Erwachsene funktionale Analphabeten erkennen, …...»Alphabetisierung und Bildung« (AlBi-Pro-jekt)...

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Alphabetisierung und Bildung Informationen zur Planung und Durchführung von Vorträgen, Infoveranstaltungen und Fortbildungen Erwachsene funktionale Analphabeten erkennen, ansprechen, vermitteln und begleiten

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Alphabetisierungund Bildung

Informationen zur Planung und Durchführung von Vorträgen, Infoveranstaltungen und Fortbildungen

Erwachsene funktionale Analphabeten erkennen, ansprechen, vermitteln und begleiten

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Das dieser Veröffentlichung zugrunde -liegende Vorhaben wurde mit Mitteln desBundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen01AB0743-01, -04 gefördert. Die Verant-wortung für den Inhalt dieser Veröffent -lichung liegt bei den Autoren.(S. BNBest-BMBF 98, 6.4)

Autorin:Daniela WagnerKo-Autorin:Elfriede Haller

Projektleitung des Verbundprojekts Alphabetisierung und Bildung, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz 2011

© bei den Autoren/-innen

Gestaltung und Druck:Georg Bungartenwww.grafik-bungarten.de

2 I M P R E S S U M

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I N H A LT 3

Vorwort 5

Planung der Veranstaltung 6

Veranstaltungsformen 7

Rahmenbedingungen 10

Durchführung der Veranstaltung 12

Bedienungsanleitung 13

Der Einstieg 13

Modul 1 Hintergrundinformationen 14

Modul 2 Sensibilisierung 24

Modul 3 Lebenswelt der Betroffenen 25

Modul 4 Rolle von Schlüsselpersonen 32

Anhang 35

Literatur 35

Internet 35

Autorinnen 35

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4 V O R W O R T

Vorwort

Auf Grundlage neuester Studien wird deut-lich, dass nicht einmal ein Prozent der 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten inDeutschland Lernangebote besuchen, umihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu ver-bessern.1 Das vom Bundesministerium fürBildung und Forschung geförderte Projekt»Alphabetisierung und Bildung« (AlBi-Pro-jekt) will einen Beitrag dazu leisten, diesenMenschen den Weg in Alphabetisierungs-und Grundbildungsangebote zu erleichtern.Dazu wurden in Kooperation von Weiter -bildungsträgern und -verbänden, zwei Uni-versitäten und den Betroffenen Maßnahmenentwickelt, durchgeführt und evaluiert.

Zielgruppe

Die primäre Zielgruppe des AlBi-Projektssind funktionale Analphabeten, die inDeutschland aufgewachsen und zur Schulegegangen sind. Es geht um Menschen, die inDeutschland sozialisiert wurden, die dasdeutsche Bildungssystem durchlaufen habenund trotzdem nicht ausreichend lesen undschreiben gelernt haben. Zwar gibt es vieleÜberschneidungen mit der Gruppe der zu-gewanderten funktionalen Analphabeten,jedoch liegt hier nicht der Arbeitsschwer-punkt des Projekts.

Persönliche Ansprache

Funktionale Analphabeten können nurschwer über die üblichen Wege der Öffent-lichkeitsarbeit erreicht werden (z.B. Flyer,Programmhefte, Internet), da sie diese nursehr eingeschränkt lesen und nutzen kön-nen. Durch die persönliche Ansprache kön-nen die Betroffenen erreicht werden und aufdiesem Weg können Ängste und Hemmun-gen vor dem Kursbesuch abgebaut werden.Idealerweise werden Betroffene durch Personen aus dem Lebensumfeld angespro-chen – sogenannten Schlüsselpersonen –die bereits mit den Betroffenen in Kontaktstehen und im besten Fall schon ein Ver-trauensverhältnis aufgebaut haben. Schlüs-selpersonen arbeiten beispielsweise in derArbeitsvermittlung, den Sozialberatungs-stellen, den Wohlfahrtsverbänden und inUnternehmen. Sie stellen Betroffene vorLese- und Schreibsituationen, die einen An-lass geben können, über ihre Probleme zureden und Betroffene bei Bedarf in Alphabe-tisierungsangebote zu vermitteln.

1 Rosenbladt, Bilger (2011) AlphaPanel; Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S. 5

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V O R W O R T 5

Leben im Verborgenen

Bei der persönlichen Ansprache gibt es je-doch mehrere Probleme. Zum einen sind diebreite Öffentlichkeit und das Lebensumfeldder in Deutschland sozialisierten funktionalenAnalphabeten weitgehend nicht informiertüber die Größenordnung des funktionalenAnalphabetismus und dessen Ursachen. Zumanderen geben sich in Deutschland soziali-sierte funktionale Analphabeten aus Schamnur selten zu erkennen. In manchen Fällenwissen nicht einmal enge Freunde und Fa-milienmitglieder von den Schwierigkeiten,mit denen die Betroffenen täglich zu kämp-fen haben. Daher werden ihre Probleme invielen Fällen nicht erkannt und bleiben imVerborgenen.

Erkennen, ansprechen und vermitteln

Um eine persönliche Ansprache zu ermög -lichen, müssen ausgewählte Schlüsselper-sonen und das Lebensumfeld der Betroffe-nen über das Thema »funktionaler Analpha-betismus« informiert und für die Lage derBetroffenen sensibilisiert werden. Im AlBi-Projekt wurden an verschiedenen Stand -orten in Hessen, Rheinland-Pfalz und demSaarland kurze Vorträge, ausführliche Info-veranstaltungen und intensive Fortbildun-gen durchgeführt und evaluiert.

Durch diese Arbeit wurden Schlüsselperso-nen › über das Thema »funktionaler Analphabe-

tismus« informiert;› für die Situation der Betroffenen sensibili-

siert;› über ihre mögliche Vermittlerrolle aufge-

klärt und › der Kontakt zu Vertreter/-innen der ört -

lichen Alphabetisierungskurse wurde her-gestellt, um eine persönliche und direkteVermittlung möglich zu machen.

Aus dieser Arbeit ist das modulare Sensibi-lisierungs- und Fortbildungskonzept »Funk-tionale Analphabeten erkennen, anspre-chen und vermitteln« entstanden. An derEntwicklung der Module waren der Verbandder Volkshochschulen von Rheinland-Pfalzals Praxispartner und die Johannes Guten-berg-Universität Mainz als wissenschaft -liche Begleitung beteiligt.

Diese Broschüre

In dieser Broschüre flossen die Erfahrungenund Erkenntnisse aus der oben genanntenArbeit ein. Interessierte aus Weiterbildungs -einrichtungen finden Vorschläge zur Pla-nung einer solchen Veranstaltung (Kapitel»Planung der Veranstaltung«) sowie kon-krete Inhalte und PowerPoint-Folien zurDurchführung der Veranstaltungen (Kapitel»Durchführung der Veranstaltung«).

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Planung der Veranstaltung

In diesem Kapitel werden Ihnen die verschiedenen Veranstaltungsformen(Vortrag, Infoveranstaltung und Fortbildung) vorgestellt, es werden Empfeh-lungen zu den Inhalten der Veranstaltungen ausgesprochen, Sie werden überdie Ziele der Veranstaltungen aufgeklärt und Sie bekommen Hinweise zu denRahmenbedingungen einer Veranstaltung.

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V E R A N S TA LT U N G S F O R M E N 7

Veranstaltungsformen

Die Auswahl der geeigneten Module hängtdavon ab, durch welche VeranstaltungsformSie über das Thema Analphabetismus infor-mieren möchten. Schlüsselpersonen kön-nen durch Vorträge und Infoveranstaltungeninformiert und sensibilisiert sowie durcheine Fortbildung für ihre Vermittlerrollequalifiziert werden.

Im Kapitel »Durchführung der Veranstal-tung« werden die Module und die dazugehö-rigen PowerPoint-Folien vorgestellt, mit denen Sie einen Vortrag oder eine Infover-anstaltung durchführen können. Die Moduleund die dazugehörige PowerPoint-Präsen-tation können Sie zusätzlich auf folgendenHomepages herunterladen:› Landesverband der Volkshochschulen von

Rheinland-Pfalz (www.vhs-rlp.de)› Bundesverband Alphabetisierung und

Grundbildung e.V. (www.alphabetisie-rung.de)

› Archiv- und Dokumentationszentrum fürAlphabetisierung und Grundbildung(www.alpha-archiv.de)

Für die Durchführung einer Fortbildungkönnen wir Sie auf die Weiterbildnerin des»Bundesverbandes Alphabetisierung undGrundbildung e.V.« Elfriede Haller verwei-sen, mit der die Module entwickelt wurden.Im Folgenden wird ein Überblick zu mögli-chen Zielen und Inhalten der verschiedenenVeranstaltungsformen gegeben.

Vortrag

Diese Veranstaltungsform empfiehlt sich,wenn Sie beispielweise auf Gremiensitzun-gen, Mitgliederversammlungen und Team-sitzungen zehn bis fünfzehn Minuten erhal-ten, um einige Fakten vorzutragen.

