„Es ist ein Wagestück“ - Persönliche Motive und Gründe für ......
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UNI VE RSITÄT MANNHEIM
Historisches Institut
Masterarbeit
„Es ist ein Wagestück“ - Persönliche Motive und Gründe für das Auswandern aus
Südwestdeutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Betreuung: Prof. Dr. Klaus-Jürgen Matz
Semester: Herbst/Wintersemester 2012
Verfasser: Christoph Ohlig
Adresse: Jungviehweide 2
69509 Mörlenbach
E-Mail: [email protected]
Studiengang: Master Geschichte – Wissenschaft und Öffentlichkeit
Fachsemester: 04
Inhaltsverzeichnis
Einleitung …............................................................................................................................. 3
1. Die Konjunktur der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ..…..... 6
1.1Die Auswanderung aus der Pfalz …..................................................................... 7
1.2Badische Auswanderungsbewegungen ….......................................................... 15
1.3Die württembergische Auswanderung ….......................................................... 19
1.4Die Ausgangssituation in Südwestdeutschland …............................................. 23
2. Persönliche Motive südwestdeutscher Auswanderer …................................................. 26
2.1Auswandererbriefe ….......................................................................................... 26
2.2Die Auswanderungsbefragung Friedrich Lists im Jahr 1817 …..................... 37
2.3Bericht des Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall …..................................... 46
3. Auswanderungstheorien …............................................................................................... 51
3.1Soziologische Modelle und Erklärungen …....................................................... 52
3.2Psychologische Theorien der Auswanderungen …........................................... 66
3.3Ego-Zeugnisse und Theorie …............................................................................ 72
Fazit ….................................................................................................................................... 76
Quellen- und Literaturverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung
Ein leitu ng
„... Eine große Bitte habe ich an Dich, lieber Anton, schreibe mir einmal wieder auf Post auf
diesen Brief und beantworte mir, ich habe schon viel an Dich gedacht, ich wollte mir wohl
auch wünschen, bei Dir zu sein, wenn ich nur wüßte, ob ich dort mehr erhalte als hier, daß
ich das Brot dort geruhiger essen kann als hier, dann wollte ich hier alles verlassen und
wollte Dir nachkommen. Darüber schreibe mir diesen wieder, lieber Bruder ...“1
Eben diese Frage stellten sich viele Menschen in der Zeit nach dem Wiener Kongress vor
allem im südwestdeutschen Raum. Es ging darum, ob eine Auswanderung gewagt werden
sollte, oder nicht. Nicht jeder hatte, wie die Verfasserin dieses Briefes aus der oldenburgischen
Region, bereits Verwandte in Amerika oder in einem anderen Einwanderungsland. Ebenso wie
diese wollten jedoch auch andere Deutsche eine Antwort auf existenzielle Fragen bekommen,
etwa nach einer eventuell besseren Arbeitsstelle und allgemein nach besseren
Lebensbedingungen, als sie im krisengeschüttelten Europa vorherrschten. Alleine eine
schlechte wirtschaftliche Situation reichte jedoch meist nicht aus, um das „Wagestück“, wie
es im Titel dieser Arbeit heißt, zu unternehmen. Hinweise auf eine bessere Zukunft in einem
anderen Land konnten Sicherheit bieten, die den Versuch einer Auswanderung, der nicht ohne
Risiken einherging, lohnenswert machten.
In dieser Arbeit sollen Informationen zusammengetragen werden, die ein Bild darüber
ermöglichen, wie die Gründe und Motive für eine Auswanderung aussahen und wie letztlich
eine Entscheidung getroffen wurde. Hierzu dienen zum einen Auswandererbriefe als Quellen,
die aus der Ferne zu Freunden, Bekannten und Familienangehörigen in der alten Heimat
geschickt wurden. Deren Analyse kann Auskunft darüber geben, wie Auswanderer ihre bereits
getroffene Entscheidung selbst bewerteten und wie sie mit dem neuen Leben zurechtkamen.
Ebenso können Auswandererbriefe aus der Empfängersicht gelesen werden, indem Hinweise,
die für oder gegen eine Auswanderung sprechen, gegeneinander abgewogen werden. Häufig
beinhalten die Briefe jedoch keine Aussagen darüber, aus welchen Gründen die eigene
Auswanderung versucht wurde. Hier kann die Auswanderungsbefragung des
württembergischen Rechnungsrats Friedrich List weiterhelfen. Dieser vernahm im Jahr 1817
einige württembergische Auswanderer direkt vor ihrer Abreise und ließ darüber ein Protokoll
anfertigen.
1 Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“ - Auswanderer schreiben nach Deutschland, Darmstadt 1985, S. 27.
3
Anhand dieser Aufzeichnungen können direkte Argumente nachvollzogen werden, die für
eine Auswanderung sprachen. Das Ziel dieser Befragung war es unter anderem, mögliche
Missstände im eigenen Land aufzudecken. Diese können den Aussagen der
Auswanderungswilligen entnommen werden. Zusammengenommen bieten diese zwei
Quellentypen Gründe für die Auswanderung, die zum einen in der eigenen Heimat liegen und
zum anderen mit dem jeweiligen Zielgebiet in Verbindung stehen. Zuletzt soll in dieser Arbeit
der Bericht des Auswanderers Ludwig Gall betrachtet werden, der seine eigene Sichtweise zu
diesem Thema niederschrieb und veröffentlichte. Die Besonderheit an diesem Bericht ist der
Prozessverlauf der Auswanderung, der bei Gall mitsamt seiner Rückkehr nachvollzogen
werden kann.
Methodisch stützt sich diese Arbeit nicht nur auf die genannten Quellen, sondern ebenfalls auf
die einschlägige Forschungsliteratur, die sich mit dem Thema der Auswanderungsgründe
beschäftigt. Zunächst geht es in einem ersten Kapitel darum, eine Datenbasis vorzustellen, die
es ermöglicht, den Verlauf der Auswanderung im südwestdeutschen Raum nachzuvollziehen.
Hierbei geht es vor allem um einzelne Auswanderungswellen, die bereits im 18. Jahrhundert
vorkamen und ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Massenauswanderungen in
Erscheinung traten. Die bisherige Forschung setzt meist regional-spezifisch an und kümmert
sich um das Problem der Auswanderung in einem bestimmten Territorium. Daher erschien es
logisch, die Konjunktur der Auswanderung im südwestdeutschen Raum in die Gebiete Pfalz,
Württemberg und Baden zu untergliedern. Für die Darstellung der pfälzischen Auswanderung
können insbesondere die Forschungen von Fritz Trautz, Karl Scherer, Roland Paul, Friedrich-
Karl Hüttig und Joachim Heinz genutzt werden. 2 Die badische Auswanderung kann
anschließend mit den Beiträgen von Michael Rehs, Alexandra Fies, Kurt Hochstuhl und
Ulrich Maier näher betrachtet werden. 3 Beim Unterkapitel der württembergischen
Auswanderung ist vor allem die Studie von Wolfgang von Hippel zu nennen, der mit seiner
Forschung wichtige statistische Daten sammelte und auswertete. Auch ein Überblicksband
von Karl-Heinz Meier-Braun wird in diesem Kapitel herangezogen. 4 Ein letzter Abschnitt
geht mithilfe von Hippels Studie näher auf die Ausgangssituation in Südwestdeutschland ein
und listet am Beispiel Württembergs einige Gründe für die Auswanderung auf, die in der
Struktur des Landes lagen und somit auch die subjektiven Motive beeinflussen konnten.
2 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.1.3 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.2.4 Vgl. Fußnoten in Kapitel 1.3.
4
Diese Arbeit geht davon aus, dass es nicht ausreicht, die persönlichen Meinungen von
Auswanderern und die äußeren Umstände, die zur Massenauswanderung beitrugen,
darzustellen, wie dies in den ersten zwei Kapiteln geschieht. Der dritte Teil soll sich daher vor
allem Theorien widmen, die in der Soziologie und in der Psychologie dazu genutzt werden,
Auswanderungsgründe besser zu verstehen und zu erklären. Insbesondere
sozialwissenschaftliche und verhaltenswissenschaftliche Forschungen streben danach, den
Prozess der Auswanderung in eine allgemeine Theorie einzubetten, mit der das Handeln der
Menschen erklärt werden kann. Zwar richtet sich diese Forschung meist auf aktuelle
Phänomene und das Ziel ist es, die Integration und die Assimilation von Migranten im
Aufnahmeland zu erklären. Wichtig für diese Arbeit ist jedoch der Ausgangspunkt solcher
Theorien, die in einem ersten Schritt ebenfalls nach einem Grund für die Auswanderung
suchen. Zunächst werden die soziologischen Theorien von Ernest George Ravenstein, Shmuel
N. Eisenstadt, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Hartmut Esser erläutert. Der
Überblicksband von Petrus Han hilft jeweils bei der Darstellung. Anschließend richtet sich der
soziologische Blick auf die Bevölkerungstheorie, die vor allem von Peter Marschalck
vertreten wird. Ebenso wird auf das Problem der Ehebeschränkungen mithilfe des Werks von
Klaus-Jürgen Matz eingegangen. Auch frühe Wegbereiter der Bevölkerungstheorie, wie
Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus, werden mithilfe der Darstellung von
Herwig Birg nach ihren Ansichten befragt. 5 Im folgenden Unterkapitel wird lediglich Folkert
Lüthke herangezogen, der in seiner Forschung einige psychologische Theorien näher
betrachtet, die ebenso in diese Arbeit einbezogen werden sollen.6
In einem letzten Unterkapitel des dritten Teils wird versucht, eine Verbindung zwischen den
verwendeten Quellen und den soziologischen und psychologischen Theorien herzustellen.
Ebenso sollen Fragestellungen weiterentwickelt werden, die sich daraus ergeben. Einige
Fragen können mithilfe dieser Arbeit beantwortet werden, was in einem abschließenden Fazit
geschehen soll. Andere Fragen bleiben eventuell offen und eignen sich für künftige
Forschungsansätze.
5 Vgl. Fußnoten in Kapitel 3.1.6 Vgl. Fußnoten in Kapitel 3.2.
5
1. Die Konjunktur der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Bei der Bearbeitung eines Themas wie der Auswanderung im 19. Jahrhundert sollten zunächst
einige Dinge beachtet werden. Zum einen ist es wichtig, eine gewisse geografische und
zeitliche Eingrenzung vorzunehmen. Das Phänomen der Auswanderung im 19. Jahrhundert
kann in verschiedene Phasen gegliedert werden, die sich jeweils durch die zahlenmäßige
Stärke der Bewegungen voneinander unterscheiden lassen, als auch durch strukturelle
Unterschiede in der Art ihrer Zusammensetzung. Wie sich diese Unterschiede im Einzelnen
offenbaren, soll hier in den Unterkapiteln zu den länderspezifischen Schwerpunkten näher
aufgeschlüsselt werden. Diese Arbeit bezieht sich geografisch vor allem auf den Südwesten
Deutschlands, wobei zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keinesfalls von einem Nationalstaat
die Rede sein kann. Daher ist es auch wenig sinnvoll, eine gesamtdeutsche Auswanderung im
19. Jahrhundert analysieren zu wollen, zumal selbst der Wegzug in einen benachbarten
deutschen Fürstenstaat von den Behörden als Auswanderung behandelt wurde. Daher sollen
hier drei geografische Schwerpunkte unabhängig voneinander betrachtet werden: zunächst die
Pfalz und in den darauffolgenden Unterkapiteln die Auswanderung aus Baden und
Württemberg. Auch in der gängigen Forschungsliteratur wird das Thema Auswanderung meist
mit einem regionalen Schwerpunkt behandelt, wodurch es leichter fällt, spezifisch auf die
Situation in einem der Gebiete einzugehen.
In diesem ersten Kapitel soll zunächst eine Datengrundlage für die darauffolgenden Analysen
aufbereitet werden. Die genauen Gründe und persönlichen Motive der Auswandernden
können nur dann erfasst werden, wenn zunächst das Ausmaß des Gesamtphänomens
verdeutlicht wurde. Wichtig für diese Arbeit ist vor allem die Frage nach der konjunkturellen
Entwicklung der Auswanderung. Hierdurch können verschiedene Höhepunkte der
Massenauswanderung im 19. Jahrhundert ausgemacht werden. Um den Zeitraum besser
einzugrenzen, bezieht sich diese Arbeit vor allem auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mit
einigen Vorläufern der Massenauswanderung. Weitere Daten, die beispielsweise in einer
Studie von Wolfgang von Hippel 7 erfasst wurden, sind die berufliche Herkunft der
Auswandernden, die Familienverhältnisse und weitere persönliche Aspekte, wie etwa die
Vermögensverhältnisse. Zudem können anhand der Daten die jeweils gewählten Zielgebiete
der Auswanderer aufgeschlüsselt werden, die hier ebenfalls aufgeführt werden sollen.
7 Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984.
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1.1 Die Auswanderung aus der Pfalz
Die pfälzische Auswanderung, sowohl nach Amerika als auch in Richtung Ost-Mitteleuropa
bis nach Russland, hatte bereits vor dem 19. Jahrhundert eine lange Tradition und kann bis
zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 zurückdatiert werden. Bereits zu Beginn des 18.
Jahrhunderts kann eine erste Massenauswanderung nach Amerika festgestellt werden, an der
etwa 13.000 Menschen8 im Jahr 1709 beteiligt waren. Ein Sammelpunkt für die Überfahrt war
London, wo große Notlager errichtet wurden. Sicherlich stammten dabei nicht sämtliche
Auswanderer aus der Pfalz. Der Begriff „Palatine“ wurde häufig als Sammelbegriff
verwendet, um die deutschsprachige Herkunft zu kennzeichnen. Neben dem sprachlichen
Sammelbegriff scheint es zunächst sinnvoll zu erläutern, welche Territorien im 18. und 19.
Jahrhundert mit der Pfalz am Rhein zusammengefasst wurden. Nach Trautz umfasste dies
sowohl das sehr zersplitterte Gebiet der Kurpfalz, das teilweise bis zum Hunsrück reichte,
sowie das Herzogtum Zweibrücken und die jeweils dazwischenliegenden weltlichen und
geistlichen Gebiete mitsamt der Reichsstädte Speyer und Worms. 9 Unter den Auswanderern,
die tatsächlich aus der Pfalz in Richtung Amerika aufbrachen, gab es jedoch nicht nur
gebürtige Pfälzer, sondern beispielsweise auch eine Reihe von Schweizern. Darunter befanden
sich zahlreiche Hugenotten und Mennoniten, die in den reformierten Gebieten der Pfalz
aufgenommen wurden. Wenn hier also von einer pfälzischen Auswanderung die Rede ist,
kann darin eine bereits erfolgte Auswanderung aus einem anderen Gebiet mit inbegriffen sein.
Oftmals kann in der Statistik die genaue Herkunft der Auswanderer nicht aufgeschlüsselt
werden, dies geschieht dann im Einzelfall über biografische Angaben.
Die Zielgebiete der ersten pfälzischen Auswanderer waren zunächst die amerikanischen
Staaten Pennsylvania, New York und North Carolina. Auch wenn eine erste Welle der
Massenauswanderung bereits im Jahr 1709 erreicht wurde, wurde die Überfahrt und die
Niederlassung im Zielgebiet meist in Gruppen von einigen hundert Personen versucht. Daher
kann diese erste Phase im 18. Jahrhundert auch als Zeit der Gruppenauswanderung bezeichnet
werden. Den Auswanderern wurde zunächst recht großzügig Land zugewiesen, auf dem diese
dann siedeln konnten. So ließ sich etwa der Berner Patrizier Christoph von Graffenried 10 mit
einer Gruppe von Pfälzern in North Carolina nieder.
8 Fritz Trautz, Die pfälzische Auswanderung nach Nordamerika im 18. Jahrhundert, Heidelberg 1959, S. 5.9 Ebd., S. 7.10Ebd., S. 8.
7
Die Auswanderung im 18. Jahrhundert war häufig auch religiös begründet, viele
Auswanderergruppen waren in sich konfessionell geschlossen. So versuchten etwa
Mennoniten, die in der Pfalz lediglich geduldet waren und dort nur einen vorübergehenden
Aufenthaltsort sahen, in den Jahren 1709/1710 ihre Auswanderung „(...) nach dem ‚neuen
Kanaan‘ im ‚engelländischen America‘ (...)“ 11 anzutreten. Die Ansiedlung im Staat New York
scheiterte jedoch im Jahr 1711, als von der Regierung für den Unterhalt der in der
Teergewinnung eingesetzten Pfälzer bereitgestelltes Geld von dem Indianeragenten,
Steuerbeamten und Armeelieferanten Robert Livingston veruntreut wurde. Es folgte ein
Aufstand der Palatines und die Weiterarbeit wurde eingestellt. Von diesen Ereignissen
abgeschreckt, die auch als Nachrichten in die Pfalz gelangten, riss der Auswandererstrom
zunächst erst einmal ab.
Nach der gescheiterten Ansiedlung in New York zog es viele Auswanderungswillige ab etwa
1720 nach Pennsylvania, wo bis dahin nur einige hundert deutsche Familien lebten. Bis 1730
zog es etwa 15.00012 Auswanderer per Schiff aus Rotterdam nach Philadelphia. Bis zu diesem
Zeitpunkt wurden die reformierten Pfälzer lediglich von Pfarrer John Wilhelmius erfasst, der
sich dort um die Auswanderer kümmerte. Ab 1730 wurden in Philadelphia Eid- und
Schiffslisten geführt, die bis 1775 weitere 68.872 Einwanderer erfassten, welche deutsch
sprachen. Die Zahlen geben einen Überblick über die im 18. Jahrhundert erfolgte
Auswanderung nach Nordamerika. Bei den Angaben des Pfarrers handelte es sich jedoch eher
um eine Schätzung und in Philadelphia wurden sämtliche deutschsprachige Einwanderer
zusammengefasst. Eine genaue Aussage über die Zahl der ausgewanderten Pfälzer lässt sich
daher schwerlich treffen. Laut Scherer stammte die Mehrzahl der Deutschen in Pennsylvania
aus der Kurpfalz, dem Herzogtum Zweibrücken, den Bistümern Speyer und Worms, der
Markgrafschaft Baden, der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, den Nassauischen
Fürstentümern sowie der Grafschaft Hanau-Lichtenberg. 13 Auch einige Württemberger waren
wohl darunter. Diese Gebiete können insgesamt als Südwestdeutschland eingeordnet werden.
Einige Gebiete in der britischen Kolonie waren bereits im 18. Jahrhundert zu einem großen
Teil von Deutschen besiedelt. Dies wird auch am sogenannten Pennsylvanian Dutch deutlich,
das sich aus dem Pfälzischen ableitet und bis heute gesprochen wird.
11Karl Scherer, „ist in Pennsylvanien gezogen...“ - eine Skizze zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Roland Paul, Karl Scherer (Hrsg.), Pfälzer in Amerika. Palatines in America, Kaiserslautern 1995, S. 23.
12Ebd., S. 28.13Ebd., S. 28 – 29.
8
Der Unabhängigkeitskrieg ab 1776 teilte die Palatines in Amerika in verschiedene Lager,
wodurch sich deutsche Auswanderer auch feindlich gegenüberstehen konnten. Auf die Phase
des Krieges soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Das Ende des Krieges spielte
allerdings bei der Auswanderung eine Rolle, die ab 1783 nur langsam wieder in Fahrt kam. In
den zehn Jahren bis 1793 stiegen die Zahlen langsam wieder an, jedoch erreichte die
Konjunktur der Auswanderung nicht wieder die Höhepunkte des 18. Jahrhunderts wie etwa
1709/1710 oder die Zeitspanne zwischen 1730 und 1775. Die großen Auswandererhäfen, wie
beispielsweise Rotterdam, waren im Zeitraum zwischen 1793 und 1815 geschlossen. 14 Dies
lag wohl vor allem an der französischen Revolution und der darauffolgenden napoleonischen
Ära, in der die Pfalz ebenfalls wesentlich von Umwälzungen betroffen war.
Nach dem kurzen Überblick über die pfälzische Auswanderung im 18. Jahrhundert, soll nun
der Fokus vor allem auf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen. Wie bereits
festgehalten, stand der Motor der Auswanderung bis 1815 still. Doch nicht lange nach den
napoleonischen Kriegen, dem Wiener Kongress und der Neuordnung Europas kam es erneut
zu Massenauswanderungen.
Seit 1816 gehörte die Pfalz zum Königreich Bayern und wurde von München aus regiert.
Auch die offiziellen Statistiken, welche die Auswanderung erfassten, wurden daher von
bayerischen Behörden geführt. Gleich zu Beginn der bayerischen Zeit konnte eine große
Auswanderungswelle ausgemacht werden. In den Jahren 1816/17 verließen etwa 15.000 15
Menschen den badisch/elsässisch/pfälzischen Raum in Richtung Amerika. Eine gleiche
Anzahl von Auswanderern versuchte ihr Glück in Russland. Auch in Württemberg war die
Massenauswanderung deutlich zu spüren, weshalb dort eine offizielle Befragung der
Auswanderer durch Friedrich List vorgenommen wurde. Die Ergebnisse dieser Befragung
stehen im Kapitel 2.2 dieser Arbeit im Vordergrund. Vorausgegangen waren der
Auswanderungswelle der Jahre 1816/17 eine sehr schlechte Getreideernte im Jahr 1815 und
weitere Ausfälle durch Hagelschläge im darauffolgenden Frühsommer. Dies hatte zur Folge,
dass die Getreidepreise stark anstiegen und für weite Teile der Bevölkerung schlicht zu teuer
waren. Die Auswanderung war für viele Menschen ein probates Mittel, um in einem anderen
Land bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Die bayerische Regierung versuchte ein Mittel
dagegen zu finden, und wollte Pfälzern die Ansiedlung in Altbayern schmackhaft machen.16
14Karl Scherer, „ist in Pennsylvanien gezogen...“, Kaiserslautern 1995, S. 38.15Roland Paul, Auswanderung aus der Pfalz vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Roland Paul, Karl
Scherer, (Hrsg.), Pfälzer in Amerika. Palatines in America, Kaiserslautern 1995, S. 64.16Ebd.
9
Abb. 1: Die Entwicklung der Aus- und Einwanderungsziffer auf der Grundlage der offiziellen bayerischen Statistik im 19. Jahrhundert
Abbildung 117 zeigt den Verlauf der offiziellen Aus- und Einwanderungsziffern für die Pfalz,
die von den bayerischen Behörden im 19. Jahrhundert erfasst wurden. Dabei wird deutlich,
dass die Auswanderungszahlen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stets höher waren als die
Einwanderungsziffern. Die Auswanderungswelle der Jahre 1816/17 ist in diesem Schaubild
noch nicht erfasst, da die Statistik erst im Jahr 1818 einsetzte. Ein Höhepunkt der pfälzischen
Auswanderung im 19. Jahrhundert kann in den Jahren zwischen 1852 und 1855 ausgemacht
werden. Diese Auswanderungsbewegung bildet einen wichtigen Einschnitt in der
Bevölkerungsentwicklung der Pfalz und hängt eng mit den Revolutionsereignissen von
1848/49 und der darauffolgenden Reaktionsära zusammen. In dieser Arbeit soll jedoch stärker
auf die Entwicklung der Auswanderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingegangen
werden. Seit 1818 bis etwa zum Jahr 1830 blieb die Auswanderung auf einem durchgehend
eher niedrigen Niveau unter 1000 Menschen pro Jahr. Erst ab 1830 stieg die
Auswanderungsziffer erneut an. Auffällig an der Bewegung der Kurve ist der sprunghafte
Anstieg der Zahlen und das ebenso schnelle Absinken nach dem Erreichen einer Spitze.
17Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“. Zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Kaiserslautern 1989, S. 165. (Schaubild 5, Ausschnitt).
10
Vor allem in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann ein weiteres Zielgebiet neben
Nordamerika für einige Auswanderer interessant zu werden. Die südbrasilianische Provinz
Rio Grande do Sul wurde aktiv durch den brasilianischen Kaiser Don Pedro I. und seine Frau,
die österreichische Erzherzogin Leopoldine beworben, um Auswanderer dort anzusiedeln. 18
Diesem Ruf folgten einige pfälzische und hunsrückische Bauern, allerdings hielt sich die Zahl
der Auswanderer in Grenzen, was bereits anhand der Auswandererziffern kenntlich gemacht
wurde.
Von einer Massenauswanderung im 19. Jahrhundert kann erst ab den 1830er Jahren
gesprochen werden, als die Auswanderungsziffer dauerhaft über der Einwanderungsziffer der
Pfalz lag und selbst schwache Auswandererjahre deutlich in der Statistik zu spüren waren.
Eine Spitze der Auswanderungszahlen wurde nach dem Hambacher Fest im Jahr 1832 mit
etwa 8000 pfälzischen Auswanderern erreicht. Vor allem nach Nordamerika sollte der
Aufbruch gewagt werden, der nicht mehr nur mittellose Bauern und Arbeiter betraf, sondern
nun auch Intellektuelle, die mit dem System Metternich nach dem Wiener Kongress nicht
einverstanden waren. Nach der ersten Massendemonstration auf dem Hambacher Schloss im
Jahr 1832 wurden viele der Beteiligten und selbst Sympathisanten durch den eingerichteten
Polizeistaat verfolgt. Unter den Auswanderern befanden sich nicht nur diejenigen, die
aufgrund ihrer liberalen oder gar demokratischen Gesinnung verfolgt wurden, sondern auch
Menschen, die das herrschende System ablehnten, dies aber nicht offen kundtaten. 19 Auf
politisch Unzufriedene übte Nordamerika mit seiner dort herrschenden Freiheit eine große
Anziehungskraft aus. Auf die Gründe der Auswanderung, unter denen eine politische
Motivation jedoch eine geringere Rolle spielte, wird in späteren Kapiteln dieser Arbeit
zurückzukommen sein.
Verfolgt man die Auswanderungskurve der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Jahren
nach 1832 weiter, fallen weitere Spitzen in den Jahren 1836/37, 1840/41 und 1846/47 auf.
Berücksichtigt man lediglich die Zahlen vor einem weiteren großen Anstieg ab 1850, können
im Verwaltungsjahr 1846/47 zwischen 1. Oktober und 30. September die meisten
Auswanderer mit einer Gesamtzahl von etwa 6500 ausgemacht werden. Im Vergleich dazu
waren es zehn Jahre zuvor nur etwa 3500 Auswanderer. 20 Verantwortlich gemacht werden für
diese Wellen vor allem die sogenannten „futterarmen Jahre“ der vierziger Jahre.
18Roland Paul, Auswanderung aus der Pfalz, Kaiserslautern 1995, S. 64.19Ebd., S. 66.20Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“, Kaiserslautern 1989, S. 356.
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Werden die offiziellen Daten und Statistiken der bayerischen Behörden zur Betrachtung der
Auswanderungskonjunktur herangezogen, muss dies mit einiger Vorsicht geschehen. Die oben
gezeigte Kurve und die genannten Zahlen können meist nur einen Richtwert angeben, wobei
die tatsächlichen Auswandererzahlen um einiges höher ausfallen können. Laut der Darstellung
von Heinz gab es eine detaillierte Statistik in Bayern erst seit dem Verwaltungsjahr 1835/36
und selbst die Zahlen, die offiziell erfasst wurden, können unter der gesamten
Auswandererzahl liegen. 21 Zwar beginnt die Kurve der Auswandererziffern bereits im Jahr
1818, allerdings scheint es verlässliche Zahlen seitens der Behörden erst später gegeben zu
haben. Bei der Erfassung gab es ebenfalls einige Probleme, die sich auf die Statistik
auswirken konnten. Nicht alle Auswanderungen waren legal und von den Behörden
genehmigt. Oftmals mussten einige bürokratische Hürden gemeistert werden, um eine
offizielle Auswanderungserlaubnis zu erhalten, beispielsweise musste die eigene
Staatszugehörigkeit zunächst aufgegeben werden. Dies war mit einem gewissen Risiko
verbunden, da ohne das Staatsbürgerrecht kein Anspruch auf eine Armenunterstützung geltend
gemacht werden konnte. Im Falle eines Scheiterns konnten Auswanderer also nicht einfach
zurückkehren und sozial unterstützt weiterleben. So sah die Praxis oft anders aus: man zog
zunächst heimlich fort, um sich ein Standbein im Auswanderungsland aufzubauen und erst
wenn beispielsweise Verwandte nachgeholt werden sollten, wurde die Auswanderung bei den
Behörden offiziell gemeldet.
