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FOTOS DÖRTHE HAGENGUTH Vergewaltigung als Waffe. Tausende Frauen wurden während des Bosnien-Kriegs von Soldaten missbraucht, viele wurden dabei schwanger. Die meisten Opfer schweigen, auch heute noch, nach 20 Jahren, aus Scham, aus Angst. Aida* hat sich BRIGITTE WOMAN-Redakteurin Monika Murphy-Witt offenbart W enn ich meiner Tochter in die Augen sehe, fangen meine Hände an zu zittern.“ Aida* versagt die Stimme. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Leise spricht sie weiter: „Sie hat einen charakteristischen Blick. Den kann ich schwer ertragen. Es tut mir weh, aber ich muss immer schnell den Kopf abwenden.“ Jeder Blick in die Augen ihrer Tochter bringt Aida Erinnerungen zurück, schreckliche Erinnerungen. An zwei Tage im Januar 1993. Damals, im Bosnien-Krieg, wurde Aida vergewaltigt, misshandelt, gedemütigt, von Soldaten, wie tausende andere Frauen auch. Die Augen ihrer Tochter erinnern sie an ihre Peiniger. Am Morgen sind wir durch dicken Nebel hierher gefahren, in diesen kleinen Ort in der Nähe von Zenica im Norden der heutigen bosniakisch-kroa- tischen Föderation, nicht weit von der „Republika Srpska“, dem serbischen Teil im seit Kriegsende geteilten Bosnien-Herzegowina. Grau ist es hier, düster, trist, viele Hauswände noch immer durchlö- chert von Granatsplittern. Unser neuer schwarzer Mietwagen fällt sofort auf. Misstrauisch werden wir beäugt, vor allem von den Männern. Ferida Deki´ c begleitet uns. Die 52-jährige Kranken- schwester, die im Frauentherapiezentrum Medica Zenica arbeitet, hat Aida all die Jahre immer wieder betreut. Aida vertraut ihr. Wir treffen sie vor einem früheren Hotel. Ein Restaurant gibt es noch darin, ansonsten steht es leer. Im Keller dieses Betonklotzes war im Krieg ein Hospital. „Der Arzt hier hat fest- gestellt, dass ich schwanger bin“, erzählt die 41-jäh- rige Muslimin. Ihren richtigen Namen sollen wir nicht nennen, weil sie sich schämt für das, was da- mals passiert ist, auch noch nach 20 Jahren. „Die Grenze verlief hier mitten durch den Ort, die eine Seite war bosnisch, auf der anderen hatten die Kroaten ihre Kaserne. Ich war auf dem Weg zu mei- ner Schwester. Sie lebte mit ihren beiden kleinen Kindern in einem Dorf in der Nähe. Ihr Mann ar- beitete in Russland. Meine Eltern wollten, dass ich die Nacht bei ihr verbringe, das habe ich öfter ge- macht. Als ich an einem Café vorbeikam, traf ich eine frühere Schulfreundin, eine Kroatin, und blieb stehen. Da hielt ein Auto neben uns... mit drei Männern in kroatischer Uniform...