Ernst Bruckmüller Vorlesung Österreichische Geschichte...

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Ernst Bruckmüller Vorlesung Österreichische Geschichte 1526 - 1918 SS 2010 Begleitende Unterlagen

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Ernst Bruckmüller

Vorlesung

Österreichische Geschichte 1526 - 1918

SS 2010

Begleitende Unterlagen

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I. Habsburgische Staatsbildung

STAATSBILDUNG - Prozeß der Herausbildung von Rechtssetzungs-, Gewalt- und Steuermonopol für ein bestimmtes Gebiet (Staatsgebiet) und eine bestimmte Population (Staatsvolk).

In unserem Bereich ist diese Staatsbildung ein langsames, sukzessives Durchsetzen der Herrschaftsgewalt der Dynastie in ihrem Herrschaftsbereich sowie deren Intensivierung.

"Staatsbildung" - Integrationsvorgang von Regionen und Gruppen in größerräumige Herrschaftsgebilde.

In diesem Integrationsprozeß entstehen "Staaten" (als nach außen abgegrenzte Herrschaftsgebiete) und "Nationen" (als neue überregional verflochtene Großgruppen).

1) Die Dynastie seit 1282 in unserem Bereich die sog."Habsburger", seit Spätmittelalter "Haus Österreich" genannt, waren

seit 1282 Herzöge von Österreich und Steiermark, seit 1335 von Kärnten und Krain, seit 1363 Grafen von Tirol, seit 1438 deutsche Könige und römische Kaiser (bis 1740 bzw. von1745 - 1806, seit Franz Stephan von Lothringen "Habsburg-Lothringen"), seit 1458 Grafen von CiIIi, seit 1500 Grafen von Görz, seit 1526 Könige von Ungarn und Kroatien sowie von Böhmen (damit auch Herzöge von Schlesien und Markgrafen von Mähren)

2) Treibende Kräfte der Staatsbildung:

in starkem Maß: Außenpolitische Konstellation - Konkurrenzverhältnisse zu anderen Mächten, so

a) zu Venedig - Krieg unter Maximilian 1. (1508 - 1516)

b) zum Osmanischen Reich: Dominantes Konfliktfeld 1526 bis um 1720. Verlust Zentralungarns (1541 - 1699 osmanisch). In Westungarn und Kroatien entsteht die "Militärgrenze".

c) zu Frankreich: Maximilian erbt den burgundisch-französischen Gegensatz, seit der spanischen Heirat Philipps des Schönen umklammern habsburgische Gebiete fast ganz Frankreich (Spanien im Süden, Franche Comte im Osten, die burgundischen Niederlande - die heutigen Beneluxstaaten und Teile Nordfrankreichs - im Norden).

d) zu gewissen Reichsständen: Prinzipiell zu den protestantischen (Sachsen, Hessen usw.), partiell aber auch zu katholischen Häusern wie den Wittelsbachern.

Die inneren Folgen der äußeren Kriege:

a) das stehende Heer: Nach dem Tod Wallensteins (1634) "Verstaatlichung" seines Heeres.

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b) wachsende Steuerforderungen zur Finanzierung der wachsenden Armeen: noch nicht direkt auf die "Untertanen" umlegbar - Zustimmung der feudalen, also grundherrlichen (Herren, Prälaten, Ritter) und der nichtfeudalen (Städte und allenfalls ländliche Gemeinden) Landstände notwendig, erfolgt auf Landtagen.

Erst 1749 (Dezennalrezesse) wird den Ständen außerhalb Ungarns dieses Recht im wesentlichen genommen.

3) Herrschaftsbereiche der Habsburger:

1.) die deutschenldeutsch-österreichischen, österreichischen "Erblande"

Im äußersten Westen jenseits des Rheins Besitzungen im Elsaß und im Sundgau, 1648 an Frankreich verloren. Am rechten Rheinufer Freiburg im Breisgau als Zentrum "Vorderösterreichs", Sitz der vorderösterreichischen "Regierung". Südlichster Punkt: im Inneren Istriens (Grafschaft Mitterburg IPazinlPisino), zu drei Vierteln von venezianischem Territorium umgeben. Ostgrenze, von Bernhardstal bis FiumelRijekalReka/SLVeit am Pflaum: gegen Ungarn bzw. das mit Ungarn verbundene Kroatien.

"Herrschaft zu Österreich" ("Haus Österreich") zerfallt in

1) Oberösterreichische Lande a) Vorlande, vordere Lande, Vorderösterreich aa) Vorderösterreich im engeren Sinne (Breisgau, Rheinstädte

und Besitzungen im Schwarzwald) bb) Schwäbisch Österreich (Streubesitz um Bodensee und oberer

Donau) cc) Vorarlberg, b) Tirol

2) Niederösterreichische Lande, unterteilt in: - Innerösterreich mit

a) Steiermark b) Kärnten c) Krain und Istrien d) Görz e) Triest und andere Seestädte

- "Niederösterreich" mit f) Österreich ob der Enns g) Österreich unter der Enns

(Teilung 1564)

Land: Territoriale Einheit mit Land-Ständen. Dem Land ob der Enns (unter der Enns, der Steiermark usw.) entsprechen die Stände dieser Länder, mit dem jeweiligen Landhaus (in Linz, Wien, Graz,usw.) als Ort ihrer Tagungen und ihrer eigenen ständischen Verwaltung. Sehr kleinteilige Besitzungen wurden durch gemeinsam tagende Stände zu Ländern, so die Herrschaften Feldkirch, Bludenz und Bregenz zum Land vor dem Arlberg.

Stände: Die einem Landesherren gegenüber zu"Rat und Hilfe", d.h. ursprünglich zu militärischer Leistung verpflichteten Gruppierungen, jedenfalls der Adel, die landesfürstlichen Städte, verschiedentlich (in Tirol, Vorarlberg und Vorderösterreich,

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Heer, Friedrich. Der Kampf um die österreichische Identität. Wien-Köln-Graz: Böhlau, 21996

Kann Robert A., Geschichte des Habsburgerreiches: 1526 bis 1918, Wien 1993

Zöllner Erich, Geschichte Österreichs, 8. Aufl., Wien 1990

Zöllner, Erich. Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien:

Vlg.f. Geschichte und Politik, 1988.

Höfische Gesellschaft und Merkantilismus:

Bräuer Helmut, "und hat seithero gebettelt". Bettler und Bettelwesen in Wien und

Niederösterreich zur Zeit Kaiser Leopolds 1., Wien - Köln - Weimar 1996

Coreth Anna, Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit, Wien 1982

(2.A.)

Evans, R. J. W., Das Werden der Habsburgermonarchie 1550 - 1700, Wien 1985

Reformabsolutismus und bürgerliche Gesellschaft:

Bodie Leslie, Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781 - 1795,

Wien 1995 (2.A.)

Crankshaw Eduard, Maria Theresia. Die mütterliche Majestät, Wien 1970

Gutkas Karl , Kaiser Joseph 11. Wien - Darmstadt 1989

Heindl Waltraud, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 - 1949,

Wien - Köln - Graz 1991

Silagyi Denis, Jakobiner in der Habsburgermonarchie, Wien - München 1962.

Strakosch Heinrich, Privatrechtskodifikation und Staatsbildung in Österreich 1753 - 1811,

Wien 1976.

Industrielle Revolution:

Blum Jerome, Noble Landowners and Agriculture in Austria, Baltimore 1948.

Good David F., Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750 - 1914, Wien 1986

1848:

Gottsmann Andreas, Der Reichstag von Kremsier und die Regierung SchwarzenberK Wien

Niederhauser Emd, Sturm im HabsburgenTeich, Wien 1990

Habsburgermonarchie 1848 - 1918:

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1995

1984

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Johnston William M., Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, Wien 1974.

Matis Herbert, Österreichs Wirtschaft 1848 - 1913, Berlin 1972

Di6szegi Istvan, Die Außenpolitik der österr.-ungar. Monarchie 1871 - 1877, Budapest 1985

Kann, Robert A., Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, 2 Bde., Graz 2

1964.

Sked Alan, The Decline and Fall ofthe Habsurg Empire 1815 - 1918, London - New York

Redlich Joseph, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, Leipzig 1920 - 1927

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Österreichische Geschichte, hg. v. Herwig Wolfram:

atto H. Urban, Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Östeneichs (ÖG -15 v. Chr.), Wien 2002.

Verena Gassner / Sonja Jilek / Sabine Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich (ÖG 15 v. Chr. - 378 n. Chr.), Wien 2002.

Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (ÖG 278 - 907), Wien1995.

Kar! Brunner, Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert (ÖG 907 - 1156), Wien 1994.

Heinz Dopsch u.a. (Kar! Brunner, Max Weltin), Die Länder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmittelalter (ÖG 1122 - 1278), Wien 1999.

Alois Niederstätter, Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im Spätmittelalter (ÖG 1278­1411), Wien 2001.

Alois Niederstätter, Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (ÖG 1400 - 1522), Wien 1996.

Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und F,trs~enmacht.Länder und Untertan~n des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitat'ter (OG 1522 -1699),2 Bde., Wien 2003.

Karl Vocelka, Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat (ÖG 1699 -1815), Wien 2001.

Helmut Rumpier, Eine Cbance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (ÖG 1804 -1914), Wien 1997.

Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (ÖG 1890 - 1990), Wien1994.

Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995.

Rudolf Leeb u.a., Geschichte des Christentums in Österreich von der Spätantike bis zur Gegenwart, Wien 2003

Andere Gesamtdarstellungen

Berenger Jean, Die Geschichte des Habsburgerreiches 1273 bis 1918, Wien (Böblau)

Bruckmüller Ernst, Sozialgeschichte Österreichs, Wien 1985

1995

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zeitweilig auch in Salzburg) auch ländliche Gemeinden. Die militärischen Hilfeleistungen wurden im Spätmittelalter irnrnmer mehr in Steuerbewilligungen umgewandelt.

- Warum wurden die österreichischen Länder gemeinsam kein eigener "Staat" - ? 1. Fehlen von Generalständen. Ansätze dazu (gemeinsame Ständetagungen von 1510,1518, 1541 und öfter) reißen ab 1614 ab. 2. Fehlen einer gemeinsamen Krone. Entsprechende Projekte noch 1508 und 1516, zuletzt

1521 und 1523 (österreichische Königskrone) 3. Trotz Entstehung einer Zentralbürokratie Respektierung der jeweils eigenen Traditionen

und Rechte.

Ansätze zu eigener Staatlichkeit: 1. General- u. Ausschußlandtage des 16. u. frühen 17. Jahrhunderts, ständische Zusammenarbeit in "Union" (1608), freilich mit antihabsburgischem Charakter (werden nicht zu Generalständen). 2. Österreichische Hofkanzlei: seit 1620 gemeinsame Ausfertigungsstelle für alle österr. Länder, zieht sukzessive auch Agenden eines Berufungsgerichtshofes für diese Länder an sich. 1705 zwei Kanzler, von denen der erste seit 1720 faktisch eine Art Außenminister war. 3. Adel: Der Adel der Habsburger war entweder ein erbländischer oder ein böhmischer bzw. ungarischer. Gemeinsamkeit von österreichischem und böhmischem Adel ab etwa 1780 faktisch durchgesetzt, infolge der Vereinigung der böhmischen und der österreichischen Hofkanzlei, die für Standeserhöhungen zuständig waren.

Kirchliche Situation:

Diözesaneinteilung: Alle drei für österreichische Gebiete zuständigen Erzbischöfe residierten um 1700 außerhalb der habsburgischen Gebiete:

- Erzbischofvon Salzburg - ein unabhängiger Reichsfürst. Zum Metropolitanbereich von Salzburg gehörten die Bistümer: Passau, Brixen,Wien, Wr. Neustadt, sowie die besonders eng von Salzburg abhängigen Suffraganbistümer Chiemsee, Lavant (St. Andrä im Lavanttal), Gurk und Seckau.

- Erzbischof von Mainz: Bistümer Augsburg, Konstanz, Freiburg (das älteste eigentlich habsburgische Bistum!), Ulm und Chur, das Diözesanrechte im südlichen Vorarlberg und im Vintschgau ausübte.

- Patriarch von Aquileja (südlich der Drau). Zu Aquileja gehörten LaibachlLjubljana, Triest, Trient und PibenlPedena - ein winziges Nest im Innem Istriens.

2.) Die böhmischen Länder

Gemeinsames Symbol: Krone des heiligen Wenzel Mähren und Schlesien lehenrechtlich von Böhmen abhängig, hatten eigene Traditionen und Institutionen. Seit 1464 galt Mähren als untrennbar mit Böhmen verbunden. Geographisch: Die Flußsysteme orientieren dieses Gebiete nach drei Meeren

- die Eibe, die fast ganz Böhmen entwässert, fließt zur Nordsee, _ die Oder, die das nördlichste Mähren und Schlesien als Einzugsgebiet hat, zur Ostsee

und _ die March, zu welcher die Flüsse des übrigen Mähren tendieren, zur Donau und

damit zum Schwarzen Meer. Allerdings keine hohen Gebirgszüge zwischen den Flußsystemen - umschlossen durch Böhmerwald, Erzgebirge, Sudeten und im Osten Beskiden und Karpathen ist Böhmen,

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Mähren und (Österreichisch-) Schlesien eine naturräumliche Einheit, freilich mit dem Umland durch zahlreiche Übergänge verbunden, gegen Südosten überhaupt völlig offen. Die das böhmische Becken umschließenden Gebirge sind ebenfalls relativ nieder, nur selten über 1000m hoch, reich an Bodenschätzen und Thermalquellen.

Sprachlich: Quantitativ und in der staatsrechtlichen Theorie (als erste Landessprache) dominierte in Böhmen und Mähren das Tschechische, vor dem Deutschen. Schlesien sprachlich überwiegend deutsch, gerade in den nach 1744 österreichischen Teilen daneben Tschechisch und Polnisch - Österreichisch-Schlesien war bis zum Ende der Monarchie offiziell dreisprachig. Vor dem Dreißigjährigen Krieg das Tschechische in Böhmen Voraussetzung für die Bekleidung von Ämtern in den Ständen. Diese Vorherrschaft des Tschechischen in der Verwaltung und bei Gericht 1627 offiziell beseitigt, ab jetzt galt das Deutsche als gleichberechtigt. Seit 1761 11770 bei allen Zentralbehörden Eingaben nur mehr in deutscher Sprache erlaubt. Das Deutsche hatte geschlossene Sprachgebiete eher am Rande (Gebirgszonen) inne, vorab in Nord- und Nordwestböhmen, genauso in Nordmähren, aber auch in Südböhmen und Südmähren. Innerhalb des tschechischen Sprachgebietes deutsche Sprachinseln (etwa Iglau/Jihlava) und das Deutsche als Sprache von Bürgertum, Bürokratie und Aristokratie - also als Klassensprache, deren Verwendung nichts über Herkunft, Abstammung oder "nationale" Zuordnung aussagt. Verfassung:

Böhmen, Mähren und Schlesien hatten je eigene Landstände und dementsprechend je eigene Landtage. Daneben auch gemeinsame Versammlungen der Stände aller dieser Länder. In Schlesien neben gesamtschlesischen Versammlungen auch Landtage der einzelnen Fürstentümer. Der größte Teil Schlesiens ging 1742/44 an Preußen verloren. Landstände: - Böhmen hatte im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit als Folge der Hussitenzeit nur drei Stände (Herrenstand, Ritterstand und Städte)

- Mähren auch Prälatenstand. Neben den Landtagen der einzelnen Länder auch Generallandtage aller böhmischen Länder­Böhmen hatte zusätzlich ständische Kreistage in den 14 Kreisen - vorab Versammlungen des niederen Adels, des Ritterstandes, der auf den Landtagen oft durch Abgesandte der Kreisversammlungen vertreten wurde. Vom König nicht gern gesehen - Versammlungen werden zurückgedrängt. Kreishauptleute wurden von Repräsentanten des lokalen Adels zu königlichen Amtsträgern, im 17. Jahrhundert zu besoldeten Beamten (1641 Mähren, 1648 Böhmen). Damit wurden die Kreise von Organen der ständischen (Selbst-) Verwaltung zu Organen der landesfürstlichen - und das heißt: der gesamtstaatlichen - Verwaltung. Die Zusammensetzung der Stände änderten sich noch stärker als in den österreichischen Ländern: Bedeutung des Kleinadels geht schon im 16. Jahrhundert zurück - Großgrundbesitz der "Herren" (Mitglieder des Herrenstandes) weitete sich aus.

Böhmen: Schon vor 1620 Vorrang des Herrenstandes immer deutlicher. Um 1560 verfugten 64 Herrenfamilien über mehr als 50% der Untertanen, 1500 Ritterfamilien über mehr als ein Drittel, die Kirche und die Städte nur über je drei bis vier Prozent der Untertanen. 1615 gab es nur mehr 32 Herrenfamilien und knapp über 1000 Ritterfamilien. Neue Geschlechter im Herrenstand schon vor 1620: Czernin, Wratislaw von Mitrowitz, Kinsky, Kaunitz, Kolowrat, Thurn, Hohenlohe u.a. Diese Bewegung beschleunigte sich nach 1620. Von 1627 bis 1656 wurden 417 Personen in die Landsmannschaft aufgenommen. Zwei Drittel bis drei Viertel des Bodens wechselte nach 1620 den Besitzer. 1654 hatten drei Fünftel der Bauern einen "alten", zwei Fünftel einen "neuen" Grundherren. Nun entfielen auf den Hochadel 60%, auf den Ritterstand 10%, auf die

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Kirche 12 %, der Rest war im Besitz des Königs und der Städte. In Mähren waren die Verhältnisse ähnlich, nur war hier der Kirchenbesitz mit etwa 20% etwas größer.