Dennoch wurde versucht, auch illegale Auswanderungen in der Statistik zu erfassen.
Allerdings war dies nur in manchen Fällen möglich, beispielsweise wenn noch vorhandene
Schulden ausstanden 22 und diese eingetrieben werden sollten. In gewisser Weise waren die
Behörden also darauf angewiesen, in Kontakt mit dem Auswanderer zu kommen.
Unterschieden werden konnte lediglich zwischen offiziell beantragten Auswanderungen und
versuchten heimlichen Auswanderungen, die jedoch durch Gerichtsverfahren oder andere
Verbindlichkeiten ins Blickfeld der Behörden gelangten.
Eine Möglichkeit, die genauen Auswandererzahlen im Nachhinein festzustellen, ist die
Berechnung der Bevölkerungsbilanz 23 in einem bestimmten Zeitraum. Hierbei werden
Geburten- und Sterbefälle statistisch erfasst, woraus eine natürliche Bevölkerungszunahme
oder -abnahme entsteht. Im Vergleich mit der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung kann
21Joachim Heinz, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“, Kaiserslautern 1989, S. 163.22Ebd.23Ebd., S. 164.
12
dann der Unterschied entweder auf Einwanderungen oder Auswanderungen zurückgeführt
werden. Eine detaillierte Aufstellung der Zahlen kann hier nicht erfolgen, stattdessen soll der
Überblick mit den behördlich erfassten Daten zunächst genügen.
Im Auswanderungsverlauf der Pfalz stand bislang Nordamerika als Zielgebiet im
Vordergrund. Allerdings darf auch die pfälzische Ostwanderung nicht in der Betrachtung
fehlen, daher soll nun noch einmal spezifischer auf diesen Migrationsstrom eingegangen
werden. Bereits im 18. Jahrhundert wanderten Pfälzer nicht nur in Richtung Amerika aus,
sondern ebenfalls nach Osten. Zunächst waren es vor allem preußische Gebiete, in denen eine
Ansiedlung vorgenommen wurde. Diese Siedlungspolitik war vor allem im Interesse des
absolutistischen Staates. Herrscher erhofften sich durch eine Bevölkerungszunahme in eher
wenig bevölkerten Gebieten eine vergrößerte Wirtschaftsmacht und nicht zuletzt auch höhere
Steuereinnahmen. Schon der Vater Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm I., begann ab
den 1720er Jahren mit der Ansiedlung von Pfälzern, Nassauern, Württembergern, Schweizern
und anderen Auswanderern in Preußisch Litauen 24. Dieser östlichste Teil Preußens war nach
dem Befall mit der orientalischen Beulenpest in den Jahren 1709/1710 weitestgehend zu einer
Einöde geworden. Pfälzische Siedler, die zu dieser Zeit als sehr gute Ackerbauern galten,
gründeten etwa 20 neue Orte und sorgten somit für etwas mehr Leben in Litauen. Friedrich
der Große setzte nach seinem Herrschaftsantritt die Bemühungen seines Vaters fort,
Auswanderer als Siedler für Preußisch Litauen zu finden. Ab 1741 waren jedoch vielmehr die
zentralpreußischen Provinzen Pommern, Kurmark und Neumark 25 zum Zielgebiet der
pfälzischen Auswanderer geworden. Häufig wurden Auswanderer auch für die Gewinnung
von neuem Land herangezogen, wie beispielsweise für die Trockenlegung von Gebieten an
Oder, Warthe und Netze in den 50er und 60er Jahren des 18. Jahrhunderts.
Etwa zur selben Zeit begann die Auswanderung nach Russland, die sehr stark von Kaiserin
Katharina II. gefördert wurde. Vor allem an der Wolga sollte die Ansiedlung von
Auswanderern stattfinden. Den Zahlen nach war diese Auswanderungsbewegung mit etwa
15.000 deutschen Kolonisten wohl lediglich mit dem Wegzug in Richtung Amerika in den
Jahren 1709/10 vergleichbar. 26 Unter den Auswanderern befand sich ein großer Anteil von
Pfälzern, allerdings auch zahlreiche andere Deutsche. Über sprachwissenschaftliche
Untersuchungen konnte die genaue Herkunft bestimmt werden.
24Friedrich-Karl Hüttig, Die pfälzische Auswanderung nach Ost-Mitteleuropa im Zeitalter der Aufklärung, Napoleons und der Restauration, Marburg/Lahn 1958, S. 11.
25Ebd., S. 30.26Ebd., S. 37.
13
Neben den preußischen und russischen Gebieten wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch
ein österreichisches Territorium als Zielgebiet für Auswanderer interessant. Ab 1780 war
Kaiser Joseph Alleinherrscher der habsburgischen Länder, zu denen nach der ersten
polnischen Teilung im Jahr 1772 auch Galizien gehörte. Dieses Land war historisch gesehen
keine Einheit und wurde lediglich aus Polen herausgeschnitten. Das Gebiet war
landwirtschaftlich gesehen schon gut ausgebaut, lediglich in Ostgalizien war noch freier
Raum für Siedler vorhanden. 27 In den Jahren von 1782 bis 1785 kamen zahlreiche Pfälzer in
diese Region, die teilweise direkt von der österreichischen Regierung angeworben wurden.
Auch die zweite und dritte polnische Teilung hatte Einfluss auf die Auswanderungspolitik,
allerdings wieder unter preußischer Herrschaft. Preußen erhielt die Gebiete von Posen,
Kalisch und Warschau sowie einen Teil der Region um Krakau und weitere Landesteile
zwischen Weichsel, Bug und Njemen. Daraus wurden die neuen Provinzen Südpreußen sowie
Neuostpreußen. Die Kolonisation ruhte unter König Friedrich Wilhelm II. weitestgehend und
setzte erst wieder unter Friedrich Wilhelm III. ein. 28 Vor allem zur Jahrhundertwende in den
Jahren 1799 bis 1804 wurde Südpreußen teils durch staatliche Aktionen und teils durch
Auswanderungen aus eigenem Antrieb zum Zielgebiet für Südwestdeutsche. Betrachtet man
die Geschichte der pfälzischen und insgesamt südwestdeutschen Ostwanderung, fällt auf, dass
im Gegensatz zur Amerika-Auswanderung kein Stillstand in der napoleonischen Ära auftrat.
Dies lag sicherlich daran, dass die innereuropäische Wanderung einfacher zu bewältigen war
und kein langer beschwerlicher Seeweg dazwischen lag. Außerdem kümmerten sich staatliche
Akteure gezielt um die Anwerbung von neuen Siedlern in bestimmten Gebieten.
Zwar wurden nach dem Wiener Kongress einige Landesgrenzen neu aufgeteilt, dies tat jedoch
der Auswanderung in Richtung Osten keinen Abbruch. Das neue Königreich Polen, oder auch
Kongresspolen genannt, war in Personalunion mit Russland verbunden. Auch hier tat die
Regierung einiges dafür, dass ausländische Kolonisten günstige Konditionen für die
Ansiedlung bekamen, wie beispielsweise eine Abgabenfreiheit und eine Befreiung vom
Militärdienst.29 Eine wichtige Bedingung war lediglich, dass vorhandene Güter gut
bewirtschaftet werden mussten. Die Auswanderungswelle aus Südwestdeutschland nach
Kongresspolen dauerte von 1816 bis 1819. Weitere Auswanderungen fanden in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Galizien unter Kaiser Franz II. und in das
27Friedrich-Karl Hüttig, Die pfälzische Auswanderung nach Ost-Mitteleuropa, Marburg/Lahn 1958, S. 53.28Ebd., S. 79.29Ebd., S. 96.
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Schwarzmeergebiet unter den Zaren Alexander I. und Nikolaus I. Statt. Nach dem Überblick
über die pfälzische Auswanderung soll nun in den folgenden Unterkapiteln spezifischer auf
die Auswanderungen aus dem badischen und dem württembergischen Raum eingegangen
werden.
1.2 Badische Auswanderungsbewegungen
Ebenso wie die Auswanderung aus der Pfalz hat auch die badische Auswanderung eine
Tradition im 18. Jahrhundert. So sollen sich etwa im Jahr 1753 zahlreiche Badener im
amerikanischen Staat New York niedergelassen haben. Diese gründeten dort eine Siedlung
namens Neu-Durlach 30, welche später in Sharon-Springs umbenannt wurde. Auch Polen und
Russland waren bereits im 18. Jahrhundert Zielgebiete badischer Auswanderer. Schwierig
wird es, wenn einzelne Auswanderungswellen aus Baden im 18. Jahrhundert herausgestellt
werden sollen. Häufig gibt es in der Literatur keine statistisch erfassten Zahlen zur Stärke der
badischen Migration. Eine ähnliche Studie wie von Hippel sie für Württemberg durchführte,
gibt es für den badischen Raum nicht. Erst mit dem Beginn der Massenauswanderung im 19.
Jahrhundert können Auswanderungswellen aus Baden genauer betrachtet werden. Zu diesem
Zeitpunkt wurde der Wegzug vieler Menschen erstmals relevant für staatliche Behörden, die
dann versuchten, zumindest die legalen Auswanderungen zu erfassen.
Die erste Massenauswanderung im 19. Jahrhundert betraf den gesamten südwestdeutschen
Raum und somit gleichzeitig die Pfalz, Baden und Württemberg. Die Jahre 1816/17 waren
von Missernten, einem Mangel an Nahrungsmitteln und der sich daraus ergebenden Teuerung
geprägt. Hinzu kam die Aufhebung der Kontinentalsperre, die Napoleon zuvor eingeführt
hatte. Somit überschwemmten günstige englische Produkte den Kontinent, der dem
Wettbewerb nicht standhalten konnte. Eine Folge war hohe Arbeitslosigkeit, da es auf dem
Land keine Arbeit mehr gab und die zahlreichen Arbeiter auch in städtischen Fabriken nicht
aufgenommen werden konnten. 31 Ein Ausweg war für viele der arbeitslos gewordenen
Arbeiter die Auswanderung. Vor allem Badener wählten in den sogenannten Hungerjahren
den transatlantischen Weg nach Westen, zumal die Aufnahme in Russland zu diesem
Zeitpunkt erschwert wurde. Die russische Grenze wurde ausgerechnet zum Zeitpunkt der
30Michael Rehs, Hans-Joachim Haager, Wurzeln in fremder Erde. Zur Geschichte der südwestdeutschen Auswanderung nach Amerika, Stuttgart 1984, S. 42.
31Fies, Alexandra, Die badische Auswanderung nach Nordamerika unter besonderer Berücksichtigung des Amtsbezirks Karlsruhe zwischen 1880 – 1914 (Diss.), Karlsruher Institut für Technologie 2010, S. 74.
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Auswanderungswelle in den Jahren 1816/17 geschlossen. Der Bedarf an neuen Einwanderern
war für die russische Regierung wohl erst einmal gedeckt, daher wurden die Bedingungen für
eine Einreise verschärft. 32 Die Zeit der sogenannten Peuplierungspolitik des 18. Jahrhunderts
mit großzügigem Entgegenkommen, beispielsweise mit der Ersetzung der Reisekosten und
einer Abgabenfreiheit, war vorbei.
Hingegen wurde ein anderes System wieder attraktiv für zahlreiche Auswanderer, die sich die
Überfahrtskosten von etwa 170 Gulden von Le Havre nach New York 33 nicht leisten konnten.
Als Redemptioner konnte man sich dennoch einschiffen, d.h. man musste im Gegenzug einen
Vertrag unterzeichnen, der zur Arbeit über mehrere Jahre in einem amerikanischen Haushalt
oder Betrieb verpflichtete. Die Verträge wurden meist über die Kapitäne der jeweiligen
Schiffe ausgehandelt, die sich hierdurch die Überfahrt von amerikanischer Seite aus bezahlen
lassen konnten. Auch für die Auswanderer selbst entstanden aus der Verpflichtung Vorteile, da
sie somit für die erste Zeit einen festen Arbeitsplatz bekamen und für Kost und Logis nichts
bezahlen mussten. Dieses System war jedoch aufgrund der großen Zahl an Auswanderern in
den Jahren 1816/17 nicht mehr praktikabel und wurde schließlich eingestellt. Innerhalb eines
Zeitraums von zwölf Monaten wurden in Baden etwa 20.000 Auswanderungsgesuche
genehmigt.34 Allein an dieser Zahl ist erkennbar, dass der Drang die eigene Heimat zu
verlassen sehr groß war. Nicht alle Menschen mit einer Auswanderungsgenehmigung setzten
dies jedoch auch in die Tat um. Nach der Darstellung von Hochstuhl verließen davon etwa nur
die Hälfte tatsächlich als Auswanderer das Land. Dennoch stellte die große Masse an
Auswanderungswilligen die Behörden vor einige Probleme.
Eine Antwort auf diese erste Massenauswanderung konnte nicht sehr rasch gefunden werden.
Man hoffte lediglich, dass sich recht bald wieder ein Normalzustand mit nur wenigen
Auswanderern pro Jahr durchsetzen würde. Allerdings blieb die Zahl der Auswanderer aus
Baden in der Folge auf einem deutlich spürbaren Niveau. Im Laufe der 1820er und 1830er
Jahre waren es etwa 3000 Menschen pro Jahr 35, die ihr Glück in Nordamerika versuchten.
Eine weitere Auswanderungswelle gab es noch in den Jahren 1831/32, als es erneut zu einem
starken Anstieg der Lebensmittelpreise aufgrund schlechter Ernten kam.
32Kurt Hochstuhl, Auswanderung aus Baden und Württemberg im 19. Jahrhundert, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.), Laupheimer Gespräche 2001. Auswanderung, Flucht, Vertreibung, Exil im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 62.
33Ebd.34Ebd., S. 63.35Ebd., S. 64.
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Auch wenn das sogenannte Redemptioner-System nach der Auswanderungswelle der Jahre
1816/17 zusammenbrach und somit mittellose Auswanderer die Überfahrt nicht im Voraus
bezahlen konnten, blieb Nordamerika während der gesamten ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ein begehrtes Ziel. Dazu trugen unter anderem verbesserte Reisebedingungen
bei, die eine Überfahrt im Laufe der Zeit wesentlich günstiger und zudem weniger gefährlich
machten. Die Entwicklung der Schifffahrt verkürzte die Reisezeit, die 1834 mit einem
Segelschiff von Bremen nach New York noch 50 Tage dauerte. Gegen Mitte des Jahrhunderts
war dies mit einem Schnellsegler in drei bis vier Wochen zu schaffen. 36 Bereits ab den 1840er
Jahren konnte die Reise auch mit einem Dampfschiff angetreten werden, das für die Strecke
auch nur 21 Tage brauchte. Die kürzere Reisezeit verringerte nicht nur das Risiko, aufgrund
schlechter hygienischer Bedingungen an Bord an einer Krankheit zu sterben, sondern
minderte ebenso die Reisekosten. Für die Überfahrt mussten um die Mitte der 1840er Jahre
keine 170 Gulden mehr sondern lediglich noch 50 Gulden37 bezahlt werden.
Auch eine andere Entwicklung war neben den verbesserten Reisebedingungen dafür
verantwortlich, dass sich das sogenannte Auswanderungsfieber in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts nicht wesentlich senkte. Die badische Regierung ging zunächst bis 1833 gegen
die Auswanderung vor und legte Auswanderungswilligen einige bürokratische Hürden in den
Weg. Die reaktive Auswanderungspolitik konnte jedoch auch nicht verhindern, dass
zahlreiche Menschen das Land verließen. Ab den 1830er Jahren kam es zu einem gewissen
Umdenken, da die Regierung einsah, dass sie die Auswanderung nicht stoppen, jedoch
zumindest in geordnete Bahnen lenken konnte. Die badische Regierung war die erste, die im
19. Jahrhundert den Weg einer regulierenden und präventiven Auswanderungspolitik
einschlug.38 Es wurden Konzessionen an Auswanderungsagenten erteilt, die dann nicht nur für
das Anwerben von Auswanderungswilligen zuständig waren, sondern ebenso für den sicheren
Transport bis nach Nordamerika sorgen mussten. In gewissem Maße förderte damit die
badische Regierung die Auswanderung, was einige positive Effekte zur Folge hatte. Da die
Überfahrt bereits mit dem Auswanderungsagenten geregelt wurde, kam es nicht mehr zu
großen Ansammlungen verarmter Menschen in den Hafenstädten, die auf einen Platz auf
einem Schiff hofften. Zudem waren viele Gemeinden in Baden froh, dass ärmere Menschen
wegzogen, die ansonsten der Armenhilfe bedurft hätten.
36Kurt Hochstuhl, Auswanderung aus Baden und Württemberg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 64.37Ebd.38Ebd., S. 66.
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Die Auswanderung aus Baden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war im Wesentlichen
eine große Welle der Jahre 1816/17, die von staatlichen Behörden und der Regierung nicht
aufgehalten werden konnte. Im weiteren Verlauf blieben die Zahlen auf einem niedrigeren,
aber dennoch spürbaren Niveau. Als erste Regierung ging die badische dazu über, ab den
1830er Jahren, die Auswanderung weniger stoppen zu wollen, als in geordnete Bahnen zu
lenken. Über Verträge mit Auswanderungsagenten wurde dafür gesorgt, dass die Auswanderer
gut in ihrem Zielland ankamen. Zudem konnten gezielt ärmere Auswanderer gefördert
werden, die sonst den Gemeinden zur Last fielen.
Eine weitere Entwicklung zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin sollte jedoch nicht aus den
Augen gelassen werden. Besonders nach der gescheiterten Revolution von 1848/49, die ihre
Keimzelle im Südwesten hatte, gab es viele Menschen, die das Land aus politischen Gründen
verließen oder fluchtartig verlassen mussten. Bei dieser Auswanderungswelle lässt sich ein
neuer Typus 39 von Auswanderern feststellen. Nicht mehr die materielle Armut trieb diese
Menschen aus dem Land, sondern vor allem politische und ideologische Gründe. Unter den
Auswanderern befanden sich nun auch Menschen aus höhergestellten Schichten, wie etwa
Ärzte, Gelehrte, Architekten und Künstler, die aus Enttäuschung über die gescheiterte
Revolution auswanderten oder selbst beteiligt waren und somit flüchten mussten. Amerika
war das Hauptzielgebiet der sogenannten Achtundvierziger, die sich nach der dort
herrschenden Freiheit sehnten. Häufig war jedoch geplant, die politischen Umstände im
eigenen Land aus der Ferne zu beeinflussen und gegebenenfalls später zurückzukehren, wenn
sich die Lage für sie verbessert hätte.
Zusammengenommen verließen in den Jahren zwischen 1846 und 1855 etwa 174.200 40
Personen aus Baden und der Pfalz ihre Heimat in Richtung Amerika. In der Reaktionsära nach
der gescheiterten Revolution wurden zudem viele Menschen aufgrund ihrer politischen
Überzeugungen verfolgt, die dann die Flucht nach Übersee antraten. Insgesamt belief sich die
Zahl der Flüchtlinge aus dem gesamten südwestdeutschen Raum in dieser Zeit auf etwa eine
halbe Million Menschen. 41 Zudem wurde Auswanderung fortan als Menschenrecht
verstanden, wofür sich eigens private Auswanderungsvereine bildeten. Unter den 14
Auswanderungsvereinen, die sich für die Rechte der Auswanderer einsetzten, befand sich
auch der im Jahr 1849 gegründete Badische Auswanderungsverein.
39Fies, Alexandra, Die badische Auswanderung ..., Karlsruher Institut für Technologie 2010, S. 77.40Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“ Zuwanderung und Auswanderung in Baden-Württemberg,
Stuttgart 2002, S. 132.41Ebd.
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Dieser Auswanderungsverein setzte sich auch noch nach der Revolution dafür ein, dass sich
die staatliche Verwaltung um die Auswanderer kümmerte. Im ureigenen Interesse des Staates
lag es, besonders mittellose Bürger in die Auswanderung abzuschieben, die dann nicht mehr
den Gemeinden zur Last fielen. Somit blieb das Prinzip der staatlichen
Auswanderungsförderung zunächst bestehen.
Im nächsten Unterkapitel soll nun die Entwicklung der württembergischen Auswanderung im
Mittelpunkt stehen.
1.3 Die württembergische Auswanderung
Bei der Betrachtung des Auswanderungsverlaufs aus dem Königreich Württemberg in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dient die grundlegende Studie von Wolfgang von Hippel als
erster Anhaltspunkt und als Datengrundlage. Dieser listet zum einen die offizielle Statistik der
Behörden, also der Oberämter, Kreisregierungen und Ministerien auf. Da diese Zahlen jedoch
nur die legalen und genehmigten Auswanderungen einbeziehen können, berechnet von Hippel
außerdem ein Wanderungssaldo 42 aus dem Vergleich zwischen Geburtenüberschuss und
tatsächlichem Bevölkerungszuwachs. Davon abgezogen werden noch die offiziellen Zahlen
der Einwanderungen, von denen weitestgehend Korrektheit angenommen wird. Jedoch besitzt
auch die Methode der Bevölkerungsbilanz einen Nachteil, da die Zahlen nur für den Zeitraum
zwischen zwei Volkszählungen berechnet werden können und nicht Jahr für Jahr. Somit
müssen auch die behördlich erfassten Auswanderungszahlen mitberücksichtigt werden.
Bei der Betrachtung der Auswanderungszahlen fällt auf, dass sich der Verlauf in Württemberg
nicht wesentlich von dem in der Pfalz oder in Baden unterscheidet. Es können drei große
Auswanderungswellen ausgemacht werden, wobei der Höhepunkt der
Massenauswanderungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts festgestellt werden kann. Nach den
Berechnungen der Bevölkerungsbilanz waren es 78.196 Auswanderer in den Jahren zwischen
1852 und 1855, zwischen 1849 und 1852 waren es 60.660. Interessant ist der besonders große
Anteil an heimlichen Auswanderungen in der Periode 1849-52, in der lediglich 23.81343 legale
Auswanderungen erfasst wurden. Die offizielle Statistik konnte im Durchschnitt nur etwa 57
Prozent der tatsächlichen Auswanderungen in ihren Zahlen verzeichnen.
42Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 137.
43Ebd., S. 139.
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Die erste große Auswanderungswelle ging auch in Württemberg mit den sogenannten
Hungerjahren 1816/17 einher. Schlechte Ernten und sehr teure Lebensmittel veranlassten auch
viele Württemberger das eigene Land zu verlassen. Die Methode der Bevölkerungsbilanz setzt
erst mit der Periode der Jahre zwischen 1823 und 1832 ein, daher muss für die Jahre 1816/17
die offizielle Statistik herangezogen werden. Von Hippel gibt in seiner Tabelle an, dass in den
behördlichen Bevölkerungstabellen nur ein Wert von 13.030 44 Auswanderern zu finden ist.
Daher setzt er für diesen Zeitraum einen Schätzwert von etwa 17.500 Auswanderern ein, den
er jedoch ebenfalls für zu niedrig hält. In jedem Fall war die behördlich bekannte Zahl der
Auswanderer so groß, dass der Rechnungsrat Friedrich List im Auftrag der
württembergischen Regierung eine offizielle Befragung nach den Auswanderungsgründen
durchführte. Die Angaben der Befragten werden in Kapitel 2.2 genauer untersucht.
Nach der ersten Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts hielt sich die Auswanderung aus
Württemberg zunächst in Grenzen. In der Statistik sind etwa 1000 bis 2000 Auswanderer pro
Jahr verzeichnet, realistischer sind jedoch 2000 bis 3000. Eine Ausnahme in diesem Muster
bilden noch die Jahre 1831/32, die eine zweite, wenn auch kleinere Auswanderungswelle
verzeichneten. Nach Behördenangaben verließen in diesem Zeitraum 7.066 Personen 45 das
Land. In der Bevölkerungsbilanz fällt diese Auswanderungswelle in die Periode zwischen
1823 und 1832 mit insgesamt 27.129 errechneten Auswanderern. Die offizielle Zahl lässt sich
daran schlecht überprüfen, sie sticht jedoch aus der durchschnittlichen Auswanderungszahl
heraus. Jede der drei Auswanderungswellen ging einher mit einem deutlichen Anstieg der
Lebensmittelpreise. Dies zeigt von Hippel anhand der Entwicklung des Dinkelpreises 46, der
jeweils 1816/17, 1831/32 und auch zur Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich anstieg.
Die quantitative Auswertung der württembergischen Auswanderungsbewegungen ermöglicht
lediglich eine Vorstellung über das Ausmaß zu bestimmten Zeitpunkten oder in definierten
Zeiträumen. Um ein besseres Gesamtbild zu erhalten, ist es weiterhin wichtig, die Zielgebiete
der Auswanderer festzuhalten und auf die Umstände der Reise näher einzugehen. Die
Zielrichtung der Auswanderung wurde nicht selten durch eine lange bestehende Tradition
festgelegt. Ähnlich wie in der Pfalz und auch in Baden bildete sich eine solche Vorgeschichte
im 18. Jahrhundert heraus. Im Fall der württembergischen Auswanderung kann hier auf die
drei sogenannten Schwabenzüge in das Habsburgerreich eingegangen werden.
44Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 138.45Ebd.46Ebd., S. 149.
20
Die schwäbische Auswanderung in Richtung Ost- und Südosteuropa fand über das gesamte
18. Jahrhundert entlang der Donau statt und reichte teilweise bis ans schwarze Meer und in
den Kaukasus.47 Ein Hauptziel der Schwabenzüge war jedoch zunächst Ungarn, wo sich etwa
60.000 Deutsche in der Regierungszeit Karls VI. zwischen 1711 und 1740 niederließen. Nicht
alle Auswanderer stammten dabei aus dem schwäbischen Raum, geworben wurde
beispielsweise auch im Rheinland und an Main und Mosel. Dennoch wurden die Siedler von
den Ungarn und Serben einheitlich als Schwaben bezeichnet, somit setzte sich dies auch bald
als Selbstbezeichnung durch. 48 Die ersten Siedlungsgebiete waren beispielsweise das
ungarische Mittelland, Siebenbürgen und die sogenannte schwäbische Türkei zwischen
Plattensee und Donau. Hinter der dortigen Ansiedlung steckten auch starke politische
Interessen. Zum einen sollte das eher karge und menschenleere Land durch die Kolonisten
bewirtschaftet und zum anderen gegen die erst kurz zuvor vertriebenen Türken gesichert
werden. Aus diesem Grund wurden auch einige Wehrsiedlungen eingerichtet, in denen die
Bauern zum Wehrdienst verpflichtet wurden.49
Die Reise der sogenannten Donauschwaben (die Bezeichnung setzte sich jedoch erst im 20.
Jahrhundert durch) fand auf Flussschiffen statt. Diese fuhren regelmäßig in Richtung Wien,
wo ein erster Zwischenstopp für die Siedler mit weiteren Instruktionen stattfand. Die
sogenannten Ulmer Schachteln50 benötigten für die Fahrt im Sommer etwa acht bis neun Tage,
im Frühjahr und im Herbst konnte die Reise bis zu drei Wochen dauern. Im Winter wurde der
Schiffsverkehr eingestellt. Ab Wien ging die Fahrt weiter auf der Donau bis nach Budapest.
Die Auswanderung in das habsburgische Ungarn war während des gesamten 18. Jahrhunderts
nicht ungefährlich. Oft wurden die schwäbischen Siedler mit zahlreichen Versprechungen
angeworben, wie beispielsweise fruchtbarem Land, weiten Wiesen für das Vieh, der
Aufhebung der Leibeigenschaft und weiteren Vorzügen. Stattdessen war das Land eher kahl
oder sumpfig und es machten sich Krankheiten breit. Zudem fielen immer wieder die Türken
ein und zerstörten zahlreiche Siedlungen. Einige Siedler gerieten hierdurch in die türkische
Sklaverei oder mussten gar ihr Leben lassen. Ein Sprichwort charakterisierte die
Schwabenzüge mit dem Satz: „Der Erste hat den Tod, der Zweite die Not, der Dritte das
Brot“.51 Somit konnten Siedler erst nach einer risikoreichen Zeit gut in Südosteuropa leben.
47Karl-Heinz Meier-Braun, Reinhold Weber, Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg, Leinfelden-Echterdingen 2009, S. 73.
48Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 96.49Ebd.50Ebd., S. 98.51Ebd., S. 96.
