Exodus + Erste Anfange de c01

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E X O D U S und Erste Anfänge Von Bonn Deutschland nach Magdiel Palästina (Israel) von Hilde & Kurt Schatz 1932

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E X O D U S und

Erste Anfänge

Von Bonn – Deutschland

nach

Magdiel – Palästina (Israel)

von

Hilde & Kurt Schatz

1932

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Vorwort von Gadiel Schatz – 2012.

Meine Mutter, Hilde Schatz, geb. Sander1 war eine Gymnastiklehrerin, arbeitete in Bonn wo sie mein Vater Kurt (Shlomo) Schatz2 kennen lernte und später heiratete (23 Dezember 1930). Im April 1932 sind sie nach Palästina ausgewandert.

Dieser Dokument entstand aus 4 teile:

1. Exodus – die Auswanderung aus Bonn.

2. Ein Brief vom 10 August 19393.

3. Ein Brief an ihre Kinder - Gadiel4 und Jehuda5, ca. 1945 geschrieben.

4. Erste Anfänge – über die erste Zeit und das Aufbau vom „Meschek“ 6 in Magdiel.

Die Dokumente erscheinen hier ohne Änderung. Was ich doch änderte sind Duplikationen und die Reihenfolge von bestimmte teile. Fußnoten sind von mir. Bilder waren aufs Ort genommen und bei mir zugefügt.

1 Geb. 14 August 1899, Suhl (Thüringen). Gest. 11 Februar 1998, Hod Hasharon, Israel. 2 Geb. 7 August 1902, Bonn. Gest. 8 Dezember 1974, Hod Hasharon, Israel. 3 An unerwähnte Empfänger, wahrscheinlich ihre Kinder. 4 Geb. 19 Nov. 1933. 5 Geb. 12 Feb. 1935. 6 Hebräisch: Farm

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1. Exodus. Von Bonn nach Magdiel – Palästina – 1932.

Nur selten störte das Geräusch eines durchfahrenden Autos die Ruhe der schattigen Wohnstrasse In der rheinischen Universitätstadt Bonn7. Die Häuser glichen einander: drei Stockwerke hoch mit spitzem Dach und im Geschmack der 90ger Jahre8, mit Stuck verziert. Sie hatten kleine Vorgärten nach der Strasse zu und hinter dem Haus ca 2.000 qm grosse Obst und Ziergärten, durch Steinmauern voneinander getrennt. Nr. 24 hatte eine schwere eichene Tür, geräumigen, mit Tepich belegte Flure. Das Treppenhaus, die Zimmer, waren sehr hoch und gross, Nebenräume weit auseinader gezogen. Es war in einer Zeit erbaut, als man noch nicht fragte wer wird das alles pflegen und reinigen? Der dienstbare Geist der beim Klingeln die Türe zu öffnen hatte oder die Speisen aufzutragen, musste fünf Stufen und einen langen Gang entlang laufen. Die Möbel, die Teppiche waren gross und schwer und man benützte Geschirr und Silber in den verschiedensten Formen und Ausführungen. Alles war geplant und gefärtigt für Dauer, für Sesshaftigkeit.

Die Gebäude stehen, die zeiten ändern sich. Es kam der 1. Weltkrieg und man hatte nicht viel aufzutischen auf den schönen Porzellanplatten. In der Inflation nahm die Frau des Hausses Studenten auf, die zum Teil in ausländische Valute bezahlten, um alles in Stand halten zu könen und das mager werdende Budget aufzufüllen. Dann kam das aufsteigen der Nazipartei. Es machte keine Freude mehr zu arbeiten. Die Gehässigkeit der Konkurrenz und sogar der Kunden, verbitterte das Leben. Die Propaganda gegen die Juden, das Anwachsen der Partei bei den Neuwahlen waren tief beunruhigend. Der älteste Sohn9 beschloss mit seiner jungen Frau10 auszuwandern. Sie waren ein Jahr verheiratet, sie wollten ihre Kinder in einem Land aufziehen, in dem sie sich frei fühlen kontten. Man war vorsichtig. Man sagte nicht vornherein , es kann und muss Palästina sein. Man schrieb an den Bruder der Frau in Süd-Afrika11, an verwandte in Amerika, aber mehr um nichts unversucht gelassen zu haben.

Die Auskünfte waren nicht einmal abschreckend und doch wurde allmählich einwandfrei klar: man würde nach Palästina ziehen. Auch die Zionistischen Freunde staunten. Viele, die wir nach wenige Jahre danach wiedersahen, fanden das Vorhaben kühn und unerwartet. Für die christlichen Bekannten war es märchenhaft „im Lande Jesu" zu wohnen und die Zedern des Libanon zu sehen. Die junge Frau, der vor dem Unbekannten

7 Wohnhaus der Familie Schatz war Humboldt Str. 24. 8 Der 19ten Jahrhundert. 9 Kurt Schatz, Hilde’s Ehemann. Siehe auch Bemerkung 2. 10 Hilde Schatz. 11 Lothar Sander.

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etwas beklommen zu Mute war, war doch ein wenig stolz so in die Welt hinaus zu ziehen. Sie hatten sich einen bestimmten Termin für die Ausreise gesetzt und es gab bis dahin viel zu tun. Alle die Wege auf die verschiedenen Ämter. Man sollte auch etwas Geld aus dem Geschäft mitbekommen. Dann die Reisen zum Abschiednehmen. Da wird der Mann krank. Rippenfellentzündung. Wird er sich erholen bis zum festegesetzten Reisetag? Wir müssen verschieben und bis Ende März warten.

Endlich12 sind wir auf dem Bahnhof. Mutter und unsere nächsten Freunde finden sich ein. Dr. Levy hat in einen Karton reihenweise Münzen aus allen Ländern gesteckt, die wir kreuzen werden. Lebt wohl.

Auf wiedersehen?

Südwärts bei klarem kaltem Wetter. Nimm noch einmal ganz in dich auf, Auge, die Wiesen und Seen, die Schneeberge der Schweiz, die Tähler und Hütten. Noch lange wird die Sehnsucht gelten dem Baumschatten, dem Moos, den grünen Bergen, dem Duft von Wiesen, den Primeln und Vergissmeinnicht. Das also sind die oberitalienischen Seen? So weit schon in die Ebene geschoben? Ja, pinien sind schön. Auch die kahlen Berge bei Genua sind grossartig mit ihren strengen Grenzlienien zum Himmel und den Wolkenschatten.

Wir sehen uns schon am Nachmittag den Hafen an und suchen ein wenig beklommenen Herzens den Platz, auf dem unser Schiff anlegen wird, um am anderen Morgen nicht zu irren, um schon ein bisschen vorzutasten. Die Hallen sind verödet, durch die man zum Passkontrolle und zum Zoll zu gehen hat. Aber am andern Morgen als wir auf

12 April 1932.

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das Schiff gehen wollen, trifft mit uns gleichzeitig eine Schar dunkelhäutiger Menschen ein, Araber, mit Kindern, Kisten, Liegestühlen, Koffern und Geschrei. Das sind unsere Mitreisende? Wird man da Ruhe auf dem Deck haben und es einigermassen manierlich zugehen bei den Mahlzeiten? Es wird nicht so schlimm. Für die wenigen Reisenden der Touristenklasse hat man auf dem grossen und nicht stark besetzten Schiff geräumige Kabinen. Nur ein „echter" Einwanderer ist ausser uns da, ein feierlicher, schon grauhaarig, vohlbeleibter Herr aus Warschau. Sein Neffe begleitet ihn nur zu einem Besuch. Wir haben auch einen Araber, den wir Ali nennen. Beth-Lechem ist seine Heimat. Er fährt nicht gut und da wir uns nicht verständigen können wirft er nur immer bedeutungsvolle Blicke mit seinen schwermütigen schwarzen Augen nach oben. Sein Appetit leidet zum Glück nicht. Wenn er den italienisch sprechende Stuart trifft, deutet er immer auf sein rundes Bäuchlein und sagt „empty"13. Die beiden christlichen Jungen aus Wilhelma14, gekleidet wie Konfirmanden, kommen von einem Lehrjahr in Deutschland. Sie benützen ihre Arabische Sprachkenntnisse, um sich mit den Händlern zu unterhalten, die in Alexandria das Schiff stürmen.

13 Englisch: lehr 14 Eine Kolonie von Deutschen Templer, unweit von Lod und Ramle.

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2. Anfang vom Brief von 10 Aug. 1939

Meine Lieben! Wenn Kurt und ich uns jetzt manchmal an die Anfänge unserer Wirtschaft

erinnern, wie umständlich, wie ernsthaft wir vieles betrieben, das uns jetzt komisch vorkommt, so bedauern wir, kein Tagebuch geführt zu haben. Kurt bat mich das nachzuholen. Aber das wäre so eine Art Schriftsteller und das liegt mir nicht. Aber in einem Brief kann ich Euch etwas erzählen und ich denke es wird Euch interessieren.

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3. Anfang vom Brief an Hilde’s Kinder (ca. 1945)

Als Euer Blick, meine lieben Söhne, aus der Dumpfheit des Säuglingsalters erwachte, habt Ihr entdeckt in Euren nächsten Umgebung verschiedene Lebewesen, denen Eure Eltern viel Sorgfalt und Arbeit widmeten. Es war Euch darum etwas Selbst-verständliches, dass im Hof die grossen Kühe umhergingen, muhten, Wasser schlürften, dass man ihnen Grünes brachte und sie molk. Daß es eine Menge weisser Hühner gab, die aus niederen Krippen frassen, durcheinanderliefen, gackerten und Eier in die Nester legten. Ihr kanntet es nicht anders, Ihr wuchst in einem „Meschek”6 auf. Eure Eltern waren in Städten geboren, nicht in Grossstädten zwar. Besonders die Geburtstadt Eurer mutter zählte nur 17.000 Einwohner, aber doch hatte man bei ihnen zu Hause keine Tiere gehalten. Euer Vater war als Jüngling ein halbes Jahr auf „Hachschara”15 gewesen, hatte dabei gelernt ein Pferd zu setteln und zu Pflügen und hatte einen kleinen Begriff von Landarbeit bekommen. Mir selbst war sie vollkommen fremd. Meine Berufe - Lehrerin und Gymnastik lehrerin - lagen abseits. Wir fühlten uns nicht jung genug, hatten keine Geduld, mit dem Aufbau des „Meschek”6, der hier im Land zu gründen wir beschlossen hatten, längere Zeit zu warten und nach unserer „Alijah”16 erst eine längere Vorschule zu machen. Nachdem wir nach 3 Monaten in Nahalal17 gesehen hatten, dass wir bei unserem Beschluss bleiben wollten, ein wenig den herbsüssen Geschmack der Landarbeit in Palästina gekostet hatten, ging Euer Vater auf Bodenkauf.

„Pardessanut”18 galt damals noch als einträglich, man konnte von einem „Pardess”19 von 20 „Dunam”20 leben. Aber unsere Mittel erlaubten uns nicht so viel fertigen „Pardess”19 zu erwerben, wir wollten eine gemischtwirtschaft machen, mit „Pardess”19 als Nebenzweig. Die „Sochnuth”21 empfahl damals sehr die gemischte Wirtschaft als die krisenfestete. Es schien uns einleuchtend, daß es gut sein sollte, von allem etwas zu haben: Kühe, Hühner, Gemüse, „Pardess”19 Man war auf diese Weise auch selbst mit allem versorgt.

Wir waren ganz fremd. Nicht nur, daß wir die Menschen hier nicht persönlich kannten, aber ihre Fragen, ihre Art Rat zu erteilen, ihre Lebens-gewohnheiten und die Art ihrer Lebenshaltung, ihre Festlichkeiten - alles war uns fremd und

15 Hebräisch: Schulung. Die Schulung war auf eine Farm in Östereich. 16 Hebräisch: wörtlich = hinauf gehen. Hier ist Einwanderung nach Palästina/Israel gemeint. 17 Ein “Moschav” (coopertiver Dorf) in Yizrael Tal im Ost-norden Israel. 18 Hebräisch: Citrusbau. 19 Hebräisch: Citrus Plantage. „Pardessim“ ist die Mehrheit form. 20 1 Dunam = 1000 qm, 4 Dunam = 1 Hektar 21 The Jewish agency – das Jüdisches Agentur, ein wirtschaftsliches Werkzeug des Zionistischen Bewegung.

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undurchdringlich. Wir waren ihnen gegenüber schüchtern. Sie waren schon lange im Land (6 Jahre schien uns damals ein riesiger Zeitraum). Sie hatten schon Wirtschaften und „Pardessim”19 angelegt und vor uns lag noch alles im Nebel. Euer Vater hatte zum Glück wenigstens eine Vorstellung von dem was er wollte. Aber ich, ich war ganz ohne Ahnung was wohl wünschenswert wäre anzufangen. Wir mieteten bei Winklers ein Zimmer. Es hatte giftgrüne Ölfarbe gestrichene Wände, die an vielen Stellen beschädigt und abgebröckelt waren und zerrissene Vorhänge. Ausgestattet war es mit 2 eiserenen Bettstellen, einem Gartentisch an dem wir assen und einem kleineren, auf dem ein „Primus”22 und eine Dochtmaschine standen. Ich glaube es gab 2 Stühle und wenn Besuch kam, musste jemand auf dem Bett sitzen. Aber billig war es trotz dieser Vorzüge nicht.

22 Petroleum Kocher.

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4. Der Bodenkauf.

(an die Kinder: ) Meist fuhr Euer Vater allein auf Bodensuche. Zuletzt, nach 3 Monate langem Suchen blieben 2 Stücke in der engeren Wahl und wir fuhren zusammen, damit ich mit auswähle. Das eine war im Kfar-Saba23 Hauptstrasse, unweit des Centrum. Das zweite in Magdiel24. Das erstere hatte sozusagen keine Aussicht, das Magdieler stieg vom weg an leicht aufwärts und man hatte schon auf halber Höhe sich gegenüber eine Art Wiese, auf der grade eine Herde Arabische Kühe Weideten. Dahinter ein Eukalyptuswald, eine beinahe liebliche Landschaft bei aller Dürftigkeit die mir dem Blick der noch unter dem ungewohnt hellen Sonne litt und der noch wachen Sehnsucht nach Wiesen und Wald Beruhigung. Der Boden war unbebaut, voll Gestrüpp, „Chilfe”25 Disteln, mitten durch zog sich ein „Wadi”26, an dem ein hübscher Dornenstrauch wuchs, das Einzige was an einem Baum erinnerte. Diesen Platz wählte ich und Euer Vater war einverstanden. Er hatte bei dem Bodenkauf ein Stück gesucht, das von jüdischen Kolonien umgeben war und gute Verbindung zur Stadt hatte. Wir erworben 9 Dunam20.

