Erstes Kapitel Pedalverschmierungen - Karl Betz · Joseph Banowetz entnommen. Er schreibt, die...

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- 10 - Erstes Kapitel - Pedalverschmierungen Der häufigste Pedalfehler sind unsaubere Pedalwechsel. Zunächst einige bekannte Tatsachen: Wenn wir eine Oktave im Bass anschlagen und dann das Pedal sehr schnell wechseln, sind die Töne damit keineswegs gelöscht, sie klingen in verminderter Lautstärke weiter. Schlagen wir die Oktave forte an, dann klingt sie nach einem raschen Pedal- wechsel noch laut weiter. Bis zu 10 Mal hintereinander können wir in schnellen, minimalen Fußbewegungen (Flatter-Pedal) das Pedal wechseln, bis die Oktave ganz verklungen ist. Bei den schnellen, unvollständigen Fußbewegungen tupfen die Dämpfer die Saiten nur flüchtig an, so dass deren Vibration eingedämmt, aber nicht gestoppt wird. Diese Art des Pedalwechsels ist unter der Bezeichnung Halb-pedal bzw. Viertelpedal (oder auch Achtelpedal) bekannt. Bei einem gründlichen Pedalwechsel bleibt der Fuß für einen Moment ganz gehoben, so dass die Dämpfer eine Weile voll auf den Saiten "ruhen" und so deren Vibration beenden können. "Ein Moment“ oder "eine Weile" sind am Klavier oft nur Teile von Sekunden. Und "ein Moment" ist pedaltechnisch etwas anderes als spieltechnisch. Spieltechnisch bedeutet eine viertel Sekunde, z. B. bei der Ausführung von Sprüngen, "ausreichend Zeit". Stellen Sie das Metronom auf 60. Für einen geübten Klavier- spieler ist es dann nicht sehr schwer, pro Schlag (= pro Sekunde) vier Oktav-Sprünge auszuführen. Mit schwarzen Tasten, außer Gis, geht es noch leichter. Für einen guten Pedalwechsel aber ist eine viertel Sekunde viel zu kurz. In diesem Kapitel soll, hauptsächlich, die Rede sein von solchen Bässen und Klän- gen, die nach einem Pedalwechsel un gewollt weiterklingen, ohne dass der Spieler dies beabsichtigte und - vor allem - ohne dass es von ihm bemerkt würde. Bei den stark schwingenden, mit Kupfer ummantelten Bass-Saiten reicht selbst im piano die übliche schnelle Wechselbewegung des Fußes nicht aus, um die Vibration der Saite zu stoppen und den Ton wirklich zu löschen. So prüfen Sie Pedalwechsel auf Sauberkeit: Drücken Sie nach einem Pedalwechsel bei noch getretenem Pedal die zuvor gespiel- ten Töne stumm nieder; nehmen Sie nun, nachdem die Tasten stumm gedrückt sind, das Pedal weg. Ist von den stumm gegriffenen Tönen nichts mehr zu hören, war der Pedalwechsel sauber. Diesen Test werde ich Ihnen im Laufe dieses Kapitels noch öfter empfehlen. Test für Pedalsauberkeit: Nach dem Pedalwechsel die davor gespielten Töne stumm drücken, Pedal wegnehmen - hören! stumm

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Erstes Kapitel - Pedalverschmierungen

Der häufigste Pedalfehler sind unsaubere Pedalwechsel. Zunächst einige bekannte Tatsachen: Wenn wir eine Oktave im Bass anschlagen und dann das Pedal sehr schnell wechseln, sind die Töne damit keineswegs gelöscht, sie klingen in verminderter Lautstärke weiter. Schlagen wir die Oktave forte an, dann klingt sie nach einem raschen Pedal-wechsel noch laut weiter. Bis zu 10 Mal hintereinander können wir in schnellen, minimalen Fußbewegungen (Flatter-Pedal) das Pedal wechseln, bis die Oktave ganz verklungen ist. Bei den schnellen, unvollständigen Fußbewegungen tupfen die Dämpfer die Saiten nur flüchtig an, so dass deren Vibration eingedämmt, aber nicht gestoppt wird. Diese Art des Pedalwechsels ist unter der Bezeichnung Halb-pedal bzw. Viertelpedal (oder auch Achtelpedal) bekannt. Bei einem gründlichen Pedalwechsel bleibt der Fuß für einen Moment ganz gehoben, so dass die Dämpfer eine Weile voll auf den Saiten "ruhen" und so deren Vibration beenden können. "Ein Moment“ oder "eine Weile" sind am Klavier oft nur Teile von Sekunden. Und "ein Moment" ist pedaltechnisch etwas anderes als spieltechnisch. Spieltechnisch bedeutet eine viertel Sekunde, z. B. bei der Ausführung von Sprüngen, "ausreichend Zeit". Stellen Sie das Metronom auf 60. Für einen geübten Klavier-spieler ist es dann nicht sehr schwer, pro Schlag (= pro Sekunde) vier Oktav-Sprünge auszuführen. Mit schwarzen Tasten, außer Gis, geht es noch leichter. Für einen guten Pedalwechsel aber ist eine viertel Sekunde viel zu kurz. In diesem Kapitel soll, hauptsächlich, die Rede sein von solchen Bässen und Klän-gen, die nach einem Pedalwechsel ungewollt weiterklingen, ohne dass der Spieler dies beabsichtigte und - vor allem - ohne dass es von ihm bemerkt würde. Bei den stark schwingenden, mit Kupfer ummantelten Bass-Saiten reicht selbst

im piano die übliche schnelle Wechselbewegung des Fußes nicht aus, um die

Vibration der Saite zu stoppen und den Ton wirklich zu löschen.

So prüfen Sie Pedalwechsel auf Sauberkeit: Drücken Sie nach einem Pedalwechsel bei noch getretenem Pedal die zuvor gespiel-ten Töne stumm nieder; nehmen Sie nun, nachdem die Tasten stumm gedrückt sind, das Pedal weg. Ist von den stumm gegriffenen Tönen nichts mehr zu hören, war der Pedalwechsel sauber. Diesen Test werde ich Ihnen im Laufe dieses Kapitels noch öfter empfehlen.

Test für Pedalsauberkeit: Nach dem Pedalwechsel die davor gespielten Töne stumm drücken, Pedal wegnehmen - hören!

stumm

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Die erste und häufigste Ursache von Pedalverschmierungen ist die zu rasche Wech-selbewegung des Fußes. Manchmal aber muss man das Pedal sehr rasch wechseln, z.B. um bei Sprüngen schnell loszulassende Tasten noch mit dem Pedal einzufangen; die schnellen Wechselbewegungen des Fußes aber haben damit oft nichts zu tun, denn sie werden auch dann gemacht, wenn die Finger nicht schnell von den Tasten genommen werden müssen, sondern wenn genug Zeit bliebe, mit den Fingern in den Tasten zu verweilen. Das heißt: Der grundsätzlich immer nur sehr schnell ausgeführte Pedalwechsel ist ein falsch erlernter Reflex.

In Chopins Etüde op. 10, Nr. 1 (Bsp. 8) können links die Finger lange in den Oktaven liegen bleiben, das heißt: Es ist reichlich Zeit für ruhige, gründliche Pedalwechsel.

Im ersten Satz von Beethovens Sonate op. 13, c-moll (Beispiel 9), können die Hände auf dem Quintsextakkord in Takt 131 nicht so lange in den Tasten verweilen wie in dem Beispiel davor, jedoch immer noch ausreichend lange, um dem Fuß einen ruhigen Pedalwechsel zu ermöglichen.

Im Beispiel 9 sind nur im Takt 131 und besonders im Takt 132 saubere Pedalwechsel nötig, davor aber, von Takt 125 bis 130, sind saubere Pedalwechsel weder möglich

Beispiel 9

Beispiel 8

T. 131

Takt 5

Takt 6

T. 125

Beispiel 8: Trotz langer Bässe wird das Pedal meist mit einer hastig schnappenden Fuß-

bewegung gewechselt. Deshalb schmiert die Oktave E aus Takt 5, oft sogar zusammen mit der

Fis-Oktave davor, in beinahe ungeminderter Lautstärke in die D - Oktave von Takt 6.

