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Unverkäufliche Leseprobe aus: Volker Klotz Komödie Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheber- rechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfälti- gung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Unverkäufliche Leseprobe aus:

Volker KlotzKomödieEtappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auchauszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheber-rechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfälti-gung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Inhalt

Im Voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Theater und Komik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

I.

Griechische Komödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Aristophanes: Der Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Menander: Der Menschenfeind . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Menander: Das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Römische Komödie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Plautus: Die Zwillinge Menaechmus . . . . . . . . . . . . . . . 66Plautus: Der Maulheld (Miles gloriosus) . . . . . . . . . . . . . 80

Intermezzo 1: Commedia dell’arte . . . . . . . . . . . . . . . . 89

II.

Komödie im elisabethanischen Zeitalter . . . . . . . . . . . . 105Shakespeare: Komödie der Irrungen . . . . . . . . . . . . . . . 108Shakespeare: Ein Sommernachtstraum . . . . . . . . . . . . . . 122Shakespeare: Was ihr wollt (Twelfth Night) . . . . . . . . . . . 135Ben Jonson: Volpone oder Der Fuchs . . . . . . . . . . . . . . . 146Beaumont/Fletcher: Der Ritter von der flammenden Mörserkeule 163

Intermezzo 2: Perspektive von unten / interne Komödiantik /Wahneswahn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Komödie im »Goldenen Zeitalter« Spaniens . . . . . . . . . . 182Lope de Vega: Der Ritter vom Mirakel . . . . . . . . . . . . . . 184

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Lope de Vega: Die Irren von Valencia . . . . . . . . . . . . . . . 194Tirso de Molina: Don Gil mit den grünen Hosen . . . . . . . . . 206Calderón: Dame Kobold. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

III.

Komödie in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231Molière: Der Tartuffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234Molière: Der Menschenfeind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249Molière: Der eingebildete Kranke . . . . . . . . . . . . . . . . . 261Marivaux: Das Spiel von Liebe und Zufall. . . . . . . . . . . . . 273Beaumarchais: Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit . . . . . . . . 285

Intermezzo 3: Lustspiel und Lüge . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Komödie in Italien, Dänemark und anderwärts . . . . . . . . 312Goldoni: Der Diener zweier Herren . . . . . . . . . . . . . . . . 312Gozzi: Die Schlangenfrau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

Intermezzo 4: Schreckensängste vorm Rufmord . . . . . . . . 337Congreve: Liebe für Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342Sheridan: Die Lästerschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Intermezzo 5: Maschinenkomik bei Sheridan undShakespeare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369Holberg: Ulysses von Ithacia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

IV.

Verzögerte Komödie auf Deutsch und auf Russisch . . . . . . 393Lessing: Minna von Barnhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter . . . . . . . . . . . . . . . 412Kleist: Der zerbrochne Krug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425Nestroy: Einen Jux will er sich machen . . . . . . . . . . . . . . 442Gribojedow: Wehe dem Verstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 453Gogol: Der Revisor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464Ostrowskij: Der Wald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

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V.

Komödie als Farce, Satire, Melodrama . . . . . . . . . . . . . 495Labiche: Ein Florentinerhut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495Feydeau: Floh im Ohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. . . . . . . . . . . . . . 518Caragiale: Der verlorene Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531Rostand: Cyrano von Bergerac . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544Sternheim: Die Hose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559Hofmannsthal: Der Schwierige . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

Irische Komödien-Invasion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582Shaw: Helden (Arms and the Man) . . . . . . . . . . . . . . . . 582Wilde: Ernst muss man sein (Bunbury) . . . . . . . . . . . . . . 596Synge: Der Held der westlichen Welt . . . . . . . . . . . . . . . 612O’Casey: Purpurstaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625Fry: Die Dame ist nicht für’s Feuer . . . . . . . . . . . . . . . . 637Friel: Die Notbremse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650

VI.

Komödie und szenische Avantgarde. . . . . . . . . . . . . . . 667Molnár: Spiel im Schloss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667Brecht: Mann ist Mann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677Valle-Inclán: Karneval der Krieger (Martes de carnaval) . . . . . 689Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame . . . . . . . . . . . . . 701Fo: Zufälliger Tod eines Anarchisten . . . . . . . . . . . . . . . . 716Tabori: Goldberg-Variationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727

Intermezzo 6: Ersticktes Lachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 745

Nach-avantgardistische Komödien . . . . . . . . . . . . . . . 752Hacks: Moritz Tassow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712Reza: Der Gott des Gemetzels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769

Ein Fazit: Tod / Tragödie / Komödie . . . . . . . . . . . . . . . 780

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AnhangNachträgliches zur Vorgeschichte des Buchs. Von Volker Klotz . 797Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811

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Im Voraus

Den Lesern des Buchs, wie zuvor schon sich selbst, versprechen dieVerfasser möglichst sinnfällige Auskünfte über eine althergebrachteGattung des abendländischen Theaters – althergebracht und auchehrwürdig, doch in ihren Ausdruckszielen seit je entschieden ehrver-gessen. Ebendarum hat sie auf ihrem vorläufig endlosen Lebensweg sogut wie nichts von ihrer ursprünglichen Lebenslust verloren. Und dieäußert sich sowohl im Gesamtimpuls von Komödie überhaupt wie injedem ihrer Einzelwerke, die diesen Impuls auf jeweils eigene Weisebekräftigen.

Ausgegangen sind wir von einem pauschalen Befund, der sich imLauf des Buchs schrittweise überprüfen lässt. Und zwar: Einzig dasDrama, als Bühnenstück, hat eine eigenständige poetische Gattunghervorgebracht, die substantivisch »Komödie« heißt. Mit Epen, Ro-manen und Gedichten steht es deutlich anders. Sofern sie dann undwann einmal als komisch veranschlagt sind, wird es nur attributiv imkleingeschriebenen Beiwort vermerkt; »komisch« ist da nur eine vonvielen möglichen Eigenschaften. Hieraus und aus weiteren Anzeichenspricht eine bewährte und anerkannte Wahlverwandtschaft zwischenBühne und Lachhaftigkeit. Will sagen, nirgends sonst in poetischer,auch nicht in anderer Kunst, kommt Komik so unmittelbar zum Zugwie im Theater. Allerdings würde auch hier, wie so oft, der Umkehr-schluss zum Fehlschluss: dass im Theater prinzipiell nichts anderes alsKomik triftig zum Zug kommen könne.