21
Die schwäbische Auswanderung richtete sich trotz der Risiken und Gefahren während des
gesamten 18. Jahrhunderts in Richtung Ost- und Südosteuropa. Zu Beginn des 19.
Jahrhunderts kann noch einmal ein Höhepunkt bei der Besiedlung dieses Zielgebiets
festgehalten werden. In den Jahren zwischen 1802 und 1805 zog es etwa 2000 Württemberger
in das ungarische Banat und einige kinderreiche Familien wurden für die Auswanderung nach
Galizien geworben.52 Nach dieser erneuten Auswanderungsbewegung ließ die
Donaumigration aus Südwestdeutschland spürbar nach. Die ungarischen Siedlungsgebiete
wurden langsam von anderen Auswanderungszielen abgelöst, wie etwa von der
transatlantischen Auswanderung nach Nordamerika. Zwar wurde die Tradition der
Auswanderung nach Südosteuropa zunächst gebrochen, jedoch lebte diese zu späteren
Zeitpunkten wieder auf, wie etwa in den Jahren 1845/46, als sich 406 Familien mit insgesamt
1886 Personen53 unter der Leitung von Stephan Ludwig Roth nach Siebenbürgen begaben.
Obwohl die Ostwanderung über Land auch während des 19. Jahrhunderts ein Thema blieb,
fand die erste Welle der Massenauswanderung in den Jahren 1816/17 hauptsächlich in
Richtung Nordamerika statt. Bis zur Reichsgründung 1871 wanderte gut ein Fünftel 54 der
württembergischen Bevölkerung aus, davon 90 Prozent nach Nordamerika. Lediglich ein
kleiner Teil wanderte somit im 19. Jahrhundert noch in andere Gebiete aus. Wie bereits aus
den Zahlen der Studie von Hippels hervorgeht, gab es in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts noch zwei weitere große Auswanderungswellen, zum einen in den Jahren
1831/32 und ein Höhepunkt zur Mitte des Jahrhunderts. Die Auswanderer fuhren zunächst
rheinabwärts in Richtung der großen Auswandererhäfen. Das Ausmaß der
Massenauswanderung lässt sich gut anhand der Zahl der Durchreisenden in Koblenz
vorstellen. An einem Tag im Jahr 1832 waren es dort beispielsweise etwa 700 Auswanderer
aus dem Raum Stuttgart und etwa 1000 aus der Gegend um Heilbronn. 55 Ähnlich wie in
Baden wollte die württembergische Regierung zunächst die Massenauswanderung stoppen,
indem sogar einige Zeit lang ein Auswanderungsverbot verhängt wurde. Spätestens ab den
1840er Jahren fand jedoch ein Mentalitätswechsel statt, der zu einer staatlichen
Auswanderungsförderung führte. Insbesondere wurde durch Abschiebungen versucht, dem
starken Bevölkerungswachstum und der Armut entgegenzusteuern.
52Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 102.53Ebd., S. 105.54Karl-Heinz Meier-Braun, Reinhold Weber, Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg, Leinfelden-
Echterdingen 2009, S. 73.55Ulrich Maier, „Fremd bin ich eingezogen ...“, Stuttgart 2002, S. 156.
22
Bevor im zweiten Kapitel auf die Quellen und die persönlichen Auswanderungsmotive
eingegangen wird, soll sich ein weiteres Unterkapitel mit den vorherrschenden Verhältnissen
in den südwestdeutschen Auswanderungsländern beschäftigen. Hierbei soll speziell nach den
objektiven Faktoren gefragt werden, welche die Auswanderung in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts begünstigten. In der späteren Quelleninterpretation kann dann darauf geachtet
werden, welche Gründe für die Auswanderung in der Wahrnehmung der Betroffenen selbst
vorherrschten.
1.4 Die Ausgangssituation in Südwestdeutschland
Wie aus den vorigen Unterkapiteln hervorgeht, traten Auswanderungsbewegungen oder
Wellen im 19. Jahrhundert meist in bestimmten Jahre auf, in denen die Zahlen in die Höhe
schnellten. Bevor aber näher darauf eingegangen werden kann, was die Menschen persönlich
dazu bewegte, die eigene Heimat aufzugeben und das Land zu verlassen, sollen hier einige
Faktoren oder objektive Gründe analysiert werden, die zur Massenauswanderung beitrugen.
Hierbei ist wiederum Wolfgang von Hippel sehr hilfreich, der in seiner grundlegenden Studie
einige mögliche Auswanderungsgründe auflistet und diese in Korrelation zur Intensität der
Auswanderung prüft.
Ein bereits genanntes Problem für die Menschen im Südwestdeutschland des 19. Jahrhunderts
war die Teuerung der Lebensmittel, die besonders in den Jahren auftrat, in denen eine
schlechte Ernte erzielt wurde. Ein steigender Getreidepreis konnte insbesondere für ärmere
Menschen bedrohlich werden, da sich die Löhne kaum steigerten und sogar tendenziell eher
sanken. Bis zu 70 Prozent des Einkommens 56 wurde für Grundnahrungsmittel aufgewendet,
daher war die Existenz der Menschen vor allem an den Preis der wichtigsten Lebensmittel
gekoppelt. Betrachtet man die Entwicklung des Preises für Dinkel, des Hauptgetreides für
Brot zu dieser Zeit in Württemberg, kann ein Zusammenhang mit den Auswanderungszahlen
festgestellt werden. Vor allem in den Krisenjahren 1816/17, 1831/32 und in den 40er Jahren
des 19. Jahrhunderts kann ein starker Anstieg des Dinkelpreises festgestellt werden. 57 Ebenso
stieg in diesen Jahren die Zahl der Auswanderer rasant, somit ist ein starker Zusammenhang
zwischen diesen beiden Größen nachweisbar. Neben diesem gibt es jedoch noch weitere
Faktoren, die sich auf die Auswanderung auswirkten.
56Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 148.57Ebd., S. 149.
23
Eine weitere Größe, die in Bezug auf die Auswanderungszahlen untersucht werden kann, ist
die Bevölkerungsdichte eines Landes. Diese gibt in Kombination mit der jeweiligen
landwirtschaftlichen Nutzfläche einer bestimmten Region einen Hinweis darauf, wie sich die
Ernährungslage in dieser Gegend gestalten konnte. Wie aus den Tabellen der Studie von
Hippels hervorgeht, stieg die Bevölkerungsdichte in Bezug zur landwirtschaftlichen
Nutzfläche in einigen württembergischen Oberämtern stark an. Zwar gab es jeweils
Unterschiede in der Verteilung, doch insgesamt lag die Bevölkerungsdichte in Württemberg
wohl über dem deutschen Durchschnitt 58 und die Bevölkerungsentwicklung im Land konnte
als kritisch angesehen werden. Allein die Bevölkerungsdichte ist jedoch wenig aussagekräftig,
daher muss ebenfalls die landwirtschaftliche Ergiebigkeit im untersuchten Gebiet
hinzugezogen werden. Im Schwarzwald kann beispielsweise ein besonders schlechtes
Verhältnis zwischen dem landwirtschaftlichen Ertrag und der Bevölkerungsdichte festgestellt
werden, während beispielsweise in Oberschwaben ein weitaus höherer Pro-Kopf-Ertrag
erzielt wurde. Besonders kritisch wurde die Versorgung der Bevölkerung während der
Krisenjahre in den Gebieten, die bereits in normalen Ertragszeiten eher unterversorgt waren
und aus anderen Regionen Nahrungsmittel zukaufen mussten. Alternativ konnten
landwirtschaftliche Flächen für den eher marktorientierten Weinanbau oder für den Anbau
von Kartoffeln genutzt werden, die einen höheren Kalorienertrag brachten. Allerdings waren
auch diese Produktionen krisenanfällig, wie beispielsweise durch die Kartoffelkrankheit, die
etwa ab Mitte der 1840er Jahre auftrat. 59 Besonders Kleinbauern konnten hierdurch bei
schlechten Ernten in größere Schwierigkeiten geraten, was wiederum die Tendenz zur
Auswanderung begünstigte.
In seiner Studie versucht von Hippel, die Betriebsgrößen in Württemberg statistisch zu
erfassen, um so die Zahl der Kleinbesitzer, die besonders durch Ernteausfälle bedroht waren,
festzuhalten. Einer Erhebung aus dem Jahr 1857 nach entfielen auf 360.000 Familien in
Württemberg etwa 330.000 mit Grundbesitz. Unter dem recht hohen Anteil der Grundbesitzer
waren jedoch 55 Prozent der Betriebe mit einer Fläche von unter 5 Morgen bzw. 1,6 Hektar
sehr klein. 20 Prozent lagen zwischen 5 und 10 Morgen (1,6 – 3,2 Hektar) und lediglich 10
Prozent erreichten eine Größe von 30 Morgen (9,5 Hektar). Von den 360.000 Familien in
Württemberg waren 117.108 ausschließlich selbständig in der Landwirtschaft tätig und waren
demnach komplett von dem Ertrag ihres meist kleinen Betriebs abhängig.
58Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 153.59Ebd., S. 163.
24
Etwa ein Drittel der in Württemberg lebenden Familien befand sich in der Lage, voll und ganz
vom landwirtschaftlichen Ertrag abhängig zu sein. Dies brachte ein gewisses Risiko mit sich,
da in Krisenzeiten die Ernährung der eigenen Familie nicht sichergestellt war. Von Hippel
nennt die Kleinstbetriebe in der Landwirtschaft „höchst krisenanfällige Grenzexistenzen“. 60
Eine Ausweichmöglichkeit war lediglich, sich im Zeitraum der Ernteausfälle eine andere
Arbeit zu suchen, um überleben zu können. War dies jedoch aufgrund weniger freier
Arbeitsstellen ebenfalls nicht möglich, blieb meist nur die Auswanderung als Alternative, um
die eigene Lage möglichst zu verbessern.
In einer prekären Lage befanden sich aber nicht nur die selbständigen Landwirte mit kleinem
Grundbesitz, sondern ebenfalls weitere Wirtschaftszweige, die häufig miteinander verknüpft
waren. Hierzu zählte beispielsweise das Gewerbe, wobei hierunter sowohl Handelstreibende
als auch sämtliche Handwerksleute gezählt wurden. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts machte
die Zahl der in diesem Sektor Beschäftigten etwa den gleichen Anteil an der Bevölkerung aus,
wie die der Landwirte. 61 Weitere wichtige Erwerbszweige waren die Heimarbeit, etwa in der
Textilbranche, sowie die sogenannte Teilerwerbslandwirtschaft. Obwohl viele Familien
vollständig von der Landwirtschaft lebten, gab es ebenso Menschen, die verschiedene
Arbeiten nebeneinander ausübten.
Auch in anderen Wirtschaftszweigen, etwa beim Handwerk, dominierten in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts kleine Betriebe. Im Gewerbesektor war ein hoher Anteil an
Einmannbetrieben zu finden, die beispielsweise nur von einem Handwerksmeister und
eventuell noch von einem Gehilfen geführt wurden. In Württemberg gab es eine sehr hohe
Gewerbedichte und damit ebenfalls eine große Zahl von Handwerkern, vor allem in der
Region der schwäbischen Alb. Besonders in diesem Gebiet mit einem hohen
Handwerkeranteil war jedoch auch die Teilerwerbslandwirtschaft stark vertreten. 62 Häufig
wurden somit beide Tätigkeitsfelder nebeneinander ausgeübt. Von Hippel zeigt in seiner
Studie die Wirtschaftsstruktur in Württemberg zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf, die
besonders von kleinen Betrieben in prekären Verhältnissen geprägt war. Dies konnte bei
steigender Bevölkerungsdichte zu einem wirtschaftlichen Druck führen, der besonders in
Zeiten des Mangels an Arbeit und Nahrung deutlich wurde. Wie dies von Auswanderern selbst
gesehen wurde, wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet.
60Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 166.61Ebd., S. 167.62Ebd., S. 170.
25
2. Persönliche Motive südwestdeutscher Auswanderer
2.1 Auswandererbriefe
Auswandererbriefe bieten als Quellen einige Chancen für die historische Forschung, um wie
in dieser Arbeit die persönlichen Motive von Menschen nachzuvollziehen, die zu einer
bestimmten Zeit ein neues Leben an einem anderen Ort begannen. Vor allem die Gründe für
die Auswanderung selbst sollen hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Dabei sind
jedoch auch eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, sowohl bei der Auswahl der
Quellenstücke als auch in der Analyse und Interpretation.
Die hier ausgesuchten Briefe können zunächst in einen zeitlichen Rahmen eingeordnet
werden. Dies geschieht, sofern vorhanden, über die Angabe des Absendedatums im Briefkopf.
Zunächst wurden also diejenigen Briefe aus verschiedenen Editionen ausgewählt, die aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Auf Archivmaterial wurde bei der Auswahl
bewusst verzichtet, da allein die Vielzahl der erhaltenen Auswandererbriefe größere
Forschungsprojekte nötig macht, um diese zu bearbeiten. Zudem gingen bereits aus
verschiedenen Projekten einige Editionen hervor, die für diese Arbeit genutzt werden. Vor
allem Wolfgang Helbich63 64 und Jürgen Macha 65 sind hier als Herausgeber zu nennen. Diese
versuchen jeweils, aus dem Fundus einer Sammlung eine repräsentative Auswahl an
Auswandererbriefen zu veröffentlichen. Eine schwierigere Herausforderung bei der Wahl der
Briefe für diese Arbeit war die Einordnung nach dem Herkunftsort des Briefeschreibers. Meist
gingen die Briefe an Verwandte, die noch in Deutschland lebten. Die Zuordnung des
Herkunftsortes geschieht meist über die Adresse, an die der Brief geschrieben wurde. In
manchen Fällen müssen außerdem Kirchenbücher zur Ermittlung des genauen Herkunftsortes
hinzugezogen werden. In den hier verwendeten Editionen haben sich bereits die Herausgeber
um die Zuordnung der jeweiligen Heimatorte gekümmert, was die Auswahl erleichtert. Für
diese Arbeit wurden also einige Briefe ausgewählt, die aus der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts stammen und bei denen der Herkunftsort des Verfassers im südwestdeutschen
Raum ausgemacht werden kann. Ein Hauptaugenmerk liegt hier auf Auswanderern aus Baden,
63Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985.64Wolfgang Helbich, Walter D. Kamphoefner, Ulrike Sommer (Hrsg.), Briefe aus Amerika – Deutsche
Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt. 1830 – 1930, München 1988.65Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach
Deutschland – Auswandererbriefe und Dokumente der Sammlung Joseph Scheben (1825 – 1938), Frankfurt am Main 2003.
26
Württemberg und der Pfalz, einige Briefeschreiber stammen aber auch aus dem Rheinland.
Bei der Quellenarbeit mit den hier ausgewählten Auswandererbriefen steht die Fragestellung
nach den persönlichen Motiven und Gründen für die Migration im Vordergrund. Dabei muss
jedoch die Perspektive der Briefeschreiber beachtet werden. Viele Auswandererbriefe
beschäftigen sich inhaltlich nicht unbedingt retrospektiv mit der Ausgangssituation in der
Heimat, sondern mit den neuen Begebenheiten, wie sie beispielsweise auf der Reise oder im
Zielland auftraten. Eine Herausforderung bei der Interpretation ist es also, Gründe im Text zu
finden, ohne dass diese explizit genannt werden. Hier muss also häufig auch zwischen den
Zeilen gelesen werden. Ein Ansatz bei der Herausfilterung von möglichen
Auswanderungsgründen ist ein Vergleich zwischen der neuen Situation der Auswanderer im
Zielland und den alten Lebensbedingungen, wie sie in der Heimat herrschten. Über diese
Vergleiche, wie sie oft in den Briefen angestellt werden, lassen sich Hinweise darauf
herauslesen, aus welchen Gründen das „Wagestück“ 66, wie es Johannes Hummel aus
Dannstetten, Gemeinde Römerstein in Württemberg bezeichnete, mit der Auswanderung in
ein fremdes Land eingegangen wurde.
Eben dieser Johannes Hummel liefert mit seiner Bemerkung „Es ist ein Wagestück“ 67 auch
das Titelzitat dieser Arbeit. In seinem Brief vom 7. Juni 1855 an seine Eltern, Geschwister
und Freunde charakterisiert er damit den gesamten Auswanderungsprozess als Unterfangen
mit einem gewissen Risiko. Hierdurch kann bereits verdeutlicht werden, dass es nicht nur
positive Argumente und Gründe für das Auswandern gab, sondern ebenfalls Warnungen an die
Daheimgebliebenen. Der am 12. März 1819 geborene Johannes Hummel besuchte zunächst
eine Ackerbauschule und konnte dann als Gutsverwalter arbeiten. Die Auswanderung nach
Amerika unternahm er im Jahr 1850 und damit bereits zu Beginn der größten
Auswanderungswelle in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Als Hummel den Brief aus St. Louis, Missouri abschickte, lebte er bereits fünf Jahre in seiner
neuen Heimat. Sein Fazit für alle Neuankömmlinge lautete jedoch: „Es dürfte sich kaum der
Mühe lohnen, 3-4-5-6 Jahre lange harte Prüfungen auszuhalten, um sich etwas besser zu
stellen als man gewöhnlich in Europa steht.“68 Mit den Prüfungen meinte Hummel sowohl die
Integration und das Finden einer neuen Heimat, als auch die Schwierigkeiten, die damit
einhergingen. Zunächst waren viele Einwanderer von großer Armut betroffen.
66Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985, S. 46.67Ebd.68Ebd.
27
Meist musste das wenige Geld im eigenen Besitz für die Reise aufgewendet werden und nicht
jeder konnte gleich eine passende Arbeitsstelle finden. Laut Hummel mussten sich einige
Hundert auch mit Betteln über den Winter bringen. Hinzu kamen durch klimatische
Bedingungen verursachte Nahrungsmittelknappheiten und Krankheiten.
Mit Briefen wie dem von Hummel wurden die Erwartungen von noch in Deutschland
lebenden, eventuell Auswanderungslustigen gedämpft. Das Risiko der Auswanderung und die
Entbehrungen der ersten Jahre in Amerika wurden betont. „Es ist gewiß, daß die erste Zeit
hier weit härter für den Deutschen ist, als dieselbe für ihn zuhause wäre, ferner, es ist nicht
gewiß, ob es ihm je besser geht als dies zuhause der Fall gewesen wäre (…).“ 69 Aus all diesen
Warnungen lassen sich jedoch auch bereits Gründe herauslesen, aus denen eine
Auswanderung versucht wurde. Es gab wohl eine allgemeine Hoffnung unter vielen
Deutschen, dass in der Ferne ein besseres Leben warten würde. Vor allem die berufliche und
wirtschaftliche Stellung sollte sich verbessern. Diese Hoffnung oder sogar Erwartung speiste
sich nicht zuletzt aus den vielen Briefen, die Auswanderer in die Heimat schickten. Der Brief
von Johannes Hummel kann eher als Ausnahme gesehen werden, in der die negativen Seiten
der Auswanderung im Mittelpunkt standen. Am Schluss seines Briefes relativierte Hummel
jedoch noch den Eindruck, der bei der Lektüre entsteht. „Denket aber ja nicht, daß ich
unzufrieden lebe u. daß dies der Ausdruck dieses Gefühls sei (…).“ 70 Demnach überstand
Hummel die ersten fünf Jahre einigermaßen gut und konnte dann entspannter mit seiner Frau,
die er ebenfalls erwähnt, weiterleben.
Es gibt nicht viele Briefe, die wie bei Hummel explizit davon abrieten, eine Auswanderung
aus Deutschland zu versuchen. Ein Beispiel der positiven Berichte ist der Brief von Nikolaus
Frett71 aus dem Kreis Mayen bei Koblenz. Insbesondere in der Edition von Jürgen Macha
finden sich einige Herkunftsorte im Gebiet der preußischen Rheinprovinz. Dies liegt vor
allem am Schwerpunkt der Sammlung von Joseph Scheben, die in diese Edition eingebracht
wurde und vor allem Briefe aus dem Rheinland und der Eifel enthält. Da die Mehrzahl der
abgedruckten Auswandererbriefe aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder aus dem
frühen 20. Jahrhundert stammt, muss für den hier gewählten Zeitraum die geografische
Einordnung mit dem Begriff Südwestdeutschland etwas ausgeweitet werden.
69Wolfgang Helbich (Hrsg.), „Amerika ist ein freies Land ...“, Darmstadt 1985, S. 46.70Ebd.71Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach
Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 90 – 91.
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Frett schrieb am 30. August 1841 aus Chicago an seinen Schwager, den Kleinhändler
Marhöffer aus Virneburg. Neben der sehr positiven Beschreibung seiner neuen Heimat, in der
er sich zusammen mit Frau und Kindern ein Landgut in der Nähe von Chicago kaufte, zeigt
dieser Brief zudem im Vergleich mit Deutschland Gründe auf, die für ein Auswandern
sprechen. Frett schreibt vor allem über landwirtschaftliche Vorteile, aber auch über Vorteile
gegenüber Deutschland, welche die staatliche Verwaltung, die Gebräuche und Sitten
betreffen.
Das landwirtschaftliche Leben, das sich Frett in Amerika aufbaute, wird mit einer
paradiesischen Vorstellung verglichen, in der sich viele Dinge von ganz allein regeln. „Hier
ist es nicht wie in Deutschland, daß der Mensch das Vieh mit seiner Arbeit nähren muß; hier
nährt es sich selbst.“ 72 Scheinbar gab das Land so viel her, dass sich das Vieh gut selbst
ernähren konnte, ohne ein Zutun des Landwirts. Selbst wenn Heu gemacht werden musste,
fielen dafür keine Kosten an. Auch kamen die Kühe jeden Abend und Morgen von selbst, um
gemolken zu werden und brachten ihre Jungen von selbst auf dem Feld zur Welt. Was die
landwirtschaftlichen Bedingungen betrifft, konnte Frett durchaus Recht haben, wenn ihm die
Arbeit leichter fiel als noch in Deutschland. Beim kritischen Lesen fällt jedoch auf, dass im
Brief einige Übertreibungen formuliert wurden. Ob diese bewusst mit einem bestimmten Ziel
oder unbewusst eingeflochten wurden, lässt sich besser nach der Betrachtung des restlichen
Brieftextes bestimmen.
Auch in Bezug auf die staatliche Verwaltung wusste Frett von einigen Vorteilen zu berichten.
„Man weiß auch hier von keinen Steuern. Man braucht sich hier nicht für den Müssiggänger
zu plagen als wie in Deutschland. Hier arbeitet man für sich. Hier steht einer dem andern
gleich.“73 Sicherlich war es für Landbesitzer ein Vorteil, wenn sie nichts aus der eigenen
Arbeit an den Staat abgeben mussten. Ein Nachteil konnte jedoch das fehlende soziale Netz
zu sein, wie es heute bekannt ist. Doch dies wurde zu jener Zeit noch nicht als Nachteil
wahrgenommen. Stattdessen freute sich Frett, dass er sich nur um sich und seine Familie
kümmern brauchte. Ein weiterer Aspekt, der als Vorteil gegenüber Deutschland
wahrgenommen wurde, ist die soziale Gleichheit. Rein rechtlich gesehen gab es keine
Unterschiede zwischen den Menschen, mit Ausnahme von Sklaven, die es in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts noch gab. Zwar gab es Unterschiede, vor allem im finanziellen Besitz.
72Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 91.
73Ebd.
29
Doch allein daraus ließen sich noch keine Statusunterschiede festmachen. Dies drückte sich
auch durch die Kleidung aus, die sich stets nach den vornehmsten Persönlichkeiten richtete.
Dennoch konnte man einen Bauern nicht von einer vornehmen Herrschaft unterscheiden, da
sich die Menschen in Bezug auf die Kleidung anglichen. Der wichtigste Aspekt bei Frett
bezieht sich auf das wirtschaftliche Leben, das sich im Gegensatz zu Deutschland gut
finanzieren ließ. „Auch ist die Amerikanische Kost gut und billig. Der gemeine Mann lebt in
Amerika besser, als in Deutschland der vornehmste.“ 74 Insgesamt lautete bei Frett das Fazit:
„Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland.“ 75 Sicherlich kann man dem Auswanderer
glauben, dass ihm das Leben in Amerika gut gefiel. Dennoch stecken einige Übertreibungen
in seiner Schilderung, besonders beim landwirtschaftlichen Leben, das nicht ohne harte Arbeit
auskommen konnte. Gewisse Elemente kehren stets wieder, wenn bereits Ausgewanderte ihre
neue Heimat in den höchsten Tönen lobten und versuchten, Angehörige oder nahestehende
Personen ebenfalls zu einer Auswanderung aus Deutschland zu bewegen. So verhält es sich
beispielsweise bei Georg Weimer, dessen Herkunftsort nicht genau bekannt ist. Allerdings
ging der Brief vom 26. Februar 1825 aus Cincinatti, Ohio an seinen Schwager, den
Zimmermann Peter Schäpp aus Erda im Kreis Wetzlar. Es kann angenommen werden, dass
der Herkunftsort des Ausgewanderten in derselben Region liegt.
Ähnlich wie Nikolaus Frett schrieb Weimer von den Vorteilen seiner neuen Heimat in
Amerika im Vergleich zu den Verhältnissen in Deutschland. Die wichtigsten Themen sind
auch hier die Arbeit, die Finanzen und die Freiheit, die es im Gegensatz zu Deutschland gab.
Unter Freiheit verstand Weimer vor allem die Wahl zu arbeiten, was immer einem gefiel.
„Hier im Lande kann jeder treiben was er will und soviele Geschäfte zugleich als er will. Er
kann Kaufmann, Wirth, Schuster, Schneider, kurz alles zugleich seyn. Keine Zunftgeschichten
finden hier statt.“ 76 Weiterhin fällt auf, dass wie bei Frett auch die rechtliche Gleichheit der
Menschen betont wird. „Man lebt hier frey, braucht sich vor Niemand zu beugen, der
Taglöhner hat dieselben Rechte die der Präsident hat.“77 Finanziell gesehen lebte es sich auch
sehr gut, vor allem die günstigen Preise der Lebensmittel werden aufgelistet, wie etwa 8 bis
12 Pfund Butter für ¼ Thaler. Auch eine Unterkunft inklusive drei Mahlzeiten war laut
Weimer für 1 ¼ bis 1 ½ Thaler in der Woche zu haben.
74Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 91.
75Ebd.76Ebd., S. 314.77Ebd.
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Eine Besonderheit in diesem Brief ist das Liefern eines speziellen Grundes für die
Auswanderung des Schwagers und der Schwester, nämlich das Versprechen eines Erbes. Der
bereits ins Alter gekommene Georg Weimer wollte sein Haus und sein kleines Vermögen an
das adressierte Ehepaar vermachen, da er selbst mit seiner Frau keine Kinder hatte. Hinter
dem Erbversprechen steckte jedoch auch die Hoffnung, dass der Schwager und die Schwester
zu Weimer und seiner Frau ziehen und im Alter für sie sorgen würden. Die beiden litten
bereits an einigen Gebrechen, Weimer selbst an einer Bruchverletzung und seine Frau hatte
die Wassersucht. In gewisser Weise stellte der Briefeschreiber auch ein Ultimatum an die
Adressaten: „Nur bitte ich lieber Schwager, mir so bald wie möglich wissen zu lassen ob Ihr
kommen werdet oder nicht, da ich im letzteren Falle eine hiesige Familie zu mir nehmen
werde, die uns wenn wir krank werden pflegt und dafür das Unsrige erbt.“ 78 Somit musste
sich das Ehepaar in Deutschland recht schnell für oder gegen eine Auswanderung entscheiden.
Der Vorteil war in jedem Fall das versprochene Erbe mitsamt Haus, andererseits mussten sie
die Pflege des Bruders bzw. Schwagers mit Frau übernehmen. Interessant wäre es zu erfahren,
wie die Entscheidung letztlich ausfiel, doch ein entsprechender Antwortbrief nach Amerika ist
nicht in der Sammlung enthalten. Ein Aspekt, der ebenfalls für eine Auswanderung sprechen
konnte, war eine Gemeinde, in der bereits viele Deutsche lebten. „Hier in der Stadt und um
dieselbe sind viele Teutsche, auch haben wir hier eine teutsche Lutherische Kirche, so wie
hier überhaupt 12 Kirchen sind.“ 79 Das gewohnte Leben mit anderen Deutschen, ebenso wie
das religiöse Leben blieb somit bei einer Auswanderung erhalten. Hierdurch konnte es auch
leichter fallen, sich einzuleben und zu integrieren.
