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83 Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ... Empirische Sonderpädagogik, 2011, Nr. 2, S. 83-104 Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten bei hörgeschädigten Kindern. Eine explorative Studie mit Schülern einer schulischen Einrichtung für Hörgeschädigte Manfred Hintermair, Andrea Schenk, Klaus Sarimski Pädagogische Hochschule Heidelberg Hörgeschädigte Kinder sind aufgrund ihrer eingeschränkten auditiven Wahrnehmung in vielfältiger Weise gefährdet in ihrer sprachlichen, kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung. In der vorlie- genden Studie werden sozial-emotionale Auffälligkeiten hörgeschädigter Kinder im Schulalter im Zu- sammenhang mit möglichen Problemen in der Entwicklung exekutiver Funktionen sowie der kom- munikativen Kompetenz diskutiert. Eine Stichprobe von 145 Schülern wurde von ihren Lehrkräften mit einer deutschen Version des „Behavior Rating Inventory of Executive Functions (BRIEF-D)“, ei- ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine deutlich erhöhte Rate an Auffällig- keiten in allen Skalen des BRIEF sowie bedeutsame Zusammenhänge mit den Skalen des SDQ-D. Eine Pfadanalyse macht den hohen Stellenwert von exekutiven Funktionen, kommunikativer Kom- petenz und Geschlecht zur Erklärung sozial-emotionalen Verhaltens deutlich. Ergänzende Hinweise ergeben sich aus der Einbeziehung soziodemographischer und behinderungsspezifischer Merkma- le. Die Ergebnisse werden in ihren Konsequenzen für die pädagogische Praxis diskutiert. Eine geziel- te Fokussierung auf Kompetenzen wie Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle in der Förderung der Kinder ergänzend zur Erweiterung sprachlicher Fähigkeiten ist dringend geboten. Schlüsselwörter: Hörgeschädigte Kinder, Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenzen, Ver- haltensauffälligkeiten Executive Functioning, Communicative Competence and Behavior Disorders in Deaf and Hard-of-Hearing Students Because of restricted auditory perception many deaf and hard of hearing (D/HH) students are jeop- ardized in a manifold manner for their linguistic, cognitive and socio-emotional development. In this study socio-emotional problems of D/HH school-aged students are discussed in the context of ex- ecutive functioning and communicative competence. Executive functions were assessed for a sam- ple of 145 students by their teachers with a German version of „Behavior Rating Inventory of Exec- utive Functions (BRIEF-D)“. In addition a questionnaire measuring communicative competence was administered as well as a questionnaire on socio-emotional problems (German version of the Strengths and Difficulties Questionnaire; SDQ-D). The results show a significantly higher rate of problems in developing executive functions for all scales, and significant relationships of the BRIEF scales with the SDQ-D scales. Path analysis reveals the important contributions of executive func- tions, communicative competence and sex for socio-emotional problems. Additional information is drawn from analyzing sociodemographic and deaf related characteristics. The relevance of the find- ings for pedagogical work is discussed. A specific focus on competencies like self-efficacy or self-

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Empirische Sonderpädagogik, 2011, Nr. 2, S. 83-104

Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz undVerhaltensauffälligkeiten bei hörgeschädigten Kindern.Eine explorative Studie mit Schülern einer schulischenEinrichtung für HörgeschädigteManfred Hintermair, Andrea Schenk, Klaus Sarimski

Pädagogische Hochschule Heidelberg

Hörgeschädigte Kinder sind aufgrund ihrer eingeschränkten auditiven Wahrnehmung in vielfältigerWeise gefährdet in ihrer sprachlichen, kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung. In der vorlie-genden Studie werden sozial-emotionale Auffälligkeiten hörgeschädigter Kinder im Schulalter im Zu-sammenhang mit möglichen Problemen in der Entwicklung exekutiver Funktionen sowie der kom-munikativen Kompetenz diskutiert. Eine Stichprobe von 145 Schülern wurde von ihren Lehrkräftenmit einer deutschen Version des „Behavior Rating Inventory of Executive Functions (BRIEF-D)“, ei-ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and DifficultiesQuestionnaire (SDQ-D) untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine deutlich erhöhte Rate an Auffällig-keiten in allen Skalen des BRIEF sowie bedeutsame Zusammenhänge mit den Skalen des SDQ-D.Eine Pfadanalyse macht den hohen Stellenwert von exekutiven Funktionen, kommunikativer Kom-petenz und Geschlecht zur Erklärung sozial-emotionalen Verhaltens deutlich. Ergänzende Hinweiseergeben sich aus der Einbeziehung soziodemographischer und behinderungsspezifischer Merkma-le. Die Ergebnisse werden in ihren Konsequenzen für die pädagogische Praxis diskutiert. Eine geziel-te Fokussierung auf Kompetenzen wie Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle in der Förderung derKinder ergänzend zur Erweiterung sprachlicher Fähigkeiten ist dringend geboten.

Schlüsselwörter: Hörgeschädigte Kinder, Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenzen, Ver-haltensauffälligkeiten

Executive Functioning, Communicative Competence and Behavior Disorders in Deaf and Hard-of-Hearing Students

Because of restricted auditory perception many deaf and hard of hearing (D/HH) students are jeop-ardized in a manifold manner for their linguistic, cognitive and socio-emotional development. In thisstudy socio-emotional problems of D/HH school-aged students are discussed in the context of ex-ecutive functioning and communicative competence. Executive functions were assessed for a sam-ple of 145 students by their teachers with a German version of „Behavior Rating Inventory of Exec-utive Functions (BRIEF-D)“. In addition a questionnaire measuring communicative competence wasadministered as well as a questionnaire on socio-emotional problems (German version of theStrengths and Difficulties Questionnaire; SDQ-D). The results show a significantly higher rate ofproblems in developing executive functions for all scales, and significant relationships of the BRIEFscales with the SDQ-D scales. Path analysis reveals the important contributions of executive func-tions, communicative competence and sex for socio-emotional problems. Additional information isdrawn from analyzing sociodemographic and deaf related characteristics. The relevance of the find-ings for pedagogical work is discussed. A specific focus on competencies like self-efficacy or self-

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Zahlreiche Studien zur Entwicklungssituationhörgeschädigter Kinder zeigen auf, dass die-se Kinder besonderen Entwicklungsrisikenausgesetzt sind. So liegen Befunde aus derKognitionsforschung (Hintermair & Mar-schark, 2008; Marschark & Hauser, 2008),zur (Schrift)Sprachentwicklung (Blamey,2003; Paul, 2003) oder zur sozial-emotiona-len Entwicklung (Calderon & Greenberg,2003) vor, die deutlich machen, dass durcheine Einschränkung in der auditiven Wahr-nehmung zahlreiche Prozesse beeinflusstwerden, die für eine effektive interaktiveWelterschließung bedeutsam sind. Green-berg und Kuschè (1998) fassen das kompaktzusammen, wenn sie schreiben, dass vielehörgeschädigte Kinder spezifische Erfahrun-gen in ihrer Entwicklung machen (einge-schränkte kommunikative Erfahrungen,Schwierigkeiten in ihren Familien, nicht ange-messene Bildungsangebote, Vorurteile etc.),die sich nachteilig auswirken: “As a result, asignificant portion of deaf persons show de-velopmental misintegration of language, co-gnition, and affect” (1998, S. 49). In diesemZusammenhang stellt sich die Frage, inwie-weit auch die Ausbildung sog. exekutiverFunktionen, die in den letzten Jahren im Zu-sammenhang mit Fragen der kindlichen Ent-wicklung zunehmend an Bedeutung gewon-nen haben, durch eine Hörschädigung be-troffen sein kann und welche Konsequenzendies für die kindliche Entwicklung habenkann.

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Exekutive Funktionen

Exekutive Funktionen stehen als Sammelbe-griff für Regulations- und Kontrollmechanis-men, die wichtig sind, damit Menschen ziel-und situationsorientiert handeln können(Drechsler, 2007, S. 233). Sie werden um-schrieben als mentale Prozesse höherer Ord-nung, die immer dann von Bedeutung sind,wenn Handlungen geplant oder Ziele bzw.Absichten über mehrere Schritte hinweg ver-folgt und auf ihr Gelingen hin überprüft wer-den (Konrad, 2007, S. 300). Diese Fähigkei-ten sind besonders relevant, wenn wir aufneue oder nicht erwartete Situationen treffenund somit zur Realisierung neuer Reaktions-muster aufgefordert sind (Goschke, 2006).Bei den meisten Autoren besteht heute dieAuffassung, „dass unter ‚exekutiven Funktio-nen’ verschiedene, unabhängige Prozesse zuverstehen sind, die selektiv gestört sein kön-nen“ (Drechsler, 2007, S. 234). Dazu gehörtdie Fähigkeit, Problemlöseprozesse zu initiie-ren, ablenkende Reize oder Handlungen inihrer Wirksamkeit zu hemmen, relevanteHandlungsziele auszuwählen, komplexe Pro-blemlöseprozesse zu organisieren, Lösungs-strategien flexibel anzupassen, das eigeneVorgehen laufend zu beobachten und seinenErfolg zu bewerten. Auch das sogenannte„Arbeitsgedächtnis“, in dem Informationenaktiv verfügbar gehalten werden im Diensteeines mehrschrittigen Problemlöseprozesses,wird als Komponente den exekutiven Funk-tionen zugeordnet (a.a.O, S. 236). Unterstüt-zung für die o.g. Position, dass exekutiveFunktionen voneinander unabhängige Pro-zesse sind, lässt sich aus neueren neuroana-tomischen Forschungserkenntnissen ziehen,

control in educational concepts for D/HH students seems to be necessary in addition to extendinglanguage competencies.