Beispiel 9: Eine unnötig kurzatmige Fußbewegung beim Pedalwechsel führt dazu, dass die

Bass-Oktave G aus Takt 130 störend in dem Quintsextakkord von Takt 131 mitklingt.

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noch wünschenswert. Ein gewisses Ineinanderwirken der Bässe erhöht, im Gegenteil, die Dramatik des Sogs hin zu den Takten 131 und 132. Davon gleich später. Die Beispiele 8 und 9 zeigen den zu schnellen Pedalwechsel als einen unkontrollier-ten Reflex, unkontrolliert, weil er unabhängig davon erfolgt, ob ein rascher Pedal-wechsel überhaupt notwendig ist. Andererseits: Eine Abhängigkeit von der Spielge-schwindigkeit gibt es natürlich. Ob der Fuß sauber Pedal wechseln kann, hängt auch davon ab, wie lange der Finger die Taste festhält bzw. wie lange er sie festhalten kann, das heißt: Eine saubere Pedalisierung ist auch vom Spieltempo abhängig.

Die drei Arten des Pedalwechsels

Es gibt drei Arten des Pedalwechsels:

1) den „Pedalwechsel auf den Punkt“ Das ist der normale, der übliche, der häufigste Pedalwechsel. Dabei hebt sich der Fuß zusammen mit dem Anschlag des Tones. Wie schnell er sich anschlie-ßend wieder senkt, hängt davon ab, wie lange der Finger die Taste festhält bzw. festhalten kann.

2) Die Pedal-Lücke Die Pedal-Lücke ist ein meist kurzer Moment pedallosen Spiels zwischen zwei Pedaltritten. Der Fuß geht schon vor dem Anschlag des neuen Tones nach oben und senkt sich wieder mit dem Anschlag des neuen Tones oder kurz danach, je nachdem, wie lange die Finger den neuen Griff festhalten.

3) Das übergehaltene oder überlappende Pedal. Das übergehaltene Pedal ist ein bedeutendes künstlerisches Ausdrucksmittel, dennoch wird es kaum angewandt. Dabei wird, bei niedergedrückt gehaltenen Tasten, das Pedal erst einige Zeit nach dem Anschlag des neuen To-nes/Akkordes gewechselt, und zwar dann, wenn wir wollen, dass sich der Klang, vergleichbar dem langsamen Ein- und Ausblenden im Film, erst allmäh-lich aus dem vorausgehenden Klang herausschält. Das übergehaltene Pedal wird Thema des achten Kapitels sein.

Autonome Reflexe sollen den Kopf entlasten. Verstandesdirektiven an den Fuß im Spielfluss („Hebel drücken - jetzt!“) sind belastend. Deshalb müssen alle Arten von Pedalgebrauch, auch der des linken Pedals, automatisiert sein. Das gelingt nur über das Ohr. Zuerst aber gilt es zu lernen, Störungen überhaupt zu hören; das gelingt am besten dadurch, dass man den Klang anhält und ihm bei gehaltenem Pedal nach-lauscht. Vielen wird erst dadurch eine Verschmierung bewusst, und nur der beharrli-che Wille, diese nicht mehr zu dulden, erzieht Füße und Hände dazu, dass sie, irgendwann, als vom Ohr gesteuerte Reflexe agieren. Eine Ausnahme ist das seltener benutzte mittlere Pedal, dessen Einsatz immer geplant werden muss, daher nie instinktiv erfolgen kann. Alle Klavierspieler haben den üblichen Pedalwechsel, den "Pedalwechsel auf den Punkt", automatisiert, die meisten aber eben nur diesen. Sehr oft jedoch kann nur die

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Pedal-Lücke, besonders bei einem hohen Spieltempo, klare Bässe gewährleisten. Auch aus anderen, später in Kapitel 9 zu erörterten Gründen ist die Pedal-Lücke ein unverzichtbares Mittel künstlerischen Pedalisierens. Die Schwierigkeit besteht darin: Mit der Automatisierung des üblichen, normalen Pedalwechsels ist zwischen Hand und Fuß eine gegenläufige Bewegung automatisiert, gegenläufig, weil sich der Fuß immer in dem Moment hebt, in dem der anschlagende Finger nach unten geht. Die Pedal-Lücke aber erfordert oft den Pedaltritt gleichzeitig mit dem Anschlag, also eine gleichgerichtete Bewegung von Hand und Fuß, weil sich der Fuß schon vor dem neuen Pedalfeld gehoben hat. Ungeübte können zwar dieses synchrone Pedal bei voneinander abzusetzenden Akkorden anwenden, sind aber überfordert, wenn sie im schnellen Spiel, je nach Notwendigkeit, zwischen den beiden Pedalarten wählen sollen. Die folgende Stelle aus Chopins g-moll-Ballade (Beispiel 10) ist dem Buch von Joseph Banowetz entnommen. Er schreibt, die Spielgeschwindigkeit sei hier derart, dass mit dem normalen Pedalwechsel, dem „Pedalwechsel auf den Punkt“, gerade noch saubere Bässe möglich sind (vorausgesetzt, die Hand fühlt die Bässe breit, tippt sie nicht nur an). Das ist richtig, dennoch ist schon hier einschränkend zu sagen: Völlig saubere Wechsel sind nicht möglich. Machen Sie dazu bitte den zuvor beschriebenen kleinen Test, machen Sie ihn am besten mit den Takten 107 und 108, weil diese Takte keine gemeinsamen tiefen Töne haben: Spielen Sie die beiden Takte sehr laut, halten Sie am Ende von Takt 108 inne und drücken, bei gehaltenem Pedal, die Bass-Oktave A von Takt 107 stumm nieder. Wenn Sie nun das Pedal aufheben, werden Sie feststel-len, dass Tonreste der A-Oktave noch deutlich hörbar sind. Aber akzeptieren wir vorerst: Im Beispiel 10 sind mit dem „normalen“ Pedalwechsel noch saubere Pedalwechsel möglich.

Bei den nächsten drei Beispielen aber, aus Schumanns Davidsbündler-Tänzen, op. 6 (Beispiel 11), den Eroica-Variationen op. 35 von Beethoven (Beispiel 12) und aus dem Nocturne in cis-moll, op. 27. Nr. 1 von Chopin (Beispiel 13), führt der übliche Pedalwechsel - unvermeidbar - zu verschmierten Bässen.

Beispiel 10

T. 108

T. 107

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Die Pedal-Lücke wird von der Eigenresonanz der Bässe geschlossen. Unter der Eigenresonanz verstehen wir den kurzen Moment, den ein ohne Pedal gespielter (Bass-)Ton nachklingt, nachdem die Taste losgelassen wurde; wir verstehen darunter auch den kurzen Nachklang, der von einem mit Pedal gespielten Ton bleibt, nachdem das Pedal aufgehoben wurde. Aus diesem Grund wird eine geschickt ausgeführte Pedal-Lücke gar nicht bemerkt, und schon gar nicht empfindet sie der Hörer als Loch. Im Gegenteil, er hört so die Bässe als klare Fortschreitung.

Angemessene

Pedalisierung

Für die notwendige Pedal-Lücke hebt sich der Fuß jeweils vor

der Eins zusammen mit dem übergehaltenen Achtel (gestrichel-

te Linie) und senkt sich wieder zusammen mit der Bass-Oktave.

Beispiel 13: Eine Pedalisierung wie unter a) führt unvermeidlich zu verschmierten Bässen.

Die notwendige Pedal-Lücke entsteht durch Heben des Pedals auf dem letzten Achtel des Taktes.

Das Pedal wird jeweils schon ein wenig vor dem Anschlag der ersten Zählzeit gehoben.

Bsp. 11

Bsp. 12

Bsp. 13

?

