Europäische Bildungspolitik & Bildungssysteme · 2007-12-07 · Bildungspolitik der EG / EU 1....
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Europäische Bildungspolitik& Bildungssysteme
Univ. Doz. Dr. Gernot Stimmerhttp://homepage.univie.ac.at/gernot.stimmer/
Schwerpunkte
Bildungspolitik:
• EG / EU
• Europarat
• OECD
Bologna-Prozess
PISA-Studien
Bildungspolitik der EG / EU
Schwerpunkte
1. Forschungspolitik
2. allgemeine und berufliche Bildungspolitik
3. Kulturpolitik
4. Beteiligung an gesamteuropäischer und internationaler Bildungspolitik
keine trennscharfe inhaltliche Differenzierung
große Unterschiede in der Regelungsqualität:
• Gemeinschaftsrecht
• Intergubernementale Entscheidungen
• Zwischenstaatliche, völkerrechtliche Vereinbarungen
Bildungspolitik der EG / EU
1. Forschungspolitik
Rechtsstruktur
• Supranationale Konstituierung durch
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952
Europäische Atomgemeinschaft 1958
Vertrag von Venedig (EEA) 1987
Vertrag von Maastricht 1992
Vertrag von Amsterdam 1997
• Aktuelles Entscheidungsverfahren
Kodezisionsverfahren +
qualifizierte Mehrheit im MR
1. Forschungspolitik der EG/EU
Organisationsstruktur
• Euratom Versorgungsagentur
• Gemeinsame Forschungsstelle
1971: „Gemeinsames Forschungszentrum“ mit speziellen Instituten in fünf MST
1977: „Europäischen Technologiegemeinschaft“, Technologieinitiative Eureka
1. Forschungspolitik der EG/EU
Finanzierung
• ab 1974: Forschungsprogramme mit Kofinanzierung durch Unternehmen
• 1984: fünfjähriges Forschungsrahmenprogrammmit unterschiedlichen Finanzierungsmodi:
indirekt (Kofinanzierung)
konzertiert
horizontal
1. Forschungspolitik der EG/EU
Aktuelle Entwicklung
• 5. Forschungsrahmenprogramm 1998–2002
stärkere Ausrichtung auf ökonomisch-soziale Ziele der EU
Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU
Schaffung neuer Arbeitsplätze
• „Erklärung von Lissabon“ 2000:
Schaffung eines „Europäischen Forschungsraums“internationale Spitzenposition der EU bis 2010
• 6. Forschungsrahmenprogramm 2002-2008:
Budgetansatz + 17%
Bildung von „Exzellenznetzen“
1. Forschungspolitik der EG/EU
Zukunftsstrategien 2007-2013
• 7. Forschungsrahmenprogramm
Raumfahrtpolitik
Internationaler thermonuklearer Versuchsreaktor (ITER).
• Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation 2005
• das 2005 reformierte Lissabon-Konzept
Informations- und Kommunikationstechnologien
„Europäische Informationsgesellschaft 2010“
1. Forschungspolitik der EG/EU
Bildungspolitik der EG / EU
2. allgemeine und berufliche Bildungspolitik
Entwicklung
• Dogma rein nationalstaatlich-föderaler Bildungs- und Kulturhoheit
• Gründung der EWG
subsidiär-distributiver Funktionsbereich
ohne gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen
• Konkurrenz durch Europarat, als Vorläufer europäischer Bildungs-, Kultur- und Jugendpolitik
rein zwischenstaatlich
ohne finanzielle Umsetzungsmöglichkeiten
• Vergemeinschaftungsgrad differenziert in:
berufliche Bildung
allgemeine Bildung und Jugendbildung
2. Bildungspolitik der EG/EU
Berufliche Bildung
• gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen seit 1957
• Entscheidungsverfahren:
qualifiziertes Mehrheitsprinzip (Rat der Sozial und Arbeitsminister)
Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses
• Umsetzung durch spezielle Institute
Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung
Europäische Stiftung für Berufsausbildung
• inhaltliche Ausweitung durch EuGH
2. Bildungspolitik der EG/EU
Allgemeine Bildung und Jugendbildung
• gemischtes Verfahren ab 1957
Mehrheitsprinzip des MR der Sozialminister + Einstimmigkeit der im Rat vereinigten Bildungsminister
• Vertrag von Maastricht 1992
gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen für Sozialpolitik, allgemeine & berufliche Bildung, Jugend
• Vertrag von Amsterdam 1997
2. Bildungspolitik der EG/EU
Vertrag von Amsterdam
• Kodezisionsverfahren + Wirtschafts- und Sozialausschuss + Ausschuss der Regionen
• Ausklammerung nationalstaatlich geregelter Lehrinhalte und Bildungssysteme
• gemeinschaftsrechtliche Aufgabenbereiche
Harmonisierung von Berufs- und Bildungsabschlüssen sowie selbständiger Tätigkeiten in anderen MST
Aktionsprogramme zur Koordinierung nationaler Bildungspolitiken
Bündelung der Bildungs- und Ausbildungsprogramme
2. Bildungspolitik der EG/EU
Artikel 149/150Freiwilligendienst von
Jugendlichen
Kodezision des EP
Bildungsziele:
umfassender Zugang und ständige Fortbildung
Beschäftigungskapitel:
koordinierte Beschäftigungsstrategie
Ziele: Qualifizierung, Ausbildung, Flexibilität, Anpassungder Arbeitsmärkte an wirtschaftlichen Wandel
Quelle: Fabian, B. Europäische Berufs- und Weiterbildungspolitik. In Grundlagen der Weiterbildung1/98.
