Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe

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Die operative Behandlung von Fraktu- ren erfolgt in der Regel mit Metallim- plantaten oder Fixateuren, welche über den gesamten Heilungsverlauf ihre Form und ihre mechanischen Eigen- schaften beibehalten. Eine Ausnahme stellt die Dynamisierung, bei welcher eine Axialbewegung im Fixateur er- möglicht wird, dar. Wir verfolgen die Idee, Implantaten und Fixateuren mit Hilfe moderner Technologie eine Intel- ligenz zu verleihen, um eine optimale Frakturheilung durch universelle auto- matische Modifikation von Form und Elastizität zu erreichen [2]. Prinzipiell ist es dabei erforderlich, daß sowohl ei- ne Messung als auch eine Steuerung vorgesehen werden. Während der Ar- beiten zum intelligenten Fixateur ent- standen darüber hinaus einige neue Be- handlungskonzepte, welche bereits vorteilhaft am Patienten angewandt werden konnten. Methode Das wesentliche Konstruktionsmerkmal ist der Hexapodmechanismus [1]. Dabei werden am proximalen und distalen Ring je 3 Paare von Ku- gelgelenken angebracht, welche mit 6 Distrak- torelementen im Sinn von zirkulär angeordneten Dreiecken verbunden werden. Durch Einstel- lung der Längen der Distraktoren können alle räumlichen Verschiebungen und Rotationsbe- wegungen der Ringe zueinander durchgeführt werden. Der Hexapodmechanismus ist in der Robo- tertechnik seit langer Zeit bekannt. Er findet sich auch in Flugsimulatoren. Die Festlegung der Verstellwege der 6 Distraktoren erfordert we- gen deren schräger Ausrichtung mathematische Berechnungen. In Anlehnung an einer Roboter- steuerung wurde deshalb eine entsprechende Software für die klinische Anwendung ent- wickelt. Diese ist auf einem Laptop- oder Ta- schencomputer sowohl im OP als auch am Kran- kenbett verfügbar. Ebenso wie die Repostion in allen räumlichen Freiheitsgraden möglich ist, können durch Einbringen einfacher uniaxialer Kraftsensoren – in Reihe mit den Distraktoren – sowohl axiale und Schubkräfte als auch Tor- sions- und Biegemomente im Fixateur bestimmt werden. Ergebnisse Der Hexapod wurde bisher insgesamt 28mal eingesetzt. Für ein Kollektiv von 16 abgeschlossenen Behandlun- gen in Ilisarow-Technik am Unter- schenkel wurde röntgenologisch die erreichte Genauigkeit der Korrektur bzw. Reposition bestimmt. Dabei wur- den maximale Achskorrekturen von 35° und Translationen von 40 mm durchgeführt. Achsabweichungen lie- ßen sich besonders gut einstellen. Es verblieben im Median Fehlstellungen von 1,5 mm (Quartilsbereich 0–3,5 mm) und 1° (Quartilsbereich 0–1,5 °). Für die Translationen war die Ver- formbarkeit des interponierten Gewe- bes, z. B. Kallus oder Pseudarthrose, der begrenzende Faktor. Es zeigte sich, daß auch die Monta- ge des Hexapoden an Schanz-Schrau- ben gut möglich ist. Montagen und Repositionen mit Schanz-Schrauben Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S35–S37 © Springer-Verlag 2000 Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe K. Seide, D. Wolter Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg Dr. K. Seide, Berufsgenossenschaftliches Un- fallkrankenhaus Hamburg, Bergedorfer Straße 10, D-21033 Hamburg e-mail: [email protected], Tel.: 040-73060, Fax: 040-73062703 S35 Zusammenfassung Es wird die Idee verfolgt, Implan- taten mit Hilfe moderner Techno- logie eine „Intelligenz“ zu verlei- hen, welche eine optimale Frak- turheilung durch automatische Modifikation von Form und Elasti- zität des Implantats ermöglicht. Hierzu ist es erforderlich, daß so- wohl eine Steuerung als auch eine Messung vorgesehen werden. Auf der Basis eines Hexapoden wurde ein Fixateur externe entwickelt, mit welchem exakt berechenbare Knochenbewegungen ausgeführt werden konnten. Insbesondere konnte eine langsame und scho- nende, für den Patienten schmerz- freie Frakturreposition erfolgen. Ein Prototyp mit Motoren wurde erprobt. Durch Einbringen von Kraftsensoren war es möglich, die Kontrolle des Frakturheilungsver- laufs mit dem Hexapoden durchzu- führen. Nach Ansicht der Autoren werden Repositionsroboter und „intelligente“ Fixateure in der Zu- kunft routinemäßige Hilfsmittel des Unfallchirurgen sein. Schlüsselwörter Fixateur externe · Intelligent · Mes- sung · Motor · Frakturheilung · He- xapod COMPUTERUNTERSTÜTZTE OP