Keywords: hard-of-hearing students, executive functioning, communicative competence, behaviordisorders

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die durch bildgebende Verfahren möglich ge-worden sind: Nachdem zunächst exekutiveFunktionen vor allem im Zusammenhang mitReifungsprozessen im frontalen Cortex disku-tiert wurden, geht man heute davon aus,„dass eher ein ausgedehntes Netzwerk vonsowohl kortikalen als auch subkortikalenKomponenten für diese höheren mentalenProzesse verantwortlich ist“ (Konrad, 2007, S.302).

Erfassung exekutiver FunktionenZur Erfassung exekutiver Funktionen stehenzwei grundlegende Möglichkeiten zur Verfü-gung. Eine Möglichkeit sieht vor, Aufgabenzusammenzustellen, die die Probanden vorneue Probleme stellen, d.h. die ihnen aus ih-rem Alltag nicht geläufig sind und somit nichtdurch bereits automatisierte Abläufe gelöstwerden können. Dazu gehören z.B. Interfe-renzaufgaben (z.B. Stroop-Test), bei denendie Kinder die Instruktion erhalten, visuelleReize nach einer bestimmten Regel zu be-nennen, die dem ersten Sinneseindruck wi-derspricht. Weiter sog. Go-No-Go-Aufgaben,bei denen sie die Instruktion erhalten, nurdann auf einen bestimmten Zielreiz zu rea-gieren, wenn ihm kein Stop-Signal voraus-geht, oder Planungsaufgaben: Hier wird z.B.die Tower-of-Hanoi- bzw. London-Aufgabedurchgeführt, bei der Scheiben unterschiedli-cher Größe mit der geringstmöglichen Zahlan Zügen von einem Ort zu einem anderenumgestapelt werden sollen. Eine andere ana-loge Aufgabenstellung sind die 20-Fragen-Aufgaben, bei denen ein Begriff mit der ge-ringstmöglichen Zahl von Fragen systema-tisch erraten werden muss. Die andere Mög-lichkeit, exekutive Funktionen zu erfassen,besteht darin, über Verhaltensinventaredurch Befragung von Eltern, Lehrkräften oderauch den Schülern selbst entsprechende In-formationen zu bekommen (z.B. zum Ar-beitsgedächtnis, zur emotionalen Kontrolle,

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zur Problemlösungskapazität etc.). Aus demamerikanischen Sprachraum stehen hierfürdie BRIEF-Skalen zur Verfügung (Behavior Ra-ting Inventory of Executive Functions: Goia,Isquith, Guy & Kenworthy, 2000), die für ver-schiedene Altersgruppen vorliegen (Vorschul-kinder: BRIEF-P, Schulkinder: BRIEF, Erwach-sene: BRIEF-A). Erste Erfahrungen zur diffe-renziellen Validität einer deutschen Fassungliegen für das Vorschulalter vor. Eine Studievon Korella, Spanofsky & Sarimski (2011) be-legt Unterschiede in der Entwicklung vonexekutiven Funktionen bei lern- und sprach-behinderten Kindern im Vergleich zu Kindernmit unbeeinträchtigter Entwicklung.

Erfassung exekutiver Funktionen bei hörgeschädigten KindernEinige Studien, bei denen exekutive Funktio-nen in experimentellen Aufgaben beurteiltwurden, sprechen für systematische Unter-schiede zwischen hörgeschädigten und hö-renden Kindern. So fanden z.B. Marscharkund Everhart (1999) in einer 20-Fragen-Auf-gabe sowie Luckner und McNeill (1994) ineiner Tower-of-Hanoi-Aufgabe jeweils signifi-kante Unterschiede in den Leistungen vonhörgeschädigten und hörenden Kindern imSchulalter. Die hörgeschädigten Kinder hat-ten jeweils deutlich mehr Schwierigkeiten,die gestellte Problemaufgabe zu lösen. Mit-chell und Quittner (1996) fanden, dass hör-geschädigte Schulkinder bei Gedächtnisauf-gaben, die eine Steuerung der Aufmerksam-keit erfordern, signifikant schlechter abschnit-ten als die hörende Kontrollgruppe. Dye,Hauser & Bavilier (2008) zeigen in einerÜbersichtsarbeit auf, dass die häufig bei ge-hörlosen Kindern beschriebenen Verhaltens-merkmale wie Impulsivität, Ablenkbarkeitetc. bei Problemlöseaufgaben mit der stärke-ren visuellen Orientierung gehörloser (v.a.gebärdensprachbenutzender) Menschen und

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deren oft nicht adäquaten Berücksichtigungbei der Testung zu tun haben.

Auch in Studien, bei denen Fragebögeneingesetzt wurden, zeigten sich Unterschie-de zwischen hörenden und hörgeschädigtenKindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Rhi-ne (2002) fand beim Vergleich von gehörlo-sen und hörenden Schulkindern in einigenSkalen des BRIEF-Fragebogens (Hemmung,Umstellungsfähigkeit, Arbeitsgedächtnis) sig-nifikante Unterschiede zu Ungunsten der ge-hörlosen Kinder. Die gleiche Autorin (Rhine-Kalbeck 2004) untersuchte in einer weiterenStudie den Zusammenhang von exekutivenFunktionen, Sprache und sozialen Fertigkei-ten bei einer Gruppe von gehörlosen Kin-dern im Alter zwischen 6 und 14 Jahren undfand u.a., dass die Sprachentwicklung sich alssignifikanter Prädiktor für die exekutivenKompetenzen erwies. Gleichzeitig korrelier-ten die Werte der BRIEF-Skalen mit den so-zialen Kompetenzen der Kinder. Eine aktuel-le Studie von Pisoni, Conway, Kronenberger,Henning & Anaya (2010) mit einer Gruppevon 19 5- bis 10-jährigen Kindern mit einemCochlea-Implantat und 30 hörenden Kindernim Alter zwischen 5 und 8 Jahren zeigt eben-falls signifikante Unterschiede zu Ungunstender CI-Kinder in fünf der acht BRIEF-Skalen.Hartshorne, Nicholas, Grialou & Russ (2007)dokumentierten mit den gleichen Skalen De-fizite in den exekutiven Funktionen bei Kin-dern mit CHARGE-Syndrom, einer Gruppevon Kindern mit einer Kombination von Hör-und Sehschädigung. In einer Studie vonOberg (2007) zeigten die gehörlosen Kindergehörloser Eltern bessere BRIEF-Werte als dieGruppe gehörloser Kinder mit hörenden El-tern, wobei unklar bleibt, inwieweit hierfürdie sprachlichen Fähigkeiten der Kinder ver-antwortlich sind oder die Tatsache, dass inder Gruppe der gehörlosen Kinder mit hören-den Eltern vermehrt Kinder mit anderen Ursa-chen für die Hörschädigung (unbekannt,oder peri- bzw. postnatal) zu finden sind (vgl.auch Rehkemper, 2007).

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Exekutive Funktionen undsprachlich-kommunikative FähigkeitenObgleich die genannten Studien unterschied-liche methodische Zugänge zur Beurteilungexekutiver Funktionen verwendeten, deutensie doch alle auf mögliche Zusammenhängezwischen Hörfähigkeit, sprachlichen Kompe-tenzen und der Ausbildung exekutiver Funk-tionen hin. Sie lassen sich als Hinweise aufdie Bedeutung interner Sprache für dieSelbstregulation deuten. In der Tradition derkulturhistorischen Schule (Wygotsky, Luria,Leontjew) wird für die Aneignung der Weltdurch aktive Tätigkeit des Kindes die innereSprache als bedeutsamstes Mittel gesehen.Sie bildet sich aus der von außen an das Kindgerichteten Sprache aus und wird mit zuneh-mendem Alter zum zentralen handlungssteu-ernden und welterschließenden Werkzeug.Es ist daher anzunehmen, dass eine Entwick-lungsbeeinträchtigung der Sprache bzw. derkommunikativen Kompetenz in Folge einerHörschädigung auch Einschränkungen in derEntwicklung von exekutiven Funktionen mitsich bringt. Figueras, Edwards & Langdon(2008) konnten z.B. zeigen, dass die Unter-schiede zwischen der Leistung hörender undhörgeschädigter Kinder bei unterschiedlichenAufgaben zur Beurteilung exekutiver Funktio-nen (gemessen mit standardisierten Testauf-gaben aus dem NEPSY-Test (DevelopmentalNEuroPSYchological Assessment, Korkman,Kirk, U. & Fellman, 1998) zu einem beträcht-lichen Teil durch die Unterschiede in densprachlichen Fähigkeiten der untersuchtenKinder (gemessen mit den Reynell-Sprachent-wicklungsskalen, Edwards, Fletcher, Garman,Hughes, Letts & Sinka, 1997) bedingt waren.Remine, Care & Brown (2008) kamen zu ähn-lichen Ergebnissen bei der Verwendung einer20-Fragen- und einer Tower-of-Hanoi-Aufga-be.

