„Es ist ein Wagestück“ - Persönliche Motive und Gründe für ......

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UNI VE RSITÄT MANNHEIM Historisches Institut Masterarbeit „Es ist ein Wagestück“ - Persönliche Motive und Gründe für das Auswandern aus Südwestdeutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Betreuung: Prof. Dr. Klaus-Jürgen Matz Semester: Herbst/Wintersemester 2012 Verfasser: Christoph Ohlig Adresse: Jungviehweide 2 69509 Mörlenbach E-Mail: [email protected] Studiengang: Master Geschichte – Wissenschaft und Öffentlichkeit Fachsemester: 04

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UNI VE RSITÄT MANNHEIM

Historisches Institut

Masterarbeit

„Es ist ein Wagestück“ - Persönliche Motive und Gründe für das Auswandern aus

Südwestdeutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Betreuung: Prof. Dr. Klaus-Jürgen Matz

Semester: Herbst/Wintersemester 2012

Verfasser: Christoph Ohlig

Adresse: Jungviehweide 2

69509 Mörlenbach

E-Mail: [email protected]

Studiengang: Master Geschichte – Wissenschaft und Öffentlichkeit

Fachsemester: 04

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung …............................................................................................................................. 3

1. Die Konjunktur der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ..…..... 6

1.1Die Auswanderung aus der Pfalz …..................................................................... 7

1.2Badische Auswanderungsbewegungen ….......................................................... 15

1.3Die württembergische Auswanderung ….......................................................... 19

1.4Die Ausgangssituation in Südwestdeutschland …............................................. 23

2. Persönliche Motive südwestdeutscher Auswanderer …................................................. 26

2.1Auswandererbriefe ….......................................................................................... 26

2.2Die Auswanderungsbefragung Friedrich Lists im Jahr 1817 …..................... 37

2.3Bericht des Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall …..................................... 46

3. Auswanderungstheorien …............................................................................................... 51

3.1Soziologische Modelle und Erklärungen …....................................................... 52

3.2Psychologische Theorien der Auswanderungen …........................................... 66

3.3Ego-Zeugnisse und Theorie …............................................................................ 72

Fazit ….................................................................................................................................... 76

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

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Ein leitu ng

„... Eine große Bitte habe ich an Dich, lieber Anton, schreibe mir einmal wieder auf Post auf

diesen Brief und beantworte mir, ich habe schon viel an Dich gedacht, ich wollte mir wohl

auch wünschen, bei Dir zu sein, wenn ich nur wüßte, ob ich dort mehr erhalte als hier, daß

ich das Brot dort geruhiger essen kann als hier, dann wollte ich hier alles verlassen und

wollte Dir nachkommen. Darüber schreibe mir diesen wieder, lieber Bruder ...“1

Eben diese Frage stellten sich viele Menschen in der Zeit nach dem Wiener Kongress vor

allem im südwestdeutschen Raum. Es ging darum, ob eine Auswanderung gewagt werden

sollte, oder nicht. Nicht jeder hatte, wie die Verfasserin dieses Briefes aus der oldenburgischen

Region, bereits Verwandte in Amerika oder in einem anderen Einwanderungsland. Ebenso wie

diese wollten jedoch auch andere Deutsche eine Antwort auf existenzielle Fragen bekommen,

etwa nach einer eventuell besseren Arbeitsstelle und allgemein nach besseren

Lebensbedingungen, als sie im krisengeschüttelten Europa vorherrschten. Alleine eine

schlechte wirtschaftliche Situation reichte jedoch meist nicht aus, um das „Wagestück“, wie

es im Titel dieser Arbeit heißt, zu unternehmen. Hinweise auf eine bessere Zukunft in einem

anderen Land konnten Sicherheit bieten, die den Versuch einer Auswanderung, der nicht ohne

Risiken einherging, lohnenswert machten.

In dieser Arbeit sollen Informationen zusammengetragen werden, die ein Bild darüber

ermöglichen, wie die Gründe und Motive für eine Auswanderung aussahen und wie letztlich

eine Entscheidung getroffen wurde. Hierzu dienen zum einen Auswandererbriefe als Quellen,

die aus der Ferne zu Freunden, Bekannten und Familienangehörigen in der alten Heimat

geschickt wurden. Deren Analyse kann Auskunft darüber geben, wie Auswanderer ihre bereits

getroffene Entscheidung selbst bewerteten und wie sie mit dem neuen Leben zurechtkamen.

Ebenso können Auswandererbriefe aus der Empfängersicht gelesen werden, indem Hinweise,

die für oder gegen eine Auswanderung sprechen, gegeneinander abgewogen werden. Häufig

beinhalten die Briefe jedoch keine Aussagen darüber, aus welchen Gründen die eigene

Auswanderung versucht wurde. Hier kann die Auswanderungsbefragung des

württembergischen Rechnungsrats Friedrich List weiterhelfen. Dieser vernahm im Jahr 1817

einige württembergische Auswanderer direkt vor ihrer Abreise und ließ darüber ein Protokoll

anfertigen.

1 Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“ - Auswanderer schreiben nach Deutschland, Darmstadt 1985, S. 27.

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Anhand dieser Aufzeichnungen können direkte Argumente nachvollzogen werden, die für

eine Auswanderung sprachen. Das Ziel dieser Befragung war es unter anderem, mögliche

Missstände im eigenen Land aufzudecken. Diese können den Aussagen der

Auswanderungswilligen entnommen werden. Zusammengenommen bieten diese zwei

Quellentypen Gründe für die Auswanderung, die zum einen in der eigenen Heimat liegen und

zum anderen mit dem jeweiligen Zielgebiet in Verbindung stehen. Zuletzt soll in dieser Arbeit

der Bericht des Auswanderers Ludwig Gall betrachtet werden, der seine eigene Sichtweise zu

diesem Thema niederschrieb und veröffentlichte. Die Besonderheit an diesem Bericht ist der

Prozessverlauf der Auswanderung, der bei Gall mitsamt seiner Rückkehr nachvollzogen

werden kann.

Methodisch stützt sich diese Arbeit nicht nur auf die genannten Quellen, sondern ebenfalls auf

die einschlägige Forschungsliteratur, die sich mit dem Thema der Auswanderungsgründe

beschäftigt. Zunächst geht es in einem ersten Kapitel darum, eine Datenbasis vorzustellen, die

es ermöglicht, den Verlauf der Auswanderung im südwestdeutschen Raum nachzuvollziehen.

Hierbei geht es vor allem um einzelne Auswanderungswellen, die bereits im 18. Jahrhundert

vorkamen und ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Massenauswanderungen in

Erscheinung traten. Die bisherige Forschung setzt meist regional-spezifisch an und kümmert

sich um das Problem der Auswanderung in einem bestimmten Territorium. Daher erschien es

logisch, die Konjunktur der Auswanderung im südwestdeutschen Raum in die Gebiete Pfalz,

Württemberg und Baden zu untergliedern. Für die Darstellung der pfälzischen Auswanderung

können insbesondere die Forschungen von Fritz Trautz, Karl Scherer, Roland Paul, Friedrich-

Karl Hüttig und Joachim Heinz genutzt werden. 2 Die badische Auswanderung kann

anschließend mit den Beiträgen von Michael Rehs, Alexandra Fies, Kurt Hochstuhl und

Ulrich Maier näher betrachtet werden. 3 Beim Unterkapitel der württembergischen

Auswanderung ist vor allem die Studie von Wolfgang von Hippel zu nennen, der mit seiner

Forschung wichtige statistische Daten sammelte und auswertete. Auch ein Überblicksband

von Karl-Heinz Meier-Braun wird in diesem Kapitel herangezogen. 4 Ein letzter Abschnitt

geht mithilfe von Hippels Studie näher auf die Ausgangssituation in Südwestdeutschland ein

und listet am Beispiel Württembergs einige Gründe für die Auswanderung auf, die in der

Struktur des Landes lagen und somit auch die subjektiven Motive beeinflussen konnten.

2 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.1.3 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.2.4 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.3.

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Diese Arbeit geht davon aus, dass es nicht ausreicht, die persönlichen Meinungen von

Auswanderern und die äußeren Umstände, die zur Massenauswanderung beitrugen,

darzustellen, wie dies in den ersten zwei Kapiteln geschieht. Der dritte Teil soll sich daher vor

allem Theorien widmen, die in der Soziologie und in der Psychologie dazu genutzt werden,

Auswanderungsgründe besser zu verstehen und zu erklären. Insbesondere

sozialwissenschaftliche und verhaltenswissenschaftliche Forschungen streben danach, den

Prozess der Auswanderung in eine allgemeine Theorie einzubetten, mit der das Handeln der

Menschen erklärt werden kann. Zwar richtet sich diese Forschung meist auf aktuelle

Phänomene und das Ziel ist es, die Integration und die Assimilation von Migranten im

Aufnahmeland zu erklären. Wichtig für diese Arbeit ist jedoch der Ausgangspunkt solcher

Theorien, die in einem ersten Schritt ebenfalls nach einem Grund für die Auswanderung

suchen. Zunächst werden die soziologischen Theorien von Ernest George Ravenstein, Shmuel

N. Eisenstadt, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Hartmut Esser erläutert. Der

Überblicksband von Petrus Han hilft jeweils bei der Darstellung. Anschließend richtet sich der

soziologische Blick auf die Bevölkerungstheorie, die vor allem von Peter Marschalck

vertreten wird. Ebenso wird auf das Problem der Ehebeschränkungen mithilfe des Werks von

Klaus-Jürgen Matz eingegangen. Auch frühe Wegbereiter der Bevölkerungstheorie, wie

Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus, werden mithilfe der Darstellung von

Herwig Birg nach ihren Ansichten befragt. 5 Im folgenden Unterkapitel wird lediglich Folkert

Lüthke herangezogen, der in seiner Forschung einige psychologische Theorien näher

betrachtet, die ebenso in diese Arbeit einbezogen werden sollen.6

In einem letzten Unterkapitel des dritten Teils wird versucht, eine Verbindung zwischen den

verwendeten Quellen und den soziologischen und psychologischen Theorien herzustellen.

Ebenso sollen Fragestellungen weiterentwickelt werden, die sich daraus ergeben. Einige

Fragen können mithilfe dieser Arbeit beantwortet werden, was in einem abschließenden Fazit

geschehen soll. Andere Fragen bleiben eventuell offen und eignen sich für künftige

Forschungsansätze.

5 Vgl. Fußnoten in Kapitel 3.1.6 Vgl. Fußnoten in Kapitel 3.2.

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1. Die Konjunktur der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Bei der Bearbeitung eines Themas wie der Auswanderung im 19. Jahrhundert sollten zunächst

einige Dinge beachtet werden. Zum einen ist es wichtig, eine gewisse geografische und

zeitliche Eingrenzung vorzunehmen. Das Phänomen der Auswanderung im 19. Jahrhundert

kann in verschiedene Phasen gegliedert werden, die sich jeweils durch die zahlenmäßige

Stärke der Bewegungen voneinander unterscheiden lassen, als auch durch strukturelle

Unterschiede in der Art ihrer Zusammensetzung. Wie sich diese Unterschiede im Einzelnen

offenbaren, soll hier in den Unterkapiteln zu den länderspezifischen Schwerpunkten näher

aufgeschlüsselt werden. Diese Arbeit bezieht sich geografisch vor allem auf den Südwesten

Deutschlands, wobei zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keinesfalls von einem Nationalstaat

die Rede sein kann. Daher ist es auch wenig sinnvoll, eine gesamtdeutsche Auswanderung im

19. Jahrhundert analysieren zu wollen, zumal selbst der Wegzug in einen benachbarten

deutschen Fürstenstaat von den Behörden als Auswanderung behandelt wurde. Daher sollen

hier drei geografische Schwerpunkte unabhängig voneinander betrachtet werden: zunächst die

Pfalz und in den darauffolgenden Unterkapiteln die Auswanderung aus Baden und

Württemberg. Auch in der gängigen Forschungsliteratur wird das Thema Auswanderung meist

mit einem regionalen Schwerpunkt behandelt, wodurch es leichter fällt, spezifisch auf die

Situation in einem der Gebiete einzugehen.

In diesem ersten Kapitel soll zunächst eine Datengrundlage für die darauffolgenden Analysen

aufbereitet werden. Die genauen Gründe und persönlichen Motive der Auswandernden

können nur dann erfasst werden, wenn zunächst das Ausmaß des Gesamtphänomens

verdeutlicht wurde. Wichtig für diese Arbeit ist vor allem die Frage nach der konjunkturellen

Entwicklung der Auswanderung. Hierdurch können verschiedene Höhepunkte der

Massenauswanderung im 19. Jahrhundert ausgemacht werden. Um den Zeitraum besser

einzugrenzen, bezieht sich diese Arbeit vor allem auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mit

einigen Vorläufern der Massenauswanderung. Weitere Daten, die beispielsweise in einer

Studie von Wolfgang von Hippel 7 erfasst wurden, sind die berufliche Herkunft der

Auswandernden, die Familienverhältnisse und weitere persönliche Aspekte, wie etwa die

Vermögensverhältnisse. Zudem können anhand der Daten die jeweils gewählten Zielgebiete

der Auswanderer aufgeschlüsselt werden, die hier ebenfalls aufgeführt werden sollen.

7 Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984.

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1.1 Die Auswanderung aus der Pfalz

Die pfälzische Auswanderung, sowohl nach Amerika als auch in Richtung Ost-Mitteleuropa

bis nach Russland, hatte bereits vor dem 19. Jahrhundert eine lange Tradition und kann bis

zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 zurückdatiert werden. Bereits zu Beginn des 18.

Jahrhunderts kann eine erste Massenauswanderung nach Amerika festgestellt werden, an der

etwa 13.000 Menschen8 im Jahr 1709 beteiligt waren. Ein Sammelpunkt für die Überfahrt war

London, wo große Notlager errichtet wurden. Sicherlich stammten dabei nicht sämtliche

Auswanderer aus der Pfalz. Der Begriff „Palatine“ wurde häufig als Sammelbegriff

verwendet, um die deutschsprachige Herkunft zu kennzeichnen. Neben dem sprachlichen

Sammelbegriff scheint es zunächst sinnvoll zu erläutern, welche Territorien im 18. und 19.

Jahrhundert mit der Pfalz am Rhein zusammengefasst wurden. Nach Trautz umfasste dies

sowohl das sehr zersplitterte Gebiet der Kurpfalz, das teilweise bis zum Hunsrück reichte,

sowie das Herzogtum Zweibrücken und die jeweils dazwischenliegenden weltlichen und

geistlichen Gebiete mitsamt der Reichsstädte Speyer und Worms. 9 Unter den Auswanderern,

die tatsächlich aus der Pfalz in Richtung Amerika aufbrachen, gab es jedoch nicht nur

gebürtige Pfälzer, sondern beispielsweise auch eine Reihe von Schweizern. Darunter befanden

sich zahlreiche Hugenotten und Mennoniten, die in den reformierten Gebieten der Pfalz

aufgenommen wurden. Wenn hier also von einer pfälzischen Auswanderung die Rede ist,

kann darin eine bereits erfolgte Auswanderung aus einem anderen Gebiet mit inbegriffen sein.

Oftmals kann in der Statistik die genaue Herkunft der Auswanderer nicht aufgeschlüsselt

werden, dies geschieht dann im Einzelfall über biografische Angaben.

Die Zielgebiete der ersten pfälzischen Auswanderer waren zunächst die amerikanischen

Staaten Pennsylvania, New York und North Carolina. Auch wenn eine erste Welle der

Massenauswanderung bereits im Jahr 1709 erreicht wurde, wurde die Überfahrt und die

Niederlassung im Zielgebiet meist in Gruppen von einigen hundert Personen versucht. Daher

kann diese erste Phase im 18. Jahrhundert auch als Zeit der Gruppenauswanderung bezeichnet

werden. Den Auswanderern wurde zunächst recht großzügig Land zugewiesen, auf dem diese

dann siedeln konnten. So ließ sich etwa der Berner Patrizier Christoph von Graffenried 10 mit

einer Gruppe von Pfälzern in North Carolina nieder.

8 Fritz Trautz, Die pfälzische Auswanderung nach Nordamerika im 18. Jahrhundert, Heidelberg 1959, S. 5.9 Ebd., S. 7.10Ebd., S. 8.

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Die Auswanderung im 18. Jahrhundert war häufig auch religiös begründet, viele

Auswanderergruppen waren in sich konfessionell geschlossen. So versuchten etwa

Mennoniten, die in der Pfalz lediglich geduldet waren und dort nur einen vorübergehenden

Aufenthaltsort sahen, in den Jahren 1709/1710 ihre Auswanderung „(...) nach dem ‚neuen

Kanaan‘ im ‚engelländischen America‘ (...)“ 11 anzutreten. Die Ansiedlung im Staat New York

scheiterte jedoch im Jahr 1711, als von der Regierung für den Unterhalt der in der

Teergewinnung eingesetzten Pfälzer bereitgestelltes Geld von dem Indianeragenten,

Steuerbeamten und Armeelieferanten Robert Livingston veruntreut wurde. Es folgte ein

Aufstand der Palatines und die Weiterarbeit wurde eingestellt. Von diesen Ereignissen

abgeschreckt, die auch als Nachrichten in die Pfalz gelangten, riss der Auswandererstrom

zunächst erst einmal ab.

Nach der gescheiterten Ansiedlung in New York zog es viele Auswanderungswillige ab etwa

1720 nach Pennsylvania, wo bis dahin nur einige hundert deutsche Familien lebten. Bis 1730

zog es etwa 15.00012 Auswanderer per Schiff aus Rotterdam nach Philadelphia. Bis zu diesem

Zeitpunkt wurden die reformierten Pfälzer lediglich von Pfarrer John Wilhelmius erfasst, der

sich dort um die Auswanderer kümmerte. Ab 1730 wurden in Philadelphia Eid- und

Schiffslisten geführt, die bis 1775 weitere 68.872 Einwanderer erfassten, welche deutsch

sprachen. Die Zahlen geben einen Überblick über die im 18. Jahrhundert erfolgte

Auswanderung nach Nordamerika. Bei den Angaben des Pfarrers handelte es sich jedoch eher

um eine Schätzung und in Philadelphia wurden sämtliche deutschsprachige Einwanderer

zusammengefasst. Eine genaue Aussage über die Zahl der ausgewanderten Pfälzer lässt sich

daher schwerlich treffen. Laut Scherer stammte die Mehrzahl der Deutschen in Pennsylvania

aus der Kurpfalz, dem Herzogtum Zweibrücken, den Bistümern Speyer und Worms, der

Markgrafschaft Baden, der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, den Nassauischen

Fürstentümern sowie der Grafschaft Hanau-Lichtenberg. 13 Auch einige Württemberger waren

wohl darunter. Diese Gebiete können insgesamt als Südwestdeutschland eingeordnet werden.

Einige Gebiete in der britischen Kolonie waren bereits im 18. Jahrhundert zu einem großen

Teil von Deutschen besiedelt. Dies wird auch am sogenannten Pennsylvanian Dutch deutlich,

das sich aus dem Pfälzischen ableitet und bis heute gesprochen wird.

11Karl Scherer, „ist in Pennsylvanien gezogen...“ - eine Skizze zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Roland Paul, Karl Scherer (Hrsg.), Pfälzer in Amerika. Palatines in America, Kaiserslautern 1995, S. 23.

12Ebd., S. 28.13Ebd., S. 28 – 29.

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Der Unabhängigkeitskrieg ab 1776 teilte die Palatines in Amerika in verschiedene Lager,

wodurch sich deutsche Auswanderer auch feindlich gegenüberstehen konnten. Auf die Phase

des Krieges soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Das Ende des Krieges spielte

allerdings bei der Auswanderung eine Rolle, die ab 1783 nur langsam wieder in Fahrt kam. In

den zehn Jahren bis 1793 stiegen die Zahlen langsam wieder an, jedoch erreichte die

Konjunktur der Auswanderung nicht wieder die Höhepunkte des 18. Jahrhunderts wie etwa

1709/1710 oder die Zeitspanne zwischen 1730 und 1775. Die großen Auswandererhäfen, wie

beispielsweise Rotterdam, waren im Zeitraum zwischen 1793 und 1815 geschlossen. 14 Dies

lag wohl vor allem an der französischen Revolution und der darauffolgenden napoleonischen

Ära, in der die Pfalz ebenfalls wesentlich von Umwälzungen betroffen war.

Nach dem kurzen Überblick über die pfälzische Auswanderung im 18. Jahrhundert, soll nun

der Fokus vor allem auf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen. Wie bereits

festgehalten, stand der Motor der Auswanderung bis 1815 still. Doch nicht lange nach den

napoleonischen Kriegen, dem Wiener Kongress und der Neuordnung Europas kam es erneut

zu Massenauswanderungen.

Seit 1816 gehörte die Pfalz zum Königreich Bayern und wurde von München aus regiert.

Auch die offiziellen Statistiken, welche die Auswanderung erfassten, wurden daher von

bayerischen Behörden geführt. Gleich zu Beginn der bayerischen Zeit konnte eine große

Auswanderungswelle ausgemacht werden. In den Jahren 1816/17 verließen etwa 15.000 15

Menschen den badisch/elsässisch/pfälzischen Raum in Richtung Amerika. Eine gleiche

Anzahl von Auswanderern versuchte ihr Glück in Russland. Auch in Württemberg war die

Massenauswanderung deutlich zu spüren, weshalb dort eine offizielle Befragung der

Auswanderer durch Friedrich List vorgenommen wurde. Die Ergebnisse dieser Befragung

stehen im Kapitel 2.2 dieser Arbeit im Vordergrund. Vorausgegangen waren der

Auswanderungswelle der Jahre 1816/17 eine sehr schlechte Getreideernte im Jahr 1815 und

weitere Ausfälle durch Hagelschläge im darauffolgenden Frühsommer. Dies hatte zur Folge,

dass die Getreidepreise stark anstiegen und für weite Teile der Bevölkerung schlicht zu teuer

waren. Die Auswanderung war für viele Menschen ein probates Mittel, um in einem anderen

Land bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Die bayerische Regierung versuchte ein Mittel

dagegen zu finden, und wollte Pfälzern die Ansiedlung in Altbayern schmackhaft machen.16

14Karl Scherer, „ist in Pennsylvanien gezogen...“, Kaiserslautern 1995, S. 38.15Roland Paul, Auswanderung aus der Pfalz vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Roland Paul, Karl

Scherer, (Hrsg.), Pfälzer in Amerika. Palatines in America, Kaiserslautern 1995, S. 64.16Ebd.

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Abb. 1: Die Entwicklung der Aus- und Einwanderungsziffer auf der Grundlage der offiziellen bayerischen Statistik im 19. Jahrhundert

Abbildung 117 zeigt den Verlauf der offiziellen Aus- und Einwanderungsziffern für die Pfalz,

die von den bayerischen Behörden im 19. Jahrhundert erfasst wurden. Dabei wird deutlich,

dass die Auswanderungszahlen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stets höher waren als die

Einwanderungsziffern. Die Auswanderungswelle der Jahre 1816/17 ist in diesem Schaubild

noch nicht erfasst, da die Statistik erst im Jahr 1818 einsetzte. Ein Höhepunkt der pfälzischen

Auswanderung im 19. Jahrhundert kann in den Jahren zwischen 1852 und 1855 ausgemacht

werden. Diese Auswanderungsbewegung bildet einen wichtigen Einschnitt in der

Bevölkerungsentwicklung der Pfalz und hängt eng mit den Revolutionsereignissen von

1848/49 und der darauffolgenden Reaktionsära zusammen. In dieser Arbeit soll jedoch stärker

auf die Entwicklung der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingegangen

werden. Seit 1818 bis etwa zum Jahr 1830 blieb die Auswanderung auf einem durchgehend

eher niedrigen Niveau unter 1000 Menschen pro Jahr. Erst ab 1830 stieg die

Auswanderungsziffer erneut an. Auffällig an der Bewegung der Kurve ist der sprunghafte

Anstieg der Zahlen und das ebenso schnelle Absinken nach dem Erreichen einer Spitze.

17Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“. Zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Kaiserslautern 1989, S. 165. (Schaubild 5, Ausschnitt).

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Vor allem in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann ein weiteres Zielgebiet neben

Nordamerika für einige Auswanderer interessant zu werden. Die südbrasilianische Provinz

Rio Grande do Sul wurde aktiv durch den brasilianischen Kaiser Don Pedro I. und seine Frau,

die österreichische Erzherzogin Leopoldine beworben, um Auswanderer dort anzusiedeln. 18

Diesem Ruf folgten einige pfälzische und hunsrückische Bauern, allerdings hielt sich die Zahl

der Auswanderer in Grenzen, was bereits anhand der Auswandererziffern kenntlich gemacht

wurde.

Von einer Massenauswanderung im 19. Jahrhundert kann erst ab den 1830er Jahren

gesprochen werden, als die Auswanderungsziffer dauerhaft über der Einwanderungsziffer der

Pfalz lag und selbst schwache Auswandererjahre deutlich in der Statistik zu spüren waren.

Eine Spitze der Auswanderungszahlen wurde nach dem Hambacher Fest im Jahr 1832 mit

etwa 8000 pfälzischen Auswanderern erreicht. Vor allem nach Nordamerika sollte der

Aufbruch gewagt werden, der nicht mehr nur mittellose Bauern und Arbeiter betraf, sondern

nun auch Intellektuelle, die mit dem System Metternich nach dem Wiener Kongress nicht

einverstanden waren. Nach der ersten Massendemonstration auf dem Hambacher Schloss im

Jahr 1832 wurden viele der Beteiligten und selbst Sympathisanten durch den eingerichteten

Polizeistaat verfolgt. Unter den Auswanderern befanden sich nicht nur diejenigen, die

aufgrund ihrer liberalen oder gar demokratischen Gesinnung verfolgt wurden, sondern auch

Menschen, die das herrschende System ablehnten, dies aber nicht offen kundtaten. 19 Auf

politisch Unzufriedene übte Nordamerika mit seiner dort herrschenden Freiheit eine große

Anziehungskraft aus. Auf die Gründe der Auswanderung, unter denen eine politische

Motivation jedoch eine geringere Rolle spielte, wird in späteren Kapiteln dieser Arbeit

zurückzukommen sein.

Verfolgt man die Auswanderungskurve der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Jahren

nach 1832 weiter, fallen weitere Spitzen in den Jahren 1836/37, 1840/41 und 1846/47 auf.

Berücksichtigt man lediglich die Zahlen vor einem weiteren großen Anstieg ab 1850, können

im Verwaltungsjahr 1846/47 zwischen 1. Oktober und 30. September die meisten

Auswanderer mit einer Gesamtzahl von etwa 6500 ausgemacht werden. Im Vergleich dazu

waren es zehn Jahre zuvor nur etwa 3500 Auswanderer. 20 Verantwortlich gemacht werden für

diese Wellen vor allem die sogenannten „futterarmen Jahre“ der vierziger Jahre.

18Roland Paul, Auswanderung aus der Pfalz, Kaiserslautern 1995, S. 64.19Ebd., S. 66.20Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“, Kaiserslautern 1989, S. 356.

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Werden die offiziellen Daten und Statistiken der bayerischen Behörden zur Betrachtung der

Auswanderungskonjunktur herangezogen, muss dies mit einiger Vorsicht geschehen. Die oben

gezeigte Kurve und die genannten Zahlen können meist nur einen Richtwert angeben, wobei

die tatsächlichen Auswandererzahlen um einiges höher ausfallen können. Laut der Darstellung

von Heinz gab es eine detaillierte Statistik in Bayern erst seit dem Verwaltungsjahr 1835/36

und selbst die Zahlen, die offiziell erfasst wurden, können unter der gesamten

Auswandererzahl liegen. 21 Zwar beginnt die Kurve der Auswandererziffern bereits im Jahr

1818, allerdings scheint es verlässliche Zahlen seitens der Behörden erst später gegeben zu

haben. Bei der Erfassung gab es ebenfalls einige Probleme, die sich auf die Statistik

auswirken konnten. Nicht alle Auswanderungen waren legal und von den Behörden

genehmigt. Oftmals mussten einige bürokratische Hürden gemeistert werden, um eine

offizielle Auswanderungserlaubnis zu erhalten, beispielsweise musste die eigene

Staatszugehörigkeit zunächst aufgegeben werden. Dies war mit einem gewissen Risiko

verbunden, da ohne das Staatsbürgerrecht kein Anspruch auf eine Armenunterstützung geltend

gemacht werden konnte. Im Falle eines Scheiterns konnten Auswanderer also nicht einfach

zurückkehren und sozial unterstützt weiterleben. So sah die Praxis oft anders aus: man zog

zunächst heimlich fort, um sich ein Standbein im Auswanderungsland aufzubauen und erst

wenn beispielsweise Verwandte nachgeholt werden sollten, wurde die Auswanderung bei den

Behörden offiziell gemeldet.