“ Ihre Stimme bricht, Aida vergräbt das Gesicht in ihren zitternden Händen. Als sie wieder hoch- schaut, tauschen Aida und Ferida Blicke, Blicke, die mehr aussagen, als Worte es könnten. Worte, die fehlen, um zu beschreiben, was damals geschah. „Es war alles mein Fehler“, murmelt Aida. „Das darfst du nicht denken“, beruhigt Ferida sie. „Du warst nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Aida wird verschleppt, in ein abgelegenes Haus gesperrt, gequält, missbraucht. Das erzählt uns Ferida auf der Rückfahrt. Zwei Tage später wird die junge Frau freigelassen, blutend und nackt stolpert sie im Dunkeln Richtung bosnischer Gren- ze, eine alte Kroatin gibt ihr eine Jacke. Daran er- innert Aida sich. Als sie zum Haus ihrer Schwester kommt, erkennt diese sie zuerst nicht. „Ich fühlte gar nichts mehr, keine Angst, keinen Schmerz. Ich fühlte mich nur schmutzig. Und ich betete zu Gott: ‚Lass mich sterben. Ich will nicht überleben müs- sen.‘“ Wieder stockt Aida. „Es wäre besser gewesen, wenn ich getötet worden wäre.“ Die zwei Tage haben ihr Leben zerstört. Die Männer, die ihr das angetan haben, kannte sie seit Schultagen; sie woh- nen noch heute in dieser Gegend. Aidas Schicksal ist kein Einzelfall. 20000 Frauen wurden laut Untersuchung der EU während des Bosnien-Krieges zwischen Frühjahr 1992 und November 1995 verschleppt, gefoltert, vergewaltigt, viele systematisch über längere Zeit in serbischen Gefangenenlagern wie Omarska und Trnopolje. Massenhaft wurden Frauen Opfer dieser unfass- baren Gräueltaten, die bosnisch-serbische Soldaten gezielt und auf Anordnung ihrer militärischen Be- fehlshaber begangen haben. Vergewaltigungen als Teil einer brutalen Kriegsstrategie, wie die Massaker an muslimischen Bosniaken, bei denen ganze Dörfer ausgerottet wurden, Massaker wie im Juli 1995 in Srebrenica, wo 7800 Jungen und Männer getötet wurden. „Ethnische Säuberung“ hieß das Ziel im Propagandajargon. Vergewaltigung aber auch als Waffe, begangen ebenso von bosnisch-kroatischen Soldaten und von Mudschaheddin-Einheiten der bosnisch-muslimischen Armee, um Frauen zu bre- chen, zu demütigen, um Zwietracht in Familien zu säen, um Ehen zu zerstören, auch gemischtreligiöse, die es immer gab und die jahrelang gut funktionier- ten. Gewalt gab es auf allen Seiten in diesem Krieg der Nationalitäten, nicht selten waren Kollegen, Nachbarn, Schulfreunde beteiligt. Mindestens 100000 Menschen kamen ums Leben, davon 40000 Zivilisten, vor allem muslimische Bosniaken. Aida stirbt nicht. Ihre Eltern holen sie nach Hause, verstecken sie. Niemand soll ihre Verletzun- gen sehen, niemand soll mitbekommen, dass sie ver- gewaltigt worden ist. Irgendwann ist klar, dass Aida schwanger ist. Nachdem der Arzt im Hospital dies bestätigt, bringen ihre Schwester und ihr inzwischen verstorbener Bruder sie nach Zenica ins Kranken- haus. Doch die Schwangerschaft ist für eine Abtrei- bung zu weit fortgeschritten. So kommt Aida im Juni 1993 zu Medica Zenica. Die Kölner Gynäkologin Dr. Monika Hauser hatte das Zentrum kurz zuvor *Name von der Redaktion geändert BRIGITTE woman 03 | 13 93

