Essers, Volkmar: Kant-Bildnisse. In: Immanuel Kant. Leben ... · 2 Immanuel Kant, Kritik der...

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Essers, Volkmar: Kant-Bildnisse. In: Immanuel Kant. Leben – Umwelt – Werk. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Beständen der Stiftung preußischer Kulturbesitz, der Bayerischen Staatsbibliothek, München, des Hauses Königsberg in Duisburg und anderer Leihgeber zur 250. Wiederkehr von Kants Geburtstag am 22. April 1974. Zusammenstellung und Katalog: Friedrich Benninghoven. (Berlin) 1974, 39-63. [39] Kant-Bildnisse Qualität und Anzahl der Bildnisse 1 , die uns eine Vorstellung von Immanuel Kants äußerer Erscheinung vermitteln können, stehen in keinem Verhältnis zur Berühmtheit des Königsberger Philosophen. Dies hat mehrere Gründe. Kant hat seine Heimatprovinz nie verlassen. Am Ort selbst gab es kaum bedeutende Porträtisten, und auswärtige Künstler von Rang scheuten die Reise in die abgelegene Stadt. Die bildende Kunst und die Musik haben den Philosophen zwar interessiert, als er sich aber in der „Kritik der Urteilskraft" (1790) ästhetischen Fragen zuwandte, wurde seine „ästhetische Kritik nur in geringem Grade durch die Kenntnis und lebendige Anschauung bedeutender Kunstwerke unterstützt" 2 . Kant scheint auch keinen Wert darauf gelegt zu haben, porträtiert zu werden. Nie ergriff er selbst die Initiative [40] dazu 3 . Seine Abneigung kann durch Bescheidenheit, Unlust, Modell zu sitzen, und auch durch das ethische Moment begründet gewesen sein, keinen falschen Anschein 1 Es gibt nur zwei zusammenfassende Darstellungen der Kant-Bildnisse: Vortrag über Portraits und Abbildungen Kants des Gutsbesitzers Minden, in: Schriften der Königlich physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg, 9 `(1868),Anhang: Berichte über die in den Sitzungen der Königlichen physikalisch- ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg gehaltenen Vorträge für das Jahr 1868, S. 24-34. Minden unterscheidet zwischen „Original-Portraits", zu denen Kant Modell saß, und späteren Nachbildungen, die jeweils hinter dem Original aufgeführt werden. Sein Vortrag ist die Grundlage für die zweite zusammen- fassende Darstellung: Karlheinz Glasen, Kant-Bildnisse, Königsberg 1924. Begrenzter in der Themenstellung ist der Aufsatz von Theodor Demmler: Immanuel Kant in den Berliner Sammlungen, in: Der Kunstwanderer 5 (1923/1924), S. 209-212. Eine listenförmige Zusammenstellung von graphischen Blättern findet sich in: Hans Wolfgang Singer Allgemeiner Bildniskatalog, Bd. VI, Leipzig 1932, S. 238. Gemälde, Zeichnungen und plastische Darstellungen sind aufgeführt in: Singer, Neuer Bildniskatalog, Bd. II, Leipzig 1937, S. 351. Ebenfalls wichtig für die Materialsammlung ist Herbert Meinhard Mühlpfordt, Königsberger Skulpturen und ihre Meister. 1255-1945. Würzburg 1970. In lexikalischer Anordnung enthält es Kurzbiographien der Künstler und knappe Angaben zu ihren Arbeiten, die einen Bezug zu Königsberg haben. Die umfangreichste Sammlung von Kant-Bildnissen befand sich im Kantzimmer in Königsberg. Vgl. dazu den Katalog: Das Kantzimmer. Verzeichnis der Kant-Andenken im Stadtgeschichtlichen Museum der Stach Königsberg, hrsg. vom entsprechenden Museum, 1936; die biographische Einleitung schrieb Eduard Anderson. Bei der Besprechung der malerischen und graphischen Kant-Bildnisse wird an Mindens Unterscheidung zwischen Originalporträts und Nachbildungen festgehalten. Es sollen hauptsächlich die Originalporträts in chronologischer Reihenfolge besprochen werden. 2 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Karl Vorläindcr, Hamburg 1963, unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1924, Einleitung des Herausgebers S. XV. 3 Clasen, S. 8.

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Essers, Volkmar: Kant-Bildnisse. In: Immanuel Kant. Leben – Umwelt – Werk. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Beständen der Stiftung preußischer Kulturbesitz, der Bayerischen Staatsbibliothek, München, des Hauses Königsberg in Duisburg und anderer Leihgeber zur 250. Wiederkehr von Kants Geburtstag am 22. April 1974. Zusammenstellung und Katalog: Friedrich Benninghoven. (Berlin) 1974, 39-63. [39]

Kant-Bildnisse

Qualität und Anzahl der Bildnisse1, die uns eine Vorstellung von Immanuel Kants äußerer Erscheinung vermitteln können, stehen in keinem Verhältnis zur Berühmtheit des Königsberger Philosophen. Dies hat mehrere Gründe. Kant hat seine Heimatprovinz nie verlassen. Am Ort selbst gab es kaum bedeutende Porträtisten, und auswärtige Künstler von Rang scheuten die Reise in die abgelegene Stadt. Die bildende Kunst und die Musik haben den Philosophen zwar interessiert, als er sich aber in der „Kritik der Urteilskraft" (1790) ästhetischen Fragen zuwandte, wurde seine „ästhetische Kritik nur in geringem Grade durch die Kenntnis und lebendige Anschauung bedeutender Kunstwerke unterstützt"2. Kant scheint auch keinen Wert darauf gelegt zu haben, porträtiert zu werden. Nie ergriff er selbst die Initiative [40] dazu3. Seine Abneigung kann durch Bescheidenheit, Unlust, Modell zu sitzen, und auch durch das ethische Moment begründet gewesen sein, keinen falschen Anschein

1 Es gibt nur zwei zusammenfassende Darstellungen der Kant-Bildnisse: Vortrag über Portraits und Abbildungen Kants des Gutsbesitzers Minden, in: Schriften der Königlich physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg, 9 `(1868),Anhang: Berichte über die in den Sitzungen der Königlichen physikalisch- ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg gehaltenen Vorträge für das Jahr 1868, S. 24-34. Minden unterscheidet zwischen „Original-Portraits", zu denen Kant Modell saß, und späteren Nachbildungen, die jeweils hinter dem Original aufgeführt werden. Sein Vortrag ist die Grundlage für die zweite zusammen- fassende Darstellung: Karlheinz Glasen, Kant-Bildnisse, Königsberg 1924. Begrenzter in der Themenstellung ist der Aufsatz von Theodor Demmler: Immanuel Kant in den Berliner Sammlungen, in: Der Kunstwanderer 5 (1923/1924), S. 209-212. Eine listenförmige Zusammenstellung von graphischen Blättern findet sich in: Hans Wolfgang Singer Allgemeiner Bildniskatalog, Bd. VI, Leipzig 1932, S. 238. Gemälde, Zeichnungen und plastische Darstellungen sind aufgeführt in: Singer, Neuer Bildniskatalog, Bd. II, Leipzig 1937, S. 351. Ebenfalls wichtig für die Materialsammlung ist Herbert Meinhard Mühlpfordt, Königsberger Skulpturen und ihre Meister. 1255-1945. Würzburg 1970. In lexikalischer Anordnung enthält es Kurzbiographien der Künstler und knappe Angaben zu ihren Arbeiten, die einen Bezug zu Königsberg haben. Die umfangreichste Sammlung von Kant-Bildnissen befand sich im Kantzimmer in Königsberg. Vgl. dazu den Katalog: Das Kantzimmer. Verzeichnis der Kant-Andenken im Stadtgeschichtlichen Museum der Stach Königsberg, hrsg. vom entsprechenden Museum, 1936; die biographische Einleitung schrieb Eduard Anderson. Bei der Besprechung der malerischen und graphischen Kant-Bildnisse wird an Mindens Unterscheidung zwischen Originalporträts und Nachbildungen festgehalten. Es sollen hauptsächlich die Originalporträts in chronologischer Reihenfolge besprochen werden. 2 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Karl Vorläindcr, Hamburg 1963, unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1924, Einleitung des Herausgebers S. XV. 3 Clasen, S. 8.

zu erwecken, auch nicht im Abbild. Sein Zeitgenosse R. B. Jachmann berichtet:: „Seine Achtung gegen die Menschen und sein Bestreben nicht anders in der Welt zu erscheinen als er wirklich war, machten ihn ängstlich besorgt, wenn seine Freunde ihn bewogen, sich abbilden zu lassen. Kant war soweit von aller Eitelkeit entfernt, daß sich seinetwegen weder die Mahlerei noch die Kupferstecher- und Bildhauerkunst an ihm je hätte versuchen dürfen. Geschah es aber, so wollte er auch der Welt ganz in seiner natürlichen Gestalt und auf eine geschmackvolle Art dargestellt werden. Sein Geschmacksurtheil war über kein Kunstwerk schärfer als über Abbildungen seiner selbst."4 Es kommt noch hinzu, daß Kant bemüht war, seine Person hinter der Sache zurücktreten zu lassen. Er reagierte abwehrend, als ihm Borowski 1792 die Skizze zu seiner Biographie vorlegte5. Die Literatur überliefert keine Vorstellung von einer kontinuierlichen Entwicklung der Person Kants und seines Aussehens. Vielmehr stehen drei unterschiedliche Lebensphasen unvermittelt nebeneinander: der arme Hauslehrer, der elegante Magister und der alte Kant6. Über das Aussehen des alten Kant schreibt Reusch, der häufiger an dessen Tischgesellschaften teilnahm: „Er war stets sehr sauber gekleidet und sein tief ernstes Gesicht, sein zur Seite gesenkter Kopf, sein regelmäßiger, doch nicht zu langsamer Schritt, zogen ehrerbietiges Anschauen bei seiner Erscheinung auf sich. Die helle Sandfarbe seines Kleides, die später einer tieferen bräunlichen wich, darf nicht auffallen; helle Farben aller Art waren damaligen Geschmacks und die schwarze Begräbnissen und der Trauer vorbehalten. Bei warmen Tagen ging er nach damaliger Sitte mit abgezogenem Hut, alsdann die feingepuderte Perücke den Kopf zierte. Seidenstrümpfe und Schuhe gehörten damals auch zur gewöhnlichen Tracht eines wohlgekleideten Mannes.“7 Über die körperliche Konstitution und die Eigenschaften Kants schreibt Jachmann, ohne daß ihm je einer widersprochen hätte: „Kants Körper war von der Natur gewiß nicht zu einer achtzigjährigen Lebensdauer bestimmt. Er hat der Natur das Leben abgezwungen. Das ganze Gebäude seines Körpers war so schwach, daß nur ein Kant es so viele Jahre unterstützen und [41] erhalten konnte. Es scheint, als hätte die Natur bei der Bildung dieses seltenen Erdenbürgers Alles auf seinen geistigen Theil verwandt; ja als hätte sie ihm die schwache Hülle zu mehrerer Stärkung seines Geistes mitgegeben. Sein Körper war kaum fünf Fuß hoch; der Kopf im Verhältniß zu dem übrigen Körper sehr groß; die Brust sehr flach und beinahe eingebogen; der rechte Schulterknochen hinterwärts etwas herausgedehnt. Die übrigen Theile des Körpers hatten unter einander ein gehöriges Ebenmaaß. Sein Knochenbau war äußerst schwach, schwächer aber noch seine Muskelkraft. Der ganze Körper war mit so wenigem Fleisch bedeckt, daß er seine Kleider nur durch künstliche Mittel halten konnte." „Kants Gesicht hatte eine sehr angenehme Bildung und muß in jüngeren Jahren sehr hübsch gewesen seyn. Sein Haar war blond, seine Gesichtsfarbe frisch, und seine 4 Reinhold Bernhard Jachmann, Immanuel Kant geschildert in Briefen an einen Freund, Königsberg 1804, S. 110-111. 5 Vgl. Gerhard Lehmann, Kants Lebenskrise, in: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, Berlin 1969, S. 412. Der Aufsatz erschien zuerst in: Neue Deutsche Hefte, Oktober 1954, S. 501-508. 6 Lehmann, a. a. O., S. 413-414. 7 Kant und seine Tischgenossen. Aus dem Nachlasse des jüngsten derselben, des Geheimen und Ober-Regierungsraths Dr. Christian Friedrich Reusch, Königsberg 1849, S. 5.