Nicht nur Nordamerika-Auswanderer schrieben im 19. Jahrhundert aus ihrer neuen Heimat an
ihre Angehörigen in Deutschland. Ein weiteres wichtiges Zielgebiet war Südamerika und hier
vor allem Brasilien. So schrieb beispielsweise Johannes Jakob Fritsch aus Lötzbeuren im
Kreis Zell am 03. Oktober 1835 an seine Verwandten und Freunde. Sein Landgut lag in der
deutschen Kolonie „Sanct Leopoldo, ohnweit der Stadt Porto Alegro in der Provinz Rio
Grande Saô Pedro do Sul“. Bereits bei der ersten Lektüre des Briefes fällt auf, dass sich
Fritsch in seinem Brief sehr viel gewählter ausdrückt, als dies in einigen Briefen der Fall war,
die hier zuvor betrachtet wurden. Dies kann durch eine höhere Bildung geprägt worden sein,
die zudem von kirchlicher Seite aus stattgefunden haben könnte. Ein Indiz hierfür ist das
78Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 313.
79Ebd.
31
häufige Anrufen von Gott im Brief, wodurch zugleich ein Dank für die gut gelungene
Auswanderung selbst und ein Segen für die Daheimgebliebenen ausgedrückt werden sollte.
„(...) der Allmächtige, Allgegenwärtige, Allgütige Gott und Vater und liebreiche Versorger all
derer, die auf ihn hoffen und vertrauen, und im Glück und Unglück auf ihn bauen! Der, dessen
Rath ist wunderbar! Der aber mit uns hat alles herrlich geführet hinaus, - der wolle Euch und
Euer ganzes Haus, Kind und Kindeskind segnen und beglücken; (…).“80
Wenn es um potentielle Gründe für das Auswandern geht, können in diesem Brief ähnlich wie
in einigen anderen die Vorteile im Zielgebiet gegenüber der Situation in Deutschland
herausgelesen werden. Dabei scheinen sich die Vorzüge in Brasilien nicht wesentlich von
denen in Nordamerika zu unterscheiden. Ebenso dominieren in diesem Brief Themen wie
nicht existierende Abgaben an den Staat, die Freiheit der Berufsausübung und die
Möglichkeiten, die sich wirtschaftlich aus dem Land ergeben. Fritsch baute sich nach seiner
Ankunft in Brasilien zunächst eine Viehzucht auf, indem er sich für einen Kronenthaler drei
Hühner und einen Hahn kaufte. Daraus zog er bereits innerhalb eines Jahres 133 Kronenthaler
mit dem Verkauf des Geflügels. Beim Absenden des Briefes besaß Fritsch schon ein großes
Landgut, das sich etwas abseits im Urwald befand. „(...) wie ich jetzt thue, die Bäume, da ich
dessen so vieles in meiner Colonie stehen habe, so gewinne ich daraus sehr viel Geld; alles
Holz, was in meinem Walde steht, kann ich unmöglich kennen, denn mein Eigenthum ist so
groß, daß ich ohne den Compaß gar nicht die richtigen Maaße nehmen kann von meinem
Landgut, (…).“ 81 Diese Erfolgsgeschichte des Johannes Jakob Fritsch speist sich zum einen
aus den vorhandenen Rohstoffen im Land, vor allem Holz, und zum anderen aus dem
unternehmerischen Geschick des Auswanderers, mit dem er sein Geld vermehrte. Betont wird
im Brief jedoch auch, dass dies nur durch die Bedingungen möglich wurde, die in Brasilien
gegenüber den Bedingungen in Deutschland vorherrschten. So schreibt Fritsch, dass im Wald
frei gejagt werden kann und ebenso das Holz zum Bauen oder zum Verbrennen ohne
Restriktionen aus dem Wald geholt werden kann. In Deutschland hingegen müsste man Angst
vor dem auflauernden Jäger haben.
Sicherlich gab es auch negative Seiten in einem Land wie Brasilien, die Fritsch ebenfalls
hervorhebt. Er vermisse den deutschen Weizen, da aus dem brasilianischen Getreide kein
schönes Mehl gewonnen werden könne. Für eine Rückantwort bat er darum um das Beilegen
80Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 317-318.
81Ebd., S. 319.
32
einiger Weizenkörner, die er dann in Brasilien anbauen konnte. Auch das deutsche Obst
schien Fritsch zu vermissen. Insgesamt lautet das Fazit bei Fritsch: „Land ist hier im Walde
noch genug vorräthig und wird den etwa noch ankommenden Deutschen unentgeltlich
gegeben; ich wollte nichts weiter wünschen als daß der eine oder der andere meiner
Anverwannten und Freunde hier bei uns wäre; er würde es nicht bereuen hier zu sein.“82
In den vorigen hier behandelten Briefen ging es vor allem um Personen, die sich im
Einwanderungsland, sei es Nordamerika oder Brasilien, ein Stück Land erwerben konnten und
darauf mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienten. Dieses Bild des Auswanderers
als Farmer ist auch heute noch ein gängiges Klischee, welches allerdings nicht immer zutrifft.
In Amerika gab es erst ab 1862 das sogenannte Heimstättengesetz, den Homestead Act, mit
dem Siedlern freies Land angeboten wurde. 83 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
mussten viele Einwanderer zunächst erst einmal eine Arbeitsstelle finden, um sich etwas Geld
ansparen zu können, mit dem dann Land gekauft werden konnte. Interessant für diese Arbeit
sind nicht nur Briefe von Menschen, die bereits Land und damit ein gewisses Auskommen
hatten. Auch Arbeiter und Personen mit einem geringen Verdienst kommen in einigen Briefen
zu Wort. Eine Edition von Wolfgang Helbich ordnet die Briefeschreiber nach ihrem
jeweiligen Berufsstand ein. Dabei werden drei Gruppen gebildet: zunächst die schon
angesprochenen Farmer, wobei hier sämtliche Auswanderer eingeordnet werden, die in der
Landwirtschaft tätig waren. Dann gibt es noch die Gruppe der Arbeiter und die der
Dienstbotinnen. Es gab also auch Frauen, wenn auch zahlenmäßig wenige, die alleine den
Weg der Auswanderung versuchten, um sich dann meist in amerikanischen Haushalten ihren
Lebensunterhalt als Dienstmädchen zu verdienen. Dies war häufig die einzige Möglichkeit, da
es in der Industrie noch kaum Arbeitsplätze für Frauen gab.
Wie bei einigen Briefen aus der Sammlung Scheben, ist eine Übereinstimmung des gewählten
Untersuchungszeitraums, also der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der geografischen
Eingrenzung in Südwestdeutschland auch bei der Gruppe der Arbeiter nicht gegeben.
Dennoch soll hier zumindest ein Auswanderer aus dieser Personengruppe näher betrachtet
werden, auch wenn dieser aus Trutzlatz, Kreis Naugard in Pommern stammte. Johann Carl
Wilhelm Pritzlaff war der Sohn eines Schneidermeisters und 19 Jahre alt, als sein Vater 1839
verstarb. Zu diesem Zeitpunkt schien ihn nichts mehr in seiner Heimat zu halten, da er im
82Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter, Wolfgang Herborn (Hrsg.), Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 319.
83Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 55.
33
selben Jahr auswanderte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er bis dahin als Schäferknecht. 84
Über den Bildungsstand des Auswanderers ist wenig bekannt. Allerdings lässt sich aus seiner
Tätigkeit schließen, dass er wohl keine richtige berufliche Ausbildung durchlaufen hatte und
sich somit als Knecht bei einem Schäfer verdingte. Zumindest konnte Pritzlaff schreiben und
somit seiner Familie in der Heimat Nachrichten zukommen lassen. Der Ablauf der
Auswanderung soll hier nicht genauer rekonstruiert werden, lediglich soll angeführt werden,
dass sich Pritzlaff im Gefolge einer größeren Gruppe befand, die Preußen 1839 als
Altlutheraner Gemeinde85 in Richtung Amerika verließ.
Der erste Brief, den Pritzlaff aus Milwaukee, Wisconsin an seine Familie schickte, stammt aus
dem Jahr 1842. Es vergingen also bereits drei Jahre seit seiner Auswanderung. Er beschrieb
recht ausführlich, wie es ihm seither erging und welcher Arbeit er nachgehen konnte. Die
Auswanderergruppe musste in Amerika zunächst einen Stopp in Buffalo einlegen, nachdem
die gemeinschaftliche Kasse erschöpft war. Nur die wohlhabenderen Auswanderer konnten
sich eine Weiterreise nach Wisconsin leisten, der ärmere Teil der Gruppe musste sich eine
Arbeit vor Ort suchen. „(…) und die Armen waren genötigt in und um Buffalo herum Arbeit
zu suchen; viele von uns gingen 15 d.M. von Buffalo ab auf Kanal-Arbeit.“ 86 Beim Kanal-Bau
konnten sich viele Einwanderer auch ohne englische Sprachkenntnisse zunächst einiges Geld
verdienen, um dann weiterreisen zu können. Schließlich gelang es Pritzlaff, zu seiner
ursprünglichen Auswanderergemeinde zu stoßen, die bereits eine Siedlung in Wisconsin
gegründet hatte. Nachdem er über den Winter bei einem amerikanischen Farmer als Fuhrmann
gearbeitet hatte, war er bereits im April 1842 wieder ohne Arbeit und hatte sich zu der Zeit, in
der er diesen Brief schrieb, noch nicht nach etwas Neuem umgesehen. Pritzlaff kann wohl als
Saisonarbeiter eingeschätzt werden, der je nach Bedarf ein Arbeitsverhältnis einging.
Ebenfalls verglich Pritzlaff in seinem Brief die Lebensart der amerikanischen Bauern mit der
in Preußen. Dabei fällt auf, dass auch hier die Verbesserungen gegenüber der Situation in der
Heimat betont werden. „Für einen Mann, der da arbeitet, ist es hier viel besser als dort; man
kann das leibliche Stückchen Brot besser erwerben wie in Deutschland, (…)“ 87 Wichtig für
Pritzlaff ist auch seine persönliche Freiheit, ohne Untertan eines Gutsbesitzers oder für eine
längere Zeit an eine Arbeitsstelle gebunden zu sein. Betont wurde ebenso die Gleichheit unter
den Menschen, durch die jeder unabhängig von seinem Besitz oder anderer
84Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 285.85Ebd., S. 286.86Ebd., S. 291.87Ebd., S. 292.
34
Statusunterschiede mit dem anderen umgehen konnte. Ausdrücklich ermunterte Pritzlaff in
seinem Brief die Daheimgebliebenen ebenfalls auszuwandern, um sich besser zu stellen, als
dies in Deutschland möglich war. „Es darf sich auch keiner fürchten, daß er damit sündigt,
wenn er auswandert, um sich sein leibliches Fortkommen hier besser zu machen wie dort.
Denn die Erde ist des Herrn und ist von Gott dem menschlichen Geschlechte gegeben, und er
kann darauf gehen wo er will.“ 88 Aus diesem Zitat können zum einen wirtschaftliche Gründe
für die Auswanderung herausgelesen werden. Pritzlaff möchte seinen Broterwerb in Amerika
besser und einfacher gestalten, was ihm wohl auch recht gut gelungen ist: „Ich habe Kleidung
und auch Brot; habe auch Geld (…).“ 89 Ebenso bezieht er sich auf religiöse Vorbehalte, die
gegen eine Auswanderung sprechen könnten. Er verneint das Begehen einer Sünde mit der
Auswanderung, schließlich sei die ganze Erde von Gott für den Menschen gemacht. Pritzlaff
möchte damit mögliche Bedenken bei den Daheimgebliebenen ausräumen, die eine
Auswanderung aus religiösen Gewissensgründen ablehnen könnten. Ein Ziel des
Auswanderers ist damit auch, die Angehörigen zum Nachkommen zu bewegen, wie man auch
in anderen Briefen lesen kann.
Bei der Analyse der Auswandererbriefe und der Suche nach möglichen Gründen für diesen
Schritt wird deutlich, dass sich in den Quellenstücken weniger persönliche Motive der
Briefeschreiber selbst finden lassen. Stattdessen werden Gründe für daheimgebliebene
Angehörige geliefert, die ebenfalls von einer Auswanderung überzeugt werden sollen. Dies
kann vor allem daran liegen, dass sich die Verfasser der Auswandererbriefe selbst nicht mehr
mit dem eigentlichen Anlass und der Motivation für diesen Schritt auseinandersetzen mussten.
Schließlich haben sie bereits die Heimat verlassen und ein neues Leben begonnen. Damit
verschob sich der Blickwinkel auf die neue Situation, mit der die Auswanderer nun
zurechtkommen mussten. Der Erfolg oder Misserfolg in der neuen Lebenssituation gab
sicherlich den Ausschlag dafür, wie die Auswanderung selbst wahrgenommen und bewertet
wurde. Genau diese Bewertung wurde dann in den Briefen an Verwandte und Freunde in der
Heimat weitergegeben.
Um eine Entscheidung für oder gegen eine Auswanderung zu treffen, waren vor allem
Informationen notwendig. Auf der einen Seite mussten sich potentielle Auswanderer mit den
eigenen Lebensumständen auseinandersetzen. Hinzu kommen die Informationen, die mit den
Auswandererbriefen eintreffen und die näheres darüber verrieten, wie es sich in dem fremden
88Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 292.89Ebd.
35
Land leben ließ. Sicherlich hatte nicht jede Familie einen Angehörigen, der selbst bereits im
Ausland lebte und darüber berichten konnte. Doch häufig wurden die Informationen auch im
Bekanntenkreis und über Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben.
Jede Auswanderung stellte für sich gesehen ein Risiko dar, nicht nur in finanzieller Hinsicht.
Auch gesundheitlich konnten auf der Reise oder in der ersten Zeit nach der Ankunft extreme
Beschwerden auftreten, wie dies im Brief von Johannes Hummel deutlich wurde. Neben der
erhofften besseren wirtschaftlichen und beruflichen Stellung im Zielland war es somit für
viele Auswanderer wichtig, eine gewisse Sicherheit zu haben, um das Wagnis überhaupt
eingehen zu können. Oftmals wurde daher die Entscheidung der Auswanderung nicht
unbedingt als einzelnes Individuum getroffen, sondern mit einer größeren Gruppe von
Auswanderungswilligen. Dies konnte wie bei Pritzlaff mit einer religiösen Gemeinde
geschehen, die ihren Glauben in der Heimat nicht mehr uneingeschränkt ausüben konnte, oder
verfolgt wurde. In diesem Fall war es eine altlutherische Gemeinde, die in Preußen in die
kirchliche Opposition geraten war. 1817 kam es durch König Friedrich Wilhelm III. zum
Zusammenschluss der lutherischen und der reformierten Kirche zu einer unierten
evangelischen Kirche 90, wogegen es einigen Widerstand gab. Eine Ausweichmöglichkeit war
die Suche nach einem freien Land wie Amerika, in dem die eigene Glaubensform ungehindert
ausgeübt werden konnte. Der Vorteil, mit einer größeren Gruppe auszuwandern, war meist die
Bildung einer Gemeindekasse, mit der die wichtigsten Kosten, wie etwa für die Überfahrt
getragen werden konnten.
Neben den Gründen für die Auswanderung, die aus den Informationen der Auswandererbriefe
hervorgehen, ist es ebenfalls wichtig zu erfahren, welche Motive Menschen hatten, denen die
eigentliche Auswanderung noch bevorstand. Auch hierüber gibt es einige Quellenstücke in
Form von Protokollen einer Auswanderungsbefragung, die Friedrich List in den Jahren
1816/17 im Auftrag der württembergischen Regierung durchführte. Diese beiden Jahre bilden
zugleich die erste große Auswanderungswelle und stellen somit den Beginn der
Massenauswanderung aus Südwestdeutschland dar. Aus den Angaben der
Auswanderungswilligen können vor allem die Erwartungen und die Hoffnungen an ein neues
Leben herausgelesen werden.
90Wolfgang Helbich (Hrsg.), Briefe aus Amerika, München 1988, S. 286.
36
2.2 Die Auswanderungsbefragung Friedrich Lists im Jahr 1817
Der später als großer Nationalökonom bekannt gewordene Friedrich List war im Jahr 1817 als
Rechnungsrat bei der württembergischen Regierung in Stuttgart tätig und durchlief zuvor eine
klassische Beamtenlaufbahn mit einer Ausbildung im sogenannten Schreibereiwesen. List
kannte sich durch weiterführende Studien sowohl in der Staatsverwaltung als auch im
Finanzwesen bestens aus und wurde im Staatsdienst in mehreren Kommissionen eingesetzt, in
denen er unter anderem die „Gebrechen im Schreibereiwesen“ 91 untersuchen sollte. Dabei
ging es vor allem um die vorherrschende Korruption unter den Beamten in der Verwaltung.
Diese wurde schon als ein Grund für die Auswanderungswelle in den Jahren 1816 und 1817
angesehen, da die Missstände in der Administration zu zahlreichen Beschwerden aus der
Bevölkerung führten. Zudem wurden die württembergischen Bürger durch hohe Abgaben
belastet, was ebenfalls zu einigem Unmut führte.
Am 29. April 1817 erging ein Befehl des Königs von Württemberg in einem Brief des
Innenministers Kerner an den Rechnungsrat List, dass er über eine Befragung der
Auswanderer die Ursachen der Auswanderungsbewegung herausfinden und wenn möglich
beseitigen solle. „Seine Königliche Majestät haben auf nicht officiellem Wege die Nachricht
erhalten, daß viele der zu Heilbronn und Nekkarsulm sich einschiffenden Auswanderer als
Grund ihrer Auswanderung die zu hohen Abgaben und das Schreibereiwesen angeben und an
der Hoffnung, daß es in Württemberg in dieser Hinsicht sich bessern werde, verzweifeln.“ 92
Die Befragung durch Friedrich List bezog sich daher vor allem auf die Sammelorte der
Auswanderer am Neckar, Heilbronn, Weinsberg und Neckarsulm. Dem König war es wichtig,
nicht nur über die Ursachen der Auswanderung aufgeklärt zu werden, sondern auch eine
weitere Auswanderungswelle zu verhindern. Daher sollte List nicht nur eine Befragung
vornehmen, sondern die Auswanderer außerdem über ihr Vorhaben belehren und sie möglichst
davon abbringen. „Seine Königliche Majestät haben sich dadurch zu dem Befehle bewogen
gefunden, daß hierüber nähere Untersuchung durch Vernehmung der Auswanderer eingeleitet
und diese wo möglich über ihren Entschluß und die Veranlaßungen deßelben belehrt und von
ihrem Vorhaben zurükgebracht werden sollen.“93
91Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika. Friedrich List und die Auswanderung aus Baden und Württemberg 1816/17. Dokumentation einer sozialen Bewegung, Tübingen 1979, S. 122.
92Ebd., S. 126.93Ebd.
37
Aufgrund dieses Befehls wurde die Auswandererbefragung im Zeitraum vom 30. April bis 6.
Mai 1817 von Friedrich List durchgeführt und ein Protokoll mit einem Umfang von 134
Manuskriptblättern darüber angefertigt. Das Besondere an diesem Befragungsprotokoll ist das
unmittelbar bevorstehende Auswanderungsvorhaben der Menschen, die darin zu Wort
kommen. Somit werden die Motive, Meinungen und Gefühle, die mit diesem Vorgang
zusammenhängen, direkt erfasst. Im Vergleich zu den Auswandererbriefen ergeben sich einige
Unterschiede bei der historischen Analyse. Die befragten Auswanderungswilligen gaben die
Gründe für ihr Vorhaben an, die sie in diesem Moment bewegten, wodurch das Protokoll sehr
direkte und unmittelbare Aussagen enthält. Zwar wurden die Befragungen lediglich von
einem Schreiber protokolliert, wodurch die Auswanderer nicht direkt als Verfasser gelten
können, wie dies bei den Briefen der Fall war. Jedoch wurden die Aussagen direkt
mitgeschrieben, wodurch das Protokoll die authentischen Meinungen der Auswanderer
enthält. Neben dem Schreiber waren zusätzlich Skabinen als Urkundspersonen und Zeugen
sowie ein Aktuar als stellvertretender Schreiber anwesend. Bei der Interpretation muss in
jedem Fall beachtet werden, dass die Aussagen bestimmte Tendenzen94 enthalten können. Laut
Moltmann, dem Herausgeber der hier verwendeten Edition, gab es bei einigen Befragten
Hemmnisse frei zu sprechen, wodurch die eigentlichen Gründe der Auswanderung
heruntergespielt wurden. Andere wiederum nutzten die Befragung, um ihre Verbitterung und
Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu äußern. Sicherlich können hier nicht alle
Aussagen berücksichtigt werden, jedoch sollen beide Tendenzen mit in die Analyse
einfließen, um ein vollständiges Bild der Befragung zu ermöglichen.
Die ersten Vernehmungen wurden von Friedrich List am 30. April 1817 im Wirtshaus zum
Kranen in Heilbronn durchgeführt. Die dort befragten Auswanderer wollten sich laut
Stadtschreiber Krauß95 aus Heilbronn, der das Protokoll anfertigte, am folgenden Tag, also am
1. Mai 1817 in Richtung Holland einschiffen, um von dort aus nach Amerika zu gelangen. Die
ersten Angaben erhielt List in Heilbronn von Johann Heinrich Kulmbach 96, der als
Schreibmeister im Auftrag des Schiffskapitäns ein Verzeichnis über die Auswanderer
anfertigte. Dieser fragte ebenfalls nach den Ursachen der Auswanderung und klärte über das
damit verbundene Risiko auf: „Einstimmig haben sie sich hierauf über Mangel an Arbeit und
über große Theurung der LebensMittel, über allzu große Abgaben, über Bedrükungen der
94Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 120.95Ebd., S. 128.96Ebd., S. 130.
38
Beamten und Schuldheissen beklagt, und daß sie sogleich mit Einthürmung bedroht werden,
wenn man nach dem Grund der grossen Summen, welche von ihnen gefordert werden,
forsche.“97 In der Aussage des Schreibmeisters Kulmbach werden die Gründe, die zu einer
Auswanderung führten, sehr allgemein aufgeführt. Diese lagen sowohl in der wirtschaftlichen
Situation, als auch in der Verwaltungsstruktur, die mit einer hohen Belastung für die
Württemberger einherging. Um weitere Details zu den persönlichen Motiven der
Auswanderer zu erfahren, sollen hier nun einige individuelle Aussagen näher betrachtet
werden.
Die ersten persönlichen Angaben, die Friedrich List von Auswanderungswilligen erhielt,
stammten von zwei Bürgern aus Egolsheim, das im Bezirk des Oberamts Ludwigsburg lag.
Der 32-jährige Jakob Hampf beschwerte sich in seiner Aussage besonders über den
Schultheiß und den Bürgermeister des Ortes, also die wichtigsten Magistrate und
Amtspersonen. Einzig die Behandlung durch den Schultheiß sei der Grund für die
Auswanderung mit seiner Familie. „Mein Schultheiß hat mich sehr gedrükt, und mich
namentlich 2mal in den Thurm gesperrt, weil ich nicht bei der Jagdfrohn erschienen bin
(…).“98 Diese Bestrafung war laut Hampf ungerechtfertigt, da er an einer Fußkrankheit litt,
die er sich im Russlandfeldzug zugezogen hatte. Ebenso bemängelt Hampf das
Zusammenhalten des Schultheiß mit dem Bürgermeister sowie den anderen Magistraten, da
diese sämtlich miteinander verwandt seien. Selbst nachdem der Auswanderungswillige seinen
Besitz verkauft und die fälligen Steuerabgaben gezahlt hatte, wurde ihm bei der Erteilung der
Auswanderungserlaubnis noch die Kleidung besteuert, die er am Leib trug. Als Fazit gab
Hampf schließlich an: „Der Schultheiß hat es eben auf mein Verderben abgesehen.“99
Ähnliche Beschwerden wurden vom Zimmermann Johann Jakob Strähle, ebenfalls aus
Egolsheim, vorgebracht und als Grund für die Auswanderung angegeben. „Ich wandere aus,
weil ich keinen Verdienst habe und weil man unter dem Druk ist. Wir mögen klagen, wo wir
wollen, so finden wir kein Recht. Die Abgaben sind eben zu groß.“ 100 Allein in dieser Passage
stecken drei Motive, die zur Auswanderungsentscheidung führten. Zum einen waren dies
berufliche Schwierigkeiten mit einem Mangel an Einkommen. Ebenso konnten Bürger ihr
Recht zwar bei den zuständigen Stellen vorbringen, es jedoch nicht durchsetzen. Und
schließlich wurden zu hohe Abgaben an den Staat beklagt.
97Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 130.98Ebd.99Ebd., S. 131.100Ebd.
39
Neben diesen allgemeinen Gründen für die Auswanderung wurden auch konkrete Beispiele
der Korruption unter den Magistraten vorgebracht. So sollte etwa ein Auftrag für einen
Erddamm seitens der Herrschaft vergeben werden, dieser wurde jedoch nicht öffentlich
ausgerufen. Daher waren laut Strähle nur der Schultheiß und der Chausseeknecht bei der
Auftragsvergabe anwesend und konnten somit den Auftrag als Unternehmer annehmen. Die
Korruption ging wohl soweit, dass der Schultheiß anderen Handwerkern drohte, wenn diese
einen Auftrag günstiger als er annehmen wollten. 101 Einen Ausweg aus dieser Situation sah
Strähle nur, indem er sich an die übergeordnete Behörde wandte: „Ich habe zum Herrn v.
Wöllwarth in der OberRegierung gesagt: Ich will lieber in die Regierung zu einem gnädigen
Herrn als zu einem Schultheißen gehen.“102
Die Beschwerden über die Situation im Heimatort fielen nicht immer so konkret und
ausführlich aus, wie bei Hampf und Strähle. So gab der 29-jährige Maurer Christoph Schirm
lediglich an, dass die Steuerabgaben seine Einkünfte überstiegen: „(…) ich besitze ein
SteuerVermögen von 16 Kreuzern ordinärer Steuer und mußte davon 4 Gulden KriegsKosten
bezalen, ohne den großen Amts- und Flekenschaden. Das Ganze macht an Steuer 10 Gulden
von einem kleinen Häuslen und einem Morgen schlecht Felds.“ 103 Somit wanderten einige
Leute schlicht aus, da sie die Abgaben im Laufe der Zeit in eine Schuldenfalle führten. Der
geringe Besitz wurde dann meist für die Auswanderung selbst aufgewendet.
Nach dem Abschluss der Befragung in Heilbronn gab GensdarmerieLieutnant Knauer 104 eine
Zusammenfassung der Gründe für die Auswanderung der Bürger an, die er beim Ansprechen
der Leute erfahren hatte. „Es könne Einer für Alle und alle für Einen diese Ursachen
angeben. MißJahre, große Theurung, Bedrükung der Magistrate und der Beamten, allzu
große und unerschwingliche Abgaben, insbesondere CommunAuflagen, Gewaltthätigkeiten
der Forstleute, Frohnen pp. klage jeder gleich. Doch seyen auch mehrere dabei, welche
vorgeben, sie seyen bereits von ihren in Amerika befindlichen Verwandten aufgefordert
worden, dahin zu kommen.“ 105 Häufig wurden also die Ursachen der Auswanderung in der
eigenen Kommune gesehen, wo es schlechte wirtschaftliche und verwalterische Bedingungen
gab. Jedoch spielten auch die Briefe der bereits vorgezogenen und verwandten Auswanderer
eine Rolle, die zumindest die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Amerika weckten.
101 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 132.102 Ebd.103 Ebd., S. 133.104 Ebd., S. 139.105 Ebd., S. 139 – 140.
40
Nach seinem Aufenthalt in Heilbronn verfasste Friedrich List zunächst einen
Zwischenbericht, der jedoch hier nicht im Detail analysiert werden soll. Stattdessen kann sich
eine Betrachtung der nächsten Station der Befragung in Weinsberg lohnen, um die dort
vorherrschenden Gründe für die Auswanderung zu erfahren. Dabei soll darauf geachtet
werden, ob sich die angegebenen Motive der Auswanderungswilligen sehr von denen in
Heilbronn unterschieden, oder ob es ähnliche Beschwerden zur Wirtschaftslage und gegen die
Obrigkeit gab. In Weinsberg wurden die Personen ins Rathaus vorgeladen, die entweder
bereits eine Erlaubnis zur Auswanderung erhalten hatten oder zumindest schon den Entschluss
gefasst hatten.
