Erste Hilfe für die Notfallausrüstung durch RFIDte-Hilfe-Koffer, bei dem im Be-Bild 1: Detektion...

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– 8 – Ingenieurspiegel 1 | 2013 Erste Hilfe für die Notfallausrüstung durch RFID Die explosionsartige Entwick- lung der Informations- und Kommunikationstechnologie, welche bei Passagieren und Fluggesellschaften künftig eine wichtige Schlüsselrolle einneh- men wird, beeinflusst aktuell den Betrieb und die Wartung der Kabine: Die bewegliche Ein- satzausrüstung des Flugzeugs, zu welcher auch die gesam- te Notfallausrüstung zählt, soll künftig über das Kabinenmana- gementsystem digital kommu- nizieren können! Erstmals möglich wird dies durch den Einsatz von so ge- nannten „RFID-Tags“. Das sind Funketiketten zur Radio Fre- quenz Identifikation (RFID), welche Daten kontaktlos sen- den und empfangen können, ohne dabei eine eigene Energie- versorgung zu benötigen. Da- mit können Ausrüstungsgegen- stände, die selbst über keine Elektronik verfügen, digital ver- netzt und in Prozesse eingebun- den werden. Der Einsatz von RFID-Tech- nologie kann bei der Ausrüs- tung des Flugzeugs zu einer Vereinfachung vorgeschriebe- ner Prozessabläufe, einer Ver- besserung des Sicherheitsni- veaus und zu einer vereinfach- ten Wartung mit verbesserter Dokumentation und verringer- ten Lebenszykluskosten bei- tragen. Die dazu verwendeten RFID-Tags sind passive Elek- tronikkomponenten von weni- gen Zentimetern Größe, welche aus einer Antenne und einem Mikrochip bestehen und auch als luftfahrttaugliche Bauteile erhältlich sind. Ein prominentes Beispiel für den Einsatz in der Kabine ist die RFID-basierte Detekti- on der unter den Sitzen instal- lierten Schwimmwesten. So- wohl beim vorgeschriebenen Preflight Check der Kabine, als auch im Rahmen der Wartung müssen diese regelmäßig über- prüft werden. Eine funkbasierte Detektion der Schwimmwesten mit einem RFID-Handlesegerät (Bild 1 links) vereinfacht diesen Prozess erheblich und erlaubt es, das Ergebnis direkt in digi- taler Form im Kabinenlogbuch des Flugzeugs zu protokollie- ren. Auch unter hohem Zeit- druck ist diese Kontrolle schnell und zuverlässig durchführbar, was an Bord jederzeit ein sehr hohes Sicherheitsniveau garan- tiert. Ein weiterer Gegenstand der Notfallausrüstung ist der Erste- Hilfe-Koffer (das sog. „First Aid Kit“, Bild 1 rechts). Dieser exis- tiert an Bord von Flugzeugen in unterschiedlichen Ausführun- gen. Aufgrund seines reichhal- tigen Inhalts und dessen spo- radischer Nutzung ist sein Un- terhalt beim Flugbetrieb ver- gleichsweise aufwändig, da sei- ne Verfügbarkeit und Haltbar- keit regelmäßig zu prüfen sind. Nach Benutzung oder im Rah- men der Wartung ergeben sich bei der Nach- oder Neubestü- ckung aufwändige logistische Prozesse und viele Dokumenta- tionsaufgaben. Mit Unterstützung durch RFID besteht im Fall des Erste-Hilfe- Koffers ein hohes Potenzial, so- wohl dessen Handhabung im Flugzeug als auch die Nutzung und Verwaltung seines Inhalts effizienter und einfacher zu ge- stalten. Zur Detektion des Kof- fers und zur Dokumentation beim Preflight Check kann wie- derum das in Bild 1 links gezeig- te, tragbare RFID-Lesegerät ge- nutzt werden. Dieses ist bei- spielsweise über ein WLAN in der Kabine mit dem Informati- onssystem des Flugzeugs ver- bunden, so dass alle Daten di- rekt im Kabinenlogbuch proto- kolliert werden können. Eben- so könnte auch der Inhalt des Erste-Hilfe-Koffers künftig mit RFID-Tags markiert sein, so dass nach dem Gebrauch eine einfache elektronische Inven- tur möglich ist und logistische und dokumentarische Prozesse gleichfalls unterstützt werden. In enger Kooperation mit der INNOVINT Aircraft Interior GmbH [1] und dem RFID-Labor der Hamburger Logistik Institut GmbH [2] untersucht das Insti- tut für Flugzeug-Kabinensyste- me an der Technischen Univer- sität Hamburg-Harburg Frage- stellungen zur RFID-Kennzeich- nung von beweglicher Einsatz- ausrüstung im Flugzeug. Einer- seits gilt es, Zulassungsanfor- derungen zu erfüllen [3, 4] und andererseits müssen techni- sche Lösungen für den praxist- auglichen Einsatz von RFID im Flugzeug erarbeitet werden. Ein wesentliches Leistungs- merkmal von RFID ist die Detek- tierbarkeit von gekennzeichne- ten Ausrüstungsgegenständen. Diese ist abhängig von den ver- wendeten Funkfrequenzen so- wie von der räumlichen Orien- tierung des RFID-gekennzeich- neten Gegenstandes zum Lese- gerät. Weiterhin wird sie durch die gesamte Kabinenumge- bung und durch den spezifi- schen Montageuntergrund des RFID-Tags beeinflusst. Durch die Wahl geeigneter RFID-Tags lässt sich das Gesamtsystem für das Flugzeug optimieren. Zur Charakterisierung des Systems kann messtechnisch die theo- retische Lesereichweite ermit- telt werden, welche die Detekti- onsempfindlichkeit bei idealen Umgebungsbedingungen wi- derspiegelt. In Bild 2 ist der für die Charakte- risierung genutzte Messaufbau gezeigt, der sich in einer Absor- berkammer befindet. Der Ers- te-Hilfe-Koffer, bei dem im Be- Bild 1: Detektion einer RFID-gekennzeichneten Schwimmweste mit einem Handlesegerät (links) und Erste-Hilfe-Koffer als Bestandteil der Notfallausrüstung von Flugzeugen (rechts) Bild 2: Charakterisierung eines mit RFID gekennzeichneten Erste-Hil- fe-Koffers in einer Absorberkammer nach ISO/IEC Normen [5-7] .