Von daher ergeben sich die Fragen, die in diesem Buch an markanteWerke der Komödiengeschichte zu stellen sind. Sie lauten, in jedemeinzelnen Fall: Was und wen setzt die Bühne hier dem öffentlichenGelächter aus? Auf welchen szenischen, sprachlichen und mimischen

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Wegen erreicht sie das? Welche Ziele verfolgt sie dabei? Wie ist das Ver-hältnis zwischen überdauernden und kürzerfristigen Ausdrucksfor-men theatralischer Lachhaftigkeit? Und welche Antwort erteilt diejeweilige Komödie, konträr zu zeitgenössischen Tragödien, dem Zu-stand jener Welt, der sie aufspielt?

Komödie. Etappen ihrer Geschichte seit der Antike. So der Titel desBuchs. Drückt man, was er besagt, mit den Namen hervorragenderBühnendichter aus, dann heißt das: von Aristophanes über Shake-speare, über Molière, über Goldoni, Gogol, Nestroy bis hin zu DarioFo und darüber hinaus. Und drückt man es als Zeitspanne aus, heißtdas: vom fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis zum ein-undzwanzigsten Jahrhundert danach. Schon diese Strecke von zwei-einhalb Jahrtausenden zeugt von der geschichtlichen Dauerhaftigkeitder Komödie, von ihrer szenischen Belastbarkeit und gesellschaft-lichen Unentbehrlichkeit. Allerdings ist die gewaltige Zeitspanneungleich dicht mit Bühnenwerken besetzt, soweit sie sich denn –angesichts der zunächst nur spärlich überlieferten Texte – überhaupthinreichend bemessen lässt. Die fruchtbarste, auch nachwirksamstePeriode der Gattung, greifbar in vollständig erhaltenen Stücken, dau-ert vom fünften bis zum zweiten vorchristlichen Jahrhundert, vomgriechischen Dichter Aristophanes bis zum römischen Dichter Terenz.Danach klafft eine riesige Zeitlücke von mehr als einem Jahrtausend.Es waren da zwar Wanderbühnen zugange, doch sie haben keine lite-rarisch ausformulierten Komödien hinterlassen. Frühestens seit deritalienischen, spätestens seit der englischen Renaissance, der Shake-speare-Zeit, kommt es dann erneut zu Stücken, die sich mit ihrem un-erloschenen Gelächterpotential auch fortan als lebensfähig erwiesenhaben.

Weil es nicht möglich wäre, ein lückenloses Kontinuum anzubieten,stellt das Buch, laut Titel, nur »Etappen« der Komödiengeschichte inAussicht. In sinnvoller zeitlicher Reihenfolge rückt es aufschlussreicheBeispiele in den Blick, prägnante Werke tonangebender Autoren, diedeutlich etwas vom poetischen und szenischen Kunstverständnis ihrerEntstehungszeit erkennen lassen. Zugleich geben sie auch etwas zu er-kennen vom Erfahrungsstand ihrer gesellschaftlichen Umwelt, etwa

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der Polis in Athen oder – rund zweitausend Jahre später – der Republikin Venedig. Sinnvolle Reihenfolge meint dabei aber gerade nicht,dass in unserem Buch die Analyse der je und je charakteristischenBühnenwerke durchweg in zeitgenauer Chronologie ihrer Urauffüh-rung dargeboten würde. Zerreißen würde solch pingelige Annalistikrücksichtslos die kulturellen Zusammenhänge und dramaturgischenVerwandtschaften bei Komödien gleicher Herkunft. So die Stücke desElisabethanischen Zeitalters (von Shakespeare bis Ben Jonson undBeaumont / Fletcher). So auch die Stücke des spanischen »GoldenenZeitalters« (von Lope und Alarcón bis Tirso de Molina und Calderón),die sich mit jenen zeitlich überlappen. Sie werden als zusammen-gehörig präsentiert, unbekümmert um strikte Chrono-Logik. Aller-dings, diese schöne Übersichtlichkeit einer homogenen Gruppierung –da englische, hier spanische Komödie – lässt sich sinnvoll auf Dauernicht halten. Seit Beginn der bürgerlichen Epoche, kurz nach Molière,verläuft die Entwicklung der Gattung sprunghaft und mehrsträngig.Es bilden sich andere als nationalstilistische Affinitäten heraus.

Erheiternde Bühnenkunst war und ist auch außerhalb des Abend-lands im Schwange. Nicht aus mangelndem Interesse sehen die Ver-fasser des Buchs davon ab, sondern aus mangelnder Kenntnis. Siehandeln schon übermütig genug, indem sie sich, fachzünftigen Ab-grenzungen zuwider, auf die überwältigende Vielfalt der europäischenKomödien einlassen: auf antik griechische und römische, auf eng-lische und spanische, italienische und französische, deutsche undösterreichische, russische und rumänische, dänische und irische. Dasswir nicht jedes Werk, das hier erörtert wird, im Urtext gelesen, son-dern nur, soweit fähig, daran überprüft haben, sei freiweg einge-standen. Trotz triftiger Bedenken sind wir da lieber der größerenMinderheit leidenschaftlicher Theatergänger und Dramenleser entge-gengekommen als einer kleineren Minderheit patentierter National-philologen. Immerhin wäre es nicht das erste Mal, wenn auch hierwissbegierige Fremdlinge auf unvertrautem Terrain manches erspä-hen würden, was Einheimischen dieser oder jener Fachzunft bisherentgangen ist.

Schmerzlicher als die eingeschränkte Originallektüre ist ein anderes

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Manko. Die üppige Vielfalt des Gegenstands hat zu rigoroser Auswahlgenötigt. Selbst bei so produktiven und epochemachenden Autorenwie Lope de Vega oder Goldoni musste es bei höchstens zwei Beispiel-Komödien bleiben. Eine sehr viel größere Anzahl von aufschlussrei-chen Bühnenstücken nur aphoristisch zu umreißen wäre kein passab-ler Ausweg gewesen. Bei jedem der exemplarisch herausgegriffenenWerke war also zu fragen: Hat es unverwechselbares Eigenprofil? Hates nachhaltigen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Gattung Komö-die ausgeübt? Ist es bezeichnend fürs heitere Theater seiner Zeit undfürs Gesamtœuvre seines Autors?