Dennoch wurde versucht, auch illegale Auswanderungen in der Statistik zu erfassen.

Allerdings war dies nur in manchen Fällen möglich, beispielsweise wenn noch vorhandene

Schulden ausstanden 22 und diese eingetrieben werden sollten. In gewisser Weise waren die

Behörden also darauf angewiesen, in Kontakt mit dem Auswanderer zu kommen.

Unterschieden werden konnte lediglich zwischen offiziell beantragten Auswanderungen und

versuchten heimlichen Auswanderungen, die jedoch durch Gerichtsverfahren oder andere

Verbindlichkeiten ins Blickfeld der Behörden gelangten.

Eine Möglichkeit, die genauen Auswandererzahlen im Nachhinein festzustellen, ist die

Berechnung der Bevölkerungsbilanz 23 in einem bestimmten Zeitraum. Hierbei werden

Geburten- und Sterbefälle statistisch erfasst, woraus eine natürliche Bevölkerungszunahme

oder -abnahme entsteht. Im Vergleich mit der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung kann

21Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“, Kaiserslautern 1989, S. 163.22Ebd.23Ebd., S. 164.

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dann der Unterschied entweder auf Einwanderungen oder Auswanderungen zurückgeführt

werden. Eine detaillierte Aufstellung der Zahlen kann hier nicht erfolgen, stattdessen soll der

Überblick mit den behördlich erfassten Daten zunächst genügen.

Im Auswanderungsverlauf der Pfalz stand bislang Nordamerika als Zielgebiet im

Vordergrund. Allerdings darf auch die pfälzische Ostwanderung nicht in der Betrachtung

fehlen, daher soll nun noch einmal spezifischer auf diesen Migrationsstrom eingegangen

werden. Bereits im 18. Jahrhundert wanderten Pfälzer nicht nur in Richtung Amerika aus,

sondern ebenfalls nach Osten. Zunächst waren es vor allem preußische Gebiete, in denen eine

Ansiedlung vorgenommen wurde. Diese Siedlungspolitik war vor allem im Interesse des

absolutistischen Staates. Herrscher erhofften sich durch eine Bevölkerungszunahme in eher

wenig bevölkerten Gebieten eine vergrößerte Wirtschaftsmacht und nicht zuletzt auch höhere

Steuereinnahmen. Schon der Vater Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm I., begann ab

den 1720er Jahren mit der Ansiedlung von Pfälzern, Nassauern, Württembergern, Schweizern

und anderen Auswanderern in Preußisch Litauen 24. Dieser östlichste Teil Preußens war nach

dem Befall mit der orientalischen Beulenpest in den Jahren 1709/1710 weitestgehend zu einer

Einöde geworden. Pfälzische Siedler, die zu dieser Zeit als sehr gute Ackerbauern galten,

gründeten etwa 20 neue Orte und sorgten somit für etwas mehr Leben in Litauen. Friedrich

der Große setzte nach seinem Herrschaftsantritt die Bemühungen seines Vaters fort,

Auswanderer als Siedler für Preußisch Litauen zu finden. Ab 1741 waren jedoch vielmehr die

zentralpreußischen Provinzen Pommern, Kurmark und Neumark 25 zum Zielgebiet der

pfälzischen Auswanderer geworden. Häufig wurden Auswanderer auch für die Gewinnung

von neuem Land herangezogen, wie beispielsweise für die Trockenlegung von Gebieten an

Oder, Warthe und Netze in den 50er und 60er Jahren des 18. Jahrhunderts.

Etwa zur selben Zeit begann die Auswanderung nach Russland, die sehr stark von Kaiserin

Katharina II. gefördert wurde. Vor allem an der Wolga sollte die Ansiedlung von

Auswanderern stattfinden. Den Zahlen nach war diese Auswanderungsbewegung mit etwa

15.000 deutschen Kolonisten wohl lediglich mit dem Wegzug in Richtung Amerika in den

Jahren 1709/10 vergleichbar. 26 Unter den Auswanderern befand sich ein großer Anteil von

Pfälzern, allerdings auch zahlreiche andere Deutsche. Über sprachwissenschaftliche

Untersuchungen konnte die genaue Herkunft bestimmt werden.

24Friedrich-Karl Hüttig, Die pfälzische Auswanderung nach Ost-Mitteleuropa im Zeitalter der Aufklärung, Napoleons und der Restauration, Marburg/Lahn 1958, S. 11.

25Ebd., S. 30.26Ebd., S. 37.

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Neben den preußischen und russischen Gebieten wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch

ein österreichisches Territorium als Zielgebiet für Auswanderer interessant. Ab 1780 war

Kaiser Joseph Alleinherrscher der habsburgischen Länder, zu denen nach der ersten

polnischen Teilung im Jahr 1772 auch Galizien gehörte. Dieses Land war historisch gesehen

keine Einheit und wurde lediglich aus Polen herausgeschnitten. Das Gebiet war

landwirtschaftlich gesehen schon gut ausgebaut, lediglich in Ostgalizien war noch freier

Raum für Siedler vorhanden. 27 In den Jahren von 1782 bis 1785 kamen zahlreiche Pfälzer in

diese Region, die teilweise direkt von der österreichischen Regierung angeworben wurden.

Auch die zweite und dritte polnische Teilung hatte Einfluss auf die Auswanderungspolitik,

allerdings wieder unter preußischer Herrschaft. Preußen erhielt die Gebiete von Posen,

Kalisch und Warschau sowie einen Teil der Region um Krakau und weitere Landesteile

zwischen Weichsel, Bug und Njemen. Daraus wurden die neuen Provinzen Südpreußen sowie

Neuostpreußen. Die Kolonisation ruhte unter König Friedrich Wilhelm II. weitestgehend und

setzte erst wieder unter Friedrich Wilhelm III. ein. 28 Vor allem zur Jahrhundertwende in den

Jahren 1799 bis 1804 wurde Südpreußen teils durch staatliche Aktionen und teils durch

Auswanderungen aus eigenem Antrieb zum Zielgebiet für Südwestdeutsche. Betrachtet man

die Geschichte der pfälzischen und insgesamt südwestdeutschen Ostwanderung, fällt auf, dass

im Gegensatz zur Amerika-Auswanderung kein Stillstand in der napoleonischen Ära auftrat.

Dies lag sicherlich daran, dass die innereuropäische Wanderung einfacher zu bewältigen war

und kein langer beschwerlicher Seeweg dazwischen lag. Außerdem kümmerten sich staatliche

Akteure gezielt um die Anwerbung von neuen Siedlern in bestimmten Gebieten.

Zwar wurden nach dem Wiener Kongress einige Landesgrenzen neu aufgeteilt, dies tat jedoch

der Auswanderung in Richtung Osten keinen Abbruch. Das neue Königreich Polen, oder auch

Kongresspolen genannt, war in Personalunion mit Russland verbunden. Auch hier tat die

Regierung einiges dafür, dass ausländische Kolonisten günstige Konditionen für die

Ansiedlung bekamen, wie beispielsweise eine Abgabenfreiheit und eine Befreiung vom

Militärdienst.29 Eine wichtige Bedingung war lediglich, dass vorhandene Güter gut

bewirtschaftet werden mussten. Die Auswanderungswelle aus Südwestdeutschland nach

Kongresspolen dauerte von 1816 bis 1819. Weitere Auswanderungen fanden in der ersten

Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Galizien unter Kaiser Franz II. und in das

27Friedrich-Karl Hüttig, Die pfälzische Auswanderung nach Ost-Mitteleuropa, Marburg/Lahn 1958, S. 53.28Ebd., S. 79.29Ebd., S. 96.

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Schwarzmeergebiet unter den Zaren Alexander I. und Nikolaus I. Statt. Nach dem Überblick

über die pfälzische Auswanderung soll nun in den folgenden Unterkapiteln spezifischer auf

die Auswanderungen aus dem badischen und dem württembergischen Raum eingegangen

werden.

1.2 Badische Auswanderungsbewegungen

Ebenso wie die Auswanderung aus der Pfalz hat auch die badische Auswanderung eine

Tradition im 18. Jahrhundert. So sollen sich etwa im Jahr 1753 zahlreiche Badener im

amerikanischen Staat New York niedergelassen haben. Diese gründeten dort eine Siedlung

namens Neu-Durlach 30, welche später in Sharon-Springs umbenannt wurde. Auch Polen und

Russland waren bereits im 18. Jahrhundert Zielgebiete badischer Auswanderer. Schwierig

wird es, wenn einzelne Auswanderungswellen aus Baden im 18. Jahrhundert herausgestellt

werden sollen. Häufig gibt es in der Literatur keine statistisch erfassten Zahlen zur Stärke der

badischen Migration. Eine ähnliche Studie wie von Hippel sie für Württemberg durchführte,

gibt es für den badischen Raum nicht. Erst mit dem Beginn der Massenauswanderung im 19.

Jahrhundert können Auswanderungswellen aus Baden genauer betrachtet werden. Zu diesem

Zeitpunkt wurde der Wegzug vieler Menschen erstmals relevant für staatliche Behörden, die

dann versuchten, zumindest die legalen Auswanderungen zu erfassen.

Die erste Massenauswanderung im 19. Jahrhundert betraf den gesamten südwestdeutschen

Raum und somit gleichzeitig die Pfalz, Baden und Württemberg. Die Jahre 1816/17 waren

von Missernten, einem Mangel an Nahrungsmitteln und der sich daraus ergebenden Teuerung

geprägt. Hinzu kam die Aufhebung der Kontinentalsperre, die Napoleon zuvor eingeführt

hatte. Somit überschwemmten günstige englische Produkte den Kontinent, der dem

Wettbewerb nicht standhalten konnte. Eine Folge war hohe Arbeitslosigkeit, da es auf dem

Land keine Arbeit mehr gab und die zahlreichen Arbeiter auch in städtischen Fabriken nicht

aufgenommen werden konnten. 31 Ein Ausweg war für viele der arbeitslos gewordenen

Arbeiter die Auswanderung. Vor allem Badener wählten in den sogenannten Hungerjahren

den transatlantischen Weg nach Westen, zumal die Aufnahme in Russland zu diesem

Zeitpunkt erschwert wurde. Die russische Grenze wurde ausgerechnet zum Zeitpunkt der

30Michael Rehs, Hans-Joachim Haager, Wurzeln in fremder Erde. Zur Geschichte der südwestdeutschen Auswanderung nach Amerika, Stuttgart 1984, S. 42.

31Fies, Alexandra, Die badische Auswanderung nach Nordamerika unter besonderer Berücksichtigung des Amtsbezirks Karlsruhe zwischen 1880 – 1914 (Diss.), Karlsruher Institut für Technologie 2010, S. 74.

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Auswanderungswelle in den Jahren 1816/17 geschlossen. Der Bedarf an neuen Einwanderern

war für die russische Regierung wohl erst einmal gedeckt, daher wurden die Bedingungen für

eine Einreise verschärft. 32 Die Zeit der sogenannten Peuplierungspolitik des 18. Jahrhunderts

mit großzügigem Entgegenkommen, beispielsweise mit der Ersetzung der Reisekosten und

einer Abgabenfreiheit, war vorbei.

Hingegen wurde ein anderes System wieder attraktiv für zahlreiche Auswanderer, die sich die

Überfahrtskosten von etwa 170 Gulden von Le Havre nach New York 33 nicht leisten konnten.

Als Redemptioner konnte man sich dennoch einschiffen, d.h. man musste im Gegenzug einen

Vertrag unterzeichnen, der zur Arbeit über mehrere Jahre in einem amerikanischen Haushalt

oder Betrieb verpflichtete. Die Verträge wurden meist über die Kapitäne der jeweiligen

Schiffe ausgehandelt, die sich hierdurch die Überfahrt von amerikanischer Seite aus bezahlen

lassen konnten. Auch für die Auswanderer selbst entstanden aus der Verpflichtung Vorteile, da

sie somit für die erste Zeit einen festen Arbeitsplatz bekamen und für Kost und Logis nichts

bezahlen mussten. Dieses System war jedoch aufgrund der großen Zahl an Auswanderern in

den Jahren 1816/17 nicht mehr praktikabel und wurde schließlich eingestellt. Innerhalb eines

Zeitraums von zwölf Monaten wurden in Baden etwa 20.000 Auswanderungsgesuche

genehmigt.34 Allein an dieser Zahl ist erkennbar, dass der Drang die eigene Heimat zu

verlassen sehr groß war. Nicht alle Menschen mit einer Auswanderungsgenehmigung setzten

dies jedoch auch in die Tat um. Nach der Darstellung von Hochstuhl verließen davon etwa nur

die Hälfte tatsächlich als Auswanderer das Land. Dennoch stellte die große Masse an

Auswanderungswilligen die Behörden vor einige Probleme.

Eine Antwort auf diese erste Massenauswanderung konnte nicht sehr rasch gefunden werden.

Man hoffte lediglich, dass sich recht bald wieder ein Normalzustand mit nur wenigen

Auswanderern pro Jahr durchsetzen würde. Allerdings blieb die Zahl der Auswanderer aus

Baden in der Folge auf einem deutlich spürbaren Niveau. Im Laufe der 1820er und 1830er

Jahre waren es etwa 3000 Menschen pro Jahr 35, die ihr Glück in Nordamerika versuchten.

Eine weitere Auswanderungswelle gab es noch in den Jahren 1831/32, als es erneut zu einem

starken Anstieg der Lebensmittelpreise aufgrund schlechter Ernten kam.

32Kurt Hochstuhl, Auswanderung aus Baden und Württemberg im 19. Jahrhundert, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.), Laupheimer Gespräche 2001. Auswanderung, Flucht, Vertreibung, Exil im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 62.

33Ebd.34Ebd., S. 63.35Ebd., S. 64.

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Auch wenn das sogenannte Redemptioner-System nach der Auswanderungswelle der Jahre

1816/17 zusammenbrach und somit mittellose Auswanderer die Überfahrt nicht im Voraus

bezahlen konnten, blieb Nordamerika während der gesamten ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts ein begehrtes Ziel. Dazu trugen unter anderem verbesserte Reisebedingungen

bei, die eine Überfahrt im Laufe der Zeit wesentlich günstiger und zudem weniger gefährlich

machten. Die Entwicklung der Schifffahrt verkürzte die Reisezeit, die 1834 mit einem

Segelschiff von Bremen nach New York noch 50 Tage dauerte. Gegen Mitte des Jahrhunderts

war dies mit einem Schnellsegler in drei bis vier Wochen zu schaffen. 36 Bereits ab den 1840er

Jahren konnte die Reise auch mit einem Dampfschiff angetreten werden, das für die Strecke

auch nur 21 Tage brauchte. Die kürzere Reisezeit verringerte nicht nur das Risiko, aufgrund

schlechter hygienischer Bedingungen an Bord an einer Krankheit zu sterben, sondern

minderte ebenso die Reisekosten. Für die Überfahrt mussten um die Mitte der 1840er Jahre

keine 170 Gulden mehr sondern lediglich noch 50 Gulden37 bezahlt werden.

Auch eine andere Entwicklung war neben den verbesserten Reisebedingungen dafür

verantwortlich, dass sich das sogenannte Auswanderungsfieber in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts nicht wesentlich senkte. Die badische Regierung ging zunächst bis 1833 gegen

die Auswanderung vor und legte Auswanderungswilligen einige bürokratische Hürden in den

Weg. Die reaktive Auswanderungspolitik konnte jedoch auch nicht verhindern, dass

zahlreiche Menschen das Land verließen. Ab den 1830er Jahren kam es zu einem gewissen

Umdenken, da die Regierung einsah, dass sie die Auswanderung nicht stoppen, jedoch

zumindest in geordnete Bahnen lenken konnte. Die badische Regierung war die erste, die im

19. Jahrhundert den Weg einer regulierenden und präventiven Auswanderungspolitik

einschlug.38 Es wurden Konzessionen an Auswanderungsagenten erteilt, die dann nicht nur für

das Anwerben von Auswanderungswilligen zuständig waren, sondern ebenso für den sicheren

Transport bis nach Nordamerika sorgen mussten. In gewissem Maße förderte damit die

badische Regierung die Auswanderung, was einige positive Effekte zur Folge hatte. Da die

Überfahrt bereits mit dem Auswanderungsagenten geregelt wurde, kam es nicht mehr zu

großen Ansammlungen verarmter Menschen in den Hafenstädten, die auf einen Platz auf

einem Schiff hofften. Zudem waren viele Gemeinden in Baden froh, dass ärmere Menschen

wegzogen, die ansonsten der Armenhilfe bedurft hätten.

36Kurt Hochstuhl, Auswanderung aus Baden und Württemberg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 64.37Ebd.38Ebd., S. 66.

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Die Auswanderung aus Baden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war im Wesentlichen

eine große Welle der Jahre 1816/17, die von staatlichen Behörden und der Regierung nicht

aufgehalten werden konnte. Im weiteren Verlauf blieben die Zahlen auf einem niedrigeren,

aber dennoch spürbaren Niveau. Als erste Regierung ging die badische dazu über, ab den

1830er Jahren, die Auswanderung weniger stoppen zu wollen, als in geordnete Bahnen zu

lenken. Über Verträge mit Auswanderungsagenten wurde dafür gesorgt, dass die Auswanderer

gut in ihrem Zielland ankamen. Zudem konnten gezielt ärmere Auswanderer gefördert

werden, die sonst den Gemeinden zur Last fielen.

Eine weitere Entwicklung zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin sollte jedoch nicht aus den

Augen gelassen werden. Besonders nach der gescheiterten Revolution von 1848/49, die ihre

Keimzelle im Südwesten hatte, gab es viele Menschen, die das Land aus politischen Gründen

verließen oder fluchtartig verlassen mussten. Bei dieser Auswanderungswelle lässt sich ein

neuer Typus 39 von Auswanderern feststellen. Nicht mehr die materielle Armut trieb diese

Menschen aus dem Land, sondern vor allem politische und ideologische Gründe. Unter den

Auswanderern befanden sich nun auch Menschen aus höhergestellten Schichten, wie etwa

Ärzte, Gelehrte, Architekten und Künstler, die aus Enttäuschung über die gescheiterte

Revolution auswanderten oder selbst beteiligt waren und somit flüchten mussten. Amerika

war das Hauptzielgebiet der sogenannten Achtundvierziger, die sich nach der dort

herrschenden Freiheit sehnten. Häufig war jedoch geplant, die politischen Umstände im

eigenen Land aus der Ferne zu beeinflussen und gegebenenfalls später zurückzukehren, wenn

sich die Lage für sie verbessert hätte.

Zusammengenommen verließen in den Jahren zwischen 1846 und 1855 etwa 174.200 40

Personen aus Baden und der Pfalz ihre Heimat in Richtung Amerika. In der Reaktionsära nach

der gescheiterten Revolution wurden zudem viele Menschen aufgrund ihrer politischen

Überzeugungen verfolgt, die dann die Flucht nach Übersee antraten. Insgesamt belief sich die

Zahl der Flüchtlinge aus dem gesamten südwestdeutschen Raum in dieser Zeit auf etwa eine

halbe Million Menschen. 41 Zudem wurde Auswanderung fortan als Menschenrecht

verstanden, wofür sich eigens private Auswanderungsvereine bildeten. Unter den 14

Auswanderungsvereinen, die sich für die Rechte der Auswanderer einsetzten, befand sich

auch der im Jahr 1849 gegründete Badische Auswanderungsverein.

39Fies, Alexandra, Die badische Auswanderung ..., Karlsruher Institut für Technologie 2010, S. 77.40Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“ Zuwanderung und Auswanderung in Baden-Württemberg,

Stuttgart 2002, S. 132.41Ebd.

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Dieser Auswanderungsverein setzte sich auch noch nach der Revolution dafür ein, dass sich

die staatliche Verwaltung um die Auswanderer kümmerte. Im ureigenen Interesse des Staates

lag es, besonders mittellose Bürger in die Auswanderung abzuschieben, die dann nicht mehr

den Gemeinden zur Last fielen. Somit blieb das Prinzip der staatlichen

Auswanderungsförderung zunächst bestehen.

Im nächsten Unterkapitel soll nun die Entwicklung der württembergischen Auswanderung im

Mittelpunkt stehen.

1.3 Die württembergische Auswanderung

Bei der Betrachtung des Auswanderungsverlaufs aus dem Königreich Württemberg in der

ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dient die grundlegende Studie von Wolfgang von Hippel als

erster Anhaltspunkt und als Datengrundlage. Dieser listet zum einen die offizielle Statistik der

Behörden, also der Oberämter, Kreisregierungen und Ministerien auf. Da diese Zahlen jedoch

nur die legalen und genehmigten Auswanderungen einbeziehen können, berechnet von Hippel

außerdem ein Wanderungssaldo 42 aus dem Vergleich zwischen Geburtenüberschuss und

tatsächlichem Bevölkerungszuwachs. Davon abgezogen werden noch die offiziellen Zahlen

der Einwanderungen, von denen weitestgehend Korrektheit angenommen wird. Jedoch besitzt

auch die Methode der Bevölkerungsbilanz einen Nachteil, da die Zahlen nur für den Zeitraum

zwischen zwei Volkszählungen berechnet werden können und nicht Jahr für Jahr. Somit

müssen auch die behördlich erfassten Auswanderungszahlen mitberücksichtigt werden.

Bei der Betrachtung der Auswanderungszahlen fällt auf, dass sich der Verlauf in Württemberg

nicht wesentlich von dem in der Pfalz oder in Baden unterscheidet. Es können drei große

Auswanderungswellen ausgemacht werden, wobei der Höhepunkt der

Massenauswanderungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts festgestellt werden kann. Nach den

Berechnungen der Bevölkerungsbilanz waren es 78.196 Auswanderer in den Jahren zwischen

1852 und 1855, zwischen 1849 und 1852 waren es 60.660. Interessant ist der besonders große

Anteil an heimlichen Auswanderungen in der Periode 1849-52, in der lediglich 23.81343 legale

Auswanderungen erfasst wurden. Die offizielle Statistik konnte im Durchschnitt nur etwa 57

Prozent der tatsächlichen Auswanderungen in ihren Zahlen verzeichnen.

42Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 137.

43Ebd., S. 139.

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Die erste große Auswanderungswelle ging auch in Württemberg mit den sogenannten

Hungerjahren 1816/17 einher. Schlechte Ernten und sehr teure Lebensmittel veranlassten auch

viele Württemberger das eigene Land zu verlassen. Die Methode der Bevölkerungsbilanz setzt

erst mit der Periode der Jahre zwischen 1823 und 1832 ein, daher muss für die Jahre 1816/17

die offizielle Statistik herangezogen werden. Von Hippel gibt in seiner Tabelle an, dass in den

behördlichen Bevölkerungstabellen nur ein Wert von 13.030 44 Auswanderern zu finden ist.

Daher setzt er für diesen Zeitraum einen Schätzwert von etwa 17.500 Auswanderern ein, den

er jedoch ebenfalls für zu niedrig hält. In jedem Fall war die behördlich bekannte Zahl der

Auswanderer so groß, dass der Rechnungsrat Friedrich List im Auftrag der

württembergischen Regierung eine offizielle Befragung nach den Auswanderungsgründen

durchführte. Die Angaben der Befragten werden in Kapitel 2.2 genauer untersucht.

Nach der ersten Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts hielt sich die Auswanderung aus

Württemberg zunächst in Grenzen. In der Statistik sind etwa 1000 bis 2000 Auswanderer pro

Jahr verzeichnet, realistischer sind jedoch 2000 bis 3000. Eine Ausnahme in diesem Muster

bilden noch die Jahre 1831/32, die eine zweite, wenn auch kleinere Auswanderungswelle

verzeichneten. Nach Behördenangaben verließen in diesem Zeitraum 7.066 Personen 45 das

Land. In der Bevölkerungsbilanz fällt diese Auswanderungswelle in die Periode zwischen

1823 und 1832 mit insgesamt 27.129 errechneten Auswanderern. Die offizielle Zahl lässt sich

daran schlecht überprüfen, sie sticht jedoch aus der durchschnittlichen Auswanderungszahl

heraus. Jede der drei Auswanderungswellen ging einher mit einem deutlichen Anstieg der

Lebensmittelpreise. Dies zeigt von Hippel anhand der Entwicklung des Dinkelpreises 46, der

jeweils 1816/17, 1831/32 und auch zur Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich anstieg.

Die quantitative Auswertung der württembergischen Auswanderungsbewegungen ermöglicht

lediglich eine Vorstellung über das Ausmaß zu bestimmten Zeitpunkten oder in definierten

Zeiträumen. Um ein besseres Gesamtbild zu erhalten, ist es weiterhin wichtig, die Zielgebiete

der Auswanderer festzuhalten und auf die Umstände der Reise näher einzugehen. Die

Zielrichtung der Auswanderung wurde nicht selten durch eine lange bestehende Tradition

festgelegt. Ähnlich wie in der Pfalz und auch in Baden bildete sich eine solche Vorgeschichte

im 18. Jahrhundert heraus. Im Fall der württembergischen Auswanderung kann hier auf die

drei sogenannten Schwabenzüge in das Habsburgerreich eingegangen werden.

44Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 138.45Ebd.46Ebd., S. 149.

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Die schwäbische Auswanderung in Richtung Ost- und Südosteuropa fand über das gesamte

18. Jahrhundert entlang der Donau statt und reichte teilweise bis ans schwarze Meer und in

den Kaukasus.47 Ein Hauptziel der Schwabenzüge war jedoch zunächst Ungarn, wo sich etwa

60.000 Deutsche in der Regierungszeit Karls VI. zwischen 1711 und 1740 niederließen. Nicht

alle Auswanderer stammten dabei aus dem schwäbischen Raum, geworben wurde

beispielsweise auch im Rheinland und an Main und Mosel. Dennoch wurden die Siedler von

den Ungarn und Serben einheitlich als Schwaben bezeichnet, somit setzte sich dies auch bald

als Selbstbezeichnung durch. 48 Die ersten Siedlungsgebiete waren beispielsweise das

ungarische Mittelland, Siebenbürgen und die sogenannte schwäbische Türkei zwischen

Plattensee und Donau. Hinter der dortigen Ansiedlung steckten auch starke politische

Interessen. Zum einen sollte das eher karge und menschenleere Land durch die Kolonisten

bewirtschaftet und zum anderen gegen die erst kurz zuvor vertriebenen Türken gesichert

werden. Aus diesem Grund wurden auch einige Wehrsiedlungen eingerichtet, in denen die

Bauern zum Wehrdienst verpflichtet wurden.49

Die Reise der sogenannten Donauschwaben (die Bezeichnung setzte sich jedoch erst im 20.

Jahrhundert durch) fand auf Flussschiffen statt. Diese fuhren regelmäßig in Richtung Wien,

wo ein erster Zwischenstopp für die Siedler mit weiteren Instruktionen stattfand. Die

sogenannten Ulmer Schachteln50 benötigten für die Fahrt im Sommer etwa acht bis neun Tage,

im Frühjahr und im Herbst konnte die Reise bis zu drei Wochen dauern. Im Winter wurde der

Schiffsverkehr eingestellt. Ab Wien ging die Fahrt weiter auf der Donau bis nach Budapest.