Eine aktuelle Studie von Barker et al.(2009) mit 116 hörgeschädigten Kleinkin-dern im Alter zwischen 1.6 und 5 Jahren

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konnte mit einem pfadanalytischen Vorgehensignifikante Zusammenhänge zwischen densprachlichen Fähigkeiten der Kinder, ihrenAufmerksamkeits- und Handlungssteuerungs-kompetenzen und dem sozial-emotionalenVerhalten der Kinder aufzeigen. Dabei zeig-ten die sprachlichen Leistungen sowohl direk-te Effekte auf die sozial-emotionalen Proble-me der Kinder als auch indirekte Effekte überdie Aufmerksamkeits- und Handlungssteue-rungskompetenzen der Kinder.

Defizite in exekutiven Funktionen könnenauch mit Prozessen sozialer Kognition assozi-iert sein. In diesem Zusammenhang werdenexekutive Funktionen bei hörgeschädigtenKindern auch in Verbindung mit der Entwick-lung der „Theory of Mind (ToM)“ diskutiert.ToM meint die Fähigkeit, sich in die Situationanderer Personen hineinzuversetzen und zurKenntnis nehmen zu können, dass die eigenePerspektive nicht auch die der anderen seinmuss. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist as-soziiert mit der Qualität sprachlich-kommuni-kativer Austauschprozesse zwischen demKind und Personen seines Umfelds. Spencer(2010) bestätigt in ihrer aktuellen Zusam-menfassung von vorliegenden Studien zuToM bei hörgeschädigten Kindern diese Auf-fassung: Hörgeschädigte Kinder haben dannProbleme, eine solche Perspektivenübernah-me vorzunehmen, wenn ihnen ein früher unddifferenzierter Zugang zur Sprache er-schwert wird.

Kindliche Verhaltens-auffälligkeiten und HörschädigungEs liegt die Vermutung nahe, dass die Ausbil-dung von exekutiven Funktionen auch direk-te Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Verhal-tenskontrolle in sozialen Situationen habenkann. Zur Prävalenz von psychischen Auffäl-ligkeiten von Kindern mit einer Hörschädi-gung liegen zahlreiche Studien vor (vgl. zu-sammenfassend Hintermair, 2005; Sarimski,

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2005). Unter Bezugnahme auf aktuelle Studi-en zeigen sich im Vergleich zu gut hörendenKindern in den meisten Arbeiten dabei signi-fikant erhöhte Raten von Verhaltensauffällig-keiten in fast allen relevanten Bereichen. Stu-dien aus Deutschland von Burger & Schmidt-Haupt (2009) und Hintermair (2006a) sowieErgebnisse aus Österreich, den Niederlandenund Dänemark (Cheers-Studie, 2008; van El-dik, Treffers, Veerman & Verhulst, 2004,Dammeyer, 2010; Mejstad, Heiling & Svedin,2008/2009; van Gent, Goedhart, Hindley,Treffers & Philip, 2007) zeigen beim Ver-gleich der Gesamtproblemwerte desStrengths and Difficulties Questionnaire(SDQ-D, Goodman, 1997) oder der Child Be-havior Check List (CBCL, ArbeitsgruppeDeutsche Child Behavior Checklist, 1998) re-lativ übereinstimmend bei Schülern von Hör-geschädigtenschulen eine ca. 2.6-fache Erhö-hung von auffälligen Befunden bei hörge-schädigten Kindern. Eine nahezu vollständigeErhebung an einer deutschen sozialen Brenn-punktschule mit der Lehrerversion des SDQ-D (Hintermair, 2007) ergab erwartungsge-mäß eine nochmals erhöhte Prävalenz imVergleich zur englischen Normierungsstich-probe um den Faktor 3.0. Dammeyer fand aneiner Stichprobe von 334 dänischen Kindernmit einer peripheren Hörschädigung eine3.7-fache Erhöhung der Prävalenz, wobei dieGruppe der hörgeschädigten Kinder mit ei-ner zusätzlichen Behinderung besondersdeutlich betroffen war. Studien mit hörge-schädigten Schülern an allgemeinen Schulenzeigen insgesamt niedrigere Prävalenzwerte(Berger, Danzeisen, Hintermair, Luik & Ulrich,2011; Cheers-Studie, 2008; van Eldik, 2005;van Gent et al., 2007).

Zum möglichen Zusammenhang von exe-kutiven Funktionen und Verhaltensauffällig-keiten bei hörgeschädigten Kindern liegen fürden deutschen Sprachraum die Ergebnisse ei-ner Pilot-Studie mit dem BRIEF-P an 46 hörge-schädigten Kindern im Vorschulalter vor, vondenen 38 Kinder einen Kindergarten für Hör-geschädigte und acht Kinder einen integrati-

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ven Kindergarten besuchten (Piskora, Sarims-ki & Hintermair, 2010). Dabei zeigte sich,dass sich in der Stichprobe der hörgeschädig-ten Kinder im Vergleich mit der amerikani-schen Normierungsstichprobe in allen fünfSkalen des BRIEF-P deutlich mehr Kinder miteinem auffälligen Wert (T > 65) befandenund dass zwischen den exekutiven Skalenund den Skalen des SDQ-D nahezu durchge-hend signifikante Zusammenhänge zu beob-achten waren: Kinder mit Problemen in denexekutiven Funktionen zeigten mehr Verhal-tensauffälligkeiten, ein höheres Maß an Hy-peraktivität, hatten mehr Probleme mitGleichaltrigen und zeigten weniger prosozia-les Verhalten. Kinder, die Schwierigkeiten hat-ten, ihre Affekte zu kontrollieren und sichschnell auf neue Situationen einzustellen, so-wie Probleme mit dem Arbeitsgedächtnishatten, zeigten mehr emotionale Problemeim SDQ.

Zielsetzung der Studie

In der vorliegenden Studie soll an einer Stich-probe von hörgeschädigten Kindern imSchulalter die Bedeutung exekutiver Funktio-nen für die sozial-emotionale Entwicklungüberprüft werden, da hierzu für den deutsch-sprachigen Raum bislang keine Studien vor-liegen.

Zentrale Fragestellung dabei ist, ob sichhörgeschädigte Kinder in ihren exekutivenFunktionen von hörenden Kindern einer Nor-mierungsstichprobe unterscheiden und wel-che Zusammenhänge zwischen exekutivenFunktionen, kommunikativer Kompetenz undsozial-emotionalen Auffälligkeiten bestehen.

Dabei wird auf der Basis des verfügbarenWissens um die Auswirkungen einer Hör-schädigung angenommen, dass hörgeschä-digte Kinder mehr Probleme aufweisen, al-tersgemäße Regulations- und Kontrollfunk-tionen für ihre Handlungsplanung zu entwi-ckeln.

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Weiter wird angenommen, dass schwä-cher ausgebildete exekutive Funktionen beihörgeschädigten Kindern dazu führen, dassdie Entwicklung von Verhaltensauffälligkeitenbegünstigt wird.

Ebenso ist auch davon auszugehen, dassdiese Zusammenhänge vom Grad der kom-munikativen Kompetenz der Kinder mitbe-stimmt werden.

Diese Zusammenhänge sollen u.a. auchmit einem pfadanalytischen Vorgehen über-prüft werden, wobei ergänzend explorativdie Relevanz zusätzlicher soziodemographi-scher Variablen analysiert wird.

Verschiedene soziodemographische so-wie hörbehinderungsspezifische Merkmalesollen auf ihren möglichen Stellenwert für dieAusprägung exekutiver Funktionen im Kon-text von Hörschädigung überprüft werden.Vor allem die Rolle des kindlichen Hörstatussowie einer zusätzlichen Beeinträchtigunggilt es zu überprüfen, da diesen Merkmalenhäufig Bedeutung zugeschrieben wird, wennes um Probleme der interaktiven Welter-schließung im Kontext einer Hörschädigunggeht (Dammeyer, 2010; Sinkkonen, 1994).