Von Shakespeares Komödien beispielsweise wurden Die Komödieder Irrungen* und Ein Sommernachtstraum* gewählt und ausnahms-weise noch ein drittes Stück, Was ihr wollt*. Dabei ließe sich mit gutenGründen darüber streiten, ob nicht Wie es euch gefällt oder VerloreneLiebesmüh oder noch andere Stücke vorzuziehen gewesen wären. Fürunsere Entscheidung sprach, dass die ausgewählten Stücke äußerstePole des Ausdrucksspielraums von Shakespeares Komödienschaffenmarkieren: zwischen ausgetüfteltem Zufallsspiel im Alltagsleben einer-seits, entfesselter Phantastik im Feenwald andrerseits. Weiter gefragt:Hat das jeweilige Werk einen fortdauernden ästhetischen Gebrauchs-wert, ablesbar daraus, dass es langfristig immer wieder gespielt wurde?Hat es womöglich bis heute noch eine belangvolle Treffsicherheitbewahrt? Und schließlich: Wie steht es mit der szenischen Heiter-keitsbrisanz? Denn nur solche Komödien sind in Betracht gezogenworden, deren sinnfällige Ereignisse und Redegefechte in erster Linieungebrochen auf heitere Bühnenaktion hin entworfen sind. Deshalbentfallen hier, seien sie poetisch noch so gewitzt, nicht nur parodis-tische Literaturkomödien wie Platens Romantischer Ödipus. Es ent-fallen auch, und seien sie poetisch noch so ergreifend, schwermütigeSeelenfarcen wie Schnitzlers Professor Bernhardi oder TschechowsKirschgarten, selbst wenn sie das ausdrückliche Markenzeichen »Ko-mödie« im Untertitel tragen.

* Ein Stern hinter einem Komödientitel bedeutet, dass dieses Werk im vor-liegenden Band eigens besprochen wird.

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Trotz solcher Flurbereinigung bleibt die Vielfalt überwältigend: dieVielfalt von Epochen und Literaturen, von Theaterbauten, Bühnen-formen und Spielweisen; von stilistischen Eigenheiten der Autoren,ihren dramatischen Konstruktionen und szenischen Vorkommnissen.Umso dringender erscheint es, sich von vornherein zu verständigen,was denn gleichwohl der gemeinsame Nenner dieser Vielfalt sein mag.Was also macht die Komödie zur Komödie? Was unterscheidet sie vonanderen Kunstprodukten, von literarischen, musikalischen, bildneri-schen, die zwar nicht hauptsächlich, aber doch gelegentlich auf erhei-ternde Wirkung abzielen? Und was unterscheidet sie von der benach-barten Bühnengattung, der ernsthaften Dramatik, abgesehen davon,dass die eine nun mal vorsätzlich und augenscheinlich auf einen ko-mischen Verlauf und einen glücklichen Ausgang zielt, während die an-dere sich streng dagegen verwahrt? Unsere erste, notwendig grobeKennzeichnung, die alsbald zu verfeinern und näher zu begründensein wird, lautet: Komödie, von der Antike bis heute, hat zwei elemen-tare Merkmale. Erstens: Sie ist für die Bühne bestimmt, wo sie im Spielzu sich selber kommt, vorgeführt von leibhaftig anwesenden Akteu-ren, vor leibhaftig anwesenden Zuschauern. Zweitens: Was sie dort imRahmen einer anderweitigen dramatischen Handlung entfaltet, sindkomische Ereignisse, die das Publikum zum Lachen bringen sollen.

Zusätzlich lässt sich feststellen, was zuvor schon angedeutet wordenist: Zwischen dem Bühnenspiel und den erheiternden Ereignissen be-steht eine genuine Verwandtschaft. Schon der Wortgebrauch von »Ko-mik« und »komisch« zeigt sie an. Wieso? Wann immer europäischeAlltagssprachen lachhafte Vorkommnisse komisch nennen – franzö-sisch comique, spanisch cómico, italienisch comico, englisch comic odercomical –, berufen sie sich unausgesprochen auf die sichtbaren Verlaut-barungen der professionellen comédie, comedia, commedia, comedy.Allemal geht dabei die Erfahrung von gespieltem Theater voraus. Alskaum bewusste, doch sprachgeschichtlich bewahrte und erinnerte Be-zugsgröße spendet es den Namen. Ein komisches Vorkommnis auf derStraße, im Wirtshaus oder im Kaufladen wäre somit eines, das jenengleicht, die in der Komödie gang und gäbe sind.

Noch mehr als der Wortgebrauch aber besagt das Wort selbst. Vom

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alten Griechenland, wo generell das abendländische Theater entstand,rührt auch der spezielle Name Komödie her, der späterhin in alleeuropäische Sprachen eingegangen ist. Dabei spricht seine ursprüng-liche Herkunft das Komische noch gar nicht an. Der Name verweistvielmehr auf andersartige Umstände aus der Vorgeschichte der Gat-tung. Sie werden sich zwar auch noch in späteren Epochen bemerk-bar machen, aber nur dann und wann und nebenbei. Vorerst also, ehdie eigentliche Komödie sich herausbildet, bezeichnet komos denausschweifenden, unbändigen Festaufzug zur Feier des Dionysos, desGottes der Fruchtbarkeit. Und jene, die solche Prozessionen voll-führen, drastisch singend, tanzend, gestikulierend, heißen komodoi.Wörtlich: Sänger des Komos. Später dann – nachdem diese religiöseVeranstaltung in eine künstlerische übergegangen war, fort von denStraßen und Feldern, hinein ins Amphitheater – geht auch die Be-zeichnung komodoi auf die Schauspieler von Komödien über, sogarauf deren Dichter. Dass und wie jene primäre Bedeutungsmitgift einerorgiastischen Ausgelassenheit auch noch in nachfolgenden Epochenrumort, als ein unregelmäßiges sekundäres Merkmal der Komödie,auch dies wird zu bedenken sein.

V. K.

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Theater und Komik 15

Theater und Komik

Hauptmerkmal von Komödie, so haben wir allzu pauschal festgestellt,sind die Komponenten Theater und Komik. Jetzt heißt es, diese bei-den Komponenten genauer zu beschreiben. Dabei lässt sich auch er-läutern, wie es sich mit der ebenfalls allzu pauschal behaupteten Affi-nität zwischen beiden verhält. Fragen wir also nun etwas einlässlicher:Woran erkennt man Theater? Und woran erkennt man die Komik be-stimmter Ereignisse? Und weshalb kommt diese Komik nirgends bes-ser zur Geltung als auf der Bühne?