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Page 1: Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe

Die operative Behandlung von Fraktu-ren erfolgt in der Regel mit Metallim-plantaten oder Fixateuren, welche überden gesamten Heilungsverlauf ihreForm und ihre mechanischen Eigen-schaften beibehalten. Eine Ausnahmestellt die Dynamisierung, bei welchereine Axialbewegung im Fixateur er-möglicht wird, dar. Wir verfolgen dieIdee, Implantaten und Fixateuren mitHilfe moderner Technologie eine Intel-ligenz zu verleihen, um eine optimaleFrakturheilung durch universelle auto-matische Modifikation von Form undElastizität zu erreichen [2]. Prinzipiellist es dabei erforderlich, daß sowohl ei-ne Messung als auch eine Steuerungvorgesehen werden. Während der Ar-beiten zum intelligenten Fixateur ent-standen darüber hinaus einige neue Be-handlungskonzepte, welche bereitsvorteilhaft am Patienten angewandtwerden konnten.

Methode

Das wesentliche Konstruktionsmerkmal ist derHexapodmechanismus [1]. Dabei werden amproximalen und distalen Ring je 3 Paare von Ku-gelgelenken angebracht, welche mit 6 Distrak-torelementen im Sinn von zirkulär angeordnetenDreiecken verbunden werden. Durch Einstel-lung der Längen der Distraktoren können alleräumlichen Verschiebungen und Rotationsbe-wegungen der Ringe zueinander durchgeführtwerden.

Der Hexapodmechanismus ist in der Robo-tertechnik seit langer Zeit bekannt. Er findet sichauch in Flugsimulatoren. Die Festlegung derVerstellwege der 6 Distraktoren erfordert we-gen deren schräger Ausrichtung mathematischeBerechnungen. In Anlehnung an einer Roboter-steuerung wurde deshalb eine entsprechendeSoftware für die klinische Anwendung ent-wickelt. Diese ist auf einem Laptop- oder Ta-schencomputer sowohl im OP als auch am Kran-kenbett verfügbar. Ebenso wie die Repostion inallen räumlichen Freiheitsgraden möglich ist,können durch Einbringen einfacher uniaxialerKraftsensoren – in Reihe mit den Distraktoren –sowohl axiale und Schubkräfte als auch Tor-sions- und Biegemomente im Fixateur bestimmtwerden.

Ergebnisse

Der Hexapod wurde bisher insgesamt28mal eingesetzt. Für ein Kollektivvon 16 abgeschlossenen Behandlun-gen in Ilisarow-Technik am Unter-schenkel wurde röntgenologisch dieerreichte Genauigkeit der Korrekturbzw. Reposition bestimmt. Dabei wur-den maximale Achskorrekturen von35° und Translationen von 40 mmdurchgeführt. Achsabweichungen lie-ßen sich besonders gut einstellen. Esverblieben im Median Fehlstellungenvon 1,5 mm (Quartilsbereich 0–3,5mm) und 1° (Quartilsbereich 0–1,5 °).Für die Translationen war die Ver-formbarkeit des interponierten Gewe-bes, z. B. Kallus oder Pseudarthrose,der begrenzende Faktor.

