Explizit - Die Zerstörung des Kalifats
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Transcript of Explizit - Die Zerstörung des Kalifats
t;3Jsij *xJ.k r*r
lir=ffi'li
Explizit Buch 21422 H. * 20A1 n.th,
Die Zerstörungdes Kalifats
Expl izr t Buch z
r4zz 11 . H . - zoo r n . Ch r .
Zur Übersetzun g des Qw'an
Wir r r röchte l i darauf 'h jnn 'c isen, dass dcr Qur 'an, das Wort Al lahs. auf Grr" rnd
seincr Ei r rz isar t igkc i t n icht i r . r andere Sprachcn i ibersctzt wt ' rden kann. Nur in
se i r r c r O r i q i r ra l sp rac l r . ' , . \ r r b i sch , i s t e r . r u l h t ' r r t i s . l r und : r l s Qr l r " : l l zu bez t ' i c i t n . n .
Ber dcr Wicdergabe r,on Qru-'ar-Versor in dcr.rtsclrer Sprlche kann es daher nur
um eine rrnsefäirre Erläuterung der Bedeutung handeln.
Die Redakt ion
www. ex p 1 i z i t - i s I a nt. d t'
Kürzelerklärung
(:): leal;, "der Erhabene". Attribut Gottes, das man als Zeichcn det Ehrerbietunge o ; ' r , t r h l . ' - r a ' r l r - i f i i o r. , . . , . . - .
(=l: sal lal lahu alavhi n: -s;1./ ,rrn, "rrögc Al lah seine Gnade und seinen Frieden irberihn komrnen lassen", Respcktforrnel, die man als tsi t tgeltct bci der Erwähnung desNarnens dcs Propl-reten N' luhalnrnad :: aussprechen so1l.
("--): alavhis-sa/;rnl, ' .Friede auf ihm", Respcktfor.mel, die man zumeist bei derErwähr.rung des Namcns eines fr i i l . rere r.r Propheten ausspricht.
(.:.\: radi,vallahu 'anhu, "Möge Allahs Wohlwollen über ihn l<ontnten". Respekt-fo rn ie l , d ie man bc i der Envähnung des Namens e ines Prophetengefähr ten
ar.rss pricht.
A1- Iftilafah PublicationsP.O. Box rroo, London CR4zZR
")t?)4.l t 'u- [
IM NAMEN ALLAHS DES ERBARMUNGSVOLLEN DES BARMHERZIGEN
EIN LEITU NG
Das vorliegende Buch stellt eine Zusammenfassung des Werkes "Kaifa
hudimat Al-Khilafa" ( 'Wie das Kalifat zerstört wrrrde ), vom Islamgelehr-
ten Scheich Abdulqadim Zallum dar. Es gibt in Kurzform die wichtigsten
Ereignisse wieder, die letztendlich zur Zerstörung der polit ischen Institu-
tion des Islarn und somit zur Eliminierung des Islam als Staats- und Ge-sellschaftssystem geführt haben. Dabei spielt für uns keine Rolle, dass essich um die Zerstörung des Osmanischen Kalifats in Istanbul handelt,denn es geht hier keineswegs um nationalistisch-patriotische Gefuhlswal-lungen, sondern um die Offenlegung des von langer Hand vorbereitetenPlanes, um die wichtigste Institution des Islam zu zerstören. Diese Institu-tion wurde zu dieser Zeit eben von den Osmanen repräsentiert. UnsereAufmerksamkeit gilt ihnen also nicht in ihrer Eigenschaft als "Türken"oder "Osmanen", denn für einen Muslim spielt die Volkszugehörigkeiteine denkbar geringe Rolle. Vielmehr legen wir unser Augenmerk auf dreTatsache, dass sie als Träger des islamischen Kalifats, |ahrhunderte langdie Repräsentanten des Islamischen Regierungssystems gewesen sind.Natürlich hat es vor a1lem in der Spätzeit der Osmanen - aber nicht nur da- Verfehlungen, missbräuchliche Anwendungen des Islam und viele Ver-säumnisse seitens des Staates gegeben, seine Bezeichnung als , 'kranker
Mann am Bosporus" kam nrcht von ungefähr. Trotzdem war es der Staatdes Islam, der ihn repräsentierte, den Mrrsfirnen außen- und innenpolit i-sche Sicherheit und Schutz gab und sie vor allem davor bewahrre, zunrFreiwild für ausbeutungshungrige Kolonialmächte zu werden. All dieseVe.rfehlungen haben *"ä", realpälit isch, und schon gar nicht islamrecht-ttch eine Zerstörung des Staates gerechtfertrgr.
Nein ' der Staat war reform- und verbesserungsbedürf t ig . er war auch - kurzvor seiner Zerstörung noch - verbesserungsfahlg, wenn sich verantwor-tungsbewusste Muslime mit aufrichtiger Entschlossenheit dafür eingesetzthätten. Leider fehlte den meisten von ihnen - wenn nicht a[en - das richti-
llDie Zerstörur
ge Islam- bzw. Politikverständnis. Und so erkannten sie nicht die Gefahrdie durch ihre Passivität wie ein Damoklesschwert über sie hereinzLr.brechen drohte.
Die Idee des Kalifats ist nicht bioß eine nostalgische Traumreise in einqmärchenhafte Vergangenheit, sie stellt eine der größten göttlichen Pflich.ten dar, die Allah:.5 den Muslimen in ihrem irdischen Dasein auferlegt hatSie bildet die umfassende Staats- und Regierungsform, innerhalb der a1leir:alle islamischen Gesetze und Lebenssysteme realisiert werden könnenDenn die zahlreichen Gebote in der Offenbarung, die das Wirtschafts-,Gesellschafts-, Staats- und Strafrecht betreffen, können und dürfen nurdurch den Kalifen, als Regent und islamisches Staatsoberhaupt, vollzogerwerden. Er allein hat das Recht und die Pflicht, das Gesetz Gottes auf Erderzu implementieren. So hat der Gesandte Allahs gesprochen: "Das VollIsrael wurde von Propheten betreut, immer wenn ein Prophet starb, folgttihm ein anderer. Nach mir aber wird kein Prophet mehr kommen. Es werden aber Kalifen folgen, und deren Zahl wkd groß sein." Man fragte ihn,Und was befiehlst du uns?' Er antwortete: "Erftillt die Bai'a ffreueeid) derjeweils ersteren und gebt ihnen ihr Recht, denn Allah wird sie (hernachausfragen über das, was er ihnen als Treuhand übergeben fiarl!." (Muslim)
Das Regieren allein nach den islamischen Gesetzen stellt ein eindeutige,und klares göttliches Gebot dar. So hat Allah:s befohlen:
"Und richte unter ihnen nadt dem, was Nlah zu dir herabgesandt het, un(folge ihren Neigungen nicht. Und nimm didt vor ihnen in acht, dass sidich ia nicht von einigem abbringen, was NIah zu dfu herabgesandt hat!(Sura Al-Ma'ida 5, Aya 48)
Dieser göttliche Befehl, der an den Propheten -+ ergangen ist, steilt itgleicher Weise einen Befehl an uns dar. Denn jeder Befehl, der von Allrl:E an den Propheten ergeht, ergeht in gleicher Weise an seine (Jmma, s(lange es dafür keine Beschränkung gibt. Hier gibt es aber keine noch s,geartete Beschränkung, deshalb ist es ein klarer Befehi an uns, nach derGesetzen Allahs zu regieren. Da wir als Einzelpersonen und Gemeinschafgar nicht in der Lage sind, geschweige denn das Recht haben, die göttlicirel
Gesetze wiilkürlich anzuwenden, haben wir die pflicht, jene person aufzu-stellen, die von uns autorisiert wird, das Gesetz Allahs zu vollziehen. DiesePerson eben ist der Kalif.