Eigenart von Theater überhaupt: Unmittelbarkeit. Um zu klären,woran man Theater zuallererst erkennt, hilft abermals ein Blick aufdie Wortgeschichte. Theaomai heißt anschauen, und Theatron be-nennt ursprünglich nur den Zuschauerraum. Seit der griechischenAntike versteht sich Theater also als eine Veranstaltung, bei der erfun-dene Handlungen und handelnde Personen nicht nur sichtbar ge-macht, sondern eben auch gesehen werden. Schauspieler und Zu-schauer bestreiten gemeinsam das Theater, freilich auf verschiedenenSeiten. Ebendieses produktive Visavis von Ausführenden und Auf-nehmenden unterscheidet die Kunstveranstaltung Theater von ihrenreligiösen Vorformen, die ein solches Gegenüber nicht kannten. Werbeispielsweise am Komos teilnahm, jenem dionysischen Festaufzug,verlor sich mit Haut und Haar im Ritus. Die Öffentlichkeit war dakein Publikum, sie war Akteur. Im Gegensatz zu solchen kultischenVorläufern ereignet sich Theater also erst dort, wo Ausführende undAufnehmende der Schauveranstaltung zusammentreffen. Und zwardeutlich voneinander geschieden, doch ebenso deutlich aufeinandereingehend. Dem entspricht ausdrücklich die Theaterarchitektur durchgrundsätzliche Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum.

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16 Theater und Komik

Seitdem in Europa Theater gespielt wird, hat jede Gesellschaft die-ses Medium anders genutzt, je nach ihren Bedürfnissen und Macht-verhältnissen. So hat Theater in der antiken Sklavenhaltergesellschafteinen anderen Ort im öffentlichen Bewusstsein, aber auch einen ande-ren Verwendungszweck als im höfischen Absolutismus oder im spät-bürgerlichen Kapitalismus. Theater ändert sich mit der Nachfrage, diees bedient; mit den Gegenständen, die es verarbeitet; mit der Art, wiees hervorgebracht wird; mit der Weise, wie das Publikum seinen eige-nen Anteil einschätzt und ausübt. Trotzdem bleiben dem Theater überJahrhunderte hinweg bestimmte Merkmale erhalten, die es von ande-ren künstlerischen Einrichtungen und Veranstaltungen abheben. Diewichtigsten: dass Menschen gezielt vor anderen Menschen zwischen-menschliche Handlungsfolgen darbieten; dass diese Handlungsfolgeneinen spannenden und stimmigen Ablauf ergeben; dass der Weg, aufdem dies erreicht wird, der Weg der nachahmenden Darstellung ist;und dass diese nachahmende Darstellung ein Bild von der Welt ent-wirft, das sich unmittelbar anschaulich ans Publikum wendet.

Vom öffentlichen Darstellen zum öffentlichen Entstellen. Wie ver-hält sich nun Theater zur Komik und Komik zum Theater? Die Erfah-rung lehrt, dass Ereignisse, die vor gegenwärtigem Publikum unmit-telbar auf der Bühne erscheinen, heftigere Belustigung hervorrufenkönnen als jene künstlerisch entrückten mittelbaren Ereignisse, die –gedruckt im leblosen Buch oder gerahmt im leblosen Bild – gelesenoder betrachtet werden. Offenbar besteht eine wechselseitige Anzie-hung zwischen dem Sachverhalt Komik, dem Akt der szenischen Ver-gegenwärtigung und der Äußerung Lachen. Mehrere Beobachtungensprechen für diesen Befund.

Erstens: Belachte Komik entsteht durch Entstellung gewohnter Ab-läufe und Verhaltensweisen. Die Einrichtung Theater, die besonderskonkret Wirklichkeit nachahmt durch szenische Darstellung, ist auchzu nachahmender Entstellung besonders begabt. Deshalb findet Ko-mik im Theater einen günstigen Nährboden.

Zweitens: Komische Entstellung wirkt als unmittelbar anschau-liches Ereignis. Sie wirkt umso nachdrücklicher, je weniger raumzeit-liche Vermittlungsstufen zwischen das vorgebrachte Ereignis und den

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Theater und Komik 17

Empfänger rücken. Theater als sinnliche Veranstaltung hier und jetztkommt daher der Komik näher als etwa ein Roman, ein Gedicht oderein Gemälde.

Drittens: Lachen ist eine gesellige Regung. Wer alleine lacht – etwaim Zugabteil oder im ärztlichen Wartezimmer –, fühlt sich sofort un-behaglich. Denn sein Gesicht, seine Stimme, sein ganzer Körper gebenda Äußerungen von sich, die sinnlos ins Leere gehen. Theater als öf-fentliche Veranstaltung vor großem Publikum fördert dagegen die Be-reitschaft zum Lachen, anders als Romane, Gedichte und Gemälde,die still vom Einzelnen gelesen und betrachtet werden.

Viertens: Die Komödie hat, nicht anders als die Tragödie, ihre ur-eigenen Gegenstände und Aufgaben. Denn Gelächter entfesselt sienur, wenn das, was auf der Bühne sichtbar und hörbar entstellt wird,die persönlichen und öffentlichen Alltagserfahrungen der Zuschaueraufrührt. Was dann bei diesem Lachen herauskommt, hängt ab vonden besonderen historischen, gesellschaftlichen und psychischen Um-ständen. Dabei sind extrem unterschiedliche Konsequenzen möglich.Die da lachen, können sich dabei beruhigen: Meine und unsre Ver-hältnisse sind längst nicht so verquer wie die vorgeführten; sie mögengetrost bleiben, wie sie sind. Oder die Lachenden können sich beun-ruhigen: Meine und unsre Verhältnisse sind ähnlich verquer wie dievorgeführten; sie sollten anders werden.

Komik, genauer betrachtet. Was Theater ist und wie es funktio-niert, haben wir jetzt ebenso dargelegt wie auch die These einer genui-nen Zusammengehörigkeit von Theater und Komik. Letztere, so hießes noch allzu pauschal, komme zustande durch Entstellung gewohnterAbläufe und Verhaltensweisen.

Dem wird jetzt genauer nachzugehen sein. Das ist ein kniffligesUnterfangen. Denn das, worüber die Leute lachen, unterliegt nochstärker den geschichtlichen und sozialen Veränderungen als die In-stitution Theater. So ist denn nach deutlicheren und differenzierterenBestimmungen zu fahnden. Weit genug müssen sie sein, um ge-schichtliche Wandlungen wie auch kulturelle Abwandlungen zu erfas-sen. Aber auch eng genug, um einzig und allein Bühnenkomik zu er-fassen. Bezogen auf jene vorläufige Bestimmung von der Entstellung

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gewohnter Abläufe und Verhaltensweisen, ist zu fragen, wie unddurch wen welche Art von Entstellung stattfindet, damit sie im Thea-ter Lachen und nichts andres auslöst. Immerhin entstellt auch dasMärchen gewohnte Abläufe und Verhaltensweisen, wenn es Tierereden lässt; entstellt auch das Heldenlied, wenn es den Heros miteinem einzigen kreisenden Schwertschlag mehrere Köpfe abschlagenlässt; entstellt auch Brechts Verfremdungstechnik, wenn sie an ver-trauten gesellschaftlichen Verhältnissen den Anschein von Selbstver-ständlichkeit zerstört. Lauter poetisch mutwillige Entstellungen, ohnedass dort Lachen bezweckt oder erreicht würde. Was also sind, zusätz-lich zur Entstellung, hinlängliche Bedingungen für Komik?