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  • F O T O S DÖRTHE HAGENGUTH

    Vergewaltigung als Waffe. Tausende Frauen wurden während des Bosnien-Kriegs von Soldaten missbraucht, viele wurden dabei schwanger. Die meisten Opfer schweigen,

    auch heute noch, nach 20 Jahren, aus Scham, aus Angst. Aida* hat sich BRIGITTE WOMAN-Redakteurin Monika Murphy-Witt offenbart

    W enn ich meiner Tochter in die Augen sehe, fangen meine Hände an zu zittern.“ Aida* versagt die Stimme. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Leise spricht sie weiter:

    „Sie hat einen charakteristischen Blick. Den kann ich schwer ertragen. Es tut mir weh, aber ich muss immer schnell den Kopf abwenden.“ Jeder Blick in die Augen ihrer Tochter bringt Aida Erinnerungen zurück, schreckliche Erinnerungen. An zwei Tage im Januar 1993. Damals, im Bosnien-Krieg, wurde Aida vergewaltigt, misshandelt, gedemütigt, von Soldaten, wie tausende andere Frauen auch. Die Augen ihrer Tochter erinnern sie an ihre Peiniger.

    Am Morgen sind wir durch dicken Nebel hierher gefahren, in diesen kleinen Ort in der Nähe von Zenica im Norden der heutigen bosniakisch-kroa-tischen Föderation, nicht weit von der „Republika Srpska“, dem serbischen Teil im seit Kriegsende geteilten Bosnien-Herzegowina. Grau ist es hier, düster, trist, viele Hauswände noch immer durchlö-chert von Granatsplittern. Unser neuer schwarzer Mietwagen fällt sofort auf. Misstrauisch werden wir beäugt, vor allem von den Männern. Ferida Dekić begleitet uns. Die 52-jährige Kranken-schwester, die im Frauentherapiezentrum Medica Zenica arbeitet, hat Aida all die Jahre immer wieder betreut. Aida vertraut ihr. Wir treffen sie vor einem früheren Hotel. Ein Restaurant gibt es noch darin, ansonsten steht es leer. Im Keller dieses Betonklotzes war im Krieg ein Hospital. „Der Arzt hier hat fest-gestellt, dass ich schwanger bin“, erzählt die 41-jäh-rige Muslimin. Ihren richtigen Namen sollen wir nicht nennen, weil sie sich schämt für das, was da-mals passiert ist, auch noch nach 20 Jahren. „Die Grenze verlief hier mitten durch den Ort, die eine Seite war bosnisch, auf der anderen hatten die Kroaten ihre Kaserne. Ich war auf dem Weg zu mei-ner Schwester. Sie lebte mit ihren beiden kleinen Kindern in einem Dorf in der Nähe. Ihr Mann ar-beitete in Russland. Meine Eltern wollten, dass ich die Nacht bei ihr verbringe, das habe ich öfter ge-macht. Als ich an einem Café vorbeikam, traf ich eine frühere Schulfreundin, eine Kroatin, und blieb stehen. Da hielt ein Auto neben uns.. . mit drei Männern in kroatischer Uniform...“ Ihre Stimme bricht, Aida vergräbt das Gesicht in ihren zitternden Händen. Als sie wieder hoch-schaut, tauschen Aida und Ferida Blicke, Blicke, die mehr aussagen, als Worte es könnten. Worte, die fehlen, um zu beschreiben, was damals geschah. „Es war alles mein Fehler“, murmelt Aida. „Das darfst du nicht denken“, beruhigt Ferida sie. „Du warst nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“

    Aida wird verschleppt, in ein abgelegenes Haus gesperrt, gequält, missbraucht. Das erzählt uns Ferida auf der Rückfahrt. Zwei Tage später wird die junge Frau freigelassen, blutend und nackt stolpert sie im Dunkeln Richtung bosnischer Gren-ze, eine alte Kroatin gibt ihr eine Jacke. Daran er-innert Aida sich. Als sie zum Haus ihrer Schwester kommt, erkennt diese sie zuerst nicht. „Ich fühlte gar nichts mehr, keine Angst, keinen Schmerz. Ich fühlte mich nur schmutzig. Und ich betete zu Gott: ‚Lass mich sterben. Ich will nicht überleben müs-sen.‘“ Wieder stockt Aida. „Es wäre besser gewesen, wenn ich getötet worden wäre.“ Die zwei Tage haben ihr Leben zerstört. Die Männer, die ihr das angetan haben, kannte sie seit Schultagen; sie woh-nen noch heute in dieser Gegend. Aidas Schicksal ist kein Einzelfall. 20000 Frauen wurden laut Untersuchung der EU während des Bosnien-Krieges zwischen Frühjahr 1992 und November 1995 verschleppt, gefoltert, vergewaltigt, viele systematisch über längere Zeit in serbischen Gefangenenlagern wie Omarska und Trnopolje. Massenhaft wurden Frauen Opfer dieser unfass-baren Gräueltaten, die bosnisch-serbische Soldaten gezielt und auf Anordnung ihrer militärischen Be-fehlshaber begangen haben. Vergewaltigungen als Teil einer brutalen Kriegsstrategie, wie die Massaker an muslimischen Bosniaken, bei denen ganze Dörfer ausgerottet wurden, Massaker wie im Juli 1995 in Srebrenica, wo 7800 Jungen und Männer getötet wurden. „Ethnische Säuberung“ hieß das Ziel im Propagandajargon. Vergewaltigung aber auch als Waffe, begangen ebenso von bosnisch-kroatischen Soldaten und von Mudschaheddin-Einheiten der bosnisch-muslimischen Armee, um Frauen zu bre-chen, zu demütigen, um Zwietracht in Familien zu säen, um Ehen zu zerstören, auch gemischtreligiöse, die es immer gab und die jahrelang gut funktionier-ten. Gewalt gab es auf allen Seiten in diesem Krieg der Nationalitäten, nicht selten waren Kollegen, Nachbarn, Schulfreunde beteiligt. Mindestens 100000 Menschen kamen ums Leben, davon 40000 Zivilisten, vor allem muslimische Bosniaken.