Neue Adelsfamilien - aus den österreichischen Landen, zum Teil auch schon vor 1618 in Böhmen und Mähren:

Neben den Liechtenstein (Mähren) die Thun, Colloredo, Collalto, Morzin, Eggenberg, Windisch-Grätz. Aus Ungarn die Forgach, Erdödy, Apponyi u.a., - Heerführer aus aller Herren Länder wie die Buquoy, Piccolomini, Gallas, Aldringen und

Leslie - am bedeutendsten wurden jene Familien, die aus dem Lande selbst stammten und durch

ihre katholische Konfession nach 1620 dominierten: Lobkowitz, Kinsky, Czernin, Schlick, Kolowrat, Kaunitz und Waldstein. In Mähren dominierten die Liechtenstein und die Dietrichstein. Zeit zwischen 1620 und (etwa) 1780 gilt in der tschechischen Geschichte als Zeit der Dunkelheit (Obdobe temna) oder Finsternis: an ihrem Beginn stand ein grausames Gericht und ein Verfassungsbruch: Die "Verneuerte Landesordnung" Ferdinands H. 1627 ist eine oktroyierte Verfassung, beseitigte die die alten Rechte des Königreiches (sprich: seiner Stände), vor allem das Königswahlrecht.Dazu rasche und gewaltsame Rekatholisierung, zwang viele adelige und bürgerliche Familien ins Exil. Ende der Gemeinden der böhmischen und mährischen Brüder, die im Anschluß an einen hussitischen Traditionsstrang, aber doch ganz selbständig, ein gewaltloses, am Urchristentum orientiertes Reformchristentum entwickelten. Ihr letzter in Böhmen selbst wirkender Bischofwar Komensky (Comenius), der große Pädagoge. Der Dreißigjährige Krieg traf Böhmen am härtesten von allen habsburgischen Ländern: Hier brach der Krieg aus, hier endete er auch (mit der Eroberung der Prager Kleinseite durch die Schweden 1648). Die Zahl der bäuerlichen Hofstellen wurde (von etwa 150.000 auf 82.0000) fast halbiert. Böhmen wurde von einem Zentral-Land zur Provinz. Während Prag zu Zeiten Karls IV., aber auch Ferdinands I. (der in Prag begraben wurde) und vor allem Rudolfs II. glänzende Residenzstadt war, blieben die Habsburger seit Mathias und Ferdinand H. im ungefährlicheren Wien. Die böhmische Hofkanzlei übersiedelte ebenfalls nach Wien. Faktisch blieb in Prag eben nur die ständische Selbstverwaltung (nebst einigen landesflirstlichen Behörden) - es fehlte das vor allem im 17. und 18. Jahrhundert rur die städtische Entwicklung so wichtige höfische Element. Die tschechische Sprache, obzwar in der Gegenreformation natürlich noch als Predigtspreche benützt, trat inuner mehr zurück. Maria Theresia beseitigt böhmische Eigenstaatlichkeit durch die Vereinigung der böhmischen mit der österreichischen Hofkanzlei. Mariatheresianische Staatsbildung, aus Wiener Sicht ein entscheidender Schritt zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Habsburger Monarchie (eben zu einem Staate), aus böhmischer Sicht Besiegelung der Herabwürdigung eines altehrwürdigen Königreiches zur Provinz eines Einheitsstaates.

Kirche: Erzbistum Prag - Bistum (später Erzbistum) Olmütz in Mähren - Bistümer Leitmeritz und Königgrätz in Böhmen.

Ordenslandschaft : einige typische Besonderheiten, wie der Kreuzstemorden, der eben nur ein böhmischer war. Eigene Ordendsprovinzen rur Böhmen und Mähren hatten u.a. die Franziskaner und die Jesuiten. Stark vertreten die Prämonstratenser (Strahov in Prag), weniger

die Benediktiner (Braunau). Rekurs auf einheimische Heilige wie Wenzel, Adalbert oder Johannes Nepomuk­

wachsende Volkstümlichkeit des barocken gegenreformatorischen Katholizismus. Aufklärung und Josephinismus: Spezifische Varianten neuzeitlicher Christianität.

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3.) Ungarn und seine Nebenländer Größe: etwa 320 000 km2 (viermal so groß wie die Republik Österreich). Umfaßte neben der Republik Ungarn im heutigen Umfang die ganze Slowakei, Siebenbürgen (heute Rwnänien), Banat und Vojvodina (teils Rumänien, teils Serbien) einen Teil der heutigen Ukraine. Staatsrechtlich verbunden war Ungarn mit dem Königreich Kroatien-Slawonien. FiumelRijeka gehörte in der frühen Neuzeit zu Innerösterreich, seit ca. 1780 wieder zu Ungarn. Geographisch: Das historische Ungarn umfaßte das gesamte Karpatenbecken, also das Einzugsgebiet der zur Donau ruhrenden Flüsse Waag, Theiß und Maros, ferner das ganze untere Drautal. Südliche Grenze: Donau und Save gegen Serbien und Bosnien (bis 1878 zum Osmanischen Reich), dann entlang der Unna bis zum Adriatischen Meer. An der Adria grenzt Ungarn bis 1797 an das Gebiet der Republik Venedig, im Norden an Po1en,im Osten an die Donaururstentürner Moldau und Walachei und im Westen an die ebenfalls habsburgsischen Länder Mähren-Schlesien sowie Niederösterreich, Steiermark und Krain. Anhaltspunkte rur die die regionale Gliederung waren Flußläufe:

Unmittelbar an Niederösterreich und Steiermark anschließend liegt a)Transdanubien, das Gebiet jenseits der Donau (von Preßburg aus gesehen), es reicht im Süden bis zur Drau. Am linken Donauufer liegen die Komitate b) diesseits der Donau (westliche Slowakei und mittleres Ungarn zwischen Donau und Theiß), c) diesseits der Theiß - Ostslowakei, mit einigen Ausbuchtungen nach Süden auch ins heutige Ungarn. Die d)jenseits der Theiß liegenden Komitate umfassen ein sehr ausgedehntes Gebiet, das von den Karpaten im Nordosten (heute Ukraine) bis zur Donau im Süden (heute Serbien) reichte. Davon verwaltungsmäßig (nicht aber staatsrechtlich) getrennt war e) Siebenbürgen (lateinisch Transsilvanien, also das Land der Hinterwäldler); unterteilte sich in das Land der Ungarn, das Land der Szekler und das Land der Sachsen. Im 18. Jahrhundert gab es in den vier Gebieten 41 Komitate, später durch Entmilitarisierung 46. Daneben gab es noch 5 Bezirke mit einer gesonderten Rechtsstellung (Jazygien, Klein­und Groß-Kumanien, die Haiduckenstädte, die 16 Zipserstäde, Kikinda und Fiume).

Südlich der Drau liegt das Königreich Kroatien und Slawonien, dem man in der staatsrechtlichen Theorie stets auch Dalmatien zurechnete (dreieiniges Königreich), das aber faktisch seit dem 15 . Jahrhundert ganz überwiegend venezianisch, von 1797 bis 1805 österreichisch, ann französisch, seit 1815 wieder österreichisch war und bis 1918 immer von Wien aus verwaltet wurde.

Sprachen: _ Ungarisch (Magyarisch), dominierte in den Donau-Theiß - Niederungen, daneben in

einigen Teilen Siebenbürgens (dazu kamen dort noch die sprachlich verwandten Szekler). _ Deutsch am Westrand (heutiges Burgenland), vielfach im städtischen Bürgertum, in der

Zips, im Sachsenland in Siebenbürgen. Die Kolonisation ab 1718 vermehrte die deutschen Sprachinseln im ganzen Land, insbesondere im Süden, aber auch im westlichen Mittelungarn

(Banater bzw. Donau-Schwaben). - Slowakisch im Norden (Oberungarn, heute Slowakei) - Ukrainisch - Nordosten _ Rumänisch - in Siebenbürgen neben Magyarisch und Deutsch gesprochen.

- Serbokratisch im Süden a) Vojvodina

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b) Kroatien und die Militärgrenze waren sprachlich analog, doch waren die Kroaten katholisch und die Grenzer oft orthodox. Kroatische Siedlungen waren auch entlang der ungarischen Westgrenze weit verbreitet, wo sich Kroaten auf der Flucht vor den Türken angesiedelt hatten (heutiges Burgenland).

- Slowenisch: nördlich der Mur (Prekmurje) - Italienisch: Fiume sprach italienisch.

Amtssprache war bis 1844 das Lateinische. Danach wurde in Ungarn das Magyarische, in Kroatien das Kroato-Serbische forciert. Religion: Luthertum: vorwiegend bei den Slowaken und Deutschen Calvinismus: bei den Magyaren in größerem Maße akzeptiert. Katholizismus: bei Kroaten. Es gelang den Habsburgern niemals, den Katholizismus zur alleinigen Konfession in Ungarn zu machen, trotz Erfolgen in der Gegenreformation. Siebenbürgen: Sachsen waren überwiegend Lutheraner, die Ungarn und Szekler Calviner (einige auch katolisch), daneben die sonst überall verbotene Sekte der Unitarier. Die Rumänen waren dem Ritus nach ostkirchlich, etwa 13% Katholiken.

Organisation der katholischen Kirche: Erzbischöfe in Gran (Estzergom) und Kalocsa, acht Bistümer zu Veszprem, Györ (Raab), Pecs (Fünfkirchen), Vac (Waitzen), Eger

(Erlau), Marosvär/Csanad, Biharvär/Nagyvarad und Fehervar (Siebenbürgen), die alle noch auf die Zeit Stephans des Heiligen zurückgehen. Später gegründet wurden die Bistümer Bihar, Varad (Großwardein) und Gyulafehervar (Karlsburg, Alba Iulia), schließlich Agram (Zagreb, Zagrab). König Koloman errichtete ein Bistum in Neutra (Nyitra, Nitra). Das Erzbistum Kalocsa wurde vorübergehend nach Bacs verlegt, Srem (das alte Sirmium, Szerem, Sremska Mitrovica) wurde 1229 (wieder-)belebt.

Stationen der Habsburger-HerrschaO in Ungarn : Ferdinand 1. erhob nach dem Tod seines Schwagers LudwigsII. in der Schlacht von Mohacs 1526 Anspruch auf die ungarische Königswürde. Ein Teil des ungarischen Adels wählt aber nicht Ferdinand, sondern Johann Zapolyai zum König. Vorteil Ferdinands: 1527 mit der rechten Krone am richtigen Krönungsort Stuhlweißenburg /Szekesfehervar gekrönt. Zapolyai erhielt Ungarn vom türkischen Sultan als "Geschenk" - Ungarn stand ab nun in der vordersten Linie der Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und dem Kaiser. Eroberung Ungarns durch Soliman, der erst vor Wien stehen blieb (1529). Nach dem Tode Zapolyas bemächtigte sich der Sultan Budas/Ofens (1541), sodaß nun das Zentrum des Landes in türkischer Hand war und auch bis 1686 blieb. Folge: Dreiteilung Ungarns: Westen und Norden (mit seinen wichtigen Bergbaugebieten) habsburgisch, der Osten als Fürstentwn Siebenbürgen innerlich selbständig, freilich von den Türken abhängig, die Mitte osmanisch.

"Militärgrenze": mit vor der türkischen Herrschaft geflohenen orthodoxen Christen("Waliachen") besiedelte; aus der normalen Zivilverwaltung gänzlich herausgenommene Zone, die direkt dem Hofkriegsrat in Wien bzw. Graz (1664 - 1749) unterstand. Alle Männer wehrpflichtig (also Bauernsoldaten), kein Sondereigentwn am Land, sondern alles in der Verfügung von Großfamilien (zadruga), an deren Spitze ein Hausvater. Ende der seit dem 15. Jahrhundert üblichen jährlichen Einfälle aus dem türkischen Bosnien nach Kroatien Krain Kärnten und in die Untersteiermark. Nur ein kleiner Teil Kroatiens, , blieb als Zivil-Kroatien" außerhalb der türkischen Herrschaft bzw. der Militär-Grenze. Um

" 1800 umfaßte die Militärgrenze fast 40.000 km2.

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Siebenbürgen fiel 1687 an die Habsburger, der letzte Fürst, Michael Apafi, legte seine Würde zurück. Siebenbürgen blieb eine selbständige Verwaltungseinheit, mit eigenem Landtag und eigener Hofkanzlei (in Wien). 1765 Titel eines Großftirstentums. Die Revolution von 1848 bzw. der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 machten der Sonderstellung Siebenbürgens ein Ende.

Erfolgreicher Widerstand gegen den habsburgischen Absolutismus: - Wiener Friede von 1606, in dem Mathias freie protestantische Religionsausübung im kaiserlichen Ungarn bestätigen mußte. - sog. "Magnatenverschwörung" einiger Hochadliger, die mit dem Frieden von Vasv3r unzufrieden waren und von denen einige 1671 enthauptet wurden (Nadasdy, Zrinyi, Frangepan). - Die nun verschärft einsetzende Gegenreformation löste jenen Aufstand (Tököly) aus, der zum Türkenkrieg von 1683 fiihrte. - Dieser schien mit der Niederlage der Türken auch das Schicksal des ungarischen Protestantismus zu besiegeln. Dagegen wehrte sich erfolgreich der sogenannte Kuruzzenaufstand von 1704 - 1711, durch den die ungarischen, niederösterreichischen und steirischen Grenzgebiete furchtbar verheert wurden. Aber die Ungarn hatten letztlich Erfolg: Im Frieden von Szatmar (1711) wird die traditionelle Glaubensfreiheit bestätigt.

Folgen der osmanischen Herrschaft: 1.) Änderung der Siedlungsstruktur des Tieflandes, Entstehung der großen Marktflecken

und Puszten ("Öden"). Verstärkung der Rolle der Viehhaltung im Agrarbereich. 2.) Fortbildung des politischen Systems zu Absolutismus und höfischem Feudalismus war

nur begrenzt möglich. Die langfristig ökonomisch und gesellschaftlich positiven Aspekte dieser beiden Tendenzen traten erst spät und abgeschwächt in Erscheinung.

3.) Kolonisationsbewegungen nach Abschluß der TÜTkenkriege. Nach 1718 begann eine intensive Binnenkolonisation, die das ethnisch sehr bunte Ungarn der nächsten zwei Jahrhunderte schuf :"Banater"- bzw "Donau"-Schwaben, aber auch Slowaken, Belgier, Lothringer, Tschechen, Rumänen und Serben waren daran beteiligt.

Entscheidend fiir die weitere ungarische Entwicklung war der Fortbestand eines zahlenmäßig sehr breiten Kleinadels (wirtschaftlich von Bauern oft kaum unterscheidbar). Dieser konnte sich -auch durch die ständigen Kriege - immer wieder erneuern. Er hatte in den Komitaten seine Basis, die als Verwaltungs- und Gerichtseinheiten die faktische Durchfiihrung der Reichstagsbeschlüsse, der Steuereinhebung und RekrutensteIlung in der Hand hatten.

Komitate und Reichstag: Die Komitate waren ursprünglich Burgbezirke (daher varn1egye - "Burgbezirk") unter

königlichem Gespan (comes, eigentlich "Graf') Seit dem 13. Jahrhundert bilden Freie (Krieger, später der kleine Adel) eines Komitats eine Gerichtsgemeinde, in der die königlichen Beamten an Einfluß verloren. An ihre Stelle traten gewählte Richter (iudices nobilium - szolgabir6 - Stuhlrichter).

Seit 1504 Vizegespan, Vertreter des Gespans, aus dem Komitatsadel gewählt. Obergespan wird zu einer repräsentativen Funktion. Verwaltung und Gerichtsbarkeit entfielen aufvier

Stuhlrichter (iudices nobilium). Seit 1708 der zunächst (theoretisch) viritim auch am Reichstag teilnahmsberechtigte

Niederadel durch je zwei Abgeordnete der Komitate an der Ständetafel des Reichstages

vertreten.