Empfohlene InhalteModul 1 Hintergrundinformationen› Größenordnung› Definition› Niveaustufen› UrsachenModule 3 Lebenswelt der Betroffenen› Alltägliche Probleme (optional)› Berufliche Probleme (optional)› Alphabetisierungsangebote vor OrtModul 4 Rolle von Schlüsselpersonen› Erkennen (optional)› Angebot zur Weiterarbeit

Ziele: Die am Vortrag Teilnehmenden› lernen die Größenordnung, die Definition,

die Niveaustufen und die Ursachen desfunktionalen Analphabetismus‘ kennen(Modul 1);

› lernen die Alphabetisierungsangebote vor Ort kennen (Modul 3);

› nehmen die Vortragende als Ansprech-person für das Thema »Alphabetisierung«war;

› lernen die Bedeutung des Themas »funk-tionaler Analphabetismus« für ihre eigeneEinrichtung kennen (wählen Sie hierzuden Interessen der Teilnehmenden ent-sprechende Varianten der Unterrichts -einheiten und ergänzen Sie Themen-schwerpunkte).

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8 V E R A N S TA LT U N G S F O R M E N

Optionale Ziele: Die am Vortrag Teilnehmenden › werden für die Situation der Betroffenen

sensibilisiert (Modul 3);› lernen funktionalen Analphabetismus zu er-

kennen (Modul 4).

Infoveranstaltung

Diese Veranstaltungsform empfiehlt sich,wenn Sie im Rahmen einer halb- bis drei-stündigen Veranstaltung einen ausführliche-ren Einblick ins Thema geben möchten. AlsZielgruppe können Schlüsselpersonen ausverschiedenen Institutionen auf der Leitungs-und Arbeitsebene eingeladen werden.

Ziele: Die Teilnehmenden derInfoveranstaltung

› beginnen einen persönliche Austauschmit verantwortlichen vor Ort (Einstieg,Modul 2 und 4);

› lernen die Größenordnung, die Definition,die Niveaustufen und die Ursachen desfunktionalen Analphabetismus’ kennen(Modul 1);

› werden für die Situation der Betroffenensensibilisiert (Modul 3);

› lernen die Alphabetisierungsangebote vorOrt kennen (Modul 3);

› werden für ihre eigene Vermittlerrollesensibilisiert und werden auf die Fort -bildung hingewiesen (Modul 4);

› nehmen die Vortragende als Ansprech-person für das Thema »Alphabetisierung«war;

› lernen die Bedeutung des Themas »funk-tionaler Analphabetismus« für ihre eigeneEinrichtung kennen (wählen Sie hierzu

den Interessen der Teilnehmenden ent-sprechende Varianten der Unterrichts -einheiten und ergänzen Sie Themen-schwerpunkte).

Empfohlene InhalteDer Einstieg› Begrüßung und Vorstellung› LeseanlässeModul 1 Hintergrundinformationen› Größenordnung› Definition› Niveaustufen› UrsachenModul 2 Sensibilisierung› Situative Hürden› LesekompetenzenModul 3 Lebenswelt der Betroffenen› Alltägliche Probleme › Berufliche Probleme› Stärken und Kompetenzen› Motivation zum Kursbesuch› Alphabetisierungsangebote vor OrtModul 4 Rolle von Schlüsselpersonen› Erkennen› Informieren› Brückenfunktion› Angebot zur Weiterarbeit

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V E R A N S TA LT U N G S F O R M E N 9

Wann?Der Erfolg einer Veranstaltung hängtauch von Zeitpunkt und der Dauer ab.Schlüsselpersonen, Weiterbildungsträ-ger, politische Akteure und die Pressehaben zumeist innerhalb der Arbeitszei-ten Zeit für ein Treffen. Montags undfreitags sind erfahrungsgemäß nicht diebesten Wochentage für eine Veranstal-tung. Kursleitende stellen hier eine Aus-nahme dar. Ihre zeitliche Verfügbarkeithängt stark von den Kurszeiten des Al-phabetisierungsangebots ab. Empfohlene Zeiten: 1 – 3 Stunden zwi-schen 11:00 – 13:00 oder 14:00 – 16:00Uhr in der Arbeitszeit.

Fortbildung

Diese Veranstaltungsform empfiehlt sich,wenn Sie Schlüsselpersonen in beratenderFunktion zur Vermittlung von funktionalenAnalphabeten in Alphabetisierungsange-bote schulen möchten.

Ziele: Ergänzend zu den Zielen der Informa-tionsveranstaltung lernen die Teilnehmenden,wie sie funktionale Analphabeten erkennen,ansprechen und in Alphabetisierungsange-bote vermitteln können.

Die Teilnehmenden der Fortbildung› lernen, wie sie einen Gesprächsanlass

schaffen oder nutzen können, um Betrof-fenen auf ihre Lese- und Schreibproblemeansprechen zu können;

› bekommen einen Eindruck davon, wie sieein solches Gespräch beginnen könnenund wie sie durch eine positive Gesprächs -führung zum Gelingen beitragen können;

› lernen notwendige Rahmenbedingungenfür das Gespräch kennen;

› reflektieren ob sie sich dafür qualifiziertfühlen, Betroffene in Lernangebote zu ve r -mitteln und ob sie an ihrem Arbeitsplatzdie notwendigen Rahmenbedingungenschaffen können;

› werden sich bewusst darüber, wann essinnvoll ist, Betroffene nicht direkt in einLernangebot sondern zuvor in eine Bera-tungsstelle zu vermitteln;

› bekommen einen Eindruck davon, wielange ein Alphabetisierungsprozess dauernkann, mit welchen Veränderungen er ver-bunden ist und wie sie die Betroffenen aufdiesem Weg begleiten können;

› stellen fest, welchen Nutzen eine Vermitt-lung von Betroffenen in Alphabetisierun g s -kurse für ihre eigene Arbeit mit sichbringt.

Atmosphäre schaffenDie Akteure sollten sich auf den Veran-staltungen wohlfühlen. Sorgen Sie fürein paar Häppchen, etwas zu Trinken, einen schönen Raum und dekorieren Sieein wenig. So entsteht schnell eine Atmosphäre des Austausches.

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Rahmenbedingungen

Vortragende und TrainerInnen

Als Vortragende bzw. TrainerIn kommen beiVorträgen und Infoveranstaltungen vor allemzwei Gruppen in Frage:

› Verantwortliche in Weiterbildungseinrich-tungen, die Schlüsselpersonen und lokaleAkteure informieren und sensibilisierenwollen;

› Schlüsselpersonen, die eine Multiplikato-renfunktion in ihrer Einrichtung inne ha-ben und dort das Thema weitertragenwollen.

Das heißt, Sie können die Rolle der/des Vor-tragenden entweder selbst übernehmenoder Schlüsselpersonen als Vortragendegewinnen.

Für die Durchführung einer Fortbildungempfiehlt sich, auf die Weiterbildnerin des»Bundesverbandes Alphabetisierung undGrundbildung e.V.« zurückzugreifen (El-friede Haller).

Einbindung von Analphabeten

Im AlBi-Projekt wurden (ehemalige) An -alphabeten, die über Erfahrungen in der Öf-fentlichkeitsarbeit verfügen und qualifi-zierte »Lernenden-ExpertInnen« sind, in dieVeranstaltungen eingebunden, um Schlüss e l -personen für die Situation der Betroffenenzu sensibilisieren. Diese ExpertInnen stell-ten beispielsweise authentisch die Gründeihrer Lese- und Schreibprobleme dar und

erläuterten ihre beruflichen und persönli-chen Hindernisse in einer schriftsprachlichdominierten Gesellschaft. Sie berichtetendavon, wie und mit welcher Unterstützungdurch Schlüsselpersonen sie den Weg in Al-phabetisierungskurse gefunden haben. Aufden Veranstaltungen konnten die Teilneh-menden ihre Fragen direkt an die Betroffe-nen stellen und durch diese persönliche Be-gegnung ihre Vorurteile gegenüber funktio-nalen Analphabeten abbauen.

Die Selbsthilfegruppe Analphabeten Lud-wigshafen initiierte das Fortbildungskonzept»Lernende zu ExpertInnen« und entwickeltees gemeinsam mit dem AlBi-Projekt. In die-ser Qualifizierung lernen funktionale An -alphabeten – die sich in der Öffentlichkeits-arbeit engagieren möchten – beispielsweisesich professionell auf Infoveranstaltungenvorzubereiten. Die Qualifizierung wurde inzwei Pilotdurchläufen evaluiert.

Der »Bundesverband Alphabetisierung undGrundbildung e.V.« kann den Kontakt zu An-alphabeten herstellen, die die Fortbildungbesucht haben und durch ihre Beteiligungan Veranstaltungen die Alphabetisierung inDeutschland voranbringen wollen.

Schutz der BetroffenenSie sollten nicht versuchen (ehemalige)funktionale Analphabeten – um der gu-ten Sache willen – zu überzeugen, Siebei Veranstaltungen zu unterstützen,denn der forcierte Einbezug birgt das Ri-siko, die Betroffenen unbeabsichtigt vor-zuführen.