Der erste Befragte in Weinsberg, der 36-jährige Christoph Schaar, besaß wohl zuvor ein
Landgut und konnte durch den Verkauf 4000 Gulden mit auf die Reise nehmen. Als ersten
Grund gab dieser ebenfalls zu viele Abgaben an, die zudem wenig transparent und
unregelmäßig abgerechnet würden. Hinzu kämen noch Kriegskosten und das Unterhalten von
Soldaten. Auf Nachfrage, was ihn letztlich zu dem Entschluss der Auswanderung gebracht
hatte, brachte Schaar eine Auseinandersetzung mit dem Oberamt vor. Er habe eine Magd aus
Ellhofen beschäftigt, wogegen ihr Schwager jedoch etwas hatte, da sie ein Verhältnis mit
einem ärmeren Burschen eingegangen war. „Deßwegen hat derselbe das Mädchen aus dem
Ort haben wollen, und ist zum OberAmt gegangen, wo er, wie ich bestimmt gehört habe,
gesagt hat: ich brauche so wenig eine Magd als der Bettler eine Goldwaage.“ 106 Der Konflikt
eskalierte schließlich bei einer Anhörung durch den Oberamtmann, wobei Schaar sowohl eine
Geldstrafe erhielt als auch in das Gefängnis für Verbrecher abgeführt wurde, obwohl
eigentlich nur der Thurm für leichtere Vergehen vorgesehen war. 107 Schaar fühlte sich durch
den Oberamtmann ungerechtfertigt behandelt und entschloss sich daher wegzuziehen. „Ich
habe anfänglich die Absicht gehabt, mich nur anderswo im Amt zu sezen, und daraufhin
schon im vorigen Spätjahr sogleich meine Güter verkauft. Aber wie die guten Nachrichten
von Amerika gekommen sind, habe ich mich auch entschlossen, mitzuziehen.“ 108 Hieraus lässt
sich gut ablesen, dass es nicht unbedingt zu einer Auswanderung kommen musste, wenn
Probleme mit der Obrigkeit im eigenen Amtsbezirk vorlagen. Allerdings beeinflussten die
Briefe aus Amerika stark und konnten somit auch zu einem Auswanderungsentschluss führen.
106 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 144.107 Ebd., S. 145.108 Ebd.
41
In seinem Fazit zählte Schaar jedoch noch einmal eine Reihe von Gründen auf: „Ich hätte es
freilich auch ausgehalten wie die andern, so lange es möglich gewesen wäre, wenn die
Nachrichten von Amerika nicht gekommen wären, und wir nicht mit gar zu grosen Abgaben
beschwert gewesen wären, was uns um so mehr gedrükt hat, weil mehrere MißJahre
aufeinander gefolgt sind.“ 109 In der Aussage von Christoph Schaar lässt sich gut erkennen,
dass es meist mehrere Gründe waren, die dann schließlich zu einem
Auswanderungsentschluss führten.
Bei einigen Aussagen der Auswanderungsbefragung fällt auf, dass eine allgemeine Angst vor
der Verarmung unter den Menschen vorherrschte, die zum einen durch die schlechte
Wirtschaftslage und die damit einhergehende Verteuerung der Lebensmittel und zum anderen
durch die hohe Abgabenlast verursacht wurde. Daher schien die Auswanderung für einige
Menschen ein Ausweg, um die verbliebenen Ersparnisse noch zu retten. So berichtete
beispielsweise der Bauer und Weingärtner Johann Georg Nothdurft, der noch 500 Gulden mit
auf die Reise nehmen konnte: „Ich habe, um meine Sache zu verbessern, eine Wiese verkauft
und wollte eine andere für den Erlös kaufen. Die Obrigkeit aber hat mir wegen meinem
SteuerRest auf den Erlös Arrest gelegt.“ 110 Nothdurft sah sich durch die ausstehenden Steuern
seiner Wirtschaftsgrundlage entzogen, da er keine andere Wiese kaufen und somit auch kein
Vieh mehr halten und kein Feld bebauen konnte. Hinzu kam die Angst vor weiteren Abgaben,
wie beispielsweise Kriegskosten, die noch nicht verrechnet worden waren. Zudem gab es bei
dem Bauern einen Wildschaden, wodurch er sein Getreide zu einem Preis von 5 Gulden pro
Scheffel verkaufen musste, während der Preis mittlerweile auf 18 bis 20 Gulden gestiegen
war. Eine wichtige Motivation einiger Auswanderer war auch, nicht mittellos der eigenen
Stadt zur Last zu fallen. „Wenn ich bei meinen durch die schwere Zeit zerrütteten
VermögensUmständen noch zuwartte, bis die KriegsKosten und Schulden vollends umgelegt
werden, was seit 2 Jahren rückständig ist, so bin ich ein Bettler, weil Alles und Alles auf die
Güter gelegt wird.“ 111 Eine langsam arbeitende Verwaltung konnte somit zur Belastung für
Menschen werden, die sich ohnehin in einer prekären wirtschaftlichen Situation befanden.
Wie im Falle von Nothdurft konnten Steuern gerade dann berechnet werden, wenn ein
landwirtschaftliches Gut oder eine Wiese verkauft wurde. Von dem Rest des Verkaufserlöses
konnte dann nur noch eine begrenzte Zeit das tägliche Leben finanziert werden.
109 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 145.110 Ebd., S. 146.111 Ebd.
42
Eine ähnliche Motivation zur Auswanderung hatte der Witwer Johannes Conrad, der zudem
sieben Kinder versorgen musste. „(...) jetzt habe ich 600 Gulden, wovon 400 Gulden für
meine Kinder stehen bleiben; die übrigen 200 Gulden aber nehme ich mit. Ich sehe voraus,
daß ich in wenigen Jahren der Stadt zur Last falle und da habe ich gedacht, ich will lieber in
Amerika mein Brod verdienen, als mich futtern laßen.“ 112 Viele Auswanderungswillige
erfuhren durch Briefe, dass man in Amerika leicht eine Arbeit finden könne und dass man sein
Auskommen somit leicht verdienen könne. Auch diese Information trug zur
Auswanderungsmotivation bei. Vor allem wenn Auswanderungswillige noch gut arbeiten
konnten, es jedoch in der Heimat keine Arbeit gab, kamen selten Hemmnisse auf, die von
einer Auswanderung abhalten konnten. Im Fall von Conrad überließ dieser seinen Kindern
einen gewissen Geldbetrag, mit dem sie dann für sich selbst sorgen mussten. Mit dem kleinen
Rest seines Vermögens versuchte er sein Glück in Amerika.
Unter den Befragten von Friedrich List gab es jedoch auch Personen, die sich noch einmal
gegen eine Auswanderung entschieden. So etwa Mattäus Glaser, der mit einem Vermögen von
10 – 12.000 Gulden bessergestellt war, als viele der Auswanderungswilligen. „(...) hat sich
entschloßen, da zu bleiben, erklärt aber, er wolle alle seine Güter verkaufen, weil alle
Abgaben auf dem Bauren liegen, und wolle vom Zinnß leben, was profitabler sey, weil der
Kapitalist keine Steuer und keinen Stadt- und AmtsSchaden zalen, und keine Soldaten halten
dürffe.“113 Es gab also nicht nur Gründe auszuwandern, vorausgesetzt man hatte das nötige
Kleingeld um auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten ohne Sorge leben zu können. Ohne
Güter musste Glaser auch nicht befürchten, Steuern und Abgaben zahlen zu müssen und ohne
eigenes Haus musste er keine Soldaten aufnehmen. Eventuell mietete er sich eine Wohnung,
was jedoch nicht genau aus seiner Aussage hervorgeht. In jedem Fall konnte er als angehender
Kapitalist sein Geld für sich arbeiten lassen und von den Zinsen leben.
Der letzte Teil der Auswandererbefragung des Rechnungsrats List fand am 5. und 6. Mai 1817
in Neckarsulm statt. Auch hier sollen noch einige Aussagen näher betrachtet werden, um eine
abschließende Beurteilung der analysierten Ego-Zeugnisse anfertigen zu können. Unter den
angetroffenen Auswanderungswilligen in Neckarsulm befanden sich nicht nur Personen, die
nach Amerika ausreisen wollten. Zum Teil wanderten auch Leute in Richtung Osten aus, in
ein Gebiet namens Banat, das damals zu Ungarn gehörte. Zusammengefasst wurden diese
Auswanderer unter dem Begriff Banater Schwaben.
112 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 147.113 Ebd.
43
Der 37-jährige Joseph Anton Kumpf besaß keinerlei Vermögen und hatte daher auch kaum
Chancen, sich nach Amerika einzuschiffen. Auch hatte er drei Kinder, die er kaum unterhalten
konnte. „Ich verdiene gegenwärtig 30 Kreuzer, was kaum zu meiner Unterhaltung zureicht.
Meine Kinder erhalten jedes eine halbe Portion Suppe. Auf diese Weise erhalten wir uns ganz
kümmerlich, und ich hoffe, durch den Wegzug in's Bannat dieser Noth zu entgehen.“ 114 Selbst
mittellose Menschen versuchten sich durch eine Auswanderung ein besseres Leben
aufzubauen. Anders als Auswanderer, die vorher sämtliche Güter verkaufen mussten, hatte
beispielsweise Kumpf nichts mehr zu verlieren und konnte nur versuchen, einen besseren Ort
zu finden. Zumindest musste sich auch dieser Auswanderer erst einmal auf eine beschwerliche
Reise begeben, doch immerhin war der Weg nach Osten nicht so kostspielig wie die Überfahrt
nach Amerika. In ähnlicher Weise äußerte sich auch der 47-jährige Dionys Anton Hörstein,
der ebenfalls kein Vermögen besaß. Die Stadt konnte den Weggang mittelloser Menschen
jedoch gut verschmerzen, da sie dann immerhin nicht mehr zur Last fielen. So bemerkten die
beisitzenden Urkundspersonen: „Diese Personen seyen dürftige Leute, (…), seye es zu
wünschen, daß sie die Stadt verlassen, da ihr Ruf nicht der beste sey.“115
In Neckarsulm kamen jedoch auch Bürger zu Wort, die noch einiges Vermögen mitnahmen.
So zum Beispiel der 51-jährige Bäcker Ferdinand Dieter, der zudem sieben Kinder hatte. Bei
der Auswanderung dachte er vor allem an seine Kinder, denen er eine bessere Zukunft
ermöglichen wollte. „Ich denke, nun fortzuziehen, um meinen Kindern eine Versorgung
verschaffen zu können, denn hier geht mein Vermögen vollends ein.“ 116 Als Grund für den
Vermögensschwund gab Dieter vor allem die öffentliche Haushaltsführung an, die sich stark
belastend auf die Bürger auswirke. „Vor 6 Wochen hat man erst von Georgy 1814/15 und
1815/16 abgerechnet, und jezt eben wird von Georgy 1816/17 abgerechnet, wo alles baar
bezalt werden soll. Es wird allerhand unnötiges Bauwesen in unserer Gemeinde
vorgenommen, und der Bürger muß dazu noch fröhnen. In dieser theuren Zeit ist diß nicht
auszuhalten.“117 Das Haushaltsdefizit der Stadt wurde somit nachträglich für drei Jahre
berechnet und auf die Bürger umgelegt. Besonders in einer Zeit mit sehr teuren Lebensmitteln
konnte dies zu einer stark vermögensbelastenden Situation bei den Bürgern führen. Nach dem
Ende der Befragungen fertigte List einen Abschlussbericht an. Dieser soll hier ebenfalls zur
Auswertung der wesentlichen Auswanderungsgründe herangezogen werden.
114 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 159.115 Ebd.116 Ebd., S. 160.117 Ebd.
44
Der Abschlussbericht von Friedrich List mit einem Umfang von 26 Manuskriptblättern
richtete sich an das zuständige württembergische Innenministerium und fasste die
wesentlichen Auswanderungsgründe zusammen, die bei der Befragung genannt wurden.
Interessant an der Aufstellung des Rechnungsrats ist eine systematische Gliederung der
Gründe in mehrere Einzel- und Unterpunkte. Diese betrafen „1. Unerschwingliche Auflagen
und Steuern, a. Kosten, die aus den vergangenen Kriegsereignissen herrühren, b. drückende
Verbrauchssteuern (Akzise) und Wegegelder, c. hohe Amts- und Gemeindesteuern infolge
schlechter Haushaltsführung und Korruption; 2. persönliche Bedrückungen durch
Ortsvorsteher und Beamte; 3. Mißstände im Schreibereiwesen (überhöhte Schreibgebühren);
4. Langsamkeit der Justiz, besonders beim Gantverfahren (Konkurs, gerichtliche
Zwangsversteigerung); 5. Bedrückungen durch Förster, Wildschäden; 6. Bedrückungen durch
Gutsherrschaften.“118 Im Wesentlichen fasst diese Aufstellung die Gründe zusammen, die
auch den Einzelaussagen entnommen werden können. Darunter fallen vor allem Mißstände,
welche die staatliche Verwaltung betreffen, als auch Probleme mit anderen Obrigkeiten, wie
beispielsweise dem Förster oder der Gutsherrschaft. Viele der angesprochenen Punkte wirkten
sich auf die Finanzen der Bürger aus, wodurch sich viele der Befragten vor einer unsicheren
und ärmeren Zukunft fürchteten. Ein Faktor, der dazu beitrug, war die hohe Arbeitslosigkeit,
wodurch sich viele der Auswanderungswilligen in der Heimat den nötigen Unterhalt nicht
mehr verdienen konnten. Dies sah auch List in seinem Abschlussbericht, in dem er zusätzlich
zu den Hauptgründen der Auswanderung die Faktoren „Mißwuchs, Teuerung, Mangel an
Arbeit, Religionsschwärmerei, betrügerische Auswanderungswerbung durch
‚Seelenverkäufer‘, Zureden von Ortsvorstehern, die mißliebige Personen loswerden wollen
oder auf billigen Güterkauf spekulieren.“ 119 zählte. Zu jedem Punkt fügte List Vorschläge an,
wie die Staatsverwaltung effizienter und weniger belastend für die Bürger gestaltet werden
könnte, beispielsweise durch eine allgemeine Vermögensertragssteuer.
Bis hierher ergab die Quellenarbeit vor allem Auswanderungsmotive, die zum einen im
Zielgebiet der Auswanderung lagen, was aus den zahlreichen Briefen hervorging. Zum
anderen trugen jedoch auch Probleme in der eigenen Heimat dazu bei, dass viele Menschen
eine Auswanderung als unvermeidlich ansahen. Auf persönliche Auswanderungsgründe, die
beispielsweise in der Familie liegen konnten, wurde meist nicht eingegangen.
118 Günter Moltmann (Hrsg.), Aufbruch nach Amerika, Tübingen 1979, S. 174.119 Ebd.
45
In einem letzten Kapitel der Quellenarbeit soll nun noch ein Bericht des Trierer Aus- und
Rückwanderers Ludwig Gall betrachtet werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei der
nur zeitweise Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und die Gründe, die für eine Rückkehr
sprachen.
2.3 Bericht des Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall
Der Bericht des Trierer Aus- und Rückwanderers Ludwig Gall 120 unterscheidet sich als
Quellentypus in verschiedener Hinsicht von den bereits behandelten Auswandererbriefen und
der Auswandererbefragung Friedrich Lists. Zunächst lässt sich durch die Veröffentlichung im
Jahr 1822 sagen, dass das Werk vor allem an Zeitgenossen und an nachfolgende Auswanderer
gerichtet war. Anders als bei den Überresten der Briefe und der im Archiv erhaltenen
Auswandererbefragung kann hier von einer Traditionsquelle gesprochen werden, deren Inhalt
überliefert werden sollte. Ebenfalls unterscheidet sich das veröffentlichte Tagebuch von den
Briefen und der Befragung insofern, als dass es nicht nur eine Perspektive abdeckt, also
entweder die der abreisenden Auswanderer mit ihren Problemen in der Heimat oder die der
bereits Ausgewanderten, welche die Vorzüge des neuen Landes genossen. Ludwig Gall
möchte sowohl von seinen ursprünglichen Beweggründen berichten, die ihn zur
Auswanderung getrieben haben, als auch von den Verhältnissen in Amerika und zum Schluss
ebenso wieder von den Gründen, die ihn zu einer Rückkehr veranlassten. Es lässt sich darüber
streiten, ob Gall tatsächlich als Auswanderer anzusehen ist, da seine Reise nur etwa
anderthalb Jahre dauerte. Immerhin bezeichnete er selbst dieses Unterfangen als
Auswanderung. Mit der Analyse seiner Auswanderungsmotive lässt sich herausfinden, ob
Gall von Anfang an nur auf Zeit auswandern wollte, oder ob er zunächst an ein dauerhaftes
Verbleiben in Nordamerika dachte. Neben dieser Fragestellung können hier weiterhin
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den bereits behandelten Auswanderern festgehalten
werden.
Bereits in der Einleitung wird bei Gall deutlich, mit welcher Intention er sein Werk verfasste
und veröffentlichte. Wichtig war ihm vor allem die Aufklärung der verblendeten Massen von
Auswanderungswilligen, die ein falsches Bild von dem so herrlich angepriesenen neuen Land
120 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, im Frühjahr 1819 und meine Rückkehr nach der Heimath im Winter 1820. Erster Theil, meine Beweggründe und mein Wirken zur Erleichterung der Auswanderung nach den Vereinigten Staaten und mein Reisetagebuch enthaltend, Trier 1822.
46
hätten und vielfach von einem Paradies träumten, jedoch etwas anderes vorfänden. „Eine
heilige Pflicht scheint es mir daher, daß Jeder, was er vermag, beitrage zur Berichtigung der
falschen und zur Verbreitung richtiger Ansichten von den Vereinigten Staaten und andern
fernen Ländern, welche wir um ihre Fruchtbarkeit, ihre Produkte, ihren Himmel und ihre
politischen Einrichtungen beneiden, so lange wir nur die schönere Seite von allen diesen
Dingen kennen, mit welchen wir aber nicht tauschen wollen, sobald uns auch ihre
Schattenseite glaubwürdig bekannt wäre.“121 Mit dieser Intention deutete Gall bereits an, dass
er selbst enttäuscht war von den Verhältnissen in Nordamerika, die er sich zunächst schöner
vorgestellt hatte. Damit wird auch klar, dass er keinesfalls Werbung für die Sache der
Auswanderung machen wollte, sondern im Gegenteil eher vor einer solchen Unternehmung
warnen wollte. Laut Gall traten viele der Auswanderer bereits nach kurzer Zeit wieder die
Rückkehr an, wozu er schließlich auch gehörte. Daher lohnte es sich seiner Ansicht nach
nicht, die Mühen und Risiken auf sich zu nehmen. Mit dieser Intention, die gleich vorweg in
der Einleitung geschildert wurde, könnte jedoch auch eine gewisse Tendenz in der restlichen
Schilderung entstanden sein. Bei der Beschreibung seiner Beweggründe für die
Auswanderung könnten die Hoffnungen und Erwartungen an die neue Situation zu farbenfroh
geschildert sein, wohingegen die von ihm sogenannten Schattenseiten in den Vereinigten
Staaten zu drastisch dargestellt sein mögen. Bei der Analyse ist daher auch eine Beurteilung
des Schreibstils wichtig, die entweder die beschriebene Tendenz unterstreicht, oder die
Aussagen Galls etwas neutraler erscheinen lässt. Auf diesen Punkt soll später noch einmal
eingegangen werden.
Zu Beginn des Kapitels über seine „(…) Beweggründe zur Theilnahme an der Angelegenheit
des Auswanderns. - Versuche, in Trier einen Verein für meine Zwecke zu Stande zu bringen.
Verbindung mit einer Colonisations-Gesellschaft in der Schweiz.“ 122 versucht Gall die
allgemeinen Ursachen der massenhaften Auswanderungsbewegung zu erfassen und seine
eigene Motivation anschließend damit zu erklären. Die Gründe für die
Auswanderungseuphorie sah Gall vor allem in einer wachsenden Unzufriedenheit, oftmals mit
der eigenen wirtschaftlichen Situation. Als Auslöser dafür sah er das sogenannte
Kontinentalsystem, welches von Napoleon eingeführt wurde und für einen rascheren
Güterumschwung, jedoch nicht für einen steigenden nationalen Wohlstand sorgte. Nach dem
Krieg gegen Napoleon und der neuen Friedensordnung nach dem Wiener Kongress kehrten
121 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 3.122 Ebd., S. 10.
47
viele Soldaten in ihre deutsche Heimat zurück, fanden jedoch keine Arbeit. „Die Folge
davon, die noch jetzt durch alle Zweige des Erwerbs fühlbar ist, war jener Mißmuth, jene
Unzufriedenheit fast aller Klassen, welche schon gleich nach Wiederherstellung des Friedens
hier und dort den Hang zur Auswanderung so mächtig erneuerten, und wovon eine andere
Wirkung war, daß sie zu ungewohnten Ersparungen und Einschränkungen aller Art führten,
welche, den Gewerbfleiß lähmend, sehr dazu beitrugen, die Noth der niedern Klassen in dem
Prüfungsjahre 1817 noch zu vergrößern, und die Meinung zu verbreiten, daß wir vorzüglich
in vielen Gegenden Deutschlands und der Schweiz, übervölkert seyen.“123 Die
Unzufriedenheit zog sich somit laut Gall durch sämtliche Bevölkerungsschichten, allerdings
bekamen nur die ärmsten Klassen die Not durch Arbeitslosigkeit richtig zu spüren. Besonders
im Jahr des Erntemangels und der Wirtschaftskrise mit zahlreichen Preissteigerungen 1817
führte die Situation zu vielen Auswanderungsentschlüssen. Allerdings wurden die
Auswanderungswilligen meist wenig vom eigenen Staat unterstützt und bekamen eher noch
Hindernisse in den Weg gelegt. So musste alles in der Heimat zurückgelassen werden, um
überhaupt ausreisen zu können. Die massenhafte Auswanderungswelle führte häufig zu
drastischen Situationen, besonders in den Hafenstädten in Holland, wo sich viele
Auswanderer lange Zeit mit Betteln behelfen mussten, ehe sie sich überhaupt einschiffen
konnten. Diese Situationen, ebenso wie die Gefahren bei der Überfahrt durch Krankheit und
Platzmangel, wurden von Gall besonders detailliert geschildert. Schließlich wollte er seiner
Intention nach von einer Auswanderung abraten, um möglichen Enttäuschungen vorzubeugen.
Als Gall jedoch im Jahr 1819 die Überfahrt nach Amerika selbst antrat, war seine Motivation
eine ganz andere. „Keine andere Angelegenheit der menschlichen Gesellschaft öffnete, in
meinen Augen, dem Menschenfreunde ein so weites Feld zu wohlthätiger Wirksamkeit, als
diese; und dieser Überzeugung folgte der Entschluß, den H. E.... ein Freund meiner Jugend,
mit mir theilte, von da an alles, was wir vermochten, zur Erleichterung der hart Bedrängten
zu unternehmen, welche, daheim unzufrieden oder erwerblos, in der Auswanderung ihr Heil
zu finden glaubten.“ 124 Gall wollte sich somit zunächst engagieren, um den zahlreichen
Auswanderern bei ihrem Unterfangen zu helfen. Zu seiner Überzeugung, von der
Auswanderung besser abzuraten, gelangte er wohl erst nach seiner eigenen Reise. Zunächst
wusste der angehende Wohltäter nur noch nicht genau, wie er gemeinsam mit seinem Freund
den Auswanderern helfen konnte.
123 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 12.124 Ebd., S. 19.
48
Gall gelangte recht bald zu der Erkenntnis, dass man die Auswanderung nicht komplett
stoppen konnte, jedoch auch nicht dafür werben sollte. Seinen liberalen Überzeugungen nach
sollte der Gegenstand nur seiner Natur und dem freien Willen der Menschen überlassen
werden. Indirekt forderte er auch die Fürsten auf, etwas mehr Wohltätigkeit für die
Auswanderungswilligen zu üben. Als direkte und eigene Aufgabe sah es Gall jedoch an,
Gesellschaften zu stiften, „(...) zu dem Zwecke nothdürftiger Unterstützung und des Verkehrs,
mit denen in Amerika, (…).“ 125 Das Ziel dieser noch zu gründenden Gesellschaften war
ebenfalls rasch formuliert: „(...), nämlich: hier bei der Einschiffung und jenseits bei dem
Landankauf die Ausgewanderten gegen gewissenlose Habsucht in Schutz zu nehmen, - dann
aber, ferner – durch zuverlässige Mittheilungen hiesige Menschenfreunde in den Stand zu
setzen, entweder von der Auswanderung abzurathen oder sie zu erleichtern, je nachdem das
Eine, oder das Andere dem wohlverstandenen Besten der zur Auswanderung Geneigten
angemessen scheinen würde.“126
Über die Finanzierung seiner Auswanderungsgesellschaft schrieb Gall zunächst nichts
Genaues, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die Stifter etwas dazu
beitrugen, als auch die zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossenen Auswanderer,
wodurch eine gemeinschaftliche Kasse entstand. Die ersten Maßnahmen der
Auswanderungsgesellschaft wurden im Laufe des Jahres 1818 durchgeführt, indem der
Freund Ludwig Galls, Herr E., zunächst im Winter die verschiedenen Häfen bereiste, um vor
allem Verhandlungen mit den Schiffskapitänen über Preise und Reisebedingungen zu führen.
Gall selbst sorgte in der Heimat für die Veröffentlichung der ihm zugetragenen Nachrichten
aus den Hafenstädten. Zudem sollten die Auswanderungswilligen direkt vor Ort in den Häfen
zu einer Gemeinschaft vereint werden, um so über die Gesellschaft Gruppenverträge
abschließen zu können. Herr E. sollte nach diesen Verhandlungen selbst die Reise nach
Amerika antreten, um wiederum über die Reisebedingungen und die Behandlung der
Ausgewanderten berichten zu können. Ein Ziel der Auswanderungsgesellschaft war es
ebenfalls, „die Regierungen unmittelbar oder durch den edlen Beschützer der
Auswandernden, den Herrn Minister v. Gagern, auf diejenigen Mißbräuche aufmerksam zu
machen, welchen, etwa nur durch Gesetze gesteuert werden könnte.“ 127 Gall sah sich somit
zunächst als Bindeglied der Auswanderungsgesellschaft zur heimischen Politik.
125 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 24.126 Ebd., S. 24 – 25.127 Ebd., S. 26.
49
Nach der Auswanderung des Herrn E., der zunächst die östlichen Staaten Amerikas erkunden
und sich anschließend in Cincinnati niederlassen sollte, wollte Gall im darauffolgenden Jahr
selbst mit seiner Familie nachfolgen. Die eigentliche Motivation seiner Auswanderung kann
nach seiner Schilderung in den Zielen der von ihm und seinem Freund gegründeten
Auswanderungsgesellschaft gesehen werden. Der voraus gereiste Herr E. sollte danach „(...)
die noch glimmenden Funken deutscher Volksthümlichkeit aufsuchen und besonders die ihn
begleitenden Auswanderer wenigstens der Sprache, den Sitten, den Tugenden und dem
Andenken der Väter zu erhalten suchen.“128 Somit war klar, dass die
Auswanderungsgesellschaft von Gall und Herrn E. nicht nur gemeinnützig wirken und bei der
Auswanderung behilflich sein, sondern auch die Aufgabe haben sollte, ein Stück der
deutschen Kultur zu erhalten. Hierzu sollten die Auswanderer soweit möglich an einem Ort
versammelt und von der angloamerikanischen Bevölkerung getrennt werden. Somit betrieb
die Auswanderungsgesellschaft also Abgrenzung mit dem Ziel des Erhalts einer deutschen
Identität.