Das Kalifat ist aber nicht irgendeine Regierungsform mit einem Kalifen ander Spitze. Sie stelit-vielmehr ein einzigartiges Staatssystem dar, das mitkeinem anderen auf dieser welt vergleichbar ist. Es ist kein Königreich,denn der Kalif steht nicht wie der König über dem Gesetz, er hat keinerleiImmunität und kann genauso gesetzlich geahndet werden wie jeder an_dere Bürger auch. Der Kalif kann nicht nach eigener wilikür regieren, wiees vor allem bei Königen früherer Zeit und teilweise heute noch (siehe /or-danien, Saudi-Arabien und Marokko) der Fall ist, viejmehr ist er den Ge_setzen des Islam unterworfen. Der Karif hat auch keine privilegien wie einKönig. Es gibt auch keine Thronforge im Isram, sondern jene öerson wirdzum Kalifen, die von den Musrimen dafur die Bai a erhalien hat.
Das Kalifat ist auch keine Republik. Denn das republikanische Systembasiert auf dem demokratischen prinzip, bei dem äas Recht (die Gesetz-gebung) vom Volk ausgeht. Deswegen gibt
". in jeder Republik ein parra-
ment als voiksvertretung mit gesetzgeüerischer Funktio;. Im Isram gehtdas Recht allein von Allah :*., aus. Er ist der Gesetzseber:
{J,'
::i. :"" Ratsversammlung ( M a j tis at_ rJ mma), r; h;;
"ilr"rr"r, ro.t.ott.
} tnd Beratungsfunkt iInstitution.
ion, und ist keinesfai ls eine gesetzgeberische
Auch hat das Kalifat mit einem Imperium nichts gemein. Denn in einem
i'ji - öi'5 d<ru}t::i qiäs ü<rü F "und richte unter ihnen mit dem, was Nrah herabgesandt hat!,, (sura AI-Ma'ida 5, Aya 48).
1Th ,gibl es im republikanischen System erne Regierung mit Ministern,wo jeder Minister in Eigenverantwortung für ein bestimmtes Ressort zu-ständig ist. Im Islam ha1 der Kalif die GEsamtverantlvortung inne. Er hatAssistenten (Mu'awinun), die ihn bei seinen Aufgaben unterstützen. Sieagieren aber nicht in einem eigenen Ressort unabhängig, sondern sind
ll^iTl itt^th.re Tätigkeiten Redä.,nJa,r*o.t schuidig. Es gibt im Karifat
ts-.
Die Zerstörung des KalifatsImperium sind nicht alle Völker und Herrschaftsgebiete gleichgestellt.Vielmehr kommt dem Zentrum des Imperiums mit seinem Kerngebieteine politische, wirtschaftliche und finanzielle Sonderstellung zu. Beispieledaftir sind das Römische Imperium der Antike und das Britische Kolonial-imperium der Neuzeit. So eine Sonderstellung gibt es im Kalifat keine.Vielmehr steht das Regierungssystem im Islam konträr dazu. Denn alleBürger des Staates sowie alle Staats$iete haben die gleichen Rechte.Weder die Hauptstadt, noch sonst irgendein Kerngebiet genießt politische,wirtschaftliche oder anders geartete Sonderrechte. Demzufolge macht dasKalifat seine Staatsgebiete nicht zu Kolonien, die nach Strich und Fadenausgebeutet werden, damit irgendein versnobtes Kerngebiet im wahrstenSinne des Wortes zu einer "Insel der Seligen" wird, während andere Teilein bitterster Armut dahinsiechen. Vielmehr hat der Kalif fur das Wohl allerBürger zu sorgen, auch wenn sie Nichtmuslime sind. "Der Imam (Kalif) istein Hüter, und er ist verantworttidr ftir seine Pflegschaft!', wie es derProphet # formulierte.
Das Kalifat ist auch kein foderativer Bundesstaat, in dem jedes Bundes-gebiet eine gewisse Form von Unabhängigkeit oder Autonomie besitzt. Sosind die Finanzen des gesamten Staates einheitlich. Die Gelder werden ge-mäß den islamischen Gesetzen vom Staat eingehoben und nach Bedarf fiirdas Allgemeinwohl der Bürger auf die verschiedenen Gebiete verleilt. DerUmstand, dass aus einem Gebiet dem Staat mehr Geld zugeflossen ist, be-deutet nicht, dass diesem Gebiet deswegen ein Mehr an staatlichen Zuwen-dungen zusteht. Die Ausschüttungen stehen nicht in Relation zu den Ein-nahmen, sondern sind eine reine Funktion des Bedarfs.
Auch gibt es keine gesetzgeberische Autonomie im Kalifat, wie es bei Bun-desstaaten der Fall ist. Dort kann es durchaus üblich sein. dass in einemBundesstaat die Todesstrafe gilt, wohingegen sie im Nachbarstaat abge-schafft wurde, oder für die gleichen Delikte verschieden Strafen festgesetztsind. Im Kalifat ist die Regierungsform zentralistisch, wo der Kalif die volleKontrolle über jeden Winkel des Staates hat und die Einheit des Staates inkeiner Weise gefährdet werden darf.Zur besseren und effektiveren Betreu-ung der Bürgerangelegenheiten kann die Verwaltung aber dezentral ange-legt sein, solange es der Einheit des Staates keinen Abschnitt macht.
Es zeigt sich also, dass das Kalifat eine einzigartige Staatsform ist, die mitden heute existierenden Staatsformen nicht zu vergleichen ist. Sie muss
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auch einzigartig sein, weil sie keinem fehlbaren menschlichen Geist ent_springt, sondern das reine Ergebnis göttlicher Offenbarung ist.
