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1 Erika Ehrler ConFusion -New Economy-, gesehen aus den unterschiedlichen Perspektiven der betroffenen Angestellten E 515 Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes ConFusion (E 515) Das Recht zur einmaligen Aufführung dieses Stückes wird durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen Bücher und Zahlung einer Gebühr erworben. Für jede Wiederholung bzw. weitere Aufführung des Stückes muss eine vom Verlag festgesetzte Gebühr vor der Aufführung an den Deutschen Theaterverlag, Pf 20 02 63, 69 459 Weinheim/Bergstraße gezahlt werden, der dann die Aufführungsgenehmigung erteilt. Die Gebühr beträgt 10 % der Gesamteinnahmen bei einer im Verlag zu erfragenden Mindestgebühr. Diese Bestimmungen gelten auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen. Unerlaubte Aufführungen, unerlaubtes Abschreiben, Vervielfältigen oder Verleihen der Rollen müssen als Verstoß gegen das Urheberrecht verfolgt werden. Den Bühnen gegenüber als Handschrift gedruckt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, Verfilmung, Rundfunk- und Fernsehübertragung, sind vorbehalten. Das Recht zur Aufführung erteilt ausschließlich der Deutsche Theaterverlag, Postfach 20 02 63, D- 69 459 Weinheim/Bergstraße. Für die einmalige Aufführung dieses Stückes ist der Kauf von 12 Textbüchern und die Zahlung einer Gebühr vorgeschrieben. Zusätzliche Textbücher können zum Katalogpreis nachbezogen werden. Kurzinformation Wer es nicht schon selbst erlebt hat, wird davon gelesen oder von anderen erfahren haben: Mittels "feindlicher Übernahme" wird eine Firma verkauft, "reorganisiert" und nach einiger Zeit ein weiteres Mal verkauft. Auf der Strecke bleiben bei diesem oft ruinösen Prozess Firmenkultur, Arbeitsplätze, Mitarbeiter-Know-how und langfristig angelegte Unternehmensstrategien. Die menschliche Seite solcher Veränderungen zeigt dieses Stück. Es ist eine anschauliche Zusammenfassung der Schicksale und möglicher Verhaltensweisen der betroffenen Angestellten, vom Büroboten bis zum Chef. Dabei wird auch deutlich, dass der Kreislauf solcher Prozesse "Werte" im umfassendem Sinne vernichtet. Personen Otto Datterbeck Logistiker Arnold Dennler Direktor Siegfried Esslin Kundenberater Klaus Feldmann Finanzchef Regula Felice Kundenberaterin Laura Jahn Kundenberaterin Sandra Kas Kundenberaterin Marco Kosch Leiter Informatik Stania Meier Teamchefin Kundenberatung Hans Muster Banker Ernst Nater Sachbearbeiter Gaby Schulthess Lehrtochter Helga Tussel Personalverantwortliche Ort: In einer Leasing Firma Zeit: Gegenwart Darsteller: 7m 6w Spieldauer: Ca. 90 Minuten Prolog Das dies irae aus dem Requiem von Giuseppe Verdi wird recht laut gespielt. Die Bühne erscheint blutrot. Auf der Bühne sieht man eine kämpferische Pantomime mit dunklen Schattengestalten, welche die Dramatik der Musik widerspiegelt. Die Gestalten mimen eine mittelalterliche Kriegsszene mit Mord und Totschlag, ein Kampf Mann gegen Mann. Beim Ausklingen der Musik liegen die gefallenen Gestalten reglos auf der Bühne. ERSTER AKT: FUSION Erste Szene: Take over Im Sitzungszimmer. Die Ausstattung ist geprägt von Blautönen. An der Wand hängt das blaue Logo der Vergo Leasing AG. Nater tritt ins Zimmer, gefolgt von Dennler und Tussel. Nater: So, das ist mein Reich. Dennler: (zu Tussel) Kommen Sie, erobern wir den Raum. Nater: Bitte nehmen Sie Platz. (Sie setzen sich) Nater:

Transcript of Erika Ehrler ConFusion - dtver.de · PDF fileErika Ehrler ConFusion-New Economy-, gesehen aus...

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Erika Ehrler

ConFusion

-New Economy-, gesehen aus den

unterschiedlichen Perspektiven der betroffenen

Angestellten

E 515

Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes

ConFusion (E 515)

Das Recht zur einmaligen Aufführung dieses Stückes

wird durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen

Bücher und Zahlung einer Gebühr erworben. Für jede

Wiederholung bzw. weitere Aufführung des Stückes

muss eine vom Verlag festgesetzte Gebühr vor der

Aufführung an den Deutschen Theaterverlag, Pf 20 02

63, 69 459 Weinheim/Bergstraße gezahlt werden, der

dann die Aufführungsgenehmigung erteilt. Die Gebühr

beträgt 10 % der Gesamteinnahmen bei einer im Verlag

zu erfragenden Mindestgebühr.

Diese Bestimmungen gelten auch für

Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in

geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen.

Unerlaubte Aufführungen, unerlaubtes Abschreiben,

Vervielfältigen oder Verleihen der Rollen müssen als

Verstoß gegen das Urheberrecht verfolgt werden.

Den Bühnen gegenüber als Handschrift gedruckt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, Verfilmung,

Rundfunk- und Fernsehübertragung, sind vorbehalten.

Das Recht zur Aufführung erteilt ausschließlich der

Deutsche Theaterverlag,

Postfach 20 02 63, D- 69 459 Weinheim/Bergstraße.

Für die einmalige Aufführung dieses Stückes ist der Kauf

von 12 Textbüchern und die Zahlung einer Gebühr

vorgeschrieben. Zusätzliche Textbücher können zum

Katalogpreis nachbezogen werden.

Kurzinformation

Wer es nicht schon selbst erlebt hat, wird davon gelesen

oder von anderen erfahren haben: Mittels "feindlicher

Übernahme" wird eine Firma verkauft, "reorganisiert" und

nach einiger Zeit ein weiteres Mal verkauft. Auf der

Strecke bleiben bei diesem oft ruinösen Prozess

Firmenkultur, Arbeitsplätze, Mitarbeiter-Know-how und

langfristig angelegte Unternehmensstrategien.

Die menschliche Seite solcher Veränderungen zeigt

dieses Stück. Es ist eine anschauliche Zusammenfassung

der Schicksale und möglicher Verhaltensweisen der

betroffenen Angestellten, vom Büroboten bis zum Chef.

Dabei wird auch deutlich, dass der Kreislauf solcher

Prozesse "Werte" im umfassendem Sinne vernichtet.

Personen

Otto Datterbeck Logistiker

Arnold Dennler Direktor

Siegfried Esslin Kundenberater

Klaus Feldmann Finanzchef

Regula Felice Kundenberaterin

Laura Jahn Kundenberaterin

Sandra Kas Kundenberaterin

Marco Kosch Leiter Informatik

Stania Meier Teamchefin Kundenberatung

Hans Muster Banker

Ernst Nater Sachbearbeiter

Gaby Schulthess Lehrtochter

Helga Tussel Personalverantwortliche

Ort: In einer Leasing Firma

Zeit: Gegenwart

Darsteller: 7m 6w

Spieldauer: Ca. 90 Minuten

Prolog

Das dies irae aus dem Requiem von Giuseppe Verdi wird

recht laut gespielt. Die Bühne erscheint blutrot. Auf der

Bühne sieht man eine kämpferische Pantomime mit

dunklen Schattengestalten, welche die Dramatik der

Musik widerspiegelt. Die Gestalten mimen eine

mittelalterliche Kriegsszene mit Mord und Totschlag, ein

Kampf Mann gegen Mann. Beim Ausklingen der Musik

liegen die gefallenen Gestalten reglos auf der Bühne.

ERSTER AKT: FUSION

Erste Szene: Take over

Im Sitzungszimmer. Die Ausstattung ist geprägt von

Blautönen. An der Wand hängt das blaue Logo der

Vergo Leasing AG. Nater tritt ins Zimmer, gefolgt von

Dennler und Tussel.

Nater:

So, das ist mein Reich.

Dennler:

(zu Tussel)

Kommen Sie, erobern wir den Raum.

Nater:

Bitte nehmen Sie Platz.

(Sie setzen sich)

Nater:

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Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?

Dennler:

Nein.

Tussel:

Nein danke, Herr Nater.

Nater:

Ich könnte Ihnen die Räumlichkeiten meiner Firma

zeigen, wenn Sie das wünschen. Jetzt oder nachher.

Dennler:

Heute nicht.

Nater:

Wie Sie wünschen. Also dann, wie kann ich Ihnen

behilflich sein? Geht es um die Fusion?

Dennler:

Ja. Ich bin hier, um Sie über die Zukunft des Konzerns

und der Vergo Leasing AG aufzuklären.

Tussel:

Als Direktor der Vergo Leasing werden Sie als erster

darüber informiert.

Nater:

Das will ich hoffen.

Dennler:

Die Konzernleitung der fusionierten Banken GW und

Vergo wurde gebildet und besteht aus den Herren

Lanzer, Schneider, Hauri und Olbrecht.