An dieser Stelle kann erneut auf die Frage der Auswanderung des Ludwig Gall eingegangen
werden. Sein Ziel kann zu Beginn seiner Tätigkeit als Auswanderung verstanden werden, da
er von einer dauerhaften Niederlassung des Herrn E. schrieb, dem er ein Jahr später mitsamt
seiner Familie nachfolgen wollte. Aus welchen Gründen Gall etwa anderthalb Jahre später die
Rückkehr unternahm, kann hier nicht mehr genauer aufgeschlüsselt werden. Zumindest der
Intention seiner Schrift nach kann davon ausgegangen werden, dass er selbst enttäuscht von
der Situation in Amerika war, die seinen Erwartungen nicht gerecht wurde. Am ehesten lässt
sich der Bericht des Ludwig Gall hier mit der Auswandererbefragung des Friedrich List
vergleichen. Wenn auch weit ausführlicher, wird hier die eigene Motivation des Auswanderers
selbst erklärt. Anders als bei vielen Württembergern im Jahr 1817 jedoch war es nicht die
wirtschaftliche Not, die Gall zu einer Auswanderung trieb. Stattdessen wollte er über die
Gründung einer Auswanderungsgesellschaft viele Auswanderungswillige in den Häfen
Hollands vereinen, um ihnen Überfahrt und Ankunft in Amerika zu erleichtern. Nach der
Überfahrt sollten die Auswanderer durch die Vorbereitungen des Herrn E. gemeinsam siedeln
und wenn möglich ihre deutschen Traditionen bewahren. Auch wenn Gall einige Kritik an
dem Unterfangen der Auswanderung an sich übte und in seinem Werk davon abraten wollte,
lobte er die in Amerika herrschende Freiheit129, die für seine Zwecke nützlich war.
128 Ludwig Gall, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, Trier 1822, S. 26.129 Ebd.
50
3. Auswanderungstheorien
In den ersten zwei Hauptkapiteln dieser Arbeit wurde untersucht und gezeigt, dass es
bestimmte historisch belegbare Auswanderungswellen in unterschiedlichem Ausmaß und
Intensität gab und dass hierfür nachvollziehbare Gründe gefunden werden können. Diese sind
einerseits in der Struktur eines Landes verankert und können somit als Umstände deklariert
werden, welche die Auswanderung aus diesem Land zu einem bestimmten Zeitpunkt
beeinflussten, anschoben oder ausbremsten. Weitere Gründe oder Motive liegen auf der
persönlichen Ebene, die somit nur durch die Betroffenen selbst offenbart werden können.
Diese wurden anhand des Quellenmaterials herausgefiltert und exemplarisch auf der
Grundlage einiger Aussagen von Auswanderern analysiert. In diesem dritten Teil sollen nun
wissenschaftliche Theorien herangezogen und verglichen werden, die sich im Feld der
Migrationsforschung bewegen und somit bestimmte Wanderungsformen erklären können. Im
Zusammenwirken mit den ersten beiden Kapiteln kann herausgefunden werden, welche
theoretische Erklärung am ehesten auf die Auswanderung in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts angewendet werden kann.
Migrationsforschung betrifft nicht nur ein Fachgebiet alleine, sondern ist an sich
interdisziplinär aufgestellt und wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Vor allem die
Sozial- und Verhaltenswissenschaften, wie Soziologie und Psychologie, werden mit der
Thematik der Auswanderung in Verbindung gebracht, da sie den „Entscheidungs-,
Wanderungs- und Anpassungsprozess“ 130 als eine bestimmte Form des menschlichen
Verhaltens betrachten, die sich zunächst nicht wesentlich von anderen Formen unterscheidet.
Bei der Frage nach den Auswanderungsgründen jedoch sind sich die Fachrichtungen eher
uneinig. Diese können sowohl aus historischer, demographischer, politologischer,
wirtschaftswissenschaftlicher als auch aus soziologischer Sicht benannt werden. Lüthke führt
jedoch in seinen Überlegungen an, dass in diesen Fachbereichen eher äußere Umstände als
Auswanderungsgründe dienen und dass diese alleine nur einen unzureichenden
Erklärungswert besitzen.131 Aus diesem Grund soll dieses Kapitel das Erklärungspotential für
historische Auswanderungswellen erweitern und sowohl auf soziologische Theorien und
Modelle als auch auf psychologische Ansätze eingehen. Interessant wird dann der Bezug zu
den historischen Fragestellungen an die analysierten Ego-Zeugnisse.
130 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 17.131 Ebd., S. 21.
51
3.1 Soziologische Modelle und Erklärungen
Eine übergreifende und bereits lange bestehende Theorie in der soziologischen
Migrationsforschung, die sich auf sämtliche Formen von Wanderungen bezieht, ist das
sogenannte push-pull Modell. Hierbei sei angemerkt, dass dieses Modell im Wesentlichen auf
äußere Umstände eingeht und daher lediglich als Orientierungsrahmen dienen kann. Die
jeweiligen push oder pull Faktoren können Auswanderungsentscheidungen erleichtern oder
anschieben, jedoch nicht vollständig erklären. Ausgegangen wird von verschiedenen
Faktoren, die entweder im Heimatland der Auswanderer oder im Zielland liegen. Diese
können entweder aus der eigenen Heimat abstoßen (push), oder das Zielgebiet besitzt eine
hohe Anziehungskraft und wirkt hierdurch sehr attraktiv (pull). Allgemein lassen sich push-
Faktoren auch als unbefriedigende oder sogar bedrohliche bis gefährliche Situationen in der
Heimat definieren. Pull-Faktoren vermitteln dagegen ein Bild von Wohlstand und Sicherheit132
in einer bestimmten Region, die dann als Zielgebiet der Wanderung ausgewählt wird.
Als abstoßende push-Faktoren können beispielsweise Kriege, Verfolgung, Armut und Hunger
sowie Umweltkatastrophen auftreten. Hinzukommen können einige zusätzliche Punkte, die
den Auswanderungsdruck noch vermehren und somit die push-Faktoren verschärfen.
Beispielsweise führte die wachsende Bevölkerung im Südwestdeutschland des 19.
Jahrhunderts zu einer prekären Versorgungslage. Wie bereits anhand der Studie von Hippels
für Württemberg gezeigt wurde, gab es eine große Zahl an Kleinstbetrieben, insbesondere in
der Landwirtschaft und im Handwerk, die sich kaum über Wasser halten konnten. Es gab eine
Überzahl an Arbeitskräften aber zu wenig Arbeit, wodurch es in Krisenzeiten zu Armut und
Hunger kam. Die vorangegangenen Kriege mit Napoleon waren für die Situation ebenfalls
nicht hilfreich. Oftmals mussten im eigenen Haushalt noch Soldaten untergebracht und
mitversorgt werden, was die Kosten noch erhöhte. Demgegenüber gab es in Zielgebieten wie
Nordamerika oder Osteuropa pull-Faktoren wie einen höheren Arbeitskräftebedarf, höhere
Löhne und die Möglichkeit, sich bereits ausgewanderten Familienangehörigen anzuschließen.
Häufig mussten Auswanderer erst über die Situation im Zielgebiet berichten, wie dies in den
zahlreichen Auswandererbriefen geschah, damit die Informationen in die frühere Heimat
gelangten.
132 Demokratiezentrum Wien, Arbeitswissen zum Lernmodul: Migration – Migrationsgeschichte und Einwanderungsgeschichte in Österreich und im europäischen Kontext, URL: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/wissen_push_pull_faktoren.pdf , Stand 2008, gesichtet 30.10.2012.
52
In der Soziologie wird das Nachziehen von Bekannten oder Familienangehörigen in das
Umfeld bereits vorausgereister Auswanderer auch Kettenmigration genannt. Theoretisch kann
dabei stets eine Gruppe von Auswanderern der vorigen folgen, was auch
generationenübergreifend andauern kann. Der Vorteil bei der Kettenmigration ist dabei häufig
die Senkung persönlicher Kosten, die ohne entsprechende Vorbereitungen höher ausfallen.
Zum einen spielen dabei die Informationen eine wichtige Rolle, die von den bereits
Ausgewanderten in die Heimat gesendet werden, wie beispielsweise Hinweise über mögliche
Arbeitsplätze, über verfügbares Land und sonstige Verhältnisse im Zielgebiet. Zum anderen
können auch materielle Hilfen die Auswanderung von Nachfolgenden erleichtern. Hierzu
kann beispielsweise ein versprochenes Erbe zählen, oder die Überweisung von Geldbeträgen,
die dann für die Überfahrt genutzt werden können. Ebenso können bereits Vorkehrungen im
Zielgebiet getroffen werden, sodass für die Nachfolgenden eine Unterkunft und eventuell
auch eine Arbeitsstelle bereitsteht. 133 Nicht nur für neue Auswanderer hat das System der
Kettenmigration Vorteile, auch die bereits angesiedelten Migranten profitieren davon. Diese
besitzen meist eine persönliche Motivation, soziale Bindungen und ihre Beziehungen in die
Heimat zu erhalten. Im Zielland selbst wird versucht, eine Art Heimatersatz 134 zu schaffen,
indem besonders mit Menschen der gleichen Herkunft Kontakt aufgenommen wird, wodurch
wiederum soziale Netzwerke entstehen. Dies kann bis zur Gründung von bestimmten
ethnischen Gemeinschaften gehen, die sich von der übrigen Gesellschaft isolieren können.
Dies war beispielsweise bei der Gründung sogenannter Germantowns im 18. und 19.
Jahrhundert in Nordamerika der Fall, in denen ganze Gemeinden ihre Kultur und Lebensweise
mit der deutschen Sprache, deutschen Zeitungen und der gleichen religiösen Konfession wie
in der Heimat erhalten wollten.
Sowohl Kettenmigration als auch Push- und Pull-Faktoren können sich gegenseitig ergänzen,
sie können sich jedoch auch widersprechen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass
Auswanderungsentscheidungen nicht immer nur nach rationalen Gesichtspunkten getroffen
werden, wie dies die Gegenüberstellung der Faktoren vermuten ließe. Ebenso können auf den
ersten Blick irrationale Entscheidungen getroffen werden, auch wenn die Bedingungen im
Zielland nicht unbedingt sehr rosig erscheinen. In der Gesamtbetrachtung überwiegen meist
soziale und emotionale Bindungen135 gegenüber dem ökonomischen Vorteil.
133 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 10.134 Ebd., S. 11.135 Ebd., S. 13.
53
Die Begriffe der Kettenmigration und der Push- und Pull-Faktoren beschreiben jeweils die
Art, wie eine Auswanderung vonstatten gehen kann oder wie sich die beteiligten Akteure
entscheiden. Allerdings sind dies noch keine vollständigen Theorien, die das Phänomen der
Migration umfassend erklären können. Die ersten Forschungen hierzu entstanden gegen Ende
des 19. Jahrhunderts von Ernest George Ravenstein in dem Bestreben, ähnlich wie bei einer
Naturwissenschaft die Gesetzmäßigkeiten der Auswanderung zu entdecken. 136 Diese leitete er
im Wesentlichen von empirischen und statistischen Untersuchungen seiner Zeit ab. Als
wichtigstes Ergebnis dieser ersten theoretischen Betrachtungen entstand das sogenannte
Gravitationsmodell der Migration, nach dem die Stärke des Migrationsstroms mit der Distanz
zum Zielland abnimmt. Somit entscheiden sich viele Auswanderer eher für eine
Auswanderung in nahegelegene Städte oder maximal in die jeweiligen Nachbarländer. Damit
ging Ravenstein auch von einer Entvölkerung der ländlichen Gebiete und einer Zunahme der
Bevölkerung in den Städten aus. Das Gravitationsmodell von 1889 trifft wohl vor allem auf
die Zeit der Industrialisierung zu, in der sich viele Menschen vom Land in die Städte begaben.
Mittlerweile gilt diese erste Migrationstheorie jedoch als überholt.
Selbstverständlich lassen sich nicht alle Migrationstheorien auf die Situation in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts anwenden, da sie entweder veraltet sind oder ihren Schwerpunkt
auf hier weniger relevante Sachverhalte legen. So beschäftigten sich im Laufe des 20.
Jahrhunderts beispielsweise einige Forscher mit der Assimilation im Einreiseland oder dem
Verlust an Bildungselite durch Auswanderung, dem sogenannten Brain Drain. Dieses Kapitel
soll jedoch vor allem auf Theorien eingehen, die sich schwerpunktmäßig mit der
Ursachenforschung der Auswanderung beschäftigen oder diese zumindest berücksichtigen.
Eine Theorie aus den 1950er Jahren stammt von Shmuel N. Eisenstadt und bezeichnet die
Migration als „physische Transplantation (physical transition) von Einzelnen und Gruppen
aus einer angestammten und vertrauten zu einer fremden soziokulturellen Lebenswelt.“ 137
Dabei unterscheidet er drei Phasen, die zum Prozess der Auswanderung gehören. Vor allem
die erste Phase ist wichtig, um die Motive der Auswanderer nachvollziehen zu können.
Zunächst entstehen laut Eisenstadt Gefühle der Unsicherheit und Unzulänglichkeit in Bezug
auf die Lebensbedingungen in der eigenen Heimat. Diese Gefühle verdichten sich nach und
nach, bis es zu konkreten Überlegungen über die Auswanderung an sich kommt. Ähnlich wie
dies in einige Auswandererbriefe eingeflochten wurde, mussten bei diesen Überlegungen stets
136 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 38.137 Ebd., S. 43.
54
die vorhandenen Risiken und Unsicherheiten der Auswanderung mitberücksichtigt werden.
Dazu gehörte die Aufgabe der eigenen Bürgerrechte und somit der Verzicht auf eine
eventuelle Armenunterstützung. Hinzu kamen Risiken, die mit der Reise und der Überfahrt
nach Amerika einhergingen, wie beispielsweise lebensbedrohliche Krankheiten. Schließlich
konnte kaum abgeschätzt werden, wie die Aufnahme im Zielland vonstatten ging, ob es etwa
eine geeignete Arbeitsstelle gab und welche Lebensbedingungen vorherrschten. All dies
musste in die Überlegungen einfließen, daher konnte eine Entscheidung für die
Auswanderung nie ad hoc fallen, sondern erst nach einem Prozess der sich verdichtenden
psychischen Disposition. 138 Erst wenn sich der potentielle Auswanderer gedanklich eine
Verbesserung der Lebensbedingungen, sowohl materiell als auch soziokulturell im Zielland
vorstellen kann und sich einigermaßen sicher ist, kann eine endgültige Entscheidung getroffen
werden. In der Realität fand häufig eine Beeinflussung in diesem Entscheidungsprozess statt,
beispielsweise durch die Werbung von Auswanderungsagenten oder durch die rosige
Beschreibung in den zahlreichen Auswandererbriefen.
In der zweiten Phase findet die Migration selbst statt, die wiederum als Prozess aufgefasst
werden kann. Dieser ist in eine Desozialisierung und eine Resozialisierung untergliedert.
Zunächst werden sämtliche gesellschaftliche Verbindlichkeiten, soziale Rollen, Interaktionen
und Partizipationsbezüge aufgegeben, wodurch Orientierungsstörungen und eine
Strukturlosigkeit im Leben auftreten können. Dies äußert sich meist in einer Angst vor der
Zukunft, die von Unsicherheiten geprägt ist. Die Resozialisierung in einer neuen Umgebung
findet als Lernprozess statt, in dem sich die Auswanderer mit den neuen Lebensbedingungen
und den soziokulturellen Begebenheiten vertraut machen müssen. So wie sich die Betroffenen
an die Änderungen in ihrem Leben gewöhnen müssen, findet auch eine Anpassung des
Selbstbildes und der eigenen Werte statt.139
Die dritte Phase besteht nun aus der eigentlichen Assimilation der Migranten in ihre neue
Heimat. Eisenstadt nannte dies auch den Absorptionsprozess, der in drei Teilprozesse
unterteilt ist. Zunächst werden die jeweiligen Rollenerwartungen und die Verhaltensweisen im
Alltag institutionalisiert. Dies meint vor allem das Erlernen von Umgangsformen, der Sprache
und anderer Alltagstechniken. Im nächsten Schritt findet die Anpassung der Immigranten an
die Anforderungen der jeweiligen Aufnahmegesellschaft statt und schließlich dringen die
Einwanderer voll in die Gesellschaft ein und verschmelzen mit dieser.
138 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 44.139 Ebd.
55
Die Theorie von Eisenstadt macht die Prozesshaftigkeit der Auswanderung selbst und auch
der vorherigen Motivation dazu deutlich. In den betrachteten Aussagen der Auswanderer lässt
sich der Überlegungsvorgang bis hin zu einer Entscheidung jedoch schlecht nachvollziehen.
Bei den Auswandererbriefen war der Prozess der Migration bereits abgeschlossen und auch
bei der Befragung durch Friedrich List waren die Betroffenen bereits von ihrem Vorhaben
überzeugt. Lediglich im Bericht von Ludwig Gall lässt sich ein Prozess nachvollziehen. Er ist
zunächst vollkommen gegen die Auswanderung und prangert die schlechten
Reisebedingungen an. Später entscheidet er sich jedoch dafür, mit seiner
Auswanderergesellschaft die Not der Betroffenen zu lindern und sogar selbst nach Amerika zu
reisen, auch wenn dies bei ihm nicht von Dauer war. Die Theorie von Eisenstadt ließe sich um
eine vierte Phase erweitern, die bei einer gescheiterten Assimilation eintreten würde. Somit
kann auch das Scheitern und die Rückreise als ein sich bei manchen Auswanderern
vollziehender Prozess angesehen werden.
Eine weitere Theorie zur Erklärung der Migration stammt von Hans-Joachim Hoffmann-
Nowotny. Dieser bettete seine Überlegungen in den 1970er Jahren in die Theorie struktureller
und anomischer Spannungen von Peter Heintz ein. Dabei spielen vor allem die zwei Größen
Macht und Prestige eine wichtige Rolle, die im sozietalen System ungleich zugänglich und
ungleichgewichtig verteilt sind. Vorausgesetzt wird, dass hinsichtlich der zentralen sozialen
Werte ein Konsens in sozietalen Systemen besteht und dass sich Macht und Prestige
tendenziell angleichen. Macht wird dann als Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf Teilhabe
an den zentralen sozialen Werten angesehen. Prestige ist wiederum die Legitimität dieser
Ansprüche.140
Treten in einem sozietalen System, wie Hoffmann-Nowotny es nennt, Macht und Prestige
ungleich auf, entstehen sogenannte strukturelle Spannungen. Diese bestehen aus einem
Machtdefizit auf den unteren Positionen des Systems und einem Machtüberschuss auf den
oberen Positionen.141 Dies wird jeweils an der Verfügbarkeit von Prestige gemessen, somit ist
auf den unteren Positionen mehr Macht legitim, aber nicht vorhanden und auf den oberen
Positionen ist tendenziell zu viel Macht vorhanden. Im Normalfall und ohne strukturelle
Spannungen sollten sich auf jeder Stufe im sozietalen System jeweils Macht und Prestige in
der Balance halten, wodurch die jeweiligen Ansprüche stets auch legitimiert wären.
Strukturelle Spannungen werden in der Folge durch anomische Spannungen ausgeglichen.
140 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 51.141 Ebd.
56
Beide Arten von Spannungen, die im System angelegt sind, können sich auf die Individuen
auswirken. Wird ein Individuum von einer strukturellen Spannung betroffen, wird im
Gegenzug die anomische Spannung darauf gerichtet sein, Macht und Prestige wieder
auszugleichen. Dies funktioniert nur, wenn das Individuum entweder seine Position im
sozietalen System ändern kann, oder durch Emigration daraus ausscheidet. Somit richtet sich
die Auswanderung stets auf ein System mit einer geringeren strukturellen Spannung. 142
Anders gesagt wandern Individuen nach der Theorie von Hoffmann-Nowotny dahin aus, wo
es geringere Unterschiede zwischen Ansprüchen und Legitimität gibt bzw. zwischen Macht
und Prestige.
Ähnlich wie bei Eisenstadt liegt für Hoffmann-Nowotny die Ursache der Migration im
Herkunftsgebiet selbst, die hier mit struktureller Spannung umschrieben wird. Der Prozess der
Auswanderung wird als rationale Entscheidung angesehen, die in mehreren kleinen Schritten
vollzogen wird. Hierbei ist besonders der Wechsel von einem spannungsreichen in einen
spannungsärmeren Kontext von Bedeutung. 143 Implizit soll somit die geographische Mobilität
auch eine vertikale Mobilität im Status herbeiführen. Somit erhofften sich also viele
Auswanderer im 19. Jahrhundert eine Verbesserung ihres eigenen Status, etwa durch eine
bessere Möglichkeit Geld zu verdienen und damit die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Nach
Hoffmann-Nowotny müssten Auswanderer in einem neuen sozietalen System eine höhere
Position erreichen, als in ihrem alten System. Damit geht ebenfalls eine höhere Macht einher,
also der Anspruch auf die Teilhabe an den zentralen sozialen Werten. Diese werden in der
Theorie nicht genau definiert und können von System zu System verschieden sein.
Beispielsweise können sich die Werte durch eine bestimmte Bildung ausdrücken, durch
kulturelle Teilhabe, durch politischen Einfluss oder auch nur durch bestimmte Statussymbole
oder Geld. Eine wesentliche Voraussetzung für den Wunsch nach Aufstieg und die
Wahrnehmung von Ungleichheiten ist laut Han jedoch zunächst die Vermittlung bestimmter
Werte. Dazu gehören etwa Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freizügigkeit in der
Bewegung von Personen, Waren, Kapital und Technologie. 144 Erst wenn diese als zentrale
Werte wahrgenommen werden, entsteht auch ein Wunsch nach Teilhabe. Anders gesagt kann
es keine strukturellen Spannungen geben, wenn Individuen nichts von den zentralen sozialen
Werten wissen, an denen sie mehr oder weniger teilhaben.
142 Günter Albrecht, Soziologie der geographischen Mobilität, Stuttgart 1972, S. 148.143 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 52.144 Ebd., S. 54.
57
Folgt man den Überlegungen Hans zur Theorie von Hoffmann-Nowotny, steckt darin auch ein
wenig Marxismus. Die Menschen benötigen danach ein Bewusstsein für ihre soziale Lage, um
diese verändern zu wollen. Es wäre sicherlich zu weit gefolgert, dass Emigration eine Art des
Klassenkampfes war. Allerdings war vielen Menschen im 19. Jahrhundert ihre wirtschaftliche
Situation durchaus bewusst und die Auswanderung war ein Ausweg, um zumindest eine
Chance auf sozialen Aufstieg zu bekommen.
Während die Theorie von Hoffmann-Nowotny, Emigration sei ein Mittel zur Übertragung von
Prestige und Macht zwischen den sozietalen Systemen und ein Mittel zum Ausgleich
wahrgenommener struktureller Spannungen beim Individuum, sowohl auf der Makroebene als
auch auf der Mikroebene anwendbar ist, bezieht sich die Theorie von Hartmut Esser
vollkommen auf die Ebene des Individuums. Sein Ansatz ist seit den 1980er Jahren
handlungstheoretisch-individualistisch ausgelegt. Danach sind alle sozialen Prozesse, wozu
auch die Migration gehört, auf das Empfinden und das interessengeleitete Handeln und
Lernen der Menschen zurückzuführen. Die theoretische Position von Esser begründet sich
dabei auf die Soziologen Max Weber, Talcott Parsons und Alfred Schütz. 145 Gleichzeitig
kritisiert Esser auch bereits existierende Theorien, wie beispielsweise die von Hoffmann-
Nowotny. Diese beschreibe Migration als Resultat von strukturellen Spannungen, woraus sich
in der Folge ein Ausgleich dieser Spannungen ableite. Diese Art der Bindestrich-Soziologien,
wie Esser sie nennt, seien nur für einen Bereich konzipiert und müssten fallweise erweitert
werden. Stattdessen solle besser eine allgemeine Theorie entwickelt werden, die beliebige
soziale Vorgänge erklären könne.146
Der Bezug auf die Ausgangssituation der Wanderung ist bei Esser nicht unbedingt leicht, da
seine Theorie vor allem auf die Eingliederung der Migranten in die Aufnahmegesellschaft
gerichtet ist. Bestimmte Annahmen sind jedoch so allgemein gehalten, dass sie ebenfalls zur
Erklärung der Wanderungsmotivation herangezogen werden können. Das Handeln wird dabei
stets von einer bestimmten Handlungstendenz verursacht, die von vier Variablen abhängt.
Zunächst ergibt sich die Motivation aus einem Anreizwert, der die Zielsituation und den Wert
der Handlung berücksichtigt. So kann der Anreiz beispielsweise aus einer idealen
Arbeitsstelle im Zielland bestehen, die schon von einem Verwandten vor Ort organisiert
wurde. Damit steigt der entsprechende Handlungswert der Migration.147
145 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 55.146 Hartmut Esser, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen
Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse, Darmstadt 1980, S. 13.147 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 57.
58
Die zweite Variable besteht aus dem kognitiven Aspekt. Dabei muss sich der potentielle
Auswanderer vor Augen führen, wie sicher die erwartete Zielsituation erreicht werden kann.
Dabei muss sämtliches Wissen über die Handlung miteinbezogen werden, beispielsweise
durch einen Brief, in dem über die versprochene Arbeitsstelle berichtet wird. Ebenfalls muss
der Auswanderer jedoch Informationen über die Risiken der Reise berücksichtigen, die etwa
aus der Überfüllung der Schiffe entstehen. In diesem Schritt wird jedoch noch keine
abschließende Abwägung zwischen Kosten und Nutzen des Handelns vorgenommen. Die
dritte Variable beinhaltet die sogenannte Attribution. Dabei empfindet der Akteur ein
generalisiertes subjektives Vertrauen in die Wirksamkeit seiner Handlung. Es muss
abgeschätzt werden, wie die Handlung generell vom Akteur kontrolliert werden kann. Ist sich
der Auswanderer sicher, dass alles was er unternimmt dazu beiträgt, einmal die versprochene
Arbeitsstelle in Amerika annehmen zu können, muss lediglich noch die vierte Variable, der
Widerstand mit einberechnet werden. Dabei werden sämtliche Kosten der Handlung
eingeschätzt, die auch mögliche Nebenfolgen und den Gesamtaufwand miteinbeziehen. Eine
mögliche Nebenfolge der Auswanderung wäre beispielsweise das Abzahlen von noch
vorhandenen Schulden in der Heimat. Erst wenn alle Variablen berücksichtigt wurden, kann
eine Entscheidung über die Auswanderung getroffen werden.
Esser geht in seiner Theorie davon aus, dass die Handlungsentscheidung rational über eine
„Ziel-Mittel-Kosten-Kalkulation“148 getroffen wird. Allerdings liegt das Handeln und Lernen
nicht nur beim Akteur selbst, sondern hängt auch von seiner Umwelt ab. Dabei werden
wiederum drei beeinflussende Variablen eingeführt. Zum einen sind dies Opportunitäten, also
sämtliche Gegebenheiten und Bedingungen, welche die Handlung unterstützen. Zum anderen
können Barrieren auftreten, wie etwa materielle oder rechtliche Beschränkungen. Schließlich
können Handlungsalternativen in Betracht gezogen werden, sofern es solche gibt. Die
Handlung wird dann ausgeführt, wenn es viele Opportunitäten gibt, und nur wenige Barrieren
und Alternativen. Esser kombiniert in seinem Modell die Faktoren, die bei der Person liegen
und diejenigen, die ihre Ursache in der Umgebung haben. Nur wenn sich das Verhältnis dieser
Faktoren positiv auf das Handlungsvorhaben auswirkt, wird dieses letztlich auch ausgeführt.
Gäbe es beispielsweise ein Ausreiseverbot, könnten die Anreize und der Handlungswert noch
so hoch sein. Sie würden dennoch nicht zur Auswanderung führen, da die Barrieren zu hoch
wären. Umgekehrt könnten etwa Reisezuschüsse die Opportunitäten verbessern.
148 Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010, S. 58.
59
Mit der Betrachtung der Theorie von Esser könnte die Zusammenstellung von
Migrationstheorien im Grunde abgeschlossen werden. Seit den 1990er Jahren konzentriert
sich die Migrationsforschung in der Soziologie auf einen neuen Typus von sogenannten
Transmigranten. Diese bewegen sich im Zuge der Globalisierung mehr und mehr zwischen
Ländern hin und her, wodurch kein eindeutiger Migrationsstrom mehr feststellbar ist.
Ebenfalls bleiben Transmigranten häufig sehr stark mit ihrer Heimat in Verbindung, etwa
durch Geldüberweisungen oder moderne Kommunikationsmittel. Dies lässt sich kaum auf die
Situation im 19. Jahrhundert übertragen. Zwar standen Auswanderer durchaus mit ihrer
Heimat in Verbindung, etwa durch eine Vielzahl an Briefen. Allerdings fand kein ständiger
Wechsel des Aufenthaltsortes statt und häufig ließen sich Auswanderer an einem Ort nieder,
wenn sie sich dort angesiedelt hatten.