Die Auswanderung in das habsburgische Ungarn war während des gesamten 18. Jahrhunderts

nicht ungefährlich. Oft wurden die schwäbischen Siedler mit zahlreichen Versprechungen

angeworben, wie beispielsweise fruchtbarem Land, weiten Wiesen für das Vieh, der

Aufhebung der Leibeigenschaft und weiteren Vorzügen. Stattdessen war das Land eher kahl

oder sumpfig und es machten sich Krankheiten breit. Zudem fielen immer wieder die Türken

ein und zerstörten zahlreiche Siedlungen. Einige Siedler gerieten hierdurch in die türkische

Sklaverei oder mussten gar ihr Leben lassen. Ein Sprichwort charakterisierte die

Schwabenzüge mit dem Satz: „Der Erste hat den Tod, der Zweite die Not, der Dritte das

Brot“.51 Somit konnten Siedler erst nach einer risikoreichen Zeit gut in Südosteuropa leben.

47Karl-Heinz Meier-Braun, Reinhold Weber, Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg, Leinfelden-Echterdingen 2009, S. 73.

48Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 96.49Ebd.50Ebd., S. 98.51Ebd., S. 96.

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Die schwäbische Auswanderung richtete sich trotz der Risiken und Gefahren während des

gesamten 18. Jahrhunderts in Richtung Ost- und Südosteuropa. Zu Beginn des 19.

Jahrhunderts kann noch einmal ein Höhepunkt bei der Besiedlung dieses Zielgebiets

festgehalten werden. In den Jahren zwischen 1802 und 1805 zog es etwa 2000 Württemberger

in das ungarische Banat und einige kinderreiche Familien wurden für die Auswanderung nach

Galizien geworben.52 Nach dieser erneuten Auswanderungsbewegung ließ die

Donaumigration aus Südwestdeutschland spürbar nach. Die ungarischen Siedlungsgebiete

wurden langsam von anderen Auswanderungszielen abgelöst, wie etwa von der

transatlantischen Auswanderung nach Nordamerika. Zwar wurde die Tradition der

Auswanderung nach Südosteuropa zunächst gebrochen, jedoch lebte diese zu späteren

Zeitpunkten wieder auf, wie etwa in den Jahren 1845/46, als sich 406 Familien mit insgesamt

1886 Personen53 unter der Leitung von Stephan Ludwig Roth nach Siebenbürgen begaben.

Obwohl die Ostwanderung über Land auch während des 19. Jahrhunderts ein Thema blieb,

fand die erste Welle der Massenauswanderung in den Jahren 1816/17 hauptsächlich in

Richtung Nordamerika statt. Bis zur Reichsgründung 1871 wanderte gut ein Fünftel 54 der

württembergischen Bevölkerung aus, davon 90 Prozent nach Nordamerika. Lediglich ein

kleiner Teil wanderte somit im 19. Jahrhundert noch in andere Gebiete aus. Wie bereits aus

den Zahlen der Studie von Hippels hervorgeht, gab es in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts noch zwei weitere große Auswanderungswellen, zum einen in den Jahren

1831/32 und ein Höhepunkt zur Mitte des Jahrhunderts. Die Auswanderer fuhren zunächst

rheinabwärts in Richtung der großen Auswandererhäfen. Das Ausmaß der

Massenauswanderung lässt sich gut anhand der Zahl der Durchreisenden in Koblenz

vorstellen. An einem Tag im Jahr 1832 waren es dort beispielsweise etwa 700 Auswanderer

aus dem Raum Stuttgart und etwa 1000 aus der Gegend um Heilbronn. 55 Ähnlich wie in

Baden wollte die württembergische Regierung zunächst die Massenauswanderung stoppen,

indem sogar einige Zeit lang ein Auswanderungsverbot verhängt wurde. Spätestens ab den

1840er Jahren fand jedoch ein Mentalitätswechsel statt, der zu einer staatlichen

Auswanderungsförderung führte. Insbesondere wurde durch Abschiebungen versucht, dem

starken Bevölkerungswachstum und der Armut entgegenzusteuern.

52Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 102.53Ebd., S. 105.54Karl-Heinz Meier-Braun, Reinhold Weber, Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg, Leinfelden-

Echterdingen 2009, S. 73.55Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 156.

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Bevor im zweiten Kapitel auf die Quellen und die persönlichen Auswanderungsmotive

eingegangen wird, soll sich ein weiteres Unterkapitel mit den vorherrschenden Verhältnissen

in den südwestdeutschen Auswanderungsländern beschäftigen. Hierbei soll speziell nach den

objektiven Faktoren gefragt werden, welche die Auswanderung in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts begünstigten. In der späteren Quelleninterpretation kann dann darauf geachtet

werden, welche Gründe für die Auswanderung in der Wahrnehmung der Betroffenen selbst

vorherrschten.

1.4 Die Ausgangssituation in Südwestdeutschland

Wie aus den vorigen Unterkapiteln hervorgeht, traten Auswanderungsbewegungen oder

Wellen im 19. Jahrhundert meist in bestimmten Jahre auf, in denen die Zahlen in die Höhe

schnellten. Bevor aber näher darauf eingegangen werden kann, was die Menschen persönlich

dazu bewegte, die eigene Heimat aufzugeben und das Land zu verlassen, sollen hier einige

Faktoren oder objektive Gründe analysiert werden, die zur Massenauswanderung beitrugen.

Hierbei ist wiederum Wolfgang von Hippel sehr hilfreich, der in seiner grundlegenden Studie

einige mögliche Auswanderungsgründe auflistet und diese in Korrelation zur Intensität der

Auswanderung prüft.

Ein bereits genanntes Problem für die Menschen im Südwestdeutschland des 19. Jahrhunderts

war die Teuerung der Lebensmittel, die besonders in den Jahren auftrat, in denen eine

schlechte Ernte erzielt wurde. Ein steigender Getreidepreis konnte insbesondere für ärmere

Menschen bedrohlich werden, da sich die Löhne kaum steigerten und sogar tendenziell eher

sanken. Bis zu 70 Prozent des Einkommens 56 wurde für Grundnahrungsmittel aufgewendet,

daher war die Existenz der Menschen vor allem an den Preis der wichtigsten Lebensmittel

gekoppelt. Betrachtet man die Entwicklung des Preises für Dinkel, des Hauptgetreides für

Brot zu dieser Zeit in Württemberg, kann ein Zusammenhang mit den Auswanderungszahlen

festgestellt werden. Vor allem in den Krisenjahren 1816/17, 1831/32 und in den 40er Jahren

des 19. Jahrhunderts kann ein starker Anstieg des Dinkelpreises festgestellt werden. 57 Ebenso

stieg in diesen Jahren die Zahl der Auswanderer rasant, somit ist ein starker Zusammenhang

zwischen diesen beiden Größen nachweisbar. Neben diesem gibt es jedoch noch weitere

Faktoren, die sich auf die Auswanderung auswirkten.

56Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 148.57Ebd., S. 149.

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Eine weitere Größe, die in Bezug auf die Auswanderungszahlen untersucht werden kann, ist

die Bevölkerungsdichte eines Landes. Diese gibt in Kombination mit der jeweiligen

landwirtschaftlichen Nutzfläche einer bestimmten Region einen Hinweis darauf, wie sich die

Ernährungslage in dieser Gegend gestalten konnte. Wie aus den Tabellen der Studie von

Hippels hervorgeht, stieg die Bevölkerungsdichte in Bezug zur landwirtschaftlichen

Nutzfläche in einigen württembergischen Oberämtern stark an. Zwar gab es jeweils

Unterschiede in der Verteilung, doch insgesamt lag die Bevölkerungsdichte in Württemberg

wohl über dem deutschen Durchschnitt 58 und die Bevölkerungsentwicklung im Land konnte

als kritisch angesehen werden. Allein die Bevölkerungsdichte ist jedoch wenig aussagekräftig,

daher muss ebenfalls die landwirtschaftliche Ergiebigkeit im untersuchten Gebiet

hinzugezogen werden. Im Schwarzwald kann beispielsweise ein besonders schlechtes

Verhältnis zwischen dem landwirtschaftlichen Ertrag und der Bevölkerungsdichte festgestellt

werden, während beispielsweise in Oberschwaben ein weitaus höherer Pro-Kopf-Ertrag

erzielt wurde. Besonders kritisch wurde die Versorgung der Bevölkerung während der

Krisenjahre in den Gebieten, die bereits in normalen Ertragszeiten eher unterversorgt waren

und aus anderen Regionen Nahrungsmittel zukaufen mussten. Alternativ konnten

landwirtschaftliche Flächen für den eher marktorientierten Weinanbau oder für den Anbau

von Kartoffeln genutzt werden, die einen höheren Kalorienertrag brachten. Allerdings waren

auch diese Produktionen krisenanfällig, wie beispielsweise durch die Kartoffelkrankheit, die

etwa ab Mitte der 1840er Jahre auftrat. 59 Besonders Kleinbauern konnten hierdurch bei

schlechten Ernten in größere Schwierigkeiten geraten, was wiederum die Tendenz zur

Auswanderung begünstigte.

In seiner Studie versucht von Hippel, die Betriebsgrößen in Württemberg statistisch zu

erfassen, um so die Zahl der Kleinbesitzer, die besonders durch Ernteausfälle bedroht waren,

festzuhalten. Einer Erhebung aus dem Jahr 1857 nach entfielen auf 360.000 Familien in

Württemberg etwa 330.000 mit Grundbesitz. Unter dem recht hohen Anteil der Grundbesitzer

waren jedoch 55 Prozent der Betriebe mit einer Fläche von unter 5 Morgen bzw. 1,6 Hektar

sehr klein. 20 Prozent lagen zwischen 5 und 10 Morgen (1,6 – 3,2 Hektar) und lediglich 10

Prozent erreichten eine Größe von 30 Morgen (9,5 Hektar). Von den 360.000 Familien in

Württemberg waren 117.108 ausschließlich selbständig in der Landwirtschaft tätig und waren

demnach komplett von dem Ertrag ihres meist kleinen Betriebs abhängig.

58Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 153.59Ebd., S. 163.

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Etwa ein Drittel der in Württemberg lebenden Familien befand sich in der Lage, voll und ganz

vom landwirtschaftlichen Ertrag abhängig zu sein. Dies brachte ein gewisses Risiko mit sich,

da in Krisenzeiten die Ernährung der eigenen Familie nicht sichergestellt war. Von Hippel

nennt die Kleinstbetriebe in der Landwirtschaft „höchst krisenanfällige Grenzexistenzen“. 60

Eine Ausweichmöglichkeit war lediglich, sich im Zeitraum der Ernteausfälle eine andere

Arbeit zu suchen, um überleben zu können. War dies jedoch aufgrund weniger freier

Arbeitsstellen ebenfalls nicht möglich, blieb meist nur die Auswanderung als Alternative, um

die eigene Lage möglichst zu verbessern.

In einer prekären Lage befanden sich aber nicht nur die selbständigen Landwirte mit kleinem

Grundbesitz, sondern ebenfalls weitere Wirtschaftszweige, die häufig miteinander verknüpft

waren. Hierzu zählte beispielsweise das Gewerbe, wobei hierunter sowohl Handelstreibende

als auch sämtliche Handwerksleute gezählt wurden. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts machte

die Zahl der in diesem Sektor Beschäftigten etwa den gleichen Anteil an der Bevölkerung aus,

wie die der Landwirte. 61 Weitere wichtige Erwerbszweige waren die Heimarbeit, etwa in der

Textilbranche, sowie die sogenannte Teilerwerbslandwirtschaft. Obwohl viele Familien

vollständig von der Landwirtschaft lebten, gab es ebenso Menschen, die verschiedene

Arbeiten nebeneinander ausübten.

Auch in anderen Wirtschaftszweigen, etwa beim Handwerk, dominierten in der ersten Hälfte

des 19. Jahrhunderts kleine Betriebe. Im Gewerbesektor war ein hoher Anteil an

Einmannbetrieben zu finden, die beispielsweise nur von einem Handwerksmeister und

eventuell noch von einem Gehilfen geführt wurden. In Württemberg gab es eine sehr hohe

Gewerbedichte und damit ebenfalls eine große Zahl von Handwerkern, vor allem in der

Region der schwäbischen Alb. Besonders in diesem Gebiet mit einem hohen

Handwerkeranteil war jedoch auch die Teilerwerbslandwirtschaft stark vertreten. 62 Häufig

wurden somit beide Tätigkeitsfelder nebeneinander ausgeübt. Von Hippel zeigt in seiner

Studie die Wirtschaftsstruktur in Württemberg zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf, die

besonders von kleinen Betrieben in prekären Verhältnissen geprägt war. Dies konnte bei

steigender Bevölkerungsdichte zu einem wirtschaftlichen Druck führen, der besonders in

Zeiten des Mangels an Arbeit und Nahrung deutlich wurde. Wie dies von Auswanderern selbst

gesehen wurde, wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet.

60Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 166.61Ebd., S. 167.62Ebd., S. 170.

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2. Persönliche Motive südwestdeutscher Auswanderer

2.1 Auswandererbriefe

Auswandererbriefe bieten als Quellen einige Chancen für die historische Forschung, um wie

in dieser Arbeit die persönlichen Motive von Menschen nachzuvollziehen, die zu einer

bestimmten Zeit ein neues Leben an einem anderen Ort begannen. Vor allem die Gründe für

die Auswanderung selbst sollen hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Dabei sind

jedoch auch eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, sowohl bei der Auswahl der

Quellenstücke als auch in der Analyse und Interpretation.

Die hier ausgesuchten Briefe können zunächst in einen zeitlichen Rahmen eingeordnet

werden. Dies geschieht, sofern vorhanden, über die Angabe des Absendedatums im Briefkopf.

Zunächst wurden also diejenigen Briefe aus verschiedenen Editionen ausgewählt, die aus der

ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Auf Archivmaterial wurde bei der Auswahl

bewusst verzichtet, da allein die Vielzahl der erhaltenen Auswandererbriefe größere

Forschungsprojekte nötig macht, um diese zu bearbeiten. Zudem gingen bereits aus

verschiedenen Projekten einige Editionen hervor, die für diese Arbeit genutzt werden. Vor

allem Wolfgang Helbich63 64 und Jürgen Macha 65 sind hier als Herausgeber zu nennen. Diese

versuchen jeweils, aus dem Fundus einer Sammlung eine repräsentative Auswahl an

Auswandererbriefen zu veröffentlichen. Eine schwierigere Herausforderung bei der Wahl der

Briefe für diese Arbeit war die Einordnung nach dem Herkunftsort des Briefeschreibers. Meist

gingen die Briefe an Verwandte, die noch in Deutschland lebten. Die Zuordnung des

Herkunftsortes geschieht meist über die Adresse, an die der Brief geschrieben wurde. In

manchen Fällen müssen außerdem Kirchenbücher zur Ermittlung des genauen Herkunftsortes

hinzugezogen werden. In den hier verwendeten Editionen haben sich bereits die Herausgeber

um die Zuordnung der jeweiligen Heimatorte gekümmert, was die Auswahl erleichtert. Für

diese Arbeit wurden also einige Briefe ausgewählt, die aus der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts stammen und bei denen der Herkunftsort des Verfassers im südwestdeutschen

Raum ausgemacht werden kann. Ein Hauptaugenmerk liegt hier auf Auswanderern aus Baden,

63Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985.64Wolfgang Helbich, Walter D. Kamphoefner, Ulrike Sommer (Hrsg.), Briefe aus Amerika – Deutsche

Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt. 1830 – 1930, München 1988.65Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach

Deutschland – Auswandererbriefe und Dokumente der Sammlung Joseph Scheben (1825 – 1938), Frankfurt am Main 2003.

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Württemberg und der Pfalz, einige Briefeschreiber stammen aber auch aus dem Rheinland.

Bei der Quellenarbeit mit den hier ausgewählten Auswandererbriefen steht die Fragestellung

nach den persönlichen Motiven und Gründen für die Migration im Vordergrund. Dabei muss

jedoch die Perspektive der Briefeschreiber beachtet werden. Viele Auswandererbriefe

beschäftigen sich inhaltlich nicht unbedingt retrospektiv mit der Ausgangssituation in der

Heimat, sondern mit den neuen Begebenheiten, wie sie beispielsweise auf der Reise oder im

Zielland auftraten. Eine Herausforderung bei der Interpretation ist es also, Gründe im Text zu

finden, ohne dass diese explizit genannt werden. Hier muss also häufig auch zwischen den

Zeilen gelesen werden. Ein Ansatz bei der Herausfilterung von möglichen

Auswanderungsgründen ist ein Vergleich zwischen der neuen Situation der Auswanderer im

Zielland und den alten Lebensbedingungen, wie sie in der Heimat herrschten. Über diese

Vergleiche, wie sie oft in den Briefen angestellt werden, lassen sich Hinweise darauf

herauslesen, aus welchen Gründen das „Wagestück“ 66, wie es Johannes Hummel aus

Dannstetten, Gemeinde Römerstein in Württemberg bezeichnete, mit der Auswanderung in

ein fremdes Land eingegangen wurde.

Eben dieser Johannes Hummel liefert mit seiner Bemerkung „Es ist ein Wagestück“ 67 auch

das Titelzitat dieser Arbeit. In seinem Brief vom 7. Juni 1855 an seine Eltern, Geschwister

und Freunde charakterisiert er damit den gesamten Auswanderungsprozess als Unterfangen

mit einem gewissen Risiko. Hierdurch kann bereits verdeutlicht werden, dass es nicht nur

positive Argumente und Gründe für das Auswandern gab, sondern ebenfalls Warnungen an die

Daheimgebliebenen. Der am 12. März 1819 geborene Johannes Hummel besuchte zunächst

eine Ackerbauschule und konnte dann als Gutsverwalter arbeiten. Die Auswanderung nach

Amerika unternahm er im Jahr 1850 und damit bereits zu Beginn der größten

Auswanderungswelle in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Als Hummel den Brief aus St. Louis, Missouri abschickte, lebte er bereits fünf Jahre in seiner

neuen Heimat. Sein Fazit für alle Neuankömmlinge lautete jedoch: „Es dürfte sich kaum der

Mühe lohnen, 3-4-5-6 Jahre lange harte Prüfungen auszuhalten, um sich etwas besser zu

stellen als man gewöhnlich in Europa steht.“68 Mit den Prüfungen meinte Hummel sowohl die

Integration und das Finden einer neuen Heimat, als auch die Schwierigkeiten, die damit

einhergingen. Zunächst waren viele Einwanderer von großer Armut betroffen.

66Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985, S. 46.67Ebd.68Ebd.

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Meist musste das wenige Geld im eigenen Besitz für die Reise aufgewendet werden und nicht

jeder konnte gleich eine passende Arbeitsstelle finden. Laut Hummel mussten sich einige

Hundert auch mit Betteln über den Winter bringen. Hinzu kamen durch klimatische

Bedingungen verursachte Nahrungsmittelknappheiten und Krankheiten.

Mit Briefen wie dem von Hummel wurden die Erwartungen von noch in Deutschland

lebenden, eventuell Auswanderungslustigen gedämpft. Das Risiko der Auswanderung und die

Entbehrungen der ersten Jahre in Amerika wurden betont. „Es ist gewiß, daß die erste Zeit

hier weit härter für den Deutschen ist, als dieselbe für ihn zuhause wäre, ferner, es ist nicht

gewiß, ob es ihm je besser geht als dies zuhause der Fall gewesen wäre (…).“ 69 Aus all diesen

Warnungen lassen sich jedoch auch bereits Gründe herauslesen, aus denen eine

Auswanderung versucht wurde. Es gab wohl eine allgemeine Hoffnung unter vielen

Deutschen, dass in der Ferne ein besseres Leben warten würde. Vor allem die berufliche und

wirtschaftliche Stellung sollte sich verbessern. Diese Hoffnung oder sogar Erwartung speiste

sich nicht zuletzt aus den vielen Briefen, die Auswanderer in die Heimat schickten. Der Brief

von Johannes Hummel kann eher als Ausnahme gesehen werden, in der die negativen Seiten

der Auswanderung im Mittelpunkt standen. Am Schluss seines Briefes relativierte Hummel

jedoch noch den Eindruck, der bei der Lektüre entsteht. „Denket aber ja nicht, daß ich

unzufrieden lebe u. daß dies der Ausdruck dieses Gefühls sei (…).“ 70 Demnach überstand

Hummel die ersten fünf Jahre einigermaßen gut und konnte dann entspannter mit seiner Frau,

die er ebenfalls erwähnt, weiterleben.

Es gibt nicht viele Briefe, die wie bei Hummel explizit davon abrieten, eine Auswanderung

aus Deutschland zu versuchen. Ein Beispiel der positiven Berichte ist der Brief von Nikolaus

Frett71 aus dem Kreis Mayen bei Koblenz. Insbesondere in der Edition von Jürgen Macha

finden sich einige Herkunftsorte im Gebiet der preußischen Rheinprovinz. Dies liegt vor

allem am Schwerpunkt der Sammlung von Joseph Scheben, die in diese Edition eingebracht

wurde und vor allem Briefe aus dem Rheinland und der Eifel enthält. Da die Mehrzahl der

abgedruckten Auswandererbriefe aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder aus dem

frühen 20. Jahrhundert stammt, muss für den hier gewählten Zeitraum die geografische

Einordnung mit dem Begriff Südwestdeutschland etwas ausgeweitet werden.

69Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985, S. 46.70Ebd.71Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach

Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 90 – 91.

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Frett schrieb am 30. August 1841 aus Chicago an seinen Schwager, den Kleinhändler

Marhöffer aus Virneburg. Neben der sehr positiven Beschreibung seiner neuen Heimat, in der

er sich zusammen mit Frau und Kindern ein Landgut in der Nähe von Chicago kaufte, zeigt

dieser Brief zudem im Vergleich mit Deutschland Gründe auf, die für ein Auswandern

sprechen. Frett schreibt vor allem über landwirtschaftliche Vorteile, aber auch über Vorteile

gegenüber Deutschland, welche die staatliche Verwaltung, die Gebräuche und Sitten

betreffen.

Das landwirtschaftliche Leben, das sich Frett in Amerika aufbaute, wird mit einer

paradiesischen Vorstellung verglichen, in der sich viele Dinge von ganz allein regeln. „Hier

ist es nicht wie in Deutschland, daß der Mensch das Vieh mit seiner Arbeit nähren muß; hier

nährt es sich selbst.“ 72 Scheinbar gab das Land so viel her, dass sich das Vieh gut selbst

ernähren konnte, ohne ein Zutun des Landwirts. Selbst wenn Heu gemacht werden musste,

fielen dafür keine Kosten an. Auch kamen die Kühe jeden Abend und Morgen von selbst, um

gemolken zu werden und brachten ihre Jungen von selbst auf dem Feld zur Welt. Was die

landwirtschaftlichen Bedingungen betrifft, konnte Frett durchaus Recht haben, wenn ihm die

Arbeit leichter fiel als noch in Deutschland. Beim kritischen Lesen fällt jedoch auf, dass im

Brief einige Übertreibungen formuliert wurden. Ob diese bewusst mit einem bestimmten Ziel

oder unbewusst eingeflochten wurden, lässt sich besser nach der Betrachtung des restlichen

Brieftextes bestimmen.

Auch in Bezug auf die staatliche Verwaltung wusste Frett von einigen Vorteilen zu berichten.

„Man weiß auch hier von keinen Steuern. Man braucht sich hier nicht für den Müssiggänger

zu plagen als wie in Deutschland. Hier arbeitet man für sich. Hier steht einer dem andern

gleich.“73 Sicherlich war es für Landbesitzer ein Vorteil, wenn sie nichts aus der eigenen

Arbeit an den Staat abgeben mussten. Ein Nachteil konnte jedoch das fehlende soziale Netz

zu sein, wie es heute bekannt ist. Doch dies wurde zu jener Zeit noch nicht als Nachteil

wahrgenommen. Stattdessen freute sich Frett, dass er sich nur um sich und seine Familie

kümmern brauchte. Ein weiterer Aspekt, der als Vorteil gegenüber Deutschland

wahrgenommen wurde, ist die soziale Gleichheit. Rein rechtlich gesehen gab es keine

Unterschiede zwischen den Menschen, mit Ausnahme von Sklaven, die es in der ersten Hälfte

des 19. Jahrhunderts noch gab. Zwar gab es Unterschiede, vor allem im finanziellen Besitz.

72Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 91.

73Ebd.

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Doch allein daraus ließen sich noch keine Statusunterschiede festmachen. Dies drückte sich

auch durch die Kleidung aus, die sich stets nach den vornehmsten Persönlichkeiten richtete.

Dennoch konnte man einen Bauern nicht von einer vornehmen Herrschaft unterscheiden, da

sich die Menschen in Bezug auf die Kleidung anglichen. Der wichtigste Aspekt bei Frett

bezieht sich auf das wirtschaftliche Leben, das sich im Gegensatz zu Deutschland gut

finanzieren ließ. „Auch ist die Amerikanische Kost gut und billig. Der gemeine Mann lebt in

Amerika besser, als in Deutschland der vornehmste.“ 74 Insgesamt lautete bei Frett das Fazit:

„Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland.“ 75 Sicherlich kann man dem Auswanderer

glauben, dass ihm das Leben in Amerika gut gefiel. Dennoch stecken einige Übertreibungen

in seiner Schilderung, besonders beim landwirtschaftlichen Leben, das nicht ohne harte Arbeit

auskommen konnte. Gewisse Elemente kehren stets wieder, wenn bereits Ausgewanderte ihre

neue Heimat in den höchsten Tönen lobten und versuchten, Angehörige oder nahestehende

Personen ebenfalls zu einer Auswanderung aus Deutschland zu bewegen. So verhält es sich

beispielsweise bei Georg Weimer, dessen Herkunftsort nicht genau bekannt ist. Allerdings

ging der Brief vom 26. Februar 1825 aus Cincinatti, Ohio an seinen Schwager, den

Zimmermann Peter Schäpp aus Erda im Kreis Wetzlar. Es kann angenommen werden, dass

der Herkunftsort des Ausgewanderten in derselben Region liegt.

Ähnlich wie Nikolaus Frett schrieb Weimer von den Vorteilen seiner neuen Heimat in

Amerika im Vergleich zu den Verhältnissen in Deutschland. Die wichtigsten Themen sind

auch hier die Arbeit, die Finanzen und die Freiheit, die es im Gegensatz zu Deutschland gab.

Unter Freiheit verstand Weimer vor allem die Wahl zu arbeiten, was immer einem gefiel.

„Hier im Lande kann jeder treiben was er will und soviele Geschäfte zugleich als er will. Er

kann Kaufmann, Wirth, Schuster, Schneider, kurz alles zugleich seyn. Keine Zunftgeschichten

finden hier statt.“ 76 Weiterhin fällt auf, dass wie bei Frett auch die rechtliche Gleichheit der

Menschen betont wird. „Man lebt hier frey, braucht sich vor Niemand zu beugen, der

Taglöhner hat dieselben Rechte die der Präsident hat.“77 Finanziell gesehen lebte es sich auch

sehr gut, vor allem die günstigen Preise der Lebensmittel werden aufgelistet, wie etwa 8 bis

12 Pfund Butter für ¼ Thaler. Auch eine Unterkunft inklusive drei Mahlzeiten war laut

Weimer für 1 ¼ bis 1 ½ Thaler in der Woche zu haben.

74Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 91.

75Ebd.76Ebd., S. 314.77Ebd.

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Eine Besonderheit in diesem Brief ist das Liefern eines speziellen Grundes für die

Auswanderung des Schwagers und der Schwester, nämlich das Versprechen eines Erbes. Der

bereits ins Alter gekommene Georg Weimer wollte sein Haus und sein kleines Vermögen an

das adressierte Ehepaar vermachen, da er selbst mit seiner Frau keine Kinder hatte. Hinter

dem Erbversprechen steckte jedoch auch die Hoffnung, dass der Schwager und die Schwester

zu Weimer und seiner Frau ziehen und im Alter für sie sorgen würden. Die beiden litten

bereits an einigen Gebrechen, Weimer selbst an einer Bruchverletzung und seine Frau hatte

die Wassersucht. In gewisser Weise stellte der Briefeschreiber auch ein Ultimatum an die

Adressaten: „Nur bitte ich lieber Schwager, mir so bald wie möglich wissen zu lassen ob Ihr

kommen werdet oder nicht, da ich im letzteren Falle eine hiesige Familie zu mir nehmen

werde, die uns wenn wir krank werden pflegt und dafür das Unsrige erbt.“ 78 Somit musste

sich das Ehepaar in Deutschland recht schnell für oder gegen eine Auswanderung entscheiden.