Im vorliegenden Buch wollen wir uns mit den ursachen und Hintergrün-den beschäftigen, die zum Niedergang des Kalifats geftihrt haben. undzwai nicht um der Vergangenheit nachzutrauern, sondern um aus denFehlern unserer vorfahren zu lernen und wichtige Erkenntnisse zu erlan-fen, dle ftir eine erfolgreiche Neugründung dieseieinzigartigen institutionunabdingbar sind.
Die Redaktion
ll
DIE ZERSTORUNG DES KALIFATS
Der Niedergang der wichtlgsten islamischen Institution ist ein multikau-saler Prozess, der schon früh in der islamischen Geschichte einsetzte. Vieli:unterschiedliche Faktoren summierten sich im Laufe der Geschichte derartauf, dass das Ende des Garanten ft ir die Praktizierung des Islam unweiger-l ich eintreten musste.
Den Muslimen \4,ar im Jahre r9z3 nicht voll bewusst, welche fatalen Folgendie Aufhebung der islamischen Verfassung nach sich ziehen sollte. Heute,knapp 8o f ahre später, erfährt die Idee von einem Islamischen Staat, der inallen Bereichen des öffenthchen Lebens die Gesetze der Schari 'a prakti-ziert, eine nicht zu übersehende Renaissance. Dies ist ein Grund dafür,sich mit den ,ristorischen Ereignissen, die unmittelbar mit der Zerstörunsdes Kalifats vor 78 )ahren in Zusammenhang stehen, auseinander ztrsetzen.
Der Islamische Staat dominierte das Weltgeschehen über ro Jahrhunderte:hinweg. Die Einheit der Muslime, die aus ihrer starken Giaubensüberzelr-gung resultierte, war ein Garant fur die Stabil itat des Staates. Selbst fataicEreignisse, wie die Kreuzzüge oder die Mongolenstürme, konnten nichtdie Zerstörung des islamischen Staates herbeiführen. Die Verschiebunqdes Kräftegleichgewichts zugunsten der europäischen Mächte, die mit denräg,vptischen Feldzug von Napoleon Bonaparte im )ahre 1798 eingeiäutetwurde, kündigte den bevorstehenden Weltmachtwechsel und die damitverbundene Zerstörung des Islamischen Staates an. Die Muslime, der-'nZustand am ehesten mit Stagnation charakterisiert werden konnte, warellnicht imstande, auf die starken dynamischen Veränderungen in Europa clit 'sich mit dem Beginn der industriellen Revolution und den neu konstituier-ten Nationalstaaten abzeichneten, ausreichend schnell und flexibel zu anl-worten. Dies ist sicherlich ein Zeichen dafl ir, dass die ideologische und i1-tellektr-reile Ausrichtung der Muslime nicht stark genug war, aus dem isle-mischen überzeugungsfundament heraus neue Ansätze zu entwickelp,
die den begonnenen Niedergang unter Umständen hätten aufhalten kön-nen. Die Uisachen für diese ideologische und intellektuelle Schwäche sincjvielfält ig und mitunter früh in der islamischen Geschichte zu suchen.
Die Zerstörunq des Kalifats
Der nachfolgende historische Überblick wrrd diese Ursachen nur am Ran-
de d iskut ieren. Vie lmehr sol len d ie unmit te lbaren h is tor ischen Ereignisse.
d ie mi t der Zerstörung des Is lamischen Staates in Verbrndung stehen,
untersucht und dre Auswirkr,rngen auf die heutige muslimische Gemein-
schaft dargestellt werden.
Großbri tannien und die Wahhabit ische Bewegung
Mit Sicherheit würde der Islamische Staat herrte noch existicre n, hätten die
Europäer auch weiterhin ihre mrttelalterhche Zlr' ictracht gelr'ahrt. so dasssie s ich n icht um den Is lamischen Staat hät ten k i - immcrn könncn. Dochdie fatalen Folgen des Dreißieyährigeren i(rieges fi ihrten zur Erkenntnis,dass solche Kriege auf Dauer die europäischen Mächte derart schwächenwürden, dass d ie Musl ime über kurz oder lang den Sieg über ELrropa dr-vontragen würden. Der Westlälische Fricden von r648 ntarkierte das Ende-der blutigen Unruhen zwischen Protestanten und Katholiken r.rnd ebnetefür die europäischen Mächte eine neue Marschronte, die auf die cnclgültigeVernichtung des musl imischen Feindes abzie l te . Die Gebr i r t der chr is t -l ichen europäischen "Fami l ie" nurde durch d ie zw'e i te musl i rn ische Bela-gerung Wiens 1683 beschleunigt . E in e insei t iges mi l i tär isches Vorgehengegen die Muslime genügte jedoch ntcht. Vielmehr mussten die Säulendes Is lamischen Staates zerstör t werden.
Die ethnische Einheit und der unerschütterl icl"e Glaube kennzeichnetenseit jeher die Muslime und ihren Staat. Eine endgültige Zerstörung clesIslamischen Staates musste zw'angsiä'f is a'ch die Einheit der Mr-rslimevernichten und ihr vertrauen ri ale Funktio.artität der islamischcnLebensordnung erschüttern. Demgemäss entwickelten die europäischenMächte unterschiedliche Strateeiei, u- cliese beiclen wichtigen Faktorenauszuschalten. Die Wahhabitische Beweqr_rng bot hierzu einen möglichenAnsatz, den sich die Briten später zu Nuize machten.
Die wahhabitische Bewegune wurcle clurch den Gelehrten r,rnci Recht-sausleger (Mudschtahidi tr, l irhammad ibn Abcl A1-wahhab in dcrarabischen Halbinsel ins Leben gerufen. Der hanbalrtrsche Gelehrte k't i-s ier te d ie nach seiner Meinung fehlgere i tete prakt iz ierung et l icher isrami-scher Gesetze.
Die Zerstörung des Kalifats
Beispielsweise kämpfte er gegen die übliche Praxis vieler Muslime, das
Grab des Propheten Muhammad + in Medina zu besuchen, und bezeich.
nete e in solches Vorgehen a ls Bid 'a. d.h. e ine unzulässige Neuerung i r1
Islam. Auch die Meinungen anderer Gelehrter in vielen Fragen ignoriertq
er und kämpfte fortan vehement für seine Rechtsauffassungen.