Wangen hatten noch im hohen Alter eine gesunde Röthe. Aber wo nehme ich Worte her, Ihnen sein Auge zu schildern! Kants Auge war wie vom himmlischen Aether gebildet, aus welchem der tiefe Geistesblick, dessen Feuerstrahl durch ein leichtes Gewölk etwas gedämpft wurde, sichtbar hervorleuchtete. Es ist unmöglich, den bezaubernden Anblick und mein Gefühl dabei zu beschreiben, wenn Kant mir gegen über saß, seine Augen nach unten gerichtet hatte, sie dann plötzlich in die Höhe hob und mich ansah. Nur war es dann immer, als wenn ich durch dieses blaue aetherische Feuer in Minervens inneres Heiligthum blickte."8 Bei dieser Schilderung fällt auf, daß Kants Körper nicht als wohlgestaltet, sondern als äußerst schwach und hinfällig beschrieben wird. Dem Gesicht als dem sprechendsten Teil des Menschen wird eine „sehr angenehme Bildung" zugeschrieben. Viele körperliche und geistige Fähigkeiten lassen sich zwar in Worte fassen, aber kaum oder gar nicht mit den Mitteln der bildenden Kunst darstellen. Sie besitzt andere Ausdrucksmöglichkeiten und Formeln zur Charakterisierung einer Person. Dabei kann es noch eine Rolle spielen, ob es sich um die Gattung der Malerei, der Graphik oder der Plastik handelt.

Malerische und graphische Kant-Bildnisse Wie oft und in welch aufwendiger Form jemand porträtiert wird, hängt zu einem großen Teil von dem Grad seiner Berühmtheit ab. Aus der Zeit, bevor ein später weithin bekannter Mann die Aufmerksamkeit einer größeren Öffentlichkeit erregt hat, gibt es selten und wenn, dann nur wenige, oft unbedeutende Porträts von ihm. Das trifft auch bei Kant zu. Die meisten seiner Bildnisse stammen aus der Zeit nach 1781, als seine Kritik der reinen Vernunft erschienen war, die ihn berühmt machte. [42] Aus Kants Zeit als Hauslehrer (1746-1755) ist nur die um 1755 entstandene Zeichnung der Gräfin Karoline Amalie von Keyserling überliefert9, in deren Haus er zur Erziehung der Kinder angestellt war. Diese Zeichnung kann als das früheste Bildnis Kants angesehen werden. Sie zeigt Kant zu Beginn seiner dreißiger Jahre, ist sehr flächig gehalten und konzentriert sich mehr auf Umrisse als auf die Ausformung von Details. Das Brustbild mit leichter Wendung des Oberkörpers nach links zeigt Kant wie bei allen späteren malerischen und graphischen Porträts nach der Mode seiner Zeit mit Jacke, Weste und Rüschenhemd gekleidet und den Kopf mit der Zopfperücke bedeckt. Durch die Tracht ist sein Stand als Bürger bezeichnet. Ein Hinweis auf seinen Beruf fehlt. Mit äußerst sparsamen Mitteln sind die Besonderheiten von Kants Gesichtsbildung wiedergegeben: die Unterschiedlichkeit der beiden Augen und des Verlaufs der Brauen, die gerade Nase, der leicht vorgeschobene Mund und die starke Wölbung der Stirn. Durch keine Falten ist angedeutet, ob sich das Gesicht zu einem bestimmten Ausdruck einer inneren Regung verzieht. Der jugendliche Kant ist als intensiver Beobachter dargestellt, dessen Gesicht Ausgeglichenheit und eine zum Ernst neigende Ruhe ausstrahlt.

8 Jachmann, a. a. O., S. 152-156. 9 Zur Zeichnung der Gräfin Keyserling (1729-1791) vgl. Clasen S. 9-10 mit Abb. Die Zeichnung befand sich ehemals in der Majoratsbibliothek zu Rautenburg in Ostpreußen. In den Anmerkungen bei Clasen zu den einzelnen Bildnissen ist jeweils die ältere Literatur angegeben, die hier nicht eigens immer angeführt werden soll.

Im September 1755 wurde Kant Privatdozent an der Universität Königsberg. 1765 erhielt er die Stelle eines Unterbibliothekars an der Königlichen Schloßbibliothek und damit ein bescheidenes festes Einkommen. Kants Bedeutung innerhalb der Königsberger Gesellschaft und sein Ruf als Gelehrter hatten ständig zugenommen. In diese Zeit gehört eine Gruppe von Bildnissen, die auf den Königsberger Maler I. B. Becker zurückgeht. Es handelt sich um zwei Gemälde und ein Pastell10. Die Reihenfolge ihrer Entstehung ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen, wohl aber mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß sie alle drei etwa 1765 gemalt wurden11. Das eine Gemälde stammt aus dem Nachlaß von Kant und gelangte auf kaum überschaubaren Umwegen in das Kant-Zimmer der Stadt Königsberg12. Das Porträt ist ungefähr lebensgroß und stellt Kant im Brustbild dar. Der Oberkörper ist schräg zur Bildfläche gestellt, der Kopf stärker [43] gedreht, so daß er freier aus dem Bild herausblickt und etwa im Dreiviertelprofil erscheint. Die Hände sind zur Körpermitte angehoben, wobei sich die rechte auf die linke Hand stützt und ein aufgeschlagenes Buch hält. Die Schrift ist unleserlich. Wirkte Kant auf der Zeichnung der Gräfin Keyserling noch jugendlich, so ist er hier als reifer Mann dargestellt. Das zweite Gemälde von Becker befand sich in der Königsberger Buchhandlung Gräfe und Unzer. Innerhalb des rechteckigen Formats ist das Porträt durch einen ovalen Ausschnitt begrenzt. Nur geringfügige Abweichungen sind beim Gesicht zu beobachten. Die einzelnen Gesichtsformen wirken etwas schmaler und ausgeprägter. Den beiden Gemälden ist ein kleineres Pastellbild zuzuordnen, das Kant seinem Bruder geschenkt hatte, der Pastor in Alt-Rahden in Kurland war. Es stimmt in Haltung und Auffassung völlig mit den beiden Gemälden überein. Eine weiße Quadratur weist es als Entwurf aus. Das Pastell kann als Studie zu beiden Gemälden gedient haben. Auf wen die Initiative zu den beiden Bildern aus Kants Besitz zurückgeht, läßt sich nicht zufriedenstellend klären. Daß Kant selbst den Auftrag erteilte, ist von seiner Einstellung und seinem bescheidenen damaligen Einkommen her unwahrscheinlich. Vielleicht bat der Künstler ihm die Bilder geschenkt. Die Auftragssituation des zweiten Gemäldes ist besser überliefert. Für die Entstehung des Bildes und den Zusammenhang, für den es bestimmt war, verweist Minden auf einen Brief des Philosophen Hamann: „Am 28. August 1768 schreibt hierüber Hamann an Herder nach Riga: dass Kanter einen neuen grossen Buchladen hatte einrichten lassen, in welchem neben zwölf Büsten alter Classiker das schön gemalte Bildniss Friedrich des Grossen aufgehängt wäre. In der Schreibestube des Ladens würden die gemalten Bildnisse ausgezeichneter deutscher Gelehrter aufgestellt, Moses Mendelssohn, Rammler, Hippel, Willamov, Scheffner wären schon da, jetzt müsste Kant dem Maler sitzen, um derselben Auszeichnung theilhaftig zu werden."13 10 Clasen, S. 10- 13, 3 Abb. 11 Zur Datierung vgl. Clasen, S. 10-11. 12 Eine Kopie nach diesem Gemälde hatte der Arzt Marcus Herz mit nach Berlin genommen. Sie gelangte in die Staatsbibliothek (Berlin-Ost). Zu dieser Kopie und den Kupferstichen danach vgl.: Dernmler (1923/24), a, a. O., S. 209; - Erich Biehahn, Das Berliner Kant-Bildnis, in: Kant-Studien 50 (1958/59), S. 255-256; - ders., Die Kunstwerke der deutschen Staatsbibliothek, Berlin 1961, S. 18-19, Abb. 21. 13 Minden, S. 26.

Bei der aufgeführten Gesellschaft handelt es sich um Dichter und Gelehrte, die zu dem Zeitpunkt alle noch lebten. In der römischen Antike war es üblich, besonders die Büsten bedeutender Philosophen, Dichter, aber auch von Staatsmännern und Vertretern anderer Berufszweige in Bibliotheken aufzustellen. Wenn es wie bei Kanter in einen Verkaufslokal geschieht, dann ist neben dem Aspekt der Ehrung des Dargestellten der der Werbung nicht zu übersehen. Das Bild des Schriftstellers soll dazu anregen, seine Werke zu kaufen. Der Verwendungszweck könnte Becker bei seiner Kant-Darstellung beeinflußt haben. Jedenfalls gibt es kein anderes Porträt Kants, auf dem er so demonstrativ ein Buch vorweist. Es ist vornübergekippt, um [44] mit seinen bedruckten Seiten sofort erkennbar zu sein. Gleichzeitig macht sich der Wandel der Porträtauffassung bemerkbar, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich eingeleitet wurde14. Es wird nicht mehr ein Stand dargestellt, sondern die persönliche Berufung und die geistige Bedeutung einer Persönlichkeit, die sich in einer freien Ausdrucksgebärde mitteilt. Davon ist bei der steifen Darstellung Beckers noch wenig zu spüren, etwas aber doch schon ansatzweise erkennbar. Zumindest ist die geistige Bedeutung Kants der Anlaß zu der Darstellung gewesen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war neben der repräsentativen eine sehr bescheidene Form des Porträts in Mode gekommen, das Schattenbild, auch Silhouette genannt nach dem französischen Finanzminister Etienne de Silhouette, der alles auf die sparsamste Weise einzurichten versucht hatte. Die Silhouette war in dem Zeitraum zwischen 1770 und 1800 in Deutschland am stärksten verbreitet. Die Schattenbildchen fanden ihren Platz in Sammelbüchern, häufig auch in kleinen Rahmen an den Wänden der Wohnungen, wurden aber auch als Zierat von Porzellan, Möbeln und Schmuck verwendet. Von Kant sind drei Silhouetten überliefert15. Eine stammt aus dem Nachlaß Hippels. Sie ist eine der beiden Silhouetten, die Kant in einem Brief an Hippel vom 15. März 1784 erwähnt. Er schrieb: „Beyliegende mir von Hn. Buck zugeschickte Silhouette habe die Ehre Ew. Wohlgeb. Verlangen gemäß hiermit zu übergeben, ob ich zwar zweifle, daß sie genau genug abgenommen seyn. Doch möchte das loosbeyliegende Stück in Ansehung der Unterlippe weniger unrichtig seyn; beyde aber fehlen in Ansehung der mir angedichteten Fettigkeit unter dem Kinne welche man vielleicht vermittels der Scheere verbessern könnte."16 Das Schattenbild zeigt Kant in Büstenform nach links gewandt. Der Hals ist steil aufgerichtet und der Kopf ein wenig zurückgeneigt. Die Kopfform wirkt schmal und hoch. Dieser Zug wird noch dadurch unterstrichen, daß der Zopf nicht platt auf dem Kragen aufliegt, sondern ein wenig absteht. Was Kant an dem Bildnis rügt, ist die leicht durchhängende Linie von der Kinnspitze zum Hals. Die beiden anderen Schattenbilder seien nur kurz erwähnt. Beide waren von Kant mit einem lateinischen Spruch, seiner Unterschrift und einem Datum vom März 1788 versehen.