Insgesamt bietet jede der hier vorgestellten Theorien etwas, das die eigentlichen Gründe der
Auswanderung und die Motivation der Migranten erklären könnte. Ob dies Eisenstadts
Entscheidungsprozess ist, die strukturellen Spannungen bei Hoffmann-Nowotny oder die
rationale Kosten-Nutzen-Analyse bei Esser. Letztlich sind diese Theorien jedoch nicht
wirklich befriedigend, da sie lediglich allgemein das Zustandekommen einer
Auswanderungsentscheidung erklären können und nicht die einzelnen Faktoren selbst. Mittels
der Geschichtswissenschaft kann zusätzlich geklärt werden, wie beispielsweise die
Opportunitäten und Barrieren zu Beginn des 19. Jahrhunderts aussahen.
Eine weitere Spezialdisziplin in der Soziologie stellt die Bevölkerungstheorie dar, die sich
ebenfalls mit dem Phänomen der Auswanderung beschäftigt. Der Vorteil für die
Geschichtswissenschaft liegt hier in der zeitlichen und räumlichen Gebundenheit einer
Typologie, wie sie beispielsweise Peter Marschalck vorlegt. Hierdurch werden empirische
Informationen miteinbezogen. Zwar entsteht hierdurch keine allgemeine Theorie, jedoch kann
die Auswanderung in einem bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext besser erklärt
werden. Marschalck geht in seiner Darstellung von einigen theoretischen Annahmen aus, in
die das Wanderungsverhalten eingeordnet werden kann. Als Voraussetzung für Wanderungen
wird zunächst ein Gefälle im Bereich der Löhne oder zwischen politischer Unterdrückung und
Freiheit benötigt. Als Gefälle bezeichnet Marschalck dabei das Verhältnis von zu vielen
gegenüber zu wenigen Menschen auf einem Raum. 149 Eine weitere Voraussetzung ist die
Information über das vorherrschende Gefälle.
149 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S. 13.
60
Der Raum wird als Existenzmöglichkeit von Menschen definiert, der nicht nur materieller
Natur sein muss, sondern ebenfalls ein Maß an politischer Freiheit beinhaltet und auch anhand
der darin lebenden Menschen bemessen werden kann. Eine Übervölkerung verkleinert somit
den individuellen Raum der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit. Ein mögliches
Abwanderungsgebiet kann entstehen, wenn das Verhältnis von Menschen zum Raum größer
als 1 ist. Der Wert 1 bedeutet nach einer Normierung ein Gleichgewicht zwischen Mensch
und Raum. Ein Gebiet mit einem Wert unter 1 kann generell als Zuwanderungsgebiet
betrachtet werden. Über die Qualität des gegebenen Raums macht Marschalck in seinen
Annahmen noch keine Angaben, da diese nur anhand der Abwanderungsgründe festgestellt
werden kann. Hier helfen beispielsweise die Aussagen aus der Befragung von Friedrich List
weiter, die exakt für einen bestimmten Raum oder eine Gemeinde Angaben über die Qualität
des Lebensraums machen. Häufig wurde die Qualität bemängelt, was an der Korruption der
Beamten oder allgemein einer mangelnden Verwaltung liegen konnte. Auch wirtschaftliche
Gründe wurden oftmals angegeben, was wiederum an einem zu kleinen Raum für die
wirtschaftliche Existenzmöglichkeit liegen konnte oder im Umkehrschluss an zu vielen
Menschen, die im entsprechenden Gebiet lebten und dort arbeiten wollten. Das Verhältnis von
Mensch und Raum kann sich nach Marschalck nur ändern, wenn sich das generative Verhalten
der Menschen ändert, die Struktur des Raums oder beides. Generell wird das Gleichgewicht
langfristig durch Anpassungen hergestellt, kurzfristig kann dies nur durch Auswanderungen
geschehen.150 Zunächst kann festgehalten werden, dass sich die Sozialstruktur in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem starken Wandel befand. Dazu gehörte vor allem das
starke Bevölkerungswachstum, das wiederum einige Veränderungen in der Wirtschaft und in
der Lebensweise der Bevölkerung nach sich zog. Marschalck betont, dass eine wichtige
Ursache dieses Bevölkerungswachstums der Wegfall von Ehebeschränkungen 151 war, die
zuvor eine reproduktionshemmende Funktion innehatten.
Bevölkerungstheoretisch gesehen, war Auswanderung im vorindustriellen 19. Jahrhundert ein
kurzfristiger Ausgleich, mit dem Menschen auf die Übervölkerung reagierten. Auf diese
Weise versuchten viele Auswanderer, der grassierenden Massenarmut zu entkommen.
Marschalck verknüpft in seiner Darstellung die Bevölkerungsweise einer bestimmten Zeit, die
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Übervölkerung und einem Missverhältnis
150 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S. 13.
151 Ebd., S. 99.
61
zwischen Bevölkerung und Raum bezeichnet werden kann auf der einen Seite, mit der
Wanderungsweise, die zunächst noch weitestgehend agrarisch geprägt 152 war auf der anderen
Seite. Viele Menschen versuchten durch die Auswanderung an einen geeigneten Raum zu
gelangen, in dem sie von der Landwirtschaft leben konnten. Erst ab der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts wurde die Wanderungsweise mehr und mehr industriell und beinhaltete ebenfalls
Binnenwanderung in die jeweiligen Produktionszentren.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Auswanderung nicht die einzige vorgeschlagene
Lösung, um die Übervölkerung in den Griff zu bekommen. Einige Zeitgenossen zweifelten
sogar daran, dass die Massenarmut überhaupt an der steigenden Bevölkerungszahl lag. Ihnen
zufolge lag lediglich eine mangelnde Beschäftigung und eine zu hohe Arbeitslosigkeit vor. 153
Kritisiert wurde dabei die zu langsame Wirtschaftsentwicklung, die zu starr und unfrei verlief.
Somit müsste die vorhandene Ernährungsfähigkeit eines bestimmten Raums nur effizienter
ausgenutzt werden. Nach Marschalck wäre dieser Lösungsansatz die Veränderung der
Struktur eines Raums, um die wirtschaftliche Existenzmöglichkeit der Menschen
wiederherzustellen. Ein zweiter Ansatz war die Änderung des generativen Verhaltens der
Bevölkerung. Dieses wurde von Zeitgenossen angedacht, die das Problem hauptsächlich im
unmoralischen Fortpflanzungsverhalten der Unterschichten 154 sahen. Somit war die Kontrolle
des Bevölkerungswachstums eine weitere Möglichkeit, das Missverhältnis von Mensch und
Raum zu verändern. Man ging sogar so weit, dass operative Maßnahmen bei sogenannten
nahrungslosen Personen vorgeschlagen wurden, um deren Fortpflanzung zu verhindern. Dies
betraf insbesondere ledige Männer, wie Dienstboten, Lehrlinge und einfache Soldaten. 155
Nicht nur das Fortpflanzungsverhalten der Unterschicht wurde von Zeitgenossen kritisiert,
sondern ebenfalls die Leichtfertigkeit bei der Eheschließung ohne wirtschaftliche Grundlage.
Ein Mittel, um dieses Problem zu bekämpfen, war die gesetzliche Beschränkung der
Eheschließung, wie sie bereits vor dem 19. Jahrhundert angewendet wurde. Häufig wurden
solche Gesetze jedoch auch stark kritisiert, da diese die Bevölkerungsentwicklung nicht
wirklich kontrollieren könnten. Angemerkt wurde beispielsweise, dass sich hierdurch die Zahl
der unehelichen Kinder stark erhöhen würde.156 Auch gesetzliche Ehebeschränkungen konnten
Auswanderungen letztlich nicht verhindern.
152 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1973, S. 99.153 Klaus-Jürgen Matz, Pauperismus und Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschränkungen in den
süddeutschen Staaten während des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 76.154 Ebd., S. 77.155 Ebd., S. 79.156 Ebd., S. 84.
62
Als Grundlage heutiger bevölkerungstheoretischer Ansichten können die Ansätze von Johann
Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus eingeschätzt werden, auch wenn sich deren
Positionen sehr voneinander unterscheiden. Nachfolgend soll gezeigt werden, wie bereits
diese frühen Theorien aus dem 18. Jahrhundert auf die Thematik der Auswanderung
anwendbar sind.
Das Werk Malthus' „Principle of Population“ wurde 1798 veröffentlicht und damit bereits
zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. In dieser Schrift entwickelte Malthus sein
Bevölkerungsprinzip, das er als unabänderliches Naturgesetz verstand. Dieses bestand aus
zwei Teilen, erstens aus der Produktivkraft des Bodens, die sich lediglich in arithmetischer
Progression und somit nur in jeweils gleichbleibenden Schritten entwickelt. Diese
Produktivkraft wird jedoch vom Bevölkerungswachstum überholt, welches sich geometrisch
entwickelt. Aufgrund dieses schnelleren Bevölkerungswachstums ist der Nahrungsspielraum
bald aufgebraucht und es treten sogenannte „positive checks“ auf. Dazu zählte Malthus Dinge
wie Hunger, Armut und Kriege 157, die sich zwangsläufig aus dem Missverhältnis zwischen
Bevölkerungswachstum und Bodenproduktivität ergeben. Nach Marschalck wäre dies das
Missverhältnis zwischen Mensch und Raum. Was Malthus bereits bedachte, war der
menschliche Fortpflanzungstrieb, der dieses Missverhältnis hervorruft. Danach müssen
„positive checks“ auftreten, es sei denn der Sexualtrieb der Menschen kann gezügelt werden.
Diese Aufhebung seines Naturgesetzes konnte nach Malthus nur durch moralische
Anstrengungen und damit eine freiwillige Selbstbeschränkung der Menschen geschehen. Was
Malthus in seinen theoretischen Überlegungen nicht berücksichtigte war zum einen die
Möglichkeit der gesetzlichen Ehebeschränkung, wie sie bereits in manchen Ländern erprobt
wurde. Zweitens kann auch die Auswanderung als „positive check“ auftreten, sozusagen als
natürliche Reaktion auf einen zu hohen Bevölkerungsdruck. Die Frage wäre dann jedoch, ob
Auswanderungswellen die Reaktion auf bereits aufgetretene „positive checks“ wären, wie
beispielsweise verschlechterte Lebensbedingungen, Armut und Hunger, oder ob
Auswanderung an sich ein Mittel des Menschen ist, das Missverhältnis zwischen
Bodenproduktivität und Bevölkerungswachstum zu entschärfen. Sicherlich dachten
Auswanderer zunächst vor allem an ihre eigenen Probleme und nicht an die Entlastung der
Heimat. Dass dies jedoch auch eine Rolle spielte, kann beispielsweise an den Aussagen
157 Herwig Birg, Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus – Marksteine der bevölkerungswissenschaftlichen Theorieentwicklung, in: Rainer Mackensen, Lydia Thill-Thouet, Ulrich Stark (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungstheorie in Geschichte und Gegenwart. Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft, 21. Arbeitstagung, Frankfurt a. M. 1989, S. 56.
63
einiger Auswanderer abgelesen werden, die freiwillig auf Armenunterstützung in ihrer
Heimatgemeinde verzichteten und stattdessen das eigene Brot in der Ferne verdienen wollten.
Man wollte sozusagen keine Belastung für die Gesellschaft darstellen.
Dass sich die Aussagen von Malthus und Süßmilch widersprechen, zeigt sich allein schon
daran, dass die Grundannahmen von Malthus aus heutiger Sicht bereits zuvor von Süßmilch
widerlegt wurden. Dieser zeigte anhand von statistischen Daten und Berechnungen, dass die
Bodenproduktivität im 18. Jahrhundert bereits ausreichte, um ein Vielfaches der damaligen
Weltbevölkerung von etwa einer Milliarde Menschen zu ernähren. 158 Insgesamt berechnete
Süßmilch, dass die gesamte Landwirtschaft der Erde eine Bevölkerung von sieben Milliarden
Menschen ernähren könnte. Er erkannte sogar einen Vorteil darin, sein ursprüngliches
Ergebnis von vier Milliarden Menschen auf sieben Milliarden zu korrigieren. Im Gegensatz
zu Malthus war Süßmilch also bestrebt, Möglichkeiten statt Missverhältnisse aufzuzeigen.
Somit sah er die von Malthus beschriebenen „positive checks“ auch nicht als naturgesetzlich
und unveränderlich an, sondern bemühte sich, solche Katastrophen kontrollierbar zu machen.
Nicht zuletzt war Süßmilch daher auch politisch engagiert und wollte etwas durch
Sozialreformen und eine Veränderung der Einkommensverteilung bewegen. 159 Die politischen
Absichten Süßkinds unterschieden sich somit ebenso diametral von denen Malthus', wie die
theoretischen Grundlagen. Während Malthus am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eher
für eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums plädierte, unter anderem durch mögliche
Sterilisationsprogramme, wollte Süßmilch bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
den Lebensstandard der Bevölkerung anheben. Dies war nach seinem Konzept nur über eine
staatliche Entwicklungspolitik möglich, die Reformen im Agrarwesen, in der Wirtschaft, in
der Sozialpolitik und im Gesundheitswesen beinhaltete. Nicht zuletzt dachte Süßmilch auch
an eine staatliche Siedlungspolitik, die eine bessere Versorgung der Menschen sicherstellen
sollte. Somit war Auswanderung für Süßmilch eine Aufgabe, die der Staat zum Wohle der
Menschen organisieren sollte. In erster Linie dachte er jedoch an präventive Sozialreformen,
um Auswanderung durch eine allgemeine Anhebung der Lebensbedingungen vermeiden zu
können. Ob Süßmilch bereits ein solches Ausmaß der Massenauswanderung vor Augen hatte,
wie sie im 19. Jahrhundert stattfand sei dahingestellt. Letztlich blieben seine politischen
Forderungen jedoch weitestgehend unberücksichtigt.
158 Herwig Birg, Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus, Frankfurt a. M. 1989, S. 62.159 Ebd., S. 70.
64
Überblickt man die einzelnen soziologischen Theorien und die bevölkerungstheoretischen
Ansätze, lassen sich überall gewisse push- oder pull-Faktoren herauslesen, wie sie zu Beginn
dieses Kapitels charakterisiert wurden. Als push-Faktoren werden diejenigen Bedingungen
definiert, die von der eigenen Heimat abstoßen und somit die Auswanderung begünstigen. Bei
Ravenstein ist dies allein der Wohnort in ländlichen Gebieten, die laut seiner Theorie
entvölkert wurden. Eisenstadt legt lediglich ein Gefühl der Unsicherheit und der
unzulänglichen Lebensbedingungen als push-Faktoren fest. Bei Hoffmann-Nowotny sind es
strukturelle Spannungen, die Menschen aus der eigenen Heimat vertreiben. Esser geht
weniger auf abstoßende Faktoren ein, da die Handlungstendenz bei ihm vor allem aus dem
Anreizwert eines Ziels gebildet wird, also eher aus den pull-Faktoren. Nach der
Bevölkerungstheorie von Marschalck treibt es Auswanderer aufgrund eines Missverhältnisses
von Mensch und Raum aus dem Land. Bei Malthus können sämtliche „positive checks“, also
Armut, Hunger und Kriege als push-Faktoren angesehen werden, wobei diese von ihm als
harte moralische Prüfung wahrgenommen werden und nicht als etwas, das durch
Auswanderung gelöst werden kann. Auch Süßmilch geht es um verbesserungsfähige
Lebensbedingungen im Preußen des 18. Jahrhunderts, er will diese jedoch mittels
Sozialpolitik verbessern. Zusammengefasst tritt Auswanderung immer dann auf, wenn
bestimmte Bedingungen in der Heimat vorherrschen, die das Leben dort nicht mehr oder nur
sehr schwer möglich machen.
Meist reichen schlechte Lebensbedingungen jedoch nicht aus, um eine Migration auszulösen.
Es müssen noch anziehende Faktoren hinzukommen. Dies können nach Ravenstein
beispielsweise Städte während der Industrialisierung sein, bei Eisenstadt reichte hierzu bereits
die Vorstellung von besseren Lebensbedingungen im Zielland, bei Hoffmann-Nowotny waren
es verminderte Spannungen, bei Esser waren es Anreizwerte und Opportunitäten und bei
Marschalck musste der Raum groß genug für die wirtschaftliche Existenzmöglichkeit der
Menschen sein. Lediglich Malthus und Süßmilch dachten noch nicht an die Anziehungskraft
anderer Gebiete. Ersterer sah sein Naturgesetz des schnelleren Bevölkerungswachstums
gegenüber der Bodenproduktivität überall gegeben und Süßmilch wollte die Bedingungen vor
Ort verbessern. Soziologische Theorien haben häufig gemeinsam, dass sie die Ursachen eines
Phänomens nicht im Individuum suchen, sondern in gesellschaftlichen Gegebenheiten. Um
mehr auf individuelle Auswanderungsgründe einzugehen, sollen im folgenden Unterkapitel
psychologische Theorien zurate gezogen werden.
65
3.2 Psychologische Theorien der Auswanderung
In der recht interdisziplinär angelegten Migrationsforschung gibt es einige
Auswanderungsgründe, die wiederholt genannt werden und weitestgehend als solche
anerkannt sind. Dazu zählt beispielsweise politische oder religiöse Verfolgung und
wirtschaftliche Not. Betrachtet man die in dieser Arbeit vorgebrachten Aussagen von
Auswanderern, zählt sicherlich die wirtschaftliche Lage als Hauptfaktor, der zur
Auswanderung beitrug. Es gibt jedoch auch Beispiele, in denen ähnliche Verhältnisse, wie
Missernten und Hungersnöte, nicht zu einer verstärkten Auswanderung führten. Dies war etwa
in den nördlichen Gebieten Schwedens um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Fall. 160 In der
Psychologie wurde daraus gefolgert, dass äußere Umstände alleine die verschiedenen
Auswanderungsbewegungen nicht erklären können. Zudem wandern unter den objektiv
gleichen Lebensbedingungen nicht immer sämtliche Betroffene aus. Dies kann unter dem
Begriff der selektiven Auswanderung zusammengefasst werden. Empirisch kann belegt
werden, dass auch bei Wellen der Massenauswanderung lediglich ein kleiner Teil der
Gesamtbevölkerung das Land verlässt. Somit kommen Menschen bei gleichen äußeren
Bedingungen zu unterschiedlichen Lösungsansätzen. 161 Auswanderung ist lediglich eine
Möglichkeit, auf schwierige Lebensbedingungen zu reagieren. In der Psychologie wird nicht
nur versucht, die Auswanderung zu erklären, sondern ebenfalls eine mögliche Nicht-
Wanderung.
Äußere Umstände können niemals allein eine ausreichende Erklärung für das Phänomen der
Auswanderung liefern. Ebenso falsch wäre es jedoch, diese völlig zu ignorieren. Eine
wichtige Grundannahme von Psychologen ist die, dass ein bestimmter Hang 162 oder eine
Tendenz zur Auswanderung bereits im Individuum verankert sein muss, bevor sie in die Tat
umgesetzt werden kann. Somit ist es wichtig, zunächst herauszufinden, bei welchen
Individuen ein solcher Hang besteht und wie dieser entstehen kann. Dieser Hang zur
Auswanderung kann in einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur liegen, die es zu
entschlüsseln gilt. Als einen Faktor, der wichtig für die Persönlichkeitsstruktur eines
Auswanderers sein kann, nennt Lüthke das Bindungsverhalten 163, beispielsweise zu
Bekannten, Freunden und Verwandten oder allgemein zu einer festen Umgebung.
160 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 18.161 Ebd., S. 20.162 Ebd., S. 23.163 Ebd., S. 24.
66
In Bezug auf das Bindungsverhalten wird die Auswanderung als Prozess der Loslösung von
„alten Objekten“ betrachtet. Zugleich beginnt mit der Einwanderung in ein Zielland der
Prozess einer Bindung an „neue Objekte“, was jedoch hier weniger eine Rolle spielen soll.
Mit Objekten kann der komplette Bezugsrahmen von Menschen gemeint sein, wie
beispielsweise die landschaftliche Umgebung, die Sprache und Kultur sowie andere
Menschen und Gegenstände, zu denen eine Beziehung hergestellt werden kann. 164 Lüthke
sieht in seinen theoretischen Betrachtungen Loslösungs- und Bindungsprozesse als
lebensbegeleitend an und wendet seine Erkenntnisse auf die Auswanderung als Spezialfall an.
Danach werden bereits in den ersten Lebensjahren eines Menschen verschiedene Phasen der
Bindung an die Mutter und der Loslösung von ihr durchlaufen. Daraus ergibt sich die Bildung
einer eigenen Persönlichkeit, der sogenannte Individuationsprozess. Im jugendlichen Alter
treten Prozesse der Separation und der Loslösung erneut auf. Hierbei wurde anhand von
Befragungen festgestellt, dass eine Mehrzahl der Auswanderungswilligen und Auswanderer
bereits in der Zeit ihrer Adoleszenz an eine Auswanderung gedacht hat. 165 In gewisser Weise
kann eine Auswanderung somit als Loslösungsprozess verstanden werden, der bereits in der
Persönlichkeit eines Menschen verankert ist.
Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, das zu einer Auswanderung beitragen kann, wurde von
Michael Balint beschrieben. In seiner Typologie wurde der sogenannte Philobat als Mensch
bezeichnet, der sich zu gefährlichen Situationen hingezogen fühlt und stets nach einem
Nervenkitzel sucht. Dazu gehören beispielsweise Tätigkeiten wie das Ski- oder
Motorradfahren, aber auch Reisen in unbekannte Länder. Nach Balint suchen diese Menschen
eine objektive Gefahr, setzen sich ihr freiwillig aus und sind dennoch zuversichtlich, dass am
Ende alles gut gehen wird. Primär richtete sich diese Typologie nicht auf das Unterfangen der
Auswanderung, jedoch kann dies zum Repertoire eines Philobaten gehören. Weitere
Merkmale eines solchen Menschen sind eine empfundene Unabhängigkeit und das
Selbstvertrauen, alles schaffen zu können. Philobaten sind sehr freiheitsliebend und klammern
sich nicht an die sogenannten „alten Objekte“. Stattdessen fällt es ihnen sehr leicht, alte
Bindungen aufzugeben und sich neue zu suchen. 166 Auch Balint greift in seinem
entwicklungspsychologischen Ansatz auf die ersten Lebensjahre zurück, in denen sich eine
philobatische Haltung herausbilden kann.
164 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 70.165 Ebd., S. 77.166 Ebd., S. 80.
67
Über historische Quellen ist es meist schwer bis unmöglich, auf die frühesten Kindheitsjahre
eines Menschen zurückzublicken, in denen sich Persönlichkeitsmerkmale herausbilden, die
später zu einer Auswanderung beitragen können. Wenn Auswanderer in Briefen oder
Berichten von ihrer aktuellen Situation schreiben oder ihre Aussage zu Protokoll geben,
können die Beweggründe ihrer Handlung allenfalls nur in ihrer jeweiligen Zeit gesucht
werden. Somit ist es wichtig, auch nach psychologischen Theorien zu suchen, die das
Handeln zu einer bestimmten Zeit erklären können.
Ein Beispiel hierzu wäre die Reaktanztheorie, welche eine Motivation zur Auswanderung in
einer gewissen räumlichen Einengung und der Verringerung der persönlichen Freiheit sieht. 167
Dies geht einher mit dem Verlust der Kontrolle über das eigene Leben oder über die eigene
Situation. Somit kann Auswanderung als Reaktion auf diese empfundenen Faktoren gesehen
werden. Betroffene möchten stets die Kontrolle über ihr Leben wiedererlangen und mit einer
gewissen Freiheit ausgestattet sein, die ihnen beispielsweise ein wirtschaftliches Überleben
ermöglicht. Häufig schrieben Auswanderer aus Amerika an ihre Verwandten und Freunde,
dass ihnen die neu erlangte Freiheit dort im Gegensatz zu ihrem alten Leben so gut gefiele.
Somit kann eine Herauslösung aus einer persönlichen Unfreiheit ein guter Grund sein, eine
Auswanderung zu versuchen. Nach der Reaktanztheorie ist eine Voraussetzung für diese Form
der Reaktion jedoch, dass Freiheit auch vom Leben erwartet wird. Manche Personen können
sich damit abfinden, dass sie keine Kontrolle über ihre Situation haben, sondern dass diese
von Außen bestimmt wird – etwa durch Lebensumstände wie eine schlechte Wirtschaftslage
oder eine willkürliche Bürokratie. Andere wiederum erwarten, dass sie die Möglichkeit haben,
ihr Handeln und ihr Schicksal selbst zu bestimmen, unbeeinflusst davon, wie die äußeren
Umstände aussehen. Reaktanz entsteht dann durch das Erleben dieser Möglichkeiten auf der
einen Seite und die Erwartung wie es sein sollte auf der anderen Seite. Ist der Unterschied
zwischen diesen beiden Größen wahrnehmbar, entsteht ein gewisser Freiheitsdrang, der
letztlich zur Auswanderung führen kann. Dabei muss die Erwartung nicht immer sehr groß
sein, wie dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oftmals der Fall war. Viele
Auswanderer wollten lediglich die Freiheit besitzen, sich und ihre Familie mit ihrer eigenen
Arbeit ernähren zu können. Fehlt diese Freiheit jedoch aufgrund zu weniger Arbeitsplätze,
bleiben nur wenige Alternativen wie etwa die Bitte um Armenunterstützung oder die
Auswanderung.
167 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 92.
68
Die Reaktanztheorie legt nahe, dass Auswanderung eine Reaktion auf etwas darstellt, wie
etwa eine räumliche Einengung, Kontrollverlust und verringerte Freiheit. Je nach Erwartung
möchten sich Menschen daraus befreien und einen verbesserten Zustand herstellen. Näheres
zur endgültigen Entscheidungsfindung kann die Theorie der kognitiven Dissonanz aussagen,
die davon ausgeht, dass bereits ein gewisses Interesse oder ein Wunsch zur Auswanderung
besteht.
Bei der Idee der Auswanderung können stets auch sogenannte dissonante Kognitionen
auftreten. Dies sind Denkprozesse oder Argumente, die dem Vorhaben widersprechen. In der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten beispielsweise die Gefahren der Reise bedacht
werden und ebenfalls die ungewisse Zukunft in einem fremden Land. Ebenso konnte dagegen
sprechen, dass Auswanderer ihre heimatlichen Bürgerrechte aufgeben mussten und somit
keinen Anspruch mehr auf Armenunterstützung hatten. Je nach persönlicher Lage konnte es
eine Vielzahl an Argumenten geben, die dem eigentlichen Auswanderungswunsch
widersprachen. Die Theorie der kognitiven Dissonanz geht nun zunächst von zwei Prozessen
aus, die vor einer Entscheidung stattfinden. Dies ist zum einen die Informationssuche und
zum anderen die Bewertung der zum Vorhaben gefundenen Informationen. Diese Prozesse
sind nun darauf ausgerichtet, die vorhandenen Dissonanzen zu reduzieren, indem
Gegenargumente zum Vorhaben umgedeutet oder abgewertet werden. 168 Ebenfalls konnten es
Auswanderungswillige vermeiden, Gedanken an mögliche Risiken oder andere dissonante
Kognitionen zuzulassen. Um bei dem Beispiel der Gefahren bei der Überfahrt nach Amerika
zu bleiben, konnte dies etwa als nötige Prüfung umgedeutet werden, die zu einem besseren
Leben führt. Andere Auswanderer dachten, die Risiken seien nicht sehr hoch einzuschätzen
und werteten diesen Gedanken damit ab. Wiederum andere vermieden es, überhaupt an
mögliche Risiken zu denken. Die jeweiligen Strategien der Kognition können dabei von
Person zu Person verschieden sein. Neben der Reduzierung von Dissonanzen ist es ebenso
wichtig, dass Kognitionen gestärkt werden, die den Auswanderungswunsch unterstützen, wie
etwa die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation oder die Aussicht auf ein besseres Leben
in der Ferne. Insgesamt kann der Prozess der Dissonanzreduktion und der Stärkung des
eigenen Auswanderungswunsches mehrere Jahre dauern, wobei das Ursprungsmotiv nicht
mehr unbedingt im Bewusstsein liegen muss. 169 Erst wenn alle Bedenken ausgeräumt sind,
kann eine Entscheidung für die Auswanderung getroffen werden.
168 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 95.169 Ebd., S. 96.