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Örtliche Vernetzung

Es empfiehlt sich, bei jeder Veranstaltungwichtige lokale Akteure einzubinden. Hierzugehören beispielsweise Verantwortliche inWeiterbildungseinrichtungen, in Sozialbe-ratungsstellen, in der lokalen Arbeitsver-mittlung und in Unternehmen sowie die lo-kalen Alphabetisierungskursleitenden. Aus-führliche Informationen zur Einbindungdieser Akteure wurden in der AlBi-Bro-schüre »Alphabetisierung und Grundbil-dung - Zielgruppengewinnung durch Netz-werkarbeit« zusammengestellt.

EinladungDie Einladungen zu diesen Veranstaltun-gen sollten möglichst persönlich über-mittelt werden. Im AlBi-Projekt wurdedeutlich, dass die reine Versendung vonFlyern an Schlüsselpersonen nicht aus-reicht. Im persönlichen Gespräch kanndie Bedeutung und der Nutzen für ihreeigene Arbeit deutlich gemacht werden.

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Durchführung der Veranstaltung

Im diesem Kapitel werden die Module und die dazugehörigen PowerPoint-Fo-lien vorgestellt, mit denen Sie einen Vortrag oder eine Infoveranstaltungdurchführen können. Dabei finden Sie Informationen zum Ablauf, zu Inhaltenund Zielen der einzelnen Unterrichtseinheit.

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Bedienungsanleitung

Die Module können für den konkreten An-lass flexibel zusammengestellt werden. Jedes Modul beinhaltet verschiedene Un-terrichtseinheiten, die wiederum in ver-schiedenen Varianten durchgeführt werdenkönnen:

› Wenn Sie beispielsweise die Unterrichts-einheit »Definition« in einen Vortrag fürPraktiker und Praktikerinnen aus der Alphabetisierungsarbeit einfließen lassenwollen, empfehlen wir Ihnen die Variante»kurz und praxisnah« zu wählen (S. 16).

› Wollen Sie beispielsweise ein Publikumaus dem Migrationsbereich darauf auf-merksam machen, dass es auch funk -tionale Analphabeten gibt, die in Deutsch-land aufgewachsen und zur Schule ge -gangen sind, empfiehlt sich die Variante»Migration« (S. 18).

Einige Unterrichtseinheiten können durchThemenschwerpunkte intensiviert werden.Wenn Sie beispielsweise eine Infoveranstal-tung für Unternehmen durchführen, ist essinnvoll in Modul 3 den Themenschwerpunkt»Beruf und Bildung« aufzugreifen (S. 27).

Der Einstieg

Begrüßung und Vorstellung

Die Teilnehmenden kommen mit verschie-denen Erwartungen und Vorwissen zu einerVeranstaltung. Bei einer Infoveranstaltungoder einer Fortbildung können daher ihreErwartungen an die Veranstaltung abge-fragt werden sowie die Veranstaltungszieleund der Veranstaltungsablauf vorgestelltwerden. Die geplanten Veranstaltungszieleund der Ablauf können mit den Erwartungender Teilnehmenden abgeglichen werden undbei Bedarf verändert werden. GegenseitigesKennenlernen und Vorstellungsrunden sor-gen für eine gute Atmosphäre und lassenZeit und Raum für Austausch.

Zur Gestaltung der Begrüßung und der Vor-stellungsrunde empfiehlt sich folgende Literatur:

› Langmaack, Barbara; Braune-Krickau,Michael (2000) Wie die Gruppe laufenlernt: Anregungen zum Planen und Leitenvon Gruppen. Ein praktisches Lehrbuch,Beltz Verlag.

› Rachow, Axel (Hrsg., 2009) Spielbar, Managerseminare Verlag.

› Seifert, Josef W.; Göbel, Heinz-Peter(2001) Games, Gabal Verlag.

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Leseanlässe

Die Teilnehmenden werden gebeten, sichkurz zu überlegen und zu notieren, was sieheute schon gelesen haben. Die Ergebnissewerden im Plenum zusammengetragen. Inder Regel wird deutlich, dass die Teilneh-menden sehr anspruchsvolle Texte lesen(z.B. Literatur, Zeitungen, Arbeitsberichte).Die TrainerIn berichtet von ihren heutigenLeseanlässen und zählt vor allem die alltäg-lichen Gegebenheiten auf, die die Teilneh-menden nicht genannt haben (z.B. Ort -schilder, Busfahrpläne, Bankautomaten,Preisschilder, Hinweisschilder zu dieserVeranstaltung).

Ziele: Die Teilnehmenden stellen einen Be-zug zu ihrem Alltag her. Sie werden auf dieHäufigkeit und das Niveau ihrer alltäglichenLeseanlässe aufmerksam gemacht.

Modul 1 Hintergrundinformationen

Größenordnung› Themenschwerpunkt: Migration

(z.B. Fachpublikum »Deutsch als Zweit-sprache«)

Definition› Variante: kurz und praxisnah› Variante: gesellschaftliche Teilhabe

(z.B. gesellschaftspolitische Akteure)› Variante: Migration

(z.B. Fachpublikum »Deutsch als Zweit-sprache«)

Niveaustufen› Variante: kurz und praxisnah› Variante: Alphalevel

(z.B. Wissenschaftler/-innen, Kursleitende)

Ursachen› Variante: kurz und praxisnah› Variante: Kindesalter

(z.B. Sozialberatungsstellen, Kinder -tagesstätten, Schulen)

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Größenordnung

Nach der Leo-Studie2 leben in Deutschland7,5 Millionen erwachsene funktionale Anal-phabeten. Dies sind 14,5 Prozent der er-wachsenen Bevölkerung (18 –64 Jahre). Da-bei handelt es sich nicht nur um Migrantenund Migrantinnen, sondern auch um Men-schen die mit oder ohne Migrationshinter-grund in Deutschland sozialisiert wurden.Hinzu kommen 13,3 Millionen (weitere 25,9Prozent), die zwar keine funktionalen Anal-phabeten sind, jedoch extrem viele Schreib-fehler machen. Die restlichen 30,8 MillionenErwachsenen haben keine oder nur gering-fügige Lese- und Schreibprobleme.3

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Die Zahl von bundesweit 7,5 Millionen funk-tionalen Analphabeten ist eine sehr abs-trakte Größe. Sie sollten diese Zahl für IhreStadt, Ihren Kreis oder Ihre Region umrech-nen und die PowerPoint-Folie entsprechendaktualisieren.

Einwohnerzahl x 0,63 x 0,145 = GeschätzteAnzahl der 18 bis 64 jährigen funktionalenAnalphabeten in der Region.

Erklärung der SchätzungDie Leo-Studie geht davon aus, dassrund 63 % der Bevölkerung zwischen 18und 64 Jahre alt sind (Einwohnerzahl x0,63 = Geschätzte Anzahl der 18 bis 64jährigen Einwohner in der Region).Die Leo-Studie geht davon aus, dassrund 14,5 % der 18 bis 64 jährigen funk-tionale Analphabeten sind (geschätzteAnzahl der 18 bis 64 jährigen Einwohnerin der Region x 0,145 = geschätzte An-zahl der 18 bis 64 jährigen funktionalenAnalphabeten in der Region).

Ziele: Den Teilnehmenden wird die Größen-ordnung des funktionalen Analphabetismusin Deutschland und ihrer Region bewusst.

2 Die »leo. – Level-One Studie« (Leo-Studie) ist einebundesweit repräsentative Studie zur Größenord-nung des funktionalen Analphabetismus inDeutschland.

3 Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S.5

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Themenschwerpunkt: MigrationZ.B. Fachpublikum »Deutsch als Zweit -sprache«

Unter den 7,5 Millionen funktionalen An -alphabeten befinden sich 4,4 Millionen Men-schen deren Erstsprache Deutsch ist und3,1 Millionen Menschen, die eine andereErstsprache haben.4 Es ist nicht bekannt,wie viele funktionale Analphabeten inDeutschland aufgewachsen und zur Schulegegangen sind. Bekannt ist, dass von den7,5 Millionen funktionalen Analphabeten 5,3Millionen die deutsche Staatsbürgerschaftbesitzen.5

Ziele: Die Teilnehmenden bekommen einenÜberblick über die Erstsprache und dieStaatsangehörigkeit von funktionalen Anal-phabeten. Ihnen wird bewusst, dass funktio-naler Analphabetismus nicht nur ein Themades Integrationsbereiches ist.

Definition

Variante: kurz und praxisnah

Diese 7,5 Millionen Erwachsenen sind zu ei-nem großen Teil in Deutschland aufgewach-sen und zur Schule gegangen und habentrotzdem nicht ausreichend lesen undschreiben gelernt. Diese Menschen könnenbeispielsweise› nur einzelne Buchstaben lesen und

schreiben;› einfache Wörter Buchstabe für Buchstabe

erlesen oder› kurze und einfache Sätze fehlerhaft

schreiben.

Sie sind jedoch nicht in der Lage, kürzereTexte zu schreiben oder zu lesen.6

Ziele: Den Teilnehmenden wird bewusst,welche Lese- und Schreibanforderungen inDeutschland an einen funktionalen »Alpha-beten« gestellt werden.

