers eines Erwachsenen aus der Literatur [Gray, 1918]

und vom Menschmodell mit definierten Anbindungspunkten (rot) ........................ 71

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Entwicklung eines numerischen Menschmodells für ein drei Jahre altes Kind

123

Abbildung 40: Darstellung der Wirbelsäule, Implementierung der Anbindung der Rippen (schwarz

umrandet) an die Wirbelkörper ................................................................................ 71

Abbildung 41: Numerisches Menschmodell eines dreijährigen Kinds, Schnitte durch verschiedene

Sagittalebenen .......................................................................................................... 73

Abbildung 42: Lunge [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] ................................................ 74

Abbildung 43: Herz [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] ................................................... 75

Abbildung 44: Leber [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] ................................................. 76

Abbildung 45: Niere [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] .................................................. 77

Abbildung 46: Milz [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] ................................................... 78

Abbildung 47: Verdauungstrakt [li. InnerBody 2013, re. eigene Darstellung] ................................ 78

Abbildung 48: Kombiniertes inneres Gewebe ................................................................................. 79

Abbildung 49: Anpassung des Menschmodells an eine sitzende Position (Zwischenschritt:

Einstellung der Biegung der Brustwirbelsäule, li.: Ausgangszustand, re.: Ergebnis

der Simulation) ........................................................................................................ 81

Abbildung 50: Anpassung des Menschmodells an eine sitzende Position (Zwischenschritt:

Absenkung der Schulterblätter und des Oberarmwinkels) ...................................... 81

Abbildung 51: Biegebalken und Druckstabmodell zur Bildung der Skalierfaktoren [Kirscht, 2012]

................................................................................................................................. 84

Abbildung 52: Kraft-Weg-Kennungen aus PMHS-Tests von Kroell [Kroell et al., 1971], rot

markiert: die für die Validation herangezogenen Versuchskurven. ......................... 87

Abbildung 53: Kraft -Weg-Kennungen. Frontalaufprall, Abdomen [Cavanaugh et al., 1986] ........ 88

Abbildung 54: Kraft –Weg - Kennungen. Seitenaufprall, Abdomen [Viano et al., 1989] ............... 89

Abbildung 55: Thorax Tests, Frontal- und Seitenaufprallkonfiguration. Vergleich Mensch- und Q3-

Dummymodell ......................................................................................................... 89

Abbildung 56: Abdomen Tests, Frontal- und Seitenaufprallkonfiguration (Dummy Jacke und

Außengewebe des 3JAMM teilweise ausgeblendet) ............................................... 90

Abbildung 57 Beispielhafte DOE-Analyse, Darstellung von Korrelationswerten zwischen

Systemantworten und festgelegten Parametern [Kirscht, 2012] ............................. 91

Abbildung 58: Thoraxaufprall frontal, Kraft-Weg Kennungen ....................................................... 92

Abbildung 59: Testergebnisse des Q3-Dummys in einem Frontalaufprall, Auszug aus den

Validationstests [EEVC, 2008] ................................................................................ 93

Abbildung 60: Thoraxaufprall frontal und lateral, Darstellung der maximalen Eindrückung ......... 93

Abbildung 61: Thoraxaufprall lateral, Kraft-Weg-Kennungen ........................................................ 94

Abbildung 62: Kraft-Weg-Kennungen, Abdominalaufprall frontal ................................................. 94

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8. Quellenverzeichnis

124

Abbildung 63: Kraft-Weg Kennungen, Abdominalaufprall lateral .................................................. 95

Abbildung 64: Abdominalaufprall frontal und lateral, Darstellung der maximalen Eindrückung ... 96

Abbildung 65: Vergleich des APTS-(durchschnittlicher Druckverlauf) und FMS-Sensorsystems

(summierter Kraftverlauf, Unfallrekonstruktion CCN 1081) ................................ 101

Abbildung 66: Vergleich des APTS- und FMS-Sensorsystem, Unfallrekonstruktion CCN 1082,

links: fehlerhafte Messung des einen Kanals im APTS, rechts: APTS vs. FMS (FMS

gemittelt) ................................................................................................................ 102

Abbildung 67: Schnitt durch den Q3-Abdominalblock (Aufprall mit 6 m/s, Druckverlauf) ......... 105