? a)

b)

a)

b)

? a)

b)

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Erwünschtes und unerwünschtes Weiterklingen von Tonresten

nach einem Pedalwechsel

Ein vollkommen sauberer Pedalwechsel, hieß es bei den Beispielen 9 und 10, sei weder möglich noch nötig. Vollkommen saubere Pedalwechsel aber sind, trotz Pedal-Lücke, auch bei keinem der Beispiele 11, 12 und 13 möglich (Sie können wieder, wenn Sie wollen, vielleicht am Beispiel 13, den beschriebenen Hörtest machen!). Die nicht vollständig gelöschten Bässe sind kein Nachteil, denn vollkommen saubere Pedalwechsel sind keineswegs immer erwünscht. Ganz klar voneinander abgesetzte, klinisch reine Harmonien sind einer leidenschaftlichen Aufgewühltheit oft nicht angemessen. Die Dramatik des Geschehens, etwa der letzten fünf Beispiele, erfordert sehr oft, gleichsam als Pulverdampf des Gefechts, eine gewisse Trübung. Auch die Akustik gerade der besten Konzertsäle ist durch einen bewusst berechneten Nachhall auf ein gewisses Ineinanderwirken der Klänge ausgerichtet. Bei lautem und schnellem Spiel sind völlig sauber gewechselte Bässe die seltene

Ausnahme. Sprechen wir daher von einem sauberen Pedal, ist damit fast immer gemeint:

Die Tonreste des mit einem Pedalwechsel gelöschten Klanges sind so gering, dass

der neue Klang in seiner harmonischen Eigenart gut und eindeutig erkennbar

bleibt. Es geht immer um den zulässigen Grad der Trübung; problematisch sind allein die ungewollten Trübungen, die der Spieler in der Aktion nicht wahrnimmt. In Liszts Franziskus-Legende II (Beispiel 14) führen die abgebildeten Takte zu einem großartigen apotheotischen Höhepunkt (in Takt 103, nicht mehr abgebildet.) Auf dem Weg dorthin kommt beides zusammen: die notwendige Trübung einerseits und, an anderer Stelle, die unbedingt notwendige Sauberkeit des Klanges.

Beispiel 14

T. 97

Hier am Ziel muss der Pedalwechsel unter allen Umständen sauber sein! Das heißt: lange

in den Tasten verweilen, damit ein gründlicher (= langsamer) Pedal-Wechsel möglich wird.

T. 98

Ein Pedal über die beiden Takte 97 und 98, ist wünschenswert! Dies verstärkt,

so die Individualität der Akkorde auslöschend, den mächtigen Sog hin zum Ziel.

T. 99

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Die Beispiele 10 bis 13 zeigen das Weiterklingen von Tonresten nach einem Pedal-wechsel als nicht unwillkommenes, aber auch als unvermeidliches Ereignis; unver-meidlich, weil die Dämpfer nicht lange genug auf den Saiten aufsitzen können, um deren Vibration zu stoppen. Dass, mit der Halb- und Viertelpedal-Technik, Tonreste absichtlich weiterklingen, das ist nicht erst seit der Zeit impressionistischer und romantischer Musik häufig erforderlich, sondern schon viel früher. Eine dafür besonders instruktive Literaturstelle bietet Mozarts Rondo in a-moll, KV 511, der Inbegriff aller Wehmut (Beispiel 15). In den Takten 64 bis 68 müssen die Pedalwechsel auf der ersten Zählzeit makellos sauber sein. Auf den darauf folgenden Achtelpausen muss, damit die Pausen als solche spürbar werden, ebenfalls das Pedal gewechselt werden. Diese Pedalwechsel aber dürfen nicht so gründlich sein, dass der Bass dabei gelöscht würde, weil dadurch die Harmonien ihre Basis und damit ihre Eigenart verlören. Nach den, bewusst, flüchtigen Pedalwechseln müssen vom Bass noch so viele Tonreste verbleiben, dass die Harmonien in der Funktion hörbar werden, die Mozart wollte. Und er wollte in Takt 64 ein grundtongestütztes F-Dur, in Takt 65 den Terz-quartakkord, in Takt 66 grundtongestütztes d-moll, in Takt 67 den Quintsextakkord. Dies ist sehr wichtig, denn über den Klangcharakter entscheidet - nicht nur, aber beinahe ausschließlich - der Ton, der im Bass liegt.

Hätte Mozart das Stück für Orchester geschrieben, hätte er mit Sicherheit in einer Stimme, vielleicht dem Fagott, die Basstöne durchklingen lassen, gleichzeitig aber für die Kontrabässe, eine Oktave tiefer Pizzicati notiert.

Beispiel 15, die Takte 64 bis 68: Auf den Oktaven der ersten Zählzeit müssen die Pedalwechsel

sauber sein, auf den Achtelpausen danach aber muss das Pedal „schlampig“ gewechselt werden;

denn einerseits müssen die Pausen spürbar werden, andererseits müssen von den Oktav-Bässen

auf der ersten Zählzeit noch reichlich Tonreste übrig bleiben, damit die Harmonien nicht ihre

Basis und damit ihre Charakteristik verlieren.

Für das Legato der Außenstimmen jeweils ganz knapp nach dem

letzten Sechzehntel jeder Sechzehntel-Gruppe, kurz Pedal nehmen.

Beispiel 15

T. 64

T. 68

gründlich wechseln!

flüchtig wechseln

gründlich wechseln flüchtig flüchtig wechseln!

gründlich

flüchtig wechseln

gründlich wechseln

flüchtig

gründlich

T. 65 T. 66

T. 67

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Zum Thema "Erwünschtes Weiterklingen von Tonresten" gibt es im dritten Satz von Brahms' Sonate f-moll, op. 5 eine sehr bezeichnende Passage (Beispiel 16), die allerdings pedaltechnisch schon viel anspruchsvoller ist als der soeben besprochene Abschnitt aus Mozarts a-moll-Rondo. Die Staccato-Oktaven G der Takte 54 bis 60 sind nicht nur heftige Sprungimpulse für die Landung auf den synkopisch betonten Oktaven auf der dritten Zählzeit, sie haben zusätzlich noch die harmonische Funktion eines Orgelpunktes. Die angemessene Interpretation der Stelle ist somit nicht die, welche diese G-Oktaven "nackt" hinsetzt und als trockene Akzente begreift, sondern die, der es gelingt, sie sowohl als heftigen kurzen Impuls als auch als Orgelpunkt hörbar werden zu lassen. Dies geschieht dadurch, dass das Pedal nach dem Loslassen des Griffs sehr schnell getreten wird. Dadurch können für die Orgelpunktwirkung noch genügend Tonreste der Staccato-Oktave eingefangen werden, Tonreste, die in die nachfolgen-den synkopierten Oktaven hineinwirken.

Wilhelm Kempffs große Pedalkunst fußte nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit, Tonreste gerade losgelassener Staccato-Bässe durch schnelles Nachtreten des Pedals einzufan-gen. Selbstverständlich war diese Fähigkeit bei Wilhelm Kempff eine rein instinktive, nie bewusst erlernte.

Klangverschmierungen am Ziel einer Passage

Für die Entscheidung, welche Klänge makellos sauber sein müssen und wo Trübun-gen hingenommen werden können oder sogar erwünscht sind, gibt es keine Regel. Ich erlaube mir jedoch eine allgemeine Empfehlung, die in den meisten Fällen Gültigkeit besitzt: Die musikalische Entwicklung darf Pedaltrübungen erfahren, das Ziel der

Entwicklung muss sauber sein.

Unter "musikalische Entwicklung" sind alle Arten dramatischer und virtuoser Figura-

Die Staccato-Oktaven ab Takt 54 haben zwei Funktionen: a) Absprungimpuls, b) Orgelpunkt

Beispiel 16

Takt 54

Beispiel. 16: Pedal gleich nach dem Loslassen der Staccato-Oktaven treten

und so Tonreste für die Orgelpunktwirkung einfangen.

