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E r selbst bezeichnet die Ereignisse des 11. Septembers 2001 als Initialzün- dung für seinen neuesten Film, weil er diesen Tag als Symbol und gleichzeitig gnadenlos realen Ausdruck des flammen- den Aufeinanderpralls zweier mittlerwei- le völlig verhärteter Fronten empfunden hatte. Westlich-materialistische Natur- wissenschaften und östlich- religiöser Fa- natismus sind gleichermaßen zu Verzer- rungen – einerseits wissenschaftlichen Strebens, andererseits geistiger Traditio- nen – geworden, zu Bollwerken des Dog- matismus gegen freies Denken und wah- re Spiritualität, zwischen denen sich ein scheinbar unüberwindbarer Graben ge- bildet hat … Der Berliner Filmemacher Rüdiger Sün- ner folgte mit dem aktuellen Dokumen- tarfilm Das kreative Universum - Natur- wissenschaft und Spiritualität im Dialog deshalb seinem Impuls, einen Brücken- schlag zu versuchen. Er befragte interes- sante Querdenker im Bereich der westli- chen Naturwissenschaften, ob und wie ein solcher Brückenschlag zwischen ih- rer Forschung und Fragen nach dem Gött- lichen oder dem Geist möglich ist. Her- ausgekommen ist eine künstlerisch und stringent komponierte Sammlung aufre- gender Statements bedeutender Forscher zu dieser Frage (siehe dazu auch Info3 12/2010). Am 6. Dezember 2010 feierte der Film in Anwesenheit des Regisseurs, einiger Mitarbeiter und des „Geldvermitt- lers“ Hansjörg Hofrichter, Vorstandsmit- glied der Pädagogischen Forschungsstel- le beim Bund der Freien Waldorfschulen, seine Premiere in der Urania Berlin mit einigen hundert begeisterten Gästen. Die anschließende etwas improvisiert wir- kende kurze Podiumsdiskussion kam eher als nonchalant-spritziges „Stehcafé- Gespräch mit Vorhang“ daher und verlieh dem Abend noch ein gewisses Extra. Das Gespräch wurde geführt vom Regisseur, Dr. Ingolf Toll Ebel von der Urania, und zwei Wissenschaftlern, die mit Beiträgen im Film vertreten waren: Dr. Johannes Wirz, Molekularbiologe, Forschungsins- titut der Naturwissenschaftlichen Sekti- on am Goetheanum, Dornach, sowie The Nature Institute, New York, und als Über- raschungsgast Professor Hans-Peter Dürr, Physiker, knapp zwanzig Jahre lang Mit- arbeiter Werner Heisenbergs, Träger des Alternativen Nobelpreises sowie Mit-Trä- ger des Friedensnobelpreises und des Bundesverdienstkreuzes – ein bekannter Schwergewichtler in Forschung und Phi- losophie. Dementsprechend raumgrei- fend ließ Hans-Peter Dürr gleich am An- fang des Gesprächs ein Leuchtfeuerwerk von Aussagen zu den letzten Weisheiten der Welt auf das Publikum niederprasseln, dass einem die Funken ums Gehirn schlu- gen und man zwischen Atemlosigkeit und befreiendem Lachen völlig in seinen kos- misch-heiteren Bann gezogen wurde. Als junger Mann schon wollte er wis- sen, „was die Welt im Innersten zusam- menhält“ und wurde deshalb Naturwis- senschaftler. Er hat nach eigener Aussage „50 Jahre lang zu Materie gearbeitet, und herausgekommen ist, dass es Materie gar nicht gibt“. Das war für ihn keine Enttäu- schung, sondern führte zu der Feststel- lung, dass die Welt, so wie wir sie bisher beschrieben haben, keine Wirklichkeit ist. Sie wird aufgebaut aus dem, was „dazwi- schen ist“, aus dem fortwährenden Wir- ken einer Grundstruktur, die nicht unsere bekannte Realität ist. Wir erleben davon mehr, als wir begreifen, verstehen auf bestimmte Weise mehr, als wir erklären können, es fehlt uns nur die richtige Spra- che dafür und wir bauen als Notbehelf Modelle. Es gibt nichts Getrenntes, nur Kreatives, es knallt die ganze Zeit und Gott ist immer mitten darin… Das für ihn etwas zu Kopf-belastete Wort „Geist“ er- setzt Dürr lieber durch das Wort „Liebe“, die für ihn etwas alles Durchdringendes, Erleuchtendes und wesenhaft Schaffen- „Es gab keinen Urknall, es knallt die ganze Zeit …“ Das kreative Universum – Filmpremiere in Berlin 68 ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG JANUAR 2011 INFO3 MARKUS LAU-HINTZENSTERN S067-071-geistesleben.indd 68 17.12.10 17:43