    Aida stirbt nicht. Ihre Eltern holen sie nach Hause, verstecken sie. Niemand soll ihre Verletzun-gen sehen, niemand soll mitbekommen, dass sie ver-gewaltigt worden ist. Irgendwann ist klar, dass Aida schwanger ist. Nachdem der Arzt im Hospital dies bestätigt, bringen ihre Schwester und ihr inzwischen verstorbener Bruder sie nach Zenica ins Kranken-haus. Doch die Schwangerschaft ist für eine Abtrei-bung zu weit fortgeschritten. So kommt Aida im Juni 1993 zu Medica Zenica. Die Kölner Gynäkologin Dr. Monika Hauser hatte das Zentrum kurz zuvor *Name von der Redaktion geändert

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  • zusammen mit bosnischen Ärztinnen, Psycholo-ginnen und Krankenschwestern gegründet, um vom Krieg traumatisierten Frauen zu helfen. Zenica ist zu dieser Zeit eine Enklave, eingekeilt zwischen den Fronten. 120000 Flüchtlinge, überwiegend Muslime, suchen hier Sicherheit. Aida wird bei Medica aufgenommen. Ferida hat gera-de Dienst, sie ist es, die Aida von nun an medizinisch betreut. Die sie in vielen Nachtschichten im Arm hält, wenn Albträume und Flashbacks das grauenhafte Geschehen zurückbringen, die sie auf die Geburt vor-bereitet und die ihr ihre neu geborene Tochter in den Arm legt. Und Ferida unterstützt sie zusammen mit den Therapeutinnen auch dabei, zu entscheiden, ob sie ihr Kind behalten will. „Wir mussten beobachten, ob das Baby das Trauma der Vergewaltigung ver-stärkt“, sagt Ferida. Aber Aida fängt an, sich um ihre Tochter zu kümmern. „Während der ganzen Schwan-gerschaft wollte ich sie zur Adoption geben“, sagt Aida. „Doch als sie da war, habe ich festgestellt: Sie ist mein Kind. Sie war so winzig, so stark, so schön, und sie war meins. Ich liebe meine Tochter mehr als mich selbst.“ Aida behält ihr Kind. Drei Jahre lang leben Mutter und Tochter in Zenica unter der Obhut und therapeutischen Betreuung von Medica.