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Eine analoge Stellung wie die einzelnen Adeligen hatten Gemeinden (oder Stammesgemeinschaften), die kollektiv geadelt wurden oder als adelig galten, wie die Jazygen, Haiducken und Kumanen. Zweiteilung des Reichstages begegnet seit dem frühen 15. Jahrhundert, doch erschien der Niederadel schon seit dem 13. Jh. auf den Tagen. Das Oberhaus, die Magnatentafel, bestand aus den Magnaten und Bischöfen, das Unterhaus, die Ständetafel, aus den Abgeordneten des Komitats-Adels und der königlichen Freistädte (seit 1402). ­

Maria Theresia respektierte Eigentümlichkeiten Ungarns: Bei allen Reformversuchen wurde diese Verfassungsstruktur nicht angetastet. Versuche Josephs H. , die Verfassung außer Kraft zu setzen, scheitern am Widerstand der Komitate, die seine Befehle zur Steuereinhebung und Truppenrekrutierung, weil nicht gesetzmäßig (über einen Reichstag) zustandegekommen, einfach ignorierten. Man mußte daher in Ungarn die alte Verfassung belassen und hat sogar in der Hochblüte des vormärzlichen Metternich'schen Absolutismus ab 1825 immer wieder den ungarischen Reichstag einberufen, der in den vierziger Jahren unter der Führung des faszinierenden Grafen Istvan Szechenyi ein umfangreiches Reformwerk durchführte.

Kroatien: Vom 16. Jahrhundert bis 1718 war dieses Königreich sehr klein, dann kam das östliche Slawonien wieder dazu. Aber die Gebiete der Militärgrenze, die mehr als die Hälfte des Territoriums von Kroatien ausmachten, blieben bis nach dem Ausgleich von 1867 faktisch vom Königreich getrennt, unter der direkten Verwaltung Wiens. Kroatien hatte ebenfalls einen eigenen Landtag, daneben war es aber auch auf dem ungarischen Reichstag vertreten. Die bis ins Hochmittelalter zurückreichende staatsrechtliche Verbindung mit Ungarn wurde eigentlich niemals in Frage gestellt.

Chef des Landes war der "Ban". Enge Verbindungen zu den angrenzenden (inner)österreichischen Ländern vor allem wegen

Finanzierung der Militärgrenze durch die Stände der innerösterreichischen Länder (Steiermark, Kärnten, Krain und GÖrz).

4.) Galizien und Bukowina 1772 Südpolen an die Habsburger - Name in Erinnerung an ein mittelalterliches Fürstentum Halicz und Wladimir "Kgr.Galizien und Lodomerien".

Größe und Lage: 78.000 km2, um 1780 etwa 2,5 Mio E (1890: 6,6 Mio). Umfaßt im wesentlichen das nördliche Karpathenvorland mit den nach Norden anschließenden Hügel- und Flachländern; also

- das Flußgebiet der Weichsel mit ihren Nebenflüssen San und Bug (nach der Ostsee orientiert)

- des Dnjestr in Südost-Galizien, mit seinen Nebenflüssen (zum Schwarzen Meer) - des Dnjepr (über den Styr bei Brody) - Sereth und Pruth, die zur Donau fließen.

Klimatisch das rauheste von allen habsburgischen Ländern, ohne Schutz gegen die kalten Nordwinde, daher spätes Frühjahr, kurze Sommer und lange Winter. Religiös waren die Polen römisch-katholisch, die Ukrainer seit der Union von Brest im 16. Jahrhundert Christen des östlichen Ritus mit Annerkennung des Papstes, also Unierte. Im 19. Jahrhundert war etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung römisch- katholisch (ca. 3 Mio), etwas weniger (2,7 Mio) waren "griechisch-katholisch" (Unierte), etwa 770.000 Juden. Andere Konfessionen spielten kaum eine Rolle. Sprachlich war der Westen polnisch, der Osten ukrainisch (ruthenisch). Gesellschaftlich helTschte aber überall ein polnisch fühlender und sprechender Adel.

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Galizien hatte zwei Universitäten (KrakaulKrakow und Lemberg/Lwow/L'viv), von denen die erste 1364, also ein Jahr vor Wien, gegründet wurde (aber 1400 neu gegründet werden mußte) und eine der ältesten Mitteleuropas ist. Die Lemberger Universität wurde von Joseph II. 1784 gegründet, zunächst mit lateinischer, später mit deutscher Unterrichtssprache.Nach 1868 Jahrhundert hatten übrigens beide Universitäten (Lemberg war von 1805 bis 1817 aufgehoben) polnische Unterrichtssprache.

Integration und Widerstand: Die Eingliederung Galiziens in die Monarchie erfolgte zunächst in rein bürokratischer Form. An der Spitze stand ein Gouverneur, nach österreichischem Vorbild wurden Kreisämter eingerichtet (sechs, später 19), 1786 wurde die Bukowina gleichzeit ein Kreis). Als "spätes" Land wurde Galizien gleichzeitig zum Exerzierfeld der Modeme - hier trat zuerst und sozusagen probeweise das bürgerliche Gesetzbuch in Kraft (1780 bzw. 1797). 1846 im damals selbständigen Krakau (eigene Republik seit dem Wiener Kongreß) ein Aufstand zur Wiederherstellung Polens, mit Auswirkungen auf das österreichische Westgalizien, wo sich der Adel anschließen wollte. Die Bauern zeigten aber keinerlei Interesse an der polnischen Nation, sondern erschlugen viele Adelige. Noch bis in die 1880er Jahre hat das polnische Nationalbewußtsein die polnisch sprechenden Bauemmassen kaum erfaßt.

1848 war es relativ ruhig, nur im seit 1846 österreichischen Krakau kam es zu Unruhen (im April 1848 niedergeschlagen). Nach 1861 bzw. 1867 hielten sich die fiihrenden polnischen Schichten klug zurück, protestierten zwar gegen die 1867er Verfassung, unterstützten aber sonst jede Wiener Regierung. Belohnung: 1868 innere polnische Amtssprache für Galizien Seit 1859 war auch stets ein einheimischer Adeliger Statthalter. Im allgemeinen herrschte daher das polnische Element, die Ukrainer wurden wenig gefördert bzw. unterdrückt.

Die Bukowina kam vom osmanischen Reich (1774), um eine günstigere geographische

Verbindung zwischen Galizien und Siebenbürgen zu haben. Ca. 10.000 krn2, mit 1780 erst knapp 80.000 Einwohnern, 1890: 650.000. Sprachliche und religiös: Um 1890 42 % Ruthenen, 32% Rumänen, 21 % Deutsche, dazu kleinere Gruppen von Ungarn, Polen und Armeniern. Religiös waren 70% orthodox (griechisch-nicht-uniert), 11 % röm.-katholisch, 3 % griechisch-katholisch, 2,5% evangelisch und 13 % mosaisch. Seit 1875 in der Landeshauptstadt Czernowitz eine Universität mit deutscher Unterrichtssprache.

5.) Italienische Besitzungen a) Herzogtum Mailand

seit Karl V. ein Teil des spanischen Reiches (freilich als Lehen des heiligen römischen Reiches!), seit 1704 Teil der Monarchia Austriaca (1735 der Westteil an Savoyen abgetreten). 100.000 Ew., Verwaltung durch die Staatskanzlei (Dipartimento d'Italia) Verwaltung und Rechtsprechung: "Magistrato Camerale", die oberste Finanzbehörde, der Senat, der Oberste Gerichtshof bilden die Hochburg einer Autonomie, die sich mit der Macht des Patriziats identifiziert. Ökonomisch modeme Provinz, geht 1797 an Napoleon verloren.

b) Lombardo-venezianisches Königreich ab 1815 Mailand (Lombaradei) und der Festlandsteil der ehemaligen Republik Venedig (bis 1797

selbständig). Tiefreichende Unterschiede zwischen diesem oberitalienischen Gebiet und dem Rest der Habsburgermonarchie: Lombardo-Venezien war wirtschaftlich zwischen 1815 und 1859/66 das am höchsten entwickelte Gebiet der Monarchie. Gewisse Wirtschaftszweige standen in

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enger Verbindung mit Wien. Im lombardo-venezianischen Königreich wurde Rohseide erzeugt, die dann von der Wiener Seidenindustrie verarbeitet wurde: Von insgesamt etwa 480.000 W. Zentner Rohseide (Gesamtmonarchie) stammten 430.000 aus Oberitalien ­Seidenwaren (1840) wurden im Wert von 12 Mio in Wien erzeugt, in Oberitalien rur 6,7 Mio. Auch Venedig profitierte wirtschaftlich davon, daß es seit 1815 im österreichischen Handelsgebiet lag. Ökonomische Verbindungen konnten ein bereits nationalbewußt gewordenes Bürgertum nicht davon abhalten, einen eigenen Staat zu fordern. Nachdem die Revolution, die im Westen mit Piemont-Sardinien liebäugelte, in Venedig aber die Wiederherstellung der Markus-Republik bezweckte, blutig und brutal niedergeschlagen worden war, keine neue Loyalität zu Österreich.

6.) Belgien Die Österreichischen Niederlande, die 1713/14 übernommenen ehedem "spanischen Niederlande" - der größten Teil des heutigen Belgien (ohne das Gebiet des Bistums Lüttich) und Luxemburg. Das ganze einst von den Burgunderherzögen zusammengebrachte (und von Maximilian 1. bzw. seinen Enkeln geerbte) Gebiet zerfiel in mehrere traditionsreiche Länder, in denen eigene Landstände rur den Fortbestand des traditionellen Landesbewußtseins sorgten (Flandern, Artois, Hennegau/Hainault, Brabant, Luxemburg, Limburg). Die österr. Niederlande litten im 18. Jahrhundert darunter, daß ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten durch die Vereinigte Niederlande eingeengt wurden (Scheidesperre). Der zweimalige Versuch, von hier aus habsburgische Kolonialpolitik zu betreiben (ein zweiter Stützpunkt sollte Triest sein) scheiterte am Widerstand der Nachbarn. Die Loyalität zu den Habsburgern kühlte stark ab, als Joseph 11. das Gebiet kurzerhand gegen Bayern austauschen wollte. Opposition gegen Joseph 11. steigerte sich wegen der Religionspolitik: Die Eröffnung des staatlichen Generalseminars zu Louvain (Löwen) 1786 ruhrte zu Unruhen. Zugleich grundlegende Reformen - Umsturz der ganzen politischen und gerichtlichen Ordnung. Dagegen brach ein Volksaufstand aus. 1789 weigerten sich schließlich die Stände von Brabant, an den Reformen mitzuarbeiten. Der Kaiser kündigte darauf die traditionelle Verfassung dieses Landes, die ehrwürdioge "joyeuse entree" von 1356 - das entband die Stände von ihrem Treueid. Im Dezemberg 1789 wurden die Österreicher auch aus Brüssel verjagt, jedes Land (Flandern, Brabant, Hainault, Luxemburg) erklärte sich rur selbständig. Am 11.1.1790 schlossen sich die elf Provinzen zu den Vereinigten Belgischen Staaten zusammen. Sie kehrten unter Leopold H. nur mehr rur kurze Zeit unter habsburgische Herrschaft zurück, bevor das ganze Gebiet an die Franzosen verlorenging. 1797 mußte man offiziell darauf verzichten.

4) Das Entstehen einer zentralen Verwaltung:

Schon 1404 "tägliche Räte"

Friedrich IH. - unter den Räten mehr bürgerliche Juristen.

Maximilians 1. - "Regimenter"

1527 Hofstaatsordnung Ferdinands 1. (Hofrat, Hofkammer, Hofkanzleien, 1566 auch

Hofkriegsrat)

1550 und -60er Jahre Polizeiordnungen

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1620 Öster. Hofkanzlei für alle (ober-, inner- und nieder-) österr. Länder (aber nicht für

Böhmen und Ungarn)

1705 zwei österr. Kanzler, seit 1720 erster Kanzler Außenminister, daher

1742 Haus-, Hof- und Staatskanzlei - Außenministerium Kollegialität der Räte. Räte sind besoldet - aber korruptionsanfallig!

5) Religiöse Vereinheitlichung

Schon 1527 Generalmandat gegen Lutheraner und Wiedertäufer, dennoch rasche Ausbreitung

der Reformation.

Gegenreformation spätes 16. und 17. Jahrhundert (1568 Klosterrat, 1595 Innerösterreich, ab

1600 verstärkte Auswanderung von Protestanten, ab 1620 radikale Durchführung in Österr. ob

der Enns, 1648 endgültig).

Ausnahmen: Schlesien, Ungarn (ab 1711 Verzicht auf Gegenreformation).

6) Kulturelle Ausdrucksformen:

Höfisches Barock, entwickelt sich aus dem Bereich des Hofes und der siegreichen

katholischen Kirche - daher Palais, Klöster und Kirchen hauptsächliche Bauaufgaben.

Künstler aus Italien, später auch Einheimische.

7) Staatsrechtliche Auskleidung der Staatsbildung:

1626 Ende des ständischen Königs-Wahlrechtes in Böhmen, 1687 in Ungarn.

1713 Pragmatische Sanktion: Unteilbarkeit der habsburgischen Länder, weibliche Erbfolge.

Bis 1724 von den Ständen aller habsburgischen Erbkönigreiche und -länder angenommen!

Zentrales Grundgesetz der Monarchie bis 1918 !

1804 Kaisertum Österreich: umfaßt alle Erbstaaten, ändert jedoch deren jeweilige

Verfassung nicht!

11. Höfische Gesellschaft, Merkantilismus und StaatswirtschaJt

Bevölkerungswachstum - gute Konjunktur der Landwirtschaft im 16. Jh., Blüte des Bergbaus (Edelmetalle, Salz und Eisen), Wachstum von Textilgewerbe eisen- und metallverarbeitenden

Branchen. 15. und 16. Jahrhundert - stark ansteigender Weinexport aus Niederösterreich. Zentren des überregionalen Warenaustausches: Venedig - Nürnberg.

Zerfall dieses Systems von Stadtwirtschaften seit spätem 16. Jh., gänzliche Auflösung im Dreißigjährigen Krieg - Venedig und Nürnberg verloren an Bedeutung, Nordwesten Europas übernahm ökonomische Vorherrschaft.

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Kriege und Klimaverschlechterung führen zu langfristiger Reduktion der Kaufkraft ­Verlust von Exportmöglichkeiten für viele hochwertige Produkte aus Italien und Oberdeutschland, auch für den österreichischen Wein - Rückgang des Exports im 17. Jahrhundert. Zerfall der stadtzentrierten Ökonomie des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts - in einem langwierigen und krisenhaften Prozeß entsteht mit der höfischen Gesellschaft die erste auf ein Staatsgebiet orientierte Wirtschaftsform - der Merkantilismus. Mit Staat und Nation entsteht als Lehre von der Wirtschaft in solchen Gebilden die Nationalökonomie.

1) "Krise des 17. Jahrhunderts"

- beginnt um 1620 starker Rückgang des Bergbaues Auftreten von Seuchenzügen 1633 bis 1636, 1645 bis 1647 und 1678/80 Klimaverschlechterung - seit etwa 1560 wuchsen die Gletscher. Dreißigjähriger Krieg Türkenbelagerung von 1683 und die Kuruzzenaufstände im frühen 18. Jahrhundert, (östliches Niederösterreich, Westungarn (das heutige Burgenland), Oststeiermark).

Danach breiter Bevölkerungsanstieg, ab 1750/60 verlangsamt. Heutiges Österreich um 1527: etwa 1,5 Millionen Menschen ~18 pro km2

)

1754: etwa 2,7 Millionen (33 pro km ). 2) Bevölkerungsbewegung in den österreichischen Ländern

(heutige Grenzen)

um 1530 1600/ 1683 1696/97 1714 1754 1620

Österreich 1,500.000 2,700.000

Niederösterreieh (inel. 500.000 600.000 600.000 900.000

Wien) (1529) (1685) Oberösterreich 300.000 380.000 526.000

Burgenland 110.000 96.000 90.000 150.000

Steiermark 279.000 340.000 424.000 475.000

(1528) (1617) (um 1700)

Kärnten 170.000 bis 253.000 180.000

Salzburg

Tirol

65.000 (1456) 110.000

105.000 ( 1620) 140.000

135.000 (1730)

150.000 (um 1750) 218.000

( 1604)

Vorarlberg 30.000 (um 40.000 bis 1500) 45.000 (um

1600)

Bevölkerung der Habsburgermonarchie 1785

Böhmen, Mähren und Schlesien 4,3 Mio E Galizien 3,2 althabsburgisehe Länder (== heutiges Österreich ohne Salzburg plus Vorlande, Südtirol und Slowenien)

3,5

Ungarn (inc\. Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen) 9

Gesamtmonarchie (olme Belgien und die Lombardei) 20

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Bevölkerung der wichtigsten Städte (um 1600 und um 1754)

Jeweiliges Verwaltungsgebiet (Burgfrieden)

Stadt Einwohner um 16-00 um 1754 Stadt Einwohner um um 1754 1600

Wien 50.000 175.000 Krems an der Donau 4.000 4.000

Steyr 9.000 7.000 Klagenfurt 4.000 7.000

Schwaz 9.000 6.300 Wiener Neustadt 3.500 4.500

Graz 8.000 20.000 Linz 3.000 10.000

Salzburg 8.000 15.000 St. Pölten 3.000 3.000

Innsbruck 5.700 8.500 Klosterneuburg 3.000 3.000

Wels 5.000 3.000* Hallein 3.000 4.000

* Burgfrieden stark verkleinert.

3) Hof und barocke Residenzstadt

a) Veränderung der Städte:

Anwesenheit des Hofes, des höfischen Adels, zahlreicher Ordensniederlassungen. Wien: Wachstum der höfischen Bevölkerung erzwang zunehmende Verdrängung der bürgerlichen Bevölkerung - in die Vorstädte. Zum Hof - um 1550 fast 18 % aller Haushaltsvorstände in der Inneren Stadt.