MethodeStichprobe

Tabelle 1 zeigt die Zusammensetzung derStichprobe anhand relevanter soziodemogra-phischer und behinderungsspezifischerMerkmale. Etwa ein Drittel der Schüler hateinen Migrationshintergrund, davon sindknapp 55% der Kinder türkischer Herkunft,21.6% kommen aus Ländern des früherenOstblocks. Die Verteilung des Hörstatus derKinder zeigt eine in etwa gleiche Verteilungüber die Hörgrade mit einem bei einer Schu-le für Hörgeschädigte zu erwartendenSchwerpunkt bei den Kindern mit hochgradi-gen Hörschädigungen. Ein Cochlea-Implantattragen knapp 30% der Kinder, diese Kindersind ebenfalls erwartungsgemäß nahezu alle

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Tab. 1: Demographische Informationen zur Stichprobe (N = 145)

Variable Ausprägung N %

Geschlecht JungenMädchen

8659

59.340.7

Alter (Median = 13.2, M = 12.8, SD = 3.3)

5-6 Jahre7-8 Jahre9-13 Jahre14-18 Jahre

2216161

1.414.542.142.1

Migrationshintergrund janeinfehlende Angaben

51931

35.264.10.7

Hörstatus 10-39 dB40-69 dB70-89 dB90-120 dB

27373051

18.625.520.735.2

Ursache der Hörschädigung genetischerworbennicht bekannt

372088

25.513.860.7

Cochlea-Implantat janein

43102

29.770.3

Zusatzbehinderung janein

19126

13.186.9

Hörstatus der Eltern gehörlosschwerhörighörend

199

117

13.16.280.7

IQ (Median = 103; M = 101.0, SD = 16.8)

< 8585-115> 115fehlende Angaben

13501468

9.034.59.646.9

Elterlicher Bildungsstatus HauptschuleRealschuleHochschulreifefehlende Angaben

45443224

31.030.322.116.6

Kommunikation Schule LautspracheLaut- und Gebärdensprache

12322

84.815.2

Kommunikation Familie LautspracheLaut- und Gebärdensprachefehlende Angaben

120241

82.816.60.7

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aus der Gruppe der Kinder mit Hörverlust 90-120 dB. Eine Zusatzbehinderung wird bei le-diglich 13.1% der Kinder angegeben. 42%davon haben eine kognitive Beeinträchtigungund ca. 21% ein ADHS. Zum IQ der Kinderliegen lediglich von ca. 55% der Kinder Anga-ben vor: Diese zeigen in etwa eine Normal-verteilung der Werte um den mittleren IQvon 100. Da der IQ der Schüler lediglichüber die Lehrkraft erfragt wurde, liegen keineAngaben vor, welche Testverfahren durchge-führt wurden, es ist jedoch davon auszuge-hen, dass es sich bei der untersuchten Stich-probe mehrheitlich um ein non-verbales Ver-fahren (z.B. Snijders-Oomen-Tests) handelt.Bei den Angaben zum Bildungsstatus zeigtsich ein etwas geringerer Anteil von Elternmit Hochschulabschluss im Vergleich zu denEltern mit Haupt- und Realschulabschluss.Die bevorzugte Kommunikationsform in derFamilie wie in der Schule ist bei über 80%der Kinder die Lautsprache.

Instrumente

BRIEF-Fragebogen (BRIEF). Zur Beurteilungexekutiver Funktionen von Schulkindern wur-de im anglo-amerikanischen Raum das „Be-havior Rating Inventory of Executive Funkti-on“ (BRIEF; Gioia et al. 2000) entwickelt. Eshandelt sich um einen Fragebogen, der in derhier verwendeten Lehrerversion 73 Items um-fasst, die für die Altersgruppe von Kindernzwischen 5 und 18 Jahren bestimmt sind. Die73 Items verteilen sich auf acht theoretischund empirisch abgeleitete klinische Skalen,wobei hohe Werte für Probleme in den exe-kutiven Funktionen sprechen:

Skala „Hemmung (Inhibition)“: Das Kindkann Impulse und Verhaltensweisen kontrol-lieren; es hält inne oder moduliert das eigeneVerhalten zum geeigneten Zeitpunkt oderentsprechend dem jeweiligen Kontext (10Items; Beispielitem: „hat Schwierigkeiten da-mit, sich bei Handlungen zu bremsen“).

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Skala „Umstellungsfähigkeit (Shift)“: DasKind wechselt flüssig von einer Situation, Ak-tivität oder Problemkomponente zu einer an-deren über, je nach Situationsanforderung; esbewältigt Übergänge und löst Probleme flexi-bel (10 Items; Beispielitem: „verhält sich hek-tisch, wenn sich Pläne ändern“).

Skala „Emotionale Kontrolle (Emotional

Control)“: Das Kind kann seine emotionalenReaktionen gemäß der situativen Anforde-rung oder dem Kontext modulieren (9 Items;Beispielitem: „geringfügige Ereignisse lösengroße Reaktionen aus“).

Skala „Initiative Ergreifen (Initiate)“: DasKind ist in der Lage, selbständig Aufgaben-stellungen oder Aktivitäten anzugehen unddabei ebenso zu selbständigen Ideen undProblemlösungsstrategien zu kommen (7Items; Beispielitem: „muss zum Beginnen ei-ner Aufgabe aufgefordert werden, selbstwenn er/sie eigentlich will“).

Skala „Arbeitsgedächtnis (Working Me-

mory)“: Das Kind kann Informationen im Ge-dächtnis bereithalten, um eine Aufgabe zuvervollständigen oder eine angemessene Re-aktion auszuwählen (10 Items; Beispielitem:„hat Probleme mit aufgetragenen Arbeitenoder anderen Aufgaben, die aus mehrerenTeilschritten bestehen“).

Skala „Planen/Organisieren (Plan/Organi-

ze)“: Das Kind kann zukünftige Ereignisseoder Konsequenzen antizipieren; es richtetsich in seinem Verhalten an Zielen oder In-struktionen aus; es entwickelt vorab ange-messene Schritte, um eine Aufgabe zu lösen(10 Items; Beispielitem: „hat gute Ideen,bringt sie aber nicht aufs Papier“).

Skala „Materialorganisation (Organization

of Materials): Das Kind ist in der Lage, seinenArbeits- und Spielplatz und seine Ablageflä-chen in Ordnung zu halten (7 Items; Beispiel-

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item: „verlegt ständig Kleidung, Brille, Schu-he, Spielsachen, Bücher, Stifte etc.“).

Skala „Verhaltensüberwachung (Moni-

tor)“: Das Kind kann seine Arbeitsvorgängewährend der Aktivität und nach Beendigungauf ihre Effektivität überprüfen; es kann dieWirkung eigener Verhaltensweisen auf ande-re einschätzen (10 Items; Beispielitem: „istsich nicht bewusst, wie sein/ihr Verhalten beianderen ankommt bzw. ob es sie stört“).

Die Skalenwerte können zu zwei überge-ordneten Indices zusammengefasst werden:„ Verhaltensregulation“ (Behavior Regulation;Summenwert aus den Skalen „Hemmung“,„Umstellungsfähigkeit“ und „EmotionaleKontrolle“) sowie „Metakognition“ (Metaco-gnition; Summenwert aus den Skalen „Initia-tive ergreifen“, „Arbeitsgedächtnis“, „Pla-nen/Organisieren“, „Materialorganisation“und „Verhaltensüberwachung“). Außerdemkann ein zusammenfassender Wert als „Ge-nereller Exekutiver Score“ aus allen acht Ska-lenwerten gebildet werden. Es liegen ge-trennte Normen für Jungen und Mädchen fürjeweils vier Altersgruppen vor.

Die Daten der amerikanischen Normie-rungsstichprobe an 720 Kindern zeigen sehrzufriedenstellende Reliabilitätswerte (z.B.Cronbachs α zwischen .90 und .96 für dieacht Einzelskalen, .97 für den Behavioral Re-gulation Index, .98 für den Metacognition In-dex sowie .98 für den Global ExecutiveScore). Eine Reliabilitätsprüfung mit den Da-ten der vorliegenden Studie ergibt etwas ge-ringere, aber insgesamt ebenfalls sehr zufrie-denstellende Ergebnisse (Cronbachs α zwi-schen .81 und .95 für die acht Einzelskalen,.94 für den Behavioral Regulation Index, .96für den Metacognition Index sowie .97 fürden Global Executive Score).