14 Wolfgang Becker, Paris und die deutsche Malerei 1750-1850, München 1971, S. 34. 15 Glasen, S. 14, 16, Abb. auf dem Titelblatt und S. 16. - Zur Geschichte der Silhouette im allgemeinen vgl. Max v. Boehn, Miniaturen und Silhouetten. Ein Kapitel aus Kulturgeschichte und Kunst, 4. Aufl. München 1925, S. 209 ff. (1. Aufl. 1917). 16 Zitiert nach Glasen, S. 14.

Die eine Silhouette befand sich im Album des Pfarrers Stein in Juditten, die andere im Stammbuch des Pfarrers Hübler in Marienburg. Der Kopftyp ist bei beiden weniger gestreckt als bei dem Schattenbild von 1784. [45] Der Kopf wirkt kugeliger und ist ohne Hervorhebung des Halses fest mit dem Körper zu einer Einheit verbunden. Zur Beliebtheit der Silhouette gegen Ende des 18. Jahrhunderts trugen mehrere Faktoren bei. In seiner Begeisterung für das klassische Altertum sah man in den Silhouetten die Verwandtschaft zu schwarzfigurigen Vasenbildern der Griechen17. Darüber hinaus läßt sich der Schattenriß mit der Sage von der Erfindung der Zeichenkunst in Verbindung bringen. Debutades, die Tochter eines korinthischen Töpfers, soll den Schlagschatten ihres Geliebten nachgezogen haben, als er von ihr Abschied nehmen mußte. Die umrandete Fläche füllte sie schwarz aus.18 Diese Begebenheit galt bei den Griechen als die Geburtsstunde der Zeichenkunst. Der Vater des Mädchens soll gleichzeitig zur Erfindung des Reliefs inspiriert worden sein. Daß im 18. Jahrhundert die Verbindung zwischen dem Schattenriß und dieser antiken Sage gesehen wurde, belegt eine Radierung von Johann Esaias Nilson aus der 2. Hälfte der 70er Jahre19. Dort ist die Szene als Sockelfüllung unter der Silhouette Kaiser Josephs Il. dargestellt. Heutzutage mag der Wert der Silhouette für die Kenntnis der äußeren Erscheinung und der Physiognomie einer historischen Persönlichkeit nicht so hoch eingeschätzt werden. Johann Caspar Lavater vertrat in seinen „Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und der Menschenliebe", die in vier Bänden 1775-1778 in Leipzig und Winterthur erschienen, die Ansicht, daß keine Kunst an die Wahrheit eines sehr gut gemachten Schattenrisses heranreiche und daß die Physiognomik keinen zuverlässigeren, unwiderlegbareren Beweis ihrer objektiven Wahrhaftigkeit habe20. Viele sandten dem Züricher Physiognom ihren Schattenriß in der Erwartung, Interessantes und Bedeutendes daraus erkannt zu sehen21. In diesem Zusammenhang ist auch die Beliebtheit kleiner Profilbildnisse, die keine bloßen Schattenrisse sind, in dem Zeitraum 1770-1820 zu betrachten. Es gibt drei Kant-Bildnisse im Profil, die nach dem Leben entstanden. Das Porträt, das Kant am wenigsten gefallen zu haben scheint, ist ein Miniaturgemälde von M. S. Lowe, der als Miniaturmaler und Kupferstecher hauptsächlich in Berlin arbeitete. Jachmann berichtet, daß Kant ärgerlich reagierte und sich „unkenntlich gemacht" fand22. Das Miniaturgemälde 17 Boehn, S. 212. 18 Becker, S. 22, Abb. 1, Anm.98. Er stellt die genrehafte Darstellung des Themas (Kupferstich von Schenau, 1767) vor. In der Anmerkung nennt er Literatur zu dem Thema. 19 Hans Wille, Die Erfindung der Zeichenkunst, in: Beiträge zur Kunstgeschichte. Eine Festgabe für Heinz Rudolf Rosemann zum 9. Oktober 1960, München, S. 287-288, Abb. 5. 20 Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe, 2. Versuch, Leipzig und Winterthur 1776, S. 90, 91. 21 Boehn, S. 214. 22 Jachmann, S. 111.

[46] selbst ging verloren23, ist aber durch Kupferstiche überliefert, wie überhaupt die wenigen Porträts, die nach dem lebenden Modell entstanden waren, immer wieder als Vorlage für Stiche dienten und dadurch größere Verbreitung fanden. Charles Townley fertigte 1789 einen Kupferstich, „in punktir-ter Manier kolorirt gedrückt", nach dem 1784 entstandenen Bild von Lowe24. Abweichend von den übrigen Darstellungen zeigt Lowe das Gesicht Kants fleischiger und angespannter. Die Nase ist stärker gekrümmt, die Falte vom Nasenflügel abwärts ist scharf eingegraben. Der Mund wölbt sich nicht so weit vor, und die Augenbrauen sind spitz hochgezogen. In dem Gesicht drückt sich vor allem intensives Beobachten aus, aber auch die Energie, das Beobachtete gedanklich und praktisch umzusetzen. Als sich der umherreisende Künstler Friedrich Wilhelm Senewaldt25 1786 Königsberg aufhielt, legte er von Kant ein kleines ovales Profilbildnis in zartgrauer Wasserfarbe an. Im Vergleich mit Kants robustem Aussehen auf dem Porträt von Lowe wirkt er hier hager und zerbrechlich. Diese Darstellung kommt darin dem Bericht Jachmanns26 von der Anfälligkeit und Schwachheit der körperlichen Konstitution Kants am nächsten. Auffallend ist, wie schmal die Nase gebildet ist und wie spitz sie ausläuft. Die Haut wirkt dünn und faltig, das Gesicht durch die zarte Strichelung sehr beweglich. Das Bildchen stammt aus einem Porträtalbum des Grafen Hachberg. Auch der Dresdener Maler Veit Hans Schnorr von Carolsfeld wählte die Form des Profilbildnisses, als er 1789 durch die Vermittlung von Kants Freund Nippel die Gelegenheit erhielt, den Philosophen nach dem Leben zu malen. Schnorr behielt das Porträt zumindest bis 1836 und lieh es nur gelegentlich zur Anfertigung graphischer Reproduktionen aus27. Hippel schrieb auf die Rückseite der ovalen abgetönten Bleistiftzeichnung auf Pergament:: „Außerordentlich ähnlich! . . . Hippel a. 13. Mai 89."28 Das Gesicht wirkt im Vergleich zu anderen Darstellungen breiter und flächiger, die Kopfform zum Kugeligen hin verkürzt. Schnorrs Zeichnung wurde am bekanntesten durch den Kupferstich von S. F. Bause. Über diesen Umweg gelangte sie als Schmuck auf die Gefäßwand einer Deckelurne aus Fürstenberger Porzellan von 179529. Das Porträt des Philosophen wurde zum prätentiösen Zierat. [47] Zu den wenigen Gemälden, die Kant darstellen, gehört das von dem Maler Döbler30, einem Schüler des Schotten Edmund Francis Cunningham. Döbler, der sich 1791 kurze Zeit in Königsberg aufhielt, bevor er nach Berlin zurückkehrte, schenkte das Bild der Totenkopfloge, einer Freimaurervereinigung. Kant war kein Anhänger der Freimaurerei, und es muß ihm auch widerstrebt haben, einer Vereinigung anzugehören, die mehr Wert auf Bilder, Zeichen und Bräuche legte als auf Begriffe

23 Es trug die Unterschrift: „ad vivum pinxit 1784“. Vgl. Clasen, S. 14. Die Miniatur diente als Vorlage für einen Kupferstick von Clar und einen von Lübe. 24 Die Kauloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 1786-1850, bearbeitet von Helmut Börsch-Supan, Berlin 1971, 1789 Nr. 43. 25 Album in der Majoratsbibliothek des Fürsten von Pleß in Fürstenstein. Eine Wiederholung dieses Kant-Bildnisses besaß der Graf von Dohna-Schlobitten. Vgl. Clasen, S. 15-16. 26 Jachmann, S. 152-160. 27 Clasen, S. 17. Zu den Reproduktionen vgl. Minden, S. 27-28. 28 Minden, S. 27-28. 29 Hannover, Kestner-Museum. 30 Minden, S. 28; Clasen, S. 18-19.