Nater:

Hauri gehört zur Vergo, die anderen drei sind GW Leute.

Dennler:

Die fusionierte Bank erhält den Namen GW.

Nater:

Was? Das kann nicht sein. Hier fusionieren zwei gleich

starke Partner. Also müssen beide Seiten gleichmäßig

vertreten sein in der Geschäftsleitung.

Dennler:

Irrtum.

Nater:

Und der Name der neuen Bank muss eine Kombination

der beiden bisherigen Namen sein. Also Vergo GW.

Dennler:

Die neue Geschäftsleitung hat über den Namen

abgestimmt und mit drei zu eins entschieden, dass die

Bank GW heisst.

Nater:

In den Medien hieß es, die fusionierte Bank heisst Vergo

GW.

Dennler:

Glauben Sie, was die Presse berichtet?

Nater:

Wenigstens berichten die etwas. Von unserer

Geschäftsleitung haben wir seit Tagen nichts

vernommen. Die Gerüchteküche brodelt heiß.

Tussel:

Wir wissen das.

Nater:

Die Mitarbeiter sind verunsichert. Wissen nicht, wie es

weitergehen wird.

Tussel:

Deswegen sind wir hier.

Dennler:

Die Informationspolitik Ihrer Vergo hat versagt. Aber mit

der Fusion übernimmt die GW das Ruder und führt die

Bank in eine bessere Ära.

Nater:

So?

Dennler:

Es hat sich herausgestellt, dass die GW solider ist. Vor

allem sind bei uns Organisation, Struktur und

Führungsweise straffer, moderner und

überlebensfähiger. Im Interesse des Weiterbestehens der

fusionierten Firma nimmt GW die Zügel per sofort in die

Hand. Das gewährleistet den erfolgreichen

Weiterbestand der gemeinsamen Bank.

Nater:

Das ist Ihre Ansicht, dass die GW besser ist. Hinzu

kommt, dass beide Banken finanziell gleich stark sind.

Dennler:

Die GW hat nach den Fusionsverhandlungen mit der

Vergo die Kleinbank HBS akquiriert und ist dadurch der

stärkere der beiden Fusionspartner geworden.

Nater:

Davon habe ich nichts gehört oder gelesen.

Dennler:

Eben. Trauen Sie den Medien nicht.

Nater:

Ich traue der GW nicht.

Dennler:

Das sollten Sie aber. Ihr Arbeitgeber heißt jetzt GW.

Nater:

Wenn das was Sie erzählen stimmt, war euer Vorgehen

illegal.

Dennler:

Keineswegs.

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Nater:

Auf Schleichwegen seid ihr zur Spitze vorgedrängt.

Durchs Hintertürchen.

Dennler:

Behaupten Sie.

Nater:

Ein trojanisches Pferd nenne ich das.

Dennler:

Falls dem so wäre, hättet ihr das Tor für das hölzerne

Pferd weit geöffnet.

Nater:

Wozu hätte die Vergo das tun sollen?

Dennler:

Weil die Vergo eine veraltete, rückständige Firma war,

die mit ihren Geschäftsmethoden nicht mehr lange hätte

überleben können.

Nater:

Wir sind eine renommierte Bank und unser Name

genießt seit Jahrzehnten einen glänzenden Ruf.

Dennler:

Der auf den guten Leistungen vergangener Zeiten

beruhte. In den letzten Jahren stagnierte Vergo. Passiv

seid ihr geworden. In den kommenden Jahren wäre es

bergab gegangen mit euch, wenn ihr so weiter gemacht

hättet.

Nater:

Das sind Spekulationen.

Dennler:

Warum hättet ihr mit der GW fusionieren wollen, wenn

alles in Butter gewesen wäre?

Nater:

Was innerhalb der Geschäftsleitung vorgeht, weiß ich

nicht. Ich bin zu weit davon entfernt.

Dennler:

Die Vergo Geschäftsleitung scheint ihre Pläne den

Mitarbeitern nicht kommuniziert zu haben.

Nater:

Tatsache ist, dass wir von der Vergo seit Jahren Gewinne

machten.

Dennler:

Wenn der liebe Gott eine Firma bestrafen will, dann

schickt er ihr zehn Jahre lang gute Geschäfte.

Nater:

So?

Dennler:

Jahrelang habt ihr von eurem guten Ruf gelebt und euch

auf den Lorbeeren ausgeruht. Indessen waren andere

Banken innovativ und haben aufgeholt. Heute hat die

GW die Vergo überholt.

Nater:

Auf dubiose Weise.

Dennler:

Wir wagten, wir gewannen.

Nater:

Fressen oder gefressen werden.

Dennler:

So ist das Leben.

Nater:

So ist die Natur. Die Tiere...

Dennler:

Ihr seid selber Schuld an eurem Abstieg. Wer nichts

riskiert, geht ein Risiko ein.

Nater:

Wir sind der GW in die Falle gegangen.

Dennler:

Es wird Zeit, dass wir die ehemalige Vergo wieder auf

Vordermann bringen.

Tussel:

Treffend gesagt, Herr Dennler.

Nater:

Ehemalige Vergo?

Dennler:

Es gibt kein Zurück mehr.

Nater:

Sagen Sie mir eines. Was für eine Rolle spielen Sie in

diesem seltsamen Spiel? Sie haben sich bei mir

angemeldet, ohne Ihre Funktion zu nennen. Sind Sie der

vermeintliche Retter der Vergo?

(lacht)

Dennler:

Ich bin gekommen, um Sie über die Zukunft der Vergo

Leasing AG - Leasing Firma und Tochtergesellschaft der

ehemaligen Vergo - zu informieren.

Nater:

Klären Sie mich auf.

Dennler:

Die Vergo Leasing AG wird zusammengelegt mit der GW

Leasing AG, Leasing Firma und Tochtergesellschaft der

GW Bank.

Nater:

Das war zu erwarten.

Dennler:

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Die fusionierte Firma heisst GW Leasing AG,

Tochterfirma der neuen GW Bank. Sitz der GW Leasing

wird dieses Gebäude sein.

Nater:

Das darf nicht sein.

Dennler:

Doch.

Nater:

Die Vergo Leasing ist Marktleader im Leasing Geschäft.

Die GW Leasing rangiert nur auf Platz sechs. Mit dem

Verlust unseres Namens geht auch der gute Ruf verloren.

Dennler:

Die Geschäftsleitung des Konzerns hat entschieden.

Nater:

Mit drei Stimmen gegen eine?

Dennler:

Vielleicht. So genau bin ich nicht informiert.

Nater:

Als Direktor der Vergo Leasing werde ich heftig gegen

dieses Vorgehen protestieren.

Dennler:

Wo?

Nater:

Bei meinem Vorgesetzten.

Tussel:

Herr Nater, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Herr

Dennler ab sofort Ihr Vorgesetzter ist.

Nater:

(zeigt auf Dennler)

Er?

Tussel:

Herr Dennler ist der Leiter der GW Leasing AG.

Dennler:

(steht auf und schaut auf Nater herab)

Mit Stolz übernehme ich diese verantwortungsvolle

Aufgabe.

Nater:

Ich arbeite seit zwölf Jahren hier.

(Pause)

Warum wurde ich nicht darüber informiert?

Tussel:

Wir sind gerade dabei, Sie persönlich aufzuklären.

Nater:

Unglaublich.

Dennler:

Die Mitarbeiter der alten GW Leasing werden in den

nächsten Wochen hier einquartiert.

Nater:

Was wird aus mir?

Tussel:

Wir bieten Ihnen an, auch für die neue GW Leasing tätig

zu sein und zwar in der Position eines Sachbearbeiters.

Nater:

Sachbearbeiter? Ich!?

(Pause)

Wenn ich ablehne?

Tussel:

(gibt Nater einen Brief)

Hier habe ich Ihren neuen Arbeitsvertrag. Wenn Sie ihn

akzeptieren, geben Sie ihn bitte unterschrieben zurück.

Wenn nicht, sehen wir uns gezwungen, das

Arbeitsverhältnis mit Ihnen aufzulösen.

Dennler:

Frau Tussel wird den Vertrag entgegen nehmen.

Tussel:

Sie brauchen sich nicht sofort zu entscheiden. Ich

erwarte Ihre Antwort bis Ende dieser Woche.

Dennler:

Falls Sie sich entscheiden zu bleiben, wird ein geeignetes

Büro für Sie gesucht.

Nater:

Ich habe ein Büro.

Tussel:

Das übernimmt selbstverständlich der neue Direktor.

Haben Sie Fragen?

Nater:

Wir werden annektiert...

Dennler:

Keine Fragen. Die Sitzung ist beendet. Sie können

gehen.

Tussel:

(öffnet die Türe für Nater)

Auf Wiedersehen, Herr Nater.

(Nater geht)

Tussel:

(schliesst die Türe hinter Nater)

Und weg ist er.

Dennler:

Ich habe dafür gesorgt, dass er an die richtige Position

gesetzt wird. Sie werden dafür sorgen, dass er sich dort

entsprechend integriert. ...wenn er bleibt. Ist das klar?