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Erste Hilfe für die Notfallausrüstung durch RFID

Die explosionsartige Entwick-lung der Informations- und Kommunikationstechnologie, welche bei Passagieren und Fluggesellschaften künftig eine wichtige Schlüsselrolle einneh-men wird, beeinfl usst aktuell den Betrieb und die Wartung der Kabine: Die bewegliche Ein-satzausrüstung des Flugzeugs, zu welcher auch die gesam-te Notfallausrüstung zählt, soll künftig über das Kabinenmana-gementsystem digital kommu-nizieren können!

Erstmals möglich wird dies durch den Einsatz von so ge-nannten „RFID-Tags“. Das sind Funketiketten zur Radio Fre-quenz Identifi kation (RFID), welche Daten kontaktlos sen-den und empfangen können, ohne dabei eine eigene Energie-versorgung zu benötigen. Da-mit können Ausrüstungsgegen-stände, die selbst über keine Elektronik verfügen, digital ver-netzt und in Prozesse eingebun-den werden.

Der Einsatz von RFID-Tech-nologie kann bei der Ausrüs-tung des Flugzeugs zu einer Vereinfachung vorgeschriebe-ner Prozessabläufe, einer Ver-besserung des Sicherheitsni-veaus und zu einer vereinfach-ten Wartung mit verbesserter Dokumentation und verringer-ten Lebenszykluskosten bei-tragen. Die dazu verwendeten

RFID-Tags sind passive Elek-tronikkomponenten von weni-gen Zentimetern Größe, welche aus einer Antenne und einem Mikro chip bestehen und auch als luftfahrttaugliche Bauteile erhältlich sind.

Ein prominentes Beispiel für den Einsatz in der Kabine ist die RFID-basierte Detekti-on der unter den Sitzen instal-lierten Schwimmwesten. So-wohl beim vorgeschriebenen Pre fl ight Check der Kabine, als auch im Rahmen der Wartung müssen diese regelmäßig über-prüft werden. Eine funkbasierte Detektion der Schwimmwesten mit einem RFID-Handlesegerät (Bild 1 links) vereinfacht diesen Prozess erheblich und erlaubt es, das Ergebnis direkt in digi-taler Form im Kabinenlogbuch des Flugzeugs zu protokollie-ren. Auch unter hohem Zeit-druck ist diese Kontrolle schnell und zuverlässig durchführbar, was an Bord jederzeit ein sehr hohes Sicherheitsniveau garan-tiert.