Bei unserem Bodenkauf hatten wir die Erwerbung des Nachbarstücks von Cohen Godel mit ins Auge gefasst, da man uns allgemein versichert hatte, daß er verschuldet sei und verkaufen müsse. Wir haben es auch erworben, aber erst im Jahre 1946. Er war ein mittelgrosser, magerer Mann mit einem schöngeschnittenen Gesicht, dunklem Vollbart und braunen verächtlichblickenden Augen und langsamer, kalter Sprechweise. Alle verhand-lungen die wir Vorher mit ihm führten, waren ergebnislos. Wenn er einen bestimmten Preis festgesetzt hatte, schien er am nächsten Tag zu niedrich. Er erklärte daß er so und so viel mehr verlangen müsse. Das wiederholte sich mehrmals bis es Kurt nicht mehr lohnend schien. ‘Besinnt sich der „Chochem”27, besinnt sich der Narr’ war ein Sprichwort das ich damals kennen lernte. Wir hätten eine anleihe aufnehmen und uns mit Zinszahlungen belasten müssen. Der enge Raum zwang uns allerdings dazu, die nach und nach erbaute Ställe und Höfe ineinander zuschachteln.

23 Kfar Saba liegt ca. 3 km. nördlich von Magdiel. 24 Seit die 1960ger ist Magdiel ein teil der stadt Hod-Hasharon. 25 Eine art Unkraut mit scharfe Bläter und tiefe Wurzeln. 26 Arabisch, auch in Hebräisch genützt: kleiner Tal. 27 Yiddisch: Kluge. Das Wort kommt aus dem Hebräischen.

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5. Die Wasserleitung.

Das Dringendste, war jetzt Wasserleitung zu legen. Noch während ich in Tel Aviv war28, fuhr Kurt den Tag über heraus, um den Graben für die Rohre anzulegen. Er arbeitete mit einer „Turiah”29 und tat den ersten Schlag. Er fing unten am Weg an und arbeitete sich immer weiter hinauf, mit gleichmässigen Schlägen, schnurgerade ohne eine gespannte Schnur. Die Sonne brannte. Der Ruthenbergsche “Pardess”19 nebenan hatte noch junge Bäume. So stieg er langsam auf, bis zum Platz, wo einmal das Haus stehen sollte, ungefähr in der Mitte, oberhalb der kleinen Senke. Von da liess er sich von Ruthenberg30 helfen, damit die Arbeit schneller beendet würde und mit dem Hausbau begonnen werden konnte. Es wäre viel einfacher gewesen, die Rohre auf die Erde zu legen, wie es in allen “Pardessim”19 gemacht wurde. Um aber im Haus kühles Wasser zu haben, grub er den Leitungsgraben einen Halben Meter tief in die Erde. Portnoi wohnte damals noch in Magdiel24 und er machte die Anlage aus geschweissten 3” Mannesmann Rohren. Der freundliche Mann mit seiner Stupsnase kam mit seinem flachen Esels wägelchen und einem Schweissapparat angezockelt.

Als die Wasserleitung gelegt wurde, war es Oktober (1932). In keinem Jahr seither bliesen so scharfe, trockene Ostwinde wie damals. Sie machten dem Kurt die Lippen trocken und liessen sie ihm aufspringen. Mir selber tat dieses Wetter nichts. Ich fühlte mich, in meinen grauen Wintermantel ganz gemütlich. Den ‘alten’ Einwohnern von Magdiel24 war es scheint's recht kalt. Der alte Daum, die Gelegenheit wahrnehmend einmal mit einem neuen Siedler zu reden, fragte mich freundlich und halb bewundernd: “Ihnen ist es wie es scheint garnicht kalt”. Die ältesten Magdieler waren 6 Jahre am Platz. Was für eine lange, lange Zeit! Ob wir denn auch mal s o o alte Siedler sein könnten?

28 Nachdem wir Nahalal verlassen hatten wohnten wir eine kurze Zeit in Tel-Aviv. Sieh auch Bemerk. 17. 29 Eine art breite Hacke die wir aus Deutschland nicht kannten. 30 Unser Nachbar.

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6. Der Hausbau.

Noch ehe die Leitung fertig war, wurde der Bauplatz geebnet. Das “Wadi”26 war zu tief. Die Kratze31, von 2 pferde gezogen, bediente Katrielsohn und Kurt arbeitete mit ihm zusammen. Sobald es Wasser gab begann die Bauerei und gleichzeitig legten wir auf dem Platz hinter dem Haus einige Gemüsebeete an. Sie waren noch nicht durch einen Zaun geschützt und wir mussten furchtbar aufpassen, dass uns die Esel und die Kamele der Araber, die “Sifsif”32 brachten, nicht hineinliefen. Sie brachten es natürlich doch einige male fertig ins Gemüse zu trampeln. Für den Plan des Hauses hatten uns Kaufmans in Tel-Aviv ihren Bekannten den Architekten Scharon empfohlen, der eine Reihe “Batim Meschutafim”33 in Tel-Aviv gebaut hatte. Wir selber hatten auch Pläne entworfen und eine Menge Papier dabei verschmiert. Dann gefiel uns aber der Vorschlag von Scharon besser. Er war ein netter junger Mann, hochgewachsen und blond und interessant war an ihm seine Frau, eine Schauspielerin an der ‚Habima’ Theater. Wir fanden später (zu spät) eine Reihe Mängel an dem Plan: Der Balkon, nach Osten offen, hatte den ganzen Vormittag über Sonne und bekam keinen Nordwind. Das Badezimmer war so schmal, dass man die Türe nur zur Hälfte öffnen kann. Das flache Dach auf das unser Architekt auf keinen fall verzichten wollte, weil es seinem Stil entsprach (ich hätte gern ein schräges rotes gehabt) erwies sich im Sommer als Hitze ausstrahlend. An das kleine Badezimmer haben wir uns gewöhnt. Statt der unbenutzbarer Balkon gibt es jetzt den schönen Platz unter den Bäumen und schliesslich bekamen wir auch über einem grossen Teil des Hauses ein schräges Dach34. Doch bis es so weit kam, hatten wir sehr unter der Hitze und dem Mangel an schatten zu leiden. Kurt machte selber hinter dem Haus ein schmales Balkon. Er legte in der Fortsetzung der Kinderzimmerwand “Blocken”35, am hintern fenster von grossen Zimmer vorbei und füllte den entsehenden Raum mit Erde aus. Darauf steute er “Chatzatz”36.

31 Scraper 32 Meersand 33 Gemeinsame Wohnungenhäuser 34 Über ein zweites Stock der später erbaut wurde. 35 Bausteine 36 kleine Steiner masse

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Nun begann der Bau. Die

“Blocken”35 wurden am Platz hergestellt. Kurt arbeitete mit und sparte so den Arbeitslohn eines Menschen. Das Blockenmachen ist auch für den geübten Arbeiter eine schwere Arbeit. Wieviel mehr für den Neuling. Unser Fachmann war Tukotschinski. Er arbeitete in “Kablanut”37 und wollte natürlich eine genügende Anzahl “Blocken”35 am Tag herstellen. Da musste sich Kurt gehörig dranhalten um im Tempo mitzukommen, und war abends todmüde. Tukotschinski brachte sein Blockenmaschine mit. Es bestand aus 2 mal 4 Wänden, in diese wurde die vorher bereitete Masse von Zement und “Sifsif”32 hineingestampft. Dann das gefüllte Maschinchen an 2 Henkeln an den Platz getragen wo die “Blocken”35 gelagert wurden, dort vorsichtig, vorsichtig die Wände geöffnet und weggenommen. Es durfte nicht versäumt werden, die “Blocken”35 regelmässig zu bewässern, damit sie hart wurden und nicht zerfielen. Auch am Schabbath spazierten wir zu unserm Stück und bewässerten die “Blocken”35.

Während die beiden Juden, Kurt und Tukotschinski im Schweisse ihres Angesichtes sich abmühten lag nebenan der Araber, der den “Sifsif”32 gebracht hatte, in grösster Ruhe und wartete voller Geduld, bis seine beiden Kinder mit den Kamelen wiederkehrten. Ich musste ihn - noch nicht an den Anblick der Araber als eine alltägliche Erscheinung gewöhnt - mit Ali Baba vergleichen. Er war ungewöhnlich gross und stark, hatte einen wundervollen Bart, eine dicke runde Nase und beschäftigte sich stundenlang damit, die Schnüre aus den Papiersäcke in die der Zement verpackt war, herauszuziehen, sie um seine riesig grosse Zehe zu legen und Schnüre daraus zu flechten. Diesen grossen starken Füssen mit der runzligen schwärzlichen Haut eines Elefanten, die so weit ausschritten, sah man auch in der Ruhe an, dass sie viel benutzt wurden. Bei diesem Araber sah ich zum ersten Mal die grossen schwarzen Tonkrüge, die er mitbrachte um sie an unsere Leitung mit Wasser zu füllen. Sie stammten noch aus der Welt der Bibel. Rebekka, Ruth, standen vor meinem Auge.

Das Haus wurde fertig und wir zogen ein. Mit 2 Feldbetten, 2 oder 3 arabischen geflochtenen Hockern, dem schon erwähnten, zusammenlegbaren Gartentisch und einer Schreibmaschine, die

37 per Stück

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säuberlich auf einen Sack im „grossen Zimmer” gestellt wurde. Und noch einer Bequemlichkeit – ein Liegestuhl. Es war inzwischen April 1933 geworden. Wir hatten 2 einfache Petroleumlampen. Bis wir nach 7 Jahren Elektrisch bekamen, probierten wir alle möglichen Verbesserungen damit aus. Verschiedene Sorten Lampen mit runden Dochten von eigener Fabrikation, eine z. B, aus einem kleinen Ölblechdose als Petroleum-behälter. Später kamen die Luxlampen auf, die wir in erster Linie für die Ställe benutzten und gelegentlich, wenn Besuch kam, im Haus. Da stand das kleine niedrige Häuschen mit 2 Zimmern, Wohnküche, Terasse, dem kleinen Baderaum und Toilette. Im ganzen umfasste es 65 qm. und so leer wie es von innen aussah, so kahl war es ringsherum.

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7. Der Citrusbau.

Wir hatten wohl schon unsern “Pardess”19 gepflanzt. Aber die 2 jährige Stämmchen waren noch klein, zart und spärlich. Es waren ja noch garkeine Bäume. Noch als wir bei Winklers wohnten zogen wir morgens hinauf mit langer Schnur und Meβ Stange, bereiteten uns eine Menge Stöcke vor zum bezeichnen der Pflanzlöcher und begannen zu messen, Schnüre zu spannen, wieder zu messen, Stöcke in den Boden zu stecken, wieder herauszuziehen, weil es oft nicht richtig auskam und wieder neu zu messen und zu bezeichnen. Das War langweilig. Ich dachte es nur, sagte aber nichts. 2 Stöcke bezeichneten die Weite des Pflanzloches, einer in der Mitte den Platz für das Stämmchen. Die Pflanzlöcher machte der Kurt nicht alle alleine. Ruthenberg30 machte einen Teil. Dann beriet man sich mit verschiedenen “Pardessanim”38 über die Wahl der Pflänzlinge und ihren Einkauf. Man konnte billigere unveredelte nehmen oder teurere “gegrefte”39, bei denen man 2 Jahre bis zum Ertrage des Frucht gewann. Es gab für beide Arten Fürsprecher. Wir entschieden uns für veredelte Stämme. Auf den untern Teil unser Grundstück, mit dem leichteren Boden, kamen solche mit einer Unterlage von “Limon”40. Auf den Teil hinter dem Haus Pflanzten wir auf “Chusch’chasch”41 veredelte. Das schreibt sich ganz leicht hin. Doch die verschiedenen Beratungen und Überlegungen, das Betrachten verschiedener “Maschtelot”42, erfragen der Preise, das Aushandeln und bringen, ja sogar das Pflanzen selbst, waren noch kleine Mühen verglichen mit denen, die dann anfingen, als die Bäumchen gesetzt waren. Da kamen die Bewässerungen. Dabei hat Kurt gelernt, mit der “Turiah”29 umzugehn. Und wenn noch immer Wasser gewesen wäre. Aber das war ein trübes Kapitel. Wir waren der am höchsten gelegene “Meschek”6 von Magdiel24 und wenn ein “Pardess”19, der tiefer lag als wir, wässerte, dann standen wir trocken. Nachts gab es fast immer Wasser und so blieb dem armen Kurt nichts anderes übrig als nach einem Tag, in dem er gegraben und geschleppt, gehämert, gepflügt hatte, nach dem Abendbrot zur “Turiah”29 zu greifen und seinenm “Pardess”19 Wasser zu geben. Gut wenn Mondschein war. In dunklen Nächten arbeitete er beim Schein der Stall Lampe. Die Wassergesellschaft hat verschiedene Versuche gemacht die tage der Bewässerung einzuteilen, damit alle am Tag dran kamen. Die Ordnung war immer wieder unterbrochen. Da war nichts zu machen. Und wenn drausen kein Wasser gab, gab es natürlich auch keines im Haus. Da stand dann das schmutzige Geschirr und die Kinderwäsche bis - o Erlösung - der Wasserhan wieder spreute.

Solange der Zwischenraum zwischen den Bäumen es erlaubte, das war 3 oder 4 Jahre lang der Fall, säte man im Frühjahr “Turmus”43 als Gründüngung aus und pflügte es

38 Citrus Bauer 39 veredelte 40 Zitrone 41 Wild Citrus 42 Pflänzling Züchter oder Pflänzling Beete. 43 Lupine

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ein. So weit es seine Zeit irgend erlaubte, machte Kurt die Pferde Arbeiten selbst.

Man verwendete viel Sorgfalt auf die “Pardess”19 arbeiten. Man gab z. b., unter anderem, Knochenmehl, und Kurt wählte die gründlichste der verschiedene Düngung Arte, dicht um den Stamm mit dem Grablöffel einen kleinen Graben zu ziehen und ihn mit dem Knochenmehl zu füllen. Es wurde jedes Jahr gedüngt und später auch “Gisum”44 gemacht - die trockenen Zweige und Zweiglein herausgeschnitten. Man pflegte auch damals noch Wassergräbchen für jedes Baum zu machen, den Wurzelansatz freizulegen und mit einen kleinen Wall umzugeben, so daß das Wasser nicht herauskam. Jetzt hat man das alles aufgegeben und anscheinend gediehen die “Pardessim”19 deswegen nicht schlechter.