Es zeigte sich, daß auch die Monta-ge des Hexapoden an Schanz-Schrau-ben gut möglich ist. Montagen und Repositionen mit Schanz-Schrauben

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S35–S37 © Springer-Verlag 2000

Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe

K. Seide, D. WolterBerufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg

Dr. K. Seide, Berufsgenossenschaftliches Un-fallkrankenhaus Hamburg, Bergedorfer Straße10, D-21033 Hamburg e-mail: [email protected], Tel.: 040-73060, Fax: 040-73062703

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Zusammenfassung

Es wird die Idee verfolgt, Implan-taten mit Hilfe moderner Techno-logie eine „Intelligenz“ zu verlei-hen, welche eine optimale Frak-turheilung durch automatischeModifikation von Form und Elasti-zität des Implantats ermöglicht.Hierzu ist es erforderlich, daß so-wohl eine Steuerung als auch eineMessung vorgesehen werden. Aufder Basis eines Hexapoden wurdeein Fixateur externe entwickelt,mit welchem exakt berechenbareKnochenbewegungen ausgeführtwerden konnten. Insbesonderekonnte eine langsame und scho-nende, für den Patienten schmerz-freie Frakturreposition erfolgen.Ein Prototyp mit Motoren wurdeerprobt. Durch Einbringen vonKraftsensoren war es möglich, dieKontrolle des Frakturheilungsver-laufs mit dem Hexapoden durchzu-führen. Nach Ansicht der Autorenwerden Repositionsroboter und„intelligente“ Fixateure in der Zu-kunft routinemäßige Hilfsmitteldes Unfallchirurgen sein.

Schlüsselwörter

Fixateur externe · Intelligent · Mes-sung · Motor · Frakturheilung · He-xapod

COMPUTERUNTERSTÜTZTE OP

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konnten sowohl am Unterschenkel (8 Fälle) als auch am Oberschenkel (2 Fälle) und Oberarm (2 Fälle) durch-geführt werden.

Die durchgeführten Messungen er-gaben u. a., daß im klassischen Ilisa-row-Fixateur mit seinen elastischenDrähten bereits frühzeitig hohe Antei-le der axialen Last durch den Kallusübertragen werden. In einem typi-schen Fall betrug der Anteil des Fixa-

teurs nach 4 Wochen 13%, nach 12Wochen 2%. Die Biegesteifigkeit des Knochens erhöhte sich deutlichwährend der Frakturheilung. In ei-ner Defektsituationen wurden unteraxialer Belastung der Extremität mit13–17 kg (Toleranz des Patienten) biszu 53% der von außen aufgebrachtenLast nicht durch den Fixateur übertra-gen. Dies bestätigte frühere Ergeb-nisse, daß die Weichteile aufgrund

ihres hydrostatischen Drucks axialeLasten tragen.

Fallbeispiel

Bei einem 28jährigem Patienten mit offener Un-terschenkelfraktur wurde eine im Wagner- Fixa-teur aufgetretene Fehlstellung 2 Wochen nach derErstoperation korrigiert. Dabei wurden die vor-handenen Schanz-Schrauben für die Hexapod-montage verwendet (Abb. 1). Nach 8 Wochenzeigte sich röntgenologisch ein relativ breiterFrakturspalt. Es wurde deshalb eine Verkürzungmit dem Hexapoden um 2 mm durchgeführt. Beidiesem Patienten erfolgten Messungen der Fixa-teurkräfte nach 2, 4, 8, 12 und 16 Wochen (Abb.2). Es zeigte sich, daß nach der Repositioneine Kompression durch den Fixateur auf dieFraktur wirkte, welche nach 4 Wochen auf 0,nach 8 Wochen in eine Distraktion überging(Abb.3). Die Verkürzung führte dann wieder zueiner Kompression von 65 N (entsprechend 6,5 kg). Diese nahm im weiteren Heilungs-verlauf dann wieder auf 20 N ab. Der Fixateurwurde 16 Wochen nach dem Unfall beiknöchernem Durchbau und achsgerechter Stel-lung entfernt.