1674 1966 Menschen Zur Zeit Zeit Karls VI. 2175 Menschen "höfisch".

Wirtschaft und Sozialstruktur Wiens geprägt vom Konsumbedarf der wachsenden höfischen Bevölkerungsschichten 1736 in Wien fast 11.000 "Professionisten" , davon 32 % zünftische Meister Der Rest: "Hofbefreite", "Dekretisten" und Störer - unbefugte Leute, Anteil der "Bürger" - in Innsbruck und Wien im 17. Jahrhundert etwa 10 bis 20 % aller Haushaltungsvorstände, 2 bis 5 % aller Einwohner. Bauliche Veränderungen - an Stelle mehrerer älterer Bürgerhäuser entstanden wenige neue Ordenshäuser oder Adelspalais. Abschnürung der Stadt durch neue Befestigungsanlagen, Basteien und Raveline, besonderes Schußfeld vorgelagert (das "Glacis").

b) Funktion und Entwicklung des Hofes im Absolutismus Hof - Entscheidungszentrum flir immer zahlreichere Angelegenheiten. Entwicklung einer eigenen "Außenpolitik" Geld flir Militär und wachsende Repräsentation in immer größeren Mengen umgesetzt. Drang zum Hof von Seiten der Großkapitalisten, Großhändler und Söldneruntemehmer,

Juristen. Hofadel, Repräsentation und Staatsbildung: Hof - Haus des Herrschers - erheblicher Symbolwert

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Wiener Hofburg - "Hauß von Österreich" - Haus Österreich" (Casa d' Austria, Maison d'Autriche) ist der Name des Herrscherhauses! Entstehung des Absolutismus - Prozeß der Ausdehnung der Hausvaterschaft des Fürsten über seinen eigentlichen Hofstaat hinaus auf alle Bevölkerungsgruppen. Fürstlicher Hausvater wird zum Landesvater (Landeskinder) - Söhne und Töchter des Adels leisten als Edelknaben und -fräulein Dienst bei Hofe - günstige Voraussetzung für weitere Karriere. Staatsbildung daher auch: Ausweitung des fürstlichen (Hof-) "Staates" von Hof und Kameralgut über das ganze Herrschaftsgebiet

- Ausweitung von Herrschaftsrechten über immer breitere gesellschaftliche Gruppen - Inanspruchnahme von Ressourcen, die früher dem Herrscher nicht zur Verfügung gestanden waren.

Herrschaftsintensivierung, Nivellierung der Einwohnerschaft zu Staats-"Untertanen" zunehmende Identifikation von fürstlicher Herrschaft, Herrschaftsapparat und beherrschtem "Staats"-Gebiet. Produkt: abgegrenztes Staatsgebiet und Rechtssetzungs-, Steuer- und Gewaltmonopol des nunmehr entstandendenen Staates.

Zentral-Problem des habsburgischen höfischen Absolutismus: Habsburger hatten zu wenig Geld, kormten Hofadel niemals ökonomisch abhängig machen. Wallenstein, Prinz Eugen, die Kinsky, Lobkowitz, Schwarzenberg usw. wurden alle in kurzer Zeit große Grundbesitzer. Refeudalisierung des höfischen Adels stärkt Landstände!

Lebensform bei Hof unter dem Diktat des Protokolls. Zeremonielle Rituale (Hochzeiten, Taufen, Kirchliche Feste, Wallfahrten, Begräbnisse ....) feiern den Fürsten und zeigen den Stellenwert der Mitglieder der höfischen Gesellschaft ­zentrale Bedeutung von Vorrang-Ordnungen.

4) Höfische Gesellschaft, Protoindustrialisierune und Merkantilismus Philipp Wilhelm von Hörnigk "Österreich über alles, warm es nur wiIl ..." (1684) - Hinweis auf Zusammenhang von Türkenbelagerung und Geldmangel - fehlende Exportindustrien, zu viele Importe von Luxusgütern. Forderung nach Ausbau der "Commerzien und Manufacturen" Für Hörnigk "Österreich" erstmals alle habsburgischen Erbländer gemeinsam:

Konzept eines auch wirtschaftlich einheitlich orientierten Staatsgebietes "Staat" nicht mehr nur der Hofstaat des Kaisers, sondern die Summe seiner Untertanen und Gebiete - Vorgriff auf die Vollendung des Staatsbildungsprozesses

Idee der Identität von Wirtschaftsraum und Staat. "Universal-Kommerz" aller habsburgischen Länder wird Leitlinie der Wirtschaftspolitik.

Krise des 17. Jahrhunderts und die wachsenden Anforderungen an die finanzielle Leistungsfahigkeit der Habsburger erzwangen systematische Wirtschaftsförderung: "Merkantilismus" und - im 18. Jahrhundert - "Kameralismus".

Straßen von und nach Triest zollmäßig begünstigt (1720er Jahre) 1775 - gemeinsames Zollgebiet der böhmisch-mährisch-schlesischen und der österreichischen

Länder (noch ohne Tirol).

a) Die Financiers der Habsburger

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im späten 15. und im 16. Jahrhundert: oberdeutsche Kapitalisten (Fugger, WeIser, Hochstätter) Ab etwa 1570 Oberitaliener, auch Niederländer (wie Hans de Witte in Prag, der Bankier Wallensteins), als Großhändler und Bankiers. Im späten 17. Jh.: Hofjuden ("Hofbefreite") im Vordergrund (Samuel Oppenheimer 1630­1703, Samson Wertheimer 1658 -1724).

b) Unternehmer: aa) Hofbefreite und Dekretisten 1725 - unbefugte Handwerker (Störer), werden durch die Zahlung eines Schutzgeldes zur Ausübung ihres Gewerbes berechtigt. 1736 in Wien: etwa 11.000 Professionisten, davon

3345 bürgerliche Handwerker 3126 Dekretisten 2941 Störer haupt- oder nebenberuflich gewerblich arbeitende kaiserliche Livreebedienstete, Universitätshandwerker, Stadtguardisten, Arsenalisten und Piquenierer ("Militärhandwerker") 301 Hofbefreite.

bb) Privilegierte "Privilegia privativa" - ausschließliches Erzeugungsrecht (Monopol). Kleinere Privilegien - Begünstigungen olme Monopol. Beseitigung der quantitativen Einschränkungen bei Rohstoffen, bei der Stückzahl der Waren u. bei der Anzahl der beschäftigten Arbeitskräfte. 1669 bis 1780 i.d. althabsburgischen Länder (olme Böhmen, Mähren-Schlesien, Ungarn, Mailand, Belgien, Galizien) 63 Privilegien bekannt. cc) Nobilitierungen Nobilitierung tüchtiger Unternehmer (Prueschenk, Kuefstein, Eggenberger, Inzaghi, Mittermayr, Stürgkh oder Attems usw.) im 16. /17. Jh. verbreitet. Unter Maria Theresia (1740 - 1780) und Josephs II (1780 - 1790) Nobilitierungen von Unternehmern gezielt eingesetztes Instrument zur Schaffung einer angesehenen und selbstbewußten Unternehmerschicht. Adelsverleihung sollte Sozialprestige des Unternehmers heben, nicht aber den Unternehmer zum adeligen Grundherrn machen.

c) Unternehmens- und Betriebsformen, Arbeitsorganisation und Arbeiterschaft aa) Bergbau und Verarbeitung

Salzwesen: "Verstaatlichung" von Produktion und Absatz (1632). 1770 bedeckte das Salzmonopol 14% der gesamten Einnahmen des Staates. "Salzkammergut" ­besondere Organisationsform dieser Monopolwirtschaft. Eisenwesen: Privatbesitz, erheblich verstärkte landesfürstliche Kontrolle. 1625 ­"Innerberger Hauptgewerkschaft" unter Kontrolle des landesfürstlichen Kammergrafenamtes gegriindet. Holzversorgung für Salinen und Eisengewinnung erforderte ein kompliziertes System: "Widmungen" großer Wälder, analog sollte die Nahrungsmittelversorgung der Eisen­und Salzbezirke durch "Widmungen" sichergestellt werden. Ebenfalls staatlich - die Quecksilbergewinnung und -vermarktung - Idria/ldrija (heute Slowenien). 1659 Handel verstaatlicht.

bb) Fabriken und Manufakturen "Fabriken" und "Manufakturen" begrifflich schwer zu trennen. Zumeist: "Fabrik" - ein privilegiertes Unternehmen

"Manufaktur" - größerer Betrieb, gekennzeiclmet durch Kombination von zentralisierter Produktion mit verlegter Arbeit außer Haus.

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"Manufakturen" waren in der Regel "Fabriken", "Fabriken" mussten aber nicht Manufakturen sem. Linzer Wollenzeugfabrik - 1672 (Christian Sind) Motive: Erzeugung von Textilien (wollene ,,Zeuge", Decken und gröbere Stoffe auf der Basis des Rohstoffes Schafwolle) und Arbeitsbeschaffung. 1717 in den Besitz des Wiener Annenhauses. 1754 in Staatsbesitz. Privileg von 1672 - zahlreiche bedeutsame Vorrechte eingeräumt. Komplizierte bürokratische Organisation - Arbeitsgänge teils in der Fabrik - teils an verlegte Arbeitskräfte außer Haus weitergegeben. Um 1790 in den "deutschen" Erblanden der Monarchie (also olme Ungarn, Belgien, Mailand, Galizien) etwa 280 echte Manufakturen, davon rund die Hälfte in Niederösterreich (inkl. Wien), 30% in Böhmen. Bedeutend: Die Baumwollverarbeitung.

cc) Arbeitsverhältnisse in der Protoindustrialisierung - Gewerbliche Arbeitswelt: Reichshandwerksordnung von 1731 auch :fiir die habsburgischen Erblande in Kraft gesetzt _ sollte Rolle der Zünfte einschränken. 1754 Polizeigewerbe und

Kommerzialgewerbe - Bergbau: Abnahme durch den Bedeutungsverlust des Silberbergbaues. Dennoch große Betriebe: Innerberger Hauptgewerkschaft 1678 - 2624 Personen (davon nur 153 Bergknappen). - Lohnverhältnisse: Seit Mitte des 16. Jahrhunderts Tendenz zum Sinken der Reallöhne. Ein großer Teil des Lolmes - Naturallolm. Erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts steigende Lölme - ein Hinweis auf eine erste Verknappung des Arbeitskräfteangebotes. - Arbeitszeit: Im 17. und 18. Jahrhundert Arbeitszeit verlängert. Kirchliche Feiertage 1742 auf höchstens 35 reduziert. 1753: Maria Theresias will flir Österreich Reduktion auf 15 Ganzfeiertage; 1772 auch die Aufhebung der verbliebenen 25 Halbfeiertage. Verbesserung der Beleuchtungsverhältnisse - Verlängerung auch der täglichen Arbeitszeit!

Frauen- und Kinderarbeit in Niederösterrreich im 18. Jahrhundert

(Die Beschäftigten in den Manufakturen und Kommerzialgewerben)

1782 1785 1790 Factoren und Beamte 121 273 447

Meister und Witwen 6.031 7.896 10.612

Gesellen, Modelstecher u.ä. 7.244 10.743 14.928

Lehrjungen und Scholaren 2.409 3.283 5.727

Zurichter, Gehilfen, Knechte 2.117 3.288 4.211

Weibspersonen 3.130 7.365 19.158

Seidenwinderinnen, Lazzieherinnen 1.490 3.808

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Lehrmädchen I

433 1.470 1.723

Wollspinner-, Schweifer- und 26.388 81.756 119.906 Spulerinnen

Krampier, Sortierer(innen) 702 7321 5.861

zusammen 50.065 120.614 182.573

5) Sozialdisziplinierung in der höfischen Gesellschaft

Ziel - "rationalere" Gestaltung des Lebens. Erhöhte Affektbeherrschung - Haupttendenz der höfischen Disziplinierung. Arbeitsethos sollte gesteigert werden. Figur des Bettlers abgewertet! Bettel immer stärker kriminalisiert - Bandenbildungen. Neue Art von Fürsorge - Änderung der Lebensführung des Befürsorgten beabsichtigt. Waisen-, Zucht- und Arbeitshäuser als Anstalten sollten dazu dienen: Zucht- und Arbeitshaus in der Wiener Leopoldstadt 1671. Später Olmütz (1701), Innsbruck (1725), Graz (1735), Prag (1737), Troppau (1753), Klagenfurt und Laibach (1754), Triest (1762), Altbreisach (1769), Ackerghem bei Gent und Vilvoorde in Belgien (1772), Linz (1775) und GÖrz. Herkunft aus dem umfassenden Typus "Spital" .

III. Reformabsolutismus, Industrielle Revolution und Entwicklung der

bürgerlichen Gesellschaft

Hintergrund des Reformabsolutismus: Erfahrung der Inkongruenz von Machtanspruch und Ressourcen

Nach dem Tod Karls VI. 1740 Römisches Kaisertum erstmals nicht von einem Habsburger besetzt massive und direkte Bedrohung der Einheit des habsburgischen Länderkomplexes (Österr. Erbfolgekrieg, 1741 - 1748)

Dagegen nur das trad. Bündnis mit Großbritannien, aber Isolierung auf dem Kontinent! Eigene Ressourcen - unzureichend bzw. unzureichend ausgeschöpft. Zentrales Ziel der Staatsreform: Erhaltung einer schlagkräftigen Armee

]) Durchsetzung der Staatsbildung

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a) Die Herrscher Maria Theresia (1740 - 80): 1741 - 48: Österr. Erbfolgekrieg - Verlust von Schlesien und kleinerer ital. Besitzungen. 1742 Gründung der Hof- und Staatskanzlei, 1756 - 63 Siebenjähriger Krieg (ohne Erfolg). 1749: große Staatsreform, neue Zentralbehörden, Steuerreform, Kreisämter. 1767: Franz Stephan (als Kaiser seit 1745 Franz 1.) +, sein Nf. als Kaiser losefII., i. d. habsburg. Ländern Mitregent Maria Theresias. 1772 Galizien habsburgisch, 1775 die Bukowina, 1779 das Innviertel.

losefII. (1780 - 1790): Reformpolitik (Toleranzpatent, Kirchenpolitik: Klosteraufhebungen, Pfarrgründungen, Diözesamegulierungen, Untertanenpatente - Reduzierung der Robot), 1788 Krieg gegen die Türken, 1789 Aufstand in Belgien, Unruhen in Ungarn Leopold 11. (1790 - 1792): Teilweise Rücknahme der josefinischen Reformen

b) Staatsbildung Einnahmen des Staates steigen von 1740 bis 1780 von etwa 39 auf 57 Millionen Gulden. 1749 Neuorganisation der Staats- Landesverwaltung Oberste Zentralbehörde (Directorium in publicis et in cameralibus) - Zusammenfassung der Spitzenbehörden (Kanzleien und Hofkammer, Directorium eine Art Innen-, Finanz- und Handelsministerium), dazu

Oberste JustizsteIle (= lustizministerium plus Oberster Gerichtshof) Landesstellen (Seit 1763 "Gubernien"), auf Landesebene Kreisämter auf Ebene der Landesviertel

1760 Staatsrat als oberstes beratendes Organ 1761 "Directorium" umgewandelt in "Böhmisch-österreichische Hofkanzlei" als

Innenministerium rur den böhmisch-österreichischen "Kernstaat", Finanz-Agenden davon getrennt (Hofkammer und Hofrechenkammer, letzteres eine Art Rechnungshof).

Staatsname - veränderlich "Monarchie des Hauses Österreich" "K.k. Erbstaaten" , "K.k. Staaten"

1804 "Kaisertum Österreich" - Kaisertum des Hauses Österreich - übergeordneter Titel rur den Herrscher über so vielfältige Königreiche und Länder nach dem absehbaren Ende des Römisch-deutschen Reiches.

"Kaisertum Österreich" bald auch als Staatsbezeichnung.