44 Hebräisch: Bäume beschneiden.

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8. Die ersten Farm Gebeude.

Wir hatten damals noch die Überzeugung, dass eine Wirtschaft möglichst vielseitig sein sollte, um gesund und krisensicher zu sein. Darum die Kühe, darum Bauten wir Gemüse in grösserem Masstab an und verkauften davon, darum wurde auch dem “Pardess”19 viel Arbeit und Sorgfalt gewidmet. Das Wässern, Hacken, Binden der zweige, Misten mit natürlichem und künstlichem Dünger nahm viele Arbeitstage in Anspruch.

Für den gemischten “Meschek”6, den wir beabsichtigten, brauchten wir einen Kuh- und einen Hühnerstall. Zuerst hatten wir uns 2 kleine Hühnerställe aus Wellblech auf Holzumrahmung, mit Betonfussböden, bauen lassen, wie es üblich war. Der Tischler Wacksmann wurde dafür bestellt. Man hatte noch die ganze Aussicht frei. Die Ställe standen rechts und links an der Breitseite des Grundstückes mit Höfen dazwischen und man sah von der Terasse des Häuschens und vom “grossen Zimmer” aus auf sie hinab. Das schien uns ausserordentlich praktisch, denn so konnte man sehen, was da bei den Hühnern vorging. Ihr wisst wo unser erstes Wellblechgebäude hinkam, der Anfang von einer späteren kleinen Wellblechstadt, ca. 20 m vom Haus entfernt, längs des Weges, der unsere und Ruthenbergs30 Grundstücke trennt. Hühner- und Kuhstall Waren ein längliches Gebäude, durch eine Wand getrennt.

In den Boden vom Kuhstall kam eine Rinne für die Jauche mit einer Abflussöffnung zur Mistgrube. Ca. ein halbes Jahr lang hatte er nur ein Fenster nach dem Hof zu und Kurt schwitzte sehr beim Melken. Als er lange genug geschwitzt hatte, machte er sich gegenüber dem Hoffenster ein zweites.

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9. Die Kuhzucht.

Es waren 3 oder 4 Stände für Kühe eingerichtet. Nun musste also eine Kuh erstanden werden. Ein Kuhkauf ist eine Vertrauenssache. Ihr wisst, wie man da beschwindelt werden kann. Wir kannten nicht viele Menschen. Dr. Neriah, der Veterinär, wurde unser Berater und er rief eines Tages Kurt zu sich nach hause. Neriahs wohnten damals in Kfar Malal45 und hatten hinterm Haus einen “Tzrif”46. Dort stand eine schöne Jungkuh mit glänzendem schwarzen Fell, grades Rücken, gut genährt, von halb Holländisches halb Arabisches Abstammung. Man zog die gemischten Kühe den reinrassig Holländischen vor, weil sie das Klima besser vertragen. Dieses Jungtier, das in 4 Wochen kalben sollte, wurde unser eigen für £1,00 und erhielt den Namen Alufa. Wir meinten damit nicht “Gräfin”, sondern "Sanfte”47. Sie war wirklich ein gutartiges Tier. Der Tag, an dem sie unser werden sollte, an dem so die erste Milch zu erwarten war, lag noch einige Zeit vor uns. Da fertigte Kurt aussen am Stall ein festes Brett an mit 3 oder 4 hölzernen Haken, daran hängte er ordentlich nebeneinander auf einen Melkeimer und 2 Milchkannen. Ich Wunderte mich immer über diese Voraussicht und bewunderte sie. Ich hätte sicher bis zum letzten Augenblick gewartet, um erst zu sehen, ob denn die Kuh auch wirklich Milch geben würde. Dann hätte ich erst provisorisch in irgend einen Eimer gemolken.

Kurt konnte nicht melken. Man hatte ihn in Nahalal17 nicht darin unterwiesen. Aber er lernte es auch so. Er las in einem Buch, wie man es zu machen hätte, probierte die Griffe mit der rechten Hand am linken Mittelfinger und mit der linken Hand am rechten Mittelfinger und die Kuh schlug nicht mal aus, als er das gelernte an ihr ausliess. Was Kurt nicht konnte, das brachte er sich selber bei. Er war kein Mensch der andere viel fragte. Er verliess sich lieber auf die Angaben in Büchern und eigenen Verstand und Geschicklichkeit. Erstens war er von Natur schüchtern und wir kannten die Menschen nicht näher. Dann hatte er nicht ohne Weiteres Zutrauen zu den Ratschlägen anderer und drittens hatten wir keine Zeit rumzulaufen und zu fragen.

Als wir nur die Alufa hatten, gab es noch keinen Hof für die Kühe. Sie wurde tagsüber unter einem höchst kunstvollen und malerischen Sonnendach angebunden, aus 4 Pfähle mit Säcken bespannt - praktischerweise gegenüber der Glastüre im “grossen Zimmer”. Da noch kein Baum und kein Strauch die Aussicht versperrte, konnten wir sie während unsere Mahlzeiten immer beobachten und sehen konnte, ob die gute keine Dummheiten machte! Nein, die Alufa machte da eigentlich keine.

Eine Kuhtränke sollte erst viel später eingerichtet werden. Lange Zeit gab Kurt den Tieren aus Eimern zu trinken. Eine Kuh entschliesst sich nicht sofort ihr Maul ins kühle

45 Ein Moshav (cooperatives Dorf) in der nähe von Magdiel. Damals hiess es noch Ein-Chai. 46 Hebräisch: Hütte. 47 Alufa auf Hebräisch meint eigentlich ‘Sieger’ oder ‘Champion‘.

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Nass zu senken. Erst überlegt sie sich, ob sie durstig ist, dann riecht sie am Wasser und bläst hinein und hebt wieder den Kopf. Du stehst dabei, etwas ungeduldig, mit den Gedanken schon bei der nächsten Arbeit, bis sie sich schliesslich entschliesst. Einer Kuh beim Trinken zuzuschauen ist dann aber ein Vergnügen. Die langen behaglichen Schlucke. Wie das Wasser im Eimer in grosser Stufen abnimmt, das schlürfende Geräusch. Ein Eimer ist leer. Gang zum Wasserhahn und erneutes Anbieten. Jetzt geht es schon ohne grosse Umstände. Nach dem 3ten oder 4ten Eimer wartet man, ob sie nun auch wirklich zufrieden ist. Dies wiederholt sich 3 Mal am Tag.

Alufa’s Erstgeborenes war ein kräftiger Stierkalb. Nachdem es 8 Tage getrunken hatte und schön fett geworden war, nahm es Kurt mit zu Herrn Pasmanik, der Fleischmetzger, um es zu verkaufen. Sie wurden handelseinig. Der “Schochet”48 war auch zugegen. Es war noch der alte Biber, der Vater von Fr. Skidelski, ein breiter schwerer Mann mit einem Breiten weissen Bart. Er wurde uralt. Der “Schochet”48 fragt den Kurt: “ist es vielleicht das Kalb von einer “Mawkira”49? Und er bejaht es nichts-ahnend. “Dann darf es nicht geschlachtet werden!” Wir kannten nicht das Jüdisches Gesetz, welches das Schlachten jeder Erstgeburt verbietet. Wäre der alte Biber nicht dabei gewesen, so hätte das wahrscheinlich ein Auge zugedrückt und die Sache verschwiegen. So aber war das unmöglich und Kurt musste das Tierchen wieder mit nach Hause nehmen. Es trank weiter die gute Milch und lief im Hof rum. Was soll damit werden? Wer kann es uns Schlachten? Kurt konnte doch so ein hübsches Tier nicht umbringen. Es fand sich ein ausweg. Wir schuldeten es den “Kibbutz”50 und sie gaben uns ein grosser Teil der Fleisch. Nun erst klärte uns unser Nachbar , der unsere Unwissenheit nicht geahnt hatte, darüber auf, wie man sich nächstens im Solchem Fall zu verhalten hätte. Und tatsächlich hatten wir später nocheinmal von einer “Mawkira”49 ein Stierkalb. Bald noch vor der Geburt, sagten wir Pasmanik Bescheid und er kam mit einem Araber an, dem zum Schein die Kuh verkauft wurde, zu einem so hohen Preis allerdings, daß er keine Lust haben konnte später auf dem Verkauf zu bestehen. Wenn nun ein Stierkalb geboren wurde, so gehört es einem Araber und durfte geschlachtet werden. Dann kaufte man das Fleisch und die Kuh zurück, d.h. der Araber bekam einen “Schilling”51.

für Grünfutter war auf unseren 9 Dunam20 kein Platz. Vor und hinter dem Haus war der “Pardess”19 - zusammen 6 Dunam20. Die übrigen 3 Dunam20 - Haus, Gemüse und die Ställe und Höfe. Da sammelte Kurt in dem

48 Hebräisch: Schächter. 49 Hebräisch: eine Kuh mit Erstgeburt 50 Es war ein Platz wo jede 2 Jahre ein andrer Kibbutz auf „Hachschara“ war bevor er auf seine feste siedlung

ging. Der Platz war auf die Strasse gegenüber unsere Farm. Sieh auch Bemerkung 15. 51 1 Schiling = 5 Piaster. 100 Piaster = £1.00.

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umliegende “Pardessim”19 “Ridgella”52 und schleppte sie in Säcken nach Hause. Bei einer Kuh brauchte man ungefähr 2 Säcke. Ihr könnt euch ausrechnen wieviel man nötig hatte, als der Viehbestand später bis auf 5 Köpfe anwuchs! Das brauchte seine Zeit und ausserdem Kraft, den er belud sich mit möglichst viel auf einmal53, um nicht so oft gehen zu müssen. Die Kühe bekamen auserdem noch “Tebben”54 mit Mischfutter zu fressen. Beim “Tebben”54 kauf sah man darauf, daß er weich und goldgelb war. Er wurde ausserdem vor dem Verfüttern jedesmal gesiebt. Er war staubig und es konnte einmal ein Nagel oder sonst ein spitzer Gegenstand oder ein Stein drin Sein, woran eine Kuh eingehen kann. Das Mischfutter wurde darüber gestreut und nur oberflächlich vermischt.

Der Kauf der Alufa war 1933. Im nächsten Jahr wanderte Teddy55 ein. Er war die erste Monate bei uns und half bei allen Arbeiten mit. In Magdiel24 hielt man damals noch so viele Kühe, dass sich ein Kuhhirte bezahlte. Chaim Blumenthal war ein stiller Mensch. Er kannte gut Arabisch und kannte auch viele Araber aus der Nachbarschaft. Wir hatten ihm gesagt, wenn er ein mal von einer guten Arabischen Kuh hörte, die zum Verakuf stände, möge er es uns mitteilen. An einem Schabbath morgen benachrichtigte er uns, daß es in Abu Kischek56 eine gute Erstlinge Kuh zu kaufen gäbe. Er wolle mitgehen und verhandeln. Man brauche dafür ca £5,00. Diese waren in unserer Kasse nicht vorhanden. Teddy55 lief runter zu Hermann Aharon57 und bekam sie geliehen. Ein Sandsturm war am diesem Tag, wie es glücklicherweise wenige gibt. Es war Ende Oktober. Die Luft war so dicht mit gelben Staub gefüllt, dass man kaum 50 mt. weit sehen konnte. Teddy55 hatte einen anständigen dunkelblauen Anzug an, erstens weil es Schabbat War und dann vielleicht, um vor den Ismaeliten von Abu Kischek56 einen guten Eindruck zu machen. Ich weiss nicht mehr, ob Kurt sich auch feingemacht hatte. Als sie nach einigen Stunden von ihrer Weiten Wanderung zurückkehrten, waren sie beide so mit gelbem Sand bedeckt, daß von der Farbe ihrer Kleidung nichts mehr zu sehen war und sie waren ganz ausgedörrt. Den Handel aber hatten sie mit Hilfe von Chaim glücklich beendet. Sie führten mit sich eine magere, kleine, gelbe Kuh, die in einer Woche kalben sollte und die sie für den niedrigen Preis von £5,00 erstanden hatten. Die Araber hatten versichert, daß von ihr Rottelweise58 Milch zu erwarten wäre und gewiss wegen dieser Aussichten (denn ihrer Schönheit wegen konnte es kaum sein) hatten sie ihr den königlichen Namen “Regina” gegeben. Von einer kleinen Kuh kann nur ein kleines Kalb kommen. Das geborene Kalb war winzig. Das enttäuschte uns nicht. Aber wenn sie anstatt der versprochenen 5 lt. nur eine Unze Milch gibt und diese sogar nur wiederwillig, unter Bocken und Stossen, abgewinnen lässt, dann verdient eine Regina ihr Futter nicht und dann muss sie unters Messer. Das war schliesslich ihr Schicksal.

52 Arabischer Name. Eine art Grünzeug mit runde, weiche, saftige Blätter. 53 Kurt hatte aber ein Sprichwort: „Ein fauler Esel schleppt sich auf ein Mal zu Tot!“ 54 Hebräisch: gehackter Stroh. 55 Theodor David, Kurt’s jüngere Bruder. Geb. 11 Februar 1907, Bonn. Gest. 1990, Herzelia, Israel. 56 Ein Beduinen Hüttendorf, ca. 5 Km westlich von Magdiel entfernt. 57 Ein Magdieler Siedler und Bekannter, aus Deutscher herkunft. 58 Rottel = 2,88 kg. Ein Ottomanisches Gewichtsmass.