4 Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S. 415 Grotlüschen, Riekmann (2011) Vortrag »Bilanzkon-

ferenz Berlin, März 2011«., S. 19 6 ebd., S. 16

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Variante: gesellschaftliche TeilhabeZ.B. gesellschaftspolitische Akteure

Nach der Leo-Studie sind funktionale An -alphabeten »aufgrund ihrer begrenztenschriftsprachlichen Kompetenzen nicht inder Lage, am gesellschaftlichen Leben inangemessener Form teilzuhaben.«7

Sie können sich nicht an gesellschaftlichenProzessen beteiligen, bei denen Lesen undSchreiben erforderlich ist. Die Teilhabe ander Gesellschaft von funktionalen Analpha-beten ist daher sehr eingeschränkt. Auchihre eigene Entwicklung können sie durchLesen und Schreiben nicht fördern.8

In jeder Gesellschaft sind unterschiedlicheLese- und Schreibanforderungen mit gesell -schaftlicher Teilhabe verbunden. Ein Mensch,der in Deutschland funktionaler Analphabetist, kann in einem Entwicklungsland »Al-phabet« sein, da er die dortigen Anforde-rungen erfüllt.9

Bei der in Deutschland durchgeführten Leo-Studie – die 7,5 Millionen funktionaleAnalphabeten erfasste – wurden die gesell-schaftlichen Anforderungen wie folgt fest-gelegt: Funktionaler Analphabetismus be-deutet, »dass eine Person zwar einzelneSätze lesen oder schreiben kann, nicht je-doch zusammenhängend – auch – kürzereTexte.«10 Damit können 7,5 Millionen Men-schen in Deutschland keinen kürzeren zu-sammenhängenden Text schreiben.

Ziele: Den Teilnehmenden wird deutlich,dass funktionaler Analphabetismus eng mitder Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teil-habe verbunden ist und dass es damit eingesellschaftspolitisch bedeutendes Themaist. Sie bekommen eine Vorstellung von denLese- und Schreibanforderungen, die inDeutschland an einen funktionalen »Alpha-beten« gestellt werden. Sie lernen die Defi-nition von funktionalem Analphabetismuskennen, die von der Leo-Studie verwendetwird.

7 ebd., S. 48 ebd., S. 49 Döbert, Hubertus (2000) Ihr Kreuz ist die Schrift,

S. 16ff.10 Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S. 4

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Variante: MigrationZ.B. Fachpublikum »Deutsch als Zweit -sprache«

Sogenannte totale Analphabeten könnenüberhaupt nicht lesen und schreiben undhaben es nie gelernt, da sie nie zur Schulegegangen sind. Dieses Problem taucht beiin Deutschland aufgewachsenen Menschennur sehr selten auf. Man kennt dieses Phä-nomen beispielsweise von Zirkuskindern,Roma und Sinti sowie von Menschen die aufHausbooten leben.

Totaler Analphabetismus kommt vor allembei Menschen vor, die in Deutschland leben,aber in Entwicklungs- oder Schwellenlän-dern aufgewachsen sind. Sie können nichtlesen und schreiben, da es in ihrem Heimat-land keine Schulpflicht gab oder die Schul-pflicht nicht umgesetzt wurde. Totaler An -alphabetismus ist in Deutschland daher einPhänomen, das überwiegend bei Migrantenund Migrantinnen auftritt.

Sogenannte funktionale Analphabeten sindin die Schule gegangen, haben aber trotz-dem nicht ausreichend lesen und schreibengelernt. Sie kennen häufig einige Buchsta-ben, können manche Schriftbilder lesen

oder sogar kleine – wenn auch sehr fehler-hafte – Sätze schreiben. Trotz der unter-schiedlichen Kenntnisse ist ihnen eines gemeinsam: Sie können nicht in dem Maße lesen und schreiben, wie es die Gesellschaftvon ihnen verlangt.

Die Lese- und Schreibprobleme von Migran-ten und Migrantinnen stellen kein Tabuthemada. Im Gegensatz dazu wird selten disku-tiert, dass in Deutschland aufgewachseneMenschen erhebliche Lese- und Schreib-probleme haben. Bekannt sind die fehlen-den Lese- und Schreibkenntnisse von Schü-lern und Schülerinnen (z.B. PISA-Studie). Eswird aber nicht davon berichtet, dass dieseSchüler und Schülerinnen auch erwachsenwerden und dann immer noch nicht ausrei-chend lesen und schreiben können und dassdas wenige Gelernte wieder verlernt wird.Im Folgenden geht es nicht um das Thematotaler Analphabetismus bei Migranten undMigrantinnen, sondern um funktionalen Analphabetismus bei Menschen, die inDeutschland aufgewachsen und zur Schulegegangen sind und trotzdem nicht ausrei-chend lesen und schreiben gelernt haben. 11

Ziele: Den Teilnehmenden wird bewusst,dass funktionaler Analphabetismus nicht nurMigranten und Migrantinnen sondern auchin Deutschland sozialisierte Menschen betrifft. Sie lernen die Definition von funk-tionalem und totalem Analphabetismuskennen.

11 Döbert, Hubertus (2000) Ihr Kreuz ist die Schrift,S. 20ff.

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Niveaustufen

Variante: kurz und praxisnahDie TrainerIn wählt einige Schriftbeispieleaus, die den Teilnehmenden gezeigt werdenund es wird ihnen kurz Zeit gelassen, umden Text zu lesen. Danach wird einer derAnwesenden gebeten, den Text vorzulesen.Anschließend kann über die Lebenssitua-tion und die Motivation der jeweiligen Ler-nenden, lesen und schreiben zu lernen, be-richtet werden.

»Das Auto ist schnell. Ich fahre mit demBus. Das Wetter ist schön.«Mechtild Müller-Benecke (Fachbereichslei-terin Alphabetisierung VHS Regionalver-band Saarbrücken): »Dies ist der Text eines22 Jahre alten Lerners, der langsam lesenkann. Er hat die Sonderschule besucht undzurzeit ist er in einer Beschäftigungsmaß-nahme. Er will schreiben lernen, um eineArbeitsstelle zu finden.«

»Heute ist Dienstag, ich bin im Kurs undlerne lesen und schreiben heute Abend. Unddann fahre ich  nach  heim. Ich habe einenHund daheim, der Hund heißt Aike. Ich freuemich auf daheim.«Kajo Wintzen (VHS-Kursleiter in Hessen):»Der Text entstand  als freie Arbeit einerLernenden. Sie schreibt seit einem Jahr ne-ben ihren Arbeiten im Kurs regelmäßig ein-mal pro Woche solche kleinen Texte auchals E-Mail an mich.«

»Ich kaufe mir Brot. Ich fahre mit dem Bus.Im Zoo sind viele Tiere. Der Arzt gibt mireine Spritze.« Mechtild Müller-Benecke (Fachbereichslei-terin Alphabetisierung VHS Regionalver-band Saarbrücken): »Diese Lernende ist 48Jahre alt. Sie hat als Reinigungskraft gear-

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beitet, jetzt ist sie arbeitslos. Ihre Tochter istweggezogen und sie hat niemanden mehr,der ihr beim Schreiben hilft. Jetzt will sieselbst lesen und schreiben lernen.«

Die folgenden Schreibproben sind auf dieFrage hin entstanden, warum die Lernen-den lesen und schreiben lernen wollen.

»Das Lesen und Schreiben ist  mir wichtig,dass ich meine Briefe lesen kann undschreiben kann, dass man nicht von ande-ren abhängig ist und muss sich alles erklä-ren lassen.« Kajo Wintzen (VHS-Kursleiter in Hessen):»Dieser Text wurde von einem Lerner (Mitte40) geschrieben, der in seinem Beruf nichtlesen und schreiben muss. Trotzdem besuchter einen Alphabetisierungskurs, um selb-ständig zu sein und um zum Beispiel Zeitun-gen lesen zu können. Artikelüberschriften inder Tageszeitung kann er lesen. Er kanneinfache Texte selbstständig erlesen, wennsie nicht zu lange oder zu schwierige Worteenthalten. Allerdings muss er sich jedesWort Buchstabe für Buchstabe immer wie-der neu erlesen. Manche Kleinwörterschreibt er regelmäßig richtig. Beim Schrei-ben vertauscht er häufig Buchstaben.«

»Ich gehe in die Volkshochschule, weil ichlesen und schreiben lerne. Ich will mein Le-sen verbessern. Ich habe Probleme, weil ichin den Kurs gehe. Mein Lesen und Schrei-ben hat sich verbessert. Ich muss oft einenText schreiben und mir Freitag [Textlücke],weil ich im Lesen und Schreiben Problemehabe.«Kajo Wintzen (VHS-Kursleiter in Hessen):»Die Lernende hat gelernt, dass sie trotz ih-rer Fehler schreiben kann. Ihre Textbeiträgewerden völlig selbstständig verfasst. Manc h -mal entstehen Sinnverschiebungen oderTextlücken, da ihre Gedanken verdreht odergar nicht auf das Papier finden.«

Einbinden von LernendenSie können auch Schriftbeispiele von Ih-nen bekannten Lernenden verwenden.Wahren Sie dabei die Anonymität derBetroffenen. Wenn Sie Lernende in dieVeranstaltung einbinden, verwenden Siebitte keine Schreibproben von anwesen-den Lernenden und lassen Sie die Ler-nenden nicht vorlesen.