Fragebogen zu Stärken und Schwächen

(SDQ-D). Mit der deutschen Version desStrengths and Difficulties Questionnaire(SDQ-D) steht ein valides und zugleich öko-

91Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

nomisches Screeningverfahren zur Verfü-gung, mit dem fünf wesentliche Bereiche derpsychischen Entwicklung erfasst werden kön-nen (vgl. Rothenberger & Wörner 2004). DerSDQ-D umfasst 25 Items, wobei jeweils 5Items einen spezifischen Verhaltensbereichabbilden: Es handelt sich dabei um „Emotio-nale Probleme“, „Verhaltensauffälligkeiten“(externalisierend im Sinne von „conduct pro-blems“), „Hyperaktivität“ (und Aufmerksam-keit), „Probleme mit Gleichaltrigen“ sowieum „Prosoziales Verhalten“ (diese Skala istpositiv gepolt). Die Werte in den ersten vierSkalen können zu einem Gesamtproblem-wert zusammengefasst werden. Die Antwort-möglichkeiten auf der SDQ-D-Skala bezüg-lich der Verhaltensäußerungen der Schülersind dreistufig (0 = nicht zutreffend, 1 = teil-weise zutreffend, 2 = eindeutig zutreffend).Somit liegt der Wertebereich für eine Einzel-skala (fünf Items) zwischen 0 und 10, für denGesamtproblemwert (20 Items) zwischen 0und 40. Der SDQ-D kann von Eltern oderLehrern für Kinder im Alter von 4 - 16 Jahrenausgefüllt werden. Während für die Elternver-sion eine Normierung an einer repräsentati-ven deutschen Stichprobe vorliegt, muss fürdie hier verwendete Lehrerversion nach wievor auf die englische Normierungsstichprobezurückgegriffen werden. Die Erfahrungen ausStudien mit dem SDQ-D bei hörenden undhörgeschädigten Kindern zeigen weitestge-hend zufriedenstellende Reliabilitätswerte(z.B. Cronbachs α zwischen .51 und .77 fürdie Subskalen bei hörgeschädigten Kindern,.81 für den Gesamtproblemwert; Hintermair,2006a). Eine Reliabilitätsprüfung mit den Da-ten der vorliegenden Studie ergibt ebenfallssehr zufriedenstellende Ergebnisse (Cron-bachs α zwischen .70 und .81 für die fünfSubskalen, .83 für den Gesamtproblemwert).

Skala zur Erfassung der kommunikativen

Kompetenz. Zur Erfassung der kommunikati-ven Kompetenz wurde eine einfache Skalaeingesetzt, die sich bereits in einigen Studienals tauglich erwiesen hat (Hintermair, 2006a;

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Hintermair, Krieger & Mayr, 2011). Die Skalabesteht aus vier Items, die auf einer 5-stufi-gen Ratingskala zu beantworten sind („DasKind ist in der Lage, mir über alle Dinge, diees beschäftigen, etwas zu erzählen“; „DasKind ist in der Lage, zu anderen MenschenKontakt aufzunehmen“; „Das Kind ist in derLage, Dinge, die ich/man ihm erklären odererzählen will, zu verstehen“; „Das Kind ist inder Lage, sich anderen Menschen (außerhalbder Familie) mitzuteilen“). Die Beantwortungerfolgt auf einer 5-stufigen Ratingskala (von 1= „trifft gar nicht zu“ bis zu 5 = „trifft genauzu“; Kennwerte der vorliegenden StudieM/SD = 4.24/.89; Cronbachs α = .94).

Soziodemographische und behinderungs-spezifische Merkmale. Es wurden zusätzlichsoziodemographische Merkmale (Ge-schlecht, Alter, Migrationshintergrund, Intelli-genz, Zusatzbehinderung, elterlicher Bil-dungsstatus) sowie spezifische im Kontext ei-ner Hörschädigung relevante Variablen (Hör-status, Ursache der Hörschädigung, Cochle-ar-Implantversorgung, Hörstatus der Eltern,verwendete Kommunikationsform in der Fa-milie und in der Schule) erfasst (vgl. auchTab. 1).

Durchführung

Die Studie wurde mit der Schülerschaft einerSchule für Hörgeschädigte in Baden-Würt-temberg durchgeführt1, an der die Zweitauto-rin dieser Untersuchung als Lehrkraft tätig ist.Es wurden an die Lehrkräfte der Einrichtung196 Fragebögen verteilt, von denen 145 voll-ständig ausgefüllt zurückgegeben wurden(Rücklauf: 74.0 %). Die statistische Auswer-tung der gewonnenen Daten erfolgte mitSPSS (Version 18.0).

92 M. Hintermair, A. Schenk, K. Sarimski

ErgebnisseVergleich von exekutiven Funktionen hörender und hörgeschädigter Kinder

Zur Überprüfung von Unterschieden in denexekutiven Kompetenzen von hörenden undhörgeschädigten Schülern wurde ein Mittel-wertvergleich (t-Test) mit den BRIEF-Datender amerikanischen hörenden Normierungs-stichprobe (vgl. Gioia et al., 2000) unter Be-rücksichtigung der jeweiligen Vertrauensin-tervalle gerechnet (vgl. Bortz, 1999, S. 251;Sachs, 1988, S. 56ff.). Für diesen Vergleichwurden die Summenscores herangezogen.Bei der amerikanischen Normierungsstich-probe handelt es sich um eine repräsentativeGruppe hörender Kinder aus einem amerika-nischen Bundesstaat. Die Geschlechtervertei-lung stellt sich in der Normierungsstichprobeund der Untersuchungsstichprobe der hörge-schädigten Kinder unterschiedlich dar. DieNormierungsstichprobe enthält mehr Mäd-chen als Jungen (56%/44%), in der Untersu-chungsstichprobe verhält es sich umgekehrt(41%/59%).

Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse (es werdenhier nur die Ergebnisse des Vergleichs derGesamtstichproben gezeigt).

Es zeigt sich, dass sich die Gruppe derhörgeschädigten Kinder in allen Bereichenexekutiver Funktionen signifikant von den hö-renden Kindern unterscheidet. Auch nach ei-ner Korrektur des Alphaniveaus nach Bonfe-roni bleiben alle aufgeführten Einzelverglei-che auf einem Niveau von p < .05 signifikantunterschiedlich2. Die Effektstärken der Unter-schiede (Cohen’s d) sind bis auf eine Skalamoderat bis groß. Die hörgeschädigten Kin-der haben danach deutlich mehr Problemebei der Entwicklung exekutiver Funktionen.

1 Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Schule St. Josef in Schwäbisch-Gmünd, die uns bei der Durch-führung der Studie unterstützt haben.

2 Obwohl nicht alle Skalen nach Überprüfung durch den Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest normalverteiltsind, wurde aufgrund seiner bekannten Robustheit ein t-Test durchgeführt (Bortz, 1999, S. 129).

Page 11: Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und ... · ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht.

93Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

Tab. 2: Vergleich der BRIEF-Werte zwischen hörenden Kindern und hörgeschädigten Kindern

(t-Test)

Skala AmerikanischeNormierungs-

stichprobe(N = 720)

StichprobeHörgeschädigte

Kinder(N = 145)

M SD M SD t ES(Cohens d)

Hemmung 12.5 4.0 15.1 5.0 6.83*** .57

Umstellungsfähigkeit 11.9 3.0 14.5 4.0 8.80*** .72

Emotionale Kontrolle 10.7 3.1 12.4 4.5 5.67*** .45

Initiative ergreifen 9.4 3.0 11.6 3.4 7.88*** .68

Arbeitsgedächtnis 12.9 3.9 16.0 5.2 8.47*** .67

Planen/Organisieren 13.1 3.9 16.1 4.7 7.97*** .68

Materialorganisation 8.5 2.6 10.6 4.5 7.79*** .58

Verhaltensüberwachung 13.4 3.7 16.6 4.7 8.95*** .75

Index Verhaltensregulation 35.0 9.0 42.0 11.5 8.05*** .67

Index Metakognition 57.4 15.4 70.9 19.4 9.71*** .77

Index Gesamtskalenwert 92.5 22.6 112.9 27.5 9.52*** .81

*** p < .001 (zweiseitige Tests)

Tab. 3: Prävalenz hörgeschädigter Kinder mit T-Wert ≥ 65 in den BRIEF-Skalen (N =145)

Skala N %

Hemmung 38 26.2 (3.6)

Umstellungsfähigkeit 48 33.1 (4.5)

Emotionale Kontrolle 41 28.3 (3.9)

Initiative ergreifen 47 32.4 (4.4)

Arbeitsgedächtnis 54 37.2 (5.1)

Planen/Organisieren 42 29.0 (4.0)

Materialorganisation 45 31.0 (4.2)

Verhaltensüberwachung 46 31.7 (4.3)

Index Verhaltensregulation 44 30.3 (4.1)

Index Metakognition 47 32.4 (4.4)

Index Gesamtskalenwert 48 33.1 (4.5)

Page 12: Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und ... · ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht.

Ergänzend zu diesen Befunden zeigt Ta-belle 3 die Anzahl der hörgeschädigten Kin-der mit einem T-Wert ≥ 65, der als Cut-off-Score für auffälliges Verhalten im jeweiligenBereich herangezogen wird (Gioia et al.,2000, S. 14).

Danach haben die hörgeschädigten Kin-der eine 3.6- bis 5.1-fache erhöhte Rate exe-kutiver Dysfunktionen. Bei Heranziehung derübergeordneten Indices zeigt sich eine 4- bis4.5-fache Erhöhung.

94 M. Hintermair, A. Schenk, K. Sarimski

Zusammenhang zwischen exekutivenFunktionen, Verhaltensauffälligkeitenund kommunikativer Kompetenz

Tabelle 4 zeigt die Korrelationen zwischenden BRIEF-Skalen zur Beurteilung der exeku-tiven Funktionen (T-Werte), dem SDQ-D zurBeurteilung von sozial-emotionalen Proble-men (Summenscores) sowie der kommunika-tiven Kompetenzskala (gemittelte Summens-cores).