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Die nächste Kuh wurde bei einem Viehhändler in Kfar-Saba23 entstanden. Moische Sibiriak stammte aus Sibirien und sah auch Mongolisch aus, breit, gross, mit vorstehenden Backenknochen und finster blickend. Er war ein erfahrener Händler. Kurt nicht. Die Kuh die er bald bei uns ablieferte war auch eine “gemischte”, sah gross und stattlich aus, nur leider gab sie viel zu wenig Milch. Wir mussten sie bald wieder verkaufen und versuchten es mit einer reinrassigen Hohlländerin, namens Emma. Die Emma gab gut Milch, aber sie vertrug das Klima schlecht. Es war zum Erbarmen, wie sie auf dem Feld stand und schnaufte. Und bald fiel sie dem Milzbrand zum Opfer und starb nach kurzer Krankheit. Wir waren versichert und bekamen, nach ziemlich viel Scherereien, Laufereien, Fahrten nach Petach-Tikwa59, Zeitverlust, ca. die Hälfte des Kaufpreises zurück. Es ist aufregend, wenn einem so ein Tier stirbt. Man merkt sie fühlt sich nicht gut, sie frisst nicht, liegt und will nicht aufstehen, atmet schwer. Man rennt mitten aus der Arbeit weg zum Tierarzt, macht alle angegebenen Einreibungen, gibt den sich widersetzenden Tier die Arznei mit der Flasche, indem einer es bei den Hörnern packt und mit 2 Fingern der anderen Hand den Kopf zurückbeugt, ein Zweiter die Flasche von der Seite ins Maul hineinzwängt, misst Fieber, kurz bekurt sie von allen Seiten. Sie aber macht sich nichts daraus, sie legt sich nieder, verdreht die augen und rührt sich nicht mehr. Die teure Emma, Die Hoffnung unsere Kuhzucht. Jetzt, wie bekommt man das grosse schwere lebloses Vieh aus dem engen Stall heraus? Und wohin mit dem Kadaver? Zur Zeit von Emma arbeiteten wir schon nicht mehr ganz allein. Wir hatten schon einen Praktikanten. Wir hatten sogar einen kleinen Sohn von 1½ Jahren und einen von einem Monat. Es war 1935. Mit Hilfe des Praktikanten wird ein Brett unter die tote Kuh geschoben und mit grosse Anstrengung hebt man sie auf einen Wagen und fährt sie in ein entferntes “Wadi”26, den Schakalen zum Frass. Nun bliebe uns nur die seelische Aufgabe, uns mit dem Verlust abzufinden, könnte man denken. Doch war da noch ein Nachspiel. Die ärztliche Feststellung der Todesursache durch den Tierarzt der Krankenkasse. Zu diesem Zweck fuhren Kurt und der Praktikant noch einmahl zum “Wadi”26. Man schnitt der Emma den Bauch auf und Kurt musste mit eigenen Händen die Eingeweide herausziehen für die Untersuchung.

Um das Kapitel der Kühe zum abschluss zu bringen, will ich noch sagen, daß alle, ob sie gemischte schwarzweisse, oder magere gelbe Arabische oder kohlschwarze Holländerinnen, für unsern Kuhstall aus Wellblech, zu kräftig waren. Wenn ihnen langweilig war, stiessen sie mit ihren Köpfen gegen die Vorderwand und boxten sie so weit hinaus, daß zwischen ihr und dem Boden ein grosser Spalt klaffte. Und die Bretter zwischen den einzelnen Ständen hatten sie schon ziemlich bald zertrümmert. So nahm der “Balebos”60 Zollrohre, gerade und gebogene, schraubte sie so zusammen, dass rechts und links von jeder Kuh ein eisenbarren, wagerecht auf 2 anderen auflag, die in den Fussboden einbetoniert wurden und verband diese vorne, wo der Kopf war, mit einem weiteren Rohr, dichter über den Boden. Daran bindete man die Kuh mit eine Kette fest. Als der

59 Eine Kleinstadt oder grosser Dorf, ca. 15 km südlich von Magdiel entfernt. 60 Yiddisch: Hausherr

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Bestand auf 3 Tiere wuchs, 2 Kühe und ein Kalb, machte Kurt aus dicke Holzstangen einen Hof und legte in die Mitte eine Wasserleitung. Er hatte noch einige Zeit mehrere Tiere mit eimern getränkt. Einen Eimer und noch einen Eimer und noch einen - Das musste man ändern. Die Hausfrau gab (unter Protest...) den “Dud”61 , in den sie die Wäsche kochte, als Tränke her. Sowas soll man nie tun. Immer habe ich früher Haushaltsgegenstände dem “Meschek”6 ’geliehen’ um sie entweder überhaupt nicht oder bis zur unkenntlichkeit entstellt wieder zurück bekommen. Aber wir mussten sparen. Ich holte mir meinen “Dud”61 am Wäschetag aus den hof und bracht ihn wieder nach Beendigung der Arbeit.

Es gelang den Viechern öfter einmal, fast immer am Schabbat, eine Stange des Hofes zu ‘entfernen’ und auszubrechen. Hallo! die Alufa ist oben in Ruthenbergs30 Kornfeld! Sobald sie wittert, daß Kurt rauskommt um sie zu fangen, gallopiert sie mit hoch erhobenen Schwanz abwärts, daß die Erdballen fliegen, wie eine Dampfmaschine in voller Fahrt. Ganz wild vor Freiheitsdurst und Bewegungsfreude. Das ist jedesmal eine furchtbare Jagd. Der Kuh machts Spass und Kurt hetzt sich ab zum Erbarmen. Wenn er sie endlich eingeholt hat, (ich beteilige mich, indem ich ihr den Weg versperre, was nicht immer hilft) packt er sie bei den Hörnern mit der einen Hand, 2 Finger in die Nase mit der andern und aus ist Alufa’s Freiheitstraum. Wenn Kurt dann abgehetzt und erschöpft war, packte ihn immer eine fürchterliche Wut. Auch manchmal gegen den Esel, der auch von Zeit zu Zeit ausriss. Dann konnte er die Viecher fürchterlich verdreschen. Ich kannte nichts Verkehrteres machen, als ihn beruhigen zu wollen. Das konnte er für den Tod nicht leiden und wurde erst recht böse. Die Alufa hat sich auch an die Kiste “Durrah”62 gemacht, in aller Stille den Zaun zerbrochen und sich schön mit Körner vollgestopft. Ein paar Tage vorher erst war Adlers eine Kuh aus diesem Grund gestorben. Ihr könnt Euch denken, was wir für einen Schreck bekamen. Wieder alles stehn und still liegen lassen und zum Viehdoktor. Ich glaube, wir haben ihr Englischsalz eingegeben. Sie blieb uns erhalten.

Wir kamen bis auf 5 Köpfe, 3 Kühe und 2 schöne Kälber. Die letzt erstandene Kuh, Zafra, war von Moische Sibiriak hoch angepriesen worden. “a goldener Seiger is sie”63 . Für eine ‘goldener Seiger’ war sie jedenfalls ungeheuer widerspenstig. Sie wollte sich um keinen Preis melken lassen. Sie trat so um sich, dass man sie binden musste und auch dann war es eine furchtbare Arbeit. Kurt war immer danach halb tot vor Anstrengung. Als er sich schon entschlossen hatte, diesem ‘goldenen Seiger’ wieder zu verkaufen, hatte sich dieser eines besseren besonnen und hielt still. Diese Kuh war keine Enttäuschung. Natürlich gab sie nicht das Quantum Milch welches der Vieh Händler prophezeit hatte, doch da sie besonders lange durchhielt kam sie auf einen befriedigenden Jahrertrag.

Wir hatten inzwischen eine Eselin von einem Araber erhandelt gehabt. In der Kuhstahl hatte der Esel nur ein Plätzchen in der Ecke. Sie war trächtig und schenkte uns ein reizendes Eselchen, das wir Zira riefen. Kurt hatte es schrecklich gern. Es schien ihm viel klüger als irgend ein anderer Esel und er war in allem Ernst, daß Zira immer so zierlich und stets durch ihre Inteligenz auszeichnen würde. Ich muss jedoch verraten daß er darin enttäuscht wurde. Sie bekam genau so einen dicken Schädel wie ihre Mutter. Die Alte war ein ängstliches, bockiges Vieh. Sie konnte sich vor einem Stück Papier erschreckent, plötzlich im Laufen halt machen, werfte den Kopf blitzschnell nach vorn auf die Erde und plumps,

61 Hebräisch: Wäsche Fass 62 Eine Art Korn 63 Yiddisch: eine Golduhr ist sie.

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rutschte der Reiter ab und lag auf dem Boden. Kurt lernte sich mit ihr aus, aber im Dunkeln auf ihr zu reiten, blieb ihm unangenehm. Vor jedem Schatten scheute sie.

Es gingen so viele Arbeiten und Neuerungen nebeneinander, daß ich noch etwas von Kühen weiter erzähle und dann wieder auf die Anfänge zurückgreifen werde.

Womit waren eigentlich unsere Tage so übermässig angefüllt? Da war das Melken und das Wegbringen der Milch 3 Mal am Tag auf dem Esel. Im Winter war es beim Abendmelken schon dunkel. Was für ein Vergnügen es dann war, rauf nach Kfar Malal45 auf dem dummen Esel zu reiten, habe ich schon erzählt. Im ersten Winter war Kurt’s Regenausstattung noch sehr mangelhaft gewesen (meine blieb es immer). Nicht die Schuhe allein, auch der Mantel reichte für die hiesigen Wolkenbrüche nicht aus. Im zweiten Jahr verschaffte Teddy55 seinem Bruder einen schweren schwarzer Ölmantel, der mehrere Jahre wasserdicht blieb. Bis Kurt aus der Molkerei kam, war es 9, halb 10. An Schabat Tage war keiner da, der die Milch entgegen genommen und abgemessen sondern jeder hatte die seine selber durch die Zentrifuge zu drehen. Wenn man da nicht der Erste oder einer der Ersten war, musste man stundenlang warten, bis die Vormänner ihre Milch durchgedreht hatten. Da war es schon besser um halb fünf oder 5 Uhr morgens aufzustehen um nicht vollkommen ausgehungert nach 3-4 Stunden nach Hause zu kommen. Es war uns verschiedentlich so gegangen, dass wir am Schabbat vormittag Streit miteinander anfingen. So bald wir gegessen hatten, wurden wir wieder friedlich. Bis wir dahinter kamen dass es jedesmal der Hunger war, der uns die Laune verdarb.

Da war also das dreimalige Melken, das Wegbringen der Milch, jeden Morgen wurden die Kühe gebürstet und gestriegelt, das Versorgen der Hühner, der “Pardess”19, die kleine Bananenpflanzung von 16 Pflanzen, die einmal die Woche gewässert werden musste, der Gemüsegarten, für die Frau der haushalt, der ohne jede Hilfe versehen wurde (Zur Wäsche nahm ich mir später ein Mädel aus dem “Kibbutz”50, als ich dann auch noch für die Praktikanten mit zu sorgen hatte, sogar ihre Strümpfe besserte ich aus für sie).

Ich hatte nach 4 Jahren eingesehen daß Kurt die Kuhhaltung aufgeben musste. Er bekam häufig so schwere anfälle von Rheumatismus im Rücken, daß er verzerrt und gekrümmt herumschliech wie ein alter Mann. Der Arzt in Magdiel24 konnte ihm nicht helfen. Als er das erste Mal so einen Anfall hatte, war er beim Wässern im “Pardess”19 und gab es nicht auf, bis er nicht weiter konnte. Da schleppte er sich zum Autobus, der damals noch trotz des Sandes bei uns vorbeikam, und fuhr zu unser Freund Dr. Sternberg in Tel-Aviv. Er behandelte ihn mit Spritzen und bekam ihn nach 5 Tagen wieder “fit”. Doch es kam öfter wieder und ich konnte dieses viele Schleppen der schweren Säcke mit Grünen nicht mit ansehen. Schliesslich musste er es aufgeben. Da lag er eines Tages vollkommen

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unbeweglich und konnte sich nicht erheben. Beide Kinder waren noch klein, eines wurde noch genährt. Unsere Kühe waren nicht an meine Hand gewöhnt und man musste den “Dod”64 bitten zu melken. Das tat man nicht gern, denn er hatte bei sich genug zu tun. Und alle die andere Arbeit, die verrichtet werden musste. Durch einen glücklichen Zufall kamen zu uns, gerade als Kurt hilflos im Bett lag, durch unsern früheren Praktikanten und Freund Gormanns geschickt, ein Mann aus Herzliah65, der seinem Sohn einen Kuhstall einrichten wollte. Man verhandelte mit ihm, nicht nur ein Mal natürlich (Kurt lag dabei auf den Bett). Er brachte dann auch noch einen Tierarzt mit und wir verkauften ihm die 3 Kühe und 2 Kälber geschlossen und bekamen nicht weniger heraus, als sie uns gekostet hatten. Allerdings auch nicht mehr. Kurt hatte sich ungern von den stattlichen Tieren getrennt. Man gibt nicht gern einen Zweig auf, in den man Mühe gesteckt und in dem man im Laufe der Zeit Erfahrung gesammelt hat. Zu unserem materiellen Nachteil war es aber nicht, denn wir konnten den Hühnerhof nun mehr Aufmerksamkeit widmen. Man hatte ihn aus Mangel an Zeit meist den ahnungslosen Praktikanten überlassen müssen. "Sieh mal nach, Hilde, ob man Wasser gegeben hat, usw.”

Als Milchtier bekamen wir bald eine Ziege. Davon werde ich später erzählen.

64 Hebräisch: Onkel, unser Nachbar Herr Ruthenberg. Kurt hiess auch „Dod“ bei die Ruthenbergs. 65 Ein Dorf (heute eine stadt) ca. 15 km westlich von Magdiel, unweit der Küste.

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10. Die Putenzucht.

(An die Kinder:) Wir wohnten noch bei Winklers, als mich Euer Vater durch die Mitteilung in Erstaunen setzte, daß er bei Ruthenbergs30 2 Puten und einen Truthahn erstanden hätte, mit denen er Küken brüten wollte. Es schien mir ein solches Wagnis, eine so Kühne Investition. Er hatte dafür £1.-- ausgegeben! Würde es gut und richtig sein? Würden wir es wirklich fertig bringen, daß lebendige Küken zur Welt kämen? Ich war zughaft es zu glauben.

Unsere ersten ‘Brutapparate’, die “Inditschkes”66, waren ausgezeichnete Legerinnen. Fast täglich fanden wir in einer Kiste, die mit Streu gepolstert und mit der Öffnung nach der Seite im Hofwinkel stand, ein grosses bräunliches, zugespitztes Ei mit roten Flecken. Als wir 15 Eier gesammelt hatten, bereiteten wir ein schönes Nest an einem etwas versteckten Platz. Zwischen Zimmer 7 und dem Zaun war noch ein schmaler Gang. Dort sass der zutrauliche grosse Vogel ungestört. Wir achteten darauf, dass er einmal am Tag vom Nest ging, um zu trinken und zu fressen. Während der Zeit der Brut war der Truthahn zu Ruthenbergs30 in ‘Pansion’ gegeben damit er nicht störe. Aber an dem Tag als die Kücken schlüpfen sollten, ja, als schon einige Eier angepickt waren, ereignete sich ein Unglück. Kurt reinigte den Stall (das Ställchen), in dem die Jungen puten aufgezogen werden sollten, mit einem gehörigen Strahl von Wasser. Er schrubbt und spritzt und merkt nicht, dass die Pute vom Nest gelaufen ist. Als er fertig mit reinigen ist und das Tier aufgeregt im Hof rumlaufen sieht, untersucht er das Nest und entdeckt, daß es überschwemmt ist. Das Wasser war unter der Stallwand hindurchgelaufen. Ich kam grade dazu. Was für ein Pech. Nun werden alle unsere kleinen Kücken tot sein. Doch jedenfalls bereitet man ein trockenes Nest am einem andern Platz und trägt die Eier vorsichtig dorthin. Das hatte sich morgens ereignet, kurz bevor ich nach Tel-Aviv fahren musste, denn ich hatte alle Geräte einzukaufen und Karbolineum67 und was sonst gebraucht wurde, denn Kurt war schwerer abkömmlich. Als ich abends schwer beladen zurückkehrte, war die erste Frage nach dem Küken. Oh Wunder: von 15 Eiern waren 14 geschlüpft und das Bad hatte ihnen nicht geschadet.