Tussel:

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Durchaus, Herr Dennler.

Dennler:

Gut.

Tussel:

(schaut sich um)

Das ist also unser neues Sitzungszimmer.

Dennler:

Die hässliche blaue Farbe muss raus. Ich will das Rot der

GW.

(Tussel nimmt aus der Tasche ein rotes Logo der GW und

hängt es an die Wand, so dass das Vergo Logo

überdeckt wird)

Zweite Szene: Kassandra

Im Kundenberaterbüro mit vier Arbeitsplätzen. Die

Ausstattung ist geprägt von Blautönen. Ordner,

Mäppchen etc. sind blau. Sandra Kas arbeitet an ihrem

Pult.

Kosch:

(tritt ein mit zwei Bechern Kaffee)

Hallo Sandra.

Kas:

Marco, salve.

Kosch:

Zeit für eine Pause. Magst du einen Kaffee?

Kas:

(nimmt einen Becher)

Oh, danke. Das ist nett von dir.

Kosch:

Ich habe vorher deine Bürogenossen bei mir vorüber

gehen sehen.

Kas:

Sie sind in einer Sitzung.

Kosch:

Und? Was gibt es Neues aus dieser Ecke der Vergo

Leasing?

Kas:

Willst du's wirklich wissen?

Kosch:

Klar.

Kas:

Dann halt dich fest am Stuhl.

Kosch:

Bin schon dabei.

Kas:

Ich verlasse die Vergo.

Kosch:

Nein!?

Kas:

Doch.

Kosch:

Hast du die schriftliche Kündigung eingereicht?

Kas:

Noch nicht.

Kosch:

Hast du mündlich gekündigt?

Kas:

Auch noch nicht. Du bist einer der ersten, der es erfährt.

Kosch:

Bestens. Dann kann ich dich zur Besinnung bringen.

Kas:

No way.

Kosch:

Aber du hast erst vor kurzem bei uns angefangen.

Kas:

Na und?

Kosch:

Denke an all die netten Mitarbeiter, die du hier hast.

Kas:

Mit der Nettigkeit wird es bald vorbei sein, wenn die

Leute der GW Leasing einziehen.

Kosch:

Es ist lediglich eine Fusion.

Kas:

Eben. Hast du jemals eine miterlebt?

Kosch:

Nein.

Kas:

Schlimm geht es da zu.

Kosch:

Heutzutage sind Fusionen an der Tagesordnung. Das ist

etwas Normales.

Kas:

Ich habe bei meiner letzten Arbeitsstelle eine Fusion

durchgemacht. So ein Chaos will ich kein zweites Mal

erleben. Ich gehe lieber.

Kosch:

Du überreagierst.

Kas:

Bestimmt nicht.

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Kosch:

An Fusionen stirbt man nicht.

Kas:

Ich weiss, wovon ich spreche.

Kosch:

Du machst es dir leicht, einfach so davon zu laufen. Hast

zuhause einen Ehemann, der dich finanziert, wenn du

keine Lust hast, Geld zu verdienen.

Kas:

Marco, ich werde nicht auf Kosten meines Mannes

leben, sondern mir einen neuen Job suchen.

Kosch:

Nehmen wir an, du hast Recht und es wird bei uns ein

Durcheinander geben. Woher willst du wissen, dass es

an deinem künftigen Arbeitsort besser sein wird als hier?

Kas:

Arbeitnehmer-Risiko.

Kosch:

Irgendwas ist an jeder Arbeitsstelle faul.

Kas:

Allerdings.

Kosch:

Darum solltest du bei uns bleiben.

Kas:

Nein. Ich mache nie mehr eine Fusion durch.

Kosch:

Was ist, wenn dein künftiger Arbeitgeber zufällig einmal

fusionieren sollte?

Kas:

Dann suche ich mir wieder einen neuen Job.

Kosch:

Willst du ewig flüchten vor Fusionen oder sonst

irgendwelchen Problemen? Sandra, ist das eine Lösung?

Kas:

Ich weiss nicht...

Kosch:

Wie wäre es mit Loyalität? Oder Solidarität? Eine Sache

gemeinsam durchstehen und zu einem guten Ende

bringen.

Kas:

Gestern sprach man in den Zeitungen von Stellenabbau.

Kosch:

Ich habe es gelesen.

Kas:

Wart ab, bis bei uns Stellen gestrichen werden. Dann

wird jeder gegen jeden kämpfen, um seinen Job zu

retten. Dann wirst du sehen, wie weit es mit deiner

Solidarität ist.

Kosch:

Bitte.

Kas:

Du weisst nicht, was Menschen sich in solchen

Situationen gegenseitig antun können.

Kosch:

Sandra -

Kas:

Solidarität unter Bankern gibt es nicht! Die mobben sich

lieber als sich gegenseitig zu helfen.

Kosch:

Im Zeitungsartikel, den ich las, war die Rede von

Stellenabbau auf Konzern-Ebene. Die GW Leasing als

Tochterfirma wurde nicht erwähnt.

Kas:

Das will nichts heissen.

Kosch:

Solange mir keine Fakten vorliegen, zerbreche ich mir

nicht den Kopf.

Kas:

Sag, hast du Dennler jemals gesehen?

Kosch:

Einmal, aus der Distanz. Und du?

Kas:

Noch nie.

Kosch:

Es gehörte eigentlich zu seinen Aufgaben als Direktor,

sich den Mitarbeitern vorzustellen und die

Zukunftspläne für die Firma zu kommunizieren.

Kas:

Genau.

Kosch:

Was nicht ist, kann noch werden.

Kas:

Ich habe einen Bekannten, der bei der GW arbeitet. Er

kennt Dennler vom Hörensagen.

Kosch:

Echt?

Kas:

Ja.

Kosch:

Komm. Erzähl.

Kas:

Es sind Gerüchte.

7

Kosch:

Egal.

Kas:

Aber Marco, du glaubst nur an Fakten.

Kosch:

Komm schon.

Kas:

Mein Bekannter erzählte mir, Dennler sei erstaunlich

schnell aufgestiegen in der GW. Ihm seien allerdings

keine besonderen Fähigkeiten anzumerken, welche

diesen Aufstieg rechtfertigen würden.

Datterbeck:

(tritt ein mit einem Wägelchen voll roter Ordner)

Damen und Herren, ich wünsche einen schönen guten

Tag.

Kosch:

Salve Otto.

Kas:

Guten Tag, Herr Datterbeck.

Datterbeck:

Na, wie geht's, Marco.

Kosch:

Schlecht.

Datterbeck:

Möchtest du einen Schluck Klosterfrau Melissengeist?

Kosch:

Nein. Sandra will uns verlassen.

Datterbeck:

Frau Kas? Sie sind erst kürzlich zu uns gestossen.

Kas:

(gelangweilt)

Ich weiß.

Datterbeck:

Marco, strenge dich an und überzeuge Frau Kas, dass sie

bleiben soll.

Kosch:

Das tue ich seit Minuten.

Kas:

(ablenkend)

Sie sind heute früh unterwegs mit der Post.

Datterbeck:

Nein -

Kas:

Uns so viel. Ist das alles Arbeit für uns?

Datterbeck:

Aber nein -

Kas:

Oder hat Regula Büromaterial bestellt?

Datterbeck:

Heute amtiere ich als Zügelmeister.

Kosch:

Wer wechselt den Platz?

Datterbeck:

Ich zügle die Unterlagen der GW Leasing Mitarbeiter, die

hier einziehen werden.

Kosch:

Die kommen schon?!

Kas:

Unangemeldet. In mein Büro. Siehst du Marco, jetzt

wird's lustig.

Datterbeck:

Tut nicht so überrascht. Ihr habt gewusst, dass sie in

unser Haus ziehen.

Kas:

Aber so schnell...

Datterbeck:

Wo soll ich die Ordner deponieren, Frau Kas?

Kas:

Dort drüben im Regal bei den blauen Ordnern hat es

Platz.

Kosch:

Ich helfe dir.

Datterbeck:

Hilfsbereit wie immer.

(Kosch und Datterbeck stellen die roten Ordner ins

Regal)

Kas:

Wann exakt werden die Herrchen und Frauchen dieser

Ordner hier einquartiert?

Datterbeck:

Ich vermute bald.

Kosch:

Du weisst es nicht?

Datterbeck:

Auf die Stunde genau kann ich das nicht sagen.

Kosch:

Otto Datterbeck: Postbote, Zügelmann,

Gebäudetechniker und beste Informationsquelle der

Vergo ist für einmal unwissend... Kann das sein?

Datterbeck:

Dass die ersten Angestellten der GW Leasing heute im

zweiten Stock eingezogen sind, weiss ich immerhin.

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Kas:

Die Invasion hat begonnen!

Datterbeck:

Waffen trugen sie keine.

Kas:

Moderne Schlachten werden mit subtileren Mitteln

geschlagen. Psychologisch.

Datterbeck:

Denken Sie optimistisch, Frau Kas.

Kosch:

Das Regal ist voll. Wo willst du die übrigen Ordner

hinstellen?

Kas:

Stellt sie auf den Boden, oder auf einen Kasten.