    Wie viele durch Gewalt gezeugte Kinder in Bosnien geboren wurden, ist bis heute unklar. Viele Schwangere wurden von ihren Männern und Familien verstoßen, viele Babys wurden zur Adop-tion freigegeben. Ein Serbenkind, ein „Tschtnik-Baby“, wollten die wenigsten Frauen großziehen. Und die, die es tun, sprechen nicht darüber, versu-chen, die Herkunft des Kindes zu verbergen. Die Angst, ausgestoßen zu werden, ist zu groß.„Sprecht leiser. Bitte.“ Ferida wirft uns einen flehen-den Blick zu. „Die reden schon über uns. Und an der Bar sitzen Polizisten.“ Unser Gespräch verstummt, wir schauen uns an, verkriechen uns noch tiefer in unseren dicken Jacken, die wir gar nicht erst ausge-zogen haben. Es ist kalt hier in diesem Betonklotz, die Plastikschiebetür, die den Raum, in dem wir sit-zen, abtrennt, lässt sich nicht komplett verschließen. Flüsternd sprechen wir weiter. Absurd. Als wenn wir es wären, die etwas zu verbergen hätten.„Meine Tochter wurde nur ‚Ustascha-Bastard‘ ge-nannt“, sagt Aida kaum hörbar. Ustascha war die unter Bosniaken verhasste faschistische „Kroatische Revolutionäre Organisation“. Vom ersten Augen-blick an, als die junge Mutter in ihr Heimatdorf zu-rückkehrt, wird sie angefeindet, obwohl ihre Eltern und ihre Familie zu ihr stehen. „Jeder hat mich ver-urteilt, weil ich das Baby behalten habe“, sagt sie. Alle reden hinter ihrem Rücken über sie, mit ihr spricht niemand. Auch über ihre Tochter wird gere-

    det, im Kindergarten, später in der Schule. Andere Kinder dürfen nicht mit ihr spielen, die Eltern erlau-ben es nicht. Sie wird beschimpft, ausgegrenzt, ab-gestempelt. Sie zieht sich immer mehr zurück, ist eine schlechte Schülerin. Zu Hause bemüht Aida sich, ihr eine gute Mutter zu sein. „Aber ich schaffe es nicht immer“, sagt Aida. Ihr Blick geht ins Leere, wieder scheint sie zu entschwinden, irgendwohin, wo sie in Sicherheit ist. Ferida holt sie zurück. „Du kannst stolz auf deine Tochter sein“, sagt sie. „Das bin ich auch“, antwortet Aida. „Sie ist sehr schön. Und sie ist etwas ganz Besonderes. Aber sie hat meinetwegen Probleme. Ich bin die Ursache ihrer Schmerzen. Das macht mir am meisten zu schaffen.“Viele Jahre weiß die Tochter nicht, wer ihr Vater ist. Sie denkt, er sei im Krieg gefallen. Viele Jahre war das die Antwort auf alle ihre Fragen. Als Aida vor zehn Jahren einen Mann kennen lernt, ihn heiratet und mit ihm in sein Dorf zieht, erzählt sie ihm die Wahrheit. Auch die Schwiegermutter weiß Bescheid. Ihr Kind erfährt nichts. „Als meine Tochter meinen heutigen Mann kennen lernte, sagte sie: ‚Das ist jetzt mein Vater.‘ Er hat sie sofort als seine Tochter akzep-tiert und ihr ein Gefühl von Sicherheit gegeben“, erzählt Aida. Für sie selbst hat er großes Verständnis, unterstützt sie, wo er kann. „Wir hatten nie Geheim-nisse vor einander, und er hatte nie ein Problem damit, was mir passiert ist. Er ist sehr sensibel, auch im Eheleben. Und er hat sich nie für mich geschämt.“ Er ist es auch, der sich um die Tochter kümmert, als diese eines Tages weinend aus dem Kino nach Hause kommt und sich in ihrem Zimmer einschließt. Mit ihrer Schulklasse hat die damals 14-Jährige den Film „Esmas Geheimnis – Grbavica “ gesehen – und darin das Geheimnis ihrer Mutter entdeckt. „Irgend-wann kam sie heraus“, sagt Aida. „Ich weinte so sehr, dass ich nicht mit ihr reden konnte. Ich wollte sie nie verletzen, ich wollte sie schützen. Mein Mann nahm sie in die Arme, hielt sie fest und sagte: ‚Es kommt nicht darauf an, wie du auf diese Welt gekom-men bist. Du bist meine Tochter.‘“Viele Schulklassen sehen damals diesen Film über Esma, die ihrer Tochter Sara lange verschweigt, dass sie bei einer Vergewaltigung im Krieg ge- zeugt wurde. Im Unterricht darüber gesprochen wird anschließend selten. In den Geschichtsbü-chern steht bis heute kein Wort über den Krieg. Die junge Generation weiß kaum etwas darüber. Eigent-lich sollte „Esmas Geheimnis“ dazu beitragen, die Verbrechen öffentlich zu machen. Bei Aufführungen dieses Films wurden Unterschriften gesammelt, die das Parlament aufforderten, betroffenen Frauen den Status von Kriegsopfern und eine Entschädi-gung zuzusprechen. Diese Invalidinnenrente gibt es seit Ende 2006. Doch die bürokratischen Hürden