(An die Kinder:) Unsere gute “Doda”68, die auf einer Mühle mit Landwirtschaft aufgewachsen war, war unsere Beraterin. Die Nester für die Puten wurden bei ihnen in einem “Machsan”69 aufgestellt und es schlüpften tatsächlich kleine gelbe Küken. Von beiden Puten zusammen waren es 25. Ich traute mich nicht sie anzufassen. Die “Doda”68 setzte sie zuerst in einen ausgepolsterten Topf und hielt sie in der Küche warm. Einen “Brooder”70 und Wärmelampen hatten wir nicht nötig,

66 Yiddisch: Puten 67 Desinfektions Material, mit Kerosin gemischt für die Holz Teile der gebeude zu streichen. 68 Hebräisch: Tante. So nanten wir Frau Ruthenberg und so nanten mich die Ruthenbergs. 69 Hebräisch: Vorrat Zimmer, Lager. 70 Küken Heizkuppel

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denn die Glucken übernahmen die Aufsicht und Erziehung. Und zu den 25 eigenen Tieren kauften wir noch 25 Jungtiere dazu.

Kleine Puten Küken sind empfindlich gegen Nässe und brauchen besonders gute Ernährung. Nach den zeitsparenden Methoden der damaligen Zeit kochte man für sie Eier hart, vermischte sie mit feingehackten Gemüseabfällen und auch mit Weisskäse. Morgens um 10 wurde ihnen diese besondere Mahlzeit gereicht. Damit verbrachte ich immer mindesten 20 Minuten. Man konnte nicht einfach den Teller hinstellen und seiner wege gehen. Die alte, diese liebevolle Mutter, pickte sich immer die Leckerbissen heraus. Da stand ich mit einem Stöckchen dabei und scheuchte sie weg. die Schar wuchs heran (Es geht viel langsamer als bei Hühnern) bekam ihr hübsches schwarz Weisses Gefieder und sie stolzierten im Hof herum, was recht stattlich aussah. Sie wurden gross und schwer und als sie wogen, kamen sie auf den Markt. (Wieviel verdiente man damals an einer solchen Fleischaufzucht?)

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11. Die Hühnerzucht.

(An die Kinder:) Um unseren Bestand zu vergrössern beschloss Euer Vater Junghühner dazu zu kaufen. Wir hörten dass Mandel in Kfar Malal45 welche abzugeben habe. Ich selber tätigte den Kauf ohne das ich wusste, wie schöne “Pargioth”71 auszusehen hätten. Mir ist aber in Erinnerung, als ob ich doch die grössten ausgesucht hätte. 25 Stück wurden uns zugesandt, zusammen mit einem Tütchen Sodium Chlorid gegen Läuse. Ich denke mir, wir nahmen an daß alle Hühner verläust wären, denn wir fanden nichts komisches dabei. Wir hatten später noch oft mit der Bekämpfung von Läusen zu tun.

Der sel. Bernhard Gandz gab uns viel Anleitung. Er hatte einen grossen und schön angelegten “Meschek”6, ein geräumiges Haus mit einem Kellergeschoss, in dem 2 “Buckey“ Brutapparate aufgestellt waren. Bei im gab es schon damals elektrischer Strom. Von Gandz ging etwas aus, das Achtung gebot. Er war nicht gross, breit gebaut, sah gepflegt aus, sein Haar lag immer glatt gescheitelt und er hatte etwas sehr bestimmtes in seinem Wesen. Einem festen Blick, beinahe etwas Strenges. Sein “Meschek”6 war schön angelegt, mit betonierten Höfen. Auch der Grösse nach allen andern Hühnerwirtschaften im “Scharon”72 weit voraus. In Magdiel24 war er lange Zeit der “Muchtar”73 geweseng, hatte auch Autorität bei den Arabern. Es bleibt mir immer schmerzlich, dass dieser tüchtige und kultivierter Mann (der früher auch einmal ein grosser Bibliophile gewesen war) seinen Besitz verlassen musste und in die Stadt74 zog. Er starb viel zu früh.

Er liess mich gelegentlich etwas helfen, ich durfte Eier wenden, zusehen wie er durchleuchtete. Er empfahl uns die erste Futtermischung, verkaufte uns Körner, die ich in einem kleinen Säckchen von ihm holte. Von ihm kauften wir auch unsere ersten Bruteier. Wie primitiv und wie umständlich wir gearbeitet haben, könnt Ihr Euch schwer vorstellen. Durch unseren Hühnerhof lief die Wasserleitung vom “Pardess”19, mit den Wasserhähnen dicht über der Erde. Ich bediente mich einer Kokosinbüchse, um das Trinkgefäss zu füllen. Dieses war ein “Pach”75, aus dem an den Breitseiten Streifen herausgeschnitten waren, und

71 Hebräisch: Junghännen 72 Namen der Bezirk von Mittel Palästina/Israel. 73 Arabisch: Vorsitzender der Siedlung. 74 Tel Aviv 75 Hebräisch: Blechgefäss . Hier sind 20 Liter Petroleum Blechgefässe gemeint.

„Pachim“ ist die mehrheitsform.

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zwar hoch genug, daß genügend Wasser darin stehen konnte. Da es oben geschlossen blieb, konnten die Hühner nicht hineintreten. Zu jener Zeit waren “Pachim”75 unentbehrliche Materialien, die zu den verschiedensten Zwecken umgearbeitet wurden. Auch unser Legeneste waren aus “Pachim”75, ebenso die ausserdem. Und zwar galt es als ein grosses Mass. Gewöhnlich rechnete man mit Quakerdosen für Mischfutter etc. Das Gewicht war der “Rottel” 58.

Wir wurden damals von allen Seiten ganz ernst genommen. Hier gab es nur 2 Hühnerwirtschaften, die zwischen 400 und 500 Hühner hatten. Das schien uns ganz grossartig. Wir holten uns auch an diesen beiden Stellen Rat und Beruhigung. Z.B. hatte mir der Mann bei dem ich die 25 Jungtiere kaufte gleich Insektenpulver gegen Läuse mitgegeben. Vor diesem Übel graute uns furchtbar und das schleppten wir nun ein! Die Behandlungmethoden waren auch umständlich, aber wir scheuten sie nicht. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt, dass Läuse auftreten und gebrauchten wirksames Amerikanisches Mittel, dass einfach auf die Sitzstangen aufgesträufelt wird. Ohne Spass: wir machten uns mit unseren 50 Tieren fast soviel Arbeit, wie heute mit 500. Wasser schöpfte ich mit einer Blechdose an dem niedrigen Wasserhahn, machte jede Woche den Stall sauber und schleppte viele Eimer Wasser, um alles auszuspritzen. Der Stall wurde gründlich geschrubbt, wieder trocknen lassen und von neuem mit “Tebben”54 ausgestreut. Jetzt macht man bei Legehühnern, je nachdem was man auf den Boden streut, alle 4 wochen bis 3 monate sauber und wer die Tiere auf Drahtnetz laufen hat, kann, wann er will, den Mist darunter wegnehmen.

Im vorderen Stall, die “Leghorn”76 Hühnern waren gute Legerinnen. Von den 25 Tieren hatten wir oft 20 Eier pro Tag. 1934 war Kurts Mutter zu Besuch und fand es, ebenso wie wir selber, zum Staunen und zum Freuen, wenn man eine ganze Schürze voll Eier von draussen hereinbrachte. Prozentual war's ja auch gut. Aber jetzt haben wir im Jahr über 60,OOO Eier.

Wir hatten natürlich viel mehr Eier als wir für uns brauchten. Der Überschuss wurde in die “Tnuva”77 gebracht. Die war damals im Haus von Pasmanik. Um die Eier zur “Tnuva”77 zu transportieren, bekam die Eselin 2 “Pachim”75 übergehängt. Die Eier wuerden in “Tebben”54 gepackt. Einmal ist es passiert, dass der Draht, der die beiden “Pachim”75 hielt, riss und eine Menge Eier zerbrachen. Später zerbrachen nochmal Eine Menge Eier, aber da war es ein anderer Grund. Da hatte Jehuda5 sie im altes Inkubatorenraum entdeckt gehabt und ein spiel erfunden: die Eier eins nach dem andern

76 Eine Rasse weisse Hühnern. 77 Namen der vermarktungs Kooperative.

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auf den Boden zu werfen. Erst als die erste 40 “verarbeitet” waren, entdeckte ich es.

Wir assen damals an unserem einzigen tisch, einem Gartentischchen, an der Tür im “grossen Zimmer”. Die Aussicht hatte noch einen Vorteil, den wir uns öfter vor augen hielten. Es gab 2 Hühner, die partout auf dem Sackdach, welche Alufa’s Sonnendach bildete, ihre Eier legen wollten und so und so oft rannte einer von uns während des Mittagessens hinaus, um die dummen Viecher runter zu treiben. Manchmal war es zu spät, das Ei lag oben und es war Glücksache es “ganzbeinig” runterzulotsen. Aber was wäre erst gewesen, wenn der Tisch so gestanden hätte, daß wir garnichts sehen konnten? Viel unangenehmer war es mit der Henne, die ihr Ei in den Zwischenraum zwischen der Stallwand und der Futter Kiste, die auf dem Hof stand, zu legen beliebte. Wunderbarerweise zerbrach es dabei meistens nicht. Aber es rauszuholen war schwierig. Und selten konnte man es auffangen in dem Augenblick, in dem sie es legen wollte. Grade diese Henne war unser Lieblingstier. Sie war zahm, lief uns nach und liess sich gern streicheln. Sie war eine fabelhaft gute Legerin. Kein fettes Tier, im Gegenteil, schlank, aber mit schönem Kamm. Eine seltene Erscheinung: ein intelligentes Huhn.

Wer schnitt denn die “Pachim”75 zurecht für die verschiedensten Zwecke? Alles der Kurt. “Pachim”75 zu Legenestern, zu Tränken, zur Beförderung der Eier und als Gemüse Körbe? Kurt konnte plötzlich alle Handwerkarbeiten. Er konnte sogar plötzlich bauen. Ohne grosse Vorbereitungen schnitt er eines Tages Holz zurecht. Balken, die er zu einem Gestell zusammennagelte und darauf befestigte er Wellblech. Das gibt einen “Machsan”69. Wir brauchten ihn. Wo sollten wir den “Tebben”54 aufheben? “Und glaubst du kannst es richtig aufrichten wie es sich gehört?” “Ich denke ja.” Und er konnte es wirklich. Es war ein Gebäude von auf das bis zum July 1949 stand und benützt wurde. Es war der Anfang von einer Unmenge Wellblech Gebäuden die er im Laufe der Zeit aufrichtete. Nur zur Betonboden giessen nahm er eine Hilfe.

An der andern Seite unseres Grundstücks wurde ein kleiner Stall zur Aufzucht von Küken hingesetzt (das spätere Zimmer 7), so daß jetzt vorhanden waren ein kleines Wohnhaus mit 2 Zimmern und Wohnküche und 2 Ställe. Die nächste Erweiterung war dann der von Kurt selbst gebaute “Machsan”69 für “Tebben”54. Als dann in der Breite des Kuhstalls und ungefähr in seiner doppelte Länge der Hof für die Kühe entstand (das Sonnendach von Alufa konnte dann abgenommen werden), bekam der Hof schon eine gewisse Form.

Am Bau des neuen Stalles, der in der Verlängerung von Zimmer 2 nach der Strasse zu entstand, von diesem aber durch einen schmalen Zugang zum Hof getrennt war, arbeitete Teddy55 eifrig mit. Er kam zu uns noch kurz ehe Gadiel4 geboren wurde und es war

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ein Vergnügen ihn da zu haben. Wenn er selber nicht die stadt vorgezogen hätte, würden wir gern ihm compagnon genommen. Er hatte an der Bauerei so viel Vergnügen wie ein kleiner Junge an seinen Bausteinen. Sofort nach Tisch, anstatt sich etwas auszuruhen, ging er wieder hinaus und nahm den Hammer und die Nägel und fing an zu klopfen und die Balken einander zufügen.

Kann man sich jetzt, da alles bepflanzt und bebaut ist, vorstellen, wie alles noch frei war? Je nach dem Geist und der Hand, die es verwalten würden, nach den Zeitströmungen, die eine Entwicklung begünstigen oder hemmen würden, auf diesem Stückchen Boden ein Beitrag zum “Binjan Ha’aretz”78 entstehen, oder auch kümmerlich bleiben. Die Erfahrungen, die man zu jener Zeit im Bau von Hünerställen hatte, waren noch gering. Es zeigten sich während der Benutzung verschiedene Fehler. Erstens war er zu niedrig. Das machte ihn zu heiss, und das Arbeiten darin unbequem. Die Hinterwand war vollkommen geschlossen. Viel später erst wurde bekennt, dass gute Durchlüftung im Sommer sehr wichtig für das wohl befınden der Hühner ist. Man schnitt dann grosse Luftklappen aus, die abends beim schliessen mit einem Klapp herunter fielen und die ganze herde von den Sitzstangen scheuchte.

(An die Kinder:) Wenn ihr einmal ein Wellblechdach zu bauen haben solltet, dann seid nicht so sparsam mit dem Material. Lasst die Stücke wie Kurt es machte, immer 2 Wellen übereinandergreifen. Wenn sie sich nur um eine Welle überschneiden, läuft der Regen hinein in den Stall. Und nagelt die Bleche immer mit dem Wellenberg an die Dachbalken und nicht mit dem Tal. Denn sobald es um die genagelten Stellen anfängt zu rosten und die Löcher sich vergrössern, tropft das Regenwasser durch. Und seht Ihr was für grosse und kostbare Regenrinnen jetzt hinter jedem Stall angelegt sind? Nicht aus Schönheitsgründen! An Regenrinnen haben wir viel herumprobiert. Zuerst wussten wir nicht einmal daß man sie braucht. Durch die Unkenntnis dieser “Kleinigkeiten“ wurde der Winter statt einer ruhigeren Zeit, in der man ein bisschen leichter hätte haben können, furchtbar aufregend und anstrengend. Es tropfte zum Dach rein und man musste dauernd die Streu wechseln. Das war noch das Einfachere. Doch der Regen staute sich hinter dem Stall, brach plötzlich mit Gewalt zwischen Grund und Blech durch und strömte in breitem Strom in den Stall. Kurt begann in fieberhafter Eile, Bleche herbei zu schleppen und eine Regenrinne auszulegen. Dann die Wand auszubessern und den Stall zu „entwässern“ und wieder auszustreuen. Ich half natürlich bei Allem. Wir selber waren auch nicht „wasserdicht“ wie ich schon erzählte. Diese Regenrinne aus Blech erwies sich als ungenügend. Mehrere Jahre versuchten wir es mit einer aus Beton, die jedoch zu schmal war, in der sich schnell schmutz und Blätter sich aussamelten und in einigen Stellen zerbrach, durch “Jablit”79, das hindurch wuchs. Doch dem bescheidene Umfang gemessen, den damals alles hatte, und daran, dass man alles und jedes mit nur 2 Händen fertigstellen musste, war eine Regenrinne aus Beton schon ein grosser Fortschritt.