Antworten erteilen einige unter den vielen überlieferten Theoriendes Komischen und des Lachens. Vor allem drei Autoren sind es, dieuns nützliche Hinweise geben: der italienische Schriftsteller LodovicoCastelvetro mit seiner 1570 erschienenen Poetica d’Aristotele vulgariz-zata et sposta, einer Übersetzung und Fortschreibung der Poetik desAristoteles; der französische Philosoph Henri Bergson mit seinem Es-say Das Lachen (Le Rire) aus dem Jahr 1900; sowie der russische Lite-raturwissenschaftler Michail Bachtin mit seiner 1965 veröffentlichtenAbhandlung über Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur,die sich mit der Geschichte des Lachens befasst. Diese – auf den erstenBlick willkürliche – Auswahl von Theoretikern entspringt nicht demZufall. Da sie durchaus unterschiedliche Schwerpunkte setzen, ste-cken die drei Autoren einen Rahmen ab, in dem sich die vielfältigenErscheinungsformen von Bühnenkomik beschreiben lassen.

Castelvetro: Wir lachen, wenn jemand getäuscht wird. CastelvetrosÜberlegungen kreisen ums Phänomen des Inganno, der Täuschung,also der subjektiven Fehleinschätzung von objektiven Sachverhalten.Komisch wirke, wer getäuscht wird und folglich, in der Täuschung be-fangen, etwas tut oder sagt, was er ungetäuscht nicht tun oder sagenwürde. Die Täuschung mitsamt ihren Folgen äußere sich in einemBühnengeschehen, das dem Theaterpublikum den Genuss der Über-legenheit verschaffe, da es den Irrtum der getäuschten, also situativunterlegenen dramatischen Person durchschaue. Damit vertieft Cas-telvetro die knappen, aber aufschlussreichen Hinweise des Aristoteles

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zur komischen Handlung. Von dessen Poetik ist zwar der zweite, derKomödie gewidmete Teil verlorengegangen. Doch unterscheidetschon der erste Teil die folgenschwere Fehlhandlung des tragischenHelden, etwa den fatalen Irrtum des Ödipus, von der harmlosen Fehl-handlung der komischen Figur. Letztere bewirkt beim Zuschauernicht starke Affekte und Identifikation mit dem Helden, sondern viel-mehr ein distanziertes Vergnügen. Mehrere Spielarten komischer Täu-schung nennt Castelvetro und – damit zusammenhängend – mehrereTypen von Getäuschten. Zunächst die Naiven und Verrückten, die auf-grund ihrer Einfalt von anderen getäuscht werden: Ihnen kann manjeden Bären aufbinden. Ferner die Blender und Aufschneider, die sichselber täuschen, indem sie die eigene Persönlichkeit, die eigene Po-tenz und Anziehungskraft fehleinschätzen: Sie sind nicht das, wassie zu sein glauben und glauben machen wollen. Schließlich die über-geschäftigen, letztlich betrogenen Betrüger, die bei ihren Manipulatio-nen in jene Grube fallen, die sie andren gegraben haben.

So weit, so plausibel. Nimmt man freilich die gesamte Komödien-geschichte vor und nach Castelvetro in den Blick, muss man einen we-sentlichen Punkt ergänzen. Nicht nur einzelne Personen können aufder Bühne maßgeblich getäuscht werden, sondern auch ganze Kollek-tive. So in Aristophanes’ Lysistrata, in Molières Lächerlichen Preziösen,in Kotzebues Deutschen Kleinstädtern*, in Gogols Revisor* oder inSynges Held der westlichen Welt*. Mag Castelvetro mit seinem Haupt-augenmerk auf individuelle Opfer der Täuschung zu kurz greifen, sohelfen uns seine Befunde in andrer Hinsicht weiter. Ohne dass er eseigens ausspräche, bekräftigen sie die Affinität zwischen Komik undBühnenspiel. Wenn denn Komik – unter anderem – aus Täuschungentspringt, kann sie sich nirgends schlagkräftiger entfalten als in einerKunstveranstaltung, die anerkanntermaßen aufgrund ihrer Eigenartohnehin prinzipiell Täuschung betreibt: im Theater, das immerfort sotut, als geschehe tatsächlich, was es auf der Bühne vorführt. Auf dieserArbeitsgrundlage der theatralischen Illusion kann es die komischeTäuschung umweglos in eine höhere Potenz versetzen.

Freilich, die theatralische Illusion ist eine Täuschung, mit der dieZuschauer von vornherein rechnen. Gern und schadlos, weil sie die

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Spielregeln der Bühne kennen und deshalb ihre Selbstsicherheit nichtverlieren, sondern auskosten. Damit kommt jenes Überlegenheitsge-fühl des Publikums ins Spiel, das Castelvetro scharfsichtig diagnosti-ziert. Während einzelne Figuren oder ganze Kollektive innerhalb desszenischen Geschehens der Täuschung verfallen, durch andre oderdurch sich selbst, kann sich das Publikum sogar doppelt überlegenfühlen. Erstens, weil es die Spielregeln der Täuschung beherrscht, undzweitens, weil es nicht in der Haut der Getäuschten steckt. Sorglos undfolgenlos kann es all den auf der Bühne eingefädelten Betrügereienbeiwohnen; es ist ja eigens dazu ins Theater gekommen und hat eigensdafür bezahlt. Indem es sich spannen lässt vom dramatischen Gesche-hen, kann das Publikum sich zugleich entspannen: im gemeinsamenBewusstsein eines Souveräns, der sich erheitert übers komische Blend-werk der Bühne. Dort, wo Blender sich hermachen über Geblendete,die blindlings in gestellte Fallen taumeln, genießt dieser Souverän denklaren Überblick.