Vertrag von AmsterdamBildungsbereich
Bildungs- und Ausbildungsprogramme
ab 1994 in zwei Förderungsschienen:
• „Sokrates“
schulisch-universitärer
allgemein bildender Bereich
Beispiele: „Erasmus“, „Grundtvig“
• „Leonardo da Vinci“
gesamte Berufsbildung
2. Bildungspolitik der EG/EU
Austausch durch Erasmus 2004/2005
einreisende europäischeAustauschstudentInnen
ausreisendeAustauschstudentInnen
Quelle: http://www.work-out.org/wo36/europa/wo36_europa_erasmus.html
Perspektiven
• Umgewichtung aller Bildungsziele auf
Berufsbezogenheit
Beschäftigungspolitik
• Meilensteine
Vertrag von Amsterdam 1997
Deklaration von Lissabon März 2000
Reform Lissabon 2005:Bildungspolitik = Beschäftigungspolitik
2. Bildungspolitik der EG/EU
Quelle: www.allianz.com
Reformen 2007–2013
• Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens
Zusammenfassung Schule, Universität, Erwachsenenbildung, Berufsausbildung
ausgenommen: „Jugend in Aktion“
Wettbewerbssteigerung
• „Europäischer Qualifikationsrahmen für Mobilität“
• „Europäische Qualitätscharta“
• „Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen“
europäisches Technologieinstitut
Entscheidungsverfahren: „Offene Methode der Koordinierung“ = Abbau gemeinschaftsrechtlicher Regelungen
2. Bildungspolitik der EG/EU
Bildungspolitik der EG / EU
3. Kulturpolitik
Entwicklung
• Gründung der EWG: Kultur als Aufgabe von UNESCO & Europarat
• gemeinschaftsrechtliche Kulturpolitik
Urheberrecht
soziale Sicherung der Kulturschaffenden
Schutz des europäischen Kulturgutes
• vom „Marktbürger“ zur „Europäischen Bürgerschaft“
• Mittelfristige Leitlinien 1989–1992 für allgemeine und berufliche Bildung
Förderung von:
• „demokratischen Werten“
• „multikulturellen Merkmalen der Gemeinschaft“
• europäischem „staatsbürgerlichem Bewusstsein“
3. Kulturpolitik der EG/EU
Vergemeinschaftung
• Kulturkompetenzen der EU durch
Vertrag von Maastricht 1992
Vertrag von Amsterdam 1997
• gegensätzliche Leitziele:
Kulturverträglichkeitsklausel = Kultur als Querschnittsagenda für alle Politikfelder (Europäische Identität)
Subsidiaritätsprinzip = Priorität der kulturellen Autonomie der MST (kulturelle Vielfalt)
Beschränkung der gemeinschaftsrechtlichen kulturellen Außenvertretung gegenüber Drittstaaten & internationalen Organisationen
3. Kulturpolitik der EG/EU
Entscheidungsstruktur
gemischtes Verfahren zwischen:
• den EU Organen:Europäischer Rat - Leitlinien
Ministerrat und KO - teils Einstimmigkeit, teils Mehrstimmigkeitsprinzip
EP -• Kodezisionsverfahren
• Zustimmung zu finanziellen Förderungen nach einstimmigen Beschlüssen des MR & Anhörung des Ausschusses der Regionen
• den im Rat vereinigten Kulturministern Einstimmigkeitsprinzip
einzelstaatliche Zustimmung
3. Kulturpolitik der EG/EU
Finanzierung
• Budget der Generaldirektion Bildung und Kultur
• Mittel der Strukturfonds (1989–1993: 80%)
3. Kulturpolitik der EG/EU
Maßnahmen
• Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kulturindustrie
• Kulturförderung durch Rahmenprogramme
„Kultur 2000“ (Förderung von Einzelprojekten)
„Kultur 2007“ (bis 2013) (Schwerpunkt „Kulturbotschafter“ zur Vernetzung kultureller Einrichtungen)
„Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs“ 2008
„BürgerInnen für Europa“ (europäische Zivilgesellschaft)