Kosch:

Otto? Weisst du zufällig, was für ein Typ Herr Dennler

ist?

Datterbeck:

Unser aller neuer Chef?

Kosch:

Der.

Datterbeck:

Die GW Leute im zweiten Stock sagten, sie kennen ihn

nicht. Er hatte vorher einen Posten in der GW Bank.

Kas:

Was passierte mit dem vorherigen Boss der GW Leasing?

Datterbeck:

Offenbar wurde ihm eine verantwortungsvolle Position

im GW Konzern angeboten. Er hat angenommen und

Dennler ist in die Lücke gesprungen.

Kosch:

So ist das also...

Kas:

Aber dann fehlt Dennler als Neuling das Know-how des

Leasing-Geschäfts...

Datterbeck:

So, ich bin fertig mit dieser Ladung.

Kosch:

Du verlässt uns? Muss ich Sandra alleine überzeugen bei

uns zu bleiben?

Datterbeck:

Es warten noch einige Ladungen Ordner. Bin gleich

wieder zurück mit den nächsten. Schafft doch schon

Platz.

(geht)

Kosch:

Mehr?

Kas:

Jetzt geht's los. Zerfleischen werden sie euch. Man

sprach von einer Fusion zweier Gleichberechtigter. In

Wahrheit war es eine Übernahme. Wenn das bereits mit

Betrug anfängt, wie wird es erst weitergehen?

Kosch:

Ich glaube an ein kooperatives Zusammenleben mit den

GW Leasing Angestellten, bis ich eines anderen belehrt

werde.

Kas:

Wenn sie dich nicht vorher rausgeworfen haben.

Kosch:

Das können sie nicht. Die brauchen unsere Arbeitskraft

und unser Wissen.

Kas:

Warum haben sie unseren Direktor einfach so

entmachtet?

Kosch:

Nater hat in der Vergangenheit einige Fehler gemacht.

Kas:

Fehler macht jeder.

Kosch:

Er tut mir ja auch Leid.

Kas:

Wenn sie unseren Chef fertig machen, warum sollten sie

es früher oder später nicht auch mit uns tun?

Kosch:

Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht

wird. Uns mag eine turbulente Phase bevorstehen. Aber

das legt sich wieder.

Kas:

Ich sage dir, die GW hat eine völlig andere Kultur als wir.

Bei denen zählt schnelles Geld und schneller Aufstieg.

Die sind zielstrebig und aggressiv.

Kosch:

Ein bisschen mehr Pfiff würde der Vergo nicht schaden.

Kas:

Schau dir mal an, wie viele Firmen die GW in den letzten

Jahren aufgekauft hat. Die fressen und fressen. Die

verschlingen so viel, dass sie es gar nicht verdauen

können. Und was sie nicht verdauen, werden sie bald

wieder rausspucken. Weil es ihnen auf dem Magen liegt.

Sie werden die Vergo Leasing herunter wirtschaften und

anschliessend verschachern.

Kosch:

9

Frau Kas Sandra, was ist in dich gefahren? Du

prophezeist Negatives. Das missfällt mir.

Kas:

Wetten, dass ich im Endeffekt Recht haben werde?

Kosch:

Wetten, dass die Schwarzseherin Kas Unrecht haben

wird?

Kas:

Ich werde Recht haben.

Kosch:

Du bist eine Besserwisserin.

Kas:

Fusion heisst Krieg.

Kosch:

Und wenn es so wäre, auch der geht vorbei.

Kas:

Ein Krieg ist schneller angefangen als beendet.

Dritte Szene: Invasion

Im Kundenberaterbüro. Die Hälfte des Büromaterials ist

rot. Die Mitarbeiter der GW sind modern, elegant und

keck gekleidet. Rottöne stechen hervor. Die Mitarbeiter

der Vergo kleiden sich ebenfalls gepflegt, hinken aber

stilmässig einige Jahre hinten nach. Sie sehen bieder aus

mit beamtenmäßigen Blautönen.

Feldmann:

(sitzt am Pult von Meier mit einem Stapel roter Ordner.

Er blättert in einem Ordner)

Wo sind denn die bloß?

(Von einem Regal holt er einen weiteren roten Ordner,

den er durchblättert)

Dennler:

(tritt ein)

Wo ist Frau Meier?

Feldmann:

Guten Tag, Herr Dennler. Sie arbeitet in ihrem alten Büro

im GW Komplex.

Dennler:

Ich will sie sprechen.

Feldmann:

Die meisten ihrer Arbeitsunterlagen sind noch dort. Ab

vier Uhr sollte sie hier sein.

Dennler:

Sind Sie ihr Stellvertreter?

Feldmann:

Nein, mit der Kundenberatung habe ich nichts zu tun.

Aber meine Ordner wurden hierher geliefert, anstatt in

mein Büro, welches drei -

Dennler:

Wo sind die anderen Kundenberater?

Feldmann:

Keine Ahnung. Wahrscheinlich im Pausenraum.

Dennler:

Pause! Wen wundert es, dass die Vergo stagnierte, wenn

die Mitarbeiter ihre Zeit mit Rauchen und Kaffee trinken

verbringen.

Feldmann:

Möglicherweise -

Dennler:

Die machen wohl am liebsten blau.

Feldmann:

Nun ja, die Farbe passt zu ihnen.

Dennler:

Wie kommen Sie voran?

Feldmann:

Wir halten den Zeitplan einigermassen ein.

Dennler:

Und die von der Vergo, spuren sie?

Feldmann:

Schwer zu sagen, in diesem frühen Stadium. Herr Kosch

zeigt sich jedenfalls kooperativ. Als alteingesessener

Mitarbeiter ist er eine wertvolle Informationsquelle.

Dennler:

Eignen Sie sich sein Wissen innerhalb der nächsten zwei

Monate an.

Feldmann:

Ich werde mein Bestes versuchen. Aber Herr Kosch ist für

die Informatik verantwortlich und ich für die Finanzen.

Da gibt -

Dennler:

Kein Aber. Das war ein Auftrag an Sie, Feldmann.

Feldmann:

Jawohl. Ich möchte trotzdem zu Bedenken geben, dass -

Kosch:

(tritt ein)

Du Klaus, ich habe eine Idee. Oh, guten Tag Herr

Dennler. Störe ich?

Dennler:

Kommen Sie.

(Peinliche Pause)

Feldmann:

Um was geht's?

Kosch:

10

Ich habe eine Lösung, wie wir die Finanzdaten auf unser

Computersystem migrieren könnten mit akzeptablen

Kosten und mässigem Zeitaufwand.

Dennler:

Was für Kosten?

Feldmann:

Die neue Firma übernimmt bekanntlich das Computer

System der Vergo. Nun müssen erst alle Daten des GW

Systems auf das der Vergo migriert werden. Das Problem

ist aber, dass die beiden Systeme nur bedingt

kompatibel sind.

Dennler:

Ja und?

Kosch:

Das bedeutet, dass die Datenmigration viel Zeit und

Arbeit in Anspruch nimmt, plus beträchtliche Kosten

verursacht.

Dennler:

Hohe Kosten für solche Nebensächlichkeiten toleriere ich

nicht. Ich verlange eine schnelle und preiswerte Lösung.

Feldmann:

Herr Kosch versucht bereits, das Problem auf geschickte

Weise zu lösen.

Kosch:

Ich bin optimistisch, wir kommen dem Ziel näher.

Dennler:

Bald ist mir zu langsam.

(zu Feldmann)

Sagen Sie Frau Meier, sie soll sich bei mir melden.

(geht)

Feldmann:

Jawohl, Herr Dennler.

Kosch:

Auf Wiedersehen, Herr Dennler. Er stellt sich die

Prozedur offenbar einfach vor.

Feldmann:

Er kennt unsere Systeme überhaupt nicht.

Kosch:

Du Klaus, mir ist vorher eine weitere Idee gekommen,

wie wir das Problem mit den Großkunden lösen

könnten. Darf ich dir das aufzeigen?

Feldmann:

Gerne. Aber ich muss gleich weg. Hast du morgen Zeit?

Kosch:

Klar, wenn dir das besser passt.

Feldmann:

Morgen wolltest du mir das Verrechnungssystem

erklären. Nehmen wir beides zusammen?

Kosch:

Sicher. Es wäre sinnvoll, den Ablauf des

Monatsabschlusses auch gleich durchzugehen.

(Schulthess tritt ein, geht zum Arbeitsplatz von Felice)

Feldmann:

Das liegt zeitlich kaum drin. Mein Terminkalender ist

zugenagelt. Tschüs.

(geht)

Kosch:

Bis später.

Schulthess:

Salve.

Kosch:

Gaby, sei gegrüßt.

Schulthess:

Wo ist die graue Eminenz?

Kosch:

Keine Ahnung.

Schulthess:

Ich brauche Madame Felice dringend.

(Das Telefon am Arbeitsplatz von Esslin klingelt)

Kosch:

Schau dich doch um im Haus. Irgendwo wirst du sie

finden.

Schulthess:

Wenn man sie einmal braucht...

Kosch:

(zum Telefon)

Auch das noch...