Der Vorteil war in jedem Fall das versprochene Erbe mitsamt Haus, andererseits mussten sie

die Pflege des Bruders bzw. Schwagers mit Frau übernehmen. Interessant wäre es zu erfahren,

wie die Entscheidung letztlich ausfiel, doch ein entsprechender Antwortbrief nach Amerika ist

nicht in der Sammlung enthalten. Ein Aspekt, der ebenfalls für eine Auswanderung sprechen

konnte, war eine Gemeinde, in der bereits viele Deutsche lebten. „Hier in der Stadt und um

dieselbe sind viele Teutsche, auch haben wir hier eine teutsche Lutherische Kirche, so wie

hier überhaupt 12 Kirchen sind.“ 79 Das gewohnte Leben mit anderen Deutschen, ebenso wie

das religiöse Leben blieb somit bei einer Auswanderung erhalten. Hierdurch konnte es auch

leichter fallen, sich einzuleben und zu integrieren.

Nicht nur Nordamerika-Auswanderer schrieben im 19. Jahrhundert aus ihrer neuen Heimat an

ihre Angehörigen in Deutschland. Ein weiteres wichtiges Zielgebiet war Südamerika und hier

vor allem Brasilien. So schrieb beispielsweise Johannes Jakob Fritsch aus Lötzbeuren im

Kreis Zell am 03. Oktober 1835 an seine Verwandten und Freunde. Sein Landgut lag in der

deutschen Kolonie „Sanct Leopoldo, ohnweit der Stadt Porto Alegro in der Provinz Rio

Grande Saô Pedro do Sul“. Bereits bei der ersten Lektüre des Briefes fällt auf, dass sich

Fritsch in seinem Brief sehr viel gewählter ausdrückt, als dies in einigen Briefen der Fall war,

die hier zuvor betrachtet wurden. Dies kann durch eine höhere Bildung geprägt worden sein,

die zudem von kirchlicher Seite aus stattgefunden haben könnte. Ein Indiz hierfür ist das

78Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 313.

79Ebd.

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häufige Anrufen von Gott im Brief, wodurch zugleich ein Dank für die gut gelungene

Auswanderung selbst und ein Segen für die Daheimgebliebenen ausgedrückt werden sollte.

„(...) der Allmächtige, Allgegenwärtige, Allgütige Gott und Vater und liebreiche Versorger all

derer, die auf ihn hoffen und vertrauen, und im Glück und Unglück auf ihn bauen! Der, dessen

Rath ist wunderbar! Der aber mit uns hat alles herrlich geführet hinaus, - der wolle Euch und

Euer ganzes Haus, Kind und Kindeskind segnen und beglücken; (…).“80

Wenn es um potentielle Gründe für das Auswandern geht, können in diesem Brief ähnlich wie

in einigen anderen die Vorteile im Zielgebiet gegenüber der Situation in Deutschland

herausgelesen werden. Dabei scheinen sich die Vorzüge in Brasilien nicht wesentlich von

denen in Nordamerika zu unterscheiden. Ebenso dominieren in diesem Brief Themen wie

nicht existierende Abgaben an den Staat, die Freiheit der Berufsausübung und die

Möglichkeiten, die sich wirtschaftlich aus dem Land ergeben. Fritsch baute sich nach seiner

Ankunft in Brasilien zunächst eine Viehzucht auf, indem er sich für einen Kronenthaler drei

Hühner und einen Hahn kaufte. Daraus zog er bereits innerhalb eines Jahres 133 Kronenthaler

mit dem Verkauf des Geflügels. Beim Absenden des Briefes besaß Fritsch schon ein großes

Landgut, das sich etwas abseits im Urwald befand. „(...) wie ich jetzt thue, die Bäume, da ich

dessen so vieles in meiner Colonie stehen habe, so gewinne ich daraus sehr viel Geld; alles

Holz, was in meinem Walde steht, kann ich unmöglich kennen, denn mein Eigenthum ist so

groß, daß ich ohne den Compaß gar nicht die richtigen Maaße nehmen kann von meinem

Landgut, (…).“ 81 Diese Erfolgsgeschichte des Johannes Jakob Fritsch speist sich zum einen

aus den vorhandenen Rohstoffen im Land, vor allem Holz, und zum anderen aus dem

unternehmerischen Geschick des Auswanderers, mit dem er sein Geld vermehrte. Betont wird

im Brief jedoch auch, dass dies nur durch die Bedingungen möglich wurde, die in Brasilien

gegenüber den Bedingungen in Deutschland vorherrschten. So schreibt Fritsch, dass im Wald

frei gejagt werden kann und ebenso das Holz zum Bauen oder zum Verbrennen ohne

Restriktionen aus dem Wald geholt werden kann. In Deutschland hingegen müsste man Angst

vor dem auflauernden Jäger haben.

Sicherlich gab es auch negative Seiten in einem Land wie Brasilien, die Fritsch ebenfalls

hervorhebt. Er vermisse den deutschen Weizen, da aus dem brasilianischen Getreide kein

schönes Mehl gewonnen werden könne. Für eine Rückantwort bat er darum um das Beilegen

80Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 317-318.

81Ebd., S. 319.

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einiger Weizenkörner, die er dann in Brasilien anbauen konnte. Auch das deutsche Obst

schien Fritsch zu vermissen. Insgesamt lautet das Fazit bei Fritsch: „Land ist hier im Walde

noch genug vorräthig und wird den etwa noch ankommenden Deutschen unentgeltlich

gegeben; ich wollte nichts weiter wünschen als daß der eine oder der andere meiner

Anverwannten und Freunde hier bei uns wäre; er würde es nicht bereuen hier zu sein.“82

In den vorigen hier behandelten Briefen ging es vor allem um Personen, die sich im

Einwanderungsland, sei es Nordamerika oder Brasilien, ein Stück Land erwerben konnten und

darauf mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienten. Dieses Bild des Auswanderers

als Farmer ist auch heute noch ein gängiges Klischee, welches allerdings nicht immer zutrifft.

In Amerika gab es erst ab 1862 das sogenannte Heimstättengesetz, den Homestead Act, mit

dem Siedlern freies Land angeboten wurde. 83 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

mussten viele Einwanderer zunächst erst einmal eine Arbeitsstelle finden, um sich etwas Geld

ansparen zu können, mit dem dann Land gekauft werden konnte. Interessant für diese Arbeit

sind nicht nur Briefe von Menschen, die bereits Land und damit ein gewisses Auskommen

hatten. Auch Arbeiter und Personen mit einem geringen Verdienst kommen in einigen Briefen

zu Wort. Eine Edition von Wolfgang Helbich ordnet die Briefeschreiber nach ihrem

jeweiligen Berufsstand ein. Dabei werden drei Gruppen gebildet: zunächst die schon

angesprochenen Farmer, wobei hier sämtliche Auswanderer eingeordnet werden, die in der

Landwirtschaft tätig waren. Dann gibt es noch die Gruppe der Arbeiter und die der

Dienstbotinnen. Es gab also auch Frauen, wenn auch zahlenmäßig wenige, die alleine den

Weg der Auswanderung versuchten, um sich dann meist in amerikanischen Haushalten ihren

Lebensunterhalt als Dienstmädchen zu verdienen. Dies war häufig die einzige Möglichkeit, da

es in der Industrie noch kaum Arbeitsplätze für Frauen gab.

Wie bei einigen Briefen aus der Sammlung Scheben, ist eine Übereinstimmung des gewählten

Untersuchungszeitraums, also der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der geografischen

Eingrenzung in Südwestdeutschland auch bei der Gruppe der Arbeiter nicht gegeben.

Dennoch soll hier zumindest ein Auswanderer aus dieser Personengruppe näher betrachtet

werden, auch wenn dieser aus Trutzlatz, Kreis Naugard in Pommern stammte. Johann Carl

Wilhelm Pritzlaff war der Sohn eines Schneidermeisters und 19 Jahre alt, als sein Vater 1839

verstarb. Zu diesem Zeitpunkt schien ihn nichts mehr in seiner Heimat zu halten, da er im

82Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 319.

83Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 55.

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selben Jahr auswanderte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er bis dahin als Schäferknecht. 84

Über den Bildungsstand des Auswanderers ist wenig bekannt. Allerdings lässt sich aus seiner

Tätigkeit schließen, dass er wohl keine richtige berufliche Ausbildung durchlaufen hatte und

sich somit als Knecht bei einem Schäfer verdingte. Zumindest konnte Pritzlaff schreiben und

somit seiner Familie in der Heimat Nachrichten zukommen lassen. Der Ablauf der

Auswanderung soll hier nicht genauer rekonstruiert werden, lediglich soll angeführt werden,

dass sich Pritzlaff im Gefolge einer größeren Gruppe befand, die Preußen 1839 als

Altlutheraner Gemeinde85 in Richtung Amerika verließ.

Der erste Brief, den Pritzlaff aus Milwaukee, Wisconsin an seine Familie schickte, stammt aus

dem Jahr 1842. Es vergingen also bereits drei Jahre seit seiner Auswanderung. Er beschrieb

recht ausführlich, wie es ihm seither erging und welcher Arbeit er nachgehen konnte. Die

Auswanderergruppe musste in Amerika zunächst einen Stopp in Buffalo einlegen, nachdem

die gemeinschaftliche Kasse erschöpft war. Nur die wohlhabenderen Auswanderer konnten

sich eine Weiterreise nach Wisconsin leisten, der ärmere Teil der Gruppe musste sich eine

Arbeit vor Ort suchen. „(…) und die Armen waren genötigt in und um Buffalo herum Arbeit

zu suchen; viele von uns gingen 15 d.M. von Buffalo ab auf Kanal-Arbeit.“ 86 Beim Kanal-Bau

konnten sich viele Einwanderer auch ohne englische Sprachkenntnisse zunächst einiges Geld

verdienen, um dann weiterreisen zu können. Schließlich gelang es Pritzlaff, zu seiner

ursprünglichen Auswanderergemeinde zu stoßen, die bereits eine Siedlung in Wisconsin

gegründet hatte. Nachdem er über den Winter bei einem amerikanischen Farmer als Fuhrmann

gearbeitet hatte, war er bereits im April 1842 wieder ohne Arbeit und hatte sich zu der Zeit, in

der er diesen Brief schrieb, noch nicht nach etwas Neuem umgesehen. Pritzlaff kann wohl als

Saisonarbeiter eingeschätzt werden, der je nach Bedarf ein Arbeitsverhältnis einging.

Ebenfalls verglich Pritzlaff in seinem Brief die Lebensart der amerikanischen Bauern mit der

in Preußen. Dabei fällt auf, dass auch hier die Verbesserungen gegenüber der Situation in der

Heimat betont werden. „Für einen Mann, der da arbeitet, ist es hier viel besser als dort; man

kann das leibliche Stückchen Brot besser erwerben wie in Deutschland, (…)“ 87 Wichtig für

Pritzlaff ist auch seine persönliche Freiheit, ohne Untertan eines Gutsbesitzers oder für eine

längere Zeit an eine Arbeitsstelle gebunden zu sein. Betont wurde ebenso die Gleichheit unter

den Menschen, durch die jeder unabhängig von seinem Besitz oder anderer

84Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 285.85Ebd., S. 286.86Ebd., S. 291.87Ebd., S. 292.

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Statusunterschiede mit dem anderen umgehen konnte. Ausdrücklich ermunterte Pritzlaff in

seinem Brief die Daheimgebliebenen ebenfalls auszuwandern, um sich besser zu stellen, als

dies in Deutschland möglich war. „Es darf sich auch keiner fürchten, daß er damit sündigt,

wenn er auswandert, um sich sein leibliches Fortkommen hier besser zu machen wie dort.

Denn die Erde ist des Herrn und ist von Gott dem menschlichen Geschlechte gegeben, und er

kann darauf gehen wo er will.“ 88 Aus diesem Zitat können zum einen wirtschaftliche Gründe

für die Auswanderung herausgelesen werden. Pritzlaff möchte seinen Broterwerb in Amerika

besser und einfacher gestalten, was ihm wohl auch recht gut gelungen ist: „Ich habe Kleidung

und auch Brot; habe auch Geld (…).“ 89 Ebenso bezieht er sich auf religiöse Vorbehalte, die

gegen eine Auswanderung sprechen könnten. Er verneint das Begehen einer Sünde mit der

Auswanderung, schließlich sei die ganze Erde von Gott für den Menschen gemacht. Pritzlaff

möchte damit mögliche Bedenken bei den Daheimgebliebenen ausräumen, die eine

Auswanderung aus religiösen Gewissensgründen ablehnen könnten. Ein Ziel des

Auswanderers ist damit auch, die Angehörigen zum Nachkommen zu bewegen, wie man auch

in anderen Briefen lesen kann.

Bei der Analyse der Auswandererbriefe und der Suche nach möglichen Gründen für diesen

Schritt wird deutlich, dass sich in den Quellenstücken weniger persönliche Motive der

Briefeschreiber selbst finden lassen. Stattdessen werden Gründe für daheimgebliebene

Angehörige geliefert, die ebenfalls von einer Auswanderung überzeugt werden sollen. Dies

kann vor allem daran liegen, dass sich die Verfasser der Auswandererbriefe selbst nicht mehr

mit dem eigentlichen Anlass und der Motivation für diesen Schritt auseinandersetzen mussten.

Schließlich haben sie bereits die Heimat verlassen und ein neues Leben begonnen. Damit

verschob sich der Blickwinkel auf die neue Situation, mit der die Auswanderer nun

zurechtkommen mussten. Der Erfolg oder Misserfolg in der neuen Lebenssituation gab

sicherlich den Ausschlag dafür, wie die Auswanderung selbst wahrgenommen und bewertet

wurde. Genau diese Bewertung wurde dann in den Briefen an Verwandte und Freunde in der

Heimat weitergegeben.

Um eine Entscheidung für oder gegen eine Auswanderung zu treffen, waren vor allem

Informationen notwendig. Auf der einen Seite mussten sich potentielle Auswanderer mit den

eigenen Lebensumständen auseinandersetzen. Hinzu kommen die Informationen, die mit den

Auswandererbriefen eintreffen und die näheres darüber verrieten, wie es sich in dem fremden

88Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 292.89Ebd.

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Land leben ließ. Sicherlich hatte nicht jede Familie einen Angehörigen, der selbst bereits im

Ausland lebte und darüber berichten konnte. Doch häufig wurden die Informationen auch im

Bekanntenkreis und über Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben.

Jede Auswanderung stellte für sich gesehen ein Risiko dar, nicht nur in finanzieller Hinsicht.

Auch gesundheitlich konnten auf der Reise oder in der ersten Zeit nach der Ankunft extreme

Beschwerden auftreten, wie dies im Brief von Johannes Hummel deutlich wurde. Neben der

erhofften besseren wirtschaftlichen und beruflichen Stellung im Zielland war es somit für

viele Auswanderer wichtig, eine gewisse Sicherheit zu haben, um das Wagnis überhaupt

eingehen zu können. Oftmals wurde daher die Entscheidung der Auswanderung nicht

unbedingt als einzelnes Individuum getroffen, sondern mit einer größeren Gruppe von

Auswanderungswilligen. Dies konnte wie bei Pritzlaff mit einer religiösen Gemeinde

geschehen, die ihren Glauben in der Heimat nicht mehr uneingeschränkt ausüben konnte, oder

verfolgt wurde. In diesem Fall war es eine altlutherische Gemeinde, die in Preußen in die

kirchliche Opposition geraten war. 1817 kam es durch König Friedrich Wilhelm III. zum

Zusammenschluss der lutherischen und der reformierten Kirche zu einer unierten

evangelischen Kirche 90, wogegen es einigen Widerstand gab. Eine Ausweichmöglichkeit war

die Suche nach einem freien Land wie Amerika, in dem die eigene Glaubensform ungehindert

ausgeübt werden konnte. Der Vorteil, mit einer größeren Gruppe auszuwandern, war meist die

Bildung einer Gemeindekasse, mit der die wichtigsten Kosten, wie etwa für die Überfahrt

getragen werden konnten.

Neben den Gründen für die Auswanderung, die aus den Informationen der Auswandererbriefe

hervorgehen, ist es ebenfalls wichtig zu erfahren, welche Motive Menschen hatten, denen die

eigentliche Auswanderung noch bevorstand. Auch hierüber gibt es einige Quellenstücke in

Form von Protokollen einer Auswanderungsbefragung, die Friedrich List in den Jahren

1816/17 im Auftrag der württembergischen Regierung durchführte. Diese beiden Jahre bilden

zugleich die erste große Auswanderungswelle und stellen somit den Beginn der

Massenauswanderung aus Südwestdeutschland dar. Aus den Angaben der

Auswanderungswilligen können vor allem die Erwartungen und die Hoffnungen an ein neues

Leben herausgelesen werden.

90Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 286.

36

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2.2 Die Auswanderungsbefragung Friedrich Lists im Jahr 1817

Der später als großer Nationalökonom bekannt gewordene Friedrich List war im Jahr 1817 als

Rechnungsrat bei der württembergischen Regierung in Stuttgart tätig und durchlief zuvor eine

klassische Beamtenlaufbahn mit einer Ausbildung im sogenannten Schreibereiwesen. List

kannte sich durch weiterführende Studien sowohl in der Staatsverwaltung als auch im

Finanzwesen bestens aus und wurde im Staatsdienst in mehreren Kommissionen eingesetzt, in

denen er unter anderem die „Gebrechen im Schreibereiwesen“ 91 untersuchen sollte. Dabei

ging es vor allem um die vorherrschende Korruption unter den Beamten in der Verwaltung.

Diese wurde schon als ein Grund für die Auswanderungswelle in den Jahren 1816 und 1817

angesehen, da die Missstände in der Administration zu zahlreichen Beschwerden aus der

Bevölkerung führten. Zudem wurden die württembergischen Bürger durch hohe Abgaben

belastet, was ebenfalls zu einigem Unmut führte.

Am 29. April 1817 erging ein Befehl des Königs von Württemberg in einem Brief des

Innenministers Kerner an den Rechnungsrat List, dass er über eine Befragung der

Auswanderer die Ursachen der Auswanderungsbewegung herausfinden und wenn möglich

beseitigen solle. „Seine Königliche Majestät haben auf nicht officiellem Wege die Nachricht

erhalten, daß viele der zu Heilbronn und Nekkarsulm sich einschiffenden Auswanderer als

Grund ihrer Auswanderung die zu hohen Abgaben und das Schreibereiwesen angeben und an

der Hoffnung, daß es in Württemberg in dieser Hinsicht sich bessern werde, verzweifeln.“ 92

Die Befragung durch Friedrich List bezog sich daher vor allem auf die Sammelorte der

Auswanderer am Neckar, Heilbronn, Weinsberg und Neckarsulm. Dem König war es wichtig,

nicht nur über die Ursachen der Auswanderung aufgeklärt zu werden, sondern auch eine

weitere Auswanderungswelle zu verhindern. Daher sollte List nicht nur eine Befragung

vornehmen, sondern die Auswanderer außerdem über ihr Vorhaben belehren und sie möglichst

davon abbringen. „Seine Königliche Majestät haben sich dadurch zu dem Befehle bewogen

gefunden, daß hierüber nähere Untersuchung durch Vernehmung der Auswanderer eingeleitet

und diese wo möglich über ihren Entschluß und die Veranlaßungen deßelben belehrt und von

ihrem Vorhaben zurükgebracht werden sollen.“93

91Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika. Friedrich List und die Auswanderung aus Baden und Württemberg 1816/17. Dokumentation einer sozialen Bewegung, Tübingen 1979, S. 122.

92Ebd., S. 126.93Ebd.

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Aufgrund dieses Befehls wurde die Auswandererbefragung im Zeitraum vom 30. April bis 6.

Mai 1817 von Friedrich List durchgeführt und ein Protokoll mit einem Umfang von 134

Manuskriptblättern darüber angefertigt. Das Besondere an diesem Befragungsprotokoll ist das

unmittelbar bevorstehende Auswanderungsvorhaben der Menschen, die darin zu Wort

kommen. Somit werden die Motive, Meinungen und Gefühle, die mit diesem Vorgang

zusammenhängen, direkt erfasst. Im Vergleich zu den Auswandererbriefen ergeben sich einige

Unterschiede bei der historischen Analyse. Die befragten Auswanderungswilligen gaben die

Gründe für ihr Vorhaben an, die sie in diesem Moment bewegten, wodurch das Protokoll sehr

direkte und unmittelbare Aussagen enthält. Zwar wurden die Befragungen lediglich von

einem Schreiber protokolliert, wodurch die Auswanderer nicht direkt als Verfasser gelten

können, wie dies bei den Briefen der Fall war. Jedoch wurden die Aussagen direkt

mitgeschrieben, wodurch das Protokoll die authentischen Meinungen der Auswanderer

enthält. Neben dem Schreiber waren zusätzlich Skabinen als Urkundspersonen und Zeugen

sowie ein Aktuar als stellvertretender Schreiber anwesend. Bei der Interpretation muss in

jedem Fall beachtet werden, dass die Aussagen bestimmte Tendenzen94 enthalten können. Laut

Moltmann, dem Herausgeber der hier verwendeten Edition, gab es bei einigen Befragten

Hemmnisse frei zu sprechen, wodurch die eigentlichen Gründe der Auswanderung

heruntergespielt wurden. Andere wiederum nutzten die Befragung, um ihre Verbitterung und

Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu äußern. Sicherlich können hier nicht alle

Aussagen berücksichtigt werden, jedoch sollen beide Tendenzen mit in die Analyse

einfließen, um ein vollständiges Bild der Befragung zu ermöglichen.

Die ersten Vernehmungen wurden von Friedrich List am 30. April 1817 im Wirtshaus zum

Kranen in Heilbronn durchgeführt. Die dort befragten Auswanderer wollten sich laut

Stadtschreiber Krauß95 aus Heilbronn, der das Protokoll anfertigte, am folgenden Tag, also am

1. Mai 1817 in Richtung Holland einschiffen, um von dort aus nach Amerika zu gelangen. Die

ersten Angaben erhielt List in Heilbronn von Johann Heinrich Kulmbach 96, der als

Schreibmeister im Auftrag des Schiffskapitäns ein Verzeichnis über die Auswanderer

anfertigte. Dieser fragte ebenfalls nach den Ursachen der Auswanderung und klärte über das

damit verbundene Risiko auf: „Einstimmig haben sie sich hierauf über Mangel an Arbeit und

über große Theurung der LebensMittel, über allzu große Abgaben, über Bedrükungen der

94Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 120.95Ebd., S. 128.96Ebd., S. 130.

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Beamten und Schuldheissen beklagt, und daß sie sogleich mit Einthürmung bedroht werden,

wenn man nach dem Grund der grossen Summen, welche von ihnen gefordert werden,

forsche.“97 In der Aussage des Schreibmeisters Kulmbach werden die Gründe, die zu einer

Auswanderung führten, sehr allgemein aufgeführt. Diese lagen sowohl in der wirtschaftlichen

Situation, als auch in der Verwaltungsstruktur, die mit einer hohen Belastung für die

Württemberger einherging. Um weitere Details zu den persönlichen Motiven der

Auswanderer zu erfahren, sollen hier nun einige individuelle Aussagen näher betrachtet

werden.

Die ersten persönlichen Angaben, die Friedrich List von Auswanderungswilligen erhielt,

stammten von zwei Bürgern aus Egolsheim, das im Bezirk des Oberamts Ludwigsburg lag.

Der 32-jährige Jakob Hampf beschwerte sich in seiner Aussage besonders über den

Schultheiß und den Bürgermeister des Ortes, also die wichtigsten Magistrate und

Amtspersonen. Einzig die Behandlung durch den Schultheiß sei der Grund für die

Auswanderung mit seiner Familie. „Mein Schultheiß hat mich sehr gedrükt, und mich

namentlich 2mal in den Thurm gesperrt, weil ich nicht bei der Jagdfrohn erschienen bin

(…).“98 Diese Bestrafung war laut Hampf ungerechtfertigt, da er an einer Fußkrankheit litt,

die er sich im Russlandfeldzug zugezogen hatte. Ebenso bemängelt Hampf das

Zusammenhalten des Schultheiß mit dem Bürgermeister sowie den anderen Magistraten, da

diese sämtlich miteinander verwandt seien. Selbst nachdem der Auswanderungswillige seinen

Besitz verkauft und die fälligen Steuerabgaben gezahlt hatte, wurde ihm bei der Erteilung der

Auswanderungserlaubnis noch die Kleidung besteuert, die er am Leib trug. Als Fazit gab

Hampf schließlich an: „Der Schultheiß hat es eben auf mein Verderben abgesehen.“99

Ähnliche Beschwerden wurden vom Zimmermann Johann Jakob Strähle, ebenfalls aus

Egolsheim, vorgebracht und als Grund für die Auswanderung angegeben. „Ich wandere aus,

weil ich keinen Verdienst habe und weil man unter dem Druk ist. Wir mögen klagen, wo wir

wollen, so finden wir kein Recht. Die Abgaben sind eben zu groß.“ 100 Allein in dieser Passage

stecken drei Motive, die zur Auswanderungsentscheidung führten. Zum einen waren dies

berufliche Schwierigkeiten mit einem Mangel an Einkommen. Ebenso konnten Bürger ihr

Recht zwar bei den zuständigen Stellen vorbringen, es jedoch nicht durchsetzen. Und

schließlich wurden zu hohe Abgaben an den Staat beklagt.

97Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 130.98Ebd.99Ebd., S. 131.100Ebd.

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Neben diesen allgemeinen Gründen für die Auswanderung wurden auch konkrete Beispiele

der Korruption unter den Magistraten vorgebracht. So sollte etwa ein Auftrag für einen

Erddamm seitens der Herrschaft vergeben werden, dieser wurde jedoch nicht öffentlich

ausgerufen. Daher waren laut Strähle nur der Schultheiß und der Chausseeknecht bei der

Auftragsvergabe anwesend und konnten somit den Auftrag als Unternehmer annehmen. Die

Korruption ging wohl soweit, dass der Schultheiß anderen Handwerkern drohte, wenn diese

einen Auftrag günstiger als er annehmen wollten. 101 Einen Ausweg aus dieser Situation sah

Strähle nur, indem er sich an die übergeordnete Behörde wandte: „Ich habe zum Herrn v.

Wöllwarth in der OberRegierung gesagt: Ich will lieber in die Regierung zu einem gnädigen

Herrn als zu einem Schultheißen gehen.“102

Die Beschwerden über die Situation im Heimatort fielen nicht immer so konkret und

ausführlich aus, wie bei Hampf und Strähle. So gab der 29-jährige Maurer Christoph Schirm

lediglich an, dass die Steuerabgaben seine Einkünfte überstiegen: „(…) ich besitze ein

SteuerVermögen von 16 Kreuzern ordinärer Steuer und mußte davon 4 Gulden KriegsKosten

bezalen, ohne den großen Amts- und Flekenschaden. Das Ganze macht an Steuer 10 Gulden

von einem kleinen Häuslen und einem Morgen schlecht Felds.“ 103 Somit wanderten einige

Leute schlicht aus, da sie die Abgaben im Laufe der Zeit in eine Schuldenfalle führten. Der

geringe Besitz wurde dann meist für die Auswanderung selbst aufgewendet.

Nach dem Abschluss der Befragung in Heilbronn gab GensdarmerieLieutnant Knauer 104 eine

Zusammenfassung der Gründe für die Auswanderung der Bürger an, die er beim Ansprechen

der Leute erfahren hatte. „Es könne Einer für Alle und alle für Einen diese Ursachen

angeben. MißJahre, große Theurung, Bedrükung der Magistrate und der Beamten, allzu

große und unerschwingliche Abgaben, insbesondere CommunAuflagen, Gewaltthätigkeiten

der Forstleute, Frohnen pp. klage jeder gleich. Doch seyen auch mehrere dabei, welche

vorgeben, sie seyen bereits von ihren in Amerika befindlichen Verwandten aufgefordert

worden, dahin zu kommen.“ 105 Häufig wurden also die Ursachen der Auswanderung in der

eigenen Kommune gesehen, wo es schlechte wirtschaftliche und verwalterische Bedingungen

gab. Jedoch spielten auch die Briefe der bereits vorgezogenen und verwandten Auswanderer

eine Rolle, die zumindest die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Amerika weckten.