Tab. 4: Pearson-Korrelationen zwischen den BRIEF-Skalen, den SDQ-D-Skalen und der kommu-

nikativen Kompetenzskala (N = 145)

Skalen Gesamt-problem-

wert

EmotionaleProbleme

Verhaltens-auffällig-

keiten

Hyperakti-vität

Problememit Gleich-

altrigen

Pro-sozia-les Verhal-

ten

Kom-muni-kativeKom-

petenz

Hemmung .66*** .20* .63*** .64*** .31*** -.56*** -.23**

Umstellungsfä-higkeit

.46*** .57*** .20* .17* .34*** -.28*** -.20*

EmotionaleKontrolle

.61*** .42*** .53*** .33*** .40*** -.43*** -.16T

Initiative ergrei-fen

.45*** .30*** .23** .39*** .29*** -.26** -.35***

Arbeitsgedächt-nis

.61*** .30*** .33*** .65*** .35*** -.30*** -.33***

Planen/Organi-sieren

.50*** .25** .29*** .51*** .30*** -.26** -.20*

Materialorgani-sation

.32*** .10 .24** .35*** .17* -.20* -.06

Verhaltensüber-wachung

.64*** .24** .50*** .57*** .42*** -.46*** -.31***

Index Verhal-tensregulation

.63*** .44*** .51*** .41*** .38*** -.47*** -.21*

Index Metako-gnition

.60*** .26** .39*** .60*** .37*** -.38*** -.30***

Index Gesamt-skalenwert

.69*** .38*** .49*** .59*** .42*** -.45*** -.29***

KommunikativeKompetenz

-.45*** -.17* -.32*** -.32*** -.42*** .34*** --

* p < .05; ** p < .01; *** p < .001; T p < .10; (zweiseitige Tests)

Page 13: Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und ... · ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht.

Es zeigen sich bis auf zwei Werte durch-wegs signifikante Zusammenhänge in unter-schiedlicher Ausprägung in der erwartetenRichtung: Vermehrte Probleme in den exeku-tiven Funktionen stehen in Zusammenhangmit einer höheren Auftretenswahrscheinlich-keit sozial-emotionaler Probleme und geheneinher mit einer geringeren kommunikativenKompetenz der Schüler. Die kommunikativeKompetenz zeigt zudem einen Zusammen-hang zur sozial-emotionalen Entwicklung derKinder auf: Je kompetenter die Kinder sind,desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit fürsozial-emotionale Probleme.

Fügt man die beiden Indices für exekutiveFunktionen (Verhaltensregulierung und Meta-kognition) sowie den Skalenwert für kommu-nikative Kompetenz in ein pfadanalytischesModell zusammen zur Vorhersage sozial-emotionaler Probleme unter Einbeziehungdes kindlichen Geschlechts (vgl. Abbildung1), dann sieht man bei sehr guten Modellpas-sungswerten (χ2 = 1.69, p < .64), dass 60%der Varianz des SDQ-Gesamtproblemwertsmit den in das Modell einbezogenen Varia-blen erklärt werden können. Der Index „Ver-haltensregulierung“ kommt besonders stark

95Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

zur Geltung (alle standardisierten Pfadkoeffi-zienten sind auf dem Niveau von p < .05 sig-nifikant). Hierzu ist festzuhalten, dass die Pfa-de von den exekutiven Funktionen und derkommunikativen Kompetenz auf die sozial-emotionalen Probleme im Sinne einer Hypo-thesenüberprüfung gesetzt waren, währendin einem weiterführenden explorativen Ver-fahren die Rolle zusätzlicher Variablen über-prüft wurde. Hier erwies sich alleine dasMerkmal Geschlecht als bedeutsam zur Er-klärung der sozial-emotionalen Probleme(die Jungen zeigen mehr Probleme als dieMädchen), während keine Kovarianzen desGeschlechts zu den exekutiven Funktionenbzw. zur kommunikativen Kompetenz zu be-obachten sind.

Hier nicht näher aufgeführte Pfadanaly-sen auf Subskalenebene ergeben, dass es in-nerhalb der Skalen zur Beurteilung der Ver-haltensregulierung insbesondere die Skalen„Emotionale Kontrolle“ (Pfadkoeffizient .41)und „Hemmung“ (Pfadkoeffizient .21), inner-halb der Skalen zur Beurteilung der Metako-gnition die Skala „Arbeitsgedächtnis“ (Pfad-koeffizient .30) sind, die die stärksten Zusam-menhänge zur Ausprägung von sozial-emo-

Abb. 1: Pfaddia-

gramm zum Zusam-

menhang von exe-

kutiven Funktionen,

kommunikativer

Kompetenz und

Geschlecht mit

dem Gesamtpro-

blemwert des

SDQ-D

Page 14: Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und ... · ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht.

tionalen Auffälligkeiten zeigen. Der Index„ Verhaltensregulierung“ korreliert vor allemmit der Ausprägung von emotionalen Pro-blemen, Verhaltensauffälligkeiten und proso-zialem Verhalten, während der Index „Meta-kognition“ ausschließlich einen Zusammen-hang zur Ausbildung hyperaktiver Verhaltens-weisen aufweist (Tab. 5).

Kommunikative Kompetenz erweist sichals besonders relevant für die Gestaltung vonBeziehungen zu Gleichaltrigen sowie zurAusbildung prosozialen Verhaltens. Bezüg-lich des Geschlechts zeigen sich die aus derLiteratur bekannten Zusammenhänge, dassJungen häufiger Verhaltensauffälligkeiten undhyperaktives Verhalten zeigen als Mädchen,während diese mehr prosoziale Verhaltens-weisen zeigen als Jungen.

96 M. Hintermair, A. Schenk, K. Sarimski

Bedeutung soziodemographischerund behinderungsspezifischer Variablen für exekutive Funktionen

Tabelle 6 zeigt die Ergebnisse der einfaktoriel-len univariaten Varianzanalysen zum Einflusssoziodemographischer Variablen, Tabelle 7zum Einfluss behinderungsspezifischer Varia-blen auf die Ausprägung exekutiver Funktio-nen.

Die Ausprägung exekutiver Funktionen istunabhängig vom Geschlecht der Kinder undvom elterlichen Bildungsstatus (Tab. 6). Eben-so ist sie unabhängig vom Hörstatus des Kin-des, von der hörtechnischen Versorgung miteinem CI sowie dem verwendeten Kommuni-kationsmodus (Lautsprache/Gebärde) in derFamilie wie in der Schule (Tab. 7). Kinder mitMigrationshintergrund weisen schlechtereWerte in der Skala „Arbeitsgedächtnis“ auf(Tab. 6). Hörgeschädigte Kinder mit zusätzli-chen Beeinträchtigungen haben mehr Pro-bleme mit der „Verhaltensregulation“ und ineiner klaren Tendenz (p < .055) auch im Be-reich der Metakognition (Tab. 6).

* p < .05; ** p < .01; *** p < .001; T p < .10; (zweiseitige Tests)

Tab. 5: Relevanz von BRIEF Indices, kommunikativer Kompetenz und Geschlecht für die ver-

schiedenen Verhaltensbereiche des SDQ-D (standardisierte Pfadkoeffizienten)

Skalen Gesamt-problem-

wert

EmotionaleProbleme

Verhal-tensauffäl-ligkeiten

Hyperakti-vität

Problememit Gleich-

altrigen

ProsozialesVerhalten

Index Ver-haltensre-gulation

.43*** .43*** .42*** .13T .24** -.38***

Index Me-takognition

.28*** -.01 .09 .49*** .14 -.09

Kommuni-kative Kom-petenz

-.27*** -.08 -.19** -.12* -.33*** .23**

Geschlecht -.18*** .04 -.16* -.30*** -.04 .17**

Erklärte Varianz

.60 .20 .34 .48 .28 .33

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97Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

Tab. 6: Univariate Varianzanalysen mit den BRIEF-Skalen (T-Werte) als abhängige Variablen und

soziodemographischen Merkmalen als unabhängige Variablen

Skalen Geschlecht Migration Zusatzbehinderung ElterlicherBildungsstatus

F (df1, df2) 3, 141 1, 142 1, 143 2, 118

Hemmung .06 .13 .18 1.84

Umstellungsfähigkeit 1.35 .12 .69

Emotionale Kontrolle .01 .39 2.12 .76

Initiative ergreifen .29 1.34 5.85* 2.25

Arbeitsgedächtnis .09 4.09* 2.87T .71

Planen/Organisieren .00 1.93 .49 .91

Materialorganisation .43 .19 .00 .39

Verhaltensüberwachung 1.23 1.06 5.69* 2.53T

Index Verhaltensregulation .80 .02 4.17* .77

Index Metakognition .00 1.54 3.77T .98

Index Gesamtskalenwert .06 .80 2.90T 1.06

Tab. 7: Univariate Varianzanalysen mit den BRIEF-Skalen (T-Werte) als abhängige Variablen und

behinderungsspezifischen Merkmalen als unabhängige Variablen

Skalen HörstatusKind

Ursache CIa HörstatusElternb

Kommuni-kationSchule

Kommuni-kationFamilie

F (df1, df2) 3, 141 2, 142 1, 79 1, 135 1, 143 1, 142

Hemmung .55 1.80 .01 1.63 1.11 .14

Umstellungsfähigkeit 1.24 .58 .08 3.57T .55 .42

Emotionale Kontrolle 1.20 1.59 .68 3.16T .17 .21

Initiative ergreifen .92 3.08* .16 2.42 1.54 2.21

Arbeitsgedächtnis .09 8.66*** .03 6.09* 2.38 1.86

Planen/Organisieren .79 3.30* 1.30 5.62* .17 2.67

Materialorganisation .74 2.95T 2.81T 2.49 1.66 2.32

Verhaltensüberwachung .82 2.08 .37 2.99T 1.99 .78

Index Verhaltensregulation .56 1.68 .01 4.41* .28 .61

Index Metakognition .29 4.68* .61 5.50* 1.03 1.57

Index Gesamtskalenwert .44 3.88* .14 5.94* .57 1.78

* p < .05; T p < .10; (zweiseitige Tests)