Ziele: Den Teilnehmenden wird deutlich,was es bedeutet, nur eingeschränkt schrei-ben zu können. Sie bekommen einen erstenEindruck von den Lernenden und ihrer Moti-vation, lesen und schreiben zu lernen.

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Variante: AlphalevelZ.B. Kursleitende, Wissenschaftler/-innen

In der Leo-Studie wird funktionaler An -alphabetismus in drei Niveaustufen unter-teilt (Alpha 1–3). Auf dem ersten Alphalevelunterschreiten Menschen die Wortebene.Sie können eventuell einzelne Buchstabenschreiben, diese aber nicht zu Wörtern zu-sammensetzen. Durch das Beispiel wirddeutlich, dass der Betroffene einzelneBuchstaben schreiben kann, sich aber beimSchreiben des Buchstabens »B« unsicherist. Nach der Leo-Studie gibt es in Deutsch-land 0,3 Millionen Erwachsene, die sich aufdem ersten Alphalevel befinden.

Auf dem zweiten Alphalevel unterschreitenMenschen die Satzebene. Sie können Buch-staben zu Wörtern zusammensetzen, nichtaber Wörter zu kürzeren Sätzen. Durch dasBeispiel wird deutlich, dass dieser Betrof-fene zwar Wörter schreiben kann, dieseaber nicht unbedingt orthographisch richtigsein müssen. Nach der Leo-Studie gibt es inDeutschland 2 Millionen Erwachsene, diesich auf dem zweiten Alphalevel befinden.

Auf dem dritten Alphalevel unterschreitenMenschen die Textebene. Sie können Wörterzu kürzeren Sätzen zusammensetzen, sindaber nicht in der Lage, lange und kompli-zierte Sätze oder kürzere Texte zu schreiben.Das Beispiel zeigt, dass auch auf diesem Al-phalevel noch keine grammatikalische undorthographische Sicherheit vorhanden ist.Nach der Leo-Studie gibt es in Deutschland5,2 Millionen Erwachsene, die sich auf demdritten Alphalevel befinden.12

Ziele: Die Teilnehmenden lernen die Ni-veaustufen der Leo-Studie kennen und be-kommen dadurch einen Eindruck von denLese- und Schreibfähigkeiten funktionalerAnalphabeten.

12 Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S. 16f.

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Ursachen

Variante: kurz und praxisnah

Die Ursachen dieser Lese- und Schreibpro-bleme sind vielfältig und von Fall zu Fall un-terschiedlich. Häufig beginnen die Pro-bleme in einem Alter, in dem die Betroffe-nen noch keinen wirklichen Einfluss auf ihrLeben haben. Vernachlässigung im Eltern-haus und überforderte Lehrende, die dieProbleme der Kinder nicht auffangen kön-nen, sind ursächlich für immense schuli-sche Problemen, die schon in der Grund-schule beginnen können. Diese könnenhäufig weder in der Regel- noch in der För-derschule nachgeholt werden. Wegen desdaraus entstehenden geringen Zutrauens indie eigenen Fähigkeiten und des negativenSelbstbildes vermeiden die Betroffenen imErwachsenenalter das Lesen und Schrei-ben. Das wenige was gelernt wurde, wird sowieder verlernt.13 Eine aktuelle Erhebungunter Lernenden in Volkshochschulen zeigt,dass funktionale Analphabeten darüber hi-naus sehr häufig gesundheitliche Problemehaben.14 Diese könnte Ursache für funktio-nalen Analphabetismus sein oder eineFolge dessen, der Zusammenhang ist nochungeklärt.

Ziele: Die Teilnehmenden bekommen einenkurzen Überblick über die möglichen Ursa-chen des funktionalen Analphabetismus.

Variante: KindesalterZ.B. Sozialberatungsstellen, Kindertages-stätten, Schulen

Die Grundlagen für den Lese- und Schreib-erwerb werden bereits vor Schuleintritt ge-legt. In dieser frühen Entwicklungsphase(präliterale Phase) nähern sich Kinder derSchrift ohne zu schreiben. Beispielsweiselernen sie durch Kritzelbilder, motorischmit dem Stift umzugehen, erkennen bereits,dass Schrift Informationen beinhaltet undwofür lesen und schreiben im Alltag wichtigist.15

13 Brügelmann, Brinkmann, (1995) Stufen desSchriftspracherwerbs; Egloff (1997) Biographi-sche Muster und Bewältigungsstrategien, S. 131ff., 156ff.

14 Rosenbladt, Bilger (2011) AlphaPanel15 Brügelmann, Brinkmann, (1995) Stufen des

Schriftspracherwerbs

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Damit Kinder die wichtigen Grundlagen undEinsichten für den Schriftspracherwerb er-langen können, müssen sie Förderung undGelegenheit zum Umgang mit Symbolen er-halten. Hierbei spielt das Elternhaus einewichtige Rolle. Durch lesende und schrei-bende Vorbilder erkennen Kinder den Sinnvon Schrift und entwickeln ein Interesse fürdas Geschriebene. Eltern, die selbst keinenZugang zur Schrift haben, fällt es schwer,ihre Kinder in dieser (früh)kindlichen Phasezu unterstützen. Lese- und Schreibpro-bleme werden auf diese Weise an dienächste Generation weitergegeben.

Bei der Einschulung treffen sie auf Schulka-meraden, die vielleicht schon ihren Namenschreiben und motorisch mit dem Stift um-gehen können. In großen Schulklassen kön-nen Lehrende diese Kompetenzunters ch i e demeist nicht überbrücken. Einige Kinder fal-len durch das Raster und lernen nicht odernur schlecht lesen und schreiben.16

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Weitere frühe Auslöser für funktionalen An-alphabetismus können die elterliche »Lei-densbiographie« sein und eine schlechtesoziale Situation der Familie. Dadurch er-fahren die Kinder schon sehr früh emotio-nale Vernachlässigung, mangelnde Zuwen-dung, Lieblosigkeit, Stigmatisierung, Ge-walt, Vertrauensverlust, Missbrauch alsArbeitskraft und materielle Unterversor-gung. Diese Erfahrungen belasten die Kin-der psychisch wie auch physisch sehr stark.

Die psychische Belastung der Kinder kannsich in der Schule negativ auf den Lernpro-zess auswirken. Neben Auffälligkeiten imSozialverhalten gerät der Prozess des lesenund schreiben Lernens ins Stocken. In derSchulzeit und im Erwachsenenleben erfah-ren diese Kinder schnell weitere Stigmati-sierung und Diskriminierung, was zu einersozialen und psychischen »Leidensbiogra-phie« führen kann.17

Damit ist funktionaler Analphabetismus einThema, dass Kindertagesstätten und Schu-len im gleichen Maße betrifft wie Institutio-nen der Erwachsenenwelt.

Ziele: Die Teilnehmenden bekommen einendetaillierten Überblick über die möglichenUrsachen des funktionalen Analphabetis-mus im Kindesalter, die Konsequenzen fürdie Jugendzeit und das Erwachsenenlebenund den Teufelskreis, in dem sich Familienbefinden können. Ihnen wird deutlich, dassfunktionaler Analphabetismus ein Themaist, dass Kinder, Jugendliche und Erwach-sene betrifft und somit in Institutionen allerLebensphasen Beachtung finden muss.

16 ebd.17 Egloff (1997) Biographische Muster und

Bewältigungsstrategien, S. 131ff., 156ff.

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Modul 2 Sensibil isierung

Situative Hürden

Die TrainerIn zeigt das Lesebeispiel »Finni-sche Toilette« oder »Chinesische Toiletten-tür«. Die Teilnehmenden werden in denmeisten Fällen nicht wissen, welches dieWorte für »Damen« oder »Herren« sind undwerden raten.

Ziele: Die Teilnehmenden bekommen einenEindruck von alltäglichen Leseanforderun-gen und den damit verbundenen Hürden.Sie lernen, sich besser in die Situation derBetroffenen hineinzuversetzen.

Lesekompetenzen

Die TrainerIn bittet einen Teilnehmendenden »Buchstabensalat« laut vorzulesen. DieTeilnehmenden werden den Text lesen kön-nen, obwohl die Buchstaben der Wörternicht in der richtigen Reihenfolge sind. DieTrainerIn erklärt, dass Texte gelesen wer-den können, auch wenn innerhalb der ein-

zelnen Wörter die Buchstaben zufällig ver-tauscht sind und nur der erste und derletzte Buchstabe richtig angeordnet sind.

Ziele: Den Teilnehmenden wird deutlich,dass sie Wörter nicht Buchstabe für Buch-stabe erlesen, sondern Wortbilder lesen. Ih-nen wird bewusst, welche Kompetenzensich erwachsene Analphabeten erarbeitenmüssen und sie bekommen einen erstenEindruck von der Dauer des Alphabetisie-rungsprozesses.

Studie der Universität CambridgeDie Universität Cambridge hat dieseStudie nie durchgeführt. Dieser Text ver-breitete sich im Internet und eine eng-lisch-amerikanische Forschergruppewurde darauf aufmerksam. Die For-schergruppe führte diese Studie durchund konnte die vermeintlichen Ergeb-nisse der Universität Cambridge bestäti-gen.

Einbindung von BetroffenenLassen Sie (ehemalige) funktionale An-alphabeten den »Buchstabensalat« bittenie vorlesen, wenn sie in die Veranstal-tung eingebunden werden.