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tionen zu verstehen wie beispielsweise Akkordkaskaden, Oktavenpassagen und Tonleitergänge, die zu einem Ziel hinstreben. Denn die Erfahrung zeigt: Für hässliche Klangverschmierungen besonders anfällig sind Bässe/Akkorde, die das Ziel, gewis-sermaßen den Landepunkt einer dichten und meist schnellen Tonkette bilden. Das Beispiel 14 aus Liszts Franziskus-Legende II war dafür typisch: Die gestoßenen Achtel-Akkorde der Takte 97 und 98 erfahren viele unnötige Pedalwechsel, das Ziel, der H-Dominantseptakkord, der unbedingt sauber sein muss, ist unsauber. Chopins Etüde op. 10, Nr. 5 (Beispiel 17) wird gerne bei Aufnahmeprüfungen gespielt. Die letzte Oktaven-Triole schmiert beinahe immer in die Ziel-Oktave Ges in Takt 84 hinein, oft in nur wenig verminderter Lautstärke. Auf diese Weise verliert die Ges-Oktave ihre Funktion als Basis des auf ihr aufbauenden Akkordes.

Die erste und häufigste Ursache unsauberen Pedals, hieß es, sei eine zu rasche, reflexhafte Wechselbewegung des Fußes, und diese sei, hieß es weiter, eine von der spieltechnischen Notwendigkeit unabhängige Bewegung, da sie oft auch dann erfolge, wenn die Finger Zeit hätten, in den Tasten zu verweilen. Aber natürlich gibt es auch die erwähnte Wechselwirkung zwischen Fußbewegung mit dem Spieltempo. Daneben gibt es eine weitere Wechselwirkung, die wiederum mit dem Spieltempo nichts zu tun hat: das verfrühte Loslassen der Tasten, das dem Fuß, der den Klang noch einfangen will, die hastige Bewegung aufzwingt. Statt also zu sagen, die Hauptursache unsauberen Pedals sei die zu rasche Fußbewe-gung, kann man genauso sagen: Die Hauptursache ist das unnötig rasche Wegnehmen der Finger von den Tasten. Es sind die zwei Seiten derselben Münze. Daraus folgt als wichtigste Empfehlung sauberen Pedalisierens: - Fühle Bässe immer bewusst und breit, tippe Bässe niemals nur passiv an. - Halte Bässe, die sauber ins Pedal gelangen sollen, lange manuell fest, so lange

es eben das Spieltempo und der Notentext erlauben.

Unmittelbar daraus leitet sich eine weitere wichtige Empfehlung ab, von der noch viel die Rede sein wird: Wähle nach Möglichkeit einen Fingersatz bzw. eine Handverteilung, die ein

langes Festhalten der Bässe ermöglichen.

Beispiel 17

Takt 84

Beispiel 17: Selbst mit der notwendigen Pedal-Lücke (= die letzten Sechzehntel-Oktaven ohne

Pedal) bewirkt ein emphatisches Emporwerfen der Hände mit dem Anschlag, dass die letzten

drei Oktaven in Takt 83 noch sehr laut in die Ges-Oktaven schmieren.

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Anstatt den Tastengrund breit und tief zu fühlen, werfen viele Hände und Arme mit dem Anschlag jäh in die Höhe, als wären sie an eine heiße Herdplatte geraten. Ein fast schon berüchtigtes Beispiel ist der Schluss von Chopins Polonaise in As-Dur, op. 53 (Beispiel 18)

Dieses Hochwerfen von Armen und Händen ist nicht unverständlich; denn nach einem dramatischen Geschehen ruft die Ankunft am Ziel ein starkes und natürliches Bedürfnis nach einer befreienden Emporbewegung hervor. Aber diese Emporbewe-gung von Handgelenk und Armen muss in einer Weise geschehen, als wollte man sich mit in den Tasten gestützten Fingern breit abfedern, das heißt: während Handge-lenk und Arm schon in einer runden Aufwärtsbewegung sind, bleiben die Finger noch für einen Moment in den Tasten, verweilen im Tastengrund so lange, wie es eben das Spieltempo gestattet. Dieses breite und gleichsam knetende Abfedern habe ich im Unterricht als „Zeitlupenstaccato“ bezeichnet. Die falsche Bewegung besteht darin, dass die Finger die Tasten nur spitz und punkt-artig berühren, nicht den Tastengrund fühlen wollen, und alle an der Aktion beteilig-ten Glieder: Finger, Handgelenk, Arm gleichzeitig und schon im Anschlag nach oben gerissen werden. Das sieht manchmal so aus, als sollten Löcher in die Luft geschla-gen werden. Diese Art der Bewegung konnte ich, amüsiert, in einem Film beobach-ten, als sich die wunderbare Schauspielerin Audrey Hepburn mühte, zu von Arthur Rubinstein gespielter Klaviermusik eine Pianistin zu mimen. In den letzten beiden Beispielen 17 und 18 hat Chopin an den neuralgischen Stellen Staccato-Punkte notiert. Die wahre Ursache verschmierten Pedals ist zwar immer, dass sich der Spieler nicht zuhört, aber als weitere Ursache kann man in dem abrup-ten Hochreißen der Hände auch ein falsches Verständnis des Begriffes staccato erkennen.

Beispiel 18

Ein großspurig triumphierendes Emporreißen der Hände mit dem Anschlag lässt den

vorausgehenden Oktavengang aufdringlich und störend in den As-Dur-Akkord hineinklingen.

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Was bedeutet staccato?

In der Einleitung wurde die nur dem Klavier eigene Besonderheit der Notation erläutert: Ein Notenwert sagt nichts Sicheres darüber aus, wie lange die Note tatsäch-lich klingen soll, noch gibt der Notenwert eine sichere Auskunft darüber, wie lange der Finger diesen Notenwert, beispielsweise ein Staccato-Achtel, festhält. Es ist sinnvoll, sich die Bedeutung des Wortes staccato bewusst zu machen. Das italienische Verb staccare bedeutet nicht „kurz spielen“ oder „spitz anschlagen“, es bedeutet einfach wegnehmen, losmachen (Non riuscì a staccare lo sguardo dalla sua bellezza - Es gelang ihm nicht, seinen Blick von ihrer Schönheit zu lösen) und in seiner reflexiven Form staccarsi bedeutet es „sich lösen“, im Gegensatz zu attac-care (vgl. deutsch "Attacke") = festmachen, anheften (attaccare un manifesto al muro - ein Plakat an die Wand kleben). Diese Bedeutung des Wortes staccare / staccarsi – losmachen / sich lösen liefert auch den Schlüssel für die richtige Ausführung: Staccato ist eine Bewegung von der schon vorher berührten Taste weg, niemals

eine Bewegung aus der Luft in die Taste hinein.

Im Abstoßen bzw. im Abfedern von den Tasten erfahren Handgelenk und Arm eine Bewegung nach oben, die Finger machen im Abfedern den Ansatz einer Greifbewe-gung. Vergleicht man die Aktion mit einem Sich-Abfedern vom Sprungbrett im Schwimmbad, dann entspricht das Kniegelenk dem Handgelenk. Staccato kann aber auch ganz aus den Fingern, in einer Kratzbewegung weg von den Tasten, ausgeführt werden, wobei Handgelenk und Arm ruhig bleiben. Diese Art des Staccato ist angebracht, wenn die Staccati schnell und leggiero kommen sollen. Ich gebrauchte die Wörter „Greifbewegung“ und „Kratzbewegung“. Dem Anschlag am Klavier liegt die Idee des Greifens zu Grunde, die Idee, dass die Töne von den Tasten weggenommen werden. Daher ist jede Bewegung, bei der das Fleisch der Fingerkuppen an die Finger-

nägel angedrückt wird, grundsätzlich richtig, dagegen ist jede schiebende

Bewegung der Finger auf der Tastatur, bei der das Fleisch von den Fingernägeln

weggeschoben wird, grundsätzlich falsch.

Selbstverständlich kann staccato auch bedeuten, dass der Ton tatsächlich kurz klingen soll, dies aber ist sehr oft, besonders bei Beethoven und Schubert, eine Ermessensfrage. Wegen der spärlichen Pedalhinweise Beethovens und der noch spärlicheren Schuberts „muss der Spieler oft selbst entscheiden, wo das Pedal der

Notation zu Hilfe kommt.“ (Alfred Brendel, "Nachdenken über Musik") Staccati und kurz notierte Notenwerte sind also weder ein zwingender Hinweis darauf, dass die Töne real kurz klingen sollen, noch sind sie ein Hinweis, dass der Finger die Taste nur punktartig berührt. In erster Linie ist staccato der Ausdruck einer interpretatorischen Idee, ist ein

Hinweis, eine Aufforderung des Komponisten, den so gekennzeichneten Ton (im Sinne der Bedeutung des italienischen Wortes staccare) als pulsierend und federnd

und nicht als schwer und lastend zu begreifen.