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    „ E s w ä r e b e s s e r, i c h w ä r e d a m a l s g e t ö t e t w o r d e n “

    1. Der Krieg hat überall seine Spuren und Wunden hinterlassen. Um zerstörte Häuser wieder aufzu- bauen, fehlt das Geld 2. Aida wünscht sich nichts sehnlicher, als ein norma-les Leben zu führen. Aber auch nach 20 Jahren quälen ihre Erinnerungen sie noch 3. Zenica wurde lange nicht umkämpft. Trotzdem gab es Kriegs-opfer. Die Stadt hat ihnen ein Denkmal gesetzt

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  • sind so hoch, dass nur 1000 Frauen die 70 bis 260 Euro Grundsicherung im Monat bekommen. Fünf Prozent der Opfer. Die meisten scheuen da- vor zurück, sich den peinlichen und langwierigen Befragungen auszusetzen. „Es ist nicht einfach, hier in Bosnien-Herzegowina etwas zu erreichen. Wir müssen noch viel tun“, sagt Sabiha Husić. Die 41-jährige Psychotherapeutin leitet Medica seit 2007. Wir warten auf sie in ihrem Büro in Zenica, einer schmuddeligen Industriestadt, die Investoren mit modernen Hotels, Läden inter-nationaler Ketten und Coffeeshops etwas herauszu-putzen versuchen. Vor dem Krieg war hier das Zen-trum der Stahlindustrie. Heute sind von 25000 Beschäftigten nur etwa 2500 übrig. Die Abgase, die das marode Stahlwerk rund um die Uhr ausspuckt, überziehen alles mit einem schlierigen Schmutzfilm. Sabiha Husić hat wenig Zeit, gerade kommt sie aus London von einer internationalen Konferenz zum Thema „Sexuelle Gewalt gegen Frauen“. Angelina Jolie war auch da. „In Bosnien ist die ökonomische Situation immer noch sehr hart“, sagt sie. „Mehr als 40 Prozent der Menschen haben keine Arbeit. Die Frauen versuchen, irgendwie zu überleben. Da gibt es wenig Solidarität untereinander.“

    Aida hat es geschafft, dass ihr die Rente zugespro-chen wurde, auch wenn sie zwischendurch schon fast aufgegeben hätte. Sie hat durchgehalten, für ihre Tochter. Nachdem das Mädchen die Wahrheit her-ausgefunden hatte, hatte es einen seelischen Schock, wurde lange von einer Therapeutin betreut. Inzwi-schen studiert die heute 19-Jährige in Sarajevo Psychologie, mit großem Erfolg, wie Aida betont. Sie spricht mit niemand über sich selbst und ihre Lebensgeschichte, auch das BRIGITTE WOMAN-Team will sie nicht treffen. Zu sehr macht es ihr zu schaffen, sich als Tochter einer vergewaltigten Frau zu erkennen zu geben. Als Aida mit ihr zu einer Organisation geht, die Kindern von Zivilopfern durch ein Stipendium ein Studium in der Türkei ermöglicht, rennt sie schreiend hinaus. „Ich habe ihr das Beste gegeben, was ich konnte“, sagt Aida. „Trotzdem denke ich oft, es wäre besser gewesen, wenn ich sie damals weggeben hätte. Gut, dass sie jetzt in Sarajevo lebt, wo niemand weiß, wessen Kind sie ist.“ Erst neulich erzählte ihr ihre Schwägerin, ein junger Mann aus dem Dorf hätte von ihrer Toch-ter geschwärmt. Seine Mutter hätte ihn sofort ge-warnt: ob er nicht wisse, wer das sei. „Das Stigma der Frauen, die die Vergewaltigungen im Krieg überlebt haben, ist noch präsent“, sagt Sabiha Husić. Auch 17 Jahre nach Kriegsende kom-men Opfer zu Medica, die bisher mit niemandem über das, was sie erlebt haben, gesprochen haben.