Abbildung 68: Vergleich Druck- und Kontaktkraft-Messmethode (Q3-Abdominalblock,

Aufprallgeschwindigkeit: 6 m/s) ............................................................................ 106

Abbildung 69 Positionierung des 3JAMM für die Unfallrekonstruktion, li.: undeformiert, re.:

deformierter Zustand. ............................................................................................. 107

Abbildung 70 Vergleich der Dummy- / Menschmodellkinematik bei 62ms ................................. 108

Abbildung 71 Sagittalschnitt durch das Menschmodell zum Zeitpunkt 62ms, Rekonstruktion von

CCN1081 ............................................................................................................... 109

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 01: Unterschiede zwischen Erwachsenen- und Kinderkörpern [Ciglaric, 2007] ................ 15

Tabelle 02: Erwartete Verletzungsmuster ........................................................................................ 17

Tabelle 03: Besonders gefährdete Körperregionen; Frontalaufprall [CASPER, 2009] ................... 18

Tabelle 04: Besonders gefährdete Körperregionen; Seitenaufprall [CASPER, 2009] ..................... 18

Tabelle 05: AIS-Verletzungsschweregrade [AAAM, 1998, Johannsen, 2006] ............................... 19

Tabelle 06 Vorgeschlagene Grenzwerte für einen Q3 Dummy [EEVC, 2008] ............................... 21

Tabelle 07: Verbesserungsmöglichkeiten für den FMS-Sensor ....................................................... 30

Tabelle 08: Übersicht FE-Menschmodelle für den Thoraxbereich [Yang K. et al., 2006] .............. 40

Tabelle 09 Materialeigenschaften der vorgestellten FE-Thorax-Modelle [Yang K. et al., 2006] .... 42

Tabelle 10: Übersicht FE-Menschmodelle für den Abdominalbereich [Yang K. et al., 2006] ........ 43

Tabelle 11: Materialeigenschaften der vorgestellten FE Abdomen Modelle [Yang K. et al., 2006] 44

Tabelle 12: Zusammenfassung der bisher durchgeführten Tests an PMHCS [Kent, 2009]............. 47

Tabelle 13: Skalierfaktoren für verschiedene physikalische Größen [Eppinger, 1999] ................... 52

Tabelle 14: Skalierfaktoren für die Entwicklung von HIII-Kinderdummys [Mertz et al., 1997] .... 53

Tabelle 15: Anthropometrische Datenbasis (Auszug) [Serre, 2010 und Greil, 1986] .................... 58

Tabelle 16: Vergleich der Abmessungen mit einem statistischen Durchschnitt und einem Q3-

Dummy .................................................................................................................... 59

Tabelle 17: Stellung der Wirbelsäule und ihre Bedeutung für die Unfallkinematik ........................ 62

Tabelle 18: Ersatzmassen des numerischen Menschmodells ........................................................... 80

Tabelle 19: Skaliergrößen für den Thorax des 3JAMM ................................................................... 85

Tabelle 20: Skaliergrößen für das Abdomen des 3JAMM ............................................................... 85

Tabelle 21: Skalierte Lastfälle für den Thorax des 3JAMM ............................................................ 86

Tabelle 22: Skalierte Lastfälle für das Abdomen des 3JAMM ........................................................ 86

Tabelle 23: Finale Materialeigenschaften des 3JAMM .................................................................. 98

Tabelle 24 Erste Abschätzungen der AIS-Verletzungsschwere basierend auf Messungen des APTS-

Sensors [CASPER, 2012] ........................................................................................ 99

Tabelle 25 Erste Abschätzungen der AIS-Verletzungsschwere basierend auf Messungen des FMS-

Sensors [CASPER, 2012] ...................................................................................... 100

Tabelle 26: Zur Vergleichsbetrachtung geeignete Unfallrekonstruktionen [CASPER/CHILD-

Datenbank] ............................................................................................................. 100

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8. Quellenverzeichnis

126

Tabelle 27: Vergleich aller verfügbaren CHILD-Rekonstruktionsfälle mit beiden Abdominal-

Sensorsystemen im Einsatz [Johannsen; 2006] ..................................................... 103