und Theorien31. Dagegen wurden die aufklärerischen Aspekte der Philosophie Kants sicherlich bereitwillig von der Freimaurerei aufgegriffen. Von daher könnte sich erklären, daß die Totenkopfloge ein Interesse an seinem Bildnis besaß. Das ovale Bildnis zeigt Kant bis zu den Knien. Er sitzt vor einem grünen Vorhang neben seinem Schreibtisch, auf den er den linken Arm gestützt hat. Der Oberkörper und Kopf neigen sich ein wenig nach rechts zum Tisch. Die Augen sind sinnend nach oben gerichtet. Das Schreibgerät weist den Dargestellten als Philosophen aus, aber nicht mit der demonstrativen Gebärde wie auf den Gemälden Beckers von 1768. Das ruhige Nachdenken, das sich im Gesicht ausdrückt, verbindet sich mit einer entspannten Körperhaltung. Indem Döbler seine Aufmerksamkeit neben dem Gesicht auf die Körperhaltung und die Gebärden richtet, greift er über seinen Lehrer Cunningham die englische Porträtauffassung auf, die hierfür feste Typen geschaffen hatte und deren Einfluß sich seit den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts auf dem Festland verbreitete32. C. Vernet, ein reisender Künstler, scheint es verstanden zu haben, aus seinem Kantporträt von 1792 ein Geschäft zu machen. Er nutzte das Interesse des Publikums und fertigte seine Miniaturen in zahlreichen Wiederholungen, die sich kaum voneinander unterscheiden und vielen Stichen als Vorlage dienten33. Er wählte die Form des Brustbildes. Der Oberkörper ist schräg zur Bildebene gesetzt. Der Kopf erscheint mit leichter Gegendrehung im Dreiviertelprofil nach rechts gewandt. Anders als bei Döbler ist das Gesicht nicht durch ein inspiriertes Nachdenken verklärt. Es ist ohne Überhöhung ein runzliges Altmännergesicht, das den Betrachter lebhaft anblickt. Ein solches nur auf Ähnlichkeit bedachtes, sehr persönlich wirkendes Bildnis war kaum für öffentliche Repräsentation geeignet, sondern mehr für die private Verehrung des Dargestellten. So finden sich die Käufer von Vernets Miniaturen unter den Freunden Kants34. [48] Die körperliche Beschaffenheit des Philosophen ist am besten in zwei Zeichnungen überliefert, die ihn in ganzer Gestalt zeigen. Die eine fertigte 1798 der reisende Künstler Puttrich,, die andere 1801 der Berliner Bildhauer Friedrich Hagemann35. Puttrich zeichnete den Philosophen scherenschnittartig als schwarze Silhouette im Profil. Einzelne Teile sind durch Weiß aufgehöht. Der Kopf wirkt im Verhältnis zum zierlichen Körper sehr groß. Die Profillinie des Kopfes entspricht der bei den besprochenen Silhouettenbildchen auf den Albumblättern. Aber im Gegensatz zu dort ist der Kopf als Fortsetzung des gekrümmten Rückens vorgeneigt. Die andere Zeichnung stellt Kant bei einer Beschäftigung dar. Die Beischrift lautet: „Die Figur Emanuel Kant´s, wie er für seine Tischgenossen den Senf zubereitet, gezeichnet von dem Bildhauer Hagemann, zur Zeit er dessen Büste modellirt, im Jahr 1801." Wie kein anderes Bildnis zeigt diese skizzenhafte Darstellung die Altersschwäche Kants: seine Kurzsichtigkeit und gebeugte Haltung. Alle bisher 31 Georg Thiel, Wesen und Wollen der Freimaurer, Hamburg-Berlin 1950, S. 6 ff.. 32 Becker, S. 36. 33 Minden, S. 28-29; Clasen, S. 19-20, 2 Abb. Die Großen Deutschen im Bild, hrsg. von Alfred Hentzen und Niels von Holst, Berlin 1936, Abb. S. 174. Eine Version des Porträts befindet sich heute im Rektorat der Universität Göttingen. Vgl. dazu: W. Grunet, Das Insterburger Kantbild in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Würzburg 12 (1962), S. 339-340. 34 Clasen, S. 19. 35 Minden, S. 29-30; Clasen S. 24, 27.

besprochenen Kant-Bildnisse zeigten den Philosophen allein: als Kopfstück, Brustbild, Kniestück oder auch in ganzer Gestalt, nie zusammen mit anderen Personen. Dafür stammen sie von Künstlern, die ihre Porträts nach dem Leben malten. Diesen Vorzug hat das Fresko von Götzenberber nicht. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden großangelegte Darstellungen immer verbreiteter, die aus allen Jahrhunderten die berühmtesten Vertreter einzelner Disziplinen wie die Heiligen der katholischen Kirche unter dem Schutz Marias zu imaginären Versammlungen unter der Obhut allegorischer Verkörperungen der Wahrheit, Schönheit oder anderer Wertbegriffe vereinen. Die Aula der Universität in Bonn erhielt in den Jahren 1824-1835 unter der Oberleitung von Peter Cornelius einen solchen Schmuck. In vier großen Fresken sollten die vier Fakultäten dargestellt werden36. Die „Philosophie" wurde von Jakob Goetzenberger ausgeführt. Ihre Gestaltung lehnt sich an ein Wandgemälde Raffaels im Vatikan an, „Die Schule von Athen". Philosophie ist bei Goetzenberger als Fundament und geistiges Band aller Bereiche verstanden. Denn nicht nur Philosophen im engeren Sinne haben sich vor dem Thron der Wahrheit versammelt, sondern auch Künstler, Geschichtsschreiber, Staatstheoretiker, Kirchenväter und Naturwissenschaftler. Vorn rechts bildet Kant zusammen mit Leibniz und Bacon eine Dreiergruppe. Bei dieser Darstellung, die nur eine Kompilation bekannter Porträts ist, kommt es haupt- [49] sächlich auf den geistesgeschichtlichen Zusammenhang an, in den Kant gestellt ist, und welch hohe Bedeutung man Kant als Philosoph beimaß, erhellt daraus, daß man ihn in diese Gesellschaft aufnahm. Die Besonderheit des 1892/1893 entstandenen Gemäldes von dem Königsberger Emil Doerstling37 liegt darin, daß es eine andere Eigenschaft Kants als die übrigen Bildnisse hervorhebt. Der Philosoph wird hier als geselliger Gastgeber vorgeführt. Doerstling kompilierte sein Kant-Bildnis aus den bekannten Stichen, Zeichnungen, Gemälden und Büsten. Die Idee zu dem Bild „Kant und seine Tischgenossen" als malerische Umsetzung der gleichnamigen Schrift von Reusch (Königsberg 1847) geht auf den Königsberger Stadtrat Professor Dr. Walter Simon zurück, der den Auftrag zu dem Gemälde erteilte und es der Stadt schenkte. Zur Identifizierung der dargestellten Personen hilft die Beschreibung in den Kant-Studien: „Das Bild stellt den Kreis der Tischgenossen Kants dar, und zwar den Prof. Dr. Kraus und den Medizinalrat Prof. Dr. Hagen, sodann den Polizeidirektor v. Hippel und den Kriegsrat Scheffner, ferner Hamann und Borowski (den späteren Erzbischof), endlich die beiden Kaufleute Jacoby und Motherby. Die Genannten sind in einer lebendigen Unterhaltung begriffen, deren Mittelpunkt Kant ist."38 Die Darstellung dieser Tischgesellschaft läßt an die 1850 von Adolph von Menzel gemalte und schnell populär gewordene Tafelrunde Friedrichs des Großen in

36 Zu den Fresken vgl.: Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, hrsg. von Paul Clemen, 5. Bd. III: Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Bonn, Düsseldorf 1905, S. 168-169; dort auch weitere Literatur angegeben. Ausführliche Beschreibung und Benennung der dargestellten Personen beim Fresko der Philosophie in: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Katalog Neuere Meister, 19. und 20. Jahrhundert, bearbeitet von J. Lauts und W. Zimmermann, Karlsruhe 1971, S. 88. In der Karlsruher Kunsthalle befinden sich die Kartons zu den zerstörten Fresken. 37 Zu Doerstlings Bild vgl. Kant-Studien 5 (1901), S. 112-113, 489.. 38 Kant-Studien 5 (1901), S. 113

Sanssouci denken39. Das Vorbild der königlichen Gesellschaft ist auf bürgerliche Verhältnisse übertragen. Übernommen ist das Grundschema, wie die Personen um einen Tisch in der Bildmitte arrangiert sind und einer als Hauptperson hervorgehoben ist. Bei einigen Tischgästen stimmen Haltung und Gruppierung auf beiden Gemälden überein. Daneben gibt es auch Unterschiede. Bei Doerstling richtet sich die Aufmerksamkeit aller Gäste auf Kant, und auch der an dem seitlichen Abstelltisch beschäftigte Diener scheint auf seine Worte zu lauschen. Dadurch ist Kant, der zudem am Kopfende der Tafel, - allerdings nicht in der Bildmitte -, ein wenig isoliert sitzt, eindeutig als Hauptfigur betont. Bei Menzel sind Friedrich II. und Voltaire die wichtigsten Gesprächspartner, aber auch die anderen unterhalten sich untereinander. Daß Friedrich Il. die größte Bedeutung auf dem Bild zukommt, geht daraus hervor, daß er in die Mittelachse gesetzt ist. Einzelne Gegenstände sind auf ihn bezogen, wie der Sessel vorn und der Kronleuchter über ihm. Obwohl nur ein Ausschnitt des Rundsaales gezeigt ist, gewinnt man eine deutliche Vorstellung von seiner Beschaffenheit. Die integrative Kraft Menzels, die den Bezug zwischen den Personen und den sie umgebenden Gegenständen herstellt und die Personen in den Wohnraum [50] einbindet, fehlt Doerstling. Bei ihm existieren Gegenstände und Personen isoliert nebeneinander. Der Raumausschnitt wirkt wie eine Kulisse, vor der Kant wie auf dem Theater als gastgebender Unterhalter agiert. Die ausgedehnten Mittagsmahlzeiten bilden nur den Anlaß zu geistreicher Unterhaltung, die von Kant ausgeht. Die malerischen und graphischen Kant-Bildnisse stammen von Künstlern, die völlig hinter der Berühmtheit des Dargestellten zurücktreten. Sie fanden für ihre Porträts keine neue Form, sondern griffen zaghaft und mit einiger Verspätung allgemein übliche Darstellungsmuster auf. Die Zeichnung der Gräfin Keyserling und die Gemälde Beckers sind noch auf dem Hintergrund der höfischen Tradition zu sehen, in der eine Person entsprechend ihrem Stand und ihrer Rolle in der Gesellschaft, nicht so sehr gemäß ihrem individuellen Verdienst und ihrer persönlichen Ausstrahlung dargestellt wurde. Die Miniaturgemälde Vernets und die Zeichnung Hagemanns zeigen Kant in einer unmittelbareren Ausdrucksgebärde. Die Silhouetten und Profilbildnisse entsprechen dem Interesse des ausgehenden 18. Jahrhunderts für die Antike und für die Physiognomik. Döbler greift, indem er darüber hinaus Wert auf Körperhaltung und Gebärden legt, englischen Einfluß auf. Auf dem Fresko Goetzenbergers und dem Gemälde Doerstlings wird Kant jeweils für eine bestimmte Rolle in Anspruch genommen: einmal als berühmter Philosoph, dann als geistreicher Gastgeber. Auch diese Darstellungen, die allegorisierende Geschichtsdarstellung und die Tafelrunde folgen vor-gegebenen Typen. Die Bildnisse dokumentieren nur lückenhaft die unterschiedlichen Lebensstufen Kants. Die Silhouetten, Zeichnungen und Miniarturgemälde dienten überwiegend der privaten Erbauung oder Erinnerung, während die Gemälde Beckers, Döblers und Doerstlings und das Fresko Goetzenbergers sich an einen größeren Kreis richteten und gleichzeitig auf eine Ehrung des Philosophen abzielten.

39 Adolph von Menzel, Abbildungen seiner Gemälde und Studien, hrsg. von Hugo von Tschudi, München 1905, S. 48-49 mit Abb.