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Modul 3 Lebenswelt der Betroffenen

Alltägliche Probleme› Themenschwerpunkt: Bildung und Beruf

(z.B. Schulen, Unternehmen, Arbeits -vermittlung, gesellschaftspolitische Akteure)

Berufliche Probleme› Themenschwerpunkt: Bildung und Beruf

(z.B. Unternehmen, Arbeitsvermittlung,berufsbildende Schulen, gesellschafts -politische Akteure)

Stärken und Kompetenzen

Motivation zum Kursbesuch

Alphabetisierungsangebote vor Ort

Alltägliche Probleme

Den folgenden Ausführungen liegen Erfah-rungen aus der Alphabetisierungsarbeit inWeiterbildungskursen zu Grunde. ErweiternSie diese Beispiele auf Grundlage Ihrer ei-genen Erfahrungen und wählen Sie einigeder folgenden Beispiele aus, sodass sie aufdie gewünschte Sprechzeit kommen.

Kommunikation: Betroffene haben großeProbleme beim Lesen und Schreiben bei-spielsweise von Briefen, Ansichts- undGlückwunschkarten, Einladungen, Liebes-briefen, SMS, E-Mails, Notizen sowie bei derBenutzung des Internets. Dadurch sind sievon einem wichtigen Teil der sozialen Kom-munikation ausgeschlossen.

Mobilität: Öffentliche Verkehrsmittel stehenvielerorts nur sehr eingeschränkt zur Verfü-gung oder werden wegen der Leseanlässe,beispielsweise an Fahrkartenautomaten, ge-mieden. Auch der Erwerb des Führerscheinsstellt wegen der zu erwartenden Schreib-und Leseanforderungen eine unüberwind -liche Hürde dar. Die Orientierung an fremdenOrten birgt Lese- und Schreibsituationen, dieBetroffene abschrecken können.

Freizeitaktivitäten: Freizeitaktivitäten, die mitLesen und Schreiben verbunden sind, wer-den von vielen Betroffenen umgangen. Sonehmen sie häufig nicht an Spieleabendensowie sportlichen und kulturellen Aktivitä-ten teil.

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Informationen: Die Betroffenen haben großeSchwierigkeiten Zeitschriften, Zeitungenoder Bücher zu lesen sowie sich im Internetzu informieren. Dies kann zu einer generel-len Uninformiertheit führen.

Essen und Trinken: Manche Betroffene mei-den den Kauf von ihnen unbekannten Lebensmitteln, da sie Preisschilder undProduktbezeichnungen nicht lesen und zu-ordnen können. Es wird das gekauft, wasaus dem Elternhaus oder der Werbung be-kannt ist. Der Layoutwechsel eines Pro-dukts oder die Neuanordnung im Super-markt kann es unmöglich machen, diesesProdukt wieder zu finden. Auf Dauer kanndies zu einer sehr eingeschränkten Ernäh-rung führen.

Gesundheit: Wenn Betroffene durch Ärzte/-innen oder Apotheker/-innen nicht ausrei-chend über die Einnahme und Risiken vonMedikamenten aufgeklärt werden, fällt esihnen schwer, sich diese Informationenselbständig anzueignen. Dies kann zu einerjahrelangen Fehleinnahme führen und ge-sundheitliche Probleme nach sich ziehen.

Existenzbedrohende Situationen: Formularewie Steuererklärungen und Anträge aufKindergeld können von den Betroffenen we-der gelesen noch ausgefüllt werden. Briefevon Behörden oder Rechnungen könnennicht gelesen werden und werden im Ex-tremfall weggeworfen. Dies kann existenz-bedrohende finanzielle Situationen wie bei-spielsweise Überschuldung und Problememit Behörden nach sich ziehen.

Soziales Umfeld: Manche Betroffene ziehensich vollkommen zurück und ihr Leben istvon Isolation, Vermeidung und Depressiongeprägt. Andere sind extrem offensiv, sieverschleiern ihre fehlenden Lese- und Schr e i b -kompetenzen durch clevere Ausreden undSchlagfertigkeit. Viele Betroffene suchen sichAktivitäten, die ihre Schwächen kompensie-ren, dies geht von sportlichem Engagementbis hin zur Gründung einer großen Familie.

Ziele: Den Teilnehmenden wird bewusst,welche Konsequenzen funktionaler Analpha -betismus für das Privatleben der Betroffenenhaben kann. Teilnehmende, die beispiel-weise in (Sozial-)Beratungsstellen, Kinder-tagesstätten, Schulen und der Arbeits -vermittlung arbeiten, wird deutlich, dass diealltäglichen Probleme mit manchen Kunden,Klienten und Eltern womöglich auf funktio-nalen Analphabetismus zurückzuführen sind.

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Themenschwerpunkt: Bildung und BerufZ.B. Schulen, Unternehmen, Arbeitsver-mittlung, gesellschaftspolitische Akteure

»Rund 65.000 Schüler/-innen haben imSommer 2008 die Schule ohne einen Haupt-schulabschluss verlassen, das entspricht7,5 Prozent der gleichaltrigen Bevölke-rung.«18 Dies betrifft im besonderen Maßefunktionale Analphabeten. Sie haben fastviermal so häufig keinen Schulabschluss(19,3 %) wie die erwachsene Bevölkerungim Allgemeinen (5%). Sie haben viel häufigereinen unteren Schulabschluss und viel sel-tener einen mittleren oder höheren Schul-abschluss als die erwachsene Bevölkerungim Allgemeinen.19 Funktionale Analphabe-ten mit einem höheren Bildungs abschlusssind zumeist Migranten und Migrantinnenund haben keine deutsche Schule besucht.20

Daher fällt ihnen der Übergang von derSchule in den Beruf besonders schwer. Esgibt berufsvorbereitende Bildungsmaßnah-men (BvB) und ausbildungsbegleitende Hil-fen (abH), um Jugendlichen den Einstieg insBerufsleben zu erleichtern. In diesen Maß-nahmen werden überwiegend beruflicheKompetenzen vermittelt. Das Thema Alpha-betisierung spielt nur in Einzelfällen eine

Rolle. Jugendliche, die wegen ihrer fehlen-den Lese- und Schreibkompetenzen und ih-rem niedrigen Bildungsabschluss keinenAusbildungsplatz finden, kann so nicht wei-tergeholfen werden. Erwachsene funktio-nale Analphabeten sind fast doppelt so häu-fig arbeitslos (16,7%) wie die erwachseneBevölkerung im Allgemeinen.21

Ziele: Die Teilnehmenden lernen die schuli-sche und berufliche Situation der Betroffe-nen kennen und bekommen so ein erweiter-tes Verständnis für ihre Lebenslage.

Berufliche Probleme

Es wird die Frage ins Plenum gestellt, obden Anwesenden Berufe bekannt sind, indenen es keine Lese- und Schreibanforde-

18 Klemm (2010) Jugendliche ohne Schulabschluss,S.4

19 Grotlüschen, Riekmann, (2011) Leo-Studie, S. 48, 44

20 Grotlüschen; Riekmann (2011) Vortrag »Bilanz-konferenz Berlin, März 2011«, S. 19

21 Grotlüschen, Riekmann, (2011) Leo-Studie, S. 48,44

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rungen gibt. Die Teilnehmenden werden nurwenige Antworten finden und sich gegensei-tig – oder durch die TrainerIn – auf Schreib-und Leseanlässe aufmerksam machen, diein den aufgezählten Berufen notwendigsind. Die am häufigsten genannten Bei-spiele sind erfahrungsgemäß die Berufe derPutzfrau bzw. der Reinigungskraft oder desLagerarbeiters.

Den folgenden Inhalten liegen Erfahrungenaus der Alphabetisierungsarbeit in Weiter-bildungskursen zu Grunde. Erweitern Siediese Beispiele auf Grundlage Ihrer Erfah-rungen. Wenn es die Situation zulässt, könnenSie die folgenden Inhalte auch in die voran-gegangene Diskussion einfließen lassen.

Reinigungskraft: Der Beruf der Reinigungs-kraft ist einer der wenigen Berufe, für diekeine Ausbildung benötig wird. Die Anforde-rungen an diesen Beruf sind trotzdem ge-stiegen. Es ist nicht mehr ausreichend, ei-nen Raum zu säubern, sondern es müssenverschiedene Spezialreinigungsmittel (z.B.Lederreinigung, Schimmelentferner) vonei-nander unterschieden und deren Verwen-dungsbereiche müssen nachgelesen wer-den. Selbst in Berufen für Menschen ohneAusbildung sind die Lese- und Schreiban-forderungen immens gestiegen.

Lagerfacharbeiter: Früher hat ein Lager-facharbeiter im Regal nachgesehen, wieviele Schrauben auf Lager sind. Heute mussder Bestand im PC eingegeben und abgeru-fen werden.

Handwerk: In jedem handwerklichen Berufmüssen Protokolle, Arbeitsnachweise,schriftliche Arbeitsanweisungen, Arbeitsb e -richte, Gefahrenhinweise oder Sicherhe it s -bestimmungen geschrieben und gelesenwerden. Der Umgang mit dem Computerund mit Maschinen mit Display wird in im-mer mehr Berufen gefordert.