Bergson: Lachen als soziale Züchtigung. Noch ausdrücklicher alsCastelvetro begreift Henri Bergson in seinem reichhaltigen Essay überDas Lachen (1900) Komik als kollektiven Sachverhalt. Laut Bergsonlachen wir – im Plural – über Erscheinungen, die drastisch abweichenvon den Gegebenheiten natürlichen Verhaltens, sprich: von Verhält-nissen einer spontanen Lebendigkeit. Komik bricht aus, sobald dieseLebendigkeit durch ihr Gegenprinzip gestört wird, durch Regungen,die an leblos dingliche Maschinerie erinnern. Wo immer menschlicheLebewesen sich gebaren und bewegen, als folgten ihr Körper undGeist mechanischen Regeln, als seien sie Automaten oder Marionet-ten, wirken sie lachhaft. Und wenn wir dann lachen, ob im Alltag oderim Theater, verübt dieses Lachen eine soziale Züchtigung an jenenmechanischen Abweichlern. Genau dies, so Bergson, sei die Funktionvon Lachen. Das gesellschaftliche Kollektiv wache darüber, dass dienaturgebotenen, gesellschaftlich eingespielten Äußerungsformen imUmgang menschlicher Lebewesen gewahrt werden. Jene, die davonabweichen, ob willkürlich oder unwillkürlich, straft das Gelächter undruft sie zurück zur vitalen, zur antimechanischen Ordnung.

So weit der Gesamtrahmen von Bergsons Theorie. Inwieweit er ein-

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leuchtet, wird noch zu diskutieren sein. Was der Autor indes innerhalbdieses Rahmens an Einzelbeobachtungen vermerkt, kann jedenfallsdazu verhelfen, bestimmte Eigenheiten der Kunstform Komödie bes-ser zu begreifen. Wichtig zumal ist die Einsicht, dass Komik nur dortwirksam zum Zug komme, wo sie erkennbar als gezielter Kunstakt inErscheinung trete. Andernfalls rufe sie beim Zuschauer kein Lachenhervor, sondern Mitleid mit dem dargestellten Stotterer, Hinkenden,Buckligen, Schwerhörigen. Zudem sei jedes Geschehen komisch, dasunsere Aufmerksamkeit aufs Äußere einer Person lenke, während estatsächlich sich um ihr Inneres handle. Szenisch übersetzt heißt das:Ein gerührter Grabredner, an dessen Ohr noch Zahnpasta klebt, wirdebenso verlacht wie ein emsig bemühter Stellenbewerber, dem derHosenladen offen steht. Als zentrales Angriffsobjekt der Komödie abermacht Bergson die Eitelkeit aus. Nicht nur an und für sich, sondernauch weit darüber hinaus. Eitelkeit liege vielen anderen menschlichenAbseitigkeiten zugrunde, dem Berufs- und dem Standesdünkel, demüberzogenen Stolz auf eigene Heldentaten und so fort – durchweg Ab-seitigkeiten, die prompt lachend bestraft würden.

Auch Bergson betont die enge Beziehung zwischen Komik undTheater. Komik, so schreibt er, »gehört weder ganz zur Kunst nochganz zum Leben. Einerseits würden wir niemals über Personen imwirklichen Leben lachen, wären wir nicht imstande, ihnen wie voneiner Theaterloge aus zuzusehen; sie sind in unseren Augen nur inso-fern komisch, als sie uns ein Schauspiel bieten. Andererseits aber istunsre Freude am Lachen sogar im Theater kein reiner Spaß« (S. 98 f.).Und nicht als Erster unterscheidet er zwischen drei Äußerungsformenvon Komik in Literatur und Theater: zwischen jener der Situation, je-ner der Sprache (die ihn nicht sonderlich interessierte) und jener desCharakters. Situationskomik entsteht durch die mechanische Wieder-holung oder durch die Umkehrung einer Handlung, wie im Fall desbetrogenen Betrügers, aber auch durch Verwechslung, die wirksamsteSpielart der Täuschung. Charakterkomik ergibt sich aus der Beherr-schung der Figur durch einen hervorstechenden Charakterzug, einefixe Idee. Letztere, die er für die sublimste Form der Komik hält, er-laubt Bergson eine scharfe Grenzziehung zwischen Komödie und Tra-

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gödie. »Das Lustspiel schildert Charaktere, denen wir schon begegnetsind und noch begegnen werden. Es registriert Ähnlichkeiten.« Mit-hin weisen Titel wie Der Maulheld* oder Der Geizige nicht auf eineneinzelnen, einzigartigen Menschen hin, sondern auf einen Men-schenschlag: »Wir sagen ›ein Tartüff‹, aber nie ›eine Phädra‹. […] Vorallem würde es keinem Tragödienautor einfallen, seinen Hauptdar-steller mit Nebenfiguren zu umgeben, die nur dessen vereinfachte Ko-pien wären« (S. 115).

Diese einleuchtenden Befunde von Bergson werden auch uns denBlick schärfen für wichtige Einzelzüge der Komödie. Es fragt sich frei-lich, ob der theoretische Gesamtrahmen so pauschal, wie er ihn ent-wirft, jeder erheiternden Bühnenkunst gerecht wird. Zweifel meldensich gerade dann, wenn man es zu tun hat mit der Fülle und Vielfalteuropäischer Komödien seit der Antike. Bergson nämlich orientiertsich fast ausschließlich an den Komödien von Molière und den zwei-hundert Jahre später entstandenen Farcen von Labiche. Sogar dortund erst recht angesichts von Komödien aus anderen Zeiten und Zo-nen drängen sich Einwände auf. Selbst wenn Bergson triftig den kol-lektiven Sachverhalt lachhafter Komik betont, hat er dabei einseitignur das lachende Publikum im Sinn. Und dieses Publikum, als Vertei-diger der gesellschaftlichen Norm von unverkrampfter Lebendigkeit,verlacht allemal lauter einzelne Abweichler. Hiervon ausgehend mussBergson auch, gegenüber allen anderen Spielarten im heiteren Thea-ter, Charakterkomik und Charakterkomödie bevorzugen, also den ex-ponierten Fall dieses eingebildeten Kranken und jenes Geizigen, wiesie seit der Antike in immer umfangreicheren Charakterkatalogen be-schrieben werden. Zwar sieht er in solchen Charaktertypen Vertretereiner ganzen Gruppe, doch sie tritt als Gruppe szenisch nicht in Er-scheinung. Sie existiert nur in der Erinnerung des Publikums. Darausergibt sich, zugespitzt, folgende Formel: Die richtigen vielen verlachenden unrichtigen Einzelnen. Dieser Formel zuliebe aber muss Bergson,wie vor ihm schon Castelvetro, eine beträchtliche Menge Weltliteraturopfern, von der Antike über die Intrigenkomödie im spanischenBarock und die englische Restoration Comedy bis hin zu russischen,französischen und anglo-irischen Stücken des neunzehnten und zwan-

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zigsten Jahrhunderts. Es sind lauter Komödien, in denen das Kollektivsich gerade nicht als vielköpfig lachendes Publikum, sondern als ver-lachtes, vielköpfiges Angriffsobjekt auf der Bühne breitmacht.