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GEISTESLEBEN

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Er selbst bezeichnet die Ereignisse des 11. Septembers 2001 als Initialzün-

dung für seinen neuesten Film, weil er diesen Tag als Symbol und gleichzeitig gnadenlos realen Ausdruck des fl ammen-den Aufeinanderpralls zweier mittlerwei-le völlig verhärteter Fronten empfunden hatte. Westlich-materialistische Natur-wissenschaften und östlich- religiöser Fa-natismus sind gleichermaßen zu Verzer-rungen – einerseits wissenschaftlichen Strebens, andererseits geistiger Traditio-nen – geworden, zu Bollwerken des Dog-matismus gegen freies Denken und wah-re Spiritualität, zwischen denen sich ein scheinbar unüberwindbarer Graben ge-bildet hat …

Der Berliner Filmemacher Rüdiger Sün-ner folgte mit dem aktuellen Dokumen-tarfi lm Das kreative Universum - Natur-wissenschaft und Spiritualität im Dialog deshalb seinem Impuls, einen Brücken-schlag zu versuchen. Er befragte interes-sante Querdenker im Bereich der westli-chen Naturwissenschaften, ob und wie ein solcher Brückenschlag zwischen ih-rer Forschung und Fragen nach dem Gött-lichen oder dem Geist möglich ist. Her-ausgekommen ist eine künstlerisch und stringent komponierte Sammlung aufre-gender Statements bedeutender Forscher zu dieser Frage (siehe dazu auch Info3 12/2010). Am 6. Dezember 2010 feierte der Film in Anwesenheit des Regisseurs, einiger Mitarbeiter und des „Geldvermitt-lers“ Hansjörg Hofrichter, Vorstandsmit-glied der Pädagogischen Forschungsstel-le beim Bund der Freien Waldorfschulen,

seine Premiere in der Urania Berlin mit einigen hundert begeisterten Gästen. Die anschließende etwas improvisiert wir-kende kurze Podiumsdiskussion kam eher als nonchalant-spritziges „Stehcafé-Gespräch mit Vorhang“ daher und verlieh dem Abend noch ein gewisses Extra. Das Gespräch wurde geführt vom Regisseur, Dr. Ingolf Toll Ebel von der Urania, und zwei Wissenschaftlern, die mit Beiträgen im Film vertreten waren: Dr. Johannes Wirz, Molekularbiologe, Forschungsins-titut der Naturwissenschaftlichen Sekti-on am Goetheanum, Dornach, sowie The Nature Institute, New York, und als Über-raschungsgast Professor Hans-Peter Dürr, Physiker, knapp zwanzig Jahre lang Mit-arbeiter Werner Heisenbergs, Träger des

Alternativen Nobelpreises sowie Mit-Trä-ger des Friedensnobelpreises und des Bundesverdienstkreuzes – ein bekannter Schwergewichtler in Forschung und Phi-losophie. Dementsprechend raumgrei-fend ließ Hans-Peter Dürr gleich am An-fang des Gesprächs ein Leuchtfeuerwerk von Aussagen zu den letzten Weisheiten der Welt auf das Publikum niederprasseln, dass einem die Funken ums Gehirn schlu-gen und man zwischen Atemlosigkeit und befreiendem Lachen völlig in seinen kos-misch-heiteren Bann gezogen wurde.

Als junger Mann schon wollte er wis-sen, „was die Welt im Innersten zusam-menhält“ und wurde deshalb Naturwis-senschaftler. Er hat nach eigener Aussage

„50 Jahre lang zu Materie gearbeitet, und herausgekommen ist, dass es Materie gar nicht gibt“. Das war für ihn keine Enttäu-schung, sondern führte zu der Feststel-lung, dass die Welt, so wie wir sie bisher beschrieben haben, keine Wirklichkeit ist. Sie wird aufgebaut aus dem, was „dazwi-schen ist“, aus dem fortwährenden Wir-ken einer Grundstruktur, die nicht unsere bekannte Realität ist. Wir erleben davon mehr, als wir begreifen, verstehen auf bestimmte Weise mehr, als wir erklären können, es fehlt uns nur die richtige Spra-che dafür und wir bauen als Notbehelf Modelle. Es gibt nichts Getrenntes, nur Kreatives, es knallt die ganze Zeit und Gott ist immer mitten darin… Das für ihn etwas zu Kopf-belastete Wort „Geist“ er-setzt Dürr lieber durch das Wort „Liebe“, die für ihn etwas alles Durchdringendes, Erleuchtendes und wesenhaft Schaff en-

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des darstellt, Essenz und Quelle zugleich.Als Biologe hatte sich Johannes Wirz im-mer die Frage nach der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Spiritualität gestellt, denn für ihn war etwas als Gewissheit da, was es aber in der Wissenschaft nicht gibt. Dies führte ihn zu seiner Arbeit am Goe-theanum in Dornach und begleitet ihn als Naturwissenschaftler weiter „auf der Su-che nach dem Geist in der Welt“.