69
In seiner Darstellung geht Lüthke abschließend darauf ein, in welche Ebene der Psychologie
die Motive einzuordnen sind, die er in einer von ihm angelegten Befragung von
Auswanderern erfuhr. Zwar kann hier nicht von einer umfassenden Theorie gesprochen
werden, die entwickelt würde, allerdings offenbart dies verschiedene Zugangsweisen, mit
denen die Auswanderungsmotive analysiert werden können. Lüthke unterscheidet zwischen
der tiefenpsychologischen Ebene, der Sozialpsychologie und der Kognitionspsychologie.
Außerdem können einige Elemente in eine Kategorie eingeordnet werden, die nicht
psychologischer Natur sind.
Tiefenpsychologische Auswanderungsmotive liegen danach meist in der
Persönlichkeitsstruktur eines Menschen. Dazu zählt beispielsweise der oben beschriebene
philobatische Typ, der von Michael Balint definiert wurde. Typische Motive, die hierbei
genannt werden, sind unter anderem das Kennenlernen von etwas Neuem, mehr Freiheit,
Selbständigkeit, Abenteuerlust und Fernweh. Häufig gehen diese Motive mit einem
bestimmten Gefühl beim Ausreisewilligen einher. Auch für das 19. Jahrhundert können einige
der Motive aus dieser Kategorie zutreffen, beispielsweise der Überbevölkerung und Enge in
Deutschland zu entkommen.170 Die nächste Kategorie betrifft die sozialpsychologische Ebene,
auf der vor allem andere Menschen das Motiv des Auswanderers nachvollziehen können.
Diese Motive sind allgemein in der Bevölkerung anerkannt und können beispielsweise einen
weitverbreiteten Ärger über die bestehenden Verhältnisse widerspiegeln. Meist werden dabei
äußere Umstände, die in der Politik, der Wirtschaft oder in der Bürokratie 171 liegen können,
genannt. Auch in der Befragung durch Friedrich List wurde häufig der allgemeine Tenor der
zu hohen Abgaben und der willkürlichen Beamten zu Protokoll gegeben. Auf der
kognitionspsychologischen Ebene versuchen Auswanderer, ihre Motive zu rationalisieren und
mögliche Unsicherheiten zu beseitigen. 172 Dabei wird meist auch eine Zukunftsdeutung
vorgenommen, um eine Entscheidung zu festigen und nicht mehr umzukehren. „Die
Wirtschaft wird sich weiter verschlechtern“ oder „im Zielland winkt eine bessere Zukunft“
sind Glaubenssätze, die für eine Auswanderungsentscheidung den entsprechenden Halt bieten.
Zuletzt können Motive noch auf einer nicht-psychologischen Ebene liegen 173, beispielsweise
wenn sich unmittelbar eine bestimmte Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnet oder wenn die
Gesundheit eine Auswanderung in ein besseres Klima erfordert.
170 Folkert Lüthke, Psychologie der Auswanderung, Weinheim 1989, S. 101.171 Ebd.172 Ebd., S. 102.173 Ebd.
70
Die Zusammenstellung der psychologischen Migrationstheorien zeigt an dieser Stelle, dass es
verschiedene Zugangswege gibt, die Motivation für eine Auswanderung innerhalb dieses
Fachgebiets zu erklären. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei, dass es keinen Königsweg gibt,
der nach dem Schema „wenn A dann B“ die Entscheidung für eine Auswanderung nur unter
exakten Vorbedingungen formulieren könnte. Häufig sind Theorien in der Psychologie sehr
allgemein und umfassend gedacht, daher sind sie nicht nur für das Thema der Migration
anwendbar. Die Zusammenstellung bei Lüthke passt sehr gut als Überblick in diese Arbeit, da
hier der Link von den einzelnen Theorien zur Migrationsforschung hergestellt wird, der ohne
entsprechendes Spezialwissen sonst nicht möglich wäre. Sicherlich kann auch kritisch
angemerkt werden, dass eine ähnliche Arbeit kaum zu finden ist und somit der Vergleich zu
anderen Autoren fehlt.
Die Psychologie versucht mit ihren Ansätzen, die Gründe für das Handeln von Menschen
nicht vorrangig in den äußeren Umständen zu suchen. Wie schon gezeigt wurde, sprachen
diese zu einigen Zeitpunkten im 19. Jahrhundert eindeutig für eine Auswanderung. Dagegen
können innere Motive nicht so leicht geklärt werden, die eben auch eine Rolle spielen können.
Zumindest können psychologische Theorien eine plausible Erklärungsmöglichkeit bieten,
auch wenn sie in der Geschichte empirisch schlecht überprüft werden können. Psychologen
gehen daher häufig auch von aktuellen Forschungsgegenständen aus und befragen Probanden,
die noch leben und im Hier und Heute verankert.
In diesem Kapitel wurden die psychologischen Theorien des Bindungsverhaltens, der
Persönlichkeitsstruktur, der Reaktanztheorie und der dissonanten Kognition vorgestellt. Auch
wenn sie nicht bis ins letzte Detail betrachtet wurden, konnte ein Eindruck entstehen, wie die
Entscheidung für eine Auswanderung getroffen wird und welche Faktoren im Menschen dafür
verantwortlich sein können. Aus der psychologischen Perspektive gesehen, kann die
Motivation für eine Auswanderung über mehrere Jahre heranreifen und hängt mit der
Entwicklung des Menschen zusammen. Offen blieb dabei die Frage, was passiert, wenn sich
die äußeren Bedingungen so verschlechtern, dass eine Entscheidung schneller getroffen
werden muss. Sicherlich kann es Situationen geben, in denen das Äußere das Innere
übertrumpft, wodurch die innere Motivation zurückstehen muss. Zuletzt konnte noch gezeigt
werden, dass auch psychologische Motive der Auswanderung auf verschiedenen Ebenen
liegen können, die wiederum von einer Teildisziplin der Psychologie, etwa der
Sozialpsychologie oder der Kognitionspsychologie besser erklärt werden können.
71
3.3 Ego-Zeugnisse und Theorie
Bevor ein abschließendes Fazit gezogen werden kann, soll hier noch näher auf die Verbindung
der in Kapitel 2 ausgewählten Quellen mit den im Anschluss vorgestellten soziologischen und
psychologischen Theorien eingegangen werden. Dabei soll nach der jeweiligen Rolle bei der
Beantwortung geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen gesucht und eine Bewertung der
Erklärungskraft vorgenommen werden.
Zunächst soll der Begriff der Ego-Zeugnisse, der für die in dieser Arbeit verwendeten Quellen
gebraucht wird, näher erklärt werden. Diese werden laut Andreas Rutz als „Gesamtheit der
Quellen verstanden, die einen Zugang zum historischen Individuum und seinen
Lebensäußerungen ermöglichen.“ 174 Dies kann auf zweierlei Wegen erfolgen, zum einen
freiwillig, indem der Verfasser selbst etwas über sein Leben schreibt, beispielsweise in
Tagebüchern oder Briefen. Auch der Bericht von Ludwig Gall kann zu dieser Kategorie
gezählt werden. Zum anderen zählen Äußerungen, die nicht freiwillig erfolgten, sondern etwa
bei Verwaltungsvorgängen aufgenommen oder bei Gericht zu Protokoll gegeben wurden, auch
zu den Ego-Zeugnissen. Hier kann die Befragung durch Friedrich List als Beispiel dienen, in
der die Aussagen der Auswanderer in ein Protokoll und einen Bericht übernommen wurden.
Bei dieser Quellengattung muss nicht unbedingt die Intention vorliegen, dass diese andere
Menschen als der Verfasser selbst oder von ihm bestimmte Adressaten den Inhalt zu sehen
bekommen. Allerdings ist es auch nicht unüblich, dass bestimmte Selbstzeugnisse an die
Öffentlichkeit gerichtet sind, etwa eine Autobiografie. Bei privaten Dokumenten hängt die
Bearbeitung durch Historiker davon ab, ob sie in einem Archiv zugänglich sind oder von den
Besitzern zur Verfügung gestellt werden. Sämtliche Quellen, die hier näher betrachtet wurden,
sind in einem Archiv vorhanden und wurden bereits in einer Edition abgedruckt.
Mit der Kategorisierung der Ego-Dokumente kann damit zur nächsten Frage übergegangen
werden, die auf ihre Rolle bei der Beantwortung historischer Fragestellungen abzielt. Die
Fragestellung in dieser Arbeit bezieht sich vor allem auf die Gründe und Motive von
Auswanderern, die sie zu diesem Schritt veranlassten. Zur Erklärung der
Auswanderungsgründe gibt es zwei entgegengesetzte Positionen, welche die Rolle der Ego-
Zeugnisse jeweils anders bewerten.
174 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.
72
Auf der einen Seite kann diese Quellengattung komplett abgelehnt werden, wie es
beispielsweise Peter Marschalck tut. Nach seiner Meinung können Auswanderungsgründe
nach Räumen und Strukturen voneinander abgegrenzt werden. „Es müssen also alle
politischen und sozialen Veränderungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts eingetreten sind,
daraufhin untersucht werden, ob und in welchem Maße sie in der Lage waren, die Verbindung
der Bevölkerung mit dem heimatlichen Boden zu lösen.“ 175 Daraus folgert er, dass Ego-
Dokumente als Quellen nicht zu gebrauchen sind, um die Gründe für Auswanderungen zu
erklären. „Demgemäß kann man den direkten Quellen, wie Auswanderungsakten,
Auswanderungszeitungen und Auswandererbriefen, nur einen geringen Wert beimessen
(...)“176
Dieser Aussage widerspricht von Hippel, der zwar ebenfalls die Struktur der Auswanderung
genauer untersuchen will, allerdings hierfür als Voraussetzung einen tieferen Einblick in die
Gründe und Motive sieht. „Eine solche Strukturanalyse muss vornehmlich auf quantitativen
Quellen beruhen. Ihre Ergebnisse können aber auch dazu dienen, die Aussagekraft
„qualitativer“ Materialien, wie zeitgenössischer Äußerungen und Wertungen von direkt
Betroffenen und Beobachtern besser zu beurteilen und zu gewichten und damit unabdingbare
Voraussetzungen für die kritische Auswertung derartiger Quellen zu schaffen.“ 177 Aus diesem
Grund wurde in dieser Arbeit der Auswertung von Ego-Zeugnissen ein Kapitel über die Daten
und Zahlen der Auswanderung vorangestellt. Sich mit dieser Quellengattung zu beschäftigen
heißt noch nicht, die Strukturen und quantitativen Ergebnisse zu vernachlässigen.
Grundsätzlich gehen von Hippel und Marschalck der gleichen Forschungsrichtung nach, die
in der Bevölkerungsentwicklung und der quantitativen Sozialgeschichte verankert ist.
Lediglich in der Bewertung von personenbezogenen Ego-Dokumenten gehen die Meinungen
etwas auseinander. Dennoch ist es auch möglich, sich in der Betrachtung dieser
Quellengattung komplett von der Sozialgeschichte abzugrenzen. Hierbei geht es um einen
historisch-anthropologischen Forschungsansatz, der seit den 1970er und 80er Jahren den
Menschen in den Mittelpunkt stellt. 178 Dabei richtet sich das Interesse auf Personen, die an
einem bestimmten historischen Prozess beteiligt sind und durch ihre Aussagen in den Ego-
Zeugnissen erfassbar werden.
175 Peter Marschalck, Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1973, S. 53.176 Ebd.177 Wolfgang von Hippel, Auswanderung aus Südwestdeutschland, Stuttgart 1984, S. 116.178 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL:
http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.
73
Nach Rutz geht es nicht um die politische Geschichte einiger großer Männer, sondern
vielmehr um die alltägliche Lebenswelt von Menschen, die „vorher nicht oder nur als Ziffer
in sozialwissenschaftlichen Statistiken auftauchten.“ 179 Die Ansicht, die mit dieser Arbeit
vertreten werden soll, bildet eine Brücke zwischen dem sozialgeschichtlichen und dem
historisch-anthropologischen Ansatz. Sicherlich geht es bei der Auswanderung in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts um die beteiligten Menschen, die Gründe und Motive für ihr
Handeln hatten und diese in der Form von Ego-Dokumenten niederschrieben. Allein aufgrund
der Anzahl der bei den ersten Massenauswanderungen beteiligten Menschen, können nicht
alle einzeln erfasst werden. Der sozialgeschichtliche Ansatz hilft dabei, die Auswanderung zu
einer bestimmten Zeit in ihren Kontext einzuordnen und ihre Hintergründe besser zu
verstehen. Hier kann nur von Hippel zugestimmt werden, der zunächst quantitative Quellen
auswerten möchte, um dann ebenfalls eine kritische Analyse der Ego-Zeugnisse zu
ermöglichen.
Bis zu diesem Punkt würden die ersten zwei Kapitel dieser Arbeit ausreichen, um zunächst
eine sozialgeschichtliche Datenbasis vorzustellen und dann näher auf den Quellentyp der Ego-
Dokumente einzugehen. Allerdings wurde hier noch ein dritter Schritt vorgenommen, indem
sich ein Kapitel mit verschiedenen Migrationstheorien auseinandersetzt. Diese stammen
sowohl aus dem Fachgebiet der Soziologie als auch der Psychologie. Mit diesen zwei
Perspektiven sollten zunächst die zwei verschiedenen historischen Ansätze widergespiegelt
werden, der sozialgeschichtliche und der historisch-anthropologische. Auch wie in diesen
Forschungsrichtungen werden bei den Theorien zum einen die Strukturen und Räume, die
sich auf die Auswanderung auswirkten, näher beleuchtet und die Psychologie beschäftigt sich
eher mit dem Individuum. Bei der Vorstellung der einzelnen Theorien und Ansätze ging es
nicht darum, eine möglichst richtige zu finden, die sämtliche Gründe und Motive von
Auswanderern erklären kann. Stattdessen sollten innerhalb des Spektrums der
Migrationsforschung Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden, um eine
Annäherung an das Erkenntnisinteresse zu erreichen. Theoretische Ansätze können dabei
helfen, auf Fragen eine Antwort zu finden. Ebenso werden jedoch auch neue Fragen
aufgeworfen, die das Erkenntnisinteresse erweitern können. In diesem Unterkapitel sollen nun
die Fragestellungen näher erläutert werden, die mithilfe von Theorien und Quellen
beantwortet werden können und gezeigt werden, welche Fragen noch offen bleiben.
179 Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?, in: zeitenblicke, Nr. 2, 20.12.2002, URL: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html, gesichtet: 27.11.2012.
74
Zunächst können die im zweiten Kapitel vorgestellten Quellen danach befragt werden, wie
Auswanderer ihre persönliche Situation wahrnehmen und aus welchen Gründen sie
auswandern. Diese Fragestellung betrifft im Grunde die komplette Arbeit, wobei persönliche
Gründe und Motive stets nur für die Personen herausgearbeitet werden können, die einen
Brief schrieben oder ihre Aussage zu Protokoll gaben. Daher müssen die Quellen auch
kritisch betrachtet werden, also etwa die Berücksichtigung des jeweiligen persönlichen
Hintergrunds zählt, etwa die familiäre oder berufliche Situation. Hinsichtlich der Quellenarten
können im Weiteren verschiedene Fragen gestellt werden. Bei den Auswandererbriefen kann
danach geschaut werden, welche Auswirkung diese auf den oder die Adressaten hatten.
Wichtig dabei ist die Frage, ob die Briefe beispielsweise Verwandte oder Freunde dazu
auffordern, ebenfalls auszuwandern oder doch besser in der Heimat zu bleiben. Bei der
Befragung durch Friedrich List ergibt sich die Fragestellung nach den örtlichen Bedingungen,
die zu einer Auswanderung führen können. Hier wurden meist mehrere Personen aus einer
Gemeinde befragt, wobei Gemeinsamkeiten oder auch Unterschiede in der Wahrnehmung
auftreten konnten. Auch hier muss der persönliche Hintergrund bei der Auswertung
berücksichtigt werden. Der Bericht von Ludwig Gall kann allgemein nach dessen Intention
befragt werden, zum einen was er mit seiner Veröffentlichung bewirken wollte und zum
anderen, welche persönlichen Motive er zur Auswanderung hatte. Die Frage nach seiner
Rückkehr kann gesondert gestellt werden, sie wurde hier jedoch nur am Rande verfolgt.
Bei den in dieser Arbeit vorgestellten Theorien kann jeweils nach ihrer Erklärungskraft
gefragt werden und danach, auf welche Art und Weise die Gründe und Motive der
Auswanderung in ihnen Platz finden. Auch wenn eine Theorie sehr allgemein gehalten ist und
nicht unbedingt explizit die Auswanderung erklären möchte, kann diese dennoch auf die ein
oder andere Weise das Verhalten und Handeln von Menschen erklären. Aus diesem Grund
wurden hier vor allem sozialwissenschaftliche und psychologische Theorien ausgewählt.
Nicht umsonst werden diese Fachgebiete auch Verhaltenswissenschaften genannt. In jeder
Theorie werden Gründe und Motive für die Auswanderung auf einer bestimmten Ebene
angesiedelt. Daher können die sie danach befragt werden, wie sie diese Ebene jeweils
definieren. Soziologische Theorien können beispielsweise auf der Ebene der
gesellschaftlichen Systeme stattfinden, auf der anderen Seite jedoch auch das Handeln von
Menschen im Blick behalten. Bevölkerungstheoretiker gehen von Strukturen und Räumen aus
und Psychologen suchen dagegen eher im Menschen selbst nach Gründen und Motiven.
75
Fazit
Das Thema dieser Arbeit bietet die Möglichkeit und erfordert es ebenso, über die Grenzen des
eigenen Fachgebiets zu schauen und interdisziplinär zu arbeiten. Dies wird schon am
sozialhistorischen Ansatz deutlich, der wie hier im ersten Kapitel die Auswanderung
statistisch erfassbar macht und somit quantitative Daten über das Ausmaß des Phänomens
verrät. Ebenso können Strukturen einer Region aufgedeckt werden, die dazu beitrugen, dass
die dort lebenden Menschen überhaupt die Möglichkeit einer Auswanderung in Betracht
ziehen mussten. Alleine schon die Anzahl der Personen, die der beginnenden
Massenauswanderung ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten, macht deutlich, dass
es fast unumgänglich war, sich aktiv für oder gegen das Auswandern zu entscheiden. Zudem
war das Thema durch Zeitungen und die Werbung von Auswanderungsagenten in der
Öffentlichkeit sehr präsent. Auch die Vielzahl der Briefe aus Amerika und aus anderen
Zielländern machte Informationen über die dort vorherrschenden Verhältnisse für jedermann
verfügbar, entweder indem man selbst Briefe von Familienangehörigen, Bekannten oder
Freunden erhielt, oder durch den Austausch mit anderen Menschen im Umkreis. Briefe waren
somit eine gute Entscheidungshilfe, wenn es darum ging, ob die eigene Heimat aufgegeben
werden sollte oder nicht.
Anhand des Push/Pull-Modells, das in der Soziologie entwickelt wurde, lassen sich Gründe
gut einordnen, die für oder gegen eine Auswanderung sprechen. Briefe von Auswanderern
enthielten meist Informationen über die jeweiligen Zielgebiete, in denen ein neues Leben
aufgebaut wurde. Diese können der Pull-Seite des Modells zugeordnet werden, da sie einen
anziehenden Effekt beim Empfänger des Briefs auslösen konnten. Die Gründe für eine
Auswanderung ließen sich also zunächst in den Lebensbedingungen des
Einwanderungslandes finden. Dies konnte beispielsweise eine günstige Besteuerung, ein
ertragreiches Land oder eine leicht zu findende Arbeitsstelle mit einem guten Verdienst sein.
Kritisch muss zu den Briefen angemerkt werden, dass die Verfasser auch ein eigenes Interesse
verfolgen und die Situation im Land etwas übertrieben positiv darstellen konnten. Nicht selten
wurden Verwandte dazu aufgefordert nachzukommen, um sich in der Umgebung
niederzulassen. Somit konnten beide Seiten durch bestehende Verbindungen profitieren. Auch
ein Deal war möglich, indem ein Erbe versprochen wurde, wenn im Gegenzug die Nachzügler
für die Pflege im Alter sorgten.
76
Es fand in den Briefen jedoch nicht nur eine Schönfärberei der Auswanderung statt, auch
mögliche Risiken der Reise wurden angesprochen. Dies konnte soweit gehen, dass einige
Briefeschreiber davon abrieten, das sogenannte „Wagestück“, wie es Johannes Hummel
ausdrückte, zu versuchen. Insbesondere die Überfahrt nach Amerika und die erste Zeit nach
der Ankunft konnte sehr beschwerlich und von Krankheiten geprägt sein. Auch fanden nicht
alle Auswanderer direkt nach der Ankunft eine passende Arbeit, die wie erhofft etwas mehr
Wohlstand brachte, als es in der zurückgelassenen Heimat der Fall war. Trotz dieser Hinweise
auf Risiken, die mit der Auswanderung verbunden waren, musste es dennoch für viele
Menschen gute Gründe gegeben haben, den Heimatort zu verlassen und sich einen neuen
Lebensmittelpunkt zu suchen. Dies lässt sich in eine These fassen, die besagt, dass die Gründe
und Motive für die Auswanderung so stark sein mussten, dass mögliche Gefahren und Risiken
eine geringere Rolle spielten. Dieser Gedanke lässt sich in der Kognitionspsychologie
wiederfinden, die davon ausgeht, dass sogenannte dissonante Kognitionen, die dem
eigentlichen Vorhaben widersprechen, gedanklich abgewertet oder umgedeutet werden und
somit der Entscheidung für eine Auswanderung nicht entgegenstehen.
Wie im Quellenteil der Arbeit deutlich wurde, gibt es mehrere Arten von Gründen, die für
eine Auswanderung sprechen konnten. Der erste Typ betraf die Pull-Faktoren, die ausgehend
vom Einwanderungsland anziehend wirkten. Eine zweite Art wirkte abstoßend und betraf
sämtliche Push-Faktoren, die in der eigenen Heimatregion lagen. Besonders deutlich wurden
diese in der Befragung durch Friedrich List, der Erkundigungen über die
Auswanderungsmotive in drei württembergischen Orten einholte. Push-Faktoren konnten
dabei auf verschiedenen Ebenen liegen, sowohl in der Struktur einer gesamten Region, als
auch in den Lebensbedingungen, die in einer Stadt oder einer Gemeinde vorherrschten. Die
Gründe können zum einen objektiv erfassbar sein, wie etwa der Dinkelpreis, der in der Studie
von Hippels mit den Auswandererzahlen korreliert wurde. Andere Faktoren sind jedoch
lediglich subjektiv wahrnehmbar und sind in den persönlichen Meinungen von
Auswanderungswilligen zu finden. Hierbei konnte die Auswertung einiger Aussagen in der
Befragung weiterhelfen, welche die Probleme der Menschen vor Ort enthielten und somit
erfassbar machte. Sicherlich spielten auch hier objektive Faktoren eine Rolle, wie etwa die
Anzahl der Kinder oder die Vermögensverhältnisse, die häufig nicht zum Leben ausreichten.
Abstoßend konnten jedoch auch persönliche Streitigkeiten mit der Obrigkeit sein, oder eine
willkürliche Behandlung durch Beamte.
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Am Beispiel von Ludwig Gall konnte gezeigt werden, dass sich Meinungen zur
Auswanderung auch wandeln konnten. Dieser wollte die Menschen zunächst von der
Auswanderung abhalten und hielt dies für ein sinnloses Unterfangen. Er hielt die zahlreichen
Versprechungen über ein besseres Leben in der Ferne für übertrieben und unwahr und wollte
Auswanderungswillige daher darüber aufklären. Erst später erkannte er die Realitäten der
Massenauswanderung und das Elend in den Auswanderungshäfen. Somit setzte er sich dann
mit der Gründung einer Auswanderungsgesellschaft gezielt für eine risikoärmere
Auswanderung ein und sorgte dafür, dass die Bedingungen der Überfahrt erleichtert wurden.
Ebenfalls setzte sich die Auswanderungsgesellschaft für den Aufbau von Siedlungen in
Amerika ein. Auch wenn Galls persönliche Auswanderung nicht von Dauer war, hatte er
jedoch gute Gründe, zumindest zahlreiche andere Menschen zu unterstützen.
Jeder Auswanderungsgrund kann für sich genommen entweder in die Kategorie der Push-
oder Pull-Faktoren eingeordnet werden. Bestimmte Bedingungen können dafür sorgen, dass
sich Menschen von einem Ort abgestoßen fühlten oder auch von einem weit entfernten Ort
angezogen wurden. Das Hauptanliegen dieser Arbeit war es jedoch zu zeigen, dass
Auswanderungsmotive nicht nur durch äußere Umstände gebildet wurden, etwa durch
wirtschaftliche Krisen, Überbevölkerung, Armut oder Kriege. Stets muss auch die persönliche
Situation von Individuen betrachtet werden, die sich ihr eigenes Urteil über die gegebene
Lage bildeten und daraufhin eine Entscheidung für oder gegen eine Auswanderung trafen.
Historische Quellen geben nicht immer einen kompletten Aufschluss über die
Handlungsmotivation eines Menschen. Es können Fragen offen bleiben, insbesondere wenn
Aufzeichnungen über einen entscheidenden Moment fehlen. Dies trifft beispielsweise auf den
Ausgangspunkt einer Auswanderung bei Briefeschreibern zu, die lediglich über ihr neues
Leben schrieben. Andere Motive sind lediglich mithilfe der Psychologie zu erklären und
können etwa in der Persönlichkeit eines Menschen verwurzelt sein.
Obwohl nicht sämtliche Auswanderungsgründe restlos aufgeklärt werden können, bietet der
Quellentyp der Ego-Zeugnisse einige Möglichkeiten, persönliche Meinungen zu einem
bestimmten Thema zu erfahren. Hierdurch lassen sich Rückschlüsse darüber ziehen, aus
welchen Gründen eine Handlungsentscheidung getroffen wurde. In Verbindung mit den
Theorien aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft können künftige
Forschungen genauere Erklärungsversuche unternehmen.
78
Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Quellen
GALL, Ludwig, Meine Auswanderung nach den Vereinigten Staaten in Nord-Amerika, im
Frühjahr 1819 und meine Rückkehr nach der Heimath im Winter 1820. Erster Theil, meine
Beweggründe und mein Wirken zur Erleichterung der Auswanderung nach den Vereinigten
Staaten und mein Reisetagebuch enthaltend, Trier 1822.
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Deutschland, Darmstadt 1985.
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Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt. 1830 – 1930, München 1988.
MACHA, Jürgen, Nikolay-Panter, Marlene, Herborn, Wolfgang (Hrsg.), Wir verlangen nicht
mehr nach Deutschland – Auswandererbriefe und Dokumente der Sammlung Joseph Scheben,
(1825 – 1938), Frankfurt am Main 2003.
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II. Abbildungen
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pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts,
Kaiserslautern 1989, S. 165 (Schaubild 5, Ausschnitt).
79
III.Literatur
ALBRECHT, Günter, Soziologie der geographischen Mobilität, Stuttgart 1972.
BIRG, Herwig, Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus – Marksteine der
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Lydia, Stark, Ulrich (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungstheorie in
Geschichte und Gegenwart. Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft, 21.
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DEMOKRATIEZENTRUM WIEN, Arbeitswissen zum Lernmodul: Migration –
Migrationsgeschichte und Einwanderungsgeschichte in Österreich und im europäischen
Kontext, URL:
http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/wissen_push_pull_faktoren.pdf,
Stand 2008, gesichtet 30.10.2012.
ESSER, Hartmut, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von
Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse,
Darmstadt 1980.
FIES, Alexandra, Die badische Auswanderung nach Nordamerika unter besonderer
Berücksichtigung des Amtsbezirks Karlsruhe zwischen 1880 – 1914 (Diss.), Karlsruher
Institut für Technologie 2010.
HAN, Petrus, Soziologie der Migration, Stuttgart 2010.
HEINZ, Joachim, „Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!“. Zur Geschichte der pfälzischen
Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Kaiserslautern
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soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973.
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VON HIPPEL, Wolfgang, Auswanderung aus Südwestdeutschland. Studien zur
württembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert,
Stuttgart 1984.
IV.Ehrenwörtliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer
als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel einschließlich des Internets angefertigt und die
den oben benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche
kenntlich gemacht habe.
Mannheim, 19.12.2012 ...............................................................
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