Diskussion

Die Untersuchungen zeigten u.E., daßmit dem Hexapoden sowohl exakteFrakturrepositionen als auch kontrol-lierte Veränderungen der mechani-schen Situation der Frakturzone durch-zuführen sind. Die Lastmessungenzeigten insbesondere, daß es möglichist, eine Kontrolle des Heilungsver-laufs einer Fraktur mit dem Meßhexa-poden durchzuführen. Es ist von unsvorgesehen, neben der Form auch dieElastizität des Fixateurs zu regeln.

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COMPUTERUNTERSTÜTZTE OP

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S35–S37 © Springer-Verlag 2000

Development and clinical application of an “intelligent” external fixator

K. Seide, D. Wolter

Abstract

The idea of adding “intelligence” toorthopedic implants with the aim ofoptimizing fracture healing by auto-matic modification of shape andelasticity of the implant is pursued.To achieve this, it is necessary to in-corporate both control and measure-ment capabilities. An external fixatorbased on a hexapod mechanism wasdeveloped, which allowed preciselycomputed bone movements to becarried out. In particular, slow andcareful fracture reduction was possi-ble without pain to the patient. Apro-

totype with motors was investigated.The application of force sensorsmade it possible to monitor thecourse of fracture healing with thehexapod. The authors are of the opin-ion that reduction robots and “intel-ligent” fixators will be routinely usedby orthopedic trauma surgeons in thefuture.

Key words

External fixator · Intelligent · Mea-surement · Motor · Fracture healing ·Hexapod

Abb.1a–d. Röntgenbefund derAchsfehlstellung vor der Korrek-tur (a, b) und der achsgerechtenStellung nach der Korrektur (c, d)mit dem Hexapoden

a dcb

Page 3: Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe

Die Möglichkeit der sukzessivenschmerzfreien Reposition führte beiuns zu einem neuen Behandlungskon-zept für frische Frakturen: Auf die ineinigen Fällen zeitaufwendige primäre

Reposition mit einem Fixateur wirdverzichtet. Diese wird dann in den Fol-getagen langsam und schonend mitHilfe des Computers zur „punktgenau-en“ Stellung durchgeführt.

Unser nächster Entwicklungsschrittist der motorbetriebene Fixateur. EinPrototyp mit noch relativ großen Mo-toren ist in Abb.4 dargestellt. Mit die-sem wird die kontinuierliche Repositi-on über mehrere Tage automatisch un-ter Computerkontrolle durchzuführensein. Eine andere Anwendung könntendie minimalinvasiven Operationsver-fahren mit winkelstabilen Implantatensein, bei welchen vor Einbringen desImplantats eine exakte äußere Reposi-tion erforderlich ist.

Eine weitere Entwicklung werdendie Miniaturisierung des Systems und

Programmierung eines kleinen Compu-ters sein, welcher am Patienten das au-tomatische Messen und Steuern ermög-licht. Dieser könnte dem Patienten auchAnweisungen geben, etwa die Bela-stung zu steigern oder zu vermindern.

Wir denken, daß in der Zukunft Re-positionsroboter und intelligente Fixa-teure routinemäßige Hilfsmittel desUnfallchirurgen sein werden.

Literatur

1. Seide K, Wolter D, Kortmann HR (1997)Klinische Ergebnisse der Behandlung vonFrakturen und Fehlstellungen mit einem Soft-ware-gesteuerten Hexapod-Mechanismus imIlisarow-Ringfixateur. Hefte Unfallchirurg268:927–929

2. Wolter D, Seide K (1997) Das intelligente Im-plantat. Hefte Unfallchirurg 261:236–240

S37

Abb.2. Anordnung des Meßhe-xapodfixateurs

Distraktion

Kompression

Kra

ft F

z [N

]

2 4 8 12 16Zeit [Wochen]

80

40

0

–40

–80

Abb.3. Axiale Kraft im Fixateur bei hängen-dem Bein im Verlauf der Frakturheilung. Adap-tion des Fixateurs nach 8 Wochen durch manu-elle Verkürzung um 2 mm

Abb. 4. Prototyp des motorisierten Repositi-onshexapoden in einer Anwendung am Ober-schenkel