Darüber hinaus sah er in der Duldung der Missachtung islamischer Ge.
setze ein Versäumnis, welches der Osmanische Staat in seiner Eigenschaft
als Islamischer Staat zu verantworten hatte. n40 rral Muhammad ibn Abd
Al-Wahhab mi t dem Führer des Stammes 'Anza, Muhammad rbn Sa'ud, inKontakt, und erläuterte ihm seine Sicht der Dinse. Der Stammesfürst fand
Gefallen an den Rechtsauffassungen des Rechtsauslegers und lud ihn ein,fortan bei ihm zu leben und seine Auffassungen zu verkünden. Sieben
Jahre später verkündete der Fürst seine Übereinstimmung mit den Ansich-ten von Muhammad ibn Abd Al-Wahhab in der Öffentl ichkeit, und fortanwurde die Ausbreitung dessen Meinungen und Auffassungen forciert. DieWahhabitische Bewegung war geboren. Allerdings blieb ihr Einzugsgebietauf den Herrschaftsbereich des Muhammad ibn Sa'ud beschränkt, so dassdie Dynamik der Bewegung schnell zum Erliegen kam.
Ca. 4o Iahre später erfuhr die Wahhabitische Bewegung einen neuen Auf-schwung, als im Jahre ry87 der damalige Fürst des Stammes 'Anza, AbdAI-Aziz ibn Sa ud, den Anspruch auf das Kalifat erhob und seinen Sohn,Sa'ud, zum neuen rechtmäßigen Herrscher über a l le arabischen Stämmcausrufen wollte. Viele Araber fanden Gefallen am Vorhaben des Fürstenund unterstützten seine Pläne. Insbesondere der damais noch lebendeRechtsausleger Muhammad ibn Abd Al-Wahhab bejahte das Vorgehen dt-sFürsten. Ein Iahr später rüstete Abd A1-Aziz eine neue Armee auf und ero-berte Kuwait, das auch von den Briten beansprucht wurde. Die EroberungKuwaits rückte die Wahhabitische Bewegung in ein neues Licht. Die Ara-ber wurden durch die religiös motivierte Eroberung anfmerksam. Die Eng-länder begannen Sa'ud, den Nachfolger von Abd Al-Aziz, mit Waffen unJMunition zu unterstützen, weil die Wahhabiten ihnen mit der EroberungKuwaits einen großen Dienst erwiesen hatten. Zum einen hatten diegroßen europäischen Mächte, Frankreich, Russland und Deutschland, eirrerEinmischung Großbntanniens in Kuwait bis zu diesem Zeitpunkt verhin-dert. Andererseits konnte der Osmanische Staat in seiner Eigenschaft als
Islamischer Staat eine Invasion abwenden. Dadurch wurde die Wahhabiti-sche Bewegung fur Großbritannien zu einem wichtigen polit ischen Faktor.
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r-ro2 verstarb Muhammad ibn Abd Al-wahhab, sein Sohn übernahm seine
i.iiär"tr". Große Teile der arabischen Halbinsel wurden bis zu dem Zeit-
;;;i l ";" der Wahhabitischen Beweguns kontrolliert'
Frankreichs I ntervention gegen Großbrita n n ien
Die europäischen Mächte zeigten sich durch die Entwicklunsen auf der
;;;-hä Halbinsel beunruhigt. Diese Beunrtrhigune nahm insbeson-
ä"r"'r", "fr
man sah, dass der Oimanische Staat nicht in der Lage war, die
arabischen Truppen zurückzttschlaqen' ttnd Damaskus' Medina und Bag-
ärJ Ui.rr-r"r-r kurlr". ZerI in die Hände der wahhabitischen Truppen fielen'
rr"rkr"i.h war clie erste europäische Macht, die arrf die neuen Entwicklun-
gen reagierte. Es konnte seinen Verbündeten Muhammad Ali ' Gouverneur
von Agypten, zu elnem Vorgehen gegen die Wahhabiten überreden' ob-
wohl letzterer zuvor die Bitte cler Osmanen für ein solches Vorgehen ab-
s c h l u g . M u h a m m a d A l i e n t s a n d t e s e i n e n S o h n T o s u n , d e r i m l - a u | e d e r
Jahreäle Wahhabiten schrittweise aus ihren neuen Eroberungen verdrän-
i"r, ko.,rrt". r8rz konnte er mit der ägyptischen Armee Medina eroSern. Ei-
len zweiten Feldzug gesen die Wahhabiten im |ahre r8i6 befehiigte
Ibrahim, ein weiterei Sohr'r uo.r Muhammad Ali, in diesem konnte er die
Wahhabiten vernichtend schlagen. Im )ahre r8r8 gaben die Wahhabiten
endgültig auf, sodass der englische Einfluss vorerst verschwand,
Es war zu dieser Zeit nicht zu übersehen, dass die Mushme immer stärker
an polit ischer Autorität verloren hatten. Frühere Konflikte innerhaib der
islamischen Gemeinschaft waren immer geprägt von religiösen oder poli-
t ischen Motiven. In den seltensten Fällen konnten verfcindete oder auswär-
tige Mächte die Muslime zu poltt ischem Verrat motivieren. Im I.aufe des
r9.Iahrhunderts nahm jedochdie Bereitschaft muslimischer Führer zu, die
polit ischen Machenschaften des Westens gegen den Islamischen Staat zu
unterstützen. Diese Bereitschaft resultierte haufig nicht aus Böswill igkeit,sondern vieimehr aus manseincler polit ischer Weitsicht und notwendigerSensibil i tät. Diese Bereitschaft steiserte sich im zo. )ahrhundert zu polit i-sche r Unmünd igke i t . D ie heu t i gen I l c r r sche r und Fuh re r de r Mus l imestellen im Prinzip nur noch Vasallen des Westens dar und setzen dessenpol i t ische Vorgaben konsequent um.
Ein klassisches Beispiel für diese Tendenz hefert der Feldzug Muhammad
Die Zerstörung des Kalifats
A1is gegen den Osnrantschen Star t . Dr . r rch sei t tcn Er fo lg gc l l lendet , l ieß t ' r
sich yon seinem Verbr,indeten Fralkreich zu ciriem Vorgel'rcn gegen dcll
Is lamischen Staat überreden. Er vetrkündete sc ine Loslösung vom l (a l i { l r t
r - rnd erk lär te dem Osmanischen Staat den i ( r icg. r83r fuhr tc cr e inen Fcld-
zug gegen Großsyr icn, dabei konnte er Paläst ina, L ibanon r - rnd Svr ierr
erobern. Die Führune des Kal i fa ts in Is tanbul antw'or tete, a ls Muhammlr t l
A l i vcrsuchte, s ich Anato l iens zu l ternächt iscn. Es kam mit Unterst i i tz t t t l l
G roßb r i t ann iens , Russ lands Lu ' t d Deu tsch lands zu e inem RückzL rq
Mr-thammad Alis nach Agr-ptett. wo er sich ciarnit abfand, als GouverntltLr
rm Amt zr-r bleiben.