101 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 132.102 Ebd.103 Ebd., S. 133.104 Ebd., S. 139.105 Ebd., S. 139 – 140.

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Nach seinem Aufenthalt in Heilbronn verfasste Friedrich List zunächst einen

Zwischenbericht, der jedoch hier nicht im Detail analysiert werden soll. Stattdessen kann sich

eine Betrachtung der nächsten Station der Befragung in Weinsberg lohnen, um die dort

vorherrschenden Gründe für die Auswanderung zu erfahren. Dabei soll darauf geachtet

werden, ob sich die angegebenen Motive der Auswanderungswilligen sehr von denen in

Heilbronn unterschieden, oder ob es ähnliche Beschwerden zur Wirtschaftslage und gegen die

Obrigkeit gab. In Weinsberg wurden die Personen ins Rathaus vorgeladen, die entweder

bereits eine Erlaubnis zur Auswanderung erhalten hatten oder zumindest schon den Entschluss

gefasst hatten.

Der erste Befragte in Weinsberg, der 36-jährige Christoph Schaar, besaß wohl zuvor ein

Landgut und konnte durch den Verkauf 4000 Gulden mit auf die Reise nehmen. Als ersten

Grund gab dieser ebenfalls zu viele Abgaben an, die zudem wenig transparent und

unregelmäßig abgerechnet würden. Hinzu kämen noch Kriegskosten und das Unterhalten von

Soldaten. Auf Nachfrage, was ihn letztlich zu dem Entschluss der Auswanderung gebracht

hatte, brachte Schaar eine Auseinandersetzung mit dem Oberamt vor. Er habe eine Magd aus

Ellhofen beschäftigt, wogegen ihr Schwager jedoch etwas hatte, da sie ein Verhältnis mit

einem ärmeren Burschen eingegangen war. „Deßwegen hat derselbe das Mädchen aus dem

Ort haben wollen, und ist zum OberAmt gegangen, wo er, wie ich bestimmt gehört habe,

gesagt hat: ich brauche so wenig eine Magd als der Bettler eine Goldwaage.“ 106 Der Konflikt

eskalierte schließlich bei einer Anhörung durch den Oberamtmann, wobei Schaar sowohl eine

Geldstrafe erhielt als auch in das Gefängnis für Verbrecher abgeführt wurde, obwohl

eigentlich nur der Thurm für leichtere Vergehen vorgesehen war. 107 Schaar fühlte sich durch

den Oberamtmann ungerechtfertigt behandelt und entschloss sich daher wegzuziehen. „Ich

habe anfänglich die Absicht gehabt, mich nur anderswo im Amt zu sezen, und daraufhin

schon im vorigen Spätjahr sogleich meine Güter verkauft. Aber wie die guten Nachrichten

von Amerika gekommen sind, habe ich mich auch entschlossen, mitzuziehen.“ 108 Hieraus lässt

sich gut ablesen, dass es nicht unbedingt zu einer Auswanderung kommen musste, wenn

Probleme mit der Obrigkeit im eigenen Amtsbezirk vorlagen. Allerdings beeinflussten die

Briefe aus Amerika stark und konnten somit auch zu einem Auswanderungsentschluss führen.

106 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 144.107 Ebd., S. 145.108 Ebd.

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In seinem Fazit zählte Schaar jedoch noch einmal eine Reihe von Gründen auf: „Ich hätte es

freilich auch ausgehalten wie die andern, so lange es möglich gewesen wäre, wenn die

Nachrichten von Amerika nicht gekommen wären, und wir nicht mit gar zu grosen Abgaben

beschwert gewesen wären, was uns um so mehr gedrükt hat, weil mehrere MißJahre

aufeinander gefolgt sind.“ 109 In der Aussage von Christoph Schaar lässt sich gut erkennen,

dass es meist mehrere Gründe waren, die dann schließlich zu einem

Auswanderungsentschluss führten.

Bei einigen Aussagen der Auswanderungsbefragung fällt auf, dass eine allgemeine Angst vor

der Verarmung unter den Menschen vorherrschte, die zum einen durch die schlechte

Wirtschaftslage und die damit einhergehende Verteuerung der Lebensmittel und zum anderen

durch die hohe Abgabenlast verursacht wurde. Daher schien die Auswanderung für einige

Menschen ein Ausweg, um die verbliebenen Ersparnisse noch zu retten. So berichtete

beispielsweise der Bauer und Weingärtner Johann Georg Nothdurft, der noch 500 Gulden mit

auf die Reise nehmen konnte: „Ich habe, um meine Sache zu verbessern, eine Wiese verkauft

und wollte eine andere für den Erlös kaufen. Die Obrigkeit aber hat mir wegen meinem

SteuerRest auf den Erlös Arrest gelegt.“ 110 Nothdurft sah sich durch die ausstehenden Steuern

seiner Wirtschaftsgrundlage entzogen, da er keine andere Wiese kaufen und somit auch kein

Vieh mehr halten und kein Feld bebauen konnte. Hinzu kam die Angst vor weiteren Abgaben,

wie beispielsweise Kriegskosten, die noch nicht verrechnet worden waren. Zudem gab es bei

dem Bauern einen Wildschaden, wodurch er sein Getreide zu einem Preis von 5 Gulden pro

Scheffel verkaufen musste, während der Preis mittlerweile auf 18 bis 20 Gulden gestiegen

war. Eine wichtige Motivation einiger Auswanderer war auch, nicht mittellos der eigenen

Stadt zur Last zu fallen. „Wenn ich bei meinen durch die schwere Zeit zerrütteten

VermögensUmständen noch zuwartte, bis die KriegsKosten und Schulden vollends umgelegt

werden, was seit 2 Jahren rückständig ist, so bin ich ein Bettler, weil Alles und Alles auf die

Güter gelegt wird.“ 111 Eine langsam arbeitende Verwaltung konnte somit zur Belastung für

Menschen werden, die sich ohnehin in einer prekären wirtschaftlichen Situation befanden.

Wie im Falle von Nothdurft konnten Steuern gerade dann berechnet werden, wenn ein

landwirtschaftliches Gut oder eine Wiese verkauft wurde. Von dem Rest des Verkaufserlöses

konnte dann nur noch eine begrenzte Zeit das tägliche Leben finanziert werden.

109 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 145.110 Ebd., S. 146.111 Ebd.

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Eine ähnliche Motivation zur Auswanderung hatte der Witwer Johannes Conrad, der zudem

sieben Kinder versorgen musste. „(...) jetzt habe ich 600 Gulden, wovon 400 Gulden für

meine Kinder stehen bleiben; die übrigen 200 Gulden aber nehme ich mit. Ich sehe voraus,

daß ich in wenigen Jahren der Stadt zur Last falle und da habe ich gedacht, ich will lieber in

Amerika mein Brod verdienen, als mich futtern laßen.“ 112 Viele Auswanderungswillige

erfuhren durch Briefe, dass man in Amerika leicht eine Arbeit finden könne und dass man sein

Auskommen somit leicht verdienen könne. Auch diese Information trug zur

Auswanderungsmotivation bei. Vor allem wenn Auswanderungswillige noch gut arbeiten

konnten, es jedoch in der Heimat keine Arbeit gab, kamen selten Hemmnisse auf, die von

einer Auswanderung abhalten konnten. Im Fall von Conrad überließ dieser seinen Kindern

einen gewissen Geldbetrag, mit dem sie dann für sich selbst sorgen mussten. Mit dem kleinen

Rest seines Vermögens versuchte er sein Glück in Amerika.

Unter den Befragten von Friedrich List gab es jedoch auch Personen, die sich noch einmal

gegen eine Auswanderung entschieden. So etwa Mattäus Glaser, der mit einem Vermögen von

10 – 12.000 Gulden bessergestellt war, als viele der Auswanderungswilligen. „(...) hat sich

entschloßen, da zu bleiben, erklärt aber, er wolle alle seine Güter verkaufen, weil alle

Abgaben auf dem Bauren liegen, und wolle vom Zinnß leben, was profitabler sey, weil der

Kapitalist keine Steuer und keinen Stadt- und AmtsSchaden zalen, und keine Soldaten halten

dürffe.“113 Es gab also nicht nur Gründe auszuwandern, vorausgesetzt man hatte das nötige

Kleingeld um auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten ohne Sorge leben zu können. Ohne

Güter musste Glaser auch nicht befürchten, Steuern und Abgaben zahlen zu müssen und ohne

eigenes Haus musste er keine Soldaten aufnehmen. Eventuell mietete er sich eine Wohnung,

was jedoch nicht genau aus seiner Aussage hervorgeht. In jedem Fall konnte er als angehender

Kapitalist sein Geld für sich arbeiten lassen und von den Zinsen leben.

Der letzte Teil der Auswandererbefragung des Rechnungsrats List fand am 5. und 6. Mai 1817

in Neckarsulm statt. Auch hier sollen noch einige Aussagen näher betrachtet werden, um eine

abschließende Beurteilung der analysierten Ego-Zeugnisse anfertigen zu können. Unter den

angetroffenen Auswanderungswilligen in Neckarsulm befanden sich nicht nur Personen, die

nach Amerika ausreisen wollten. Zum Teil wanderten auch Leute in Richtung Osten aus, in

ein Gebiet namens Banat, das damals zu Ungarn gehörte. Zusammengefasst wurden diese

Auswanderer unter dem Begriff Banater Schwaben.

112 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 147.113 Ebd.

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Der 37-jährige Joseph Anton Kumpf besaß keinerlei Vermögen und hatte daher auch kaum

Chancen, sich nach Amerika einzuschiffen. Auch hatte er drei Kinder, die er kaum unterhalten

konnte. „Ich verdiene gegenwärtig 30 Kreuzer, was kaum zu meiner Unterhaltung zureicht.

Meine Kinder erhalten jedes eine halbe Portion Suppe. Auf diese Weise erhalten wir uns ganz

kümmerlich, und ich hoffe, durch den Wegzug in's Bannat dieser Noth zu entgehen.“ 114 Selbst

mittellose Menschen versuchten sich durch eine Auswanderung ein besseres Leben

aufzubauen. Anders als Auswanderer, die vorher sämtliche Güter verkaufen mussten, hatte

beispielsweise Kumpf nichts mehr zu verlieren und konnte nur versuchen, einen besseren Ort

zu finden. Zumindest musste sich auch dieser Auswanderer erst einmal auf eine beschwerliche

Reise begeben, doch immerhin war der Weg nach Osten nicht so kostspielig wie die Überfahrt

nach Amerika. In ähnlicher Weise äußerte sich auch der 47-jährige Dionys Anton Hörstein,

der ebenfalls kein Vermögen besaß. Die Stadt konnte den Weggang mittelloser Menschen

jedoch gut verschmerzen, da sie dann immerhin nicht mehr zur Last fielen. So bemerkten die

beisitzenden Urkundspersonen: „Diese Personen seyen dürftige Leute, (…), seye es zu

wünschen, daß sie die Stadt verlassen, da ihr Ruf nicht der beste sey.“115

In Neckarsulm kamen jedoch auch Bürger zu Wort, die noch einiges Vermögen mitnahmen.

So zum Beispiel der 51-jährige Bäcker Ferdinand Dieter, der zudem sieben Kinder hatte. Bei

der Auswanderung dachte er vor allem an seine Kinder, denen er eine bessere Zukunft

ermöglichen wollte. „Ich denke, nun fortzuziehen, um meinen Kindern eine Versorgung

verschaffen zu können, denn hier geht mein Vermögen vollends ein.“ 116 Als Grund für den

Vermögensschwund gab Dieter vor allem die öffentliche Haushaltsführung an, die sich stark

belastend auf die Bürger auswirke. „Vor 6 Wochen hat man erst von Georgy 1814/15 und

1815/16 abgerechnet, und jezt eben wird von Georgy 1816/17 abgerechnet, wo alles baar

bezalt werden soll. Es wird allerhand unnötiges Bauwesen in unserer Gemeinde

vorgenommen, und der Bürger muß dazu noch fröhnen. In dieser theuren Zeit ist diß nicht

auszuhalten.“117 Das Haushaltsdefizit der Stadt wurde somit nachträglich für drei Jahre

berechnet und auf die Bürger umgelegt. Besonders in einer Zeit mit sehr teuren Lebensmitteln

konnte dies zu einer stark vermögensbelastenden Situation bei den Bürgern führen. Nach dem

Ende der Befragungen fertigte List einen Abschlussbericht an. Dieser soll hier ebenfalls zur

Auswertung der wesentlichen Auswanderungsgründe herangezogen werden.

114 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 159.115 Ebd.116 Ebd., S. 160.117 Ebd.

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Der Abschlussbericht von Friedrich List mit einem Umfang von 26 Manuskriptblättern

richtete sich an das zuständige württembergische Innenministerium und fasste die

wesentlichen Auswanderungsgründe zusammen, die bei der Befragung genannt wurden.

Interessant an der Aufstellung des Rechnungsrats ist eine systematische Gliederung der

Gründe in mehrere Einzel- und Unterpunkte. Diese betrafen „1. Unerschwingliche Auflagen

und Steuern, a. Kosten, die aus den vergangenen Kriegsereignissen herrühren, b. drückende

Verbrauchssteuern (Akzise) und Wegegelder, c. hohe Amts- und Gemeindesteuern infolge

schlechter Haushaltsführung und Korruption; 2. persönliche Bedrückungen durch

Ortsvorsteher und Beamte; 3. Mißstände im Schreibereiwesen (überhöhte Schreibgebühren);

4. Langsamkeit der Justiz, besonders beim Gantverfahren (Konkurs, gerichtliche

Zwangsversteigerung); 5. Bedrückungen durch Förster, Wildschäden; 6. Bedrückungen durch

Gutsherrschaften.“118 Im Wesentlichen fasst diese Aufstellung die Gründe zusammen, die

auch den Einzelaussagen entnommen werden können. Darunter fallen vor allem Mißstände,

welche die staatliche Verwaltung betreffen, als auch Probleme mit anderen Obrigkeiten, wie

beispielsweise dem Förster oder der Gutsherrschaft. Viele der angesprochenen Punkte wirkten

sich auf die Finanzen der Bürger aus, wodurch sich viele der Befragten vor einer unsicheren

und ärmeren Zukunft fürchteten. Ein Faktor, der dazu beitrug, war die hohe Arbeitslosigkeit,

wodurch sich viele der Auswanderungswilligen in der Heimat den nötigen Unterhalt nicht

mehr verdienen konnten. Dies sah auch List in seinem Abschlussbericht, in dem er zusätzlich

zu den Hauptgründen der Auswanderung die Faktoren „Mißwuchs, Teuerung, Mangel an

Arbeit, Religionsschwärmerei, betrügerische Auswanderungswerbung durch

‚Seelenverkäufer‘, Zureden von Ortsvorstehern, die mißliebige Personen loswerden wollen

oder auf billigen Güterkauf spekulieren.“ 119 zählte. Zu jedem Punkt fügte List Vorschläge an,

wie die Staatsverwaltung effizienter und weniger belastend für die Bürger gestaltet werden

könnte, beispielsweise durch eine allgemeine Vermögensertragssteuer.

Bis hierher ergab die Quellenarbeit vor allem Auswanderungsmotive, die zum einen im

Zielgebiet der Auswanderung lagen, was aus den zahlreichen Briefen hervorging. Zum

anderen trugen jedoch auch Probleme in der eigenen Heimat dazu bei, dass viele Menschen

eine Auswanderung als unvermeidlich ansahen. Auf persönliche Auswanderungsgründe, die

beispielsweise in der Familie liegen konnten, wurde meist nicht eingegangen.

118 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 174.119 Ebd.

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In einem letzten Kapitel der Quellenarbeit soll nun noch ein Bericht des Trierer Aus- und

Rückwanderers Ludwig Gall betrachtet werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei der

nur zeitweise Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und die Gründe, die für eine Rückkehr

sprachen.

2.3 Bericht des Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall

Der Bericht des Trierer Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall 120 unterscheidet sich als

Quellentypus in verschiedener Hinsicht von den bereits behandelten Auswandererbriefen und

der Auswandererbefragung Friedrich Lists. Zunächst lässt sich durch die Veröffentlichung im

Jahr 1822 sagen, dass das Werk vor allem an Zeitgenossen und an nachfolgende Auswanderer

gerichtet war. Anders als bei den Überresten der Briefe und der im Archiv erhaltenen

Auswandererbefragung kann hier von einer Traditionsquelle gesprochen werden, deren Inhalt

überliefert werden sollte. Ebenfalls unterscheidet sich das veröffentlichte Tagebuch von den

Briefen und der Befragung insofern, als dass es nicht nur eine Perspektive abdeckt, also

entweder die der abreisenden Auswanderer mit ihren Problemen in der Heimat oder die der

bereits Ausgewanderten, welche die Vorzüge des neuen Landes genossen. Ludwig Gall

möchte sowohl von seinen ursprünglichen Beweggründen berichten, die ihn zur

Auswanderung getrieben haben, als auch von den Verhältnissen in Amerika und zum Schluss

ebenso wieder von den Gründen, die ihn zu einer Rückkehr veranlassten. Es lässt sich darüber

streiten, ob Gall tatsächlich als Auswanderer anzusehen ist, da seine Reise nur etwa

anderthalb Jahre dauerte. Immerhin bezeichnete er selbst dieses Unterfangen als

Auswanderung. Mit der Analyse seiner Auswanderungsmotive lässt sich herausfinden, ob

Gall von Anfang an nur auf Zeit auswandern wollte, oder ob er zunächst an ein dauerhaftes

Verbleiben in Nordamerika dachte. Neben dieser Fragestellung können hier weiterhin

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den bereits behandelten Auswanderern festgehalten

werden.

Bereits in der Einleitung wird bei Gall deutlich, mit welcher Intention er sein Werk verfasste

und veröffentlichte. Wichtig war ihm vor allem die Aufklärung der verblendeten Massen von

Auswanderungswilligen, die ein falsches Bild von dem so herrlich angepriesenen neuen Land

120 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, im Frühjahr 1819 und meine Rückkehr nach der Heimath im Winter 1820. Erster Theil, meine Beweggründe und mein Wirken zur Erleichterung der Auswanderung nach den Vereinigten Staaten und mein Reisetagebuch enthaltend, Trier 1822.

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hätten und vielfach von einem Paradies träumten, jedoch etwas anderes vorfänden. „Eine

heilige Pflicht scheint es mir daher, daß Jeder, was er vermag, beitrage zur Berichtigung der

falschen und zur Verbreitung richtiger Ansichten von den Vereinigten Staaten und andern

fernen Ländern, welche wir um ihre Fruchtbarkeit, ihre Produkte, ihren Himmel und ihre

politischen Einrichtungen beneiden, so lange wir nur die schönere Seite von allen diesen

Dingen kennen, mit welchen wir aber nicht tauschen wollen, sobald uns auch ihre

Schattenseite glaubwürdig bekannt wäre.“121 Mit dieser Intention deutete Gall bereits an, dass

er selbst enttäuscht war von den Verhältnissen in Nordamerika, die er sich zunächst schöner

vorgestellt hatte. Damit wird auch klar, dass er keinesfalls Werbung für die Sache der

Auswanderung machen wollte, sondern im Gegenteil eher vor einer solchen Unternehmung

warnen wollte. Laut Gall traten viele der Auswanderer bereits nach kurzer Zeit wieder die

Rückkehr an, wozu er schließlich auch gehörte. Daher lohnte es sich seiner Ansicht nach

nicht, die Mühen und Risiken auf sich zu nehmen. Mit dieser Intention, die gleich vorweg in

der Einleitung geschildert wurde, könnte jedoch auch eine gewisse Tendenz in der restlichen

Schilderung entstanden sein. Bei der Beschreibung seiner Beweggründe für die

Auswanderung könnten die Hoffnungen und Erwartungen an die neue Situation zu farbenfroh

geschildert sein, wohingegen die von ihm sogenannten Schattenseiten in den Vereinigten

Staaten zu drastisch dargestellt sein mögen. Bei der Analyse ist daher auch eine Beurteilung

des Schreibstils wichtig, die entweder die beschriebene Tendenz unterstreicht, oder die

Aussagen Galls etwas neutraler erscheinen lässt. Auf diesen Punkt soll später noch einmal

eingegangen werden.

Zu Beginn des Kapitels über seine „(…) Beweggründe zur Theilnahme an der Angelegenheit

des Auswanderns. - Versuche, in Trier einen Verein für meine Zwecke zu Stande zu bringen.

Verbindung mit einer Colonisations-Gesellschaft in der Schweiz.“ 122 versucht Gall die

allgemeinen Ursachen der massenhaften Auswanderungsbewegung zu erfassen und seine

eigene Motivation anschließend damit zu erklären. Die Gründe für die

Auswanderungseuphorie sah Gall vor allem in einer wachsenden Unzufriedenheit, oftmals mit

der eigenen wirtschaftlichen Situation. Als Auslöser dafür sah er das sogenannte

Kontinentalsystem, welches von Napoleon eingeführt wurde und für einen rascheren

Güterumschwung, jedoch nicht für einen steigenden nationalen Wohlstand sorgte. Nach dem

Krieg gegen Napoleon und der neuen Friedensordnung nach dem Wiener Kongress kehrten

121 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 3.122 Ebd., S. 10.

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viele Soldaten in ihre deutsche Heimat zurück, fanden jedoch keine Arbeit. „Die Folge

davon, die noch jetzt durch alle Zweige des Erwerbs fühlbar ist, war jener Mißmuth, jene

Unzufriedenheit fast aller Klassen, welche schon gleich nach Wiederherstellung des Friedens

hier und dort den Hang zur Auswanderung so mächtig erneuerten, und wovon eine andere

Wirkung war, daß sie zu ungewohnten Ersparungen und Einschränkungen aller Art führten,

welche, den Gewerbfleiß lähmend, sehr dazu beitrugen, die Noth der niedern Klassen in dem

Prüfungsjahre 1817 noch zu vergrößern, und die Meinung zu verbreiten, daß wir vorzüglich

in vielen Gegenden Deutschlands und der Schweiz, übervölkert seyen.“123 Die

Unzufriedenheit zog sich somit laut Gall durch sämtliche Bevölkerungsschichten, allerdings

bekamen nur die ärmsten Klassen die Not durch Arbeitslosigkeit richtig zu spüren. Besonders

im Jahr des Erntemangels und der Wirtschaftskrise mit zahlreichen Preissteigerungen 1817

führte die Situation zu vielen Auswanderungsentschlüssen. Allerdings wurden die

Auswanderungswilligen meist wenig vom eigenen Staat unterstützt und bekamen eher noch

Hindernisse in den Weg gelegt. So musste alles in der Heimat zurückgelassen werden, um

überhaupt ausreisen zu können. Die massenhafte Auswanderungswelle führte häufig zu

drastischen Situationen, besonders in den Hafenstädten in Holland, wo sich viele

Auswanderer lange Zeit mit Betteln behelfen mussten, ehe sie sich überhaupt einschiffen

konnten. Diese Situationen, ebenso wie die Gefahren bei der Überfahrt durch Krankheit und

Platzmangel, wurden von Gall besonders detailliert geschildert. Schließlich wollte er seiner

Intention nach von einer Auswanderung abraten, um möglichen Enttäuschungen vorzubeugen.

Als Gall jedoch im Jahr 1819 die Überfahrt nach Amerika selbst antrat, war seine Motivation

eine ganz andere. „Keine andere Angelegenheit der menschlichen Gesellschaft öffnete, in

meinen Augen, dem Menschenfreunde ein so weites Feld zu wohlthätiger Wirksamkeit, als

diese; und dieser Überzeugung folgte der Entschluß, den H. E.... ein Freund meiner Jugend,

mit mir theilte, von da an alles, was wir vermochten, zur Erleichterung der hart Bedrängten

zu unternehmen, welche, daheim unzufrieden oder erwerblos, in der Auswanderung ihr Heil

zu finden glaubten.“ 124 Gall wollte sich somit zunächst engagieren, um den zahlreichen

Auswanderern bei ihrem Unterfangen zu helfen. Zu seiner Überzeugung, von der

Auswanderung besser abzuraten, gelangte er wohl erst nach seiner eigenen Reise. Zunächst

wusste der angehende Wohltäter nur noch nicht genau, wie er gemeinsam mit seinem Freund

den Auswanderern helfen konnte.

123 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 12.124 Ebd., S. 19.

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Gall gelangte recht bald zu der Erkenntnis, dass man die Auswanderung nicht komplett

stoppen konnte, jedoch auch nicht dafür werben sollte. Seinen liberalen Überzeugungen nach

sollte der Gegenstand nur seiner Natur und dem freien Willen der Menschen überlassen

werden. Indirekt forderte er auch die Fürsten auf, etwas mehr Wohltätigkeit für die

Auswanderungswilligen zu üben. Als direkte und eigene Aufgabe sah es Gall jedoch an,

Gesellschaften zu stiften, „(...) zu dem Zwecke nothdürftiger Unterstützung und des Verkehrs,

mit denen in Amerika, (…).“ 125 Das Ziel dieser noch zu gründenden Gesellschaften war

ebenfalls rasch formuliert: „(...), nämlich: hier bei der Einschiffung und jenseits bei dem

Landankauf die Ausgewanderten gegen gewissenlose Habsucht in Schutz zu nehmen, - dann

aber, ferner – durch zuverlässige Mittheilungen hiesige Menschenfreunde in den Stand zu

setzen, entweder von der Auswanderung abzurathen oder sie zu erleichtern, je nachdem das

Eine, oder das Andere dem wohlverstandenen Besten der zur Auswanderung Geneigten

angemessen scheinen würde.“126

Über die Finanzierung seiner Auswanderungsgesellschaft schrieb Gall zunächst nichts

Genaues, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die Stifter etwas dazu

beitrugen, als auch die zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossenen Auswanderer,

wodurch eine gemeinschaftliche Kasse entstand. Die ersten Maßnahmen der

Auswanderungsgesellschaft wurden im Laufe des Jahres 1818 durchgeführt, indem der

Freund Ludwig Galls, Herr E., zunächst im Winter die verschiedenen Häfen bereiste, um vor

allem Verhandlungen mit den Schiffskapitänen über Preise und Reisebedingungen zu führen.

Gall selbst sorgte in der Heimat für die Veröffentlichung der ihm zugetragenen Nachrichten

aus den Hafenstädten. Zudem sollten die Auswanderungswilligen direkt vor Ort in den Häfen

zu einer Gemeinschaft vereint werden, um so über die Gesellschaft Gruppenverträge

abschließen zu können. Herr E. sollte nach diesen Verhandlungen selbst die Reise nach

Amerika antreten, um wiederum über die Reisebedingungen und die Behandlung der

Ausgewanderten berichten zu können. Ein Ziel der Auswanderungsgesellschaft war es

ebenfalls, „die Regierungen unmittelbar oder durch den edlen Beschützer der

Auswandernden, den Herrn Minister v. Gagern, auf diejenigen Mißbräuche aufmerksam zu

machen, welchen, etwa nur durch Gesetze gesteuert werden könnte.“ 127 Gall sah sich somit

zunächst als Bindeglied der Auswanderungsgesellschaft zur heimischen Politik.

125 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 24.126 Ebd., S. 24 – 25.127 Ebd., S. 26.

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Nach der Auswanderung des Herrn E., der zunächst die östlichen Staaten Amerikas erkunden

und sich anschließend in Cincinnati niederlassen sollte, wollte Gall im darauffolgenden Jahr

selbst mit seiner Familie nachfolgen. Die eigentliche Motivation seiner Auswanderung kann

nach seiner Schilderung in den Zielen der von ihm und seinem Freund gegründeten

Auswanderungsgesellschaft gesehen werden. Der voraus gereiste Herr E. sollte danach „(...)

die noch glimmenden Funken deutscher Volksthümlichkeit aufsuchen und besonders die ihn

begleitenden Auswanderer wenigstens der Sprache, den Sitten, den Tugenden und dem

Andenken der Väter zu erhalten suchen.“128 Somit war klar, dass die

Auswanderungsgesellschaft von Gall und Herrn E. nicht nur gemeinnützig wirken und bei der

Auswanderung behilflich sein, sondern auch die Aufgabe haben sollte, ein Stück der

deutschen Kultur zu erhalten. Hierzu sollten die Auswanderer soweit möglich an einem Ort

versammelt und von der angloamerikanischen Bevölkerung getrennt werden. Somit betrieb

die Auswanderungsgesellschaft also Abgrenzung mit dem Ziel des Erhalts einer deutschen

Identität.