„Kulturhauptstadt Europas“ (2005 -2018 Erweiterung auf je eine Stadt aus einem alten bzw. neuen MST)
3. Kulturpolitik der EG/EU
Bildungspolitik der EG / EU
Zusammenfassung
Perspektiven
unterschiedliche gemeinschaftliche Regelungen
• Forschung und Technologiestreng supranational
• Bildung und Ausbildungsupranational / intergubernemental
Umgewichtung zur beruflichen
• Kulturpolitikwirtschafts- und sozialpolitisch bzw. außenkulturell relevante Agenden: supranational
Förderungsaktivitäten: supranational / intergubernemental(+ Europarat)
Aktuelle Tendenzen
• „Ökonomisierung“ –Primat der Beschäftigungspolitik
• „politische Kultur“ - europäische Bürgerschaft
Charta der Grundrechte der EU
Charta zum Europa der Kultur
Bildungspolitik der OECD
Grundthesen
• Bildungspolitik der EG/EU (& der MST) durch internationale Entscheidungsträger beeinflusst
Internationaler Währungsfond
Weltbank
OECD
Aufgaben der Entscheidungsträger
• Strukturanpassungsprogramme für Dritte Welt-Länder & osteuropäische Transformationsstaaten ab 1989
Ziel: Anschluss an Industriestaaten, Wirtschaftlich-politische Stabilität
• Umgewichtung der Bildungsziele in Industriestaaten
transnationale arbeitsmarktpolitische Vorgaben
„marktfähiges Humankapital“
globaler entstaatlichter Bildungsmarkt
Ideologie der Entscheidungsträger
• Theorie der makroökonomischen Wachstumstheorie basierend auf 3 Faktoren:
Strukturanpassung
Humankapital
Beschäftigung
Strukturanpassung
• Ausgangsprämissen
Informationsgestützte Weltwirtschaft
quantitative und qualitative Steigerung staatlicher Bildungsinvestitionen vs. Rückgang der allgemeinen öffentlichen Ausgaben
Strukturanpassung
• Methoden
Dezentralisierung + Privatisierung gemeinwirtschaftlicher Bildungseinrichtungen
= erwerbswirtschaftliche Unternehmensführung
= Gewinnmaximierung
Beispiel: Finanzierung von Bildungseinrichtungen im Primär/ Sekundär/ Tertiärbereich
öffentliche vs. private Finanzierung
* Keine Daten verfügbar
6 94 -100 Schweden
8 92 24 76 Deutschland
16 84 -100 Italien
16 84 7 93 Frankreich
20 80 8 92 Ungarn
24 76 13 87 Spanien
28 72 * * Vereinigtes Königreich
30 70 12 88 Tschechien
Privat Öffentlich Privat Öffentlich
Tertiärbereich Primar- und Sekundarbereich
Verteilung in % nach öffentlicher und privater Herkunft der Mittel für Bildungseinrichtungen nach (endgültige Mittel) Transferzahlungen zwischen
öffentlichen und privaten Quellen im Jahr 1995 (OECD 1998b, S. 102)
Quelle: Weber, Peter J. (2000) Supranationale Organisationen als Protagonisten eines globalen und entstaatlichtenBildungsmarkts in Europa. http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Materialien/Weber.htm
Strukturanpassung
• Tendenz
Steigerung der Investitionen im Sekundär & Tertiärbereich = Schlüssel für Wirtschaftswachstum
zunehmende Privatfinanzierung (Univ., Hochschulen)
langfristig: Zweiteilung von Bildung
• Privatfinanzierung des Tertiärbereichs
• staatliche Grundfinanzierung des Pflichtschulbereichs
Humankapital
• Ziel
Förderung von flexiblem Humankapital durch
• Finanzielle bzw. nicht monetäre Steuerung
• Transfer und Transformation von Wissen
• Kostennutzen Rechnung
• Rendite-Berechnung
Rendite von Bildungsinvestitionen
* Keine Daten verfügbar
6,5 * * Ungarn
6,4 * * Spanien
6,0 9,6 5,6 Deutschland
4,8 7,2 10,0 Italien
9,0 6,7 10,4 Schweden