Beirut und lstanbul - Die Zentren des Separat ismus
Das is lamische Glaubensfr - rndament prägt das Denken r - rnd das Handcl r l
der Musl ime. Seine Stärke garant icr te jahrhr- rnder te lang dctr Zusantnt i ' t r '
ha l t und d ie Macht dcs Is lamischen Staates. Dic Rcinhei t d icses Glar , rbcns
fundamentes galt r-tnd gilt es auch her-tte noch zu beu'ahren, um Stagnatiorr
r,rnd Dcgcneration bei den Mr-t,slimert zr-r vet.hindern. Schon de'r qroße Gt'
lehr te l l tn KhaldLtn crkannte, dass c i r tz ig r - rnd a l le in e in s ta lke-s l ind v i ta l t ' .
Glar-Lbensfundament Degeneratiot"t ltnd Nicdergang verrneidct.l kann. Dt'r
Is lam mit se inen k laren Ideen t rnd Vorste l l t rngcn ü l ter Dicssei ts t tnd f t ln
sei ts f i ihr te d ie Musl ime in der Fr i ihzc i t des ls lamischen Staates zu c i t . t , ' t
damals l ' rochentwickel ten Zrvr l isat ion. Dcr i leg i r tn des Nicdergangcs dt ' '
Is larn ischen Staatcs i rn Mrt te la l tcr is t ar- r f d ic in tc l lekt r te l ie Schnäche c l t ' r
Musl i r -ne zurückzufr - ihrcn, d ie r - rnrn i t te lbar mi t dem fehlendcn Verständrr is
f i r r d ie is lamischen Ideen und Vorste l lungcn qckoppel t is t .
Die Nlu-s l i rne selbst spr- r r ten den Niedergang, aber nur r , r 'cn ige erkant t t t ' r l
den Zr , rsarnmenhanq r l l t der in tc l lckt r - re l len Schn'äche. Dcr großc Gelchr t , '
Ibn T; t ; 'n j ,va war er iner der w'eniqen, dte s ich der in te l lektuel len Stagtr l -
t ion e. t r tgegensctztcn. Doch d ie Mehrhet t der Musl ime ahnte n ichts vorr
dem, rvas zr- r Beqinn dcs zo. Jahrht tnder ts c int reten sol l tc . Die e l r r ( )p. r '
isc l ' re1 I (o lonia lmachtc hrngcqcn crkannten c lcn Zr- tsamtncnhang zrv ischt ' r l
der Stärke des Is larn ischen Staates r , tnd der Rcinhei t der is lamischen L,chr , ' .
Ihncn war bewl tsst , dass s ie in crstcr L in ic d ic k laren is lamischen ldt ' t ' r t
und l (onzepte ins Wanken br ingcn mLLSSten, n 'enn s ie dt -n Is lamisc l l t ' t t
Staat schlr..ächen trnd ze'rstrircn uollten.
For tan versuchten insbesondcrc Frankre ich t rnd Großbr i tannien, nt 'L t "
Ideen und Vorstc l l r tnsen bei dtn Musl imen z l t e tabl iercn. Dabei so l l t t ' t i
Bei r r . r t und Is tanbr-r l e ine maßgebl iche Rol lc in der Verbre i t t rng von $ 'est -
l ichen Gedankcn t rnd Vorste l l t tngc.n spie lcn.
Berei ts im t6. . [ahrh l tnder t wurde auf Mal ta c in großes Miss ionszentmrn
err ichtet , von w'o at rs d ic Miss ionstät iekei t in dcr is lamischen Wei t koordi -
n ier t wurde. Al lerd ines erkannte man schnei l d ie Notvr 'endiekei t . d ie Mis
s ionsarbei t im Is lamisc l ' ren Staat se lbst ausl r l )e l l z l l mi- issen, so dass d ie-ses
auf Mal ta err ichtetc Ze 'nt rum im Jahre r6z5 nach Grof isyr ien (hcLr tc :
Syr ien, L ibanon, Paläst ina und jordanien) ver legt w.urde. Von dor t versrrch-
ten d ie europäischen Miss ionare immer wieder dr- r rch d iskrete Maßnah-men s ich zu etabl ieren, \4 'as ihncn in d ie-ser Zci t n ie r ic i r t ig gelanq. r ;73wurden c i iese Versuche e ingcste l l t . B is auf- k le ine Schulur und c in igcSchr i f ten konnte man von keinerr i nennens\ \ rer ten Einf luss d ieser Mis-s ionstät igkei t sprechcn.
Beirut wird Zentrum der Missionierung
r8zo wurden d ie Miss ionstät igkc i ten ncu ent facht , inde.m in Beirut e inneues Miss ionszentrum err ichtct rvurde. Bc- i r t r t so l l te a ls Bnicke fhr d icverbre i tung rn 'est l icher i ( r - r l tur und ldeen insbesondere in den arabisch-sprachigen Tei len des Is lamischcn Staates d ie.nen. Doch erst mi t dcrunterstützung des damal igen Gouverneurs lbrahim Pascha, sol l ten s ichr834 Miss ionare in a l len Landestc i len Großsvr icns ver te i le .n. Der negat i 'eEinf luss d ieser Miss ionare ar- r f das Leben der MLrs l ime, sol i te nach denrRückzug Ibrahim Paschas im jahre r84o a i , rs Großs' r ien in Erschein ' .gt reten. Durch das separat is t ischer Gedankengtr t , n ,e lches d ic N{ iss ionare,predigten, wurde d ie Einhei t der ßewohner Croßsyr iens qelährdet .