    Andere Frauen sind seit damals in Therapie oder suchen immer wieder Hilfe, weil von einem Augen-blick zum anderen ihre mühsam errichtete Fassa- de der Normalität zusammenbricht. „Am Anfang wussten wir selbst nicht, was den Frauen helfen könnte“, sagt Sabiha Husić. „Mit der Zeit haben wir Erfahrungen gesammelt, eine besondere Therapie entwickelt. Ich hoffe, wir können in den nächsten 20 Jahren erforschen, wie wirkungsvoll sie ist. Nicht nur für die Frauen hier in Bosnien-Herzegowina, sondern auch für die Frauen im Kongo, in Liberia und in Syrien, die jetzt in diesem Augenblick Opfer von Kriegsverbrechen werden.“ Aida hat Gruppentherapie sehr geholfen. „Zu sehen, dass ich nicht allein so etwas durchgemacht habe, tat mir gut“, sagt sie. Spuren hinterlassen hat das trau-matische Erlebnis trotzdem, auf ihrem Körper, in ihrer Seele. Und jederzeit können die Wunden wie-der aufbrechen. „Manchmal muss ich weinen, wenn ich Musik höre oder einen Film sehe, und weiß nicht, warum“, sagt sie. „Ich habe meinen Rhythmus. Doch es gibt immer wieder Tage, an denen es mir schlecht-geht. Dann falle ich in ein tiefes Loch.“Unser Gespräch war anstrengend für sie, Aida ist erschöpft, müde, leer. Ihre Hände zittern wieder. „Ich fühle mich wie eine alte Frau“, sagt sie. „Ich kann das nicht erklären. Mir fehlen die Worte. Mein Leben ist vorbei.“ Wieder tauschen Aida und Ferida Blicke. Die ganze Wahrheit wird wohl nie jemand erfahren, weder über Aidas Geschichte noch über den Krieg. Zum Abschied halten wir uns lange in den Armen. Ihr Mut ist bewundernswert, das Ge-spräch mit uns wird sie mit langen Seelenqualen bezahlen, das weiß sie. Bis sie zu ihrer labilen alltäg-lichen Routine zurückfinden wird, werden Wochen vergehen. „Ich habe gedacht, ich gewöhne mich mit der Zeit daran, damit zu leben“, sagt sie. „Aber es wird nicht besser. Ich kann nicht allein sein. Ich kann nicht schlafen, habe Albträume, schwarze Gedan-ken. Und wenn ich dusche, sehe ich die Narben auf meinem Körper. Es gibt keinen Augenblick in mei-nem Leben, in dem ich nicht daran denke.“

    Mehr Infos: Über die Arbeit des Frauentherapiezentrums Medica Zenica unter http://medicazenica.org; Spenden mit dem Vermerk „Bosnien“ an medica mondiale e.V. (www.medicamondiale.org), Konto 45 000 163, Sparkasse Köln Bonn, BLZ 370 501 98Zum Weiterlesen und Anschauen: • „Das Leben ist stärker. Ein bosnisches Lesebuch von Frauen im Krieg“, Hrsg. Dragana Tomašević (128 S., Veritas Verlag 1997; nur noch antiquarisch erhältlich) • „Esmas Geheimnis – Grbavica“, Film von Jasmila Žbanić, DVD 2007 • „In the Land of Blood and Honey“, Film von Angelina Jolie, DVD oder Blu-Ray, 2012

    Ferida Dekić (rechts) hat Aida all die Jahre betreut, sie aufgefangen und ihr Mut gemacht

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