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Was vielen nicht bekannt ist: Eine Staccato-Artikulation wird auch im Pedalfeld hörbar. Spielen Sie einen aufgelösten Dreiklang mit Pedal, einmal in strengem Fingerlegato, einmal in einer Staccato-Artikulation, bei der die Finger den Ton von der berührten Taste „kratzen“. Der Unterschied ist gut hörbar. Mit einer künstlerisch sinnvollen Lesart und Ausführung ist die Staccato-Artikulation an dieser Stelle aus Schuberts Wanderer-Fantasie (Beispiel 19) auch mit reichlichem Pedaleinsatz gut hörbar zu machen „ ... und behält dadurch einiges von den Eigen-

schaften einer secco-Artikulation.“ (Alfred Brendel, "Nachdenken über Musik", der Abschnitt "Viertes Vorurteil: Schuberts Sonaten sind unpianistisch").

Auch kurze Notenwerte lange festhalten!

An die Beispiele 17 und 18 anknüpfend, folgen nun Literaturstellen, in denen es um den im Grunde immer gleichen Fehler geht: Die Hand lässt die Töne, die den Ziel-punkt einer vorausgegangenen Tonkette darstellen, zu früh los. Anmerkung: Wer dieses Prinzip verstanden hat, kann Notenbeispiele auch ruhig überspringen. Auch in den folgenden Kapiteln finden sich oft mehr Notenbeispiele, als für die Erörterung eines Problems nötig wären. Das sehr reiche Angebot an Beispielen entspringt meinem Wunsch, nicht nur Fehler zu erklären und wie Sie sie vermeiden können, vielmehr geht es mir auch darum, Ihnen eine breite Übersicht über Literaturstellen zu geben, an denen erfahrungsgemäß fast immer Pedalfehler gemacht werden.

Beispiel 19

T. 224

zu Beispiel 19: Um die pizzicato-Idee in Beispiel 19 schön herauszubringen, empfehlen sich

unvollständige und flüchtige Pedalwechsel, beispielsweise auf dem jeweils zweiten und dritten

Sechzehntel jeder Vierergruppe. Besser noch, natürlich, ist die Lösung, bei der auch die

tiefen Bässe deutlich als Pizzicati hörbar werden und dennoch in nicht zu mageren Tonresten

weiterklingen. Dazu müssen Sie pedalisieren, wie es in Beispiel 16 aus dem Scherzo von

Brahms' Sonate f-moll, op. 5 beschrieben ist, so also, dass Sie sofort nach dem Loslassen des

staccato gespielten Basses mit dem Fuß nachfassen. Da es sich hier aber um piano gespielte

Bässe handelt, ist es günstiger, wenn Sie sich an den Beispielen 181 a - c im 7. Kapitel

orientieren, wo dieses Verfahren (im Rahmen des Themas "links staccato - rechts Legato")

anhand des Andantino aus Schuberts großer A-Dur-Sonate, D 959, beschrieben wird.

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Zunächst eine Stelle aus dem Beginn der Durchführung des ersten Satzes von Brahms' Sonate f-moll, op. 5 (Beispiel 20).

In Fällen wie dem soeben vorgestellten Beispiel 20, wenn das Pedal nach einer Reihe pedallos gespielter Töne wieder einsetzt (hier: nach den letzten vier Sechzehntel-Oktaven vor der ersten Zählzeit), ist es oft der zu frühe Pedaleinsatz, der die Ver-schmierung hervorruft. Die irreale Vierundsechzigstelpause am Schluss der Chaconne von Bach/Busoni (Beispiel 21) ist nichts anderes als eine Warnung des erfahrenen Praktikers Ferruccio Busoni, auf keinen Fall Töne des rauschhaften und mit viel Pedal zu versehenden Unisonoganges in das bedeutende, fundamentale D hineinklingen zu lassen.

zu Beispiel 21: Die irreal winzige Pause ist nichts anderes als ein Hinweis des Komponisten

auf die unerlässliche Pedallücke, ist eine Warnung, auf keinen Fall Töne des Unisonogangs in

die Ziel-Oktave D hineinklingen zu lassen. Ausführung: Die letzten sieben Töne des Unisono-

laufs ohne Pedal spielen, vor dem Zielton D manuell trennen, die als Staccato bezeichnete D-

Oktave sehr breit nehmen. Diese Basis-Oktave muss unbedingt sauber sein.

Beispiel 20

Beispiel 21

Die Staccato-Achtel auf der ersten Zählzeit sind sehr breit zu nehmen! Werden sie zu kurz

angerissen, klingen die vorausgehenden Sechzehntel-Oktaven wegen ihrer starken Eigenre-

sonanz selbst dann mit in die Eins hinein, wenn sie - richtig - ohne Pedal gespielt werden.

Die als Staccato bezeichnete Oktave lange festhalten!

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Das Beispiel 22 aus Chopins Fantasie f-moll, op. 49 ähnelt insofern den beiden vorausgegangenen, als auch hier eine starke Eigenresonanz tiefer Basstöne die saubere Pedalisierung erschwert.

Wenn Sie wollen, können Sie auch bei Beispiel 22 wieder einen Versuch machen: Spielen Sie das Ende des Abwärtslaufes in Takt 67/68, die Töne F - Es - D - Des - C, forte, aber so, dass Sie vor dem Zielton, dem Kontra-C absetzen. Am einfachsten geht dies, indem Sie einen Fingersatz nehmen, mit dem sich die gewünschte Trennung von selbst ergibt, z. B. den von Hand in das Beispiel notierten, oder indem Sie für den Test die Stelle aufteilen: die Sechzehntel rechts, den Zielton C links. Spielen Sie nun bitte diese Tonfolge dreimal: einmal zwei Oktaven höher als notiert, einmal eine Oktave höher als notiert, einmal in der notierten tiefen Kontra-Lage. Wenn Sie das Pedal zusammen mit dem Anschlag des Zieltones C treten, dann erhalten Sie in der um zwei Oktaven höheren Position ein ganz sauber pedalisiertes C, eine Oktave höher gespielt als notiert, gerät der Zielton C gerade noch sauber; in der tiefen Originallage aber klingt das Des, trotz deutlichen Absetzens, noch gut hörbar mit in den Zielton C hinein (machen Sie hier den schon bekannten Test: Nach dem Anschlag des C Pedal halten, das vorausgehende Des stumm nachgreifen, Pedal loslassen, hören!). Saubere Zieltöne in den beiden höheren Lagen aber gelingen bei dem Versuch nur, wenn das Des vor dem Zielton C wirklich abgesetzt wird, spielen Sie es mit Fingerle-

Kommentar zu Beispiel 22: Um nach einer Kette von Tönen mit starker Eigenresonanz einen

sauberen Pedalwechsel zu erhalten, ist es nötig, das Pedal spät zu treten. Ausführung:

1) Die zweite Takthälfte des Abwärtslaufes ohne Pedal (also mit großer Pedal-Lücke) spielen,

2) den letzten Ton des Laufes, das Des, vom Zielton C manuell absetzen (= kein Fingerlegato!),

3) den Zielton C lange bis in die Viertelpause hinein manuell festhalten (= in der Taste bleiben),

4) das Pedal spät treten, das heißt: erst dann, wenn der Finger schon seit “einer Weile“ in der

Taste liegt.

Am besten ist es, das tiefe C mit dem Finger festzuhalten und das Pedal erst zusammen mit dem

Einsatz des C im oberen System zu treten. Es tut sich so, nach dem vorangegangenen Flirren,

ein phantastischer, großer, leerer Raum auf, abgesteckt durch die beiden weit auseinander-

liegenden C.

Beispiel 22

das tiefe Staccato - C nicht sofort loslassen, sondern lange festhalten. Pedaleinsatz spät!