Insbesondere chr is t l iche, hbancsisch-sr . r ische Gebr ldete bctc i l ig ten s ich ender Missionstätigkeit ,nd traten im Laufe cler Zcit offen-si\,. für die übcr-
: . ,h-" europäischen Gedankensr , r ts und e ' r .päischer wissenschaf t l icher
r ' rkenntn isse e in. Mi t dem Is lam als ident i t : i tsst i f tenclen I r rk tor konntensie. naturgemäß *,enig anfangen, sodass sie clic ersten Verf-cchter eincrSäkularisierung der arabischen We lt n'urden. Die nationali. Icicc n-ar fr-ir -cieetne emanzipator ischc. Mr-rs l ime h ingegen, < j ie an d iesen Zi rkeln par t iz i -p ler ten, verbanden mi t dem Beer i f f der arabischcn Nat ion c ine Real is ier-r u n g d e s K a l i f a t s . S i e c r i n n e r t c n s i c h r n d a s r t ' r r n e i n t l i t h h i ' t o r i s c h e F r b , .qer Araber und sahcn in der Absetzung c ler Osmanischcn I (a l i fen e inen, .e lo rmans i l t z ,
um t l cn S tu rz des l ( a l i l a t s z r s t ( , ppen . Anc l t ' r r ,Ve r t re te r c l esarabischen Nat ional ism's machtcn s ich f i i r d ie Dezentra l is ierung c le-s
I I
Die Zerstörunq des Kalifats
Kal i fa ts s tark.
r86o zeichneten s ich erste ernsthaf ie Folget ' r d ieser Miss ionstät igkei t a1r
Unruhen uncl bürgerkr iegsähnl iche Umstände kennzeichneten Crof( -
syr ien. Die europäischen Mächte nahmen diese Unruhen zum Anlass, ihr t '
Streitkräfte in der Region zu postieren und damit indirekt zu inter-venteren.
Die Missronare bauten unter Ar-rfsicht der europäischen Schr-rtzmächtt'
ihrer Tät igkei t aus. jesui ten und andere chr is t l rche Miss ionare err ichtet . ' r r
zahl re iche neue Schulen und Miss ionsstät ten, um dte Mr"rs l ime inte l le i<-
t r - re i l zu schwächen. Das wohl bekanntcste Miss ionszentrum war das Srr-
ian Protestant Col lege, d ie heut ige Arner ikanische Univers i tä t ln Bei rLr t .
welches im Jahre 1866 ins Leben scrufen wurde. Al le großen Mächte der
damal igen Zei t , Großbr i tannien, c l ie USA, f rankre ich, Russland r - rnd
Prcußen, bete ihgten s ich an der Miss ionsarbei t . Die Folgen d ieser Pol i t rk
\Ä 'aren d ie Stärkung nat ional -separat is t ischer Ansichten und d ie Ftab-
l iemng rn,est l ich-säkularer Ideen. Noch heute is t der L ibanon geprägt ror l
13ürgerkriegen und Unruhen.
Reformversuche in lstan bu I
Die türkrschen und arabischen Nat ional is ten b i ldeten d ie Mosarkste ine, d ic
von den europäischen Mächten in ein Gesamtkonzept inteqriert wurdcrl.
mi t dem Zie l , den ls lamischen Staat n icht nur rn i l i tär isch zu schwächctr ,
sondern ihn aus dem Bewusstsein der Musl ime zu ver t re iben.
Die rruestl ich orientierten Inteliektuellen ltnd Polit iker im Kali lat w'aren tlt ' t '
Motor für e inr ' schr i t tu 'e ise Veränderr- rng der Vcr fassung und der Gesctz, '
dcs is lamisc i ren Staates h in zu e iner etLropl i ischen Gesetz- t tnd Verf : r : -
sunesgebung. I8 l9 übernahm Abd-el -Madschid I . a ls r6- iähr ieer das I ( l l i -
f 'cnamt in Is tanbul . Diesen Umstand nahmen ein ige Inte l lektuel le , unt( ' f
ihnen Raschid Pascha, der zum Beauf t ragten f i - r r Außenpol i t ik ernarrr l t
wurde, zum Anlass, den l (a l i fen nr i t Forder t lnqen zu torpedieren, e ine I?c '
form einzuleiten. Das Pro r-tnd Contra einer solchen Reform beherrschtc irr
den darauf fo lgenden Iahren d ie innenpol i t rschen Diskussionen. Mr- ts l i t r r i -
sche inte l lektuel le und der I (a l i f sahen in der Intesrat ion europäischer Vt ' r -
fassr- rngs- r - rnd Gesetzgebung e inen Widerspruch zum Is lam und b lock i t ' r -
tcn lange Zei t e inen solchen Reforrnansatz. Doch der außen- und innui -
oolrtrsche Druck und das Geftihi, handeln zu mi-issen, sowie das matt-
gclnde Dr,rrchsetzungsvermögen des l(alifen, l ießen es zu, dass er-rr,rp.i-
ische Gesetze Einzug in die Gesetzgebung des Kairfats hielten.
Nach Einholung einer Fatrva, die die neuen Gesetze "islamisch" legitimier-
te, wurden z. B. das Osmanische Strafgesetz ß57 n. Chr. und das Rechts-
und Handelsgesetz 1858 n. Chr. eingeführt. Im Zuge weiterer Reformen
wurde die Justiz in zivilrechtlrche und Schari 'a- Gerichte unterteilt. r876
wurde schließlich eine l iberale Verfassune verabschiedet die die Ein
ftihrung eines Parlaments und die Abschaffung des islamischen Straf-
rechts beinhal tete. Diese Umor ient ierung des Kal i la ts in Richtung
Nationalstaat wurde r878 durch den Kalifen Abdulhamid II. unterbrochen,
als dieser nämlich die r876 r'erabschiedete Verfassung für nichtig erklärteund das Parlament suspendierte. Abdulhamid versuchte den Prozess derDegenerierung im Kalifat zu stoppen. Er sah in der Übernahme europä-ischer Konzepte keine Perspektive zur Reform des Kalifats, und besannsich wieder auf die Fundamente des Islam. So erfolste unter ihm ein for-cierter Ausbau des staati ichen Schulwesens, clas rgoo dr-rrch die Grünciungder ersten modernen Staatsuniversität des Vorderen Orients in Istanbuigekrönt wurde. Die Verwaltuns des Kalifats wurde wieder zentralisiert undeffektiviert. Sultan Abdulhamid versuchte durch die Herv'orhebung dermuslimischen Einheit von Arabern und Türken, beide zu reintegrierenund die Abspaltung autonomer Gebiete von der Zentralmacht in Istanbulzu unterbinden, was ihm allerdings nicht überall gelang. AbdulhamidsPolit ik stieß nicht nur auf Zuspruch.
r889 fand sich in Istanbul ein oppositioneller Studentenzirkel zusammen,der mit einer Gruppe osmanischer Oppositioneller in Verbindung trat, dietm Pariser Exil lebten und dort dre Zeitung "La leune Turquie,'heraus-brachten. Dieser Studentenzirkel bildete einen Teil jener opposition, dieman in Europa unter dem Begriff "Iungtürken,' zLrsamrnenfasste.