Schulthess:

Ein externer Anruf.

Kosch:

(nimmt ab)

Vergo Leasing Kundenberatung, guten Tag.

(Pause)

Nein, Herr Esslin ist momentan nicht an seinem

Arbeitsplatz.

(Pause)

Das würde ich Ihnen empfehlen.

(Pause)

Auf Wiederhören.

(hängt auf)

Schulthess:

Liebe Kunden, unser Laden ist am fusionieren und wir

11

haben deshalb keine Zeit für euch. Ruft uns doch in

einigen Wochen wieder an.

Kosch:

So jung und schon sarkastisch...?

Schulthess:

Die Lebenserfahrung bringt das mit sich.

Kosch:

Aha.

Schulthess:

Wo ist Sigi Esslin? Arbeitet er noch bei uns?

Kosch:

Vorher habe ich ihn gesehen.

Schulthess:

Dann ist er noch da. Bei ihm weiss man nie, er ist so

unscheinbar.

Kosch:

Vielleicht versteckt er sich unter seinem Tisch.

Schulthess:

(begutachtet Esslins Arbeitsplatz)

Mal sehen. Alles ist da - schön geordnet - nur der

stumme Sigi nicht.

(geht zu Meiers Arbeitsplatz)

Ist hier ein Roter eingezogen?

Kosch:

Eine Mitarbeiterin der GW.

Schulthess:

Der Platz sieht schlampig aus. Was macht die hier?

Kosch:

Frau Meier leitet die Kundenberatung.

Schulthess:

Und die graue Eminenz?

Kosch:

Regula sitzt immer noch da.

Schulthess:

Aber Regula ist die Teamleiterin.

Kosch:

Nicht mehr.

Schulthess:

Das ist gemein. Ich habe vorher mit zwei Leuten vom

dritten Stock gesprochen. Die sagten, bei ihnen seien

auch einige Chefs von den Roten entmachtet worden.

Sie wollen sich dagegen wehren und für ihre Jobs

kämpfen.

Kosch:

Wie denn?

Schulthess:

Die von der GW sabotieren oder so.

Kosch:

Das ist unvernünftig. Wir sind jetzt eine Firma und

müssen zusammen arbeiten.

Schulthess:

Remo, die Roten sind ätzend. Ich habe seltsame

Geschichten über sie gehört.

Kosch:

Dumme Gerüchte sind das, und Lehrlinge wie du sollten

die ignorieren. Ich muss schleunigst an die Arbeit, und

du gehörst an deinen Arbeitsplatz. Los.

Schulthess:

Heute ist der letzte Arbeitstag von Marisa. Wir gehen um

fünf in die Bar nebenan zu einem Drink. Kommst du

mit?

Kosch:

Danke, ich werde heute länger arbeiten.

Schulthess:

Aber Marisa lädt dich ein.

Kosch:

Die Fusion bringt viel zusätzliche Arbeit mit sich. Zudem

muss ich für morgen eine Schulung für einige GW Leute

vorbereiten.

Schulthess:

Du bist viel zu nett mit denen. Die nützen dich doch aus.

Kosch:

Die Arbeit macht mir Spass. Ich bin mit anspruchsvollen

Informatik-Problemen beschäftigt wie noch nie. Das

fordert mich.

Schulthess:

Ich würde für diese Firma keine Überstunden machen.

Partys sind besser.

(Sie verlassen das Büro)

ZWEITER AKT: INTEGRATION

Erste Szene: Rien ne va plus

Im Kundenberaterbüro. Esslin ist während der Szene

mehrheitlich am Telefon. Er spricht leise. Meier sitzt an

ihrem Arbeitsplatz und überlegt.

Felice:

(ihr Telefon klingelt)

GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.

(Pause)

Geben Sie mir bitte Ihre Kundennummer.

(tippt am Computer)

Sieben fünf drei neun drei. Sie haben eine dritte

Mahnung erhalten, sehe ich hier.

12

(Pause)

Ich nehme das zur Kenntnis.

(Pause)

Beruhigen Sie sich, Herr Brunner.

(Pause)

Ich kann im Moment nicht beurteilen, was los ist. Aber

ich werde dem Fall nachgehen und Sie umgehend

darüber informieren. Darf ich Ihre Telefonnummer

haben?

(schreibt)

Herr Brunner, so bald wie möglich werde ich Sie

kontaktieren.

(Pause)

Ich Ihnen auch.

(hängt auf, nimmt ein Blatt vom Drucker und legt es auf

einen Stapel Papier, den sie hochhebt)

Schau Sigi, ich habe so viele Kundenbeschwerden. Wie

gross ist dein Stapel? Ah, er ist am Telefon... Frau Meier,

das war ein Fall für Sie.

Meier:

Bitte?

Felice:

Dieser Kunde will zur Konkurrenz wechseln, wenn nicht

eine leitende Person sich bei ihm persönlich entschuldigt

für die unrechtmäßige dritte Mahnung mit der

Beitreibungsandrohung, die er heute von uns erhielt.

(legt das Blatt auf Meiers Pult)

Meier:

Offensichtlich handelt es sich um einen Fehler im

Computersystem der ex-Vergo. Ich werde veranlassen,

dass die verantwortlichen ex-Vergo Mitarbeiter erstens

den Fehler beheben und zweitens sich bei den Kunden

für das Malheur entschuldigen werden.

(streckt Felice das Blatt hin)

Nehmen Sie das zurück.

Felice:

Geben Sie mir einen Beweis, dass wir von der Vergo

einen Fehler machten.

Meier:

Warten Sie ab.

Felice:

Ich warte ...

(Pause)

Esslin:

Du, Regula?

Felice:

Was ist?

Esslin:

Mir fällt auf, dass sich vor allem Kunden der ex-GW

beschweren. Ist das bei dir auch so?

Felice:

Das müsste ich untersuchen.

Esslin:

Prüf doch mal die Kundennummern.

Felice:

OK.

(blättert ihren Stapel durch)

Meier:

(nimmt ihr klingelndes Telefon ab)

GW Leasing Kundenberatung, Stania Meier, guten Tag.

(Pause)

Nein, dafür bin ich leider nicht zuständig. Ich verbinde

Sie weiter. Einen Augenblick. Herr Esslin! Nehmen Sie

den Anruf.

Felice:

(ihr Telefon klingelt)

GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.

(Pause)

Darf ich Ihre Kundennummer haben?

(tippt am Computer)

Ja.

(Pause)

Wenn Sie glauben, die Mahnung sei ungerechtfertigt,

dann geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich werde der

Sache nachgehen und Sie zurück rufen.

(Pause)

Aber sicher, Frau Fehr.

(Pause)

Einen schönen Tag.

(hängt auf, nimmt ein Blatt vom Drucker und legt es auf

den Stapel. Blättert weiter im Stapel)

Ex-GW Kunde... ex-GW... ex-GW... ex-GW... ex-GW

Kunde. Sigi, du hast recht. Alle meine Anrufe stammen

von Kunden, die vor der Fusion bei der alten GW waren.

Frau Meier, was sagen Sie zu unserer Feststellung?

Meier:

Das ist interessant.

Felice:

Nicht wahr?

Meier:

Gehen Sie der Sache genauer nach. Vielleicht finden wir

so die Ursache des Problems.

13

Felice:

(ihr Telefon klingelt)

Wie soll ich dem nachgehen, wenn ich ständig am

Telefon bin?

(nimmt ab)

Esslin:

Frau Meier?

Meier:

Ja?

Esslin:

Der Kunde am Telefon fragt, ob er seinen Vertrag

frühzeitig auflösen kann mit zwei Monaten

Kündigungsfrist.

Meier:

Warum fragen Sie das mich? Sie kennen hoffentlich

Ihren Job, oder nicht?

Esslin:

Ja, aber letzthin sagten Sie, dass Sie die

Kündigungsfristen ändern.

Meier:

Sagen Sie dem Anrufer, er soll uns in zwei Wochen

nochmals kontaktieren. Wir haben jetzt keine Zeit dafür.

Esslin:

OK.

(Esslin und Meier sprechen am Telefon. Nach einer Weile

verlieren sie gleichzeitig ihre Anrufer)

Felice:

Hallo, Herr Föhn... sind Sie noch da? Weg.

Esslin:

Ist deine Leitung auch tot?

Felice:

Mausetot. Und Ihre, Frau Meier?

Meier:

(prüft)

Kein Summton.

Felice:

Großartig.

Meier:

In unserem ehemaligen Gebäude ist niemals eine solche

Panne vorgekommen.

Felice:

Bei uns auch nicht, bevor ihr eingezogen seid.

Meier:

Überhaupt, die Telefonanlage der alten GW war viel

moderner und besser.

Felice:

Mich wundert, warum ihr in unsere Räumlichkeiten

eingezogen seid, wenn es bei euch so großartig war.

Meier:

Ich wäre gerne dort geblieben!

Felice:

Wir wollten diese Fusion nicht.

Meier:

Die Mitarbeiter der GW Leasing ebensowenig.

Esslin:

Nutzen wir die Ruhe, um nach der Ursache des

Mahnproblems zu suchen.