An dieser Stelle kann erneut auf die Frage der Auswanderung des Ludwig Gall eingegangen

werden. Sein Ziel kann zu Beginn seiner Tätigkeit als Auswanderung verstanden werden, da

er von einer dauerhaften Niederlassung des Herrn E. schrieb, dem er ein Jahr später mitsamt

seiner Familie nachfolgen wollte. Aus welchen Gründen Gall etwa anderthalb Jahre später die

Rückkehr unternahm, kann hier nicht mehr genauer aufgeschlüsselt werden. Zumindest der

Intention seiner Schrift nach kann davon ausgegangen werden, dass er selbst enttäuscht von

der Situation in Amerika war, die seinen Erwartungen nicht gerecht wurde. Am ehesten lässt

sich der Bericht des Ludwig Gall hier mit der Auswandererbefragung des Friedrich List

vergleichen. Wenn auch weit ausführlicher, wird hier die eigene Motivation des Auswanderers

selbst erklärt. Anders als bei vielen Württembergern im Jahr 1817 jedoch war es nicht die

wirtschaftliche Not, die Gall zu einer Auswanderung trieb. Stattdessen wollte er über die

Gründung einer Auswanderungsgesellschaft viele Auswanderungswillige in den Häfen

Hollands vereinen, um ihnen Überfahrt und Ankunft in Amerika zu erleichtern. Nach der

Überfahrt sollten die Auswanderer durch die Vorbereitungen des Herrn E. gemeinsam siedeln

und wenn möglich ihre deutschen Traditionen bewahren. Auch wenn Gall einige Kritik an

dem Unterfangen der Auswanderung an sich übte und in seinem Werk davon abraten wollte,

lobte er die in Amerika herrschende Freiheit129, die für seine Zwecke nützlich war.

128 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 26.129 Ebd.

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3. Auswanderungstheorien

In den ersten zwei Hauptkapiteln dieser Arbeit wurde untersucht und gezeigt, dass es

bestimmte historisch belegbare Auswanderungswellen in unterschiedlichem Ausmaß und

Intensität gab und dass hierfür nachvollziehbare Gründe gefunden werden können. Diese sind

einerseits in der Struktur eines Landes verankert und können somit als Umstände deklariert

werden, welche die Auswanderung aus diesem Land zu einem bestimmten Zeitpunkt

beeinflussten, anschoben oder ausbremsten. Weitere Gründe oder Motive liegen auf der

persönlichen Ebene, die somit nur durch die Betroffenen selbst offenbart werden können.

Diese wurden anhand des Quellenmaterials herausgefiltert und exemplarisch auf der

Grundlage einiger Aussagen von Auswanderern analysiert. In diesem dritten Teil sollen nun

wissenschaftliche Theorien herangezogen und verglichen werden, die sich im Feld der

Migrationsforschung bewegen und somit bestimmte Wanderungsformen erklären können. Im

Zusammenwirken mit den ersten beiden Kapiteln kann herausgefunden werden, welche

theoretische Erklärung am ehesten auf die Auswanderung in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts angewendet werden kann.

Migrationsforschung betrifft nicht nur ein Fachgebiet alleine, sondern ist an sich

interdisziplinär aufgestellt und wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Vor allem die

Sozial- und Verhaltenswissenschaften, wie Soziologie und Psychologie, werden mit der

Thematik der Auswanderung in Verbindung gebracht, da sie den „Entscheidungs-,

Wanderungs- und Anpassungsprozess“ 130 als eine bestimmte Form des menschlichen

Verhaltens betrachten, die sich zunächst nicht wesentlich von anderen Formen unterscheidet.

Bei der Frage nach den Auswanderungsgründen jedoch sind sich die Fachrichtungen eher

uneinig. Diese können sowohl aus historischer, demographischer, politologischer,

wirtschaftswissenschaftlicher als auch aus soziologischer Sicht benannt werden. Lüthke führt

jedoch in seinen Überlegungen an, dass in diesen Fachbereichen eher äußere Umstände als

Auswanderungsgründe dienen und dass diese alleine nur einen unzureichenden

Erklärungswert besitzen.131 Aus diesem Grund soll dieses Kapitel das Erklärungspotential für

historische Auswanderungswellen erweitern und sowohl auf soziologische Theorien und

Modelle als auch auf psychologische Ansätze eingehen. Interessant wird dann der Bezug zu

den historischen Fragestellungen an die analysierten Ego-Zeugnisse.

130 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 17.131 Ebd., S. 21.

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3.1 Soziologische Modelle und Erklärungen

Eine übergreifende und bereits lange bestehende Theorie in der soziologischen

Migrationsforschung, die sich auf sämtliche Formen von Wanderungen bezieht, ist das

sogenannte push-pull Modell. Hierbei sei angemerkt, dass dieses Modell im Wesentlichen auf

äußere Umstände eingeht und daher lediglich als Orientierungsrahmen dienen kann. Die

jeweiligen push oder pull Faktoren können Auswanderungsentscheidungen erleichtern oder

anschieben, jedoch nicht vollständig erklären. Ausgegangen wird von verschiedenen

Faktoren, die entweder im Heimatland der Auswanderer oder im Zielland liegen. Diese

können entweder aus der eigenen Heimat abstoßen (push), oder das Zielgebiet besitzt eine

hohe Anziehungskraft und wirkt hierdurch sehr attraktiv (pull). Allgemein lassen sich push-

Faktoren auch als unbefriedigende oder sogar bedrohliche bis gefährliche Situationen in der

Heimat definieren. Pull-Faktoren vermitteln dagegen ein Bild von Wohlstand und Sicherheit132

in einer bestimmten Region, die dann als Zielgebiet der Wanderung ausgewählt wird.

Als abstoßende push-Faktoren können beispielsweise Kriege, Verfolgung, Armut und Hunger

sowie Umweltkatastrophen auftreten. Hinzukommen können einige zusätzliche Punkte, die

den Auswanderungsdruck noch vermehren und somit die push-Faktoren verschärfen.

Beispielsweise führte die wachsende Bevölkerung im Südwestdeutschland des 19.

Jahrhunderts zu einer prekären Versorgungslage. Wie bereits anhand der Studie von Hippels

für Württemberg gezeigt wurde, gab es eine große Zahl an Kleinstbetrieben, insbesondere in

der Landwirtschaft und im Handwerk, die sich kaum über Wasser halten konnten. Es gab eine

Überzahl an Arbeitskräften aber zu wenig Arbeit, wodurch es in Krisenzeiten zu Armut und

Hunger kam. Die vorangegangenen Kriege mit Napoleon waren für die Situation ebenfalls

nicht hilfreich. Oftmals mussten im eigenen Haushalt noch Soldaten untergebracht und

mitversorgt werden, was die Kosten noch erhöhte. Demgegenüber gab es in Zielgebieten wie

Nordamerika oder Osteuropa pull-Faktoren wie einen höheren Arbeitskräftebedarf, höhere

Löhne und die Möglichkeit, sich bereits ausgewanderten Familienangehörigen anzuschließen.

Häufig mussten Auswanderer erst über die Situation im Zielgebiet berichten, wie dies in den

zahlreichen Auswandererbriefen geschah, damit die Informationen in die frühere Heimat

gelangten.

132 Demokratiezentrum Wien, Arbeitswissen zum Lernmodul: Migration – Migrationsgeschichte und Einwanderungsgeschichte in Österreich und im europäischen Kontext, URL: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/wissen_push_pull_faktoren.pdf , Stand 2008, gesichtet 30.10.2012.

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In der Soziologie wird das Nachziehen von Bekannten oder Familienangehörigen in das

Umfeld bereits vorausgereister Auswanderer auch Kettenmigration genannt. Theoretisch kann

dabei stets eine Gruppe von Auswanderern der vorigen folgen, was auch

generationenübergreifend andauern kann. Der Vorteil bei der Kettenmigration ist dabei häufig

die Senkung persönlicher Kosten, die ohne entsprechende Vorbereitungen höher ausfallen.

Zum einen spielen dabei die Informationen eine wichtige Rolle, die von den bereits

Ausgewanderten in die Heimat gesendet werden, wie beispielsweise Hinweise über mögliche

Arbeitsplätze, über verfügbares Land und sonstige Verhältnisse im Zielgebiet. Zum anderen

können auch materielle Hilfen die Auswanderung von Nachfolgenden erleichtern. Hierzu

kann beispielsweise ein versprochenes Erbe zählen, oder die Überweisung von Geldbeträgen,

die dann für die Überfahrt genutzt werden können. Ebenso können bereits Vorkehrungen im

Zielgebiet getroffen werden, sodass für die Nachfolgenden eine Unterkunft und eventuell

auch eine Arbeitsstelle bereitsteht. 133 Nicht nur für neue Auswanderer hat das System der

Kettenmigration Vorteile, auch die bereits angesiedelten Migranten profitieren davon. Diese

besitzen meist eine persönliche Motivation, soziale Bindungen und ihre Beziehungen in die

Heimat zu erhalten. Im Zielland selbst wird versucht, eine Art Heimatersatz 134 zu schaffen,

indem besonders mit Menschen der gleichen Herkunft Kontakt aufgenommen wird, wodurch

wiederum soziale Netzwerke entstehen. Dies kann bis zur Gründung von bestimmten

ethnischen Gemeinschaften gehen, die sich von der übrigen Gesellschaft isolieren können.

Dies war beispielsweise bei der Gründung sogenannter Germantowns im 18. und 19.

Jahrhundert in Nordamerika der Fall, in denen ganze Gemeinden ihre Kultur und Lebensweise

mit der deutschen Sprache, deutschen Zeitungen und der gleichen religiösen Konfession wie

in der Heimat erhalten wollten.

Sowohl Kettenmigration als auch Push- und Pull-Faktoren können sich gegenseitig ergänzen,

sie können sich jedoch auch widersprechen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass

Auswanderungsentscheidungen nicht immer nur nach rationalen Gesichtspunkten getroffen

werden, wie dies die Gegenüberstellung der Faktoren vermuten ließe. Ebenso können auf den

ersten Blick irrationale Entscheidungen getroffen werden, auch wenn die Bedingungen im

Zielland nicht unbedingt sehr rosig erscheinen. In der Gesamtbetrachtung überwiegen meist

soziale und emotionale Bindungen135 gegenüber dem ökonomischen Vorteil.

133 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 10.134 Ebd., S. 11.135 Ebd., S. 13.

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Die Begriffe der Kettenmigration und der Push- und Pull-Faktoren beschreiben jeweils die

Art, wie eine Auswanderung vonstatten gehen kann oder wie sich die beteiligten Akteure

entscheiden. Allerdings sind dies noch keine vollständigen Theorien, die das Phänomen der

Migration umfassend erklären können. Die ersten Forschungen hierzu entstanden gegen Ende

des 19. Jahrhunderts von Ernest George Ravenstein in dem Bestreben, ähnlich wie bei einer

Naturwissenschaft die Gesetzmäßigkeiten der Auswanderung zu entdecken. 136 Diese leitete er

im Wesentlichen von empirischen und statistischen Untersuchungen seiner Zeit ab. Als

wichtigstes Ergebnis dieser ersten theoretischen Betrachtungen entstand das sogenannte

Gravitationsmodell der Migration, nach dem die Stärke des Migrationsstroms mit der Distanz

zum Zielland abnimmt. Somit entscheiden sich viele Auswanderer eher für eine

Auswanderung in nahegelegene Städte oder maximal in die jeweiligen Nachbarländer. Damit

ging Ravenstein auch von einer Entvölkerung der ländlichen Gebiete und einer Zunahme der

Bevölkerung in den Städten aus. Das Gravitationsmodell von 1889 trifft wohl vor allem auf

die Zeit der Industrialisierung zu, in der sich viele Menschen vom Land in die Städte begaben.

Mittlerweile gilt diese erste Migrationstheorie jedoch als überholt.

Selbstverständlich lassen sich nicht alle Migrationstheorien auf die Situation in der ersten

Hälfte des 19. Jahrhunderts anwenden, da sie entweder veraltet sind oder ihren Schwerpunkt

auf hier weniger relevante Sachverhalte legen. So beschäftigten sich im Laufe des 20.

Jahrhunderts beispielsweise einige Forscher mit der Assimilation im Einreiseland oder dem

Verlust an Bildungselite durch Auswanderung, dem sogenannten Brain Drain. Dieses Kapitel

soll jedoch vor allem auf Theorien eingehen, die sich schwerpunktmäßig mit der

Ursachenforschung der Auswanderung beschäftigen oder diese zumindest berücksichtigen.

Eine Theorie aus den 1950er Jahren stammt von Shmuel N. Eisenstadt und bezeichnet die

Migration als „physische Transplantation (physical transition) von Einzelnen und Gruppen

aus einer angestammten und vertrauten zu einer fremden soziokulturellen Lebenswelt.“ 137

Dabei unterscheidet er drei Phasen, die zum Prozess der Auswanderung gehören. Vor allem

die erste Phase ist wichtig, um die Motive der Auswanderer nachvollziehen zu können.

Zunächst entstehen laut Eisenstadt Gefühle der Unsicherheit und Unzulänglichkeit in Bezug

auf die Lebensbedingungen in der eigenen Heimat. Diese Gefühle verdichten sich nach und

nach, bis es zu konkreten Überlegungen über die Auswanderung an sich kommt. Ähnlich wie

dies in einige Auswandererbriefe eingeflochten wurde, mussten bei diesen Überlegungen stets

136 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 38.137 Ebd., S. 43.

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die vorhandenen Risiken und Unsicherheiten der Auswanderung mitberücksichtigt werden.

Dazu gehörte die Aufgabe der eigenen Bürgerrechte und somit der Verzicht auf eine

eventuelle Armenunterstützung. Hinzu kamen Risiken, die mit der Reise und der Überfahrt

nach Amerika einhergingen, wie beispielsweise lebensbedrohliche Krankheiten. Schließlich

konnte kaum abgeschätzt werden, wie die Aufnahme im Zielland vonstatten ging, ob es etwa

eine geeignete Arbeitsstelle gab und welche Lebensbedingungen vorherrschten. All dies

musste in die Überlegungen einfließen, daher konnte eine Entscheidung für die

Auswanderung nie ad hoc fallen, sondern erst nach einem Prozess der sich verdichtenden

psychischen Disposition. 138 Erst wenn sich der potentielle Auswanderer gedanklich eine

Verbesserung der Lebensbedingungen, sowohl materiell als auch soziokulturell im Zielland

vorstellen kann und sich einigermaßen sicher ist, kann eine endgültige Entscheidung getroffen

werden. In der Realität fand häufig eine Beeinflussung in diesem Entscheidungsprozess statt,

beispielsweise durch die Werbung von Auswanderungsagenten oder durch die rosige

Beschreibung in den zahlreichen Auswandererbriefen.

In der zweiten Phase findet die Migration selbst statt, die wiederum als Prozess aufgefasst

werden kann. Dieser ist in eine Desozialisierung und eine Resozialisierung untergliedert.

Zunächst werden sämtliche gesellschaftliche Verbindlichkeiten, soziale Rollen, Interaktionen

und Partizipationsbezüge aufgegeben, wodurch Orientierungsstörungen und eine

Strukturlosigkeit im Leben auftreten können. Dies äußert sich meist in einer Angst vor der

Zukunft, die von Unsicherheiten geprägt ist. Die Resozialisierung in einer neuen Umgebung

findet als Lernprozess statt, in dem sich die Auswanderer mit den neuen Lebensbedingungen

und den soziokulturellen Begebenheiten vertraut machen müssen. So wie sich die Betroffenen

an die Änderungen in ihrem Leben gewöhnen müssen, findet auch eine Anpassung des

Selbstbildes und der eigenen Werte statt.139

Die dritte Phase besteht nun aus der eigentlichen Assimilation der Migranten in ihre neue

Heimat. Eisenstadt nannte dies auch den Absorptionsprozess, der in drei Teilprozesse

unterteilt ist. Zunächst werden die jeweiligen Rollenerwartungen und die Verhaltensweisen im

Alltag institutionalisiert. Dies meint vor allem das Erlernen von Umgangsformen, der Sprache

und anderer Alltagstechniken. Im nächsten Schritt findet die Anpassung der Immigranten an

die Anforderungen der jeweiligen Aufnahmegesellschaft statt und schließlich dringen die

Einwanderer voll in die Gesellschaft ein und verschmelzen mit dieser.

138 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 44.139 Ebd.

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Die Theorie von Eisenstadt macht die Prozesshaftigkeit der Auswanderung selbst und auch

der vorherigen Motivation dazu deutlich. In den betrachteten Aussagen der Auswanderer lässt

sich der Überlegungsvorgang bis hin zu einer Entscheidung jedoch schlecht nachvollziehen.

Bei den Auswandererbriefen war der Prozess der Migration bereits abgeschlossen und auch

bei der Befragung durch Friedrich List waren die Betroffenen bereits von ihrem Vorhaben

überzeugt. Lediglich im Bericht von Ludwig Gall lässt sich ein Prozess nachvollziehen. Er ist

zunächst vollkommen gegen die Auswanderung und prangert die schlechten

Reisebedingungen an. Später entscheidet er sich jedoch dafür, mit seiner

Auswanderergesellschaft die Not der Betroffenen zu lindern und sogar selbst nach Amerika zu

reisen, auch wenn dies bei ihm nicht von Dauer war. Die Theorie von Eisenstadt ließe sich um

eine vierte Phase erweitern, die bei einer gescheiterten Assimilation eintreten würde. Somit

kann auch das Scheitern und die Rückreise als ein sich bei manchen Auswanderern

vollziehender Prozess angesehen werden.

Eine weitere Theorie zur Erklärung der Migration stammt von Hans-Joachim Hoffmann-

Nowotny. Dieser bettete seine Überlegungen in den 1970er Jahren in die Theorie struktureller

und anomischer Spannungen von Peter Heintz ein. Dabei spielen vor allem die zwei Größen

Macht und Prestige eine wichtige Rolle, die im sozietalen System ungleich zugänglich und

ungleichgewichtig verteilt sind. Vorausgesetzt wird, dass hinsichtlich der zentralen sozialen

Werte ein Konsens in sozietalen Systemen besteht und dass sich Macht und Prestige

tendenziell angleichen. Macht wird dann als Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf Teilhabe

an den zentralen sozialen Werten angesehen. Prestige ist wiederum die Legitimität dieser

Ansprüche.140

Treten in einem sozietalen System, wie Hoffmann-Nowotny es nennt, Macht und Prestige

ungleich auf, entstehen sogenannte strukturelle Spannungen. Diese bestehen aus einem

Machtdefizit auf den unteren Positionen des Systems und einem Machtüberschuss auf den

oberen Positionen.141 Dies wird jeweils an der Verfügbarkeit von Prestige gemessen, somit ist

auf den unteren Positionen mehr Macht legitim, aber nicht vorhanden und auf den oberen

Positionen ist tendenziell zu viel Macht vorhanden. Im Normalfall und ohne strukturelle

Spannungen sollten sich auf jeder Stufe im sozietalen System jeweils Macht und Prestige in

der Balance halten, wodurch die jeweiligen Ansprüche stets auch legitimiert wären.

Strukturelle Spannungen werden in der Folge durch anomische Spannungen ausgeglichen.

140 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 51.141 Ebd.

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Beide Arten von Spannungen, die im System angelegt sind, können sich auf die Individuen

auswirken. Wird ein Individuum von einer strukturellen Spannung betroffen, wird im

Gegenzug die anomische Spannung darauf gerichtet sein, Macht und Prestige wieder

auszugleichen. Dies funktioniert nur, wenn das Individuum entweder seine Position im

sozietalen System ändern kann, oder durch Emigration daraus ausscheidet. Somit richtet sich

die Auswanderung stets auf ein System mit einer geringeren strukturellen Spannung. 142

Anders gesagt wandern Individuen nach der Theorie von Hoffmann-Nowotny dahin aus, wo

es geringere Unterschiede zwischen Ansprüchen und Legitimität gibt bzw. zwischen Macht

und Prestige.

Ähnlich wie bei Eisenstadt liegt für Hoffmann-Nowotny die Ursache der Migration im

Herkunftsgebiet selbst, die hier mit struktureller Spannung umschrieben wird. Der Prozess der

Auswanderung wird als rationale Entscheidung angesehen, die in mehreren kleinen Schritten

vollzogen wird. Hierbei ist besonders der Wechsel von einem spannungsreichen in einen

spannungsärmeren Kontext von Bedeutung. 143 Implizit soll somit die geographische Mobilität

auch eine vertikale Mobilität im Status herbeiführen. Somit erhofften sich also viele

Auswanderer im 19. Jahrhundert eine Verbesserung ihres eigenen Status, etwa durch eine

bessere Möglichkeit Geld zu verdienen und damit die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Nach

Hoffmann-Nowotny müssten Auswanderer in einem neuen sozietalen System eine höhere

Position erreichen, als in ihrem alten System. Damit geht ebenfalls eine höhere Macht einher,

also der Anspruch auf die Teilhabe an den zentralen sozialen Werten. Diese werden in der

Theorie nicht genau definiert und können von System zu System verschieden sein.

Beispielsweise können sich die Werte durch eine bestimmte Bildung ausdrücken, durch

kulturelle Teilhabe, durch politischen Einfluss oder auch nur durch bestimmte Statussymbole

oder Geld. Eine wesentliche Voraussetzung für den Wunsch nach Aufstieg und die

Wahrnehmung von Ungleichheiten ist laut Han jedoch zunächst die Vermittlung bestimmter

Werte. Dazu gehören etwa Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freizügigkeit in der

Bewegung von Personen, Waren, Kapital und Technologie. 144 Erst wenn diese als zentrale

Werte wahrgenommen werden, entsteht auch ein Wunsch nach Teilhabe. Anders gesagt kann

es keine strukturellen Spannungen geben, wenn Individuen nichts von den zentralen sozialen

Werten wissen, an denen sie mehr oder weniger teilhaben.

142 Günter Albrecht, Soziologie der geographischen Mobilität, Stuttgart 1972, S. 148.143 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 52.144 Ebd., S. 54.

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Folgt man den Überlegungen Hans zur Theorie von Hoffmann-Nowotny, steckt darin auch ein

wenig Marxismus. Die Menschen benötigen danach ein Bewusstsein für ihre soziale Lage, um

diese verändern zu wollen. Es wäre sicherlich zu weit gefolgert, dass Emigration eine Art des

Klassenkampfes war. Allerdings war vielen Menschen im 19. Jahrhundert ihre wirtschaftliche

Situation durchaus bewusst und die Auswanderung war ein Ausweg, um zumindest eine

Chance auf sozialen Aufstieg zu bekommen.

Während die Theorie von Hoffmann-Nowotny, Emigration sei ein Mittel zur Übertragung von

Prestige und Macht zwischen den sozietalen Systemen und ein Mittel zum Ausgleich

wahrgenommener struktureller Spannungen beim Individuum, sowohl auf der Makroebene als

auch auf der Mikroebene anwendbar ist, bezieht sich die Theorie von Hartmut Esser

vollkommen auf die Ebene des Individuums. Sein Ansatz ist seit den 1980er Jahren

handlungstheoretisch-individualistisch ausgelegt. Danach sind alle sozialen Prozesse, wozu

auch die Migration gehört, auf das Empfinden und das interessengeleitete Handeln und

Lernen der Menschen zurückzuführen. Die theoretische Position von Esser begründet sich

dabei auf die Soziologen Max Weber, Talcott Parsons und Alfred Schütz. 145 Gleichzeitig

kritisiert Esser auch bereits existierende Theorien, wie beispielsweise die von Hoffmann-

Nowotny. Diese beschreibe Migration als Resultat von strukturellen Spannungen, woraus sich

in der Folge ein Ausgleich dieser Spannungen ableite. Diese Art der Bindestrich-Soziologien,

wie Esser sie nennt, seien nur für einen Bereich konzipiert und müssten fallweise erweitert

werden. Stattdessen solle besser eine allgemeine Theorie entwickelt werden, die beliebige

soziale Vorgänge erklären könne.146

Der Bezug auf die Ausgangssituation der Wanderung ist bei Esser nicht unbedingt leicht, da

seine Theorie vor allem auf die Eingliederung der Migranten in die Aufnahmegesellschaft

gerichtet ist. Bestimmte Annahmen sind jedoch so allgemein gehalten, dass sie ebenfalls zur

Erklärung der Wanderungsmotivation herangezogen werden können. Das Handeln wird dabei

stets von einer bestimmten Handlungstendenz verursacht, die von vier Variablen abhängt.

Zunächst ergibt sich die Motivation aus einem Anreizwert, der die Zielsituation und den Wert

der Handlung berücksichtigt. So kann der Anreiz beispielsweise aus einer idealen

Arbeitsstelle im Zielland bestehen, die schon von einem Verwandten vor Ort organisiert

wurde. Damit steigt der entsprechende Handlungswert der Migration.147

145 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 55.146 Hartmut Esser, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen

Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse, Darmstadt 1980, S. 13.147 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 57.

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Die zweite Variable besteht aus dem kognitiven Aspekt. Dabei muss sich der potentielle

Auswanderer vor Augen führen, wie sicher die erwartete Zielsituation erreicht werden kann.

Dabei muss sämtliches Wissen über die Handlung miteinbezogen werden, beispielsweise

durch einen Brief, in dem über die versprochene Arbeitsstelle berichtet wird. Ebenfalls muss

der Auswanderer jedoch Informationen über die Risiken der Reise berücksichtigen, die etwa

aus der Überfüllung der Schiffe entstehen. In diesem Schritt wird jedoch noch keine

abschließende Abwägung zwischen Kosten und Nutzen des Handelns vorgenommen. Die

dritte Variable beinhaltet die sogenannte Attribution. Dabei empfindet der Akteur ein

generalisiertes subjektives Vertrauen in die Wirksamkeit seiner Handlung. Es muss

abgeschätzt werden, wie die Handlung generell vom Akteur kontrolliert werden kann. Ist sich

der Auswanderer sicher, dass alles was er unternimmt dazu beiträgt, einmal die versprochene

Arbeitsstelle in Amerika annehmen zu können, muss lediglich noch die vierte Variable, der

Widerstand mit einberechnet werden. Dabei werden sämtliche Kosten der Handlung

eingeschätzt, die auch mögliche Nebenfolgen und den Gesamtaufwand miteinbeziehen. Eine

mögliche Nebenfolge der Auswanderung wäre beispielsweise das Abzahlen von noch

vorhandenen Schulden in der Heimat. Erst wenn alle Variablen berücksichtigt wurden, kann

eine Entscheidung über die Auswanderung getroffen werden.

Esser geht in seiner Theorie davon aus, dass die Handlungsentscheidung rational über eine

„Ziel-Mittel-Kosten-Kalkulation“148 getroffen wird. Allerdings liegt das Handeln und Lernen

nicht nur beim Akteur selbst, sondern hängt auch von seiner Umwelt ab. Dabei werden

wiederum drei beeinflussende Variablen eingeführt. Zum einen sind dies Opportunitäten, also

sämtliche Gegebenheiten und Bedingungen, welche die Handlung unterstützen. Zum anderen

können Barrieren auftreten, wie etwa materielle oder rechtliche Beschränkungen. Schließlich

können Handlungsalternativen in Betracht gezogen werden, sofern es solche gibt. Die

Handlung wird dann ausgeführt, wenn es viele Opportunitäten gibt, und nur wenige Barrieren

und Alternativen. Esser kombiniert in seinem Modell die Faktoren, die bei der Person liegen

und diejenigen, die ihre Ursache in der Umgebung haben. Nur wenn sich das Verhältnis dieser

Faktoren positiv auf das Handlungsvorhaben auswirkt, wird dieses letztlich auch ausgeführt.