Von Igoo an wurde verstärkt von Saloniki aus Einfluss auf diese Gruppeausgeubt , sodass s ich d iese r9o7 entschloss, den Namen , 'Komitee fürFöderation und Fortsch ritt" 6i- t ttihad w.a Al-Taraqqi ) anzuneirmen. r 9o6revoltierten sie gegen Sultan Abdulhamid IL und r*ir.g". ihn, die r876 er-
:1::,t-t", nach europäischem Vorbild gcstaitete Verfassr_rng wiederherzu-
;:i: i und das Parlament einzuberufen. Eine spätere Gegenrevolte Abdr_rl-
i l ,a}T tT April i9o9 wurde unter Zuhilfenahme uo,-r Trippen aus Saloni-Är vereiteit. Abdulhamid II. wurcle abgesetzt und ins Exil geschickt.
Die Übernahme von Elementen der europäischen Rechtssprechung war
sicherlich die Folge der Unfähigkeit der Muslime, auf neue Problenrs
durch Ableitung neuer Gesetze aus den vorhandenen islamischen Recht-*-
quellen zu antvvorten. Diese erschreckende Unfähigkeit resultierte aus dcr
Unkenntnis der arabischen Sprache, die fur das Verstehen und das
Studium der islamischen Rechtsquellen unabdingbar ist. Schon zu Beginn
des Osmanischen Staates im Iahre r5t7 wurde auf Anraten des Scheikfi-ri1-
Islam die fatale Entscheidung getroffen, die arabische Sprache durch dic
türkische abzulösen. Die Bedeutung der arabischen Sprache ist vielcn
Muslimen auch heute noch nicht bewr-rsst. Durch die Infi ltr ierung des is1.r-
mischen Glaubensfundaments mi t nat ional is t ischen Ideen, s ind d ie Mrrs '
l ime der Auffassung, die arabische Sprache sei ein ethnisches Attribut dttr
Araber und deshalb für nichtarabische Muslime unbedeutend.
Sie verkennen d ie Tatsache, dass der Qur 'an und d ie Sunna in arabischcr
Sprache offenbart wurden, und dass der Prophet ausdrücklich betonte, die
Beherrschung der arabischen Sprache sol1te e ine Eigenschaf t a l lcr
Musiime sein. Alle Muslime sind aufgefordert, den Qur'an, das Wort
Allahs ", ' i , aufmerksam zu lesen, zu verstehen und sich nach seinem Inhalt
zu richten. Die Autorität des Qur'ans und die absolut gültige Beweiskraft
seiner Verse beziehen sich aber nicht auf die Inhalte, die eine menschliche
Interpretation aus ihnen herausliest, sondern auf den genauen Wortlaut
des Origrnaltextes.
Die Rechtsgelehrten (Mudschtahidin) zirierten bei ihren Auslegungen clie
bei der Beweisführung herangezogenen Qur'an-Stellen im Wortlaut. Der
Idschtihad selbst stellt die Bemühunsen der Gelehrten dar, Rechtsnorlrer]
aus den Beweisquellen, Qur'an, Sttnna, Konsens der Gefährten des Pro-
pheten und dem Analogieschluss /Qryas/, auszuarbeiten und rechti iche
Vorschriften zur Anwendung zu bringen. Diese Wissenschaft legt zuerr-rn'
de, dass derlenige, der ldschtihad vornimmt, die Beweisquellen exakt vcr'
s tehen muss, was nur gel inet , wenn er dre arabische Sprache in umfasst 'n-
der Form beherrscht. Es genügt nicht, den Qur'an-Text in einer nicht-lra-
b i schen Überse tzung zu z i t i e ren .
In den ersten Jahrhunderten des Kahfats lebte eine Vielzahl von Gelehrten'
die die Quaiifikation besaßen, den Idschtihad anzuwenden. Dadurch wal
immer garantiert, dass Verfassung, Gesetze r-rnd Rechtsnormen innerhliLr
des i(ahfats durch dre islamischen Beweisquellen belest waren. Neue Pro'
t 1
Die Zerstörung des Kalifats
Gar" in Folge der zivilisatorischen Enfwicklung rles Menschen auf-
raIen, konnten von den Gelehrten behandelt r-rnd am Ende durch den Vor-
zang des Idschtihad gelöst werden. In der Zeit der Abbasiden wurden dieärundlagen fur den Idschtihad systematisiert. Es entstanden große Werke,die Rechtsnormen und Gesetze für wrchtiee zentrale Bereiche des Staats-wesens beinhalteten.
Mit dem Wegfall der arabischen Sprache im Osmanischen Staat ging dieFähigkeit des idschtihad weitgehend verloren. Die meisten Muslime warennicht mehr im Stande, neue Probleme durch Rechtsauslegunqen lnausreichendem Maße zu behandeln. Das Prinzip des ldschtihad n'urdedurch die sogenannte Fatwa erselzt. Die Fatwz selbst ist nicht mehr als einRechtsgutachten eines Gelehrten zu einem Problem, wobei es nicht mitBeweisen aus den islamischen Rechtsquellen belegt wird.
Der erste Weltkrieg als Vorbote des Untergangs
Nach der Absetzung Sultan Abdulhamids II. übernahmen die Jungtirrkendie Macht in Istanbul und setzten die Verfassung aus dem Jahre r876wieder in Kraft. Allerdings bedeurete diese Tatsache nicht, dass das Kalifatdamit aufgelöst sei. Noch immer bestimmte ein Kalif offiziell die Ge-schicke im Staat . Sul tan Mehmet v . Resat , der b is r9r8 d ieses Amt be-kleiden soilte, musste sich jedoch dem Willen der Jungtürken beugen.Innerhalb der Iungtürken dominierten Talat pasa als Außenminister,l,nver Pasa als Kriegsminister und Cemal pasa als Gouverneur von Syrien.Die. Jungtürken beirieben eine Turkif izie^rng des osmanischen Staates,weil sie glaubten, dessen Zerstörung clurch eine türkisch-nationaristischorientierte Polit ik aufhalten zu können. Selbst in den Landesteiren desIslamischen Staates, in denen die arabrsche Sprache dominierte, wurde dert'ebrauch der türkischen Sprache in den Schr-rlen, bei den Gerichten undin der Verwaltung forciert. Somit wurde der ',Arabismus" gestärkt, der jazuvor nur von chiistl ichen libanesisch-syrischen Intellektuellen getragen
:i9. Es bildeten sich Gruppen wie z.B. der "Literarische K1ub,,
-(at iun.radab al'adabi). t9o9 gegrunäet, die " eahtan- Gesellscha ft ' , 1at-1am,i,va al-'! i l t!.n.iyya1.