Bergson engt somit seinen Blick nicht nur ein auf den Einzelnen,der mechanisch komisch sich absondert vom großen Ganzen des or-ganischen Lebens. Er engt ihn in gleicher Weise ein auf vereinzelte ko-mische Ereignisse, auf dieses oder jenes Verhalten, auf diese oder jenelachhafte Situation. Dagegen kümmert er sich nicht um die Gesamt-konstruktion einer Komödie, wie sie als ganze, dem Lachen zuliebe,gebaut ist. Er fragt also nirgends danach: Wie sieht der Anfangszu-stand aller Beteiligten aus? Und welche dramatische Handlung führtüber welche Zwischenstadien zu welchem Endzustand? Nicht zuletztverengt Bergson – das ist das bedenklichste Defizit seiner Theorie –auch Anlass und Grund, Art und Ziel des Lachens in der Komödieüberhaupt, wenn er all dies beschränkt aufs strafende Verlachen vonAbweichlern. Es spielt zwar mit in vielen Stücken, in manchen magsolch lachende Züchtigung sogar die Hauptsache der Veranstaltungsein. Insgesamt jedoch ist derart strafendes Lachen über derart sträf-liche Verhältnisse nur ein Teil des Gelächters, das die Bühne auslöst.Was aber ist der andere Teil?

Bachtin: Lachen als Befreiung. Dass es auch etwas andres seinkann als eine psychosoziale Züchtigung, ja sogar ihr genaues Gegen-teil, eine psychosoziale Befreiung, das erfährt man in Michail BachtinsAbhandlung über Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur(1965). Wie der Titel andeutet, gewinnt Bachtin seine Thesen aller-dings nicht aus der Untersuchung der Komödie, sondern aus der desRomans, speziell des voluminösen grotesken Erzählwerks Gargantuaund Pantagruel (1552 – 1564) von Rabelais. Vor allem aber stützt ersich – Volkskultur als Gegenkultur – auf Untersuchungen von folkloris-tischen Ereignissen im Mittelalter, speziell des ausgelassen gefeiertenKarnevals. Für Bachtin besteht seit alters her eine enge Verbindungzwischen karnevaleskem Exzess und komischer Literatur, die seit derFrühen Neuzeit immer mehr zu einem Denkmal verlorener oder ent-schärfter Festlichkeiten wird. Auch wenn er nicht eigens darauf eingeht,springt doch gerade die Nähe von Karneval und Theater ins Auge. Bei-

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des findet an festgelegten Orten zu festgelegten Terminen statt, ist alsoraumzeitlich begrenzt und zeigt dem Publikum Spektakelspiele mit of-fensichtlichen Verstellungen und Entstellungen. Aber selbst unabhän-gig von solchen Entsprechungen helfen uns Bachtins Befunde weiter.

Sinn und Zweck des kunstvoll erzeugten Lachens deutet Bachtinkonträr zu Bergson. Merkwürdigerweise. Immerhin steht für beide imZentrum: die Vitalität, das kollektive Leben, das sich lachend wehrtgegen Verletzungen, Knebelungen, Verstümmelungen des Elan vital.Bergson, wie gesagt, geht davon aus: Das lachende Kollektiv ist im Ein-klang mit dem grundsätzlich positiven Zustand der Gesamtgesellschaft.Lachhaft komisch erscheinen nur einzelne Abweichler, die sich mecha-nisch gebaren innerhalb eines durchaus harmonischen, sprich orga-nisch lebendigen Zusammenhangs. Bachtin dagegen geht davon aus:Der Gesamtzustand der Gesellschaft ist gerade nicht harmonisch. Ervergewaltigt vielmehr die Lebenslust der großen Mehrheit, ja letztlichsogar aller. Am deutlichsten mache sich das im Mittelalter bemerkbar.

Die Allmacht von Kirche und Feudalherrschaft, die strenge Hierar-chie der sozialen Ständeordnung, aber auch der religiösen Denk- undGlaubensordnung, sie unterdrücken, sagt Bachtin, die spontanenTriebe, sogar bei der Minderheit der Herrschenden. Diese Triebe aberwollen sich Luft machen. Ablesbar aus den Äußerungsformen desKarnevals, aus den grotesken Masken, den hemmungslosen Bräuchen,Tänzen und rituellen Handlungen. Im Übermaß lassen sie hochleben,was sonst verstümmelt und gedrosselt ist, jedenfalls aus der Öffent-lichkeit verbannt. Vor allem die im Alltag abgedrängten, hinwegstili-sierten, davonrationalisierten Regungen des Leibs: Geschlechtsakteund Geburtsakte, drastisches Essen und Trinken, aber auch alles, wasgemeinhin als unappetitlich und widerlich versteckt gehalten wird,also die Ausscheidungen des Körpers samt den einschlägigen Körper-teilen. Penis und Dickwanst, Brüste, Vulva und Afteröffnungen – ingrotesker Verzerrung werden diese Organe gefeiert als Konzentrat un-bändigen Lebens. Wobei die Groteske, laut Bachtin, sich sowohl alsAuslöser wie auch als Ausdrucksform eines kämpferischen Gelächterserweist, das in der befristeten Zeitspanne des Karnevals ankämpftgegen die Zwänge davor und danach. Es widersetze sich der Furcht

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vor der Herrschaft, die im Alltag regiert – und zwar so radikal, dassschließlich sogar die Furcht vor dem Tod verlacht werden könne. »Da-her besiegt das volkstümlich-festliche Lachen nicht nur die überirdi-schen Schrecken, die Angst vor dem Heiligen und dem Tod, sondernauch die Angst vor jeder Macht überhaupt, vor irdischen Herrschern,vor den Spitzen der sozialen Hierarchie und vor allem, was unter-drückt und begrenzt« (S. 142).

Widerspiel von Verlachen und Erlachen. Castelvetro, Bergson,Bachtin, so launisch verkoppelt dieses Trio erscheinen mag, es erleich-tert, der Vielfalt europäischer Komödien einen gemeinsamen Nennerabzulesen. Also ein Ensemble konstanter Merkmale, das überhaupterst erlaubt, die diversen Bühnenstücke als einheitliche Gattung zu be-greifen, welche von Fall zu Fall abgewandelt wird: epochal, nationalli-terarisch und individuell durch den jeweiligen Autor. Die angedeute-ten Theorien von Castelvetro aus dem sechzehnten Jahrhundert, vonBergson aus dem neunzehnten und von Bachtin aus dem zwanzigstenJahrhundert ermöglichen es, unsre schon vorgetragenen pauschalenBehauptungen anzureichern und zu differenzieren.