Rüdiger Sünner schilderte seine vor-bereitenden Studien und künstlerischen Herangehensweisen für diesen Film, mit dem er „den Fragenlevel steigern und nicht Antworten geben“ will. Diese ste-cken aber doch mehr darin, als er viel-leicht denkt, denn zumindest eine we-sentliche Frage beantwortet sich hier von ganz allein: Wagt die gegenwärtige Na-turwissenschaft endlich den Schritt über die Schwelle?

Ja. Und niemand kann das wieder rück-gängig machen. Materialismus war ges-tern.

Dem Film sind allein schon wegen der essenziellen Aussagen der 14 Vertreter aus Naturwissenschaft und Forschung recht viele Zuschauer zu wünschen. Mu-sik und Bilder umrahmen und untermalen die Texte angenehm und machen das Ge-samtwerk zu einem nicht nur verstandes-mäßigen Event.

Astrid Hellmundt

Das kreative Universum www.daskreativeuniversum.de

Gegen das Vergessen

Im Verlag Urachaus ist ein Buch erschienen, das man zu den wichtigsten Publikationen des vergan-genen Herbstes zählen kann. Sing, Luna, Sing von Paule du Bouchet, ist ein schonungsloser und er-schütternder Bericht aus dem Warschauer Ghet-to. Fiktion und Dokumentation gehen ineinander über, in der Lebenserzählung des jüdischen Mäd-chens Luna.

Sie wächst in den Vorkriegsjahren in Warschau auf, behütet in familiärer Geborgenheit, begabt mit einer wundervollen Stimme, erlebt sich das Kind von Anfang an in zwei Wel-ten beheimatet. Die musikalische Welt ist Zufl ucht und Kraftquelle, aber sie ist alles andere als eine Traumwelt. Das ist einer der Aspekte, der die Qualität die-ses Buches ausmacht. Die Wirklichkeit wird immer aus der Perspektive des Kin-des gesehen und sie ist unteilbar. Es ist dieselbe Welt, in der Güte und Grauen, Humanität und Sadismus, Kultur und höllische Barbarei ineinander wirken. Es ist der Schauplatz des Menschen, der unter allen Umständen verantwortlich ist für sein Handeln. Ein unglaublicher Freiheitsatem durchzieht diese Erzählung vom ersten bis zum letzten Wort. Diese Freiheit jederzeit glaubwürdig werden zu lassen, ist das Kunstwerk der Autorin. Es gelingt ihr die Worte so zu fassen, dass das Unsagbare eine persönliche Stimme bekommt. Das namenlose Leid von Hunderttausenden wird so geschildert, dass es im Herzen des Lesers wie in eigener biographischer Gestalt eintritt. Dieser Todesfuge kann niemand sich entziehen.

„Ich heiße eigentlich Lula, doch schon als kleines Kind nannte man mich Luna. Niemand außer meinem Vater wusste, dass Luna in einer fernen Sprache Mond bedeutete. Damals, in dieser glücklichen Zeit, konnte ich mir nicht im Entferntesten vorstellen, dass mir diese Stimme eines Tages das Leben retten würde...“ Luna ist 14 Jahre alt als die Deutschen Polen überfallen. Sie erlebt die Belagerung, wie die jüdische Bevölkerung ins Ghetto deportiert und nach und nach, ihre gesamte Familie ausgelöscht wird. Ihr unbeugsamer Lebenswille gründet sich auf eine Erfahrung, die tiefer ist, als alle Verzweifl ung: sie gibt den inneren Widerstand nicht auf, die Überzeugung von der Güte des individuellen Menschen – egal welchem Volk er angehört – die jederzeit mitten in der Hölle aufl euchten kann. Diese Überzeugung aber ist kein naiver Glaube, sondern ra-dikale Gewissheit, für die es sich zu kämpfen lohnt. Luna schließt sich dem Wi-derstand im Warschauer Ghetto an und was der Leser in dieser Schilderung er-fährt, ist so hautnah und leibhaftig erzählt, dass es sinnliches Erleben wird. Es ist gewiss eine zutiefst schmerzliche Erfahrung, die man in diesem Buch ma-chen kann, aber sie ist notwendig. In aller Freiheit wird dem Leser zugleich ans Herz gelegt, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Es ist nicht die Hölle, die, im Kampf um die Wirklichkeit des Menschen, den Sieg davonträgt. Das bezeugt Lunas Stimme mit ihrem Kaddish für Millionen Tote. Sie für die Ewigkeit zu ge-genwärtigen, diese Erinnerungsarbeit kann nicht enden. Dazu leistet das Buch einen wichtigen Beitrag, vorrangig für Jugendliche geschrieben, aber Erwach-senen unbedingt auch zur Lektüre zu empfehlen. Wie ein jüdisches Wort sagt: Versuche alles zu verstehen, vergib vieles, aber vergiss nichts!

Ute Hallaschka

Paule de Bouchet: Sing, Luna, Sing.

Verlag Urachhaus, € 14,90

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