Felice:

Bezeichnenderweise kamen die Anrufe, wie bereits

erwähnt, ausschliesslich von ex-GW Kunden, was

eindeutig darauf hindeutet, dass die Ursache bei Ihrer

Firma zu suchen ist, liebe Frau Meier. Wo versagte Ihre

Firma?

Meier:

Das ist eine Unterstellung. Ich bin mir keines Fehlers

unserer Seite bewusst.

Felice:

Echt? Wie war das mit der Entlassung von fünf Vergo

Annalisten, die ihr nach einem Monat wieder zurück

haben wolltet, erfolglos natürlich, weil keiner der GW

diese wichtige Funktion ausüben konnte? War das kein

Fehler?

Meier:

Was sagen Sie zum Buchhalter der ex-Vergo, der noch

vor der Fusion wegen Veruntreuung von Geldern

entlassen wurde?

Felice:

Warum sind Sie Leiterin der Kundenberatung geworden,

obwohl Ihre Fach- und Sozialkompetenzen bekanntlich

weit unter dem Durchschnitt liegen?

Meier:

Bekanntlich?

Felice:

Sie sind unfähig, vernünftig mit Menschen umzugehen.

Nicht wahr, Sigi?

Esslin:

Sorry, ich habe nicht zugehört.

Feldmann:

(tritt ein)

Sind bei euch die Telefone auch ausgestiegen?

Meier:

Ja, alle drei.

14

Felice:

Was ist los?

Feldmann:

Ich habe einen Techniker gesehen. Sie werden am

Basteln sein.

Felice:

Auch das noch.

Meier:

Hast du den Grund für unser Mahnproblem gefunden?

Feldmann:

Mir ist schleierhaft, was falsch sein sollte. Kriegt ihr

immer noch Anrufe deswegen?

Meier:

Massenhaft.

Felice:

(streckt ihren Stapel hoch)

Hier!

Feldmann:

So viele?!

Felice:

Können Sie mir verraten, warum wir Telefonate

entgegen nehmen müssen, die eindeutig in die

Buchhaltung gehören. Wir versinken in den eigenen

Problemen.

Feldmann:

Entschuldigung Frau Felice, das war so vereinbart.

Felice:

Davon weiss ich nichts.

Feldmann:

Stania wollte die Telefonnummer der Kundenberatung

auf den Mahnungen als Kontaktstelle aufgedruckt

haben.

Meier:

So ist es.

Felice:

Schön, dass wir das auch erfahren. Obwohl, ich kann es

nicht nachvollziehen.

Meier:

Die Entscheidungen in diesem Büro treffe ich.

Felice:

Herr Feldmann, alle Anrufe die wir erhielten bezüglich

ungerechtfertigter Mahnungen betreffen Kunden der ex-

GW. Wie erklären Sie sich das?

Feldmann:

Seltsam.

Felice:

Benutzt ihr falsche Kontonummern, oder haben die ex-

GW Kunden seltsame Zahlungsrituale?

Feldmann:

Es könnte mit der Umstellung auf das neue System zu

tun haben.

Meier:

Das habe ich mir die ganze Zeit gedacht. Das ex-Vergo

System ist einfach unzulänglich.

Felice:

Nun sollen wir wieder schuld sein. Warum habt ihr unser

System übernommen, wenn eures so viel besser war?

Feldmann:

Wann haben wir hier angefangen?

Meier:

Vor drei Monaten.

Feldmann:

Seither haben wir nie Mahnungen verschickt, wegen der

vielen Probleme. Die einen Kunden zahlen prinzipiell

erst, wenn sie gemahnt werden. Wenn man drei Monate

nicht mahnt, ergeben sich natürlicherweise mehr

Mahnungen als üblich.

Felice:

Ich hatte Leute am Telefon, die behaupteten, sie

erhielten eine dritte Mahnung, obwohl sie längst bezahlt

haben.

Meier:

Wenn sie drei Monate nicht zahlen, ergibt das

automatisch eine dritte Mahnung.

Felice:

Aber sie zahlten.

Meier:

Das kann jeder behaupten.

Feldmann:

Ich werde die Sache weiter untersuchen.

(geht)

Meier:

Sie werden die Kunden zurück rufen und ihnen sagen,

die Mahnungen seien gerechtfertigt, sie sollen ihre

ausstehenden Leasingraten bezahlen.

Felice:

Das können Sie nicht tun. Die Kunden werden grün und

blau vor Wut.

Meier:

Wir werden es tun.

Felice:

Sie übernehmen die volle Verantwortung für die

15

Konsequenzen.

Meier:

Ich berufe mich auf die Aussagen von Klaus Feldmann.

Er ist Finanzchef in diesem Haus, nicht Sie.

Felice:

Der Himmel möge uns beistehen...

Meier:

An die Arbeit. Machen Sie die Rückrufe.

Esslin:

Die Telefone funktionieren nicht.

Felice:

Überhaupt, was sollen wir sagen?

Meier:

Eben, was Herr Feldmann vorhin erwähnte -

Kosch:

(tritt ein)

Eminenz, ich hab's!

Felice:

Was denn?

Kosch:

Die Ursache für die dubiosen Mahnungen.

Felice:

Echt?

Kosch:

Die ist so verflixt, dass nicht einmal du darauf

gekommen wärst.

Felice:

Erzähl schon.

Kosch:

Sieh dir mal am PC die offenen Raten irgendeines

Kunden an.

Felice:

Nehmen wir den... Maurer.

Kosch:

Hier in dieser Kolonne stehen die Mahncodes.

Felice:

Eins steht für erste Mahnung, zwei für zweite Mahnung,

drei für dritte Mahnung.

Kosch:

Genau. So funktioniert unser Vergo System. De alte GW

hingegen hatte in ihrem Computersystem eine Kolonne

mit Regionencodes, was wir nicht haben. Stimmt's, Frau

Meier?

Meier:

Ja, das Land war in acht Regionen aufgeteilt.

Kosch:

Jeder Kunde hatte also einen Code, der seine

Wohnregion definierte. Beispielsweise eins für den

Norden, zwei für den Nordwesten und so weiter. Als

nun die Daten des ex-GW Systems auf unser System

transferiert wurden, passierte ein Fehler.

Felice:

Die Codes wurden vermischt?

Kosch:

Richtig.

Felice:

Die acht Landesregionen der ex-GW gerieten

dummerweise in unsere Kolonne für Mahncodes.

Kosch:

So ist es. Alle Kunden aus der Region Nord mit Code eins

haben eine erste Mahnung erhalten.

Meier:

Und die mit Region zwei, Nordwest eine zweite?

Kosch:

Natürlich.

Meier:

Oh mein Gott, was für ein Desaster!

Felice:

Was passierte mit Code fünf?

Kosch:

Unser System versteht nur die Mahncodes eins bis drei.

Mit den Regionen vier bis acht kann es nichts anfangen.

Das System ignoriert diese Zahlen und die

entsprechenden Kunden erhalten keine Mahnung.

Felice:

Selbst wenn sie ihre Leasingraten nicht bezahlen.

Kosch:

Genau.

Felice:

Kunden, die ihre Rechnungen bezahlen, erhalten eine

Mahnung und andere, die nicht zahlen, erhalten keine.

Kosch:

Oder eine falsche.

Meier:

Wie?

Kosch:

Wer zum Beispiel in Region drei wohnt und eine erste

Mahnung verdient, erhält eine dritte.

Felice:

Das wird ein Chaos.

Kosch:

Das ist ein Chaos.

16

Meier:

Schuld daran ist das EDV-System der ex-Vergo!

Kosch:

Stopp, Frau Meier. Sie sind zu voreilig mit Ihrem Urteil.

Den Urheber des Fehlers gilt es dingfest zu machen.

Meier:

Aber es ist kristallklar.

Felice:

Ihr von der GW habt euch entschieden, unsere EDV

Anlage zu benutzen. Folglich handelt es sich um eine

Fehlentscheidung von euch.

Meier:

Aber ihr habt den Datentransfer durchgeführt und zwar

fehlerhaft.

Felice:

Euch konnte die Prozedur nicht schnell genug gehen. Ihr

habt externe Berater hinzu gezogen, die anscheinend

falsche Schritte eingeleitet haben, weil sie die Systeme

zuwenig kannten.

Meier:

Wenn ihr die Anweisungen der Experten missachtet -

Felice:

Wenn ihr die Resultate nicht auf Fehler hin durchtestet -

Kosch:

Bitte hört auf! Ihr verschwendet wertvolle Zeit, wenn ihr

euch gegenseitig die Schuld zuschiebt. Wir müssen

gemeinsam vorwärts denken und die Folgen des Fehlers

ausbaden.

Meier:

Die Verursacher sollten den Fehler beheben.

Kosch:

Wir sind seit einigen Monaten EINE Familie.

Esslin:

Man zankt sich jedenfalls wie in einer richtigen Familie...

Felice:

Was schlägst du vor, Remo?

Kosch:

Wir werden die Daten aller Kunden auf ihre Richtigkeit

hin überprüfen.

Felice:

Wir haben mehrere tausend Kunden.