* p < .05; ** p < .01; *** p < .001; T p < .10; (zweiseitige Tests)a Hier wurden nur die Kinder einbezogen, die einen Hörverlust > 70 dB haben (N = 81).b Hier wurde nur die Gruppe der hörgeschädigten Kinder gehörloser Eltern mit hörgeschädigten Kindern hören-der Eltern verglichen (N = 136).

Page 16: Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und ... · ner Skala zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz sowie dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D) untersucht.

Hörgeschädigte Kinder, bei denen die Ur-sache für die Hörschädigung unbekannt ist,unterscheiden sich in einigen metakognitivenSkalen des BRIEF signifikant von Kindern, beidenen die Ursache für die Hörschädigung ge-netisch bedingt ist. Bei hörgeschädigten Kin-dern, die gehörlose Eltern haben, zeigen sichebenfalls Unterschiede in einigen BRIEF-Ska-len, die sich in niedrigeren Indexwerten zurVerhaltensregulation sowie Metakognition imVergleich zu den hörgeschädigten Kindernmit hörenden Eltern widerspiegeln. DieseTeilgruppe weist somit seltener exekutiveDysfunktionen auf (Tab. 7).

Bedeutung von Alter und Intelligenzfür die Ausprägung exekutiver Funktionen

Tabelle 8 vermittelt einen Überblick über dieAssoziation zwischen dem Alter der Kinderund der Intelligenz mit der Ausprägung derexekutiven Funktionen.

98 M. Hintermair, A. Schenk, K. Sarimski

Es zeigt sich für fünf Skalen des BRIEF einsignifikanter Zusammenhang mit dem Alter,der sich in allen drei zusammenfassenden In-dices ebenfalls als bedeutsam erweist. Die äl-teren Kinder haben hier mehr Probleme alsdie jüngeren, wobei ein zusätzlicher varianz-analytischer Vergleich der drei Altersgruppenmit den 7- bis 8-, 9- bis 12- und 13- bis 18-Jäh-rigen ergibt, dass es die Gruppe der 7- bis 8-jährigen hörgeschädigten Kinder ist, die sichsignifikant bzw. in einer Tendenz von den an-deren beiden Gruppen unterscheidet (F(2,140) = 6.98; p < .001 (Index Verhaltensregu-lation); F(2, 140) = 2.68; p < .07 (Index Meta-kognition); F(2, 140) = 5.09; p < .007 (IndexGesamtskalenwert).

Die Intelligenz ist signifikant assoziiert mitallen Skalen des Bereichs Metakognition undeher marginal mit den Skalen des Indexbe-reichs Verhaltensregulation. Es zeigt sich inergänzenden pfadanalytischen Analysen,dass der IQ keinen direkten Effekt auf denGesamtproblemscore des SDQ-D hat (.03),aber einen hoch signifikanten indirekten Ef-fekt über die beiden BRIEF Indices Verhal-

Tab. 8: Pearson-Korrelationen zwischen den BRIEF-Skalen und den Variablen Alter und IQ

Skalen Alter des Kindes Intelligenzquotienta

Hemmung .12 -.22*

Umstellungsfähigkeit .28** -.13

Emotionale Kontrolle .24** -.11

Initiative ergreifen .20* -.59***

Arbeitsgedächtnis .00 -.53***

Planen/Organisieren .21* -.42***

Materialorganisation .22** -.26*

Verhaltensüberwachung .14T -.48***

Index Verhaltensregulation .26*** -.22T

Index Metakognition .17* -.50***

Index Gesamtskalenwert .24** -.45***

* p < .05; ** p < .01; *** p < .001; T p < .10; (zweiseitige Tests)a Hierzu liegen nicht von allen Kindern Angaben vor (N = 77).

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tensregulation und Metakognition (-.39). Ab-bildung 2 zeigt diesen Zusammenhang. Aller-dings ist aufgrund zahlreicher fehlender An-gaben zum IQ der Stichprobenumfang fürdiese Pfadanalyse mit N = 76 als nicht ausrei-chend zu bezeichnen, so dass diese Anga-ben lediglich explorativen Charakter haben(vgl. Backhaus, Erichson, Plinke & Weiber,2003, S. 410).

Diskussion

In der vorliegenden Studie wurden die Häu-figkeit exekutiver Störungen bei hörgeschä-digten Kindern im Vergleich zu gut hörendenKindern sowie der Zusammenhang von exe-kutiven Funktionen, kommunikativer Kompe-tenz und sozial-emotionalen Auffälligkeitenan einer Stichprobe von 145 hörgeschädig-ten Kindern und Jugendlichen einer Schulefür Hörgeschädigte mittels einer Befragungder Lehrkräfte der Schüler mit dem Fragebo-gen BRIEF (Goia et al., 2000) überprüft.

Ein Vergleich der exekutiven Funktionender hörgeschädigten Kinder mit den verfüg-baren Daten der amerikanischen Normie-rungsstichprobe bei gut hörenden Kindernzeigt hoch signifikante Unterschiede in allenexekutiven Funktionsbereichen mit einer 3.5-bis 5-fach erhöhten Rate auffälliger Kinderbei der Hörgeschädigtenstichprobe. Ähnliche

99Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

Ergebnisse – bei allerdings unterschiedlicherAnzahl betroffener Bereiche und unter-schiedlicher Stärke der Unterschiede – zeig-ten sich auch in den Studien von Rhine(2002) und Pisoni et al. (2010).

Die Ergebnisse zeigen weiter, dass zwi-schen nahezu allen untersuchten Bereichensozial-emotionaler Auffälligkeiten und denbeurteilten exekutiven Funktionen signifikan-te Zusammenhänge bestehen. Die hörge-schädigten Kinder mit exekutiven Dysfunktio-nen zeigen vermehrt Verhaltensauffälligkei-ten. Bei einer Überprüfung des Stellenwertsder exekutiven Funktionen und der kommu-nikativen Kompetenz für die Entwicklung so-zial-emotionaler Auffälligkeiten mithilfe einerPfadanalyse konnten unter Einbeziehung desGeschlechts der Kinder 60% der Varianz dessozial-emotionalen Verhaltens durch die indas Modell einbezogenen Variablen erklärtwerden, wobei dem exekutiven Aspekt derVerhaltensregulation hierbei besondere Be-deutung zukommt. Die vorliegenden Befun-de decken sich mit den Ergebnissen einerdeutschen Studie mit hörgeschädigten Kin-dern im Vorschulalter, in denen über die Be-fragung der Erzieherinnen mit dem BRIEF-Pnahezu identische Zusammenhänge aufge-zeigt werden konnten (Piskora et al., 2010).In die gleiche Richtung gehend zeigen die Er-gebnisse der Studie von Barker et al. (2009)signifikante Zusammenhänge zwischen Pro-

Abb. 2: Pfaddia-

gramm zum Zu-

sammenhang von

exekutiven Funk-

tionen, kommuni-

kativer Kompe-

tenz und Ge-

schlecht mit dem

Gesamtproblem-

wert des SDQ-D

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blemen der Aufmerksamkeitssteuerung – alsTeilkomponente exekutiver Funktionen, ge-messen in Spielbeobachtungen –, demSprachstand der Kinder und dem Grad anVerhaltensauffälligkeiten. Auch die Ergebnis-se der Untersuchung von Rhine-Kahlbeck(2004) sprechen für einen bedeutsamen Zu-sammenhang von exekutiven Funktionenund sozialen Kompetenzen. Mangelnde Fä-higkeiten zur Selbstregulation sowie einge-schränkte metakognitive Kompetenzen ha-ben offenbar einen hohen Stellenwert für dieEntwicklung angemessenen sozial-emotiona-len Verhaltens bei hörgeschädigten Kindern.Diese bei Kindern mit Hörschädigungen er-hobenen Befunde reihen sich ein in eine Rei-he von Studien, die bei Kindern ohne Sinnes-behinderung ermittelten wurden. So unter-suchten z.B. Raaijmakers, Smidts, Sergeant etal. (2008) Schulkinder mit ausgeprägten ag-gressiven Verhaltensweisen mit neuropsycho-logischen Tests und fanden signifikante Defi-zite in Prozessen der Inhibition, der Umstel-lungsfähigkeit und im Arbeitsgedächtnis. EineStudie von Korella et al. (2011) bei sprachauf-fälligen Kindern und Kindern mit dem Förder-bedarf Lernen zeigt vergleichbare Ergebnisse.Danach scheint sich insgesamt zu bestätigen,dass Probleme in der sprachlichen Aus-drucksfähigkeit und Verarbeitung deutlich as-soziiert sind mit Problemen in der Realisie-rung exekutiver Funktionen (vgl. Crick &Dodge, 1994).