Plastische Kant-Bildnisse

Die früheste plastische Darstellung Kants ist ein kleines Relief von dem Königsberger Paul Heinrich Collin. Die vollständigste Inschrift hat ein Exemplar in schwarzem Steingut, das im Kunstgewerbemuseum der Stadt Königsberg aufbewahrt wurde: „Mons. Eman. Kant Professeur ä Koenigsberg né en l'année 1723 pris de nature par Paul Henri Collin en Juin 1782 fabrique des frères Collin ä Koenigsberg"40 (das Geburtsjahr ist falch angegeben). Dieses Brustbild zeigt Kant im Profil. Er trägt wie auf den malerischen und graphischen Bildnissen eine Zopfperücke und eine Jacke nach der Mode seiner Zeit. Auffallend ist dagegen seine Hagerkeit mit der fast [51] eingefallenen Brust und dem sehr knochigen Gesicht. Obwohl Kant im Alter von 58 Jahren dargestellt ist, sind keine Züge des Erschlaffens zu bemerken. Das Profil des Gesichtes bekommt in seiner Knappheit mit der ein wenig zurücktretenden Stirn, der geraden Nase, dem vortretenden Mund und zurückweichenden Kinn fast schon etwas Zugespitztes. Dieses Porträt wurde von den Zeitgenossen für sehr ähnlich gehalten und von Kant geschätzt41. Ludwig Ernst Borowski, der 1804 eine Kant-Biographie veröffentlichte, hielt Kant in Collins Relief für am besten getroffen und führte weiter aus: „Ein hiesiger sehr geschickter Künstler Collin, der eines besseren Schicksals werth war, hat ein Brustbild von Kant in Gyps, auch in Steingut geliefert, wo wahrlich die treffendste Ähnlichkeit sichtbar ist. Die hiesige Fayencefabrik fertiget schon seit einigen Jahren ungemein zierliche Vasen, auf deren Mitte Kant's Brustbild erhöht dargestellt wird."42 Für die Beliebtheit des Reliefs spricht, daß es Stechern als Vorlage diente und es in verschiedenen Größen, Materialien43 und ebenso wie Bauses Stich nach der Zeichnung Schnorrs als Vasenzierat verbreitet war. Die Werkstätte der Gebrüder Collin in Königsberg hatte nur von 1776-1785 bestanden. Collins Relief wurde aber auch später noch nachgeformt. Die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur in Berlin fertigte kleine Medaillons in Biscuitporzellan danach44. Collins Relief diente auch als Vorlage für Medaillen, die zu Ehren Kants geprägt wurden. Der Berliner Medailleur Abramson nahm es zum Vorbild für den Kopf einer Medaille, die Kant zu seinem 60. Geburtstag 1784 von einer Anzahl Studenten in Gold überreicht wurde45. Die Vorderseite zeigt das Porträt mit der Unterschrift „Emanuel Kant", die Rückseite den schiefen Turm von Pisa mit herabhängender Richtschnur und Senkblei. Am Fuße des Turmes wacht eine Sphinx. Der schiefe Turm von Pisa könnte als ein Hinweis auf Galileo Galilei verstanden werden, der dort die Gesetze des freien Falls erforschte und dem für die neuzeitliche Naturwissenschaft eine ähnliche Bedeutung zugeschrieben wird wie Kant für die neuzeitliche Philosophie. Die Unterschrift zu dieser Darstellung nimmt Bezug darauf, 40 Minden S. 14. 41 Minden, S. 31, Anm. v. 42 Ernst Ludwig Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Immanuel Kants, Königsberg 1804, S. 177; zitiert nach Minden, S. 31. 43 Minden, S. 31; Demmler 1923/24, S. 209. "4 Gesehen im Berliner Antiquitätenhandel ''S Minden, S. 32-33; Clasen, S. 14; Demmler 1923/24, S. 210, Abb. 3. 44 Gesehen im Berliner Antiquitätenhandel. 45 Minden, S. 32-33; Clasen, S. 14; Demmler 1923/24, S. 210, Abb. 3.

daß Kant Grenzen und Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis untersuchte. Sie lautet: "Perscrutatis fundamentis stabilitur veritas". Das Geburtsjahr "NAT. MDCCXXIII" ist wie bei Collins Relief falsch angegeben. Abramsons Darstellung liegt zwar deutlich das Relief von Collin zugrunde, wie an der Profillinie und den Gesichtszügen zu bemerken ist, weicht aber [52] in einigen Zügen deutlich ab. Der Kopf zeigt im Gegensatz zu der straffen Festigkeit bei Collin Anzeichen des Greisentums in der Schlaffheit der Haut. Indem Abramson die Zopfperücke zugunsten einer kurzen, griechisch-römischen Frisur wegläßt und die modische Jacke durch ein offenes, modisch nicht fixiertes Hemd ersetzt, prägt er eine neue Form des Kant-Bildnisses. Durch den Verzicht auf die modische Tracht wird die überzeitliche und nicht auf einen bestimmten Stand begrenzte Bedeutung der historischen Persönlichkeit Kants in seiner Eigenschaft als Philosoph hervorgehoben. Abramsons Auffassung hatte Einfluß auf die späteren plastischen Kant-Bildnisse. Er selbst und auch der Berliner Medailleur Fr. Loos schufen um 1804 je eine weitere Medaille in ähnlicher Haltung46. Deutlich sichtbar ist der Einfluß auch bei den späteren Bildnissen in Büstenform47. Die Büste, die der Bildhauer Joseph Mattersberger 1795 wahrscheinlich nach dem Leben modellierte und die von Minden rigoros als künstlerisch wertlos und unähnlich abgetan wird48, weicht am stärksten von allen übrigen Darstellungen ab. Der gerundete Büstenausschnitt mit Armansätzen ist mit einem Hemd und mantelartigen Gewand bekleidet, die nicht eindeutig zeitlich einzuordnen sind. Der Kopf, den kurzes Haar bedeckt, wendet sich auf dem kräftigen Hals nach rechts. Die Züge des Gesichts stimmen mit denen anderer Bildnisse weitgehend überein. Der Blick ist durch die Bohrung der Pupillen betont. Die gesamte Haltung ist bewegter und die Körperlichkeit kräftiger als bei den anderen Bildnissen, was sicherlich zu dem etwas fremdartigen Eindruck beiträgt. In den Kant-Studien (1905) erfährt die Darstellung folgende Deutung: „Aber wenn man sich sagt, daß es dem Künstler offenbar darauf angekommen ist, die geistige Überlegenheit des Dargestellten in die Erscheinung treten zu lassen, so versteht man, daß gerade diese imponierende Haltung - so wenig sie auch dem Körper des Königsberger Professors zukam - nicht ohne Grund gewählt ist. Die Kühnheit des vorwärts dringenden Geistes, das sichere Selbstbewußtsein, die Majestät des Herrschers im Reiche der Gedanken; das hat Mattersberger in seiner Kantbüste wiedergegeben oder wenigstens geben wollen; diesem Zwecke dient auch sowohl der ausdrucksvoll um die Schultern gelegte Philosophenmantel, 46 Minden, S. 33; Demmler 1923/24, S. 211. Dort kurze Beschreibungen der Medaillen. Sie sind mir leider weder im Original noch in Abbildungen bekannt geworden. - Medaillen zu Ehren Kants wurden auch später noch, am Ende des 19. Jahrhunderts, 1924 zum 200. Geburtstag des Philosophen und selbst danach noch geprägt. Sie wurden von Erna Becker Erdmann Encke, Luise Federn, Emile Rogat, Siegmund Schütz und Albert Wolff entworfen. Vgl. dazu: Mühlpfordt, Königsberger Skulpturen, S. 14-15, 68, 140, 198. 47 Auch von Carl Wichmann soll es eine Kantbüste gegeben haben. Sie gilt als verschollen. Vgl. Liselotte Horn, Berliner Porträtplastik der Goethe-Zeit, Phil. Diss. Marburg 1945, Masch. Schr., S. 129. 48 Minden, S. 32.

[53] als die Weglassung des Zopfes, welche die eigenartig wirkende Behandlung des Haupthaares bedingt."49 Im ausgehenden 18. Jahrhundert scheint man für diese Kantauffassung wenig Verständnis gehabt zu haben. Denn das Bildwerk hatte nur geringe Wirkung und geriet lange in Vergessenheit50. Als Emanuel Bardou 1798 seine Büste51 formte, wählte er einen eckigen, leicht trapezförmig ansteigenden Büstenausschnitt mit gerader unterer und seitlicher Begrenzung, eine Form, die in Frankreich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder häufiger verwendet wurde. Der Kopf wendet sich leicht nach links. Die Drehung des Kopfes hat Auswirkungen auf die Muskulatur des Oberkörpers. Die Schulterlinie verläuft entsprechend der Zusammenziehung der Muskeln auf der Seite, der sich der Kopf zuwendet, höher und auf der anderen stärker abfallend. Die Büste ist als Ausschnitt aus dem Körper und nicht als ein Pfeiler verstanden, auf den ein Kopf auf gesetzt ist. Der Kopf ist leicht nach vorn geneigt. Das greisenhaft hagere Gesicht wirkt entspannt. Entsprechend weich verlaufen die Gesichtszüge. Der Mund ist geschlossen, ohne daß sich die Lippen aufeinander pressen. Um so deutlicher fällt das leichte Heben der Augenbrauen auf, was in den parallelen Falten auf der breiten Stirn seinen Reflex findet. Der leicht konvergierende Blick ist schräg nach oben gerichtet. Er ist nicht durch Bohrung der Pupillen angegeben, sondern durch die Form der Augäpfel und den Verlauf der Augenlider bestimmt. Die Asymmetrien des Gesichtes sind durch die leichte Kopfdrehung gemildert. Dünnes Haar bedeckt in kurzen Strähnen den Kopf. Die Frisur erinnert an die Haartracht der Griechen und Römer. An die Antike erinnert ebenso das Gewandstück, mit dem der Büstenausschnitt bekleidet ist. Das Tuch, das faltig die Brust bedeckt, ist über die rechte Schulter gezogen. In dieser Weise trugen die Griechen ein Gewand, das sie Himation nannten und das von den Römern übernommen wurde. In der Zeit um 1800 sah man in der Antike das Ideal, das seine Gültigkeit nicht verloren hatte. Wollte man in einer Darstellung eine Person aus ihrer zeitlich begrenzten Sphäre herausheben und ihre dauernde Bedeutung hervorkehren, dann wurde ihre äußere Erscheinung mit den Attributen antiker Tracht versehen. Die wirklichen, natürlichen Formen des darzustellenden [54] Menschen hätten mit all ihren Besonderheiten einen Gegensatz zu den einfachen antiken Formen gebildet. Um den Gegensatz auszugleichen, mußte der darzustellende Mensch auf das, was man an ihm für wesentlich hielt, zurückgeführt werden. Dadurch sollte zugleich Allgemeingültigkeit und Vorbildlichkeit erzielt werden. Bardon erreichte das bei Kant dadurch, daß er alle unwesentlichen Einzelzüge wegließ zugunsten der bestimmenden Hauptformen. Diese starke Vereinfachung ist nur an Bardous Kant-Bildnis zu beobachten. Durch die formale 49 Kant-Studien 10 (1905), S. 237. 50 Glasen, S. 21. 50 Glasen, S. 21. 51 Zu Bardous Kantbüste vgl.: Glasen, S.13-14; Demmler 1923/24, S. 209-212; ders., Emanuel Bardous Kantbüste vom Jahr 1798, in: Kant-Studien 29 (1924), S. 316-320; Horn, a. a. O., S. 48-49; Bildwerke der christlichen Epochen von der Spätantike bis zum Klassizismus. Aus den Beständen der Skulpturenabteilung der Staatl. Museen Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, München 1966, Nr. 799 S. 133, Taf.. 144; Peter Bloch, Anmerkungen zu Berliner Skulpturen des 19. Jahrhunderts in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 8 (1970), S. 166, Abb. 30; Mühlpfordt, Königsberger Skulpturen, S. 13-14.