Betroffene haben Angst davor, ihre Lese-und Schreibprobleme ihren Kollegen/-innenoder Vorgesetzten zu offenbaren, da sieAngst vor einer Kündigung haben. Sie neh-men häufig nicht an Weiterbildungen teil undverzichten auf Beförderungen, um mög -lichen Lese- und Schreibanlässen aus demWeg zu gehen.

Der Beruf kann für funktionale Analphabe-ten ein »Minenfeld« sein, überall bietet sichdie Gefahr »aufzufliegen«. Diese ständigeWachsamkeit kann zu Stress führen, der aufDauer psychisch und physisch belastendwirkt.

Ziele: Den Teilnehmenden wird bewusst,dass auch für einfache Berufe Lese- undSchreibkompetenzen benötig werden. Ihnenwird deutlich, welche konkreten Problemesich für Betroffene am Arbeitsplatz ergebenund wie die Betroffenen darauf reagieren.

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Themenschwerpunkt: Bildung und BerufZ.B. Unternehmen, Arbeitsvermittlung, berufsbildende Schulen, gesellschaftspoli-tische Akteure

12,4% der Erwerbstätigen sind funktionaleAnalphabeten.22 Kleine Unternehmen mitweniger als 10 Mitarbeiter/-innen beschäf-tigen rein statistisch einen funktionalen An-alphabeten. Mittlere Unternehmen mit we-niger als 500 Mitarbeiter/-innen beschäfti-gen rein statistisch bis zu 60 funktionaleAnalphabeten.23

Es gibt Branchen, in denen der Anteil derfunktionalen Analphabeten weitaus höherist. Beispielsweise in einem Unternehmenaus der Reinigungsbranche mit 10 Reini-gungskräften sind rein statistisch fast dieHälfte – also 4 Beschäftigte – funktionaleAnalphabeten. Bei einem mittleren Reini-gungsbetrieb von bis zu 500 Beschäftigensind rein statistisch bis zu 200 Reinigungs-kräfte funktionale Analphabeten.24

Dieses Beispiel können Sie auch für andereBranchen oder brachenübergreifend dar-stellen. Eine Übersicht hierüber finden Siein der zum Vortrag gehörenden PowerPoint-Präsentation, die sie über den »Bundes -verband Alphabetisierung und Grundbildunge.V.« beziehen können. In der PowerPoint-Präsentation finden Sie auch ein Video desProjekts »Grawira« über die erfolgreicheZusammenarbeit der Hamburger Stadtrei-nigung mit der örtlichen Volkshochschule.

Ziele: Den Teilnehmenden wird deutlich,dass Analphabetismus ein Thema ist, dassauch in Unternehmen eine Rolle spielt. Sielernen Brachen kennen, in welchen funktio-naler Analphabetismus besonders ausge-prägt ist.

Stärken und Kompetenzen

Den folgenden Inhalten liegen Erfahrungenaus der Alphabetisierungsarbeit in Weiter-bildungskursen zu Grunde. Erweitern Siediese Beispiele auf Grundlage Ihrer Erfah-rungen.

22 Grotlüschen, Riekmann (2011) Leo-Studie, S.4823 Definition nach dem Institut für Mittelstands -

forschung24 ebd.

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»Funktionale Analphabeten können garnicht dumm sein, sonst würden sie viel öfterauffallen!«(Besucher der Buchmesse amStand des »Bundesverbandes Alphabetisie-rung und Grundbildung e.V.«).

Kreativität: Funktionale Analphabeten müs-sen sich ständig Ausreden einfallen lassen,um nicht aufzufallen und trotzdem ihren All-tag bewältigen zu können. Diese Ausredenund Vermeidungsstrategien erfordern einHöchstmaß an Kreativität und Einfühlungs-vermögen in eine Situation.

Soziale Intelligenz: Die Betroffenen sind häu-fig sehr sensibel und emphatisch. Sie be-schäftigen sich intensiv mit ihrem Gegen-über, da sie immer darauf achten, ob je-mand ihre Schwächen erkennt.

Gutes Kurzzeitgedächtnis: Da sich funktio-nale Analphabeten nur sehr eingeschränktetwas aufschreiben können, müssen siesich sehr viel merken. Das schult ihr Kurz-zeitgedächtnis. »Seitdem ich lesen undschreiben kann, muss ich mir ständig allesaufschreiben, da ich mir nichts mehr mer-ken kann.« (Karl Lehrer, SelbsthilfegruppeAnalphabeten Ludwigshafen)

Ziele: Den Teilnehmenden wird deutlich,dass funktionaler Analphabetismus nichteine rein defizitäre Erscheinung ist.

Motivation25

Den folgenden Inhalten liegen Erfahrungenaus der Alphabetisierungsarbeit in Weiter-bildungskursen zu Grunde. Erweitern Siediese Beispiele auf Grundlage Ihrer Erfah-rungen.

Lebenskrise: Durch die fehlenden Lese- undSchreibfähigkeiten trägt jeder funktionaleAnalphabet einen gewissen Leidensdruck insich. Ein hoher Leidensdruck kann zum Be-such eines Alphabetisierungskursesebenso motivieren wie ein konkreter biogra-phischer Bruch im Leben der Betroffenen.

Kinder: Einen der wichtigsten biographi-schen Brüche stellen Kinder dar. In derSchwangerschaft, nach der Geburt oder wennKinder in die Schule kommen, empfindenviele Betroffene ein großes Bedürfnis lesenund schreiben zu lernen. Sie wollen ihrenKindern in der Schule oder bei Problemen,für die Lesen- und Schreiben erforderlichist, helfen. Sie wollen ihren Kindern etwasvorlesen und all die Dinge tun, die ohne le-sen und schreiben zu können unmöglichscheinen.

25 Döbert, Hubertus (2000) Das Kreuz ist die Schrift,S. 41

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»Ich bin Vater geworden. Meinem Sohn sollnicht das passieren, was mir passiert ist.Bevor er in die Schule kam, musste ich mitmir ins Reine kommen, musste lesen undschreiben lernen. Weil ich ihm immer in derGrundschule helfen wollte, das hat auchwunderbar geklappt. Auch während der Realschule haben wir immer gelernt. Wirhaben spielerisch gelernt. Ich habe ihm dik-tiert und dann hat mein Sohn mir diktiert.Es hat immer Spaß gemacht, ich wollte,dass mein Sohn Spaß am Lernen hat.« (KarlLehrer, Selbsthilfegruppe AnalphabetenLudwigshafen)

Vertrauensperson: Menschen, die nur sehrschlecht lesen und schreiben können, habenhäufig eine Vertrauensperson, die ihnen beiwichtigen Lese- und Schreibarbeiten hilft(z.B. Lebenspartner/-innen, Verwandte, guteFreunde, Sozialarbeiter/-innen oder Be-treuer/-innen). Fällt die Vertrauenspersonplötzlich weg (z.B. durch Scheidung, Tren-nung, Tod, Wegfall der/des Sozialarbeiter/-in bzw. Betreuer/-in) entstehen schnell vieleexistenzbedrohende Probleme, die motivie-ren können, lesen und schreiben zu lernen.

»Eine 59-jährige Teilnehmerin ist geradeneu bei mir im Kurs. Ihr Mann ist ganzplötzlich gestorben. Jetzt steht sie da undmuss alles alleine machen. Sie war schon malvor 15 Jahren im Kurs und hat sich nun er-kundigt, ob es den Kurs noch gibt.« (Elfr i e deHaller, Kursleiterin VHS Ludwigshafen).

Auch eine neue Partnerschaft, ein neuer Ar-beitsplatz oder Aufstiegschancen könnenMotivation genug sein, um lesen und schrei-ben lernen zu wollen.

Ziele: Die Teilnehmenden entwickeln einVerständnis für die Motivation der Betroffe-nen, einen Alphabetisierungskurs zu besu-chen, was ihnen bei der Vermittlung von Be-troffenen in einen Kurs behilflich sein kann.

Alphabetisierungsangebote vor Ort

Die Teilnehmenden wird in jedem Fall inte-ressieren, welche Alphabetisierungsange-bote es vor Ort gibt und welche Ansprech-person für die Anmeldung zuständig ist. Aufeiner längeren Infoveranstaltung oder einerFortbildung kann die lokale Kursleitung dieLernangebote und Anlaufstellen im BereichAlphabetisierung und Grundbildung vorstel-len. Bei kurzen Vorträgen oder kürzeren In-foveranstaltungen ist es sinnvoll, die Ange-bote und Anlaufstellen zu nennen und denTeilnehmenden eine Übersicht mitzugeben.

Ziele: Die Teilnehmenden lernen die ört -lichen Alphabetisierungsangebote und Kurs-leitenden kennen. Durch den persönlichenKontakt wird die Vermittlung in Alphabeti-sierungsangebote vereinfacht.

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Modul 4 Rolle von Schlüssel -personen

Informieren

Um einen Alphabetisierungskurs zu be -suchen, müssen Betroffene nicht nur eineMotivation verspüren, sondern müssen vonDritten über ihre Chancen informiert wer-den, auch im Erwachsenenalter lesen undschreiben lernen zu können.