Es gab ununterbrochen zu zimmern und zu bauen. Alles war eigene Arbeit. Es existiert jetzt noch eine mit Blech ausgeschlagene Futterkiste von unsern ersten Anfängen. Der erste Tisch auf dem die Hühner schliefen war aus Eisen. Später machte Kurt gute

78 Hebräisch: Bauen des Landes 79 Namen einer Unkraut mit sehr starke Wurzeln

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haltbare Tische selbst, teils aus Holz, teils aus Eisen. Es gab immer irgend welche praktischen Erfindungen, die sich auf den Dauer nicht bewährten. Man hatte uns geraten, die Beine des Tisches in leere Sardinendosen zu stellen und diese mit Petroleum zu füllen, damit kein Ungeziefer auf das Federvieh kriechen könnte. Das machten wir. Die Dosen waren eine Stunde mit “Neft”80 und von da an immer mit “Tebben”54 gefüllt. Die moderneren Tische bekamen dann angeschweisste Näpchen in halber Höhe des beines. Die waren aber auch immer voller Schmutz.

Die verschiedensten Futtergefässe sind im Lauf der Zeit angefertigt und zum grossen Teil als nicht ganz praktisch aus irgend einem Grunde später wieder verworfen worden, bis wir jetzt ein Modell herausgefunden haben, das allen Anforderungen genügt, wo vor allem nicht verschwendet Wird, Alle handwerkliche Arbeiten und Stallbaute wurden ohne Hinzunahme fremder Arbeitskräfte, nur mit einem Praktikanten zusammnen gemacht.

Unsere monatlichen Ausgaben betrugen damals zwischen £6.-- und £7.50. Wir wären mit £5.-- ausgekommen, wenn nicht durch verschiedent-liche Krankheiten, wie Kurts Rheumatismus und durch die Geburten und allem was damit zusammenhing, Budget belastet worden wäre. Der “Pardess”19 - nicht nur daß er noch keinen Ertrag gab - kostete noch. Mit einen, ja auch mit zwei Kühen und 25 Hühnern konnten wir nicht durch kommen ohne Schulden zu machen. Kurt beschloss, den “Lul”81 zu vergrössern. Man rechnete damals mit einer Einnahme von £1.00 bis £1.25 pro 100 Hünern. Bernhard Gandz lieferte uns den ersten “Brooder”70 und unsere ersten 400 Küken (2½ Piaster48 pro Stück). Als er sie später als weiss befiederte und gleichmässig entwickelte Jung-hühnern bei uns im Hof herumlaufen sah und ich ihm sagte es seien gute Küken gewesen, denn es wären so schöne Junghünern daraus geworden, erwiderte er, das läge an der guten Aufzucht, nicht an den Küken. Der “Brooder”70 stand in Zimmer 7. Der erste Stall für Hühner war besetzt von denen, die wir unter der Glucke gebrütet, samt denen, die wir von Mandel erworben hatten. Für die Gandzschen Junghünern fehlte

80 Petroleum 81 Hebräisch: wörtlich: Hühnerstall. Hier Hühnerzucht gemeint.

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uns ein Stall. Kurt hatte sich nun schon genügend Fertigkeit angeeignet, um den Bau selber zu unternehmen. Er besorgte sich Wellbleche, Holz, Nägel und “Blocken”35 für den Grund. Der Platz den er dafür bestimmte, war gezwungenermassen ziemlich nahe beim Haus. Er streckte sich hinter dem jetztigen kleinen Kieferwäldchen. Es ist mir noch deutlich in Erinnerung, wie er den Boden abmass und Stöcke in die Erde hieb, Schnur entlang zog und daran entlang den Graben für die “Blocken”35 begann. Die Grösse der beiden Zimmer - später Zimmer l und 2 genannt - war 3 x 4 Mt.

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12. Anfang der Büterei.

Bei Herr Gandz haben wir die allerersten tastenden Erfahrungen im Behandeln von Bruteiern bekommen. Er erklärte uns den Bau der Brutapparate, erlaubte mir mit Eier zu wenden, und zeigte uns die Durchleuchtungslampe. Im Jahre 1934 hatte Kurt sich überlegt, dass es sich lohnen müsste, seine Küken selber auszubrüten, anstatt sie zu kaufen. Er fuhr in die stadt74, sah sich in den 4 Geschäften die Inkubatoren führten und bestellte bei Gusmann einen Buckey für 066 Eier. es würde 1.50 x 1.50 Mt. gross sein und in unserm grossen Wohnzimmer Platz haben. Der Apparat hatte auch wirklich Platz, nur wir hatten dann etwas zu wenig. Ich sehe uns noch eines abends mit 3 Personen zu Besuch, denen ich eine sitzengebliebene Sandtorte anzubieten hatte, in dem engen Plätzchen zwischen Inkubator und den Betten sitzen. Es war aber ganz lustig. Eines Tages kam er an und mit ihm ein netter Ingenieur, der ihn aufstellte und nocheinmal seine Benutzung erklärte. Der Apparat kam vor die grosse Glastür. Bevor der Buckey aufgestellt wurde, hatten Sesseln und Tischchen vor der Glastüre ihren Platz. Danach wurden sie vor den Buckey gerichtet und wir nannten das “unser kleinen Wohnzimmer”.

Wir bezogen unsere ersten Bruteier von Gandz. Frau Gandz hatte mir gezeigt wie ich die Petroleumlampen des Inkubator zu behandeln hätte, wie die Dochte zu pflegen. Sie müssen vollkommen grade sein, damit die Flamme nicht zackig wird und etwa gar russt. Ich ging mit einem Rasiermesser darüber und wischte mit Seidenpapier mir die Finger nach. Man darf die Lampen nur ¾ füllen und muss sorgfältig das Petroleum wegwischen, falls eimal etwas verschüttet wird. Die Entstehenden Dämpfe sind giftig. Das Wenden morgens und abends, besorgten wir mit der Hand. Es gab auch eine Art Leiter, zwischen deren Sprossen die Eier geordnet werden konnten und über die sie sich drehten, wenn man sie nach oben, resp. nach unten schob. Wir aber zogen den Weg vor, wir wollten sicher sein daß jedes Ei seine Viertel Wendung machte. Jetzt brannte Tag und Nacht die Petroleumlampe im Zimmer. Wir Neulinge im Fach

waren aufs Äusserste pünktlich und genau alle Vorschriften einzuhalten. Dass man jede Nacht wenigstens einmal aufstand, um die Temperatur zu prüfen - daß übernahm ich - verstand sich von selber.

Mir Wird beim Schreiben wieder bewusst, daß wir bei allem was wir vornahmen

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nicht nur beim Brüten, mit äusserster Genauigkeit verfolgten, was wir aus Büchern oder von erfahrenen Siedlern gelernt hatten. Es gab für uns niemals dieses „es kommt nicht so genau drauf an; es ist nicht so wichtig.“ Und es war gut dass wir eher übertrieben sorgfältig in allem waren. Denn nur wer einen Stoff beherrscht, kann beurteilen, was er als weniger wichtig auslassen kann. Wer es mit Unbekanntem zu tun hat, kann leicht das Notwendige überspringen und das Nebensächliche tun, wenn er nicht genau Schritt für Schritt geht.

(An die Kinder:) Jetzt ist es Euch ungewohnt, wenn nicht Tag und Nacht die Brutapparate rauschen82 und Ihr wisst nicht anders, als daß wenigstens einmal in der Woche Schlupf ist. Doch könnt Ihr Euch wohl vorstellen, wie es ist, wenn man das allererste Mal die frischen Eier bekommt? Sie auf die Tabletts aufordnet, die Behälter mit Wasser darunter füllt, die Lampen an der Seite anzündet, die Eier morgens und abends wendet und die Laden austauscht? Wir wussten wohl: wenn auch das Ei von aussen ganz unverändert aussah, nichts an seiner Farbe noch an der Grösse erkennen liess, dass innen etwas vorging, so vollzog sich doch in ihnen ein geheimnisvoller Prozess. Nach 6 Tagen leuchtest Du ein wenig hinein in das Geheimnis. Da Werden die Eier zum ersten Mal geschiert, die Unbefruchteten und die mit abgestorbenen Keimen herausgenommen. Wenn von den Letzteren nicht ungewöhnlich viele vorkommen, kannst du sicher sein daß du beim Brüten keinen Unsinn gemacht hast. Das Ergebniss war nicht schlecht. Am 20ten Tag machte sich ein ganz zartes, zuerst nur wie einzelne scheue, tastende Rufe, sehr schwache Piepsen vernehmlich. wir fragten uns, woher das komme. Vielleicht von draussen? Als es deutlicher wurde, verstanden wir daß “der erste Schlupf” begonnen hatte. Es erfüllte uns mit grosser Freude, es klang uns sehr lieblich. Noch lange Zeit hindurch versetzten uns diese ersten kleinen Rufe, die Zeichen des erwachten Lebens in eine freudige Bewegung. Wir lauschten ihnen, wenn es schon dunkel im Zimmer war und wir in unseren Betten lagen.

Unsere Schlülpfe waren damals ca. 60-65%. Ordentliche Kükenkästen, wie wir sie jetzt haben, brauchten wir damals nicht. Die Küken wurden in Feldboxen83 gesetzt und bald unter die Schirmglucke gebracht. Ihr kennt die Begleiterscheinung bei einem Schlupf, die im Haus nicht sehr angenehm sind: der typische Geruch, der Staub vom Flaum, der Schmutz, der beim Herausnehmen der nicht geschlüpften Eier und der Schalen unvermeidlich ist.

Im Jahre 1934 kamen 2 wichtige Erweiterungen: ein weiterer Buckey Brutapparat vom selben Typ wie der erste und die Fortführung des Stalles parallel zum Haus. Mit einem Apparat zu 600 Eiern bekamen wir zur Aufzucht nie mehr als eine Schirmglucke auf einmal und wenn wir mehrmals hintereinander brüteten, waren unsere Hennen mindestens 3 Wochen im Alter verschieden. Das veranlasste Kurt

82 Hier sind schon die elektrische Brutapparate gemeint. 83 Holzboxen für Apfelsinnen ernten und transportieren.

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einen zweiten Apparat zu erwerben. Wir bekamen auf diese Weise eine grössere Herde von gleichem Alter. Noch ehe wir ihn aufstellten, meldeten sich Käufer für die Küken, die wir über unseren eigenen Bedarf hinaus brüten konnten. Wo war aber Platz für noch einmal einen Tisch von 1½ qm? Er konnte über den ersten gestellt werden, auf gute Holzpflöcken von ca. 30 cm Höhe, genau in Wasserwage in Entfernung. Man brütete oben 0.2 Grad niedriger als unten. Die Einrichtung bewährte sich. Selbstverständlich gab es nun mit der Brüterei die doppelte Arbeit. Nein, ganz stimmt das nicht. Erstens, machen 2 Apparate nicht genauso viel wie 2 mal 1, und dann gewöhnt man sich beim Arbeiten praktischere Handgriffe an und probiert sich Erleichterungen aus. Im Zimmer war der Aufbau von 2 Apparate aber nicht gut möglich und auf die Dauer sowieso zu unbequem. So wurde aus dem “Lift”84 von Kurts mutter ein Raum dafür angebaut. Um die 2 Apparate die ganze Saison über auszunutzen, wollte Kurt Küken verkaufen. Ich natürlich skeptisch, ob sich Abnehmer finden würden. Es fanden sich welche. Und es fanden sich auch welche, als 2 weitere Apparate im 5ten Jahr dazukamen. Diese waren ein Gelegenheitskauf: einer der grossen hiesigen Wirtschaften Wurde aufgelöst and die Inkubatoren waren für ein Spottgeld zu haben. Kurt rechnete, das es auch kein grosser Verlust sein würde falls sie nicht ausgenützt würden. Die Bruteier für diese 4 Apparate konnten wir noch im eigenen Hof Erzeugen, denn sie waren paarweise abwechselnd im Betrieb. Jede 11 tage 2 Apparate je 600 Eier sind 1200 Eier, d.h. 2400 Eier im Ganzen für die 4 Apparate.

So begann jedenfalls der Kükenverkauf. Unser erster abnehmer war Chasson. Die übrigen habe ich vergessen. An Herrn Wind entsinne ich mich noch, der nach nicht allzu langer Zeit wieder “vom Winde verweht wurde”. Er hatte das Haus das jetzt Fridgut gehört gemietet. Ein noch junger, Hochgewachsener und etwas schwächlich aussehender Mann, städtisch gekleidet, der nie ohne Schlips und seine nettere bessere Hälfte auftrat und uns von anfang an durch Fachwissen zu imponieren versuchte. Er hatte einen schönen grossen Stall aufgestellt. Die Abnahme der Küken ging mit ihm nicht ganz glatt.

Während wir jetzt die Küken schon am Abend vor der Ablieferung herausnehmen85, gaben wir sie damals direkt aus dem Apparat, von den Tabletts, auf denen auch noch die Schalen und die ungeschlüpften Eier lagen. Sie waren noch zu „frisch“. Ein Küken, das wenigstens einige Stunden aus der feuchten Wärme ist, steht auf und ist munter, vorausgesetzt das es gesund ist. Unsere ersten Küken waren zum Teil noch etwas benommen und sassen, anstatt zu stehen. Herr Wind weigerte sich solche abzunehmen. Kurt wusste dass die Küken kräftig waren und nur Zeit brauchten sich etwas zu erholen. Er schlug vor diejenigen die er ihm aussuchen würde sollte Herr Wind nehmen. Kurt wollte am nächsten Tag runter zu ihm gehen und alle die dann noch nicht standen, Wieder zurücknehmen. War das nicht ein korrekter Vorschlag? Doch Wind wollte nicht darauf eingehen und Kurt regte sich auf. Schliesslich nahm er sie und die Aufzucht ging tadellos.