Takt 67

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gato in das C hinein, ist der Zielton C beim Pedaltritt, unvermeidlich, bei allen drei Versuchsversionen verschmiert. Vom Zusammenhang zwischen Fingerlegato und Pedalbindung wird im nächsten Kapitel die Rede sein. Es gilt also, das Pedal spät zu treten, damit nur möglichst wenige Tonreste des vorausgehenden Tones vom Pedal mit eingefangen werden. Dafür als weiteres Beispiel eine Stelle aus dem Scherzo von Chopins Sonate b-moll, op. 35 (Beispiel 23). Auch hier führt, wie bei fast allen Pedalfehlern, das Zusam-menwirken mehrerer Ursachen dazu, dass die Cis-Oktaven meist zusammen mit dem vorausgehenden D zu hören sind. Diese Cis-Oktaven aber sollten als Basis des energischen Quartsextakkord-Aufganges sauber sein. Der übliche Fehler ist, die Cis-Oktaven zu schnell loszulassen, was gleichbedeutend ist mit einem zu frühen Pedaltritt. Der zweite Fehler besteht darin, die vorausgehen-den D-Oktaven mit Pedal zu spielen. Probieren Sie es aus: Spielen Sie die D - und die darauf folgenden Cis-Oktaven mit dem normalen Pedalwechsel. Weil das Cis relativ schnell losgelassen werden muss, ist ein ordentlicher Pedalwechsel unmöglich.

Einige fragen sich womöglich, warum hier noch nicht von der Möglichkeit die Rede war, das Tonhaltepedal einzusetzen. Tatsächlich ist das Tonhaltepedal bei Beispielen wie Nr. 23 ein gangbarer Weg und (!) der einzige Weg für vollkommene Sauberkeit. Die Möglichkeiten des Tonhaltepedals sind vielfältig, reizvoll und - manchmal - künstlerisch unabdingbar. Trotz seiner erwiesenen Nützlichkeit wird es nur selten angewandt. Aber für eine Entscheidung dafür oder dagegen muss der Pianist die Alternativen kennen. Oft werden das mittlere Pedal und andere Klangtechniken nur deshalb verworfen, weil die Pianisten sich nie damit vertraut gemacht haben. In den vorgenannten Beispielen wären die Bässe mit dem Tonhaltepedal problemlos und ohne die begleitenden Maßnahmen absolut sauber zu bekommen, zum Beispiel auch die Bass-Oktaven Cis in dem soeben besprochenen Beispiel 23. Wenn Sie das Tonhaltepedal an der Stelle benutzen, und nur dann (!), können Sie auch die voraus-gehenden D-Oktaven mit Pedal spielen. Aber weder bei den Beispielen 21, 22 und 23 noch bei dem folgenden Beispiel 24 ist das Tonhaltepedal zu empfehlen, so naheliegend und elegant sein Einsatz auch

Beispiel 23 a: Um die Cis-Oktave sauber zu bekommen, muss die D-Oktave davor ohne Pedal

gespielt werden! So entsteht, links und mit dem rechten Daumen, eine manuelle Trennung vor

dem Cis, die der Hörer aber nicht als Klangloch wahrnimmt, weil die starke Eigenresonanz der

tiefen D-Oktave die Lücke vollkommen schließt. Obendrein wird die Oberstimme rechts mit

Fingerlegato gespielt. Das Pedal bei den breit zu nehmenden Cis-Oktaven wiederum spät treten,

also ein wenig nach dem Anschlag der beiden Cis-Oktaven, keinesfalls mit dem Anschlag.

Beispiel 23 a

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erscheint. Einer der Nachteile des Tonhaltepedals ist, dass die mit seiner Hilfe arretierten Bässe oft zu plakativ durchdröhnen und danach eventuell notwendigen Viertel-bzw. Halbpedalwechseln nicht mehr zugänglich sind. So ist in Beispiel 23 nach der Cis-Oktave ein zusätzlicher flüchtiger Pedalwechsel angebracht, um für den sich anschließenden crescendo-Aufbau die Macht der Cis-Oktave etwas zurückzu-nehmen. Sehr oft sind indirekte Klangwirkungen mit dem Tonhaltepedals viel reizvoller, erzielt z. B. dadurch, dass man noch vor Spielbeginn oder in einer Pause stumm gedrückte Tasten in das Tonhaltepedal nimmt. Von einer inflationären Benutzung des dritten Pedals, z. B. aus Freude darüber, seine Anwendung für sich entdeckt zu haben, ist jedenfalls abzuraten. Für Prof. Ludwig Hoffmann, einen der prägenden Lehrer der Münchner Musikhochschule in den 70er und 80er Jahren, war das dritte Pedal zur Marotte geworden. Er hat die Literatur nach Einsatzmöglichkeiten für das Tonhalte-Pedal geradezu abgesucht. Das dritte Pedal, das Tonhaltepedal bzw. das mittlere Pedal, wird im zehnten Kapitel sehr ausführlich besprochen, weshalb es hier nur insoweit erwähnt ist, als es die Vollständigkeit der Beispiele erfordert. Hier in Beispiel 23 b sei noch die Ausführung mit dem mittleren Pedal beschrieben. Sein Einsatz ist mit einem Pfeil am Ende einer gestrichelten Linie gekennzeichnet.

Eine weitere für massive Pedalverschmierungen berüchtigte Stelle sind die Takte 179 bis 181 in Chopins Scherzo b-moll, op. 31 (Beispiel 24). Zusammen mit dem ff-Einsatz des hohen F im Diskant ist meist ein gestaltloser Cluster, bestehend aus den drei engen Sekund-Intervallen im Bass, zu hören. Die Stelle ist pedaltechnisch sehr anspruchsvoll: Die Des-Oktave soll, weitgehend, sauber sein, wegen des schnellen Grundtempos aber muss man sie rasch loslassen. Und voraus geht der dröhnende Doppeltriller in einer tiefen Lage mit starker Eigen-resonanz. Wer darauf Wert legt, dass der Pedalwechsel auf dem ff-Des absolut sauber gerät, kann das tatsächlich nur mit dem Tonhaltepedal erreichen, und er muss dann so verfahren, wie ich bei dem Beispiel 23 b beschrieben habe. Beim Einsatz des Ton-haltepedals ist dann - und nur dann! - vor dem Des weder eine Pedal-Lücke noch eine manuelle Lücke nötig.

?

Beispiel 23 b

rechtes Pedal hinzu, kurz nach

dem Einsatz des 3.Pedals

“Normale“ Pedalwechsel führen un-

vermeidlich zu einem stark verschmutz-

ten Cis, es sei denn, Sie setzen bei dem

Cis das Tonhaltepedal ein.

Wenn Sie die Cis-Oktaven ins Tonhaltepedal nehmen,

können Sie im Takt zuvor ganz normal mit jedem

Viertel pedalisieren. Vor dem Cis sind dann weder

eine Pedal-Lücke noch eine manuelle Lücke nötig.

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Die künstlerisch bessere Lösung, die ohne das dritte Pedal, sieht so aus, wie sie in den Kommentarkästen zu Beispiel 24 beschrieben ist.

Rubato-Dehnung als Hilfe für saubere Bässe

Oft treten mehrere Probleme gleichzeitig auf: Am Ende einer Tonkette soll sauber gewechselt werden, der Finger aber muss, z. B. eines Sprunges wegen, die Taste schnell verlassen. Kommt hinzu, dass vor dem Pedalwechsel eine manuelle Lücke nicht möglich oder musikalisch nicht vertretbar ist, dann muss in solchen Fällen der Ton mit einer diskreten Rubato-Dehnung versehen werden, damit der Finger die Zeit liegen bleiben kann, die der Fuß für einen gründlichen Pedalwechsel braucht, etwa an folgender Stelle im ersten Satz von Schuberts Sonate B-Dur, D 960 (Beispiel 25).

Eine Rubato-Dehnung eines bedeutenden Basses ist in solchen Fällen ohnehin oft angebracht, um durch sie den Ton als bedeutend im Ohr des Hörers zu verankern. Ähnlich verhält es sich an dieser Stelle aus Chopins Ballade f-moll, op. 52 (Beispiel

26). Die ab Takt 169 leichthin nach oben abziehenden Sechzehntelgänge sind das, was man in der Musik als "Fall nach oben" bezeichnet.