Die Überprüfung soziodemographischerund behinderungsspezifischer Faktoren in ih-rer Bedeutung für die Ausprägung exekutiverFunktionen zeigt keine signifikanten Effektefür die Variablen Geschlecht, elterlicher Bil-dungsstatus, Hörstatus des Kindes, hörtechni-sche Versorgung des Kindes mit einem Coch-lea-Implantat sowie die verwendete Kommu-nikationsform im Elternhaus und in der Schu-le. Bezüglich des Hörstatus zeigten sich ver-gleichbare Ergebnisse in der Kindergartenstu-die von Piskora et al. (2010). Auch dort unter-schieden sich die Kinder mit verschiedenemHörstatus nicht in der Häufigkeit von exeku-

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tiven Dysfunktionen. Beim elterlichen Bil-dungsstatus zeigen sich keine Unterschiede,obwohl in Studien bei hörenden Kindern einEffekt auf die Ausbildung exekutiver Funktio-nen gezeigt werden konnte (Ardila, Rosselli,Matute & Guajardo, 2005). Möglicherweiseverschwindet dieser „Bildungseffekt“, wenndie Entwicklung der Kinder durch eine Hör-schädigung gefährdet ist, für die (hörende) El-tern in aller Regel keine Vorerfahrungen mit-bringen, auf die sie erziehungswirksam zu-rückgreifen könnten. Die Befunde zur Kom-munikationsform decken sich mit Ergebnis-sen aus anderen Studien, in denen sich mehr-heitlich nicht die Kommunikationsform, son-dern die Qualität der Kommunikation als we-sentlich für die sozial-emotionale Entwick-lung hörgeschädigter Kinder erweist (vgl.Hintermair, 2006b; Vaccari & Marschark,1997). Eine Vermutung, worauf der beobach-tete Zusammenhang von Migrationshinter-grund mit Problemen im Arbeitsgedächtniszurückgeführt werden könnte, lässt sich ausunseren Daten nicht ableiten. Dass Kinderhörgeschädigter Eltern seltener Zeichen einerexekutiven Dysfunktion zeigen, mag auf einegeringere Beeinträchtigung früher Kommuni-kationsprozesse zwischen ihnen und ihren El-tern zurückzuführen sein, die sich rascher aufdie besonderen Bedürfnisse ihrer Kinder beider Dialoggestaltung einzustellen vermögen.Dass eine zusätzliche Behinderung auch einEntwicklungshemmnis für die Ausbildungexekutiver Funktionen darstellt, wird durchzahlreiche Studien zur Verhaltensauffälligkeitbei hörgeschädigten Kindern mit zusätzli-chen Behinderungen gestützt (Dammeyer,2010; Sinkkonen, 1994).

Die älteren Kinder dieser Studie (9-18 Jah-re) zeigen signifikant höhere Auffälligkeits-werte in einer Reihe von exekutiven Berei-chen im Vergleich zu den jüngeren Kindern(7-8 Jahre). Über die Gründe hierfür kann aufGrund der Querschnittsdaten in dieser Stu-die nur spekuliert werden. Möglicherweisestellen die Aufgaben im Sekundarbereich derSchule, in dem sich die Mehrheit der älteren

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Schüler befindet, höhere Anforderungen andie exekutiven Funktionen. Es kann aberauch sein, dass sich – aufgrund besserer tech-nischer Versorgungsmöglichkeiten und frü-her Erfassung sowie früherer Förderung – inder jüngeren Altersgruppe bereits vermehrtKinder befinden, die daraus für ihre Gesamt-entwicklung Profit ziehen. Eine Überprüfungdieser Hypothese ist nicht möglich, da keineDaten zum Zeitpunkt der Hörgeräte-Erstver-sorgung und Beginn der Frühförderung erho-ben wurden.

Die intelligenzdiagnostischen Befunde va-riieren mit den metakognitiven exekutivenFunktionen. Schüler mit geringerer kognitiverAusstattung zeigen hier erwartungsgemäßgrößere Probleme in der Realisierung dieserFähigkeiten. Die Daten zum kognitiven Ent-wicklungsstand sind, obwohl hier nur Datenvon 77 Schülern vorliegen, aufschlussreich inBezug auf die Entwicklung von Verhaltens-auffälligkeiten. Defizite in der intellektuellenEntwicklung der Kinder stellen offenbar nurindirekt – als reduzierte metakognitive Fähig-keit – einen Prädiktor für Verhaltensauffällig-keiten dar.

Begrenzungen

Die vorgelegten Ergebnisse basieren auf Da-ten von hörgeschädigten Schülerinnen undSchülern an Hörgeschädigtenschulen. Vorlie-gende Befunde zu Verhaltensauffälligkeitenbei integriert beschulten hörgeschädigtenKindern enthalten deutliche Hinweise dahin-gehend, dass diese Gruppe weniger Verhal-tensauffälligkeiten zeigt (Berger et al., 2011;Cheers-Studie, 2008; van Eldik, 2005; vanGent et al., 2007). Es wären deshalb ergän-zend Untersuchungen durchzuführen, umdie Rolle der exekutiven Funktionen bei die-ser Zielgruppe zu überprüfen. Neben denEinschränkungen die untersuchte Stichprobebetreffend ist in Bezug auf Datenquelle so-wie Methode weiter kritisch festzuhalten,dass die Informationen zu exekutiven Funk-

101Exekutive Funktionen, kommunikative Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten ...

tionen nicht über direkte Beobachtungenbzw. Erhebungen exekutiver Funktionen anden Kindern selbst gewonnen wurden, son-dern durch Befragung der Lehrkräfte der Kin-der. Ebenso sollten bei Befragungen in wei-terführenden Studien auch Daten mit demBRIEF-SR von den betroffenen Schülernselbst erhoben werden, wie sie bei Jugendli-chen mit einer spezifischen Spracherwerbs-steuerung bereits vorliegen (Hughes, Turkstra& Wulfeck, 2009).

Einige zusätzliche Aspekte schränkenmöglicherweise die Generalisierbarkeit derErgebnisse dieser Studie ein. So lag der Anteilvon Kindern mit zusätzlichen Behinderungenniedriger, der Anteil von Kindern mit hörge-schädigten Eltern dagegen höher als in ande-ren Studien mit hörgeschädigten Kindern.Letzteres mag darauf zurückzuführen sein,dass (zumindest in Deutschland) Eltern, dieselbst hörgeschädigt sind, eher dazu neigen,ihr hörgeschädigtes Kindes in einer Sonder-schule anzumelden, statt eine integrativeSchulform anzustreben.

Pädagogische Schlussfolgerungen

Insgesamt ergibt sich aus den Befunden einhoher pädagogischer Handlungsbedarf. DieErgebnisse zeigen eine Reihe von basalenFunktionen, die sich als bedeutsam für dieEntwicklung sozial-emotionalen Verhaltenserweisen, bei hörgeschädigten Kindern aberin ihrer Funktionstüchtigkeit gefährdet sind.Diese Funktionen sollten verstärkt Gegen-stand pädagogischer Bemühungen werden.Es liegen gut evaluierte Präventionsprogram-me zur Förderung der sozial-emotionalenEntwicklung hörgeschädigter Kinder vor, z.B.das Programm PATHS (Greenberg & Kusché,1998). Sie basieren in ihrer konzeptionellenGestaltung wesentlich auf der Stärkung vonKompetenzen, die den exekutiven Funktio-nen zuzurechnen sind (Impulskontrolle, Emo-tionales Verstehen, Erwerb von Problemlö-sungsstrategien). An den schulischen Einrich-

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tungen für Hörgeschädigte ist verstärkt da-rauf zu achten, dass die Entwicklungsverläufeder Kinder in breiter angelegten entwick-lungspsychologischen Zusammenhängen dis-kutiert werden und so neben dem vermeint-lichen Hauptauftrag der sprachlichen Förde-rung Kompetenzen, die zu einer verbesser-ten Selbstwirksamkeit und Selbstkontrollebeitragen, erworben werden können.

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Anschriften der Autoren:

PROF. DR. MANFRED HINTERMAIR

Pädagogische Hochschule Heidelberg

Institut für Sonderpädagogik

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ANDREA SCHENK

Pädagogin

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PROF. DR. KLAUS SARIMSKI

Pädagogische Hochschule Heidelberg

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