Die erste Behauptung hat gelautet: Belachte Komik entsteht durchEntstellung gewohnter Abläufe und Verhaltensweisen. Die Theater-kunst, die elementarer als andre Künste Wirklichkeit nachahmt durchschauspielerische Darstellung, ist mithin besonders berufen auchzu nachahmender Entstellung. Entstellt werden – laut Bergson undBachtin – die spontanen Regungen menschlicher Lebewesen. Und dieEntstellung prägt sich – laut Castelvetro – besonders dort nachdrück-lich ein, wo die Bühne einen Hergang der Täuschung vorführt. AnLeuten, die andre oder auch sich selber täuschen, die also komischeDiskrepanzen offenbaren zwischen einem wahren Sachverhalt unddessen falschem oder gefälschtem Anschein.

Hiermit kommen wir zur zweiten der anfänglichen Behauptungen.Auch sie lässt sich jetzt anreichern und differenzieren: dass Komik undTheater gleichermaßen gebunden sind an umweglose Anschauungvon Ereignissen hier und jetzt, ohne raumzeitlichen Abstand zwischenHerstellern und Empfängern. Trotz abweichender Folgerungen tref-fen sich die zitierten Theoretiker darin, dass sie Komik vor allem in

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körperlichen Irregularitäten erkennen. Ob ein Mensch sich oderandre täuscht durch Haltung, Mimik, Gestik, Verkleidung (so Cas-telvetro); ob er durch mechanisches Gebaren gegen die vertrautenorganischen Lebensbewegungen verstößt (so Bergson); ob er in kar-nevalistischer Turbulenz die vitalen Zeugungs-, Gebär-, Fress- undSauforgane grotesk auftrumpfen lässt (so Bachtin): Allemal entzündetsich Lachen am Körper, an seinem absonderlichen, ungewohnten Ver-hältnis zu sich selbst, zu Kleidern und Gegenständen, zu anderen Kör-pern, zum eigenen Geist. Und ebendieser Körper ist in keiner anderenKunst so greifbar und begreifbar wie auf der Bühne. Hier und nur hierbesteht ein unmittelbares Visavis zwischen den verkörpernden Schau-spielern und dem körperlich anwesenden Publikum.

Auch unsere dritte Behauptung lässt sich nun anreichern und diffe-renzieren: Das Lachen ist eine gesellige Regung, kaum wer lacht unbe-schwert für sich allein. Somit fördert Theater als öffentliche Veranstal-tung das Gelächter. Noch deutlicher als Castelvetro betonen Bergsonund Bachtin, dass und wie kollektiv und öffentlich gelacht wird. BeiBachtin zur Selbstbefreiung einer Mehrheit von gesellschaftlich Un-terdrückten. Bei Bergson zur Bestrafung der abweichenden Minder-heit durch die lachende Mehrheit, etwa nach Art des Prangers mittenauf dem bevölkerten Marktplatz einer alten Stadt. Castelvetro betontzudem, was das Publikum beim geselligen Lachen genießen kann: dieSouveränität derer, welche die Übersicht behalten, während die ko-misch Getäuschten dort auf der Bühne sich und einander in die Irreführen. Dabei wäre hinzuzufügen, dass dem belustigenden Vorgang,wie da Leute täuschen und getäuscht werden, auch unsre Alltagsspra-che eine körperlich-theatralische Bildersprache abgewinnt. An derNase herumführen, hinters Licht führen, ein Bein stellen, aufs Kreuzlegen: Diese Metaphern des Lügens und Betrügens weisen auf Umwe-gen abermals aufs A und O von leibhaftigen Körpern in der Komödie.

Zuletzt lässt sich auch unsre vierte Behauptung untermauern underweitern. Die Komödie, so hieß es, hat ihre eigenen Gegenstände undAufgaben. Komisch entstellend, rührt sie auf der Bühne die alltäg-lichen Erfahrungen und sozialen Verhältnisse des Publikums auf.Sein Lachen kann diese Erfahrungen aufrütteln und die Verhältnisse

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anfechten. Bergson und Bachtin, gerade wegen ihrer gegensätzlichenArgumentation, können uns helfen, diesen Sachverhalt präziser zu er-fassen. Bedenkt man ihre unterschiedlichen theoretischen Vorausset-zungen und Perspektiven, dann schließen hier Bergsons und dortBachtins Begründungen des kollektiven Lachens einander aus. Trotz-dem lassen sie sich fruchtbar zusammenbinden, ohne Verstöße gegenlogische Schlüssigkeit. Gehen doch ihre Begründungen aus von zwei-erlei Funktionen des Lachens, die sich – wider den ersten Anschein –durchaus ergänzen können. Das heißt, Lachen als Strafe und Korrek-tur (Bergson) kann sehr wohl zusammenwirken mit Lachen als Aus-druck von Vitalität und Kampfgeist (Bachtin). Gerade die Gegensätz-lichkeit der Funktionen und Wirkungen von Lachen, dort züchtigend,hier aufrührerisch, erzeugt eine produktive Spannung, die wesentlichzur Schlagkraft der Komödiengattung beiträgt. Formelhaft lässt sichdiese Spannung bezeichnen als Widerspiel von Verlachen und Er-lachen. Wie das?

Lebensfeindliche Verhältnisse und inhumanes Verhalten werdeneiner entstellenden Komik ausgesetzt, damit das Publikum sie ver-lacht. Genauer, damit es sie ad hoc aus dem gesellschaftlichen Verkehrhinauslacht. Derart lassen sich sowohl innere Hemmungen wie auchäußere Hindernisse beseitigen, die den lebensfreundlichen Verhältnis-sen und dem humanen Verhalten entgegenstehen. Die aber lassen sichherbeilachen im komödiantischen Aufscheinen einer schönen Uto-pie oder doch wenigstens einer Gegenwelt zur Welt der Regeln undZwänge. Solches Widerspiel von Erlachen und Verlachen fällt von Ko-mödie zu Komödie unterschiedlich aus. Gewiss, die Spannung – Zugum Druck – zwischen solchermaßen destruktivem und konstrukti-vem Gelächter ist kaum je völlig ausbalanciert, wirksam jedoch ist siein jedem Fall. Meistens dominiert Verlachen und lässt der erlachtenutopischen Aussicht nur wenig Raum. Doch auch dieses vorherr-schende Verlachen der schiefen Verhältnisse käme nicht in Gang ohneden Impuls eines noch so unscheinbaren Glücksverlangens. In die sel-tenere Gegenrichtung neigen manche Komödien von Aristophanesund Shakespeare. Sie lachen sich Utopisches herbei.

V. K. / R. M.