Angleichung an die Antike sollte Kant wahrscheinlich auf eine Stufe mit den griechischen Philosophen des Altertums gerückt werden. Die Büste als verkürzte Form des menschlichen Bildnisses war bei den Griechen nicht üblich. Sie findet sich erst bei den Römern um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.52. Sie verwendeten zwei Formen: die Herme, bei der der Kopf auf einem pfeilerartigen Büstenausschnitt steht, und die Büste mit einem kleinen gerundeten Bruststück unter dem Hals. Während Büsten in geschlossenen Räumen aufgestellt wurden, fanden Hermen im Freien oder in offenen Räumen ihren Platz. Die Römer, denen die griechische Kultur als vorbildhaft galt, stellten die Bildnisse großer Griechen ohne Rücksicht auf ihren Beruf zu Galerien zusammen. Diese Form der Verehrung wurde seit dem frühen 18. Jahrhundert wieder aufgegriffen und zunächst auf berühmte Männer der Kultur eingeschränkt53. Bardou, der bei seiner Kant-Büste antike Formen verwendet, hat wahrscheinlich an diese Tradition angeknüpft und eine ähnliche Aufstellung im Auge gehabt. Erst auf dem Hintergrund des römischen Büstenkultes und seinem Wiederaufleben im 18. Jahrhundert wird sein Abweichen von der Form der früheren Kant-Bildnisse, besonders der Malerei verständlich. Die Büste war nach dem Tode Bardous in die Werkstatt des Bildhauers Christian Daniel Rauch gelangt, der sie 1844 seinem Schwiegersohn Eduard d'Alton schenkte. In dessen Garten war sie lange auf einer hohen Säule dekorativ als Pendant zu dem sogenannten Winckelmannschen Faun aufgestellt54. Ob die Büste nach dem Leben gemacht wurde und wofür sie ursprünglich bestimmt war, ist nicht durch Dokumente belegbar. Vielleicht hatte Bardou die Büste aus eigenem Antrieb modelliert und anschließend in Marmor gemeißelt, in der Hoffnung, aufgrund der Berühmtheit des Dargestellten einen Käufer zu finden55. [55] Der letzte Bildhauer, der noch Gelegenheit hatte, Kant nach dem Leben zu modellieren, war Carl Friedrich Hagemann56. Der Königsberger Regierungsrat Müller hatte 1801 im Auftrage von Freunden und Verehrern des Philosophen den Künstler gebeten, nach Königsberg zu kommen. Was Reusch zur Geschichte und über den Verwendungszweck der Büste berichtet, ist gleichzeitig für die Geschichte des Denkmals am Beginn des 19. Jahrhunderts von Interesse: „Man hatte wol eine Statue beabsichtigt, mußte aber die Wünsche - die Zeit der Monumente war noch nicht erschienen - auf eine Büste aus carrarischem Marmor und ein Piedestal von blauem schlesischen Marmor beschränken, wozu etwa 100 Frd'or zusammenkamen. Diese Büste ist dem damaligen Alter Kant's nach sprechend ähnlich, überdem sehr sauber gearbeitet, so daß sie die Feinheit der Züge und der in den Schläfen

52 Zum Folgenden vgl. Thuri Lorenz, Galerien von griechischen Philosophen- und Dichterbildnissen bei den Römern, Mainz 1965. 53 Einige Anmerkungen zum Wiederaufleben des Büstenkults im 15. ,Jahrhundert bei: Werner Oechslin, Neoklassizismus. Zu den Ausstellungen in London, in: Kunstchronik 26 (1973) H.. 2, S. 37-38. 54 Dernmler 1924, S. 317. 55 Clasen, S. 24. 56 Zu den Kantbüsten Hagemanns vgl.: Reusch, S. 7-8; Minden, S. 31-32; Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen, bearbeitet von Adolf Boetticher, H. VII. Königsberg, Königsberg 1897, S. 344; Demmler 1923/24, S. 212; Clasen, S. 25-26; Biehahn, Die Kunstwerke der deutschen Staatsbibliothek, Berlin (Ost) 1961, S. 42; Katalog der Ausstellung „Johann Gottfried Schadow“, Staatl. Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1964/65, S. 236-238; Katalog der Ausstellung "The Age of Neo-C1assicism", London, The Royal Academy and the Victoria & Albert Museum 1972, S. 242-243, Taf. 72.

vortretenden Adern sehr wohl erkennen läßt. Es war die Absicht, sie an dem unter dem Namen Philosophen - oder philosophischen Ganges - ... - bekannten Spazierganges an der Außenseite der Stadt im Freien aufzustellen und es wurde dazu ein verfallener Graben der anliegenden Veste Friedrichsburg verfüllt und mit Gesträuchen bepflanzt. Doch überzeugte man sich bald, daß die Entlegenheit des Orts Beschädigungen nicht werde abwenden lassen und fand, daß der Marmor zu zart sei, um rauhe Witterung auszuhalten,... Man stellte also die Büste zunächst auf das Grab Kants in dem an der Nordseite des Doms gelehnten Professorgewölbe im Collegium Albertinum, und da sie auch da nicht zulänglichen Schutz fand, in den großen Hörsaal der Universität: Sie ist bestimmt, auch künftig die Aula in dem einstigen neuen Universitätsgebäude zu zieren."57 Die Büste auf dem Grab wurde durch eine Nachbildung von Rudolf Siemering ersetzt58. Der Sockel trägt die freundschaftliche Widmung: „Immanuel Kant. Sapienti Amicorum Pietas". Ein zweites Marmorexemplar der Büste hatte der Hamburger Kantverehrer von Hess bestellt. Ein Exemplar in Gips mit größerem Bruststück befindet sich in der Staatsbibliothek (Berlin-Ost). Die Berliner Porzellanmanufaktur reproduzierte sie in Biscuitporzellan59 [56] Der Lehrer Hagemanns, Gottfried Schadow, hatte die Büste sehr gelobt: „Am besten ist Immanuel Kant von meinem Gehülfen Hagemann, der die Reise nach Königsberg deshalb machte, und den Kopf dieses Weltweisen also noch im Leben nachbilden konnte."60 In der Gesamtauffassung ist die Kantbüste Hagemanns der von Bardou verwandt. Auch er wählte einen trapezförmigen, pfeilerartigen Büstenausschnitt. Um die Brust ist ein Gewandstück gelegt, das in seiner Verkürzung kaum noch als Teil eines Himations zu erkennen ist. Der Hals ist ein wenig vorgestreckt, der Kopf leicht nach links geneigt und kaum merklich nach rechts gedreht. Der konvergierende Blick der Augen, deren Pupillen nicht angegeben sind, ist nach rechts gerichtet. Kopfform und Frisur stimmen mit der Büste von Bardou überein. Aber alles ist kräftiger ausgeprägt und schärfer hervorgehoben, das Gesicht fleischiger. Die gleichmäßige Festigkeit der Gesichtsteile erzeugt den Eindruck der Starrheit. Dadurch, daß Hagemann stärker als Bardou den individuellen Zügen Kants eine feste Form gegeben hat, tritt bei ihm das Spannungsverhältnis zwischen der Wiedergabe des lebendigen Menschen und dem Anspruch, eine dauerhaft gültige Form der Darstellung wie in der Antike zu finden, deutlicher in Erscheinung. Als 1807 Gottfried Schadow von dem Kronprinzen Ludwig von Bayern den Auftrag erhielt, für die Walhalla, die Ruhmeshalle großer Deutscher bei Regensburg, die Büste Kants in Hermenform mit unbekleideter Brust zu arbeiten, stützte er sich für die Gestaltung des Gesichts auf Hagemann und für die Kopfform auf den Gipsabguß des ganzen Kopfes, den Knorr unmittelbar nach dem Tode Kants abgeformt hatte61. Um 57 Reusch, S. 8. 58 Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen, H. VII, S. 344. 59 F. H., Berliner Biscuitporträts um 1800, in: Kunst für alle 50 (1934), S. 120 bis 123, Abb. S. 122. - Die Bildhauerin Katherine Kraus, geb. Hobson fertigte 1924 eine Kopie in Gips nach der Büste Hagemanns an. Vgl. Mühlpfordt, Königsberger Skulpturen, S. 111. 60 Die Äußerung Schadows findet sich in dem Eunonia-Aufsatz von 1802, Aufsatz über die Werkstätte des Bildhauers. Zitiert nach Horn, a. a. O., S. 117. 61 J. G. Schadow, Kunst-Werke und Kunst-Ansichten, Berlin 1849, S. 95; Hans Mackowsky, Die Bildwerke Gottfried Schadows, Berlin 1951, S. 184, 187, Abb. S. 188.

Kants Kopf besser abgießen zu können, waren ihm vorher die Haare abgeschnitten worden. Schadow übernahm die Kahlheit des Schädels für seine Büste. Er hat die Gesichtszüge, wie sie Hagemann wiedergibt, ohne glättende Beschönigung tiefer eingegraben. Wangen und Schläfen sind stärker eingefallen. Die Gesichtszüge sind nicht im Sinne eines geistigen oder gefühlsmäßigen Ausdrucks miteinander verbunden, so daß fast der Eindruck einer Totenmaske entsteht. Die Kahlheit des Schädels und die Nacktheit des Büstenausschnittes lassen die Härte der Gesichtszüge noch deutlicher hervortreten. Dadurch, daß Schadow die persönliche Anschauung fehlte, fiel es ihm schwer, einen lebendigen Ausdruck für die Bedeutung des Dargestellten zu finden. Der erste Bildhauer, der Kant in ganzer Gestalt modellierte, war Bräunlich62. Ob seine Statuette erhalten ist oder im letzten Krieg zerstört wurde, [57] ist nicht sicher. Immerhin kann man eine Vorstellung von ihr durch die Besprechung bei Minden gewinnen: „Der Bildhauer Adolf Bräunlich in Berlin, ein Schüler Rauchs, arbeitete - auf Veranlassung des Königl. Ministeriums der geistlichen Angelegenheiten und des Unterrichts - im Jahre 1841 eine Statuette Kants (H. 2´ 8´´), welche den Weltweisen in sitzender Stellung und antikem Costüm darstellt. Selbige - deren Gesichtszüge der Büste Hagemanns entlehnt sind - wurde am Todestage Kants, den 12. Februar 1842, ebenfalls im Auditorium maximum der alten und ist jetzt im Senatszimmer der neuen Universität aufgestellt."63 Bräunlich setzte sein Kant-Bildnis aus vorgefertigten Elementen zusammen. Er legte Hagemanns Büste zugrunde und wählte eine antike Auffassung, wie sie seit der Büste von Bardou gegeben war. In der Antike wurden Philosophen häufig in sitzender Haltung dargestellt. Danach wurde der Typ des Sitzbildes vom 16. bis 19. Jahrhundert für Päpste verwendet. In Frankreich hatte Jean Antoine Houdon diesen Typ bereits 1781 für sein Sitzbild Voltaires aufgegriffen. In Deutschland tritt er erst seit dem 19. Jahrhundert wieder auf und meist zu Ehren von „Männern des Geistes"64. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war in Deutschland ein Denkmaltyp voll entwickelt worden, der die zu ehrende Persönlichkeit auf den Sockel hebt und nicht nur ihre Verdienste am Piedestalkörper darstellt, sondern gleichzeitig eine Art Kompendium der Leistungen ihrer Epoche in führenden Persönlichkeiten ausbreitet. Anfang und Höhepunkt dieses kulturhistorischen Denkmaltyps in Deutschland ist das Denkmal für Friedrich den Großen in Berlin (1839-1851) von Christian Daniel Rauch65. Das Reiterstandbild steht auf einem dreistufigen Granitsockel, auf dem ein hoher Bronzesockel ruht. Der Bronzesockel ist nochmals in drei Stufen gegliedert. Auf der unteren Stufe sind die Namen von 75 bedeutenden Männern seiner Zeit angebracht, vorn die Widmungstafel: Friedrich dem Großen / Friedrich Wilhelm der Dritte / MDCCCXXXX / vollendet unter Friedrich Wilhelm dem Vierten / MDCCCLI. Die oberste, schmale Zone des Sockels ist ausschließlich der Persönlichkeit Friedrichs 62 Die Statuette war 1826 bei der Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste in Berlin zu sehen; vgl. Börsch-Supan, a. a. O., 1826 Nr. 597, 661. Die Statuette wird bei Mühlpfordt nicht erwähnt. 63 Minden, S. 32. 64 Joachim Menzhausen, Die entwicklungsgeschichtliche Stellung der Standbilder Gottfried Schadows, Phil. Diss. Leipzig 1963, S. 9-10. 65 Über Rauchs Werke informieren nach wie vor am besten Friedrich und Karl Eggers, Christian Daniel Rauch, 5 Bde., Berlin 1873-1891. Vgl. auch Peter Bloch, Ein „Oeuvrekatalog" von Christian Daniel Rauch. In: Festschrift Klaus Lankheit 1974, S. 207-209 mit Abb.