Staatsfinanzen und Staatsbildung "Staat" - "Staatsschuld" Einnahmen seit der Steuerreform von 1749 deutlich erhöht. Kaiser Franz 1. + 1765 - reiches Vermögen. Daraus Schaffung des sog. "Familienfonds" zur Sicherung der Versorgung und des standesgemäßen Unterhalts der kaiserlichen Familie - Trennung von Familienbesitz und Kammergut - das letztere jetzt Staatsgut! Aus dem Vermögens des Kaisers teilweise Tilgung von Staatsschulden

Erstmals Übersicht über die Staatsschuld: Gesamte Staatsschuld 1767264 Millionen, 1769 163 Millionen 1771 etwas mehr als 266 Millionen

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1777 157,6 Millionen Gulden

c) Bürokratisierung aa) Staatliche Penetration und Ausweitung der Bürokratie Personelle Ausweitung der Bürokratie im 18. Jahrhundert zunächst aus dem Bereich der Kameralverwaltung, aus dem Personal der aufgehobenen Klöster und Orden (besonders in den auf die Bildung bezogenen Verwaltungssparten). Am wichtigsten später die Selbstrekrutierung Besoldung: Fixe Besoldung ein zentrales Merkmal von Bürokratie ­In den 1770er Jahren Beginn der Trennung von Amt und Beamten Quantitäten: 1762: etwa 20.000 Beamte (ohne Ungarn, Mailand, Tirol, Belgien, aber vielleicht inklusive der Herrschaftsbeamten auf den Grundherrschaften, 1784 nur 12.500 Beamte), 1827: 64.000 (ohne Ungarn) 1830: 223 000 aktive und pensionierte öffentliche Beamte, Bedienstete und Arbeiter (Salinenarbeiter usw.) gezählt. "Mit Inbegriff der Armee aber und der Geistlichkeit wurden bei 687.000 Individuen auf Staatskosten unmittelbar erhalten." (Metzburg) bb) Stellung der Beamten Beamte - Diener des Herrschers die Beamten ab 1773 fixe Gehalte, 1781 Pensionsnornlale Ausbildungsweg: Theoretische Vorbildung im Rechts- und Kameralwesen. Einsatz bei Kreisämtern, in verschiedenen Dienstzweigen und Instanzen, bei Bewährung langsames Aufrücken. Die Ernennung zum Kreishauptmann setzte beispielsweise um 1790 die Bewährung bei der Steuerregulierung voraus. Joseph H. - "Hirtenbrief' von 1783: Kaiser - oberster Diener des Staates, zugleich "Vater" des Staates und der Beamten. Der Beamte muß sich in besonderer Weise dem Dienst am "Vaterland" verpflichtet fühlen, dieses ist die Gesamtmonarchie. Beamtenschaft, Hofadel und Offizierskorps haben zentrale integrative Rollen für den neuen "Staat" Politische Führungsschicht der Habsburgermonarchie wird als vom Kaiser abhängige Gruppe von Beamten und Offizieren konzipiert, die ohne Rücksicht auf Herkunft, Sprache usw. nur diesem Staat dienen soll. Das "schwarz-gelbe" "National-"bewußtsein dieser Leute sollte bis zum Untergang der Monarchie bestehen bleiben.

cc) Bildung und Verbürgerlichung der Bürokratie Bis Mitte des 19. Jhs. - Großteil der "Gebildeten" im öffentlichen Dienst. Aufstieg in Führungspositionen an höhere schulische Leistungsqualifikationen gebunden (1763). Verstaatlichung und Neuorganisation der Universitäten - wichtige Voraussetzungen flir das "Juristenprivileg" . Internes Kontrollsystem - Conduitelisten (seit 1783 bzw.I785). Rigorose Reglementierung des gesamten Bildungswesens (besonders unter Joseph 11.). Beträchtliches Sozialprestige der führenden Beamtenschaft - Trend zur Verbürgerlichung bürokratischer Institutionen.

Problem der unvollendeten Staatlichkeit der Habsburgermonarchie Länder nach wie vor recht eigenständig, Chaos bei den Zuständigkeiten usw. Folge: Absolutistische Staatsbildung eigentlich nur im "böhmisch-österreichischen Kernstaat", Ungarn wenig erfasst, Belgien wehrt sich.

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2. Reform des niederen Schulwesens und im religiösen Bereich a) Schulrefonn Anfangs der 1770er Jahre in den "entwickelteren", zentralen Gebieten der Monarchie ungefahr so viele Schulen wie Pfarrorte. Schulbesuch: etwa 20% der schulfahigen Kinder tatsächlich untenichtet. 1774 theresianisches Einrichtungswerk der "deutschen Schulen", durch Abt Felbiger von Sagan in Niederschlesien. Lehnnethoden und Lehrbücher vereinheitlicht. Eltern dringend ennahnt, ihre Kinder in die Schulen zu schicken.

Kirche und Schule blieben verbunden: Der Lehrer - Mesner und Organist. Um 1780 - im Staatsdurchschnitt besuchten ein knappes Drittel der schulfahigen Kinder tatsächlich die Schule. In Vorderösterreich fast 70%, in Krain nur 3%. Kärnten - im Landesdurchschnitt etwa 21 % Schulbesuch. In Oberkärnten ca. 33%, Mittelkärnten 16%, Unterkärnten knapp 11 %. "Deutsche Schulen" als Werkzeug staatlicher Integration und Vereinheitlichung! 1790 Besucherzahlen in den Trivialschulen deutlich höher als 1780. In Böhmen 1781 fast 42% - Zahl der Landschulen von 1200 auf 2400 verdoppelt. In der Steiennark auf das Fünffache.

b) Kirchenrefonn Innerkirchliche Bewegung des Jansenismus (nach dem Yperner Bischof Cornelius Jansen) und des italienischen Refonners Ludovico Muratori Neues Priesterbild stark antimonastisch Nützlichkeit für Staat und Gesellschaft im Vordergrund. Besoldungsregelung Josephs Ir. Diözesanregulierung: 1751 Aufhebung des Patriarchats Aquileja - Erzdiözesen Udine und Görz 1783/84 neue Bistümer Linz und (durch Verlegung von Wiener Neustadt) St. Pölten Erzbistum Wien vergrößert 1786 wurden die Salzburger Suffraganbistümer Gurk, Seckau und Lavant neu organisiert, Leoben kam hinzu. Salzburg blieb Erzdiözese. 1787 Diözese Laibach/Ljubljana = Herzogtum Krain, anstelle von Görz Erzbistum Südböhmen: Bistum Budweis/Ceske Budejovice neu gegründet. Kosteraufhebung und Pfarrgründungen: Vor 1780: in der Lombardei (Mailand) 80 Klöster säkularisiert. 1773 Aufhebung des Jesuitenordens. 1781/82 die erste Welle josephinischer Klosteraufhebungen:

"Müßiggänger" (Kanneliter, Kartäuser, Kamaldulenser usw.) und Stifte der Domherren. 1782 : Religionsfonds - Ausstattung und finanziellen Versorgung der neuen Pfarren bzw.

Pfarrer und Lokalkapläne. 1783-1787: "Klosterstunn" - inclusive Mailand, Belgien, Ungarn 700 - 800 Klöster aufgehoben. Aber: 3200 neue Pfarren und Seelsorgestationen gegründet. Zahlreiche Eingriffe in das gewohnte religiöse Leben ­

Wallfahrten eingeschränkt Feiertage abgeschafft 1783 alle Bruderschaften aufgelöst, ihr Vennögen in die neuen Pfarranneninstitute

eingebracht. 1783 Prozessionen und Wallfahrten neuerdings reduziert 1784 Bestattung der Toten ohne Kleider in Säcken

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Offener Aufstand in den Niederlanden und in Vorarlberg

Pfarrer häufig als Obrigkeit - Matrikenführung u. damit zusammenhängende Konskription (Volkszählung), Propagierung der Pockenimpfung, soziale Fürsorge im Rahmen des Armeninstituts.

3. Bauernschutz oder Grundentlastung ? Steuerrefotm 1749 - "Fassionen" für Bauernland und Herrenland getrennt Ziele der Bauerschutzpolitik: l) Der Bauer sollte auf den Markt - 1770 alle Rechte der Grundherrschaften aufgehoben, die das verhinderten (Anfeilzwang). 2) Mehr Arbeitszeit der Bauern für die eigene Wirtschaft - daher Regelung der Robot: Robotpatente für Schlesien (1771), Niederösterreich (1772), Böhmen/Mähren (1775), 1786 Robotpatent für Galizien. 3) Reduktion der Robot - Aufteilung von Meierhöfen - Ansiedlung von mehr bäuerlichen Wirtschaftern - Raab'sches System nach dem Hofrat Raab (seit 1775) 4) Sicherung des Bauern in seinem Besitz und Nachfolgerecht

Untersagung der Freistifte in Kärnten 1766 Verkaufrechtung der Freistifte 1769 und 1770 Aufhebung aller Freistiftrechte 1774 und 1783 Möglichkeit des "Einkaufs", also des Erwerbs des Eigentumsrechtes in Böhmen 1770 Verkaufrechtung in Krain 1788 Umwandlung von Leibgedingen in Erbrechte im Innviertel ab 1779)

5) Betonung der Rechtssicherheit des Bauern als Person: Leibeigenschaftsaufhebungspatent Josephs II. für Böhmen (1781) - freie Berufswahl der Untertanen auch außerhalb der Landwirtschaft, Ende der obrigkeitlichen Ehekonsense, Freizügigkeit, Ende der Zwanggesindedienste gekommen.

Große Urbarial- und Steuerregulierung Josephs II. (angekündigt 1785, Durchführung sollte 1790 beginnen):

nur mehr Geldabgaben (30% der Bruttoerträge), davon 13 % an den Staat (als Steuer), der Rest an den Grundherm (als Feudalrente). Josephinisches Lagebuch - erste Kataster, der das Land nach Größe und Qualität gemeindeweise vetmißt und einschätzt (in Ungarn nur teilweise erhalten).

Nicht durchgeführt! Es blieb allerdings die Möglichkeit, Naturalabgaben in Geldabgaben umzuwandeln. Man konnte sich auch aus der Dorfobrigkeit herauskaufen. Grundherrschaft bleibt aber bis 1848.

4. Heeresre~orm oder: Die Entstehung einer österreichischen Armee 1740: Armee 52 Regimenter zu Fuß (108.000 Mann) und 40 Regimenter zu Pferd (etwa 33.000 Mann) - nur theoretisch Preßburger Landtag 1741 : ungarische Stände beschließen ,Jnsurrection" - das traditionelle Landesaufgebot und Aufstellung von sechs neuen ungarischen Regimentern. In der Folge im stehenden Heer "deutsche", "ungarische", U.u. auch "italienische"

Regimenter. 1753 Nur mehr RekrutensteIlungen seitens der einzelnen Länder bzw. Herrschaften und Städte - Ende der Werbungen. Genaue Volkszählungen notwendig. 1771 Einteilung der deutsch-österreichischen Erblande (mit Ausnahme Tirols und der Vorlanden) in 37 "Werbbezirke" - Rekrutierungsbereiche für je 1 Regiment.

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Geistliche, Adelige, Beamte, Doktoren, Chirurgen, Bürger,Übernehrner von Bauernwirtschaften vom Militärdienst befreit, eingezogen primär Angehörige der ländlichen (und städtischen) Unterschichten! Neue Ausbildungsstätten: 1752 Mi1itärakademie in Wiener Neustadt 1754 Ingenieurakademie in Wien gegründet. Hofzutritt für Offiziere 1751 1757 - nach dreißigjähriger Dienstzeit Erhebung in den Adelsstand - fast 50 % der Adelserhebungen zwischen 1701 und 1918 Adelserhebungen betrafen Offiziere. OffIZiere eines Obersten bzw. eines Regimentes werden zum kaiserlichen Offizierskorps. Joseph H. - demonstratives Tragen der Uniform (wieder bei Franz Joseph!) 1771 Neues Reglement (Feldmarschall Lacy, Nachfolger des Grafen Daun) Völlige Verstaatlichung der Heeresversorgung Größe der Armeen wuchs im 18. Jahrhundert:

1701 - 100.000 (erstmals) 1704 138.000 erreichen 1716 - 1718 auf 162.000. 1744 - 46 um oder über 200.000 Mann 1756- 1763 - Im Siebenjährigen Krieg etwa 200.000 1779 im Bayerischen Erbfolgekrieg 308.000.

Unter Joseph H. standen gegen die Türken 315.000 Mann unter den Waffen.

5. Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft

Tabelle: Urbanisierung in Österreich 1830-1910

unter 2000­ über 2000 5000 5000-10

1

I 10000 000

1

in 1000 in% in 1000 in% in 1000 in% in 1000 in% 1830 3526,2 84,3 175 4,2 45,5 t,1 426,3 1~2

1843 3736,9 83,4 180,3 4 68,7 1,5 495,4 11,1 1851 3776,4 81 202,8 4,4 85,5 1,8 595,5 12,8 1869 193,4 3,7 1018,2 19,4 1880 3900 68,1 348,6 6,1 127 2,2 1352 23,6 1890 3863,3 62,8 3527 5,7 148,3 2,4 1669,5 28,8 1900 3956,4 58,1 440,4 ~5 185,1 2,7 2227,4 32,7

1910 4058,8 54 516,4 6,9 233,8 - 3,1 2722,6 36,2

Wien: 1791 208.000 1800 232.000 1810 224.000 1820 260.000 1831 320.000 1840 357.000 1852 431.000 Einwohner.

Ursachen des Wachstums: Ausbau der zentralen bürokratischen Einrichtungen Zuwanderung von Bankiers und Großhändlern, Buchdruckern und Verlegern Dienstboten Verteilung der Konsumgüter

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Verkehr größte Konsumzentrum Mitteleuropas Produktion von Gütern des gehobenen Bedarfes

a) Befreiung der gewerblichen Produktion und des Handels Maria Theresia 1754 : Polizeigewerbe - für lokalen Bedarf, Kommerzialgewerbe - für überlokalen Bedarf. Verleihung von Kommerzialbefugnissen: möglichst liberal. 1809 - Erweiterung der Industrialfreiheit - 95 Polizeigewerbe, alle übrigen Kommerzialgewerbe. Gewerbeberechtigungen seit 1791 von den Magistraten bzw. Ortsobrigkeiten verliehen, Nur "große" Fabriksprivilegien von den Landesstellen (Statthaltereien bzw. Landesregierungen). Erlaubnis des Hausierhandels 1785 Erlaubnis des Verkaufes der eigenen Produkte im eigenen Gewölbe Vorreiter der industrieller Expansion - die Fabriken

in Oberösterreich von 1830 bis 1846 von 104 auf 264 In Wien von 1837 bis 1841

Zahl der (selbständigen) Zunfthandwerker um 7,8%, die Zahl der zunftfreien Fabrikanten aber um 164% gewachsen!

b) Das neue Unternehmertum Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert "bourgeoise" Gruppierungen stark angewachsen: Großhändler und Privatbankiers, privilegierte Fabriksinhabern und Manufakturisten, Spediteure und Spezialhändler, Gewerbetreibenden, die sich zu größeren Unternehmern oder Verlegern entwickelten

Spitzengruppe dieses Unternehmertums - meist in mehreren wirtschaftlichen Bereichen tätige Großhändler und Privatbankiers - auch kulturell bedeutsam. Manufakturinhaber oder (auch wohlhabende) Gewerbsinhaber und Handwerker hatten viel bescheidenere materielle Möglichkeiten und auch andere kulturelle Ansprüche. Um 1790 noch kein gemeinsamer Begriff für die neuen unternehmerischen Gruppen Diese "bürgerlichen" Gruppen galten um 1800 und bis um 1840 eigentlich noch nicht "Bürger" ! Im Vormärz die "neuen" gesellschaftlichen Gruppierungen als "Mittelstand/{ zusammengefasst (Eduard von Bauernfeld 1841) Nach dem endgültigen Aus für die alte Sozialverfassung 1848 Bürgerbegriffanders verwendet, Begriff des "Bürgers" umfasst nun "Besitz und Bilduftg H

Rekrutierung der" neuen " Unternehmer in sozialer und geographischer Hinsicht: Unter 500 "Bourgeois" (1770 bis 1810) - davon 240 Manufakturisten und Verleger, 163 Großhändler und Bankiers sowie 97 "multipotente" Unternehmer - dominant die Herkunft aus dem Handel. Kaufleute und Großhändler - in den Fußstapfen (meist) des Vaters. "Reine" Manufakturunternehmern - oft aus dem zünftigen oder freien Handwerk aufgestiegen auch durch den" Verlag" von Berufsgenossen. Regionale Herkunft: die meisten Wiener Unternehmer aus der Habsburgelmonarchie (etwa 140 von 242 bekannten Fällen), die Mehrzahl davon aus Wien selbst. Die zweitgrößte Gruppe aus dem Reich (45), dann Schweizer (21), Italiener (14, wobei einige von ihnen wohl aus habsburgischen Gebieten kamen), Franzosen und Engländer (je sechs).

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Die Schweizer: die wichtigsten Bankiers (Fries, Geymüfler, Steiner), aber auch Textilunternehmer; Franzosen kamen als Seidenproduzenten und Großhändler, Engländer wie Rosthorn, Hickmann und Thornton - Textil- und Metall- bzw. Maschinenindustrie. Aus Deutschland - primär aus Süd- und Südwestdeutschland - die ,,Niederleger" (privilegierte Großhändler alten Stils), Großhändler und Bankiers. Fast alle Zuwanderer aus Städten - das neue Wirtschaftsbürgertum steht vielfach in (auch genealogischer) Kontinuität zum" alten" Stadtbürgertum. Einheimische: besetzten das bereits dichte Mittelfeld der Betriebe Religiöses Bekenntnis: von den genannten 500 Wiener Unternehmern 83 Evangelische und 40 Juden (16 konvertierten zum Katholizismus) . Anteil von Protestanten und Juden in der Spitzengruppe der Unternehmer sehr groß. Katholiken waren mehrheitlich kleine Manufakturisten. Im Hinblick auf Innovationen und Kapitalkraft war das nichtkathoiische Unternehmertum von besonderer Bedeutung.