Kosch:

Jene, die mit einer falschen Information beliefert

wurden, müssen wir kontaktieren und uns bei ihnen

entschuldigen.

Felice:

Das werden hunderte sein.

Kosch:

Zusätzlich sollten wir -

Felice:

(ihr Telefon klingelt)

Es funktioniert wieder. Was soll ich den Kunden sagen?

Kosch:

Die Wahrheit.

Felice:

(nimmt ab)

GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.

(spricht leise weiter)

Meier:

(ihr Telefon klingelt)

Herr Esslin.

Esslin:

Ja.

Meier:

Nehmen Sie den Anruf.

Esslin:

Sofort.

(nimmt ab)

GW Leasing Kundenberatung, Siegfried Esslin, guten

Tag.

(spricht leise weiter)

(Kosch geht)

Meier:

(Ihr Telefon klingelt, zögert, nimmt ab)

GW Leasing Kundenberatung, Stania Meier, guten Tag.

(spricht leise weiter)

Zweite Szene: Handschellen

Im Büro von Nater. Es ist blau dekoriert. Nater ist alleine

und spricht am Handy. Er macht einen gebrochenen,

ratlosen Eindruck.

Nater:

(ins Handy)

Ich bin trotzdem dafür, dass wir am Sonntag in die

Berge fahren, auch wenn unser Junior nicht mitkommen

will.

(Pause)

Was meint die Wettervorhersage?

Felice:

(klopft, tritt ein)

Salve, Ernst.

(sieht ihn am Handy)

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Entschuldigung; ich komme später nochmals.

Nater:

(winkt ihr zu bleiben)

Du, ich habe Besuch. Sprechen wir heute Abend

darüber.

(Pause)

So gegen sechs Uhr sollte ich zu Hause sein.

(Pause)

Bis später.

Felice:

Hast du Zeit für mich.

Nater:

Jede Menge. Salve, Regula.

Felice:

(begutachtet Naters Handy)

Seit wann hast du ein Handy?

Nater:

Ich habe es vor einer Weile gekauft.

Felice:

Unglaublich. Du warst einer der erbittertsten Handy-

Gegner in meinem Umfeld.

Nater:

Die Zeiten ändern sich. Ich habe Angst, mein Telefon

wird abgehört.

Felice:

Glaubst du, die Roten tun das?

Nater:

Man kann nie wissen. Big brother is watching you.

Felice:

Du hast Recht.

Nater:

Dass du dich in mein Büro wagst, könnte dir negativ

angekreidet werden.

Felice:

Du logierst derart abgelegen, dass es niemand bemerkt.

Hinter dem WC, neben der Putzkammer. Wer verirrt sich

hierher...?

Nater:

Stimmt.

Felice:

Recht primitiv eingerichtet hier. Doch das Blau wirkt

beruhigend.

Nater:

Wie in den guten alten Zeiten.

Felice:

Ja. Was machst du den lieben langen Tag hier?

Nater:

Wenig. Ab und zu darf ich potentielle Neukunden

evaluieren, auf Zahlungsfähigkeit hin und so.

Felice:

Ist das alles?

Nater:

(lächelt, nimmt ein Computerspiel aus der Schublade

hervor)

Schau, das habe ich von meinem Sohn ausgeliehen.

Felice:

Unser ex-Boss schlägt seine Zeit mit Computerspielen

tot.

Nater:

Dafür hatte ich früher keine Zeit.

Felice:

Kommst du bereits in die zweite Kindheit?

Nater:

He du! Zum Gamen braucht man Köpfchen.

Felice:

Ist das ein Leben?

Nater:

Meine Frau freut sich, wenn ich abends früh nach Hause

komme und mehr Zeit für die Familie habe.

Felice:

Und du? Bist du glücklich?

Nater:

Warum besuchst du mich? Kann ich dir irgendwie

helfen?

Felice:

Hast du vorhin das Krankenauto gehört?

Nater:

Klar.

Felice:

Hans-Peter wurde ins Spital gefahren.

Nater:

Unser Hans-Peter?

Felice:

Ja.

Nater:

Wieso?

Felice:

Ich vermute, er hielt den Nervenstress im Büro nicht

mehr aus. Jedenfalls drehte er durch und erlitt einen

Nervenzusammenbruch.

Nater:

Mit dreiundvierzig.

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Felice:

Zum ersten Mal in seinem Leben.

Nater:

Nein.

Felice:

Ich sagte mir, so kann es nicht weitergehen in dieser

Firma.

Nater:

Tja.

Felice:

Die Angestellten sind frustriert. Wir arbeiten mehr als

früher, um alle Änderungen und Neuheiten einzuführen.

Trotzdem sind die Resultate schlechter als vorher.

Nater:

Umstellungen brauchen Zeit, bis sie greifen.

Felice:

Es ist ätzend zu sehen, was für kapitale Fehler immer

wieder gemacht werden. Die Sache mit den Mahnungen

hast du wohl mitgekriegt. Als man den Fehler verbessern

wollte, stürzte das System ab, und wertvolle Daten

gingen verloren. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

Nater:

Pannen sind nicht zu vermeiden bei Fusionen dieser

Größenordnung.

Felice:

Es geht drunter und drüber. Ernst, werde aktiv. Wir

brauchen deine Hilfe.

Nater:

Ich kann nicht.

Felice:

Die Kunden laufen uns davon. Findest du das gut? Nur

weil du degradiert wurdest, brauchst du nicht untätig zu

sein.

Nater:

Mir sind die Hände gebunden.

Felice:

Die Roten sind drauf und dran, uns zu zerstören.

Nater:

Ich weiss.

Felice:

Ich sehe rot, äh schwarz für die GW Leasing.

Nater:

Wir sind in einer schwierigen Phase.

Felice:

Eben darum will ich, dass du den Kampf aufnimmst

gegen Dennler. Was immer er anfängt, es kommt falsch

heraus. Man sagt, er habe seinen Job erhalten, weil er in

der obersten Etage des Konzerns einen Förderer hat.

Seine jetzige Position war sozusagen ein Geschenk.

Nater:

Pass auf, was du sagst. Über solche Themen würde ich in

dieser Firma schweigen.

Felice:

Es soll Beweise dafür geben.

Nater:

Na und? Wer die Wahrheit sagt, macht sich unbeliebt.

Felice:

Ist das so?

Nater:

Leider. Und lebt gefährlich.

Felice:

Deshalb sollte man erst recht für Wahrheit und

Gerechtigkeit kämpfen.

Nater:

Solange Dennler von oben gestützt wird, sitzt er fest im

Sattel.

Felice:

(geht nervös hin und her im Büro. Entdeckt in Naters

Postablage die Mitarbeiterzeitschrift, nimmt sie in die

Hand, streckt sie Nater hin)

Deine Post von gestern.

Nater:

Das Mitarbeiter-Magazin.

Felice:

Die neue "Sunrise" ist an die Mitarbeiter verteilt worden.

Nater:

Ich nenne das Blatt "Mondfinsternis".

Felice:

Mit grossem Interesse habe ich "Sunrise" gestern

gelesen. Ich war gierig darauf heraus zu finden, was die

Propaganda-Profis vom Konzern uns Schönes

indoktrinieren wollen. Du nicht?

Nater:

Ich habe die erste Ausgabe gelesen und werde mir das

nicht wieder zu Gemüte führen.

Felice:

Aber "Sunrise" ist voll von Erfolgsgeschichten und

Hochglanzfotos.

Nater:

Gib her.

(nimmt ihr die Zeitschrift aus der Hand)

Felice:

19

Nein!

Nater:

(wirft die Zeitschrift in den Abfall)

So.

Felice:

(holt die Zeitschrift aus dem Abfall)

Lass dir von den Kommunikationsprofis erzählen, wie

wunderbar es in der GW ist.

(blättert in der Zeitschrift)

Nater:

Ich mag es nicht hören.

Felice:

Hier. Eine Geschichte aus der Provinz mit Happy End! Im

idyllischen Städtchen Au -

Nater:

Das tut weh -

Felice:

...wurde die Geschäftsstelle der ex-Vergo Bank

aufgehoben und die Mitarbeiter durften ins Gebäude

der ex-GW-Geschäftsstelle umziehen, wo sie von ihren

neuen GW Arbeitskollegen mit großer Freude

empfangen wurden.

Nater:

Schreiben die auch, wie viele Angestellte nicht zur GW

umziehen durften, weil sie entlassen wurden?

Felice:

Nein. Solche Details interessieren eh niemanden.

Jedenfalls sind die lieben Leute in ihren gemeinsamen

Büros heute glücklicher als jemals zuvor.

Nater:

Jeder Mitarbeiter unseres Konzerns hat an seiner

eigenen Haut miterlebt, dass die Realität völlig anders

ist.

Felice:

Halten die Propaganda-Heinis uns für blinde Idioten?

Nater:

Vielleicht sind sie einfach zynisch.

Felice:

(blättert im Magazin)

... All die lächelnden, motivierten Mitarbeiter. Wo sie

wohl arbeiten? Die bei uns sehen jedenfalls

niedergeschlagener aus.