Der Ton D des Trillervorschlags

darf nicht mit in das Pedalfeld

gelangen! Deshalb das Pedal

auf dem Doppeltriller spät

nehmen.

Die notwendige Pedal-Lücke wird erreicht durch Aufheben

des Pedals genau zusammen mit dem Anschlag des (sehr laut

zu spielenden) Triller-Nachschlag-Tones Es. Die unerlässli-

che manuelle Lücke und die ebenso unerlässliche Pedal-

lücke ergeben sich an dieser Stelle von selbst.

Kommentar zu Beispiel 25: Das tiefe Ges wird manuell lange festgehalten und erfährt so

eine gewisse Rubato-Dehnung, die den gründlichen Pedalwechsel ermöglicht.

Künstlerisch ist es hier ein wirkliches Unglück, wenn der letzte Ton des Sechzehntel-

gangs aus Takt 19, das G, in das Ges hineinschmiert.

Beispiel 24

Beispiel 25

zusätzlicher flüchtiger Pedalwechsel, um die

erdrückende Wucht der Bass-Oktave zu mildern

Takt 178

Takt 20

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An der folgenden Stelle aus Schuberts Impromptu f-moll, D 935, Nr. 1 (Beispiel 27) ist zugunsten einer sauberen Pedalisierung eine diskrete Rubato-Dehnung auf dem Bass-Ces angebracht. Dafür geben die Begleitsechzehntel, die das Ces umgeben, im Tempo ein wenig nach.

Zum Thema "Pedalunsauberkeit durch zu frühes Loslassen kurzer Notenwerte" ein weiteres Beispiel einer Verschmierung, die an einer Stelle aus Brahms' Intermezzo op. 117 Nr. 2 besonders bedauerlich ist (Beispiel 28).

Das Zeit, die durch die notwendige Rubato-Dehnung auf dem Des “gestohlen“

wurde (ital. "rubare" heißt "stehlen"), wird durch ein leichtes Anziehen des

Tempos mit den Tönen des Sechzehntel-Aufgangs „zurückerstattet“.

Kommentar zu Beispiel 27: Damit die linke Hand das Ces ohne hastigen Absprungakzent

verlassen kann und der Fuß genügend Zeit für einen gründlichen Pedalwechsel erhält, werden

die über dem Ces liegenden Begleitsechzehntel Es und Ges etwas langsamer genommen. Damit

diese Verlangsamung des Tempos nicht ruckartig wirkt, sollten schon die beiden voraus-

gehenden Sechzehntel Ges und Des etwas langsamer gespielt werden.

Links besteht zwischen B und Ces Gefahr der Verschmierung, weil das Ces rasch losgelassen

werden muss, also zwischen B und Ces auf Fingerlegato verzichten und das B vorzeitig loslassen!

Beispiel 26

Den letzten Ton des Sechzehntelabgangs manuell vom folgenden Des trennen!

Beispiel 27

Takt 169

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- 28 -

Das feine Gespinst dieses Intermezzos, das lange scheinbar ziellos flottiert, verwan-delt sich, wahrhaft genial erdacht, ab Takt 64 in einen unerbittlichen Sog, einzig ausgerichtet auf den Zielpunkt in Takt 67, welcher - unerwartet - in Takt 69 noch eine eruptive Steigerung erfährt. Wenn nur irgendwo ein absolut sauberer Pedalwechsel unverzichtbar ist, dann der in Takt 67 des Intermezzo op. 117 Nr. 2. In fast 30 Jahren Arbeit an Musikhochschulen habe ich es noch kein einziges Mal erleben dürfen, dass dieses eminent wichtige Bass-H aus Takt 67 nicht von dem vorausgehenden C verschmiert gewesen wäre.

Das Beispiel 28 aus Brahms' op. 117, Nr. 2 zeigt erneut das Nebeneinander von einer, einerseits, hinnehmbaren, ja beinahe wünschenswerten Trübung in der Entwicklung und, andererseits, dem Gebot eines reinen Klanges am Ziel dieser Entwicklung.

Mögen, meinetwegen, die chromatisch absteigenden Bässe getrübt sein, wenn nur - bitte! - das Bass–H in Takt 67 sauber ist!

Das Bass-H sehr lange

festhalten, damit der saubere

Pedalwechsel garantiert ist.

Das Sopran-A und die nachfol-

genden Zweiunddreißigstel

erfahren dadurch ebenfalls eine

Rubato-Dehnung, die im

Folgenden bis zum Erreichen

des Melodie-Gis des nächsten

Taktes wieder ausgeglichen

wird.

Nach dem Pedalwechsel in Takt 67 ist

erst wieder auf dem Melodie-Fis in Takt

68 ein Pedalwechsel erforderlich, damit

die Harmonie vor dem überraschenden

Ausbruch in Takt 69 noch einmal

gereinigt auftreten kann, gereinigt von

dem ausdrucksstarken Vorhalt-Ton Gis.

Bei dem Pedalwechsel auf Fis soll das

tiefe Bass-H mit dem 5. Finger über-

gehalten werden, damit es mit in das

neue Pedalfeld gelangt.

Beispiel 28

T. 67

Takt 66

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Im Gegensatz zu der früher besprochenen Stelle aus Liszts Franziskus-Legende

(Beispiel 14) ist es in Brahms’ b-moll-Intermezzo natürlich und üblich, bei den bohrenden Bässen, die zu Takt 67 hinführen, jeweils das Pedal zu wechseln. Aber es gibt, natürlich, auch die künstlerisch beabsichtigte Klangunreinheit: In der scharfen Dissonanz, in der "Klangverschmutzung" ist die zu erwartende Reinigung, im Klangnebel dessen Auflösung im nächsten Moment spürbar. Oft empfinden wir einen Klang als noch schöner und befreiender, wenn er sich zu seiner Reinheit gewissermaßen erst durchkämpfen, zuerst seinen Kokon aus Trübungen und Disso-nanzen abstreifen muss (siehe Kapitel 8). Probieren Sie bitte einmal aus, den Takt 66 des b-moll-Intermezzos (Beispiel 28) in einem Pedal zu spielen, also ohne zwischen den Bässen Des und C zu wechseln. Unter der (allerdings unabdingbaren) Voraussetzung, dass der folgende Pedalwechsel auf dem H in Takt 67 sauber gelingt, werden Sie feststellen, dass das Ineinander-klingen der Basstöne Des und C kaum oder gar nicht stört. Das nachstehend eingeschobene kleine Experiment zeigt die simple Erkenntnis, dass allein der Zusammenhang darüber entscheidet, ob eine Dissonanz stört oder nicht. Schlagen Sie eine scharfe Dissonanz, eine große Septime, in einem starren forte an. Jeder empfindet diesen Klang als unangenehm. Einigen wenigen, z. B. Soziologen, die Ihnen weismachen wollen, die unangenehme Hörempfindung dabei sei nur das Ergebnis von Konditionierung, sollten Sie keinen Glauben schenken. Spielen Sie dann bitte diese Dissonanz noch einmal, nun aber als Bestandteil eines Dominantseptakkordes mit Quint-Vorhalt. Die Dissonanz tut, sozusagen, nicht mehr weh, weil ihr jetzt, im Verbund mit den anderen Tönen, eine Strebetendenz zur Auflösung innewohnt. In der Reibung wird die bevorstehende Auflösung spürbar.

Die bisherigen Beispiele haben gezeigt, dass kurze und durchaus auch als Staccati notierte Notenwerte im Dienste der Pedalsauberkeit manuell oft lange festgehalten werden müssen. Aber auch Töne, die nicht als kurze Notenwerte notiert sind, werden oft zu früh losgelassen. Sehen Sie dazu bitte die Literaturbeispiele 29 bis 31 und, insbesondere, das Beispiel 33. Zuerst eine Stelle aus dem ersten Satz von Beethovens Sonate op. 28 (Beispiel 29).