1781 Toleranzpatent Josephs II. für die akatholischen Christen 1782 jenes für die Juden

stark von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt. Unterschiede zwischen Protestanten und Jude! Juden in Wien durften keine Gemeinde gründen, mußten weiterhin als" Tolerierte" eine zwar gegenüber dem älteren Status etwas weniger prekäre, aber keineswegs gleichberechtigte Position einnehmen. Erwerb von Grund und Boden war Juden nach wie vor verboten. Dennoch sind auch jüdische Unternehmer jetzt etwas vermehrt in die Produktion eingestiegen (etwa die Arnsteiner und Eskeles), ohne dass diese bereits gegenüber den Geldgeschäften überwogen hätte. Zwischen etwa 1800 und 1840 ein neuer, einheimischer Unternehmertyp.

Vorarlberg - erste Anstöße zur industriellen Entwicklung von Händlern und Fabrikanten aus der Schweiz bzw. Süddeutschland. Eigene Unternehmerschaft aus relativ kapitalkräftigen halbbürgerlichen Gruppierungen, die Landwirtschaft mit Handel, Wirtsgewerben oder Verlag verbanden. ­In der Industriellen Revolution noch immer große Bedeutung von Zuwanderern für die Rekrutierung der Bourgeoisie primär die Spitzenpositionen: Rothschild Sch0 eller Arthur Krupp Johann Heinrich Bleckmann Im Vormärz waren aber auch schon quasi "amerikanische" Aufstiege möglich (Brüder Klein, später nobilitiert "von Wisenberg"). Unternehmerbürgertum entwickelt jetzt stärkere genealogische Konstanz. Familienkontinuität seit dem 18. Jahrhundert selten Seit dem Vormärz Herausbildung großes Unternehmerdynastien (Schoeller, Skene, Kfein­Wisenberg, Miller-Aichholz, Cornides, Pacher-Theinburg usw.). Familiale Vemetzung nunmehr auch mit bildungsbürgerlichen Familien: Bürgertum als neue Klasse von "Besitz und Bildung" Verbindungen zwischen Wirtschaft und Kunst: Unternehmerporträts (Rudolfvon Arthaber gemalt von Friedrich Amerling 1837). Arthabers Villa in Döbling - später in den Besitz der Familie Wertheimstein - letzter bedeutender

literarischen Salon Wiens.

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Unternehmersohn als Künstler: JosefDanhauser (1805 - 1845), Sohn des Möbelfabrikanten Danhauser (größte Möbelfabrik Österreichs) - hervorragender Darsteller des Bürgertums seiner Zeit, übernahm 1830 die Fabrik seines Vaters. Leopold Kupelwieser (1796 - 1862) - Sohn des Inhabers eines Hammerwerks in Niederösterreich.

c)Die Anfänge des freien Vereinswesens Freimaurerlogen - ab 1795 verboten Gelehrtengesellschaften - "Academia operosorum" in Laibachl Ljubljana (frühes 18. Jahrhundert), 1746/47: "Societas ignotorum" in Olmütz/Olomouc. Ab 1764 "Patriotisch-ökonomische" Gesellschaften (Verbesserung des Ackerbaues) 1807 - niederösterreichische Landwirtschaftsgesellschaft neu gegründet Steiermärkische Landwirtschaftsgesellschaft (Erzherzog Johann)

erster Verein mit zahlreichen bäuerlichen Mitgliedern. Landwirtschaft - Verknüpfung mit den Landständen des jeweiligen Landes (als Vereinigung der Grundherren!) 1817 - Interessenvertretung der Baumwollfabrikanten Niederösterreichs Böhmischer Gewerbeverein - 1833 konstituiert (Gewerbeausstellungen 1833 und 1836 in Prag) Innerösterreichischer Gewerbeverein (Erzherzog Johann - 1837) Niederösterreichischer Gewerbeverein (1839). Gewerbevereine - nicht mehr obrigkeitliche Förderungsintention, sondern selbsttragendes Interesse der industriellen Unternehmer steht hinter den Gründungen - Ausdruck eines neues Gruppenbewußtseins einer neuen Unternehmerschicht!

6. Industrielle Revolution in Österreich

Manufakturen des 18. Jahrhunderts außerhalb der Städte. Wien: viele "Fabriken" in den Vorstädten, wenige ausgesprochene Großbetriebe (Ausnahmen: Porzellanerzeugung - Roßauer Manufaktur um 1800 500 Arbeiter; Buchdruckerei bei Trattner um 1780 schon 200 Setzer und Drucker, Stoffdruckerei mit Betrieben zwischen 150 und 500 Arbeitern). Kleinbetrieblich: Uhrmacher, Sattler und Wagenfabrikanten, Maschinisten und Mechaniker. Wichtigster Wirtschaftszweig: Seidenindustrie. 1780er Jahre: bedeutsame Ausdehnung der Seidenmanufaktur. Große Zeit der Wiener Seidenfabrikation - Betriebe mit bis zu 200 Beschäftigten. 1813: in Wien etwa 600 Seidenzeugfabrikanten mit über 6000 Gesellen, 800 bis 900 Lehrlingen und 7000 bis 8000 Arbeiterinnen, überwiegend in Heimarbeit. Ausbreitung von Arbeiterfamilien. Förderung der Hausstandsgründung von Gesellen. (1765) Zahl der Trauungen in Wien stieg von 7,3 auf 1000 Einwohner im Jahr rur die Zeitspanne 1754 - 1760 10,7 (1781-1791) 12,1 (1811 - 1820). Anteil der Verheirateten an der Gesamtbevölkerung: 1780-1798 bei 34 - 35 %. 1856 knappe 27%.

Entwicklung der Trauungsziffer in Wien 1754-1935

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Jahresgruppen 1000 Einwohner Jahresgruppen 1000 Einwohner

1754-1760 73 1851-1860 9,4' 1761-1770 7,2 1861-1870 9,6 1771·1780 7,7 1871-1880 9,6 1781-1790 - -­ 107' 1881-1890 8,7 1791-1800 10,8 1891-1900 9,6 1801-1810 11 1901-1910 9,4 1811-1820 12,1 1911-1920 9,9 1821-) 830 87 192) -) 930 10,4 1831-1840 8,8 1931-1935 7,6 1841-1850 8,5

Große Zeit der Wiener {Seiden-)Manufaktur - Hochblüte des Volkstheaters und einer bedeutenden öffentlichen Geselligkeit (österreichische bzw. Wiener "Phäaken") Ab etwa 1830 - Phase der Industriellen Revolution: Verfall der manufakturellen Produktion, langsame, krisenhafte Umstellung. Wien hat Mangel an Antriebskraft Wasser. Große Fabriken daher außerhalb der Stadt. Gegen Ende des Vormärz neue Leitindustrie des städtischen Raumes - der Maschinenbau. Bedeutsam durch Eisenbahnbau. Wien wird auch zum Zentrum des Eisenbahnnetzes. Werkstätten und Reparaturbetriebe der Eisenbahngesellschaften waren die ersten großen Maschinenbaufabriken in Wien. Handwerk tritt stark hervor, vor allem die Bekleidungsgewerbe sowie die Holz- und Metallverarbeitung. Viele dieser Handwerker von Verlegern abhängig. Handwerkliche Organisation der Produktion begünstigt hausrechtliche Arbeitsverhältnisse: Wohnen beim Meister für Gesellen dominierende Lebensform, zugleich das Haupthindernis für eine eigene Hausstandsgründung.

a) Neue Fabriken Maschinenspinnen zuerst bei der Baumwolle möglich! Pottendorfer SpiIU1erei 1801 - Maschinen aus England, auch der Betriebsleiter, John Thornton. Pottendorfer Fabrik arbeitete flir den Markt. Beschäftigte 1811 1800 Menschen.

"Aus einer Nebenbeschäftigung der Landbewohner entstand so durch die Maschinen eine modeme Fabriksindustrie mit einem zahlreichen Betriebspersonal in eigenen Fabriksgebäuden." (Slokar) Im niederösterreichischen Industrieviertel wurde die Baumwollspinnerei der größte Industriezweig - in 38 größeren Fabriken im Vormärz fast 8000 Arbeiter. Modeme Fabrikarbeiterschaft entsteht tauf dem Land, nicht in der Stadt: Volkszählung 1857 - in Wien etwa 24.000 Fabrikanten und Gewerbsleute

knapp 28.000 Hilfsarbeiter beim Gewerbe übriges Niederösterreich fast 34.000 Unternehmer

73.000 Arbeiter b) Agrarrevolution, Industrielle Revolution und die Agrarisierung der "Industriebauern"

Erhöhung der landwirtschaftlichen Erträge primär durch Steigerung des Arbeitseinsatzes ­Einbeziehung des Brachfeldes der Dreifelderwirtschaft in die regelmäßige Bestellung erhöhte Ernte- und Drescharbeiten um ein Drittel. Kleebau und Sommerstallflitterung, Pflanzen wie Kartoffel oder Futterrüben erhöhten den Arbeitsaufwand pro Hektar um drei bis flinf Arbeitstage pro Jahr. Im Vormärz mehr Gesindearbeitskräfte !

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Seit Beginn wachsenden Zentralisierung der Produktion in neuartigen Fabriken mit vermehrtem Maschineneinsatz Rückgang der verlegten Arbeit - . Verlust von gewerblichen Arbeitsmöglichkeiten für die ländlichen Unterschichten!

Durchschnittliche Zahl von Personen über 14 Jahren pro Hausgemeinschaft und Besitzgröße in der Pfarre Raab

Bauern mit Grundbesitz von 1816 1834 1860

über 40 Joch 8,45 8,91 10,39

30-39 Joch 6,72 6,96 7,69

20-29 Joch 6,53 6,63 7,04

10-19 Joch 6,35 5,57 4,97

unter 10 Joch 4,29 3,95 4,14

Häusler 3,48 3 2,39

Auch Bauernkinder blieben länger im Haus - Ansteigen des Durchschnittsalters aller Hausbewohner.

Tabelle 8b: Anteil von Hausherren und Hausfrauen an der Bevölkerung ländlicher Pfarrgemeinden Nieder- und OberöstelTeichs

Maria Gleink Andrichsfu I St. Burg-Langegg rt Margareth schleinitz

en a.d. Sierning

1788 34,00% I

1798 35,00% 1799 30,00% 1802 40,90% 1808 3400% 1807 30,70% 1810 35,60% 1818 33,00% 1818 26,60% 1813 30,30% 1822 37,80% 1828 30,00% 1828 2570% 1823 27,40% 1831 32,10% 1839 34,30% 1840 30,00% 1840 26,20% 1833 26,40% 1848 24,00% 1842 23)0% 1851 29,50% 1856 30,00% 1856 28,20% 1853 23,00%

1863 22,70% 1875 31,00%

Längere Verweildauer von Kindern und Dienstboten im Hause ist Ausdruck der stark verminderten Heiratschancen. Fördert den bäuerlichen Patriarchalismus! Bauer (Keinhäusler, Inmann) zum spezialisierten Landwirt. Beginn der ökonomischen Ausdünnung, ja Verarmung des "Landes". Agrarisierungsvorgang beginnt mit Einführung von Spinnmaschinen, ab 1801. Für Baumwollindustrie spannen um 1800 in Niederästerreich etwa 100.000 Menschen (meist Frauen und Kinder), 1810 nur mehr 10.000.

IV. Die Ereignisse von 1848 und die Gesellschaft der Monarchie bis 1918

1. Die Ereignisse von 1848

22. Febr: Ausnahmezustand in Mailand 3. März: Rede Kossuths im ungar. Reichstag

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(Preßburg/Pozsony/Bratislava) 11. März: Wenzelsbadversammlung in Prag 13. März: Petition in Wien - Rücktritt Metternichs 15. März: Kaiserliches Verfassungsversprechen, verantwortliches

Ministerium, Pressefreiheit 17. März: Revolution in Venedig - 18. März Revolution in Mailand 24. März: Krieg Sardiniens gg. Österreich 21. März: Ministerium in Wien (Regierung Ko1owrat - Pillersdorft) 29. März: Wenzelsbadausschuß in Prag fordert Autonomie f. d.

böhmischen Länder 7. April eigene ungarische Regierung (MP Lajos Batthyani) 8. April: "Böhmische Charte" - Verfassung fUr Böhmen (= heutige

Tschechische Republik) von Kaiser Ferdinand (als böhmischer König Ferdinand V.) bewilligt

11. April: ScWuß des Pressburger Landtages, Verfassung fur Ungarn von Kaiser Ferdinand I. (als ungar. König Ferdinand V.) genehmigt. Absagebrief Pa1ackys nach Frankfurt

26. April: Pillersdorfsche Verfassung (Zweikanunersystem, Zensuswahlrecht, volles kaiserliches Vetorecht)

Ende ApriVAnfang Mai Wahlen in die Frankfurter Nationalversammlung (115 Abgeordnete) ­Boykott der Tschechen

4. Mai: PillersdorffMinisterpräsident 15. Mai: "Sturmpetition" gegen Wahlordnung vom 9. Mai,

Rücknahme der Verfassung, Zusicherung einer Konstituante, allg. u. verhältnismäßig gleiches Wahlrecht

17. Mai: Hof nach Innsbruck, Beginn der Aufspaltung der Revolution

18. Mai: Eröffnung des Frankfurter Reichstages 26. Mai: Barrikadenkämpfe in Wien, Sicherheitsausschuß. 12. - 16.Juni: Pfingstaufstand in Prag Juni - Juli: Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung

("konstituierender Reichstag") 18. Juli: Regierung Wessenberg - Doblhoff 22. Juli: Eröffnung des konstituierenden Reichstages 25. Juli: Antrag Kudlich; Radetzky siegt bei Custozza 6. August: Radetzky wieder in Mailand 23. August: Demonstrationen in Wien - Spaltung zwischen Bürgern

und Arbeitern ("Praterschlacht") 7. September: Grundentlastungsgesetz sanktioniert 11.September: Jelacic marschiert in Ungarn ein 28.September: Ermordung des neuen Oberkommandierenden Graf

Lamberg in Pest 3. Oktober: Jelacic zum kaiserlichen Kommissär fur Ungarn ernannt,

Ausnahmezustand 6. Oktober: Uruuhen in Wien, Ermordung des Kriegsministers Latour

Sturm auf Zeughaus in Wien, 7. Oktober Hof nach Olmütz/Olomouc Oktober: Ungar. Reichstag überträgt Verteidigungsausschuß

(Kossuth) alle eJl.ekutiven Vollmachten 23.0ktober: Beginn des Kampfes um Wien 31.0ktober: Eroberung Wiens durch Windisch-Graetz 21.November: Neue Regierung Schwarzenberg 22. November: Wiedereröffnung des Reichstages in Krernsier 27. November: Schwarzenberg lehnt Forderungen des Frankfurter

Parlamentes ab 2. Dezember: Abdankung K. Ferdinands, Thronbesteigung durch Franz

Joseph Jänner 1849: Verfassungsausschuß tagt in Krernsier/Kromeriz

31

7.März: Auflösung des Reichstages, Publikation einer (oktroyierten) Verfassung, Gemeindegesetz, Grundentlastungsgesetz

21./23. März: Radetzky siegt bei Mortara und Novara, Friede m. Sardinien

14. April: Ungar. Reichstag in Debreczen erklärt Ungarn zur Republik - Thronverlust des Hauses Habsburg

28. April Friedrich Wilhelm IV. von Preußen lehnte Kaiserkrone aus der Hand des Frankfurter Reichstages ab.

April 1849: Österreichische Abgeordnete aus Frankfurt zwiickberufen.

seit Mai: russische Hilfe für die Kaiserlichen in Ungarn 13. August: Kapitulation von Vilagos 22. August: Kapitulation Venedigs 27. September: Kapitulation von Komorn (Komarno, Komarom) 6.- Oktober: Himichtung von 13 ungarischen Generälen und des

ungar. Ministerpräsidenten Batthyani in Arad 1. Oktober 1850: Zollgrenze zwischen Österreich und Ungarn rallt

2. Glanz und Ende des Neoabsolutismus

Ende des Feudalismus - Finalisierung von Staatsbildung und Bürokratisierung: Bezirkshauptmannschaften Bezirksgerichte (1850 bis 1867 in "gemischten Bezirksämtern" vereinigt), lösten die

alten Ämter der Grundherrschaften und die Kreisämter ab. Ständiger bewaffneter Arm auf dem Lande - die Gendarmerie.

Gemeindeselbstverwaltung (prov. Gemeindegesetz 1849) Neoabsolutismus - Vollendung der (staats-)bürgerlichen Gesellschaft Gewerberecht von 1859 - weitgehende Gewerbefreiheit Gymnasial- und Hochschulreform des Grafen Leo Thun:

Verlagerung der philosophischen Propädeutik an die Mittelschule - achtklassige Gymnasium mit Fachlehrersystem Universitäten: Beginn der Lehrfreiheit Daneben rigorose Unterdrückung nationaler und sozialer Bestrebungen. Finanzproblem Österreichs - Verschärfung durch große Stände bei Heer und Polizei Oberitalien und Ungarn Krimkrieg: gegenüber Rußland unfreundliche Neutralität, Besetzung der beiden rumänischen Fürstentümer (1854 - 1856). Dauerhafte Verstimmung Russlands. Neue Belastung der Finanzen. Napoleon IH. unterstützte Sardinien-Piemont gegen Österreich und provoziert 1859 Krieg ­Niederlage von Solferino wird Anfang vom Ende des Neoabsolutismus.