Nater:

Man versucht uns zu manipulieren mit diesem Blättchen.

Felice:

Hier ist er! Mein Liebling dieser Ausgabe.

Nater:

Wer?

Felice:

Der Mitarbeiter des Monats: HANS MUSTER.

(Muster betritt unauffällig das Büro)

Nater:

Nie gehört.

Felice:

Der Traum eines jeden Generaldirektors. Hans Muster ist

jung, engagiert, ehrgeizig und dynamisch. Er ist

überglücklich, weil er für GW arbeiten darf. Für seine

Firma gibt er alles. Sein Lächeln, Ernst... weisser als

weiss.

Nater:

Durchsichtig?

Felice:

Schau dir den Prachtskerl an.

(streckt Nater des Magazin vors Gesicht)

Was für eine Figur. Hansi hat bestimmt einen knackigen

Hintern...

Nater:

Wenn der mir mal über den Weg liefe -

Felice:

... würde ich ihm in den Arsch kneifen...

Nater:

... würde ich ihn fragen, ob er ernsthaft glaubt, was er

sagt.

Muster:

(tritt zu den beiden hin. Strahlend, energiegeladen,

euphorisch, elegant)

Selbstverständlich glaube ich, was ich sage. Ich lebe es.

Jeden Tag aufs Neue; voller Motivation. Meine Firma

braucht Angestellte wie mich.

Felice:

(umkreist Muster)

Hans Muster...?

Muster:

Wahrlich, wahrlich, ich bin es.

(Felice kneift ihm in den Hintern)

Muster:

Aua!

Felice:

Er ist echt!

Muster:

Meine Firma ist gut. Sie ist ein großartiger Arbeitgeber,

der mir vielfältige Entwicklungs- und Aufstiegschancen

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bietet. Ich liebe meine Firma.

Felice:

(klopft an seine Brust)

Sie sind ein strammes Mannsbild.

Muster:

Ich trainiere meinen Körper eine Stunde pro Tag. Ich bin

es meinen Kunden und Mitarbeitern schuldig, dass ich

gut aussehe. Ich liebe meinen Job. Ich liebe meine Firma.

Felice:

Aber Herr Muster, es gibt viele Probleme in Ihrer

geliebten Firma.

Muster:

Es gibt keine Probleme. Es gibt nur Lösungen. Ich tue

alles, was in meiner Macht steht, um Lösungen für

meine Firma zu realisieren. Ich bin allzeit für meinen

Arbeitgeber bereit.

Nater:

Sie werden doch gewiss zugeben, die vergangenen

Monate waren für uns alle in der GW schwierig.

Muster:

Für mich gibt es keine Vergangenheit. Ich kenne nur die

Zukunft. Die Zukunft ist rosarot. Ich werde für meine

Firma kämpfen und sie wird mich reichlich belohnen

dafür.

Felice:

Sind Sie der Gehirnwäsche des positiven Denkens

unterzogen worden?

Muster:

Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich möchte meine Firma

auch glücklich sehen.

Felice:

Führen Sie sich nach Feierabend daheim auch so auf wie

hier?

Muster:

Mein Arbeitgeber will, dass ich mehr als hundert Prozent

für ihn gebe. Mir fehlt die Zeit für ein Privatleben. Die

Karriere ist sowieso wichtiger.

Nater:

Was würden Sie tun, wenn Sie Ihren Job verlieren?

Muster:

Das kann niemals passieren. Mein Arbeitgeber ist gut.

Ich bin gut. Gemeinsam sind wir unschlagbar.

Felice:

(zu Nater)

Der ist nicht zum Aushalten.

Nater:

Herr Muster, es wird Zeit für Sie zu gehen. Ihr Besuch hat

mich erbaut.

Felice:

Ihr Optimismus erdrückt mich.

Muster:

Ich will Ihnen jetzt erzählen, was ich Grossartiges für

meine Firma tun werde.

Felice:

Nichts da. Raus mit Ihnen.

Muster:

Weil ich meine Firma liebe, werde ich -

Felice:

(ergreift Musters Krawatte und zieht ihn wie einen Hund

an der Leine zur Türe)

Wir haben bereits genug Problemfälle in diesem Haus.

Muster:

Es gibt keine Probleme. Es gibt nur Lösungen. Die

Zukunft ist rosarot.

Felice:

(stranguliert Muster leicht mit der Krawatte)

FERTIG GEZWITSCHERT, HANSI!

(schiebt Muster aus dem Büro)

Nater:

War das die kommende Generation von Managern?

Felice:

Eher einer der vielen Hohlköpfe, die durch die Büros

geistern.

Nater:

Das Niveau der Firma ist gesunken.

Felice:

Allerdings. Genau dagegen wehre ich mich. Ernst, lass

uns gemeinsam etwas unternehmen, damit wir hier drin

wieder auf Vordermann kommen.

Nater:

Ich kann nicht.

Felice:

Warum?

Nater:

Es steht nicht in meiner Macht.

Felice:

Du warst jahrelang unser Direktor. Du verstehst zu

führen.

Nater:

Es geht nicht.

Felice:

Eben warst du fast wie in den alten Zeiten, sprachst von

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Zynismus und Manipulation der Roten.

Nater:

Das war nicht so ernst gemeint.

Felice:

Du spürst doch selbst, wie die von der ex-GW unsere

Kultur zerstören. Früher war es gemütlicher und

menschlicher.

Nater:

Du solltest dich von der Vergangenheit lösen.

Felice:

Die Roten sind dabei, den Betrieb kaputt zu machen.

Nater:

Du übertreibst.

Felice:

Sie haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht, als sie uns

durch ihren faulen Trick übernommen haben.

Nater:

Kann sein.

Felice:

Sei ein Mann und kämpfe für deine Vergo!

Nater:

Die Vergo ist Verliererin der Fusion.

Felice:

Nur weil eine Schlacht verloren ist, ist noch nicht der

ganze Krieg verloren.

Nater:

Als kleine Fische in einem grossen Konzern können wir

nichts bewirken.

Felice:

Im Konzern natürlich nicht. Aber unser Leasing-Umfeld

können und sollten wir mitgestalten. Wir haben Trümpfe

in unserer Hand. Unser Computersystem zum Beispiel.

Nater:

Auf was willst du hinaus? Eine Revolte?

Felice:

Ich wünsche mir, dass alle Angestellten der GW Leasing

in einer angenehmen Atmosphäre zusammen arbeiten

und dass die Arbeitsprozesse wieder korrekt ablaufen,

auch zur Zufriedenheit der Kunden.

Nater:

So.

Felice:

Das erzielt man dadurch, indem die Firma von Menschen

geführt wird, welche die Arbeitsprozesse kennen und

Mitarbeiter führen können. Zu denen gehörst du.

Nater:

Regula, du nimmst die Arbeit zu ernst.

Felice:

Machst du mit?

(Nater schüttelt den Kopf)

Felice:

Du lässt deine ehemaligen Untergebenen im Stich?

Nater:

Ich trage Handschellen.

Felice:

Heissen die Feigheit?

(verlässt das Büro)

Ich verstehe dich nicht.

Monolog Nater:

Sowas wie in den letzten Monaten habe ich in meinem

ganzen Leben noch nie durchgemacht. Dennler stellte

mich vor die Wahl: Degradierung akzeptieren und Maul

halten oder Entlassung. Ich darf nicht ins Geschehen

eingreifen und keine führende Position einnehmen,

dafür verdiene ich gleich viel wie früher.

Seit Monaten bin ich neben der Besenkammer

einquartiert und muss tatenlos zusehen, wie die Firma

herunter gewirtschaftet wird. Es ist frustrierend.

Mit 40 bin ich zur Vergo Leasing gestoßen. Zwölf Jahre

lang habe ich mitgeholfen, sie aufzubauen zu dem, was

sie bis vor kurzem war. Sieben Jahre davon als

Geschäftsführer.

Wäre ich einige Jahre älter, hätte man mich frühzeitig in

Pension geschickt und ich wäre fein raus. Doch ich bin

zu jung. Gleichzeitig bin ich zu alt, eine neue Stelle zu

finden. Wer will denn einen 52 Jahre alten Mann in einer

wirtschaftlich schwierigen Zeit einstellen, wenn das

gewünschte Idealalter der Jobkandidaten 25 bis 35 ist?

Hier besitze ich immerhin eine Arbeitsstelle mit gutem

Salär.

Meine Frau und ich diskutierten über einen Neuanfang.

Würde ich es schaffen, alles liegen zu lassen und noch

einmal von vorne anzufangen in einem anderen

Arbeitsgebiet, das mir Spaß macht? Mein Kopf und der

Körper sind frisch genug dazu. Aber die

Umschulungskosten und die finanziellen Einbußen bei

einem Neuanfang. Wie sollte ich meine Familie

durchbringen? Mein ältester Sohn studiert Medizin im

vierten Semester. Er braucht noch Jahre, bis er sich selbst

finanzieren kann. Meine Tochter ist 16, der Jüngste 13.

Beide gehen zur Schule.

Wir überlegten uns, ob meine Frau wieder arbeiten und