Ein weiterer Gegenstand der Notfallausrüstung ist der Erste-Hilfe-Koffer (das sog. „First Aid Kit“, Bild 1 rechts). Dieser exis-tiert an Bord von Flugzeugen in unterschiedlichen Ausführun-gen. Aufgrund seines reichhal-tigen Inhalts und dessen spo-radischer Nutzung ist sein Un-terhalt beim Flugbetrieb ver-

gleichsweise aufwändig, da sei-ne Verfügbarkeit und Haltbar-keit regelmäßig zu prüfen sind. Nach Benutzung oder im Rah-men der Wartung ergeben sich bei der Nach- oder Neubestü-ckung aufwändige logistische Prozesse und viele Dokumenta-tionsaufgaben.

Mit Unterstützung durch RFID besteht im Fall des Erste-Hilfe-Koffers ein hohes Potenzial, so-wohl dessen Handhabung im Flugzeug als auch die Nutzung und Verwaltung seines Inhalts effi zienter und einfacher zu ge-stalten. Zur Detektion des Kof-fers und zur Dokumentation beim Prefl ight Check kann wie-derum das in Bild 1 links gezeig-te, tragbare RFID-Lesegerät ge-nutzt werden. Dieses ist bei-spielsweise über ein WLAN in der Kabine mit dem Informati-onssystem des Flugzeugs ver-bunden, so dass alle Daten di-rekt im Kabinenlogbuch proto-kolliert werden können. Eben-so könnte auch der Inhalt des Erste-Hilfe-Koffers künftig mit RFID-Tags markiert sein, so dass nach dem Gebrauch eine einfache elektronische Inven-tur möglich ist und logistische und dokumentarische Prozesse gleichfalls unterstützt werden.

In enger Kooperation mit der INNOVINT Aircraft Interior GmbH [1] und dem RFID-Labor der Hamburger Logistik Institut GmbH [2] untersucht das Insti-

tut für Flugzeug-Kabinensyste-me an der Technischen Univer-sität Hamburg-Harburg Frage-stellungen zur RFID-Kennzeich-nung von beweglicher Einsatz-ausrüstung im Flugzeug. Einer-seits gilt es, Zulassungsanfor-derungen zu erfüllen [3, 4] und andererseits müssen techni-sche Lösungen für den praxist-auglichen Einsatz von RFID im Flugzeug erarbeitet werden.

Ein wesentliches Leistungs-merkmal von RFID ist die Detek-tierbarkeit von gekennzeichne-ten Ausrüstungsgegenständen. Diese ist abhängig von den ver-wendeten Funkfrequenzen so-wie von der räumlichen Orien-tierung des RFID-gekennzeich-neten Gegenstandes zum Lese-gerät. Weiterhin wird sie durch die gesamte Kabinenumge-bung und durch den spezifi -schen Montageuntergrund des RFID-Tags beeinfl usst. Durch die Wahl geeigneter RFID-Tags lässt sich das Gesamtsystem für das Flugzeug optimieren. Zur Charakterisierung des Systems kann messtechnisch die theo-retische Lesereichweite ermit-telt werden, welche die Detekti-onsempfi ndlichkeit bei idealen Umgebungsbedingungen wi-derspiegelt.

In Bild 2 ist der für die Charakte-risierung genutzte Messaufbau gezeigt, der sich in einer Absor-berkammer befi ndet. Der Ers-te-Hilfe-Koffer, bei dem im Be-

Bild 1: Detektion einer RFID-gekennzeichneten Schwimmweste mit einem Handlesegerät (links) und Erste-Hilfe-Koffer als Bestandteil der Notfallausrüstung von Flugzeugen (rechts)

Bild 2: Charakterisierung eines mit RFID gekennzeichneten Erste-Hil-fe-Koffers in einer Absorberkammer nach ISO/IEC Normen [5-7].

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reich des Griffs ein RFID-Tag an-gebracht ist, befi ndet sich auf einem Drehteller, welcher um 360° rotieren kann. Darauf ge-richtet ist eine Anordnung aus einer Sende- und Leseantenne, bei welcher Sendefrequenz und abgestrahlte Leistung variiert werden können.