84 Eine grosse holz Kiste für Seetransport. Damit waren die Möbel usw. von Deutschland gebracht. 85 Seit die 1950ger werden die Küken am Vormorgen herausgenommen und einige Stunden später abgeliefert.

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Weniger gut ging die Bezahlung vonstatten. Wir mussten lange dem Geld nachlaufen. Mal war er nicht zu Hause, oder er hatte grade andere Ausgaben gehabt. Jeder kennt diese Künste. Es wirkte in Magdiel24 unangebracht, wenn er abends mit seiner Frau fein angezogen auf die Strasse spazieren ging. Er merkte das auch und die Landwirtschaft wurde ihm bald über. Er verliess den Ort und Breslaus (Schwiegereltern von Selig) übernahmen das Haus.

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13. Das Eierdurchleuchten.

Wenn man brütet, muss man am 7ten und am 18ten Tag die Eier durchleuchten. Das erste Mal, um unbefruchtete Eier herauszunehmen. Das 2te Mal abgestorbene.

(An die Kinder:) Wie wir durchleuchteten kommt uns jetzt lächerlich. Für 600 Eier brauchten wir mindestsens 3 Stunden. Da es am Abend zu spät geworden wäre zu durchleuchten - bis die Kühe gemolken und versorgt waren und Kurt von der Molkerei zurückkam war es meistens halb 10 – mussten wir die Arbeit am Tag vornehmen.

“Klassisch” war unser Eierdurchleuchten einst und jetzt. Wir stellten uns nach einem Muster von Gandz eine „Durchleuehtungslampe” her: aus einem Stück zusammengerollten Blech wurde ein ovales Loch herausgeschnitten in der Höhe der Flamme einer Petroleumlampe und davor das Ei gehalten. Es war aber nötig daß ringsherum abgeblendet war. Darum stellten wir die Lampe vor grosse ausgeschlagene und aufgestellte Bücher, über die wir eine Schürze hingen. Diese fiel alle Minute runter. Ich reichte Kurt die Eier an, man musste gebückt stehen und diese qualvolle Prozedur dauerte für 600 Eier mehrere Stunden. Darauf erfand Kurt ein Gestell unter dem er sitzen konnte. Eine Decke wurde drübergedeckt. Eine ausserordentlich praktische dicke Decke, in die ich einmal in weiser Voraussicht ein Loch mit einem Bügeleisen eingebrennt hatte, das genialer weise grade an die passende Stelle kam, um durch es hindurch die Eier zu reichen. Jezt dauerte das Durchleuchten zwar auch noch einen geschlagenen Vormittag und ich entsinne mich noch, wie froh ich war, als mich Teddy55 einmal vertrat, denn diese Arbeit fiel immer auf Schabbat und ich war sehr angestrengt. Kurt schwitzte reichlich unter seiner Decke und bis man so jedes Ei vom Tablett genommen und wieder draufgelegt hatte, das dauerte eben. Dann wurde eine grossartige Lampe auf den Markt gebracht. Sie war mit eine Batterie verbunden und wurde auf die Eier gehalten. Das Heisst, man brauchte diese nicht mehr von den Tablett runterzunehmen. Das war fabelhaft. Es ging 3 mal so schnell wie vorher und war viel weniger anstrengend. Wenn nun die Drähte diesser Lampe gut gewesen und nicht so oft gerissen wären, dann war die Sache glänzend. Mit dem neuen elektrischer Apparat bekamen wir aber noch eine Vervollkommnung geliefert, eine stabilere und hellere Lampe, mit der man in der selben Zeit 3000 Eier durchleuchtete wie früher 600. Ihr seht: mit der wachsenden Anzahl der Eier (Zukauf von Apparaten) verbesserten sich die Arbeitsmethoden, so daß mit demselben Kraftaufwand mehr bewältigt werden konnte. Das eben Beschriebene ist ein Musterbeispiel für manches andere.

(An die Kinder:) "Es tut mir leid, Mirjam, daß ich nicht bei Dir bleiben kann. Es wird dunkel und ich habe noch mehr als 3000 Eier zu „durchleuchten“. „Darf ich mit dir kommen?“ „Sicher, bis es Dir langweilig wird. Es dauert ungfähr 1½ Stunden.“

Wie jeder, der zum ersten Mal zusieht wie im Dunkeln die am Stile befestigte Lampe schnell über die in Reihen angeordneten Eier geführt wird und mit der Linken die unbefruchteten oder abgestorbenen herausgenommen und auf Kartons an der Seite weggestellt werden, wunderte sich mein Gast, wie man so schnell, bei dem kurzen Aufblitzen, das Nötige erkennen kann. Übung, Übung und ein praktisches Gerät. Es gab eine Zeit, Da mussten wirs zum ersten Mal machen. Elektrisches Strom hatten wir noch nicht.

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14. Von gemischter zu Monowirtschaft.

Jedes Jahr musste ein neuer Stall gebaut werden, weil die Aufzuchten vergrössert wurden. Wir bekamen auch aufträge für Jungtiere und nahmen auch für uns mehr. Wo kam nur immer der Platz her. Es ist auch nicht so angeordnet wie es ein wirtschaft wäre, der von Anfang als Hühnerfarm gebaut war. Ehe wir die Brutabteilung um 2 weitere Flächenbrüter erweiterten, kommt ein wichtiger Einschnitt in unserer wirtschaftlichen Entwicklung: der Übergang von der gemischten Wirtschaft zu Monobetrieb. Wir verkauften die Kühe und schafften statt dessen eine Ziege an, die Zitrusplantage als Auslauf benützt und ihm weniger arbeit gewidmet und Gemüse nur noch für den Hausbedarf gemacht. Denn es hatt sich herausgestellt, daß die Arbeitskraft nicht ausreicht, um alle Zweige rentabel zu betreiben und daß sich Kuhhaltung, da wo kein Futteranbau möglich ist, nicht rentiert. Wir standen im kommenden Jahr ohne Kühe nicht schlächter als vorher mit denselben. Es wurde mehr Sorgfalt auf die Aufzucht und Haltung der Hühner verwendet, die sich rentierte.

Ich muss hinzufügen, dass Kurt die Vergrösserungen niemals spekulativ vornahm, sondern dass wir immer mehr Aufträge hatten als wir ausführen konnten. Deshalb rechtfertigte sich auch die Anschaffung eines elektrischer Inkubators für 6800 Eier. Da er viel einfacher in der Bedienung ist, man braucht z.B. nicht täglich Lampen zu reinigen und mit Petroleum zu füllen, macht er nicht mehr Arbeit als die 4 Flächenbrüter für 2400 Eier aus.

Ein weiterer Gestaltwandel der Wirtschaft kam mit dem grossen Brutapparat. Bis dahin hatten wir unsere Bruteier selber erzeugen können and waren auch nicht unbedingt auf den Küken Verkauf Angewiesen. Der grösste Teil blieb sowieso bei uns. Nun aber wurde der Rahmen dieses in sich geschlossenen landwirtschaftlichen Betriebes gesprengt, er näherte sich in seiner Form einem industriellen. Er wurde eine Art Trust. Die Bruteier konnten nicht mehr alle hier erzeugt werden.

Es gibt im Land eine Verbindung grosser Wirtschaften, von “Kibbutzim” und Moschavim86, die einen Trust gebildet haben, der ”Iggud Mishkey Ofot Le‘Revia”87 zum Verkauf von Bruteiern und Eintagsküken. Sie setzen auch die Preise dafür fest. Und zwar sind die Bruteierpreise hoch, denn sie sind an deren Verkauf und vor allem an dem Bestehen kleinerer Privatbrüter nicht interessiert. Wir nahmen im Jahr der 4 Flächenbrüter einmal Eier von da, mit deren Qualität wir nicht zufrieden waren. Man wird von diesem Trust nicht entgegenkommend behandelt. Kurt hat es auf eine recht kluge Weise fertiggebracht, sich selbst mit einer genügenden Anzahl ausgewählt guter Bruteier zu versorgen, nämlich ausschliesslich von 2 jährigen Hühnern und unter eigener Kontrolle - aus Eiern von 2 jährigen Hühnern bekommt man widerstandsfähigere Küken. Das Brutei ist teurer, das Küken wird aber besser bezahlt. “Unser Trust” ist folgendermassen: Kurt hat sich mit einigen Wirtschaften verbunden, die für ihn Herden 2 jährigen Hennen halten. Er sortiert selber die besten Tiere aus und liefert ausgesuchte Hähne aus Familienzuchten (Stammbaumtiere). Diese Wirtschaften, die auch noch ausserdem regelmässig von einem Instruktor den Kurt dafür verpflichtet hat, besucht werden, können nun einige Pfund im

86 Moschav ist ein coopertativer Dorf in dem alle Siedler Teil nehmen. „Moschavim“ ist die Mehrheit Form. 87 Hebraisch: Vereinigung von Wirtschaften für Reproduktions Geflügel.

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Jahre mehr verdienen, denn sie bekommen für ihre Bruteier einen höheren Preis, als sie für ihre Esseier bekommen hätten und heben den Stand ihrer Wirtschaft. Wir unsererseits sind vom Iggud87 unabhängig, haben nur Eier von 2 jährigen Tieren, die der Iggud87 nicht liefern könnte, und -last not least- kaufen wir die Bruteier zu einem viel niedrigeren Preis. Aus diesem Grunde hat sich im vorigen Jahr das Brutgeschäft gut rentiert. Noch etwas, was die “Farmer” interessieren wird. Die Haltung alter Hühner für Esseier hatte sich bei uns - oder im Allgemeinen - nicht gelohnt. 1. legen sie überhaupt weniger Eier als Jungtiere, 2. sind sie um die Zeit wo Eier teuer sind, oder wo man Bruteier braucht, in der Mauser und setzen aus. Die Rentabilität der Alten hat sich ausserordentlich gehoben, seit Kurt die Zwangsmauser eingeführt hat. Man bringt dabei die alten Hühner auf künstliche weise (durch Änderung in der Fütterung und Beluechtung) schon im August in die Mauser, so dass man dann im November, wenn man anfängt in den Apparat einzulegen schon Bruteier hat. Die Ställe werden im Winter 1-2 studen beleuchtet. Das Verfahren ist in England und Amerika ausprobiert, hier im Land aber noch nicht angewendet gewesen. Wir machen es dieses Jahr zum 3ten Mal, die mit uns verbundenen Wirtschaften, zu denen allerdings dieses Jahr einige neue hinzugekommen sind, zum 2ten Mal. Andere Wirtschaften haben es noch nicht gemacht. Die Qualität des Kükens wird nicht beeinflusst.

Jetzt ist natürlich viel kaufmännische Arbeit hinzugekommen, Kundengewinnung, Verkauf und was so alles dazugehört. Des Weiteren ist es nötig, diejenigen Wirtschaften, die man mit Küken beliefert hat, auch während des Janres regelmässig zu besuchen, ihnen zu raten, wenn Krankheiten sind und die verbindung aufrecht zu erhalten. Es hängt vom Vertrauen, das man zum Verkäufer hat, alles ab. Kurt hat den Grundsatz, nur ausgesucht Gutes zu liefern, um sich dadurch seine Kunden zu halten (“Wir sind ja kein Wandercirkus”). Die mit uns verbundenen Wirtschaften sind übrigens, wie sich wohl von selbst versteht, verpflichtet ihre Küken bei uns zu nehmen. Mit dem wachsen unseres Betriebes hat sich Kurts Einfluss verstärkt und man hat ihn in verschiedene Verbände geholt.

In diesem Jahr haben sich eine menge neue Brüter aufgetan. So ist es mit allem Hier im Land: wenn ein Jahr lang irgend ein Wirtschaftszweig rentabel war, stürzen sich im nächsten viel zu viele Leute drauf, die “auch” mit einem Mal viel verdienen wollen. Da aber das Land und infolgedessen der Markt klein ist, ist er sofort übersättigt und alle die Schlauen verlieren anstatt zu gewinnen und ruinieren ausserdem den jeweiligen Wirtschaftszweig. Es fehlen auch in den meisten Fällen die zum Gelingen nötigen Vorkenntnisse. Es ist zu befürchten, dass es in dieses Jahre mit dem Brüten so gehen wird. Kurt hat aus folgenden Gesichtspunkten heraus trotzdem die Brutabteilung um einen weitern “Hansen” Brutaparat von 6800 Eier vergrössert, der billig zu haben war. Es werden wahrscheinlich, wenn viele Brüter da sind, je nach Fassungskraft die Aufträge verteilt werden. Um sich einem grösseren Anteil von vorne herein zu sichern, hat er sich einen Apparat hingestellt, d. h. er kommt nächste Woche.