des Großen gewidmet mit Allegorien seiner Tugenden und Darstellungen aus seinem Leben. Das Mittelstück nehmen die z. T. vollplastischen Figuren von Gestalten bedeutender Zeitgenossen und Repräsentanten seines Staates ein. An den vier vorgezogenen Ecken sitzen vier Generäle zu Pferde. Während die Vorderseite und die Langseiten dem Militär vorbehalten bleiben, sind auf der Rückseite unter [58] dem Schweif des Pferdes die „Friedenshelden"66 versammelt. In der Mitte sitzt der Rechtsgelehrte Graf von Carmer. Sein Attribut ist das „Allgemeine Landrecht“, das auf ihn zurückgeht. Hinter ihm steht Graun mit der Notenrolle seiner Komposition „Tod Jesu". Links neben Carmer sind Graf von Finckenstein, ein enger Vertrauter des Königs, und Schlabrendorff, Minister vom Schlesien, dargestellt. Rechts von Carmer stehen Lessing ,und Kant wie im Gespräch einander gegenüber. Im Hintergrund schweben zwei Genien, die Glück und Erfolg verkörpern. Kant ist wie die übrigen Personen der Mode seiner Zeit gemäß gekleidet. In der linken Hand trägt er seinen dreieckigen Hut und seinen Spazierstock. Er hält in Schrittstellung inne. Die rechte Hand hat er zu einer sprechenden Gebärde angehoben, als wolle er seinem Gegenüber etwas erklären. Dadurch, daß er sich Lessing; zuwendet, erscheint er im Profil. Dabei tritt seine eigentümliche Haltung mit dem gebogenen Rücken und dem leicht vorgeneigten Kopf besonders deutlich in Erscheinung. Der Bildhauer Rauch soll, wie sein Biograph Eggers berichtet, als Vorlagen Kupferstiche der Königlichen Bibliothek und des Kupferstichkabinetts verwendet haben67. Der weitgehenden Übereinstimmung nach ist für die ganze Gestalt die Zeichnung in Silhouettenform vor. Puttrich bestimmend gewesen, die durch den 1798 erschienenen Kupferstich in lavierter Manier von Berger68 in Berlin verbreitet war. Für die Bildung des Gesichts griff Rauch auf Döblers Gemälde von 1791 zurück, das er durch zwei Stiche gekannt haben kann, durch den von Carl Barth nach Stobbe und den von J. L. Raab69. Mag sein, daß Rauch auch noch den Stich von J. F. Bause von 1791 nach der Zeichnung von Veit Schnorr hinzugezogen hat, aber ausschlaggebend für die Prägung des Gesichts war Döblers Gemälde, ganz deutlich erkennbar bei der Mund-, Kinn- und Augenpartie und der starken Ausprägung der Nasenwurzel. Rauch hat Kant so dargestellt, daß die Mitteilungen an sein Gegenüber durch Ernst, Ruhe und tiefes Nachdenken bestimmt scheinen. Man muß damals die Bedeutung Kants von der Sicht des 19. Jahrhunderts her und für die Zeit Friedrichs des Großen sehr hoch eingeschätzt haben,

66 Besprechung dieser Sockelzone bei Eggers, Bd. 4, S. 151-155. 67 Eggers, Bd. 4, S. 153; dort wird auf die Verwendung von Vorlagen hingewiesen. - Mühlpfordt, S. 211 erwähnt eine Begegnung zwischen Rauch und Kaut, ohne daß ein Beleg angeführt wird. Es heißt dort: „Denn er hatte im Juni 1798 als er noch Lakai bei der Königin Luise war und mit dem Herrscherpaar auf seiner Huldigungsreise weilte, Kant auf der Straße gesehen, war dem weltberühmten Greise nachgegangen und hatte sich seine markanten Gesichtszüge für immer ins Gedächtnis geprägt." - Für die Gestaltung von Rauchs Kantbildnis hatte diese flüchtige und lang zurückliegende Begegnung sicherlich nur sehr geringe Bedeutung. Dazu sind noch die Übereinstimmungen mit den anderen Bildnissen zu stark. 68 Minden, S. 30. 69 Die beiden Stiche sind aufgeführt bei Minden, S. 28.

[59] wenn man ihn überhaupt als Nebenthema bei einem Denkmal erscheinen ließ, bei dem die Männer des Geisteslebens zahlenmäßig und von ihrer Anordnung am Sockel her nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Durch seine freie Stellung an dem Eckplatz ist er zudem aus der Gruppe besonders hervorgehoben, und es sollte nicht mehr lange dauern, bis Kant vom Neben- zum Hauptthema eines Denkmals aufrückte, das ihn allein auf den Sockel hob. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Einsetzen des Neukantianismus, der Rückbesinnung auf die Lehre Kants als eine Reaktion auf den deutschen Idealismus, mag der Zeitpunkt zu einer Denkmalkampagne für Kant besonders günstig gewesen sein. In Königsberg wurde 1853 auf die Initiative einiger Professoren hin ein Komitee zur Errichtung eines Kant-Denkmals gegründet, dem auch Vertreter anderer Kreise angehörten70. Seine Mitglieder waren Professor Hagen, Konsul Loritz, Stadtrat Heusche, Geheimrat Schubert, Professor Rosenkranz und Tribunalrat Simson. 1854 bestellten sie bei Christian Daniel Rauch eine Kant-Statue, die derjenigen am Denkmal für Friedrich den Großen genau entsprechen sollte. Rauch beendete 1855 das Modell. Der Bronzeguß konnte nicht sofort folgen, da die Mittel nicht so schnell zusammengebracht werden konnten. Das Komiteemitglied Rosenkranz schrieb an Rauch: „Es ist ein Malheur, daß die Pfaffen und die Junker dem alten Herrn Kant, jene nicht seinen Rationalismus, diese nicht seinen Liberalismus vergeben können und so wenig Nationalstolz besitzen, sich des großen Mannes als eines Preußen zu erfreuen. Das ist der Grund, weshalb nur die Mittelstände der Lehrer, Aerzte, Juristen, Kaufleute und bürgerliche Gutsbesitzer zum Denkmal beigetragen haben."71 Ob jemand Geld für ein Denkmal spendete, hing demnach davon ab, daß er sich mit den Vorstellungen, die der Dargestellte vertrat, identifizieren konnte. Berühmtheit und objektive Bedeutung für einen Bereich allein genügten offenbar nicht. Sonst hätte es nicht noch bis zum Jahre 1862 gedauert, bis das Denkmal nach langem Hin und Her (auch wegen des Aufstellungsortes) auf einem Platz in der Nähe von Kants Wohnhaus enthüllt werden konnte. Dort stand es, bis es 1884 vor die neue Universität versetzt wurde. Auf einem abgestuften, in mehrere Etagen gegliederten Granitsockel nach dem Entwurf des Berliner Baumeisters Heinrich Strack stand das Bronzestandbild Kants. Die Änderungen im Vergleich zu der Darstellung am Friedrichs-Denkmal in Berlin beziehen sich auf die Haltung der Arme. Dort war Kant fast ausschließlich von der Seite zu sehen und hatte Lessing [60] als Gegenüber; hier stand er allein und von allen Seiten sichtbar. Der rechte zum Redegestus erhobene Arm ist stärker vom Körper abgehoben. Die linke Hand hält Stock und Hut jetzt seitlich und nicht mehr vor dem Leib, wie es für die Profillinie günstig war, um möglichst wenig von dem Körper zu verdecken. Bei der Vorderansicht hätten sie als Attribute, die zwar für die äußere Erscheinung, aber

70 Zum Kant-Denkmal in Königsberg und seiner Geschichte vgl. besonders Eggers, Bd. 4, S. 242 249; Paul Ortwin Rave, National-Galerie. Das Rauch-Museum, Berlin 1930, S. 79-81; Mühlpfordt, Das Kant-Denkmal zu Königsberg/Pr., in: Jahrbuch der Albertus-Universität .zu Königsberg/Pr., Würzburg 20 (1970), S. 203-210; dort weitere Literatur angegeben. 71 Zitiert nach Eggers, Bd. 4, S. 246.