Bild 3 zeigt beispielhaft Messer-gebnisse entsprechend der ISO/IEC Normen [5-7] von drei unter-schiedlichen RFID-Tags, die auf der Griffseite des Koffers mon-tiert wurden. Auf der y-Achse ist die theoretische Lesereich-weite über dem für RFID nutz-baren Frequenzbereich von 860 bis 960 MHz aufgetragen. Deutlich ist an den Messkur-ven zu erkennen, dass die drei RFID-Tags frequenzabhängig

sehr unterschiedliche theoreti-sche Lesereichweiten erzielen. Beispielsweise zeigt die blaue Messkurve einen RFID-Tag, der bei dem in Europa freigegebe-nen Frequenzband um 868 MHz eine sehr hohe Detektionsemp-fi ndlichkeit aufweist. Bei den in den USA (915 MHz) und in Ja-pan (950 MHz) zugelassenen Frequenzen fällt dessen Emp-fi ndlichkeit aber deutlich ab. Ziel muss es in der Luftfahrt sein, einen passenden RFID-Tag zu fi nden, welcher bei allen in-ternational genutzten Frequen-zen eine möglichst hohe Detek-tionsempfi ndlichkeit aufweist. Dies stellt bei der großen Fre-quenzbandbreite von 860 bis 960 MHz eine herausfordernde Aufgabe dar und nicht zuletzt deshalb hat sich Japan im Jahr

2012 dazu entschlossen, ein Frequenzband im Bereich von 920 MHz anstelle von ehemals 950 MHz für RFID-Anwendun-gen freizugeben.

In Bild 3 ist eingebettet, wie sich die Detektionsempfi ndlich-keit weiterhin mit der Orientie-rung des Lesegeräts zum Objekt verändert. Diese Richtcharakte-ristik führt dazu, dass eine opti-male Empfi ndlichkeit nur da nn erreicht wird, wenn das Lese-gerät senkrecht, also in einem Winkel von 0°, auf den RFID-Tag gerichtet ist. In einer 90°- bzw. 270°-Orientierung ist diese deutlich reduziert und von der Rückseite (180°) ist eine Detek-tion nicht ohne Weiteres mög-lich. Abhängig von der Emp-fi ndlichkeit bei einer gegebe-nen Frequenz ändert sich diese Richtwirkung proportional, was in der Einbettung von Bild 3 an-hand der drei Richtdiagramme für 868, 915 und 950 MHz zu erkennen ist.Insgesamt sind mit der Aus-rüstung des Flugzeugs komple-xe Aufgaben und Prozesse ver-bunden, welche hohe Lebens-zykluskosten verursachen kön-nen. Von einer Ausstattung der Notfallausrüstung mit RFID-Tags und der Integration die-ser neuartigen Kommunikati-onsschnittstelle in das Kabinen-managementsystem des Flug-

zeugs verspricht man sich Pro-zessverbesserungen und Kos-teneinsparungen. Am Institut für Flugzeug-Kabinensysteme ist diese Thematik deshalb Ge-genstand von aktuellen Unter-suchungen.

Prof. Dr. Ralf God Dipl.-Ing. Thorsten KiehlInstitut für Flugzeug-Kabinensysteme, TU Hamburg-Harburg

Referenzen

[1] INNOVINT Aircraft Interior GmbH, www.innovint.de

[2] Hamburger Logistik Institut GmbH, www.hli-consulting.de

[3] RCTA DO-160G, Environmen-tal Conditions and Test Pro-cedures for Airborne Equip-ment

[4] SAE AS5678, Passive RFID Tags Intended for Aircraft Use

[5] ISO/IEC 18000-6:2010, RFID for item management, Part 6: Parameters for air inter-face communications at 860 MHz to 960 MHz

[6] ISO/IEC 18047-6:2012, RFID device conformance test me-thods, Part 6: Test methods for air interface communica-tions at 860 MHz to 960 MHz

[7] ISO/IEC 18046-3:2012, RFID device performance me-thods, Part 3: Test methods for tag performance

Bild 3: Frequenz- und Winkelabhängigkeit der theoretischen Lese-reichweite bei RFID-gekennzeichneter Flugzeugausrüstung am Bei-spiel des Erste-Hilfe-Koffers mit drei verschiedenen griffseitig ange-brachten RFID-Tags.