Gäbe es beispielsweise ein Ausreiseverbot, könnten die Anreize und der Handlungswert noch

so hoch sein. Sie würden dennoch nicht zur Auswanderung führen, da die Barrieren zu hoch

wären. Umgekehrt könnten etwa Reisezuschüsse die Opportunitäten verbessern.

148 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 58.

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Mit der Betrachtung der Theorie von Esser könnte die Zusammenstellung von

Migrationstheorien im Grunde abgeschlossen werden. Seit den 1990er Jahren konzentriert

sich die Migrationsforschung in der Soziologie auf einen neuen Typus von sogenannten

Transmigranten. Diese bewegen sich im Zuge der Globalisierung mehr und mehr zwischen

Ländern hin und her, wodurch kein eindeutiger Migrationsstrom mehr feststellbar ist.

Ebenfalls bleiben Transmigranten häufig sehr stark mit ihrer Heimat in Verbindung, etwa

durch Geldüberweisungen oder moderne Kommunikationsmittel. Dies lässt sich kaum auf die

Situation im 19. Jahrhundert übertragen. Zwar standen Auswanderer durchaus mit ihrer

Heimat in Verbindung, etwa durch eine Vielzahl an Briefen. Allerdings fand kein ständiger

Wechsel des Aufenthaltsortes statt und häufig ließen sich Auswanderer an einem Ort nieder,

wenn sie sich dort angesiedelt hatten.

Insgesamt bietet jede der hier vorgestellten Theorien etwas, das die eigentlichen Gründe der

Auswanderung und die Motivation der Migranten erklären könnte. Ob dies Eisenstadts

Entscheidungsprozess ist, die strukturellen Spannungen bei Hoffmann-Nowotny oder die

rationale Kosten-Nutzen-Analyse bei Esser. Letztlich sind diese Theorien jedoch nicht

wirklich befriedigend, da sie lediglich allgemein das Zustandekommen einer

Auswanderungsentscheidung erklären können und nicht die einzelnen Faktoren selbst. Mittels

der Geschichtswissenschaft kann zusätzlich geklärt werden, wie beispielsweise die

Opportunitäten und Barrieren zu Beginn des 19. Jahrhunderts aussahen.

Eine weitere Spezialdisziplin in der Soziologie stellt die Bevölkerungstheorie dar, die sich

ebenfalls mit dem Phänomen der Auswanderung beschäftigt. Der Vorteil für die

Geschichtswissenschaft liegt hier in der zeitlichen und räumlichen Gebundenheit einer

Typologie, wie sie beispielsweise Peter Marschalck vorlegt. Hierdurch werden empirische

Informationen miteinbezogen. Zwar entsteht hierdurch keine allgemeine Theorie, jedoch kann

die Auswanderung in einem bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext besser erklärt

werden. Marschalck geht in seiner Darstellung von einigen theoretischen Annahmen aus, in

die das Wanderungsverhalten eingeordnet werden kann. Als Voraussetzung für Wanderungen

wird zunächst ein Gefälle im Bereich der Löhne oder zwischen politischer Unterdrückung und

Freiheit benötigt. Als Gefälle bezeichnet Marschalck dabei das Verhältnis von zu vielen

gegenüber zu wenigen Menschen auf einem Raum. 149 Eine weitere Voraussetzung ist die

Information über das vorherrschende Gefälle.

149 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S. 13.

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Der Raum wird als Existenzmöglichkeit von Menschen definiert, der nicht nur materieller

Natur sein muss, sondern ebenfalls ein Maß an politischer Freiheit beinhaltet und auch anhand

der darin lebenden Menschen bemessen werden kann. Eine Übervölkerung verkleinert somit

den individuellen Raum der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit. Ein mögliches

Abwanderungsgebiet kann entstehen, wenn das Verhältnis von Menschen zum Raum größer

als 1 ist. Der Wert 1 bedeutet nach einer Normierung ein Gleichgewicht zwischen Mensch

und Raum. Ein Gebiet mit einem Wert unter 1 kann generell als Zuwanderungsgebiet

betrachtet werden. Über die Qualität des gegebenen Raums macht Marschalck in seinen

Annahmen noch keine Angaben, da diese nur anhand der Abwanderungsgründe festgestellt

werden kann. Hier helfen beispielsweise die Aussagen aus der Befragung von Friedrich List

weiter, die exakt für einen bestimmten Raum oder eine Gemeinde Angaben über die Qualität

des Lebensraums machen. Häufig wurde die Qualität bemängelt, was an der Korruption der

Beamten oder allgemein einer mangelnden Verwaltung liegen konnte. Auch wirtschaftliche

Gründe wurden oftmals angegeben, was wiederum an einem zu kleinen Raum für die

wirtschaftliche Existenzmöglichkeit liegen konnte oder im Umkehrschluss an zu vielen

Menschen, die im entsprechenden Gebiet lebten und dort arbeiten wollten. Das Verhältnis von

Mensch und Raum kann sich nach Marschalck nur ändern, wenn sich das generative Verhalten

der Menschen ändert, die Struktur des Raums oder beides. Generell wird das Gleichgewicht

langfristig durch Anpassungen hergestellt, kurzfristig kann dies nur durch Auswanderungen

geschehen.150 Zunächst kann festgehalten werden, dass sich die Sozialstruktur in der ersten

Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem starken Wandel befand. Dazu gehörte vor allem das

starke Bevölkerungswachstum, das wiederum einige Veränderungen in der Wirtschaft und in

der Lebensweise der Bevölkerung nach sich zog. Marschalck betont, dass eine wichtige

Ursache dieses Bevölkerungswachstums der Wegfall von Ehebeschränkungen 151 war, die

zuvor eine reproduktionshemmende Funktion innehatten.

Bevölkerungstheoretisch gesehen, war Auswanderung im vorindustriellen 19. Jahrhundert ein

kurzfristiger Ausgleich, mit dem Menschen auf die Übervölkerung reagierten. Auf diese

Weise versuchten viele Auswanderer, der grassierenden Massenarmut zu entkommen.

Marschalck verknüpft in seiner Darstellung die Bevölkerungsweise einer bestimmten Zeit, die

in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Übervölkerung und einem Missverhältnis

150 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S. 13.

151 Ebd., S. 99.

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zwischen Bevölkerung und Raum bezeichnet werden kann auf der einen Seite, mit der

Wanderungsweise, die zunächst noch weitestgehend agrarisch geprägt 152 war auf der anderen

Seite. Viele Menschen versuchten durch die Auswanderung an einen geeigneten Raum zu

gelangen, in dem sie von der Landwirtschaft leben konnten. Erst ab der zweiten Hälfte des

Jahrhunderts wurde die Wanderungsweise mehr und mehr industriell und beinhaltete ebenfalls

Binnenwanderung in die jeweiligen Produktionszentren.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Auswanderung nicht die einzige vorgeschlagene

Lösung, um die Übervölkerung in den Griff zu bekommen. Einige Zeitgenossen zweifelten

sogar daran, dass die Massenarmut überhaupt an der steigenden Bevölkerungszahl lag. Ihnen

zufolge lag lediglich eine mangelnde Beschäftigung und eine zu hohe Arbeitslosigkeit vor. 153

Kritisiert wurde dabei die zu langsame Wirtschaftsentwicklung, die zu starr und unfrei verlief.

Somit müsste die vorhandene Ernährungsfähigkeit eines bestimmten Raums nur effizienter

ausgenutzt werden. Nach Marschalck wäre dieser Lösungsansatz die Veränderung der

Struktur eines Raums, um die wirtschaftliche Existenzmöglichkeit der Menschen

wiederherzustellen. Ein zweiter Ansatz war die Änderung des generativen Verhaltens der

Bevölkerung. Dieses wurde von Zeitgenossen angedacht, die das Problem hauptsächlich im

unmoralischen Fortpflanzungsverhalten der Unterschichten 154 sahen. Somit war die Kontrolle

des Bevölkerungswachstums eine weitere Möglichkeit, das Missverhältnis von Mensch und

Raum zu verändern. Man ging sogar so weit, dass operative Maßnahmen bei sogenannten

nahrungslosen Personen vorgeschlagen wurden, um deren Fortpflanzung zu verhindern. Dies

betraf insbesondere ledige Männer, wie Dienstboten, Lehrlinge und einfache Soldaten. 155

Nicht nur das Fortpflanzungsverhalten der Unterschicht wurde von Zeitgenossen kritisiert,

sondern ebenfalls die Leichtfertigkeit bei der Eheschließung ohne wirtschaftliche Grundlage.

Ein Mittel, um dieses Problem zu bekämpfen, war die gesetzliche Beschränkung der

Eheschließung, wie sie bereits vor dem 19. Jahrhundert angewendet wurde. Häufig wurden

solche Gesetze jedoch auch stark kritisiert, da diese die Bevölkerungsentwicklung nicht

wirklich kontrollieren könnten. Angemerkt wurde beispielsweise, dass sich hierdurch die Zahl

der unehelichen Kinder stark erhöhen würde.156 Auch gesetzliche Ehebeschränkungen konnten

Auswanderungen letztlich nicht verhindern.

152 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1973, S. 99.153 Klaus-Jürgen Matz, Pauperismus und Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschränkungen in den

süddeutschen Staaten während des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 76.154 Ebd., S. 77.155 Ebd., S. 79.156 Ebd., S. 84.

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Als Grundlage heutiger bevölkerungstheoretischer Ansichten können die Ansätze von Johann

Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus eingeschätzt werden, auch wenn sich deren

Positionen sehr voneinander unterscheiden. Nachfolgend soll gezeigt werden, wie bereits

diese frühen Theorien aus dem 18. Jahrhundert auf die Thematik der Auswanderung

anwendbar sind.

Das Werk Malthus' „Principle of Population“ wurde 1798 veröffentlicht und damit bereits

zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. In dieser Schrift entwickelte Malthus sein

Bevölkerungsprinzip, das er als unabänderliches Naturgesetz verstand. Dieses bestand aus

zwei Teilen, erstens aus der Produktivkraft des Bodens, die sich lediglich in arithmetischer

Progression und somit nur in jeweils gleichbleibenden Schritten entwickelt. Diese

Produktivkraft wird jedoch vom Bevölkerungswachstum überholt, welches sich geometrisch

entwickelt. Aufgrund dieses schnelleren Bevölkerungswachstums ist der Nahrungsspielraum

bald aufgebraucht und es treten sogenannte „positive checks“ auf. Dazu zählte Malthus Dinge

wie Hunger, Armut und Kriege 157, die sich zwangsläufig aus dem Missverhältnis zwischen

Bevölkerungswachstum und Bodenproduktivität ergeben. Nach Marschalck wäre dies das

Missverhältnis zwischen Mensch und Raum. Was Malthus bereits bedachte, war der

menschliche Fortpflanzungstrieb, der dieses Missverhältnis hervorruft. Danach müssen

„positive checks“ auftreten, es sei denn der Sexualtrieb der Menschen kann gezügelt werden.

Diese Aufhebung seines Naturgesetzes konnte nach Malthus nur durch moralische

Anstrengungen und damit eine freiwillige Selbstbeschränkung der Menschen geschehen. Was

Malthus in seinen theoretischen Überlegungen nicht berücksichtigte war zum einen die

Möglichkeit der gesetzlichen Ehebeschränkung, wie sie bereits in manchen Ländern erprobt

wurde. Zweitens kann auch die Auswanderung als „positive check“ auftreten, sozusagen als

natürliche Reaktion auf einen zu hohen Bevölkerungsdruck. Die Frage wäre dann jedoch, ob

Auswanderungswellen die Reaktion auf bereits aufgetretene „positive checks“ wären, wie

beispielsweise verschlechterte Lebensbedingungen, Armut und Hunger, oder ob

Auswanderung an sich ein Mittel des Menschen ist, das Missverhältnis zwischen

Bodenproduktivität und Bevölkerungswachstum zu entschärfen. Sicherlich dachten

Auswanderer zunächst vor allem an ihre eigenen Probleme und nicht an die Entlastung der

Heimat. Dass dies jedoch auch eine Rolle spielte, kann beispielsweise an den Aussagen

157 Herwig Birg, Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus – Marksteine der bevölkerungswissenschaftlichen Theorieentwicklung, in: Rainer Mackensen, Lydia Thill-Thouet, Ulrich Stark (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungstheorie in Geschichte und Gegenwart. Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft, 21. Arbeitstagung, Frankfurt a. M. 1989, S. 56.

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einiger Auswanderer abgelesen werden, die freiwillig auf Armenunterstützung in ihrer

Heimatgemeinde verzichteten und stattdessen das eigene Brot in der Ferne verdienen wollten.

Man wollte sozusagen keine Belastung für die Gesellschaft darstellen.

Dass sich die Aussagen von Malthus und Süßmilch widersprechen, zeigt sich allein schon

daran, dass die Grundannahmen von Malthus aus heutiger Sicht bereits zuvor von Süßmilch

widerlegt wurden. Dieser zeigte anhand von statistischen Daten und Berechnungen, dass die

Bodenproduktivität im 18. Jahrhundert bereits ausreichte, um ein Vielfaches der damaligen

Weltbevölkerung von etwa einer Milliarde Menschen zu ernähren. 158 Insgesamt berechnete

Süßmilch, dass die gesamte Landwirtschaft der Erde eine Bevölkerung von sieben Milliarden

Menschen ernähren könnte. Er erkannte sogar einen Vorteil darin, sein ursprüngliches

Ergebnis von vier Milliarden Menschen auf sieben Milliarden zu korrigieren. Im Gegensatz

zu Malthus war Süßmilch also bestrebt, Möglichkeiten statt Missverhältnisse aufzuzeigen.

Somit sah er die von Malthus beschriebenen „positive checks“ auch nicht als naturgesetzlich

und unveränderlich an, sondern bemühte sich, solche Katastrophen kontrollierbar zu machen.

Nicht zuletzt war Süßmilch daher auch politisch engagiert und wollte etwas durch

Sozialreformen und eine Veränderung der Einkommensverteilung bewegen. 159 Die politischen

Absichten Süßkinds unterschieden sich somit ebenso diametral von denen Malthus', wie die

theoretischen Grundlagen. Während Malthus am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eher

für eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums plädierte, unter anderem durch mögliche

Sterilisationsprogramme, wollte Süßmilch bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

den Lebensstandard der Bevölkerung anheben. Dies war nach seinem Konzept nur über eine

staatliche Entwicklungspolitik möglich, die Reformen im Agrarwesen, in der Wirtschaft, in

der Sozialpolitik und im Gesundheitswesen beinhaltete. Nicht zuletzt dachte Süßmilch auch

an eine staatliche Siedlungspolitik, die eine bessere Versorgung der Menschen sicherstellen

sollte. Somit war Auswanderung für Süßmilch eine Aufgabe, die der Staat zum Wohle der

Menschen organisieren sollte. In erster Linie dachte er jedoch an präventive Sozialreformen,

um Auswanderung durch eine allgemeine Anhebung der Lebensbedingungen vermeiden zu

können. Ob Süßmilch bereits ein solches Ausmaß der Massenauswanderung vor Augen hatte,

wie sie im 19. Jahrhundert stattfand sei dahingestellt. Letztlich blieben seine politischen

Forderungen jedoch weitestgehend unberücksichtigt.

158 Herwig Birg, Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus, Frankfurt a. M. 1989, S. 62.159 Ebd., S. 70.

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Überblickt man die einzelnen soziologischen Theorien und die bevölkerungstheoretischen

Ansätze, lassen sich überall gewisse push- oder pull-Faktoren herauslesen, wie sie zu Beginn

dieses Kapitels charakterisiert wurden. Als push-Faktoren werden diejenigen Bedingungen

definiert, die von der eigenen Heimat abstoßen und somit die Auswanderung begünstigen. Bei

Ravenstein ist dies allein der Wohnort in ländlichen Gebieten, die laut seiner Theorie

entvölkert wurden. Eisenstadt legt lediglich ein Gefühl der Unsicherheit und der

unzulänglichen Lebensbedingungen als push-Faktoren fest. Bei Hoffmann-Nowotny sind es

strukturelle Spannungen, die Menschen aus der eigenen Heimat vertreiben. Esser geht

weniger auf abstoßende Faktoren ein, da die Handlungstendenz bei ihm vor allem aus dem

Anreizwert eines Ziels gebildet wird, also eher aus den pull-Faktoren. Nach der

Bevölkerungstheorie von Marschalck treibt es Auswanderer aufgrund eines Missverhältnisses

von Mensch und Raum aus dem Land. Bei Malthus können sämtliche „positive checks“, also

Armut, Hunger und Kriege als push-Faktoren angesehen werden, wobei diese von ihm als

harte moralische Prüfung wahrgenommen werden und nicht als etwas, das durch

Auswanderung gelöst werden kann. Auch Süßmilch geht es um verbesserungsfähige

Lebensbedingungen im Preußen des 18. Jahrhunderts, er will diese jedoch mittels

Sozialpolitik verbessern. Zusammengefasst tritt Auswanderung immer dann auf, wenn

bestimmte Bedingungen in der Heimat vorherrschen, die das Leben dort nicht mehr oder nur

sehr schwer möglich machen.

Meist reichen schlechte Lebensbedingungen jedoch nicht aus, um eine Migration auszulösen.

Es müssen noch anziehende Faktoren hinzukommen. Dies können nach Ravenstein

beispielsweise Städte während der Industrialisierung sein, bei Eisenstadt reichte hierzu bereits

die Vorstellung von besseren Lebensbedingungen im Zielland, bei Hoffmann-Nowotny waren

es verminderte Spannungen, bei Esser waren es Anreizwerte und Opportunitäten und bei

Marschalck musste der Raum groß genug für die wirtschaftliche Existenzmöglichkeit der

Menschen sein. Lediglich Malthus und Süßmilch dachten noch nicht an die Anziehungskraft

anderer Gebiete. Ersterer sah sein Naturgesetz des schnelleren Bevölkerungswachstums

gegenüber der Bodenproduktivität überall gegeben und Süßmilch wollte die Bedingungen vor

Ort verbessern. Soziologische Theorien haben häufig gemeinsam, dass sie die Ursachen eines

Phänomens nicht im Individuum suchen, sondern in gesellschaftlichen Gegebenheiten. Um

mehr auf individuelle Auswanderungsgründe einzugehen, sollen im folgenden Unterkapitel

psychologische Theorien zurate gezogen werden.

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3.2 Psychologische Theorien der Auswanderung

In der recht interdisziplinär angelegten Migrationsforschung gibt es einige

Auswanderungsgründe, die wiederholt genannt werden und weitestgehend als solche

anerkannt sind. Dazu zählt beispielsweise politische oder religiöse Verfolgung und

wirtschaftliche Not. Betrachtet man die in dieser Arbeit vorgebrachten Aussagen von

Auswanderern, zählt sicherlich die wirtschaftliche Lage als Hauptfaktor, der zur

Auswanderung beitrug. Es gibt jedoch auch Beispiele, in denen ähnliche Verhältnisse, wie

Missernten und Hungersnöte, nicht zu einer verstärkten Auswanderung führten. Dies war etwa

in den nördlichen Gebieten Schwedens um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Fall. 160 In der

Psychologie wurde daraus gefolgert, dass äußere Umstände alleine die verschiedenen

Auswanderungsbewegungen nicht erklären können. Zudem wandern unter den objektiv

gleichen Lebensbedingungen nicht immer sämtliche Betroffene aus. Dies kann unter dem

Begriff der selektiven Auswanderung zusammengefasst werden. Empirisch kann belegt

werden, dass auch bei Wellen der Massenauswanderung lediglich ein kleiner Teil der

Gesamtbevölkerung das Land verlässt. Somit kommen Menschen bei gleichen äußeren

Bedingungen zu unterschiedlichen Lösungsansätzen. 161 Auswanderung ist lediglich eine

Möglichkeit, auf schwierige Lebensbedingungen zu reagieren. In der Psychologie wird nicht

nur versucht, die Auswanderung zu erklären, sondern ebenfalls eine mögliche Nicht-

Wanderung.

Äußere Umstände können niemals allein eine ausreichende Erklärung für das Phänomen der

Auswanderung liefern. Ebenso falsch wäre es jedoch, diese völlig zu ignorieren. Eine

wichtige Grundannahme von Psychologen ist die, dass ein bestimmter Hang 162 oder eine

Tendenz zur Auswanderung bereits im Individuum verankert sein muss, bevor sie in die Tat

umgesetzt werden kann. Somit ist es wichtig, zunächst herauszufinden, bei welchen

Individuen ein solcher Hang besteht und wie dieser entstehen kann. Dieser Hang zur

Auswanderung kann in einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur liegen, die es zu

entschlüsseln gilt. Als einen Faktor, der wichtig für die Persönlichkeitsstruktur eines

Auswanderers sein kann, nennt Lüthke das Bindungsverhalten 163, beispielsweise zu

Bekannten, Freunden und Verwandten oder allgemein zu einer festen Umgebung.

160 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 18.161 Ebd., S. 20.162 Ebd., S. 23.163 Ebd., S. 24.

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In Bezug auf das Bindungsverhalten wird die Auswanderung als Prozess der Loslösung von

„alten Objekten“ betrachtet. Zugleich beginnt mit der Einwanderung in ein Zielland der

Prozess einer Bindung an „neue Objekte“, was jedoch hier weniger eine Rolle spielen soll.

Mit Objekten kann der komplette Bezugsrahmen von Menschen gemeint sein, wie

beispielsweise die landschaftliche Umgebung, die Sprache und Kultur sowie andere

Menschen und Gegenstände, zu denen eine Beziehung hergestellt werden kann. 164 Lüthke

sieht in seinen theoretischen Betrachtungen Loslösungs- und Bindungsprozesse als

lebensbegeleitend an und wendet seine Erkenntnisse auf die Auswanderung als Spezialfall an.

Danach werden bereits in den ersten Lebensjahren eines Menschen verschiedene Phasen der

Bindung an die Mutter und der Loslösung von ihr durchlaufen. Daraus ergibt sich die Bildung

einer eigenen Persönlichkeit, der sogenannte Individuationsprozess. Im jugendlichen Alter

treten Prozesse der Separation und der Loslösung erneut auf. Hierbei wurde anhand von

Befragungen festgestellt, dass eine Mehrzahl der Auswanderungswilligen und Auswanderer

bereits in der Zeit ihrer Adoleszenz an eine Auswanderung gedacht hat. 165 In gewisser Weise

kann eine Auswanderung somit als Loslösungsprozess verstanden werden, der bereits in der

Persönlichkeit eines Menschen verankert ist.

Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, das zu einer Auswanderung beitragen kann, wurde von

Michael Balint beschrieben. In seiner Typologie wurde der sogenannte Philobat als Mensch

bezeichnet, der sich zu gefährlichen Situationen hingezogen fühlt und stets nach einem

Nervenkitzel sucht. Dazu gehören beispielsweise Tätigkeiten wie das Ski- oder

Motorradfahren, aber auch Reisen in unbekannte Länder. Nach Balint suchen diese Menschen

eine objektive Gefahr, setzen sich ihr freiwillig aus und sind dennoch zuversichtlich, dass am

Ende alles gut gehen wird. Primär richtete sich diese Typologie nicht auf das Unterfangen der

Auswanderung, jedoch kann dies zum Repertoire eines Philobaten gehören. Weitere

Merkmale eines solchen Menschen sind eine empfundene Unabhängigkeit und das

Selbstvertrauen, alles schaffen zu können. Philobaten sind sehr freiheitsliebend und klammern

sich nicht an die sogenannten „alten Objekte“. Stattdessen fällt es ihnen sehr leicht, alte

Bindungen aufzugeben und sich neue zu suchen. 166 Auch Balint greift in seinem

entwicklungspsychologischen Ansatz auf die ersten Lebensjahre zurück, in denen sich eine

philobatische Haltung herausbilden kann.

164 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 70.165 Ebd., S. 77.166 Ebd., S. 80.

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Über historische Quellen ist es meist schwer bis unmöglich, auf die frühesten Kindheitsjahre

eines Menschen zurückzublicken, in denen sich Persönlichkeitsmerkmale herausbilden, die

später zu einer Auswanderung beitragen können. Wenn Auswanderer in Briefen oder

Berichten von ihrer aktuellen Situation schreiben oder ihre Aussage zu Protokoll geben,

können die Beweggründe ihrer Handlung allenfalls nur in ihrer jeweiligen Zeit gesucht

werden. Somit ist es wichtig, auch nach psychologischen Theorien zu suchen, die das

Handeln zu einer bestimmten Zeit erklären können.

Ein Beispiel hierzu wäre die Reaktanztheorie, welche eine Motivation zur Auswanderung in

einer gewissen räumlichen Einengung und der Verringerung der persönlichen Freiheit sieht. 167

Dies geht einher mit dem Verlust der Kontrolle über das eigene Leben oder über die eigene

Situation. Somit kann Auswanderung als Reaktion auf diese empfundenen Faktoren gesehen

werden. Betroffene möchten stets die Kontrolle über ihr Leben wiedererlangen und mit einer

gewissen Freiheit ausgestattet sein, die ihnen beispielsweise ein wirtschaftliches Überleben

ermöglicht. Häufig schrieben Auswanderer aus Amerika an ihre Verwandten und Freunde,

dass ihnen die neu erlangte Freiheit dort im Gegensatz zu ihrem alten Leben so gut gefiele.

Somit kann eine Herauslösung aus einer persönlichen Unfreiheit ein guter Grund sein, eine

Auswanderung zu versuchen. Nach der Reaktanztheorie ist eine Voraussetzung für diese Form

der Reaktion jedoch, dass Freiheit auch vom Leben erwartet wird. Manche Personen können

sich damit abfinden, dass sie keine Kontrolle über ihre Situation haben, sondern dass diese

von Außen bestimmt wird – etwa durch Lebensumstände wie eine schlechte Wirtschaftslage

oder eine willkürliche Bürokratie. Andere wiederum erwarten, dass sie die Möglichkeit haben,

ihr Handeln und ihr Schicksal selbst zu bestimmen, unbeeinflusst davon, wie die äußeren

Umstände aussehen. Reaktanz entsteht dann durch das Erleben dieser Möglichkeiten auf der

einen Seite und die Erwartung wie es sein sollte auf der anderen Seite. Ist der Unterschied

zwischen diesen beiden Größen wahrnehmbar, entsteht ein gewisser Freiheitsdrang, der

letztlich zur Auswanderung führen kann. Dabei muss die Erwartung nicht immer sehr groß

sein, wie dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oftmals der Fall war. Viele

Auswanderer wollten lediglich die Freiheit besitzen, sich und ihre Familie mit ihrer eigenen

Arbeit ernähren zu können. Fehlt diese Freiheit jedoch aufgrund zu weniger Arbeitsplätze,

bleiben nur wenige Alternativen wie etwa die Bitte um Armenunterstützung oder die

Auswanderung.

167 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 92.

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Die Reaktanztheorie legt nahe, dass Auswanderung eine Reaktion auf etwas darstellt, wie

etwa eine räumliche Einengung, Kontrollverlust und verringerte Freiheit. Je nach Erwartung

möchten sich Menschen daraus befreien und einen verbesserten Zustand herstellen. Näheres

zur endgültigen Entscheidungsfindung kann die Theorie der kognitiven Dissonanz aussagen,

die davon ausgeht, dass bereits ein gewisses Interesse oder ein Wunsch zur Auswanderung

besteht.