nicht für die Bedeutung des Dargestellten bezeichnend sind, zuviel Gewicht bekommen. Interessant ist, wie der Bildhauer dem Rauch-Biographen Eggers zufolge bemüht war, .Kants für die Plastik ungeeignete Körperbeschaffenheit zu einem formal befriedigenden Standbild umzugestalten: „Rauch, dessen Hand nicht daran wollte, unseren größten Dichtern das Rokokokleid umzulegen, ging an die Aufgabe, dies bei den allerschlimmsten Körperbedingungen zu thun..., baute sich einen wohlgebildeten, unbekleideten Mann auf und ging nun mit zarter Hand von dem vorgebogenen Kopf an allen charakteristischen Abweichungen nach, welche dem Denker des 18. Jahrhunderts nicht erlaubten, wie Plato zugleich weise und männlich schön zu sein. Als Fingerzeig diente ihm eine in seinem Besitz befindliche seltene Reliquie, ein Schattenriß von der ganzen Figur des Philosophen mit dessen eigenhändiger Namensunterschrift."72 Rauch und sicherlich auch seinen Zeitgenossen und Auftraggebern scheint es darauf angekommen zu sein, die geistige Bedeutung eines Menschen mit seiner Körperbeschaffenheit in Einklang zu bringen. Sonst wäre er wohl nicht so intensiv bemüht gewesen, die unvorteilhaften Seiten an Kants Gestalt vorsichtig zu mildern. Gleichzeitig sollte der Anspruch auf möglichst naturgemäße Wiedergabe der historischen Persönlichkeit mit ihren Besonderheiten erfüllt werden. Rauch löste das Problem durch vorsichtiges Ausgleichen. Die geistige Bedeutung stellte er nicht durch äußere Attribute, sondern durch den ernsten, nachdenklichen Ausdruck des Gesichtes dar und durch den Redegestus der rechten Hand, der darauf hinweist, daß es sich hier um einen Mann handelt, der der Öffentlichkeit etwas zu sagen hat. Durch den Namen am Sockel wird eindeutig erklärt, daß sich Kant an den Betrachter wendet und seine Lehre verkündet werden soll. Sowohl von der Darstellung Kants am Friedrichs-Denkmal in Berlin als auch von der Statue des Denkmals in Königsberg gibt es Verkleinerungen in Statuettenform, die in Gips und auch in Bronze angefertigt wurden73. [61] Zumindest schon seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts wurden Statuetten als Verkleinerungen von Denkmälern parallel zu den Monumentalformen zur Raumdekoration und als Kunstkammerstücke hergestellt74. Die Bildnisstatuetten entstanden für Freunde und Verehrer des Dargestellten. Sie wurden häufig auf dem Schreibtisch des Arbeitszimmers aufgestellt75. Wenn es darum ging, zu propagieren, welch hohes Niveau die deutsche Kultur unter den preußischen Königen erreicht habe, durfte wie bei dem Denkmal für Friedrich den Großen in Berlin Kant als Assistenzfigur nicht fehlen. Der 1876 von Otto Geyer vollendete Stuckfries im Treppenhaus der Nationalgalerie in Berlin zeigt in einer 72 Eggers, Bd. 4, S. 248-249. 73 Minden, S. 32; Eggers, Bd. 4, S. 244. - Erhaltene Exemplare der Statuette in Bronze nach der Darstellung am Friedrichsdenkmal in: Nationalgalerie Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin (West), Inv.-Nr. NG 234; Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Inv.-Nr. L839/64. Die Gießerei Gladenbeck in Berlin fertigte in etwas kleinerem Format Nachgüsse dieser Statuette an (Katalog der Gießerei Gladenbeck, Berlin-Friedrichshagcn, o. J., Abteilung C, S. 76 Nr. 764 - Höhe 24 cm). Ein Exemplar in Berliner Privatbesitz erhalten. - Die Statuette in Gips nach dem Königsberger Standbild ebenfalls in Berliner Privatbesitz erhalten. 74 Menzhausen, S. 15 Anm. 1. 75 K., Über das kleine Standbild Goethes von Rauch, in: Kunst-Blatt 10 (1829), S. 289-290.

Reihe von Porträtgruppen die Entwicklung der deutschen Kultur von Hermann dem Cherusker bis zum deutsch-französischen Krieg von 1870/7176. Kant und dem Baumeister Knobelsdorff scheint auf dem Gebiet der Kultur für die Zeit Friedrichs II. die größte Bedeutung zuzukommen. Denn sie stehen unmittelbar neben dem Thron des Königs, der sich Kants Seite zuwendet. Kant ist wie bei Rauchs Friedrichs-Denkmal dargestellt. Die Körperhaltung und die Gebärden sind für den anderen Zusammenhang ein wenig abgewandelt. Das letzte Beispiel einer denkmalhaften Ehrung für Kant findet sich in der Siegesallee77 in Berlin wo er wieder als Assistenzfigur eines preußischen Königs auftritt. Die Siegesallee geht auf die Initiative Kaiser Wilhelms II. zurück, der an seinem Geburtstag, dem 27. Januar 1895, seinen Plan in einem Erlaß an den Magistrat und an die Stadtverordneten von Berlin bekanntgab. Dort heißt es: „Als Zeichen meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit unseres Vaterlandes will ich einen bleibenden Schmuck für meine Haupt- und Residenzstadt Berlin stiften, welcher die Entwicklung der vaterländischen Geschichte von der Begründung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reichs darstellen soll. Mein Plan geht dahin, in der Siegesallee die Marmor-Standbilder der Fürsten Brandenburgs und Preußens, beginnend mit dem Markgrafen Albrecht dem Bären und schließend mit dem Kaiser und König Wilhelm I., und neben ihnen die Bildwerke je eines für seine Zeit besonders charakteristischen Mannes, sei er Soldat, Staatsmann oder Bürger, in fortlaufender Reihe errichten lassen."78 Bereits drei Jahre später, am 22. März [62] 1898, wurden die ersten Gruppen enthüllt, die letzten am 18. Dezember 1901. Jede der 32 Gruppen bestand aus einem halbkreisförmigen Podest, zu dem drei Stufen hinaufführten. An die Mitte der Vorderkante der obersten Stufe war ein hoher Sockel gerückt, auf dem eine Herrscherstatue stand. Nach hinten war das Podest durch eine halbkreisförmige Bank geschlossen. Auf der Lehne der Bank war seitlich vom Herrscher jeweils eine Büste aufgestellt, die eine bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit darstellte. Selbst die Regierungszeit eines schwachen Herrschers wie Friedrich Willhelm Il. (1786-1797) erhielt einige Bedeutung durch seine Assistenzfiguren Graf von Carmer, dessen .,allgemeines Landrecht" 1794 Gültigkeit erhielt, und Kant, dessen Hauptwerke zur Zeit Friedrich Wilhelms II. erschienen. Dieses von dem Berliner Bildhauer Adolf Brütt gearbeitete Denkmal wurde am 22.März 1901 enthüllt. Für das Portträt Kants stützte sich Brütt weitgehend auf das Gemälde Döblers. Über das modische Gewand legte er das griechische Himation. Wahrscheinlich wollte er auf diese Weise Kants Eigenschaft als Philosoph deutlicher hervorkehren. Wie das Figurenprogamm der Siegesallee einzuordnen ist, dafür hat der Kunsthistoriker Beenken eine bedenkenswerte Charakterisierung gefunden. Er führt aus: „Die alte Idee der fürstlichen Ahnengalerie wandelt sich in steingewordenen Geschichtsunterricht. Dies ist das Ende jener historischen Gesinnung, die aus sich 76 Größe des Frieses: H. 0,98 m, Gesamtlänge 35,20 m, davon erhalten und restauriert 27 90 m. Zur Beschreibung des Frieses vgl. Max Jordan, Katalog der Königlichen Nationalgalerie zu Berlin, Textausgabe 1. Teil 1883, S. XLIX-LII, bes. S. LI. 77 Zur Siegesallee vgl. Irmgard Wirth, Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Tiergarten, Berlin 1955, S. 211-213, Abb. 246-261, bes. Abb .258. 78 'Zitiert nach Kurt Pomplun, 75 Jahre Siegesallee, in: Katalog der Ausstellung „Die Siegesallee. Eine Berliner Episode“, Berlin (West), Haus am Lützowplatz, 1973, ohne Seitenangaben.

die Denkmalbewegung des 19. Jahrhunderts hatte hervorgehen lassen: Geschichte wurde nur noch als Herrscherchronik begriffen, belanglose und belangvolle Fürsten zum Auswendiglernen gleichwertig aneinander gereiht; das wirkliche Verdienst aber der Nichtfürstlichen zu bloßer Assistenz hinter dem Herrscher verurteilt."79 So erging es auch Kant in der Siegesallee. Sein Verdienst trägt mit zur Verherrlichung von Friedrich WilhelmeIm II. bei, der seinen Gedanken zumindest teilweise sehr ablehnend gegenüberstand80. 'Wenn Kant trotzdem diesem Herrscher zugeordnet wird, dann wird zwar über diesen Konflikt hinweg sein Verdienst als Philosoph anerkannt, aber seine Position innerhalb des Denkmals ist so, daß er nur dienende Funktion erhält, nämlich die Bedeutung eines anderen zu stützen. Ein neuer Anlauf zu einer angemessenen Ehrung Kants wurde in der bildenden Kunst nicht mehr unternommen, Nur der ostpreußische Bildhauer Georg Fuhg gestaltete 1958 noch einmal eine Büste Kants im friderizianischen Geiste. Die plastischen Kant-Bildnisse haben für die Selbstdarstellung des Bürgertums eine stärkere Bedeutung als die malerischen und graphischen Bildnisse. Sie stammen auch durchweg von Künstlern, die in der Kunstgeschichte eine größere Bedeutung haben. Die Plastik prägte im Unterschied zur Malerei [63] ein neues Kant-Bild. Das Relief von Collin (1782) hatte in seiner Kleinheit noch die Privatheft einer Silhouette oder Zeichnung. Die Aufmerksamkeit galt dort vor allem der besonderen Physiognomik der historischen Persönlichkeit Kant. Die Medaille Abramsons (1784) leitete über zu einer neuen Auffassung. Das historisch fixierte Kostüm und die Zopfperücke wurden zugunsten einer griechischen Drapierung und Frisur als Ausdruck einer überzeitlichen und nicht auf einen bestimmten Stand begrenzten Bedeutung aufgegeben. Die Medaille Abramsons als Ehrengabe, die wahrscheinlich für eine Galerie großer Geister gedachte Büste Bardous (1798), die ursprünglich als Denkmal geplante Büste Hagemanns (1801) und die für die Walhalla bestimmte Büste Schadows (1807) waren von ihrem Verwendungszweck her nicht wie die graphischen und z. T. auch malerischen Bildnisse für die private Erinnerung an die Person Kants bestimmt, sondern zielten auf eine Ehrung des großen Philosophen ab. Von ihrem Wirkungsanspruch auf eine größere Öffentlichkeit her wird das Kant-Bildnis in der Plastik auf eine andere Stufe gehoben, auf die der denkmalhaften Ehrung, die des Vorbildlichen und Musterhaften. Dafür verwendete die Zeit um 1800 an die Antike angelehnte Formen. In der Gemeinschall der großen Geister sah man die Schranken zwischen den Ständen aufgehoben. Ein Gewand, das einen bestimmten Stand bezeichnet, wäre dafür unpassend erschienen. Gleichzeitig sollte ein bedeutender Mann einer begrenzten Zeit entrückt sein, da sein Werk von ewiger Dauer sei. Auch Bräunlich bildete Kant noch 1841 wie das Sitzbild eines antiken Philosophen. Zu einer späteren Zeit, da um 1850 Kant als Assistenzfigur am Denkmal des Herrschers Friedrich II. auftritt und ihm um 1860 ein eigenes Denkmal errichtet wird, ist es dem inzwischen zu größerer Bedeutung und stärkerem Selbstbewußtsein gelangten Bürgertum wichtig, Kant als bedeutenden Vertreter seines Standes auch mit dessen äußeren Charakteristika, einem entsprechenden Gewand also, dargestellt zu sehen. Entsprechend bildete ihn Rauch. Bei dem kulturhistorischen Fries von Geyer in der Nationalgalerie nehmen die

79 Hermann Beenken, Das 19.Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft, München 1944, S. 479. 80 Vaihinger, Die neue Kantbüste in der Berliner Siegesallee, in: Kant-Studien 5 ( 1901 ), S. 139.

Herrscher zwar zentrale Positionen ein, Träger des geistigen Lebens sind hier aber, anders als später bei der Siegesallee, die dargestellten schöpferischen Persönlichkeiten aus dem Bürgertum.

Volkmar Essers