3. Gesellsc'haft in der Habsburgermonarchie 1860 -1918

a) Die Bevölkerung

Bevölkerungsentwicklung 1857-1910 (in Millionen Menschen)

I I 18571 1869 1880 1890 1900 1910

37,8 I 35,9 39 42,8 45,4 49,6

Österreichisch-Ungarische Monarchie

- -

32

18,6 -

20,4 1 22,1 23,9 26,2 28,6 "Zisleithanien"

13,8 15,5 15,7 17,5 16,8 18,3 Ungarn

4,1 4,5 5 5,4 6 6,6 Gebiet der Republik Österreich

Ab 1875 - "demographischer Übergang": Bis dahin hohe Geburten- und hohe Sterbeziffem, demographische Katastrophen, Hungersnöte und Seuchenzüge Cholera: 1848 145.000 Tote, 1866220.000, 1873436.000. Urbanisierung: Bevölkerungswachstum getragen von Mittel- und Großstädten sowie industriellen Ballungszentren. Wien: um 1850 mehr als 430.000 Einwohner

1869 632.000 1880 726.000 1890 1,36 Millionen 1900 1,67 1910 2,03 Millionen.

Graz 1840 etwa 45.000 Menschen, 1910 fast 152.000

b) Berufstätigkeit Anteil der Land- und Forstwirtschaft an der Bevölkerung:

Österreich- Ungarn Zisleithanien darin: österr. darin: Böhmen, Mähren, SchI< Ungarn Alpenländer

1890 63 % 71% 56% 45% 43%

1900 60% 66% 52% 39% 38% 1910 55% 62% 48% 35% 34%

Anteil von Industrie und Gewerbe an der Bevölkerung

Österreich- Ungarn Zisleithanien darin: österr. darin: Böhmen, Mähren, SchI<

Ungarn Alpenländer

1890 20% 13% 25% 30% 38%

1900 21% 15% 26% 31,5% 39,5%

1910 23% 18% 28% 33% 41%

Soziale Positionen der Berufstätigen 1910

Mit-helfende Arbeiter Ange- l Tag-löhner ZaW d. BelUfstätigenSelb­ständige stellte in 1000

16.026% 31% 4% 5% 5% 3.8.

Zis leithanien 34%

Österr. Alpenländer 24% 18% 46% 7% 5% 1.6Niederösterreich (ink!. Wien) 22% 10% 53% 10%

Österr. Alpenländer = Kronländer Ober- und Niederösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg in den

Grenzen bis 1918

33

Berufspositionen 1910

Kronländer Ober- Niederästerreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg in Grenzen bis 1918

ISektor I Selb-ständige Mit-helfende Angestel1te I Arbeiter I Tag-löhner Summe Beamte

Land- und 499.091 627.539 4.543 477.656 130.619 1,739.448 Forstwirtschaft Verteilung im Sektor 29% 36% 27% 8% 100% Anteil an der 54% 91% 2% 28% 69% 45%* Berufsposition

I I ,

Bergbau, Industrie und 207.370 18.141 48.536, 888.365 1 39.905 1 1,199.317 Gewerbe

Verteilung im Sektor 17% 2% 4% 74% 3% 100% Anteil an der 22% 3% 19% 50% 20% 31%* Berufsposition Dienstleistung 221.805 38.260 200.628 402.953 20.447 884093

Verteilung im Sektor 25% 4% 23% 46% 2% 100% ~

Anteil an der 24% 6% 79% 22% 11% 23%* Berufsposition

I I Summe I 928.266 683.940 1,768.974 187.971 3,822.858 Anteil an den 24% 18% 46% 5% 100% Berufstätigen

*Anteil an den Berufstätigen

Landwirtschaftliche Betriebsstrukturen nach dominierender Arbeitsorganisation

1902 in %

Familien-betriebe Betriebe nur mit Betriebe nur mit ständigen Saison-arbeitern Arbeitern

Niederästerreich 64 9 27

Oberästerreich 58 2 40

Salzburg 53 3 44

Steiermark 62 6. 32 44,Kärnten 49 7

9 18Tirol 73 Vorarlberg 69 17 14

7 29Österreich* 64

zum Vergleich: NW-Länder I(Böhmen, Mähren, Schlesien) 77 5

NO-Länder I(Galizien, Bukowini) 86 4 10

Südländer 16 8I(Krain, Küstenland Dalmatien) 76 6 16Zisleithanien 78

*"Österreich" = Summe der oben genannten Länder in den Grenzen bis 1918

18

34

c) Organisationsbildung in Gewerbe und Industrie aa) Organisationsbildung im Kleingewerbe Zechen oder "Innungen" (von "Einung") - 1859 gewerbliche "Genossenschaften" Ab 1873 Handwerkerbewegung ("Gewerbetagsbewegung"). 1. Gewerbeordnungsnovelle 1883: Genossenschaften im Kleingewerbe mit verpflichtender Mitgliedschaft. Arbeiter - eigene Gehilfenverbände Bis 1894 in ganz Zisleithanien 5.317 gewerbliche Genossenschaften 1894: 60 % der Genossenschaften hatten Gehilfenorganisationen eingerichtet

1873: Gesetz über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften - erleichterte Zusammenschluss von Kleinproduzenten - Suche nach "drittem Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus

1873 - 142 Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 1890 fast 1.500 Kreditgenossenschaften 1908 etwa 3.000 (Zisleithanien).

Konstituierung der Gewerbetreibenden als Prozess der K.Iassenbildung Kleingewerbetreibende - sehen sich eher als "Stand" - "Mittelstand".

bb) Großindustrielle Branchen und Regionen Gewerbliche Betriebszählung von 1902 : in Zisleithanien 41 % der Arbeiter in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten in den österreichischen Alpenländern 44 %. Großbetriebliche Branchen: Hüttenindustrie (98 %),

chemische Industrie (67 %), Erzeugung von Licht- und Kraftstrom 67 %), Baugewerbe (66 %), graphische Gewerbe (63 %) Maschinenindustrie (60 %)

Großbetriebliche Arbeiterschaft konzentriert im Osten des heutigen Österreich: Betriebe mit mehr als 300 Beschäftigten:

56 % in Niederösterreich (inc!. Wien), 25 % in der Steiermark. Steiermark: Gründung der Österreichisch-Alpinen Montan-Gesellschaft 1881 Kapfenberg: erster Großbetrieb zur Erzeugung von Edelstahl (Böhier), 1914 bereits 3000 Arbeiter Waffenproduktion: Wemdl in Steyr - 1873 5000 Beschäftigte Lokomotiven- und Waggonbau - Wiener Neustadt, Wien, Linz Elektroindustrie: Siemens- Schuckert in Wien - um 1900 mehr als 2000 Arbeiter/-innen. In Wien 1902 acht Betriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten - Maschinenbau, Elektroindustrie, Rüstung (im Arsenal), Tabakfabrik in Ottakring, Staatsdruckerei, Manner. Wiener Neustadt - Automobilindustrie: 1900 erste Serie von Daimler-Automobilen, 1908 schon 1200 Arbeiter tätig.

cc) Die Industriearbeiter - Qualifikation und soziales Bewußtsein Gesellenvereine, Arbeitervereine und Gewerkschaften: Unterstützungsvereine - Unterstützungsverein der Wiener Buchdrucker 1842 Alle Organisationen der Arbeiterschaft (insbesondere die 1848 gegründeten Arbeitervereine) nach 1848 aufgelöst. Einzige Form der Arbeitervereinigungen - katholische Gesellenvereine nach dem Muster Adolf Kolpings.

35

Ab 1861 neuerdings freie Vereinigungen der Arbeiter - knüpften oft an ältere Gesellen­Bruderladen an. Wiener Arbeiterbildungsverein - Dezember 1867 - erster branchenübergreifender Arbeiterverein - 3000 Arbeiter traten bei

Juni 1868 5.500 1870 35.000 Mitglieder.

1869 : Arbeiterbildungsvereine in Wien, Wiener Neustadt, Korneuburg, Neunkirchen, St. pöHen. 1870 Koalitionsrecht - wichtige Voraussetzung fur die Durchfuhrung von Arbeitskärnpfen. Tragende Gruppen: Arbeiter von Großbetrieben, vorab der Eisenbahnwerkstätten, Lokomotiv­und Maschinenfabriken. Arbeitserfahrung im Großbetrieb - Disziplinierte Massendemonstrationen Anklage wegen Hochverrates (1870) Ökonomische Depression ab 1873: 1879 im heutigen Österreich nur mehr 43 Gewerkschaftsvereine. 1880er Jahre - individuelle Terroraktionen (Anarchismus) - 1884 Verhängung des Ausnahmezustandes - Handhabe zu verschärfter Verfolgung. Ende der achtziger Jahre - Neubildung der gewerkschaftlichen Organisation. Sozialdemokratischer Einigungsparteitag in Hainfeld 1888/89 1893 - erster gesamtösterreichischer Gewerkschaftstag - Errichtung einer zentralen Reichsgewerkschaftskommission

1908 - ca. 447.000 sozialdemokratisch ca. 84.000 christlich organisierte Arbeiter

Organisationsgrad - in Wien 40 % 1906 Niederösterreich 27 % 1907 auf (nur sozialdemokratische Organisationen!).

Nach Branchen - Rangordnung 1907: graphische Gewerbe 94 % der Arbeiter organisiert Papierbranche und der Lederindustrie 37 %, chemische Industrie 36 %, Baugewerbe 29 %, Metallverarbeitung und Maschinenindustrie 28 %, Textilindustrie 14% Bekleidungsbranche 8 %.

Konsumgenossenschaften: erster Konsumverein 1864 im niederösterreichischen Teesdorf. 1873 540 Konsumvereine 1900 in Zisleithanien 742 1913 1.469 1900 Zentralverband österreichischer Konsumvereine, 1905 die

"Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Konsumvereine" (GÖC) gegründet.

d) Faktoren der Nationsbildung

Nationalitäten (Sprachgruppen) der Habsburgermonarchie einschließlich Bosnien 1910:

Österreich-Ungarn Österreich Ungarn in 1000 in % in 1000

in % in 1000 in %

Deutsche 12.000 24 9.950 35 2.040 10

Magyaren Tschechen

10.100 6.500

20 13

---­6.500 23

10.100 48

polen Ruthenen

5.000 4.000

10 8

5.000 3.500

18 13 500 2

--------------------------------------------------------------

36

Rumänen 3.200 6 275 1 2.900 14 Kroaten 2.600 5 780 3 1.800 9 Slowaken 1. 900 4 1.900 9 Serben 1.900 4 1.100 6 Slowenen 1.300 3 1.300 4 Italiener 1.000 2 770 3 230 1 Muslime 650 1

Gesamt 51. 400 100 28.000 100 20.600 100

Bosnien - Herzegowina 1,9 Mio EW., davon Kroaten 400.000 21 % Serben 850.000 45 % Muslime 650.000 34 %

Regionale Verteilung der Nationalitäten nach Kronländern 1910:

1) Österreichische Reichshälfte ("Zisleithanien"): in 1000 in% D Tsch. Po Rt Sl S/K It. Ru

Niederösterreich 3.500 95 4 (incl.Wien)

Oberösterreich 853 100 Salzburg 215 100 Steier.mark 1.444 71 Kärnten 396 79 Tirol 947 57 Vorarlberg 145 95 Krain 526 5 Küstenland (Triest 250 6

Görz 261 2 Istrien) 404 3

Dalmatien 646 1 Böhmen 6.770 37 63 Mähren 2.622 27 72 1 Schlesien 757 44 24 32 Galizien 8.026 1 - 59 40 Bukowina 800 21 - 5 38 - - - 4**) *) incl. Ladiner (Tirol) bzw. Friauler (Görz) **) Rest Magyaren

2) Ungarn: Königreich Ungarn (incl. Fiume und siebenbürgen): 18.300 (in 1000), davon in %

Magyarisch Deutsch Slowake Rumän. Ruthen. Kroat. Serbe 55 10 11 16 3 1 3

Kroatien - Slawonien: Magyar. Deutsch Kroat. Serbe 2.622 (in 1000, davon in %) 4 5 63 25

Sprachnationalismus: Kollektive Identitätsbildung auf der Basis einer gemeinsamen Schriftsprache und

der Vorstellung, die gemeinsame Sprache bedeute Gemeinsamkeit der Abstammung, der Kultur, der Geschichte.

aa) Phasen der Nationsbildung der Sprach-Nationen: 1. Phase: Das gelehrte Interesse

Hintergrund: .. Alphabetisierungsbemühungen des Refonnabsolutismus ... Opposition gegen Wien .. Der Einfluss Herders und der Romantik

--- ---

---

- -

37

Erscheinungsfonnen: Lexika, Grammatiken, verstärkte Schriftlichkeit in der jeweiligen Sprache, Theaterstücke usw.

Trägerschicht: Wissenschaftler, insbes. Historiker, Sprachforscher Förderer: Die jeweiligen Stände!

2. Phase: Agitation durch nationale Eliten Hintergrund: Konfrontation mit der Französischen Revolution, bei den slaw.

Völkern auch nicht unbedeutend: Konfrontation mit russischen Truppen, Erscheinungsfonnen: Umfangreiche historische, sprachwissenschaftliche usw.

Arbeiten, große Zeit der nationalen Dichtung, Gründung von Vereinen und Zeitschriften Trägerschicht: Wissenschaftler, Professoren, Lehrer, Geistliche, immer noch

Förderung durch die jeweiligen Stände! 3. Phase: Nationale Massenbewegung

Hintergrund: Revolution von 1848, rascher sozialer Wandel, Wahlrecht ... Erscheinungsfonnen: Massenversammlungen, politische Parteien, Kampfum

das Recht auf Benützung der eigenen Sprache in Unterricht und Verwaltung, Kampf um nationale Autonomie bzw. Selbständigkeit usw.

Trägerschicht: breite nationale, bürgerliche aber z. T. auch schon ländliche Eliten.

bb) Nationsbildung und Berufsstruktur:-'r-- ­ 190O

o".mt- 1Uo"dw. ' "'w"b~' ~o;;;;m.: - L"dw 1Oow"bo, bevölkerung Handel und Gewer-be bevölkerung Handel und

__ I ...... Verk~~ __....J. __ _ Verkehr deutsch 24,90 15,49 40,62 41,38 24,24 14,59t 37,33-ungarisch 19,28 1 19,68: 16,391 15;42-1 __~Q,_~4 -2~,21 _ 19,19

tschechisch 13,08\ 9,49 20,291 22,17 13,01 9,05 19,42 slowakisch 4,451 5 45 2,68 j ~ 3,98 ._5:0.21 = J..,f serbisch- 7,571 10,84 2,42 2,33 7,53 11,11 2,73

- Ikroatisch ------~ - - ­

i slowenisch 2,62 3,33 I,.?-!. 1,64 . -;;-r- 1,72'b 3,1

­~olnisch ~i:311 10,3' 8 12 6,34 LQ,.04 _ 10,9 9,17- 1

I ukrainisch 839 i 13,161 I 18 1 807 13,3· I,I~

rumänisch 6,67J -----2Ji. 1,45 -'iö,'17l ~ .1.,561,29 62l­I italienisch 1,59 i 1,~5 1,951 -1-,7~: ==- 1,55 l,l4._ 1,83=t== -Isonstige 2,14 T 1,01 3,55 3,45 2,18 1,14 3,42- ' r- ­

100: --1001 1001 -lööT-- 1001 100 100rÖsterrclch- -1 Ungarn deutsch in 20,2 1 11,37 1 35,2\ '35,681 20,121 10,91 32,59

Österreich---- 4,121 3,691 4,74deutsch in 4,7 4,12 5,42 1 5,71

,Ungarn serb,-kroat. in 1,561 2,291 0,441 6,331 1,581 2,421 0,47

Österreichserbisch in 2,31 13,39 1 0,541 0,521 2,241 3,391 0,67

Ungarn 3,7 5,16-- 1,44T 1,481 3,711 5,31 1,59kroatisch in

Unga.!E­ -ukrainisch in 7,44T -li ,73+ 1,04 r -0,851 7,111 11,76

Österreich ~--

ukrainisch in - 0,95 1,43

-0,14I 0,15 0,96 • 1,54 0,15

Ungi\rn _ -, 0,10,5 0,08 0,06rumänisch in 0,77 0,56\ 0,881

IÖsterrei~h

9,29 1 1,46rumänisch in 6,17 9,13 1,211 1,39 5,9~

Ungarn - ­

38

Stark überdurchschnittliche Agraranteile bei den Sprachgruppen Serbokroatisch, Slowenisch, Ukrainisch und Rumänisch, leicht überdurchschnittliche bei Slowakisch mnd Polnisch, fast gleich mit dem Gesamtbevölkerungsanteillag der Agraranteil an der Gesamtbevölkerung bei Ungarisch (19,3 und 19,7 %). Gesellschaftsstruktur nach Regionen: Bevölkerung in der HabsburgelTI10narchie nach Sektoren