Die Betroffenen sind häufig nicht darüberinformiert, dass es in Volkshochschulen so-wie bei kirchlichen und freien Trägern dieMöglichkeit gibt, im Erwachsenenalter Le-sen und Schreiben zu lernen. Sie wissenmeistens auch nicht, dass sie mit ihremProblem nicht alleine sind, sondern dass es7,5 Millionen Menschen in Deutschland gibt,denen es genauso geht.

Über die üblichen Wege der Öffentlichkeits-arbeit (z.B. Flyer, Programmhefte, Internet)können sie in der Regel nicht erreicht wer-den. Daher müssen Betroffene in erster Liniein ihrem Lebensumfeld über Dritte infor-miert werden. Dies ist nicht frei von Proble-men. In Deutschland sozialisierte funktio-nale Analphabeten geben sich aus Schamnur selten zu erkennen. In manchen Fällenwissen nicht einmal enge Freunde und Fa-milienmitglieder von den Schwierigkeiten,mit denen die Betroffenen täglich zu kämp-fen haben. Daher werden ihre Probleme invielen Fällen nicht erkannt und bleiben imVerborgenen.

Ziele: Die Teilnehmenden lernen die Proble-matik der Zielgruppengewinnung in der Al-phabetisierungs- und Grundbildungsarbeitkennen.

Erkennen

Es wird die Frage ins Plenum gegeben, obeiner der Anwesenden schon einmal einenfunktionalen Analphabeten kennengelernthat. Erfahrungsgemäß schildern einige we-nige Teilnehmende ausführlich ihre Begeg-nungen mit Betroffenen. Wenn aus denSchilderungen nicht direkt klar wird, wie dieTeilnehmenden die Betroffenen erkannt ha-ben, kann die TrainerIn nachfragen. DieseBegegnungen können die Teilnehmendenberührt haben und sie betroffen gemachthaben. Manche Teilnehmenden werden mitabfälligen Bemerkungen wie »Die sind dochdumm, faul und unwillig, etwas an ihrer Si-tuation zu ändern« reagieren. Abschließendzur oder während der Diskussionsrundeverdeutlicht die TrainerIn den Teilnehmen-den ihre mögliche Rolle in einer solchen Be-gegnung und gibt erste Hinweise zum Er-kennen von funktionalem Analphabetismus.

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VortragHaben Sie vor einen Vortrag zu halten?Dann empfiehlt es sich den Teilnehmen-den nur erste Hinweise zum Erkennenvon funktionalem Analphabetismus zugeben und auf Fragestellung, Diskussionund den Hinweis auf ihre eigene Rolle zuverzichten.

Die geschilderten Begegnungen könneneine Chance für funktionale Analphabetensein. Hier haben sich die Betroffenen wo-möglich zum ersten Mal als funktionalerAnalphabet geoutet oder sie treffen zumersten Mal auf einen Menschen, der ihnenweiterhelfen kann.

Den folgenden Ausführungen liegen Erfah-rungen aus der Alphabetisierungsarbeit inWeiterbildungskursen zu Grunde. ErweiternSie diese Beispiele auf Grundlage Ihrer Er-fahrungen.

Eines der wichtigsten Merkmale zum Er-kennen von funktionalen Analphabeten sindihre Ausreden und Verschleierungsversuche:› »Ich habe meine Brille vergessen.«› »Kann ich das Formular mit nach Hause

nehmen?«

› »Bitte füllen Sie das für mich aus, danngeht es schneller.«

› »Ich habe mir meinen Arm verletzt, bitteschreiben Sie das für mich.«

› »Lesen Sie das bitte noch einmal durch,vielleicht habe ich ja noch etwas über -sehen.«

› Darüber hinaus haben Betroffene Pro-bleme beim chronologischen Erzählen.

Ziele: Die Teilnehmenden können einen Be-zug zu ihrer Arbeitswelt herstellen und be-kommen einen Eindruck von ihrer wichtigenRolle als Vermittler/-innen. Die Teilneh-menden lernen erste Hinweise auf das Vor-liegen von funktionalem Analphabetismuskennen.

Brückenfunktion

Menschen die beispielweise in Sozialbera-tungsstellten, in Kindertagesstätten, in Grun d -schulen, in der Arbeitsvermittlung und inUnternehmen arbeiten und dort Kontakt zufunktionalen Analphabeten pflegen, sind inder Lage, die Betroffenen über die Möglich-keit zu informieren, auch im Erwachsenen-alter lesen und schreiben zu lernen.

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› Sie stellen funktionale Analphabeten vorLese- und Schreibsituationen, die einenAnlass geben können, über die Lese- undSchreibprobleme der Betroffenen zu reden;

› Sie besitzen in vielen Fällen das Vertrauender Betroffenen oder sind in der Positionselbiges zu erwerben, um das Themasensibel anzusprechen;

› Sie können funktionalen Analphabetenvermitteln, dass sie mit ihren Problemennicht alleine sind und dass sie auch im Erwachsenenalter noch die Möglichkeithaben, lesen und schreiben zu lernen;

› Sie können eine Brückenfunktion ein -nehmen und funktionale Analphabeten inAlphabetisierungskurse vermitteln;

› Sie können die Betroffenen auf dem Weghin zur Alphabetisierung bestärken undbegleiten.

Ziele: Die Teilnehmenden bekommen einekonkrete Vorstellung von ihrer Brücken-funktion.

Angebot zur Weiterarbeit

Abschließend zu jedem Vortrag, jeder Info-veranstaltung und jeder Fortbildung machtdie TrainerIn den Teilnehmenden ein Ange-bot zur Weiterarbeit. Beispielsweise kannauf eine Fortbildung, ein Netzwerktreffenoder eine Aktion hingewiesen und dazu ein-geladen werden. Die Kontaktdaten der loka-len Ansprechpersonen für Alphabetisierungwerden den Teilnehmenden kommuniziertund schriftlich weitergegeben.

EinladungNehmen Sie diese Situation zum Anlass,um die Teilnehmenden zu einer Fortbil-dung einzuladen und geben Sie ihnenentsprechende Informationen mit. Ak-tualisieren Sie die Folie der PowerPoint-Präsentation entsprechend.

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Anhang

Literatur

Brügelmann, Hans; Brinkmann, Erika(1995) Stufen des Schriftspracherwerbs undAnsätze zu seiner Förderung, in: Brügelmann,Hans; Richter, S. (Hrsg.): Wie wir schreibenlernen, Lengwil: Libelle, S. 44–52.

Egloff, Birte (1997) Biographische Musterfunktionaler Analphabeten. Eine biogra-phieanalytische Studie zu Entstehungsbe-dingungen und Bewältigungsstrategien von»funktionalem Analphabetismus«. Deut-sches Institut für Erwachsenenbildung.Online verfügbar: www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-1997/egloff97_01.pdf (Mai 2011)

Döbert, Marion; Hubertus, Peter (2000) IhrKreuz ist die Schrift. Analphabetismus undAlphabetisierung in Deutschland. Heraus-gegeben vom Bundesverband Alphabetisie-rung e.V.Online verfügbar: http://www.alphabetisie-rung.de/fileadmin/files/Dateien/Downlo-ads_Texte/IhrKreuz-gesamt.pdf (Mai 2010)

Grotlüschen, Anke; Riekmann, Wiebke(2011) Leo. – Level-One Studie. Kurzbe-richt, Hamburg. Online verfügbar: http://blogs.epb.uniham-burg.de/leo (April 2011)

Grotlüschen, Anke; Riekmann, Wiebke(2011) Vortrag »Bilanzkonferenz Berlin,März 2011«.Online verfügbar: http://blogs.epb.uniham-burg.de/leo/files/2011/03/2011-Marleo-v3-Bilanzkonferenz-Berlin.pdf (Juni 2011)

Klemm, Klaus (2010) Jugendliche ohneSchulabschluss. Analyse – RegionaleTrends – Reformansätze. Im Auftrag derBertelsmann Stiftung.Online verfügbar: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32343_32344_2.pdf (November 2011)

Langmaack, Barbara; Braune-Krickau, Mi-chael (2000) Wie die Gruppe laufen lernt:Anregungen zum Planen und Leiten vonGruppen. Ein praktisches Lehrbuch, BeltzVerlag.

Rachow, Axel (Hrsg., 2009) Spielbar, Mana-gerseminare Verlag.

Rosenbladt, Berndhard von; Bilger Frauke(2011) Erwachsene in Alphabetisierungs-kursen der Volkshochschulen. Ergebnisseeiner repräsentativen Befragung (AlphaPa-nel). Herausgegeben vom Deutschen Volks-hochschule-Verband.

Seifert, Josef W.; Göbel, Heinz-Peter(2001) Games, Gabal Verlag.

Internet

www.alpha-archiv.deArchiv- und Dokumentationszentrum fürAlphabetisierung und Grundbildung

www.alphabetisierung.deBundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung e.V.

www.vhs-rlp.deLandesverband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz

Autorinnen

Elfriede HallerVerband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz [email protected]

Daniela WagnerWissenschaftliche BegleitungJohannes Gutenberg-Universität [email protected]

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Die Verbundpartner im Projekt Alphabetisierung und Bildung (AlBi)