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In Takt 17 in Liszts h-moll-Ballade (Beispiel 30) baut sich ein auf der VI. Stufe leitereigener G-Septimenakkord auf. Am Taktende treten die beiden hoch expressi-ven, weil akkordfremden, Töne Cis und E als melodische Figurationstöne hinzu. Es ist der Moment der Ballade, in dem, nach Claudio Arraus Deutung, Leander dem Wasser entsteigt, nachdem er, um zu Hero zu gelangen, soeben den stürmischen Hellespont durchschwommen hat. In der Musik werden das schwere Schnauben des Anlandens, das Stampfen, das Ausschütteln, das schwere Atmen hörbar. Dergestalt könnte sich bei dem in leidenschaftlicher Emphase gehaltenen Tenor-E in Takt 17 ein Klang von hohem sinnlichen Reiz ausbreiten. Wenn aber die letzten Sechzehntel-Bässe aus Takt 16 in den Takt 17 hineinschmieren, degeneriert der aparte Klang in Takt 17 zu einem gestaltlosen Geräusch.

Häufiger Fehler: Emporreißen der Hände mit dem An-

schlag bewirkt, dass die Oktaven des vorausgehenden

Taktes in die Zieloktaven G hineinschmieren.

Die drei letzten

Oktav-Achtel des

Taktes ohne Pedal!

Vorauspedal!

Beispiel 29

Beispiel 30

T. 17

Pedaleinsatz spät ! großes Atemholen, sehr deutlich absetzen!

T. 16

3 1

Das tiefe G lange festhalten und das Pedal erst treten, wenn nur

noch dieses G zu hören ist. Die tiefen Basstöne G und D mit den

Fingern überhalten.

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Diese Passage hier aus Schuberts Sonate a-moll, D 784 (Beispiel 31) verlangt für die nötige orchestrale Wirkung in den Oktavengängen reichlich Pedal. Die Ziel-Oktaven auf der ersten Zählzeit müssen als Basis des folgenden Pedalfeldes sauber sein.

Auch am Beginn von Chopins Scherzo cis-moll, op. 39 (Beispiel 32) sind die Stacca-to-Viertel auf der Eins der Takte 6, 14 und 18 so breit zu nehmen, wie es das Spiel-tempo eben erlaubt. Diese Viertel sind die Basis der darauf folgenden, mächtigen Blechbläsersignale. Die Pedalzeichen stammen von Chopin.

zu Beispiel 31: So vermeiden Sie unsaubere Basis-Oktaven auf der ersten Zählzeit:

1) Die Bässe auf der Eins so breit nehmen, wie es das Spieltempo eben noch erlaubt,

2) Pedaleinsatz auf der Eins "spät", nicht direkt zusammen mit dem Anschlag, sondern ein wenig

danach,

3) zusätzlich vor der Eins eine Pedal-Lücke machen derart, dass die jeweils letzten beiden

Oktaven vor der Eins ohne Pedal gespielt werden.

Beispiel 31

Staccato breit und Pedaltritt spät!

Wer das Cis absolut sauber haben will, erreicht dies nur mit dem Tonhaltepedal.

Beispiel 32

T. 6

T.14

T.18

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Anmerkung: Das cis-moll-Scherzo, Beispiel 32, ist Anlass für die Empfehlung, gewisse Ausgaben der Edition Peters zu meiden. Die alten, noch im Handel befindlichen Chopin-Ausgaben stammen noch aus dem Jahr 1879. Der Band mit den Polonaisen und der mit den Scherzi und der f-moll-Fantasie in der Ausgabe von Scholtz / von Pozniak enthalten eine Fülle falscher Pedalangaben. Töne werden dort, als unter ein Pedal gehörig, in einer Weise zusammengefasst, die oft das Gegenteil dessen ist, was Chopin in seinen Pedalzeichen mit eigener Hand niedergelegt hat. Liszts Werke kursieren bei Peters immer noch in den Ausgaben Emil von Sauers aus dem Jahr 1917. Auch er fasst Pedalfelder falsch zusammen, verlangt oft, nachweislich gegen Liszts eindeutig dokumentierte Absichten, unnötige Pedalwechsel und Pedalwechsel an den falschen Stellen.

Zusammenfassung: Der äußere Grund für Pedalverschmierungen bei fast allen der bisherigen Literaturbeispiele ist ein zu frühes Loslassen der Taste. Der Schluss der Chopin’schen g-moll-Ballade (Beispiel 33) soll die lange Beispiel-reihe vorerst beenden. Hätte Chopin diese Passage irgendwo in der Mitte des Werkes verwendet, dann hätte er am Ende des chromatischen Oktavenganges in Takt 262 womöglich eine mit Staccato bezeichnete Achtelnote gesetzt. Hier am Ende sagt die breite halbe Note: Ich bin angekommen, hier setze ich mich hin.

Gestik

Jäh ausfahrende Armbewegungen und das theatralische Emporreißen der Hände, die (wie u. a. in den Beispielen 17 und 18 vorgestellt) zu Pedalverschmierungen führen, haben oft ihren Grund auch in einer menschlichen Schwäche, der Eitelkeit. Viele gefallen sich am Flügel in großspurigen und auf äußere Wirkung angelegten Gesten. Als harmlosen Fall erwähne ich das Verhalten eines prahlerischen Klavierstudenten der Würzburger Musikhochschule, der sich als Begleiter eines Liedes aus "Dichter-liebe“ (Beispiel 34) zu sehr im Hintergrund und pianistisch unterfordert fühlte.

Kommentar zu Beispiel 33: Statt, die Sache beschließend, sich in die breite halbe Note

hineinzusetzen, werden häufig die Arme mit dem Anschlag emporgerissen ("Heiße-

Herdplatte-Syndrom"!). Das solcherart von den Oktaven davor verschmierte G kann nicht

mehr als Basis des folgenden Akkordes dienen (siehe auch die Beispiele 17 und 18).

Beispiel 34

Beispiel 33

T. 262

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Das Bild des affektierten Gebarens habe ich heute noch klar vor mir: Statt die Bässe ruhig in der Taste zu führen, tippte er sie nur punktartig an und warf, als Ausdruck lässiger Überlegenheit, den linken Unterarm mit jedem Anschlag aus dem Ellenbogen bis an die Schulter zurück. Es teilt sich untrüglich mit, wenn die Bewegungen des Körpers und der Arme aufge-setzt sind und nicht im Einklang mit der Musik stehen. Wer selbst bei unschuldigen vereinzelten Tönen die Hand im Anschlag jäh von der Taste auffahren lässt, den gestreckten Arm dann in einer ausladenden Bewegung über den Kopf führt und dort, wie der senkrecht emporgeschossene Pfeil im Scheitelpunkt seiner Bahn, verharrt, der verrät in einer solchen Gestik nicht den leidenschaftlichen Musiker sondern eitle Selbstgefälligkeit. In diesem Zusammenhang berichte ich von einer Begebenheit, die sich an der Musik-hochschule Freiburg, meiner ersten Hochschulstelle, zugetragen hat. Dort gab ein Kollege, der die soeben beschriebene Art der Gestik sehr ausschweifend pflegt, im Mai des Jahres 1992 einen Klavierabend, in dem er seine - von Noten abgespielte - Aufführung von Beethovens Hammerklaviersonate op. 106 mit einer Clown-Einlage würzte: Im Scherzo der Sonate nutzte er die Pausen der Takte 113 und 114 (Beispiel

35) blitzschnell dazu, das gerade beendete Akkordtremolo mit auffälligen Schüttel-bewegungen der hoch erhobenen Handgelenke in der Luft fortzusetzen, wobei er gleichzeitig, nach Lachern heischend, das Gesicht grinsend dem Publikum zuwandte.

Beispiel 35

Takt 114

Anmerkung: Seit den 1990er Jahren ist unter Pianisten eine wachsende Neigung zu beobachten, Klavierabende von Noten abzuspielen, und alle, wirklich alle, auch der soeben erwähnte Kollege, berufen sich dabei auf Sviatoslav Richter, der ab einem bestimmten Alter ebenfalls von Noten gespielt hat. Regelmäßig vergessen wird dabei, dass Richter, bevor er begann von Noten zu spielen, weit über tausend Konzerte auswendig bestritten hatte.