I rr Irr 1869 (Erwerbstätige) 71 % 13 % 16 % 1890 63 % 20 % 17 % 1910 55 % 23 % 22 %

Böhmische Länder-Industrialisierung und landwirtschaftliche Modernisierung - Entfaltung des tertiären Sektors Bevölkerung nach Sektoren

I rr Irr 1890 49 % 33 % 18 % 1910 39 % 35 % 26%

Österreichische Alpenländer - langsame Industrialisierung bei teilweiser Stagnation des Agrarsektors und rascher Entwicklung des tertiären Sektors Bevölkerung nach Sektoren

I rr Irr 1890 51 % 26 % 23 % 1910 39 % 27 % 34%

Ungarn - Agrarland in rascher Industrialisierung, wenigstens im Zentrum Bevölkerung nach Sektoren

I rr Irr 1869 75 % 13% 12 % 1910 62 % 26 % 12 %

Galizien: Rasches Bevölkerungswachstum bei ungenügender Entfaltung einer regionalen Industrie - Peripherie und nationale Spaltung Bevölkerung nach Sektoren

I rr IrI 1890 84% 6% 10% 1910 79 % 7 % 14 %

Kroatien: Südliche Peripherie Bevölkerung nach Sektoren

I rr Irr 1890 84,6 % 8 % 7,4% 1910 78,8 % 9,7 % 11,5%

Sektorenanteile der Menschen mit ... Umgangssprache 1910: I II III

Tschechisch 38,5 % 37,1 24,4

Slowenisch 67,6 15 17,4

Ukrainisch 91,2 2,7 6,1

39

Sozialtypen nach Sprachgruppen 1910:

auf 1000 Erwerbstätige entfallen

der Sprachgruppe Deutsch

Selbst. 342

Angest. 60

Arbeiter Taglöhner 422 47

Mith.F. 130

Tschechisch 362 35 427 55 157 Polnisch 351 28 172 57 391 Ukrainisch 331 6 77 59 527 Slowenisch 348 15 218 53 366 Serbo-kroat. 310 12 79 14 585 Italienisch 380 48 243 58 270 Rumänisch 317 13 81 205 385 Ungarisch 303 8 48 112 528

Durchschnitt 338 39 311 53 259

Schulvereine, Turnvereine, Wirtschaftsvereine bildeten ein immer dichter werdendes Netz der binnennationale Kommunikation. Vereine wurden Träger der nationalen Auseinandersetzungen

e) Das politische System der Monarchie

aa) Verfassungsentwicklung ab 1860: "Oktoberdiplom" vom 22. 10. 1860 - oktroyierte Verfassungsurkunde "beständiges und unwidenufliches Staatsgrundgesetz" ,zentrales Parlament: "Reichsrat" mit 100 Mitgliedern, nur ein Teil gewählt, - vor allem für Beschlußfassung und Kontrolle über das Staatsbudget. "Februarverfassung" (Staatsminister Anton R. v. Schmerling) - als

Durchführungsverordnung des Oktoberdiploms bezeichnet - beabsichtigte das Gegenteil! "Engerer" Reichsrat (ohne Ungarn) und "weiterer" (mit Ungarn). Reichsrat hatte deutlich mehr Kompetenzen als der des Oktoberdiploms:

weiterer Reichsrat primär für Finanzfragen, Militärvorlagen und gesamtstaatlich wichtigen Wirtschaftsmaterien (Zölle, Post, Bankwesen, Handelsverträge) zuständig "engerer" für alle Sachbereiche, die nicht den Ländern vorbehalten waren.

Abgeordnetenhaus des Reichsrates am 29. April 1861 eröffnet. Zwei Häuser des RR:

Oberhaus, das "Herrenhaus" mit erblichen und auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern. (u.a. Franz Grillparzer und der berühmte tschechische Historiker und Politiker Franti!:;ek Palacky) Abgeordnetenhaus 343 von den Landtagen entsandte Mitglieder. Landtage durch Kurien- und Zensuswahlrecht (s.u.!) elitär zusammengesetzt - konservative Korrektur des liberal dominierten Zeitgeistes.

Parlamentarische Rechte des Reichsrates. Wichtigstes Recht: Beim Budget war die "Bewilligung" des Parlaments erforderlich (17. 12. 1861 - erste Budgetrede eines österr. Finanzministers)

40

"Dezemberverfassung 1867": Nach Niederlage von Königgrätz 1866 - Ausgleich" mit Ungarn und "Dezemberverfassung" 1867. Ausgleich: zwei konstitutionelle Monarchien sowie - nach außen - gemeinsamer staatlicher Mantel für beide Teilstaaten ( "Reichshälften")

Franz Joseph als Kaiser von Ö und König von U Gern. Minister: Äußeres, Krieg, gern. Finanzen

"Zisleithanien" Ungarn Österr. MP u. Regierung Ungar. MP u. Regierung Österr. Staatsverwaltung Ungar. Staatsverwaltung

Organisiert in: Statthaltereien und Komitaten

Bezirkshauptmannschaften Österr. "Reichsrat" Ungar. Parlament

Gemeinsame "Delegationen" beider Parlamente zur Beratung und Beschlußfassung der Budgets für die gemeinsamen Ministerien

Autonome 16 österr. "Kronländer" autonomes Königreich Kroatien und Slawonien

Weitere Gemeinsamkeit: Zoll- und Handelsbündnis, Währungsunion (alle zelm Jahre zu erneuern - "Monarchie auf Kündigung"). Österr. "Dezemberverfassung" erstmals in der österreichischen Geschichte nicht oktroyiert, sondern in wesentlichen Teilen Produkt der gesetzgebenden Tätigkeit des Reichsrates! Besteht aus: fünf Staatsgrundgesetzen, die gemeinsam mit Pragmatischer Sanktion, Oktoberdiplom und Februarpatent die Verfassung darstellen. Staatsgrundgesetze von 1867 :

über die Rechte der Staatsbürger (der bis heute im Kern in Kraft stehende österreichische Grundrechtskatalog!),

über die Einsetzung eines Reichsgerichtes über die richterliche Gewalt über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt (mit der Verankerung der Ministerverantwortlichkeit) über die Abänderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom 26.2. 1861

bb) Gesetzgeberische Arbeit des österreichischen Parlamentes: Ua. Kirchengesetzgebung, Reichsvolksschulgesetz von 1869, Wehrgesetz. Konservativ-föderalistische Regierung Hohenwart - Schäffle (1871): Versuch eines Ausgleichs mit Böhmen. Gescheitert.

cc) Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und das Wahlrecht Zusammensetzung: Verteilung der Reichsratsabgeordneten auf Länder und Kurien 1861

Ges. VG HGK St LG HGKlSt VGI HGKlSt SI! LG VGIStl LG

Böhmen 54 15 4 16 19 Galizien 38 13 1 6 18 Mähren 22 6 1 8 7 NÖ 18 5 1 7 5 Stmk 13 3 1 4 5 OÖ 10 2 1 3 4 Tirol 10 3 5 2

Schlesien 6 2 1 2 1 Krain 6 1 3 2

Bukowina 5 2 2 I

Dalmatien 5 I 3 1

Kärnten Salzburg

5 3

I 2 2 1 2

Istrien 2 Görz 2

41

Triest 2 2 Vorarlberg 2 I I

203 54 9 47 76 10 3 2 2

Ges.: Gesamtzahl der Abgeordneten VG: Virilisten und Abg. des Großgrundbesitzes HGK: Abg. d. Handels- und Gewerbekammem St: Abg. d. Städte LG: Abg. d. Landgemeinden HGKlSt: Abgeordnete, entsandt gemeinsam von Handels- und Gewerbekammern und Städten VG/ HGKlSt: Abg., entsandt gemeinsam von Virilisten, Großgrundbesitz, Handelskammern und Städten Stl LG: Abg., entsandt gemeinsam von Städten und Landgemeinden VG/StlLG: Abg., entsandt gemeinsam von Virilisten, Großgrundbesitz, Städten und Landgemeinden.

Wahlrechtsreform 1873: Abgeordnete zum Reichsrat ab jetzt direkt gewählt. Verteilung der Abgeordneten auf einzelne Nationalitäten 1873 - 1901

1873 1879 1885 1891 1897 1901 Italiener 21 16 16 15 19 19 Serben/Kroaten 5 10 10 8 12 II Slowenen 8 13 14 16 17 16 Deutsche 212 184 172 170 202 204 Tschechen 43 63 73 74 87 87 Polen 44 58 57 58 72 73 Ruthenen 15 4 5 8 11 10 Rumänen 5 5 6 4 5 5

Die Verteilung der Abgeordnetenmandate auf die Nationalitäten 1901 und 1907

Umgangssprache n. Reichsratswahlen 1901. Reichsratswahlen 1907, d. Volkszählung Mandate % Mandate % 1900 in %

Deutsch 35,8 205 48,2 % 233 45,2 % Tschechisch 23,2 87 20,5 107 20,7 Polnisch 16,6 72 16,9 82 15,9 Ukrainisch 13,2 10 2,4 33 6,4 Slowenisch 4,6 15 3,5 24 4,6 Kroat. u. Serb. 2,8 12 2,8 13 2,5 Italienisch 2,8 19 4,5 19 3,7 Rumänisch 0,9 5 1,2 5 1,0

100 425 100 516 100

Soziale Zusammensetzung: Versammlung von Haus- und Grundbesitzern. 1867: von 203 Abgeordneten 66 Grund- und Realitätenbesitzer, 39 Beamte, 33 Advokaten und Notare, 19 Kaufleute und Industrielle, 13 Geistliche, acht Professoren und Lehrer, vier Ärzte, 2 Offiziere im Ruhestand, je ein Techniker und Schriftsteller.

Wahlrecht Landtage - Kurienwahlrecht. Meist drei Kurien:

die Kurie des Großgrundbesitzes (fehlte in Vorarlberg), die Kurie der Städte, Märkte und Handelskammern (in einigen Fällen bildeten die Handelskammern eigene Kurien) Kurie der Landgemeinden. Einige hlhaber kirchlicher und wissenschaftlicher Ämter (Bischöfe, Rektoren) als "Virilisten" kraft ihres Amtes Mitglieder der Landtage.

Innerhalb der Kurien Steuerzensus. In Städten, Märkten und Landgemeinden hing Landtagswahlrecht vom Gemeindewahlrecht ab. Landtagswahlrecht in etwa die oberen zwei Drittel der Steuerzahler der Gemeinde.

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Wahlreform MP Graf Kasimir Badeni 1896: Neben den vier Kurien (Handelskammern hatten seit 1868 eigene Kurie) nun eine fünfte Kurie (allgemeine Wählerklasse) mit 72 Mandaten. Alle erwachsenen Männer darin wahlberechtigt. 1906 - allgemeines und gleiches Männerwahlrecht. 516 Abgeordnete von allen volljährigen Männern gewählt, Mehrheitswahlrecht, Wahlbezirke national abgegrenzt.

Parteien und Fraktionen (Klubs): Liberale: Deutschliberale "Verfassungspartei" zerfiel in unterschiedliche Fraktionen. "Rechte" ("Hohenwart-Klub"), foderalistisch, der katholischen Kirche und den nichtdeutschen Nationen freundlicher gesinnt.

eordnetenhaus 1867, 1901 1867 1873 1879 1885 1891 1897 1901

"Linke", davon 112 214 169 (157) (Vereinigte) Deutsche Linke 91 132 110 78 Wiener Demokraten 5 2 3 FortschrittskJub 59 57 39 32 Liberale (1897: Freie deutsche. 93 11

Vereinigung) Verfassungstreuer Großgrundbesitz (1879: I 9 28 30

unabh. Verfassungspartei) Liberales Zentrum (Coronini) I 59 8 16 10 Deutschnationale (1897 u. 190 I: Deutsche 21 39 48

VP) Alldeutsche (Schönerianer) 4 5 22 Christlichsoziale 2 11 32 26

Mittelpartei (mähr. Großgrundbes.) 4 3 "Rechte", davon: 68 47 168 170

Rechtspartei, (Rechtes) Zentrum 27 55 34 55 7 (Hohenwart, umfasst meist Deutsche Klerikale, Slowenen, Kroaten, Rumänen)

Katholisch-Konservative I 15 Katholische (Deutsch-)konservative (1897: 11 5 15 30

Kath. Volkspartei, 1902 Zentrumsklub) Liechtenstein-Club 19 Föderalisten (Slawen) Slaw.-christl. Vereinigung (Slowenen, I 57

22 Kroaten, Ruthenen, Rumänen) Südslaw. Club, Slawisches Zentrum 28

Liberale Südslawen 6 Polenklub 44 58 58 57 59 57 Poln. Volkspartei Poln. Christlichsoziale

3 6

3 5

(Alt-) Tschechen Jungtschechen Mährer (1891 incl. Alttschechen Mähr.Volkspartei Italiener (Club italiano, 1890: Trentino) Italiener - liberal

*) *)

9

55

7

59 38 12

7

45

10

14

53

18

Italiener - klerikal 4 5

Ruthenen 15**) 4 7 7 10

Rumänen (bis 1897 bei Hohenwart) Internat. Sozialdemokraten

5 15

5 10

"Wilde" und Splittergruppen, umstrittene 12 8 5 15 23****)

Mandate usw. Abgeordnetenzahl I lRO 320***) 353 353 353 425 425

*) Die Tschechen Böhmens boykottierten den Reichsrat von 1863 bis 1879, daher wurde die offizielle Zahl von 203 Angeordneten bis 1873 nicht erreicht. **) Die Ruthenen stinunten häufig mit der deutschen Linken ***) 353 abzüglich der 33 nichtbesetzten tschechischen Sitze

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****) Tschechische Nationalsoziale, Tschechische Agrarier, Tschechische Klerikale, Polnische Soziale, Unabhängige

Modeme Massenparteien: sozialistische nationalistische christlich-sozialrefonnerisch-mittelständische Parteien.

Fraktionen im Abgeordnetenhaus nach dem Allgemeinen Wahlrecht , 1907 1911

Christlichsoziale (gern. m. Katholisch-Konservativen) 96 73 Sozialdemokraten (Nationale Klubs) 87 83 Deutscher Nationalverband *) 51 100 Deutschfortschrittliche 15 Deutschradikale 13 Alldeutsche (Schönerianer) 3 4 Tschechische Agrarier 30 36 Böhm . Klub (Jungtschechen) 25 16 Tschechische Klerikale 17 7 Tschech. National isten 11 16 Unabhängige Fortschrittliche Tschechen (Mähren) 7 Polenklub 55 70 Poln. Volkspartei 16 Ruthenenklub (1911: Ukrain. Verband) 25 28 SüdsJawen (Slowenen, Kroaten, Serben) 37 34 Italiener 14 16 Rumänen 5 5 Jüdischer Klub 4 "Wilde"

516 516 *) 1907 aus: Deutscher Volkspartei und Deutschen-Agrariern

1911 aus: Deutsche Volkspartei, Deutsche Agrarier, Deutschradikale, Deutschfortschrittliche

- Die Gesetzgebung Initiative meist bei der Regierung. Gesetz kommt nach übereinstimmenden Beschlüssen beider Häuser des Reichsrates nur durch die kaiserliche Sanktion zur Rechtswirksamkeit.

- Die Regierung - auch nach 1867 die Regierung des Kaisers! Die liberale Ara 1867 - 1879 Mehrheit des Abgeordneten- (aber auch des Herren-) hauses wie die Regierung deutsch­liberal-zentralistisch. Erste Regierung dieser Phase: sogenanntes "Bürgern1inisterium" unter Fürst Karl ('Carlos') Auersperg (1868/69) - ständigen Opposition der katholisch­konservativen Gruppierungen der Alpenländer (besonders der Tiroler) ebenso wie der meisten slawischen Gruppierungen (Slowenen, Kroaten, Ruthenen), wobei die Tschechen sich überhaupt weigerten, den Reichsrat zu beschicken. Wichtige Gesetze: Dezemberverfassung, Kirche-Schulgesetz 1868, Reichsvolksschulgesetz 1869, Verwaltungsgerichtshof. 1879 - 1893 (Ara Taaffe) Regierung stützt sich auf antiliberale Koalition von slawischen und alpenländisch­konservativen Abgeordneten stützte (der "Eiserne Ring"). Mehr föderalistisch und mehr agrarisch, in konfessioneller Hinsicht eher der katholischen Richtung zuneigend. Zugeständnisse an nichtdeutsche Nationen. Sozialgesetze: Erste und zweite Gewerbeordnungsnovelle 1883 und 1885, Gesetze über die gewerbliche Unfall-(1887) bzw. Krankenversicherung (1888). "Koalitionsregierung" Windisch-Grätz (1893 -1895) - "große Koalition" unter Einschluß der Deutsch-Liberalen. scheiterte an der "nationalen Frage"- "Post Cilli". Neue Zivilprozessordnung 1895, Steuerrefonn - progressive Einkommensteuer. 1895 -1918: Beamtenkabinette

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Franz Joseph wollte "starken" Ministerpräsidenten aus der Bürokratie (etwa Graf Kasimir Badeni, Statthalter von Galizien). Auch alle weiteren (österreichischen) Ministerpräsidenten waren Beamte.