Bei der Idee der Auswanderung können stets auch sogenannte dissonante Kognitionen

auftreten. Dies sind Denkprozesse oder Argumente, die dem Vorhaben widersprechen. In der

ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten beispielsweise die Gefahren der Reise bedacht

werden und ebenfalls die ungewisse Zukunft in einem fremden Land. Ebenso konnte dagegen

sprechen, dass Auswanderer ihre heimatlichen Bürgerrechte aufgeben mussten und somit

keinen Anspruch mehr auf Armenunterstützung hatten. Je nach persönlicher Lage konnte es

eine Vielzahl an Argumenten geben, die dem eigentlichen Auswanderungswunsch

widersprachen. Die Theorie der kognitiven Dissonanz geht nun zunächst von zwei Prozessen

aus, die vor einer Entscheidung stattfinden. Dies ist zum einen die Informationssuche und

zum anderen die Bewertung der zum Vorhaben gefundenen Informationen. Diese Prozesse

sind nun darauf ausgerichtet, die vorhandenen Dissonanzen zu reduzieren, indem

Gegenargumente zum Vorhaben umgedeutet oder abgewertet werden. 168 Ebenfalls konnten es

Auswanderungswillige vermeiden, Gedanken an mögliche Risiken oder andere dissonante

Kognitionen zuzulassen. Um bei dem Beispiel der Gefahren bei der Überfahrt nach Amerika

zu bleiben, konnte dies etwa als nötige Prüfung umgedeutet werden, die zu einem besseren

Leben führt. Andere Auswanderer dachten, die Risiken seien nicht sehr hoch einzuschätzen

und werteten diesen Gedanken damit ab. Wiederum andere vermieden es, überhaupt an

mögliche Risiken zu denken. Die jeweiligen Strategien der Kognition können dabei von

Person zu Person verschieden sein. Neben der Reduzierung von Dissonanzen ist es ebenso

wichtig, dass Kognitionen gestärkt werden, die den Auswanderungswunsch unterstützen, wie

etwa die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation oder die Aussicht auf ein besseres Leben

in der Ferne. Insgesamt kann der Prozess der Dissonanzreduktion und der Stärkung des

eigenen Auswanderungswunsches mehrere Jahre dauern, wobei das Ursprungsmotiv nicht

mehr unbedingt im Bewusstsein liegen muss. 169 Erst wenn alle Bedenken ausgeräumt sind,

kann eine Entscheidung für die Auswanderung getroffen werden.

168 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 95.169 Ebd., S. 96.

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In seiner Darstellung geht Lüthke abschließend darauf ein, in welche Ebene der Psychologie

die Motive einzuordnen sind, die er in einer von ihm angelegten Befragung von

Auswanderern erfuhr. Zwar kann hier nicht von einer umfassenden Theorie gesprochen

werden, die entwickelt würde, allerdings offenbart dies verschiedene Zugangsweisen, mit

denen die Auswanderungsmotive analysiert werden können. Lüthke unterscheidet zwischen

der tiefenpsychologischen Ebene, der Sozialpsychologie und der Kognitionspsychologie.

Außerdem können einige Elemente in eine Kategorie eingeordnet werden, die nicht

psychologischer Natur sind.

Tiefenpsychologische Auswanderungsmotive liegen danach meist in der

Persönlichkeitsstruktur eines Menschen. Dazu zählt beispielsweise der oben beschriebene

philobatische Typ, der von Michael Balint definiert wurde. Typische Motive, die hierbei

genannt werden, sind unter anderem das Kennenlernen von etwas Neuem, mehr Freiheit,

Selbständigkeit, Abenteuerlust und Fernweh. Häufig gehen diese Motive mit einem

bestimmten Gefühl beim Ausreisewilligen einher. Auch für das 19. Jahrhundert können einige

der Motive aus dieser Kategorie zutreffen, beispielsweise der Überbevölkerung und Enge in

Deutschland zu entkommen.170 Die nächste Kategorie betrifft die sozialpsychologische Ebene,

auf der vor allem andere Menschen das Motiv des Auswanderers nachvollziehen können.

Diese Motive sind allgemein in der Bevölkerung anerkannt und können beispielsweise einen

weitverbreiteten Ärger über die bestehenden Verhältnisse widerspiegeln. Meist werden dabei

äußere Umstände, die in der Politik, der Wirtschaft oder in der Bürokratie 171 liegen können,

genannt. Auch in der Befragung durch Friedrich List wurde häufig der allgemeine Tenor der

zu hohen Abgaben und der willkürlichen Beamten zu Protokoll gegeben. Auf der

kognitionspsychologischen Ebene versuchen Auswanderer, ihre Motive zu rationalisieren und

mögliche Unsicherheiten zu beseitigen. 172 Dabei wird meist auch eine Zukunftsdeutung

vorgenommen, um eine Entscheidung zu festigen und nicht mehr umzukehren. „Die

Wirtschaft wird sich weiter verschlechtern“ oder „im Zielland winkt eine bessere Zukunft“

sind Glaubenssätze, die für eine Auswanderungsentscheidung den entsprechenden Halt bieten.

Zuletzt können Motive noch auf einer nicht-psychologischen Ebene liegen 173, beispielsweise

wenn sich unmittelbar eine bestimmte Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnet oder wenn die

Gesundheit eine Auswanderung in ein besseres Klima erfordert.

170 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 101.171 Ebd.172 Ebd., S. 102.173 Ebd.

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Die Zusammenstellung der psychologischen Migrationstheorien zeigt an dieser Stelle, dass es

verschiedene Zugangswege gibt, die Motivation für eine Auswanderung innerhalb dieses

Fachgebiets zu erklären. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei, dass es keinen Königsweg gibt,

der nach dem Schema „wenn A dann B“ die Entscheidung für eine Auswanderung nur unter

exakten Vorbedingungen formulieren könnte. Häufig sind Theorien in der Psychologie sehr

allgemein und umfassend gedacht, daher sind sie nicht nur für das Thema der Migration

anwendbar. Die Zusammenstellung bei Lüthke passt sehr gut als Überblick in diese Arbeit, da

hier der Link von den einzelnen Theorien zur Migrationsforschung hergestellt wird, der ohne

entsprechendes Spezialwissen sonst nicht möglich wäre. Sicherlich kann auch kritisch

angemerkt werden, dass eine ähnliche Arbeit kaum zu finden ist und somit der Vergleich zu

anderen Autoren fehlt.

Die Psychologie versucht mit ihren Ansätzen, die Gründe für das Handeln von Menschen

nicht vorrangig in den äußeren Umständen zu suchen. Wie schon gezeigt wurde, sprachen

diese zu einigen Zeitpunkten im 19. Jahrhundert eindeutig für eine Auswanderung. Dagegen

können innere Motive nicht so leicht geklärt werden, die eben auch eine Rolle spielen können.

Zumindest können psychologische Theorien eine plausible Erklärungsmöglichkeit bieten,

auch wenn sie in der Geschichte empirisch schlecht überprüft werden können. Psychologen

gehen daher häufig auch von aktuellen Forschungsgegenständen aus und befragen Probanden,

die noch leben und im Hier und Heute verankert.

In diesem Kapitel wurden die psychologischen Theorien des Bindungsverhaltens, der

Persönlichkeitsstruktur, der Reaktanztheorie und der dissonanten Kognition vorgestellt. Auch

wenn sie nicht bis ins letzte Detail betrachtet wurden, konnte ein Eindruck entstehen, wie die

Entscheidung für eine Auswanderung getroffen wird und welche Faktoren im Menschen dafür

verantwortlich sein können. Aus der psychologischen Perspektive gesehen, kann die

Motivation für eine Auswanderung über mehrere Jahre heranreifen und hängt mit der

Entwicklung des Menschen zusammen. Offen blieb dabei die Frage, was passiert, wenn sich

die äußeren Bedingungen so verschlechtern, dass eine Entscheidung schneller getroffen

werden muss. Sicherlich kann es Situationen geben, in denen das Äußere das Innere

übertrumpft, wodurch die innere Motivation zurückstehen muss. Zuletzt konnte noch gezeigt

werden, dass auch psychologische Motive der Auswanderung auf verschiedenen Ebenen

liegen können, die wiederum von einer Teildisziplin der Psychologie, etwa der

Sozialpsychologie oder der Kognitionspsychologie besser erklärt werden können.

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3.3 Ego-Zeugnisse und Theorie

Bevor ein abschließendes Fazit gezogen werden kann, soll hier noch näher auf die Verbindung

der in Kapitel 2 ausgewählten Quellen mit den im Anschluss vorgestellten soziologischen und

psychologischen Theorien eingegangen werden. Dabei soll nach der jeweiligen Rolle bei der

Beantwortung geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen gesucht und eine Bewertung der

Erklärungskraft vorgenommen werden.

Zunächst soll der Begriff der Ego-Zeugnisse, der für die in dieser Arbeit verwendeten Quellen

gebraucht wird, näher erklärt werden. Diese werden laut Andreas Rutz als „Gesamtheit der

Quellen verstanden, die einen Zugang zum historischen Individuum und seinen

Lebensäußerungen ermöglichen.“ 174 Dies kann auf zweierlei Wegen erfolgen, zum einen

freiwillig, indem der Verfasser selbst etwas über sein Leben schreibt, beispielsweise in

Tagebüchern oder Briefen. Auch der Bericht von Ludwig Gall kann zu dieser Kategorie

gezählt werden. Zum anderen zählen Äußerungen, die nicht freiwillig erfolgten, sondern etwa

bei Verwaltungsvorgängen aufgenommen oder bei Gericht zu Protokoll gegeben wurden, auch

zu den Ego-Zeugnissen. Hier kann die Befragung durch Friedrich List als Beispiel dienen, in

der die Aussagen der Auswanderer in ein Protokoll und einen Bericht übernommen wurden.

Bei dieser Quellengattung muss nicht unbedingt die Intention vorliegen, dass diese andere

Menschen als der Verfasser selbst oder von ihm bestimmte Adressaten den Inhalt zu sehen

bekommen. Allerdings ist es auch nicht unüblich, dass bestimmte Selbstzeugnisse an die

Öffentlichkeit gerichtet sind, etwa eine Autobiografie. Bei privaten Dokumenten hängt die

Bearbeitung durch Historiker davon ab, ob sie in einem Archiv zugänglich sind oder von den

Besitzern zur Verfügung gestellt werden. Sämtliche Quellen, die hier näher betrachtet wurden,

sind in einem Archiv vorhanden und wurden bereits in einer Edition abgedruckt.

Mit der Kategorisierung der Ego-Dokumente kann damit zur nächsten Frage übergegangen

werden, die auf ihre Rolle bei der Beantwortung historischer Fragestellungen abzielt. Die

Fragestellung in dieser Arbeit bezieht sich vor allem auf die Gründe und Motive von

Auswanderern, die sie zu diesem Schritt veranlassten. Zur Erklärung der

Auswanderungsgründe gibt es zwei entgegengesetzte Positionen, welche die Rolle der Ego-

Zeugnisse jeweils anders bewerten.

174 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.

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Auf der einen Seite kann diese Quellengattung komplett abgelehnt werden, wie es

beispielsweise Peter Marschalck tut. Nach seiner Meinung können Auswanderungsgründe

nach Räumen und Strukturen voneinander abgegrenzt werden. „Es müssen also alle

politischen und sozialen Veränderungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts eingetreten sind,

daraufhin untersucht werden, ob und in welchem Maße sie in der Lage waren, die Verbindung

der Bevölkerung mit dem heimatlichen Boden zu lösen.“ 175 Daraus folgert er, dass Ego-

Dokumente als Quellen nicht zu gebrauchen sind, um die Gründe für Auswanderungen zu

erklären. „Demgemäß kann man den direkten Quellen, wie Auswanderungsakten,

Auswanderungszeitungen und Auswandererbriefen, nur einen geringen Wert beimessen

(...)“176

Dieser Aussage widerspricht von Hippel, der zwar ebenfalls die Struktur der Auswanderung

genauer untersuchen will, allerdings hierfür als Voraussetzung einen tieferen Einblick in die

Gründe und Motive sieht. „Eine solche Strukturanalyse muss vornehmlich auf quantitativen

Quellen beruhen. Ihre Ergebnisse können aber auch dazu dienen, die Aussagekraft

„qualitativer“ Materialien, wie zeitgenössischer Äußerungen und Wertungen von direkt

Betroffenen und Beobachtern besser zu beurteilen und zu gewichten und damit unabdingbare

Voraussetzungen für die kritische Auswertung derartiger Quellen zu schaffen.“ 177 Aus diesem

Grund wurde in dieser Arbeit der Auswertung von Ego-Zeugnissen ein Kapitel über die Daten

und Zahlen der Auswanderung vorangestellt. Sich mit dieser Quellengattung zu beschäftigen

heißt noch nicht, die Strukturen und quantitativen Ergebnisse zu vernachlässigen.

Grundsätzlich gehen von Hippel und Marschalck der gleichen Forschungsrichtung nach, die

in der Bevölkerungsentwicklung und der quantitativen Sozialgeschichte verankert ist.

Lediglich in der Bewertung von personenbezogenen Ego-Dokumenten gehen die Meinungen

etwas auseinander. Dennoch ist es auch möglich, sich in der Betrachtung dieser

Quellengattung komplett von der Sozialgeschichte abzugrenzen. Hierbei geht es um einen

historisch-anthropologischen Forschungsansatz, der seit den 1970er und 80er Jahren den

Menschen in den Mittelpunkt stellt. 178 Dabei richtet sich das Interesse auf Personen, die an

einem bestimmten historischen Prozess beteiligt sind und durch ihre Aussagen in den Ego-

Zeugnissen erfassbar werden.

175 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1973, S. 53.176 Ebd.177 Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 116.178 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL:

http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.

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Nach Rutz geht es nicht um die politische Geschichte einiger großer Männer, sondern

vielmehr um die alltägliche Lebenswelt von Menschen, die „vorher nicht oder nur als Ziffer

in sozialwissenschaftlichen Statistiken auftauchten.“ 179 Die Ansicht, die mit dieser Arbeit

vertreten werden soll, bildet eine Brücke zwischen dem sozialgeschichtlichen und dem

historisch-anthropologischen Ansatz. Sicherlich geht es bei der Auswanderung in der ersten

Hälfte des 19. Jahrhunderts um die beteiligten Menschen, die Gründe und Motive für ihr

Handeln hatten und diese in der Form von Ego-Dokumenten niederschrieben. Allein aufgrund

der Anzahl der bei den ersten Massenauswanderungen beteiligten Menschen, können nicht

alle einzeln erfasst werden. Der sozialgeschichtliche Ansatz hilft dabei, die Auswanderung zu

einer bestimmten Zeit in ihren Kontext einzuordnen und ihre Hintergründe besser zu

verstehen. Hier kann nur von Hippel zugestimmt werden, der zunächst quantitative Quellen

auswerten möchte, um dann ebenfalls eine kritische Analyse der Ego-Zeugnisse zu

ermöglichen.

Bis zu diesem Punkt würden die ersten zwei Kapitel dieser Arbeit ausreichen, um zunächst

eine sozialgeschichtliche Datenbasis vorzustellen und dann näher auf den Quellentyp der Ego-

Dokumente einzugehen. Allerdings wurde hier noch ein dritter Schritt vorgenommen, indem

sich ein Kapitel mit verschiedenen Migrationstheorien auseinandersetzt. Diese stammen

sowohl aus dem Fachgebiet der Soziologie als auch der Psychologie. Mit diesen zwei

Perspektiven sollten zunächst die zwei verschiedenen historischen Ansätze widergespiegelt

werden, der sozialgeschichtliche und der historisch-anthropologische. Auch wie in diesen

Forschungsrichtungen werden bei den Theorien zum einen die Strukturen und Räume, die

sich auf die Auswanderung auswirkten, näher beleuchtet und die Psychologie beschäftigt sich

eher mit dem Individuum. Bei der Vorstellung der einzelnen Theorien und Ansätze ging es

nicht darum, eine möglichst richtige zu finden, die sämtliche Gründe und Motive von

Auswanderern erklären kann. Stattdessen sollten innerhalb des Spektrums der

Migrationsforschung Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden, um eine

Annäherung an das Erkenntnisinteresse zu erreichen. Theoretische Ansätze können dabei

helfen, auf Fragen eine Antwort zu finden. Ebenso werden jedoch auch neue Fragen

aufgeworfen, die das Erkenntnisinteresse erweitern können. In diesem Unterkapitel sollen nun

die Fragestellungen näher erläutert werden, die mithilfe von Theorien und Quellen

beantwortet werden können und gezeigt werden, welche Fragen noch offen bleiben.

179 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.

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Zunächst können die im zweiten Kapitel vorgestellten Quellen danach befragt werden, wie

Auswanderer ihre persönliche Situation wahrnehmen und aus welchen Gründen sie

auswandern. Diese Fragestellung betrifft im Grunde die komplette Arbeit, wobei persönliche

Gründe und Motive stets nur für die Personen herausgearbeitet werden können, die einen

Brief schrieben oder ihre Aussage zu Protokoll gaben. Daher müssen die Quellen auch

kritisch betrachtet werden, also etwa die Berücksichtigung des jeweiligen persönlichen

Hintergrunds zählt, etwa die familiäre oder berufliche Situation. Hinsichtlich der Quellenarten

können im Weiteren verschiedene Fragen gestellt werden. Bei den Auswandererbriefen kann

danach geschaut werden, welche Auswirkung diese auf den oder die Adressaten hatten.

Wichtig dabei ist die Frage, ob die Briefe beispielsweise Verwandte oder Freunde dazu

auffordern, ebenfalls auszuwandern oder doch besser in der Heimat zu bleiben. Bei der

Befragung durch Friedrich List ergibt sich die Fragestellung nach den örtlichen Bedingungen,

die zu einer Auswanderung führen können. Hier wurden meist mehrere Personen aus einer

Gemeinde befragt, wobei Gemeinsamkeiten oder auch Unterschiede in der Wahrnehmung

auftreten konnten. Auch hier muss der persönliche Hintergrund bei der Auswertung

berücksichtigt werden. Der Bericht von Ludwig Gall kann allgemein nach dessen Intention

befragt werden, zum einen was er mit seiner Veröffentlichung bewirken wollte und zum

anderen, welche persönlichen Motive er zur Auswanderung hatte. Die Frage nach seiner

Rückkehr kann gesondert gestellt werden, sie wurde hier jedoch nur am Rande verfolgt.

Bei den in dieser Arbeit vorgestellten Theorien kann jeweils nach ihrer Erklärungskraft

gefragt werden und danach, auf welche Art und Weise die Gründe und Motive der

Auswanderung in ihnen Platz finden. Auch wenn eine Theorie sehr allgemein gehalten ist und

nicht unbedingt explizit die Auswanderung erklären möchte, kann diese dennoch auf die ein

oder andere Weise das Verhalten und Handeln von Menschen erklären. Aus diesem Grund

wurden hier vor allem sozialwissenschaftliche und psychologische Theorien ausgewählt.

Nicht umsonst werden diese Fachgebiete auch Verhaltenswissenschaften genannt. In jeder

Theorie werden Gründe und Motive für die Auswanderung auf einer bestimmten Ebene

angesiedelt. Daher können die sie danach befragt werden, wie sie diese Ebene jeweils

definieren. Soziologische Theorien können beispielsweise auf der Ebene der

gesellschaftlichen Systeme stattfinden, auf der anderen Seite jedoch auch das Handeln von

Menschen im Blick behalten. Bevölkerungstheoretiker gehen von Strukturen und Räumen aus

und Psychologen suchen dagegen eher im Menschen selbst nach Gründen und Motiven.

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Fazit

Das Thema dieser Arbeit bietet die Möglichkeit und erfordert es ebenso, über die Grenzen des

eigenen Fachgebiets zu schauen und interdisziplinär zu arbeiten. Dies wird schon am

sozialhistorischen Ansatz deutlich, der wie hier im ersten Kapitel die Auswanderung

statistisch erfassbar macht und somit quantitative Daten über das Ausmaß des Phänomens

verrät. Ebenso können Strukturen einer Region aufgedeckt werden, die dazu beitrugen, dass

die dort lebenden Menschen überhaupt die Möglichkeit einer Auswanderung in Betracht

ziehen mussten. Alleine schon die Anzahl der Personen, die der beginnenden

Massenauswanderung ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten, macht deutlich, dass

es fast unumgänglich war, sich aktiv für oder gegen das Auswandern zu entscheiden. Zudem

war das Thema durch Zeitungen und die Werbung von Auswanderungsagenten in der

Öffentlichkeit sehr präsent. Auch die Vielzahl der Briefe aus Amerika und aus anderen

Zielländern machte Informationen über die dort vorherrschenden Verhältnisse für jedermann

verfügbar, entweder indem man selbst Briefe von Familienangehörigen, Bekannten oder

Freunden erhielt, oder durch den Austausch mit anderen Menschen im Umkreis. Briefe waren

somit eine gute Entscheidungshilfe, wenn es darum ging, ob die eigene Heimat aufgegeben

werden sollte oder nicht.

Anhand des Push/Pull-Modells, das in der Soziologie entwickelt wurde, lassen sich Gründe

gut einordnen, die für oder gegen eine Auswanderung sprechen. Briefe von Auswanderern

enthielten meist Informationen über die jeweiligen Zielgebiete, in denen ein neues Leben

aufgebaut wurde. Diese können der Pull-Seite des Modells zugeordnet werden, da sie einen

anziehenden Effekt beim Empfänger des Briefs auslösen konnten. Die Gründe für eine

Auswanderung ließen sich also zunächst in den Lebensbedingungen des

Einwanderungslandes finden. Dies konnte beispielsweise eine günstige Besteuerung, ein

ertragreiches Land oder eine leicht zu findende Arbeitsstelle mit einem guten Verdienst sein.

Kritisch muss zu den Briefen angemerkt werden, dass die Verfasser auch ein eigenes Interesse

verfolgen und die Situation im Land etwas übertrieben positiv darstellen konnten. Nicht selten

wurden Verwandte dazu aufgefordert nachzukommen, um sich in der Umgebung

niederzulassen. Somit konnten beide Seiten durch bestehende Verbindungen profitieren. Auch

ein Deal war möglich, indem ein Erbe versprochen wurde, wenn im Gegenzug die Nachzügler

für die Pflege im Alter sorgten.

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Es fand in den Briefen jedoch nicht nur eine Schönfärberei der Auswanderung statt, auch

mögliche Risiken der Reise wurden angesprochen. Dies konnte soweit gehen, dass einige

Briefeschreiber davon abrieten, das sogenannte „Wagestück“, wie es Johannes Hummel

ausdrückte, zu versuchen. Insbesondere die Überfahrt nach Amerika und die erste Zeit nach

der Ankunft konnte sehr beschwerlich und von Krankheiten geprägt sein. Auch fanden nicht

alle Auswanderer direkt nach der Ankunft eine passende Arbeit, die wie erhofft etwas mehr

Wohlstand brachte, als es in der zurückgelassenen Heimat der Fall war. Trotz dieser Hinweise

auf Risiken, die mit der Auswanderung verbunden waren, musste es dennoch für viele

Menschen gute Gründe gegeben haben, den Heimatort zu verlassen und sich einen neuen

Lebensmittelpunkt zu suchen. Dies lässt sich in eine These fassen, die besagt, dass die Gründe

und Motive für die Auswanderung so stark sein mussten, dass mögliche Gefahren und Risiken

eine geringere Rolle spielten. Dieser Gedanke lässt sich in der Kognitionspsychologie

wiederfinden, die davon ausgeht, dass sogenannte dissonante Kognitionen, die dem

eigentlichen Vorhaben widersprechen, gedanklich abgewertet oder umgedeutet werden und

somit der Entscheidung für eine Auswanderung nicht entgegenstehen.

Wie im Quellenteil der Arbeit deutlich wurde, gibt es mehrere Arten von Gründen, die für

eine Auswanderung sprechen konnten. Der erste Typ betraf die Pull-Faktoren, die ausgehend

vom Einwanderungsland anziehend wirkten. Eine zweite Art wirkte abstoßend und betraf

sämtliche Push-Faktoren, die in der eigenen Heimatregion lagen. Besonders deutlich wurden

diese in der Befragung durch Friedrich List, der Erkundigungen über die

Auswanderungsmotive in drei württembergischen Orten einholte. Push-Faktoren konnten

dabei auf verschiedenen Ebenen liegen, sowohl in der Struktur einer gesamten Region, als

auch in den Lebensbedingungen, die in einer Stadt oder einer Gemeinde vorherrschten. Die

Gründe können zum einen objektiv erfassbar sein, wie etwa der Dinkelpreis, der in der Studie

von Hippels mit den Auswandererzahlen korreliert wurde. Andere Faktoren sind jedoch

lediglich subjektiv wahrnehmbar und sind in den persönlichen Meinungen von

Auswanderungswilligen zu finden. Hierbei konnte die Auswertung einiger Aussagen in der

Befragung weiterhelfen, welche die Probleme der Menschen vor Ort enthielten und somit

erfassbar machte. Sicherlich spielten auch hier objektive Faktoren eine Rolle, wie etwa die

Anzahl der Kinder oder die Vermögensverhältnisse, die häufig nicht zum Leben ausreichten.

Abstoßend konnten jedoch auch persönliche Streitigkeiten mit der Obrigkeit sein, oder eine

willkürliche Behandlung durch Beamte.

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Am Beispiel von Ludwig Gall konnte gezeigt werden, dass sich Meinungen zur

Auswanderung auch wandeln konnten. Dieser wollte die Menschen zunächst von der

Auswanderung abhalten und hielt dies für ein sinnloses Unterfangen. Er hielt die zahlreichen

Versprechungen über ein besseres Leben in der Ferne für übertrieben und unwahr und wollte

Auswanderungswillige daher darüber aufklären. Erst später erkannte er die Realitäten der

Massenauswanderung und das Elend in den Auswanderungshäfen. Somit setzte er sich dann

mit der Gründung einer Auswanderungsgesellschaft gezielt für eine risikoärmere

Auswanderung ein und sorgte dafür, dass die Bedingungen der Überfahrt erleichtert wurden.

Ebenfalls setzte sich die Auswanderungsgesellschaft für den Aufbau von Siedlungen in

Amerika ein. Auch wenn Galls persönliche Auswanderung nicht von Dauer war, hatte er

jedoch gute Gründe, zumindest zahlreiche andere Menschen zu unterstützen.

Jeder Auswanderungsgrund kann für sich genommen entweder in die Kategorie der Push-

oder Pull-Faktoren eingeordnet werden. Bestimmte Bedingungen können dafür sorgen, dass

sich Menschen von einem Ort abgestoßen fühlten oder auch von einem weit entfernten Ort

angezogen wurden. Das Hauptanliegen dieser Arbeit war es jedoch zu zeigen, dass

Auswanderungsmotive nicht nur durch äußere Umstände gebildet wurden, etwa durch

wirtschaftliche Krisen, Überbevölkerung, Armut oder Kriege. Stets muss auch die persönliche

Situation von Individuen betrachtet werden, die sich ihr eigenes Urteil über die gegebene

Lage bildeten und daraufhin eine Entscheidung für oder gegen eine Auswanderung trafen.

Historische Quellen geben nicht immer einen kompletten Aufschluss über die

Handlungsmotivation eines Menschen. Es können Fragen offen bleiben, insbesondere wenn

Aufzeichnungen über einen entscheidenden Moment fehlen. Dies trifft beispielsweise auf den

Ausgangspunkt einer Auswanderung bei Briefeschreibern zu, die lediglich über ihr neues

Leben schrieben. Andere Motive sind lediglich mithilfe der Psychologie zu erklären und

können etwa in der Persönlichkeit eines Menschen verwurzelt sein.

Obwohl nicht sämtliche Auswanderungsgründe restlos aufgeklärt werden können, bietet der

Quellentyp der Ego-Zeugnisse einige Möglichkeiten, persönliche Meinungen zu einem

bestimmten Thema zu erfahren. Hierdurch lassen sich Rückschlüsse darüber ziehen, aus

welchen Gründen eine Handlungsentscheidung getroffen wurde. In Verbindung mit den

Theorien aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft können künftige

Forschungen genauere Erklärungsversuche unternehmen.

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Anhang

Quellen- und Literaturverzeichnis

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II. Abbildungen

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pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts,

Kaiserslautern 1989, S. 165 (Schaubild 5, Ausschnitt).

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III.Literatur

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http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/wissen_push_pull_faktoren.pdf,

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ESSER, Hartmut, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von

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FIES, Alexandra, Die badische Auswanderung nach Nordamerika unter besonderer

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HAN, Petrus, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010.

HEINZ, Joachim, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“. Zur Geschichte der pfälzischen

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VON HIPPEL, Wolfgang, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur

württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert,

Stuttgart 1984.

IV.Ehrenwörtliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer

als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel einschließlich des Internets angefertigt und die

den oben benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche

kenntlich gemacht habe.

Mannheim, 19.12.2012 ...............................................................

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