6,7 13,4 14,1 Frankreich
* 7,9 17,9 Tschechien
* 15,9 16,7 Vereinigtes Königreich
5,7 27,8 32,8 Portugal
Anteilige öffentliche und private Bildungsausgaben in % am
Bruttoinlandsprodukt im Jahr 1994 (OECD 1998a, S. 37)
Jährliche Rendite in % des in Bildung investierten Kapitals im Jahr 1995
(OECD 1998a, S. 71)– Mittelwerte für Frauen und Männer –
Sekundarstufe II Universität
Quelle: Weber, Peter J. (2000) Supranationale Organisationen als Protagonisten eines globalen und entstaatlichtenBildungsmarkts in Europa. http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Materialien/Weber.htm
Humankapital
• Fazit
Bildungsausgaben korrespondieren nicht mit Rendite
hohe Rendite in Ländern mit frühzeitiger OECD Ausrichtung (Portugal, Ungarn)
OECD = Trägerin des Paradigmenwechsels zu rein leistungsbezogener und monetär bewerteter Bildung
Beschäftigung
• ab 1994: Ansätze einer Beschäftigungspolitik der EU
• Umgewichtung der Bildungspolitik auf Arbeitsmarktpolitik
• Grundaxiom: Optimierung von Bildung und Beschäftigung
Europäische „Bildungsintegration“
allgemeine und berufliche Bildungspolitik Beschäftigungsstrategie
Art 126 & 127Vertrag von Maastricht
Weißbuch (1995) zur
allgemeinen und
beruflichen Bildung
Bildungs-programmeSokrates, Leonardo, Jugend & Tempus
Art 125 bis 130
Vertrag von Amsterdam
Weißbuch (1993)
Wachstum, Wettbewerbs-
fähigkeit, Beschäft-
igung
Luxemburger Prozeß(1997):
managementby objective
Vertrag zur Europäischen Union: Art. 3b
Beschäftigung
• Luxemburger Prozess
= Strategiewechsel von supranationaler Regulierung (Verordnungen) zur Methode der offenen Koordinierung mit
• quantifizierbaren Zielabsprachen
• nationalstaatlichen Aktionsplänen
• multilateraler Kontrolle
Perspektiven
• transnationale Steuerung durch internationale Akteure, insbes. OECD (mittels CERI & PISA-Studien)
• Wohlstandsmaximierung
• global verwendbare Bildungsabnehmer
• Entstaatlichung von Bildung: Zweiklassen-BildungsgesellschaftAllgemeinausbildung für Mindestanforderungen für alle (Staat)
qualifizierte Elitenausbildung für zahlungsfähige Minderheit (globaler Markt)
• nicht arbeitsmarktorientierte, nicht monetarisierbare Bildung ist ohne Markt
• Grundsätzliche Alternative:Bildung als Produktionsfaktor vs. Bildung zur Schaffung kritischer Öffentlichkeit
Quelle: Eurydice
Ziele des Bologna-Prozesses
Fragen an die interessierte LeserInnen
• Wie erklärt sich die unterschiedliche gemeinschaftsrechtliche Kompetenzzuteilung in den Bereichen Bildung, Forschung und Kultur?
• Lässt sich eine zukünftige supranationale Gesamtkompetenz für diese Bereiche vorstellen?
• Welcher reale Stellenwert kommt den die aktuelle Diskussion dominierenden Schlagworten wie „Lissabon-Strategie“ oder „Bologna-Prozess“ zu?
Weiterführende Literatur
• Beckmann/Gedak, Kultur und die Fonds für Strukturentwicklung der Europäischen Union (2006)
• Quenzel, Konstruktionen von Europa. Die europäische Identität und die Kulturpolitik der Europäischen Union (2005)
• Maaß, Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis (2005)
• Dion, The Lisbon Process: an European Odyssey, in European Journal of Education 40/38 (2005)
• Thiele, Die Bildungspolitik der Europäischen Gemeinschaft. Chancen und Versäumnisse der EG-Bildungspolitik zur Entwicklung des Europas der Bürger (2000)