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15. Und noch einiges dazu

a. (An die Kinder:) Unser Arbeitstag war nicht unter 14 Stunden, durchschnittlich 16, denn es gingen immer Arbeiten für mehrere Zweige nebeneinander her. Die Ställe hatte Euer Vater mit Wachsmann zusammen gebaut und sich dabei die Technik des Baues von Wellblechgebäuden angeeignet. Wir bearbeiteten den Boden hinter dem Haus, legten die ersten Gemüse Beete an, die erste “Maschtelah”42. Ich wollte nur zu verstehen geben, daß wir zwar sehr umständlich in vielem waren weil wir es noch nicht besser verstanden, daß wir uns aber nicht nur nach unseren Kräften, sonder sehr oft über unsere Kräfte anstrengten und uns sehr bemühten, alles gründlich, sauber und ordentlich zu machen. Nicht nur ein Neueinwanderer, der uns besuchte, nannte unseren, nach heutigen Begriffen ach so bescheidenen und kleinen “Meschek”6 eine muster Wirtschaft. Wahrscheinlich spürte man, daß nach einem durchdachten Plan und sorgfältig gearbeitet wurde. Weiter war wohl beispielgebend, daß wir, die mit geringem Kapital angefangen, ohne Schulden zu machen, doch von Jahr zu Jahr den “Meschek”6 vergrössern konnten. Euer Vater las Fachliteratur über Hühner, wir lasen zusammen Anleitungen zum Gemüsebau in Hebräisch, er machte sich sauber angelegte Pläne und Voranschläge über das Künftige und genaue Buchungen über Ausgaben und Einnahmen, ausserdem Auszüge aus der Fachliteratur, die er sich geliehen hatte. Er machte schriftliche Pläne für die vor ihm stehenden Arbeiten. Auf diese Weise lernte er ununterbrochen und hatte bald unsere anfänglichen Vorbilder und Lehrmeister, die guten Ruthenbergs30, überflügelt, sodaß sie jetzt ihn um Rat fragten. Nebenher ging noch das Lernen der Hebräische Sprache, die ihn nur wenig, mir so gut wie garnicht vertraut war. Er bestellte sich den “Ha‘aretz” Tageblatt, schrieb sich Wörter raus und lernte sie. Wenn ich mich am Tag einmal hinlegte, was nicht oft möglich war, Sobald die Ruhepause war, nutzte er die Gelegenheit um mich Wörter abzufragen. Oft konnte ich mich nicht genug darauf konzentrieren, denn ich erwartete den Gadiel4 und wenn ich mich auch im Ganzen nicht sehr behindert fühlte, war ich doch sehr müde und manchmal war mir ein bisschen schlecht. Wir hatten kein bisschen freie Zeit, der Tag reichte nie aus und wenn es noch so spät wurde. Mir ist schon garnicht mehr ferständlich wie man auf sich selbst so garkeine Rücksicht nehmen konnte. Es war, als ob wir, die Menschen, vollkommen unwichtig und untergeordnet wären. Es zählte nur die Sache, der “Meschek”6. Daß man es sich leichter machen könnte, daß man Abwechslung, Vergnügen, hübsche Kleidung haben müsste, daß das Haus nicht bequem genug, etwa zu heiss und zu sehr voll Fliegen sei, es schien jedem von uns eine Schande es auch nur zu erwähnen. Im Gegenteil, es schien uns beschämend, sich auszuruhen oder richtigen Schabbat zu

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machen. Auch Geld für etwas auszugeben, was nicht unbedingt zum Leben notwendig war, vermieden wir mit Selbstverständlichkeit. Warum soll man ein “Gasos”88 trinken, wenn man in 10 Minuten zu Hause ist und dort Wasser hat. Muss man Schokolade oder Süssigkeiten haben? Soll man gelben Käse kaufen, wenn man selber weissen macht? Ist es nötig Kartoffeln zu essen, wenn Reis so viel billiger und ausgiebiger ist? Sich ein Kleid anschaffen, wenn man noch eines hat, selbst wenn es nicht modern ist? Ohne daß es uns ein Opfer bedeutet hätte, verzichteten wir auf alle Annehmlichkeiten, es schien uns daß es nicht anders sein könnte und der Erfolg, den wir in unserer Arbeit hatten, entschädigte uns dafür und gab uns bei aller Müdigkeit und fortgesetzten Angespanntheit ein Grundgefühl von Glück und Befriedigung. Ich glaube, es ist gut, daß jetzt, da Ihr grösser und verständiger seid, eure Eltern so viel ruhiger leben. Wenn wir zwar auch jetzt die meiste Zeit im Jahr uns nicht sehr viel mit Euch abgeben können, so ist doch der Tagesablauf nicht so vollgepresst mit Arbeit, die keinen Aufschub duldet, dass die geringste Störung gleich das Mass zum Überlaufen bringt. In einem solchen Zustand wird die Geduld auf harte Proben gestellt, denen sie nicht immer stand hält. Da die Gedanken immer aufs Nächste gerichtet sind, können sie sich nicht erlauben, zu schönen aber nicht unbedingt nützlichen Dingen zu schweifen. Jedenfalls erfordert es wieder besondere Kraft. Es gab sogar eine ganze Zeit, in der beim wärmenden Schein der Petroleumlampe (Es war zwar Sommer und wir sassen so wenig wie möglich bekleidet) wo Euer Vater Aufsätze schrieb, über die Fragen der Anpassung ans Land, jüdischer und arabischer Arbeit, auch der Religion behandelten, und wo ich Klavier übte. Der Schweiß ran uns über die Gesichter aber schreiben und üben gab uns grosse Befriedigung.

b. Kurt ging in der Sonne nur mit einem kleinen Baskenmützchen auf dem Kopf und seine Haut, die in Deutschland so rosig gewesen war, und die, wie ich mir vorgestellt hatte, niemals Farbe annehmen würde, war bald dunkel braun. Trotzdem er nicht zu den Menschen gehört, die sehr auf sich schauen bei der Arbeit und die sich nicht schmutzig machen, trug er doch am liebsten weisse Blusen. Sie waren bequemer, weil sie überhingen. Und Sommer und Winter die schwere hohen Schuhe mit Nägel beschlagen und dicke wollene Strümpfe.

Für den Sommer waren die hohen Schuhe gewiß warm genug. Aber für die Winterzeit taugten sie nicht. Sie waren nicht wasserdicht. Und warum schaffte er sich keine Gummistiefel an? Weil die noch nicht erfunden waren! Die ersten bracht der Dod64 Ruthenberg30 an nach einige Jahren. Sie wurden herum gereicht, bewundert und gepriesen. Und dabei waren sie sogar schlecht und bald gerissen. In folge bekam man nasse Füsse im Regen. Auch die Reestiefel von Teddy55, die hoch hinauf geschnürt wurden und stabil aussahen, hatten nicht die richtigen Sohlen.

Kurz nachdem wir angekommen waren, noch ausgestattet mit unsern moderne Kleidungsstücken, kamen uns die deutschen Siedler in Magdiel24 in ihren Schabbat Anzügen mit den mit den Hosen die für die Mode zu eng und zu kurz waren, leicht komisch vor. Wie Konfirmanden, die aus ihren Anzügen herausgewachsen sind. Doch dann hingen auch unsere guten Kleider Jahre lang im Schrank und wurden unmodern. Die Frauen auf dem

88 gesüsstes Sodawasser

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Land gingen mit Pluder Hosen in Schwarz oder Blau zur Arbeit. Um Himmels willen nicht in so kurzen wie die heutigen Shorts! Nein, sie schlossen über dem Knie und auch das war enorm fortschrittlich. Sie waren sozusagen die Grossmütter der Shorts. Unsere gute “Doda”68 mit ihrer runden Figur, ihren kräftigen Beine in starkblauen Pluderhosen auf dem Esel, über dessen Rücken, noch an beiden Seiten gefüllte Taschen herunterhingen, War ein erfreulicher Anblick. Ich liess mir von Bella Hirsch89 ein Paar kurze Khakihosen in Jungens form nähen und machte hier den Anfang mit dieser kleidsamen Hosentracht.

c. Wir hatten inzwischen (zur Zeit wie das erste Brutapparat kamm) Möbel anfertigen lassen. Es gab zwar in Tel-Aviv gute Möbeltischler. Da wir aber keine Zeit hatten, dafür in die Stadt74 zu fahren, denn alles was nicht den Aufbau des “Mesheck”10 betraf kam in zweite Linie, bestellten wir sie bei Wachsmann, dem Bautischler. Den Auftrag übernahm er, doch war es eine Quälerei bis er ihn endlich ausführte. Er zog es fürchterlich in die Länge und ich war sehr böse auf ihn. Ich hätte ihn gern wenigstens ein bisschen seinem Geld nachlaufen lassen, um eine kleine Rache zu haben, aber Kurt wollte nicht und gab es ihm, als er einen Tag nach Ablieferung der Möbel erschien, um es abzuholen. Die einfachen gestrichenen offenen Bücherregale aus Sperholz und der Schreibtisch waren nicht sehr schön, genügten aber für unsere Bedürfnisse. Der Schreibtisch stand gegenüber der Eingangstür, da wo jetzt die Nähmaschine steht, unsere beiden eisernen Feldbetten mit den schönen rotgetönten Decken noch aus Deutschland an der Schmalwand gegenüber der grossen Glastür. Die eingebauten Möbel in der Küche erwiesen sich als praktisch. Als ewiges andenken an Herrn Wachsmann fehlt dem Schränkchen unterhalb der Marmorplatte die eine Schiebetüre. Sie war nicht mitgeliefert worden und auf mein Drängen hin erschien Wachsmann’s Bruder - ausgerechnet an einer Schabbat vormittag - und begann stundenlang zu sägen und zu hämmern und alles voll Hobelspäne zu machen und dann – verlies er stillschweigend den Ort der Handlung, ohne die Türe eingesetzt zu haben. Es war ihm nicht gelungen, sie wollte nicht passen. So blieb es bis auf den heutigen Tag. 1934 kamen nachgeschickt unsere zwei Sessel, das Rauchtischchen und die vielen Bücher, in 7 Kisten.

d. Wir bekamen oft Besuch von Neueinwanderern, denn 1933 setzte die grosse „Alijah”16 aus Deutschland ein. Bekannte von früher und auch an uns empfohlene kamen. So gern man auch Auskunft gab und zeigte, so zerstör doch jeder Besuch die Tages einteilung. Jede Minute wurde so dringend gebraucht. Den Ahnungslosen gegenüber waren wir schon Kenner. Grosses Vergnügen machte uns die Frage einer Besucherin, ob all die Eier, die da im Legenest waren von einer Henne gelegt worden seien. Darüber konnten wir schon herzlich lachen. e. Gleichzeitig mit dem Anfang unserer Hühnerzucht und Kuhhaltung richteten wir hinter dem Haus Gemüsebeete und eine “Maschtelah”42 ein. Doch ich muss noch ein mal zurückgreifen. Ich sagte zu Anfang, daß unsere 9 Dunam20 “Bur”90 waren. Das Stück hatte die Form eines Handtuches: lang und schmal (24 x 360 Mt.), ungünstig für die Einrichtung von Ställen. Man hatte weite Wege und konnte die Anlage nicht gut übersehen. Doch alle Böden waren in solche Streifen geschnitten: Neben unserm Stück das ebenfalls unbearbeitete von Liebermann, Alias “cohen-Godel”, dann die “Pardessim”19 von Pinchasi, Tamarkin, Perl usw., die damals schon Frucht gaben. Nur Ruthenberg30, unser Nachbar zur

89 Eine Freundin und Blau-Weiss mitglied. 90 Hebräisch: unbearbeitet

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anderen Seite hatte ein doppelt so breites Stück von 18 “Dunam”20. Er hatte “Pardess”19 nur auf den 9 “Dunam”20 unterhalb seine Hütte, am Weg. Auf den unbebauten Böden wuchs im Sommer massenhaft “Chilfe”25, Dicke grau-grüne Büsche. Man konnte diesem Gras von aussen nicht ansehen wie scharf seine Kanten waren und wie spitz und stechend die Keime die es so reichlich trieb. Da es auf trockenem Boden wächst, schickt dieses Unkraut seine sehr zähen Wurzeln metertief in die Erde. Es ist sehr schwer es herauszunehmen. Man hackte es ab immer und immer weiter, da verliert es schlieslich die Kraft. Zeitaufwand, der damit verbunden war, auch dazu auf die erde kauern. Aber wir verspürten noch nicht keine Unbequemlichkeiten. Mir fällt in diesem Zusammenhang ein, dass ich mir nicht vorstellen konnte, daß bei mir Folgendes auch einmal eine Rolle spielen könnte: Frau S, in Tel-Aviv zeigte uns ihr Häuschen und seine praktischen Einrichtungen, z.B. einen Luftschrank, der uns aus Deutschland unbekannt war. Aber an diesem hatte sie auszusetzen das er dicht über dem Boden anfing und sie sich jedesmal bücken musste, um etwas herauszunehmen. Das merkt man? Darauf achtet man? Mir würde das sicher niemals was ausmachen!

f. Nachdem 3 Seiten des Stalles vertig waren und er nach dem Hof zu noch offen stand, war die Zeit des Orangenpflücken. Unser Nachbar Tamarkin fand der offene Hof gäbe ein ideales Packhaus und bat uns, seine Frucht dort ausschütten zu dürfen. Wir glaubten damals erstens, dass es nicht anginge, jemanden etwas abzuschlagen, und auch, wenn der Mann uns versprach zu der und der Zeit die Halle wieder zu räumen dass sie dann geräumt würde. Wir wollten sie längst schliessen, wir wollten unsere Einrichtung fertig stellen - den Tisch zum sitzen für die Hühner, die Stände für Kühe und Esel bauen - die Orangen lagen und wurden nicht gepackt. Es gab immer einen anderen Grund. Und als er sie schliesslich herausnahm, waren es viel weniger geworden. Wir hatten es nicht verhindern können, dass die Bauarbeiter sich ihr Frühstück jeden Tag mit einer Apfelsine versüssten. Sie lagen so bequem und verlockend da. Das war uns recht unangenehm. Von Tamarkin’s Zuverlässigkeit bekam ich einen schlechten Begriff. Als er sich unsern “Pleier”91 auslieh “für ganz kurze Zeit”, ein Werkzeug daß man dauernd nötıg hat. Wochenlang, trotz unser nachfragens, hatte er es nicht wiedergegeben. Als er es uns endlich zurückbrachte war es halb zerbrochen. Er sagte dabei “es is mir zar ufn harzen”92 und diesen Ausdruck vergesse ich seitdem nicht. Aber uns war es auch “zar ufn Harzen”. Wir konnten uns nicht einfach einen neuen Schlüssel kaufen und immer wenn man das halbkaputte Ding benützte, konnte man ein ärgerliches Gefühl nicht unterdrücken. Seit dann Tamarkin's sel. Vater sich noch einmal Säcke auslieh, deren Rückgabe ganz in Vergessenheit geriet, hatte er trotz seines stattlichen Aussehens und sicheren Auftretens unsere Achtung verloren. Ich schreibe das, weil es die ersten derartigen Erfahrungen waren und auch um meine Kinder damit vor Augen zu führen, daß solche kleinen Vergehen an der Zuverlässigkeit, einem das Vertrauen, bis zu einem gewissen Grade sogar die Achtung von Menschen verscherzen können, an denen einem liegt. Wenn dieser Nachbar uns später um ein Werkzeug anging, war es immer gerade in Benützung, bis er es aufgab zu fragen. Auch der “Kibbutz”50 lieh sich gern Handwerkzeuge, das man sich immer selber zurück holen musste. Zwischen Ruthenberg’s30 und uns kam diese Musik glücklicher weise nicht auf. Das Ausborgen war bei den Hausfrauen auch sehr verbreitet. Wegen eines bischen Salz, Kakao, einer Zwiebel, lief

91 Englischen Schlüssel 92 Yiddisch: es ist mir schwer auf den Herzen

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man in der Nachbarschaft. Und da es bei solchen Gelegenheiten ohne einen Schwatz nicht abgeht, wurde viel Zeit vertan. Wir wohnten zum Glück ungünstig für Nachbarn.

g. Wie oben erwähnt, wurde Kurt eingeladen als Mitglied oder Direktor in vielen Organisationen teilnehmen. Hier sind einige Dokumente von dieser Tätigkeit.

=== ENDE ===