aus der später r914 die Geheimgesellschaft Der Bund /a1-ahdl hervorg ing, der unzufr iedene Off iz ierc aus Syr ien und I rak ange-
; ; : ' : : und d ie Jungarabische Cesel lschaf t 1al -Cam' iya a l - 'arabiye e l fata) .- '-tvtehrheit
der Gruppen wollte keineswegs die Trennung von Istanbul"uer gär d ie Zerstörung des Is lamischen Staates. Vie lmehr s t rebten s ie
L-
nach Autonomie. Sie sahen darin das einzige Mittel, die Politik der Turkifi
zierung aufhalten zu können.pie militarischen Auseinandersetzungen des Osmanischen Staates rx11
Nachbarstaaten nahmen im Laufe des r9. )ahrhunderts und zu Anfang de1
zo. fahrhunderts zu. Dies war mitunter eine Folge des Einma^rsches vot
Napoleon Bonaparte in Agypten im f ahre 1798. Mit Russland führten di1
Muslime den t<iimkrieg und einen weiteren im lahre ß77178. Insbeson
dere am Balkan kriselte es. Separatistische Gruppen, die zumeist von Groß
britannien und Österreich-Ungarn untersti.itzt wurden, sowie die zuneh
mende militärische Stärke der europäischen Mächte reduzierten den euro
oäischen Teil des Islamischen Staates auf ein kleines Gebiet rund un
istanbul. r9o8 annektierte Österreich Bosnien und Herzegowina' Bulgar
ien erklärtJ sich unabhängig. Kreta wurde Griechenland angegliedert' Ital
ien fiel rgrr in Libyen ein, und Igrz erklärten die Balkanstaaten dem Os
manischen Staat den Krieg. Schließlich brach der r. Weltkrieg aus, in det
der osmanische Staat im oktober r9r4 an der seite Deutschlands eintrat
Trotz der insgesamt widrigen Umstände, sah es nicht nach einer militärr
schen Niederlage des Islamischen Staates aus. Auch waren sich die Briter
bewusst, dass die Nadelstiche, die Sharif Hussein dem Islamischen Staa
zufugte, nicht zu seiner Zerstörung führen würden. Der Schlüssel für ein
mögl"iche Vernichtung lag in den Händen der mächtigen Offiziere des Oi
manischen Staates ."lbtt. Insbesondere zwei Personen machten keiner
Hehl aus ihrer Unzufriedenheit über die Teilnahme am Krieg an der Seit
Deutschlands: Cemal Pasa und Mustafa Kemal. Mustafa Kemal spieh
allerdings zu Anfang des Krieges keine große Rolle, obwohl er ehrgeizt
seine H-ande nach där Macht ausstreckte. Er war ein kleiner offizier, bt
kannt für seine westlichen Ansichten, seine Revolte gegen islamisch
Ideen, seine verbundenheit mit den Engländern und seine Ablehnung de
Deutschen. Im Laufe des Landungsunternehmens auf der Halbinsel Gall
poli und der äußerst verlustreicti ausgefochtenen See- und Landkampf
um die Dardanellen vom rg. Februar rgr5 bis zum 9. |anuar r916, versucl
ten die Entente-Mächte immer wieder den Kontakt zu cemal Pasa, rt'
dem Ziel, den Krieg zu ihren Gunsten zu beenden und die Einheit des Isli
mischen Staates zu zerstören . TroIz der prinzipiellen Bereitschaft Cet'tti
Pasas, auf die Vorschläge der Entente einzugehen, scheiterte eine Einigutl
zwischen Cemal Pasa und der Entente an den Bedingungen, die Certt'
Pasa für das Zustandekommen eines möglichen Abkommens formuliert'
die Unversehrtheit des Islamischen Staates und die Beibehaltung des Kal
fats ajs Staats- und Regierungssystem.
Nachdem eine Vereinbarung zwischen Cemal Pasa und den Entente-Mäch-
ten vor allem am Widerstand Englands nicht zustande kam - Englandgsimmte einer Erhaltung des Kalifats und der osmanischen Staatsgebiete:Großsyrien, Palästina, Iraq und der arabischen Halbinsel nicht zu - suchternan nach anderen Persönlichkeiten innerhalb der osmanischen Armee,die den britischen Interessen mehr entgegen kamen.
In der Schlacht von Gallipoli führte Mustafa Kemal die osmanischen Trup-pen bei "Anaforta", einem der strategisch gefahrlichsten Positionen in derNähe der Dardanellen, an. Die Kämpfe konzentrierten sich auf eine An-höhe, an deren Fuß sich die Briten und an deren Spitze sich die Türken be-fanden. Die Briten versuchten, die strategisch wichtige Spitze zu erstür-rnen. Die Kämpfe dauerten mehrere Tage an, ohne dass eine der beidenSeiten die Schlacht für sich entscheiden konnte. Die jeweiligen Positionenwurden gehalten und die Kämpfe fortgesetzt. Monatelang ging es so wei-ter; bis die Briten in einer Nacht plötzlich ihre Stellungen räumten undldammheimlich verschwanden. Der strategisch wichtige KüstenstreifenGallipolis, den sie vorher erobert hatten, wurde kampflos aufgegeben. DieKriegsschiffe wurden in einer erstaunlichen Schnelligkeit beladen und ab-gezogen. Dieser Rückzug war es, der die Schlacht von Gallipoli zugunstender Türken beendete.
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Mit dieser Schlacht erstrahlte Mustafa Kemals Stern am Himmel. Er er-lmgt" einen großen Ruhm innerhalb der osmanischen Streitkräfte. DieSthlacht wurde mit einer breit angelegten Werbekampagne umgeben, inder Mustafa Kemal als großer petJtrerr und ruhmrelc-hei Siege, über dieEngländer gefeiert wurde. Dieser Sieg änderte jedoch nichts
"n d"r skepti-
schen Haltung Mustafa Kemals gegenüber dem Kriegspartner Deutsch-la|d' Gestärkt durch seinen Sieg und der positiven Resonanz in Istanbulscheute er auch nicht, diese Meinune öffentlich zu vertreten rind mit derpolitischen Elite in Istanbul Kontakt iufzunehmen.l" lg i;
Dbltiber hinaus deuteten zwei weitere Ereignisse darauf hin, dass Mustafa
;1ttal beabsichtigte, die Regierung in Istinbul zu stirzen und aus demder Mittelmächte herauszutreten. Das erste Ereignis spielte sich ab,ustafa Kemal sich im Kaukasus aufhielt. Zur gleichenZeit plante ein
r6
Maior Yakup Cemil Bey mit einigen Gesinnungsgenossen einen
putsch gegen die osmanische Regierung. Auf die Frage hin, wen der
Majorui, ,,"n".t Regierungschef einsetzen würde, verwies er ohne zu
Zögernauf Mustafa Kemal. Allerdings flog die Gruppe auf, und sie wurden
entiprechend bestraft. Mustafa Kemal erreichte die Nachricht über diese
Ereignisse durch einen gewissen Dr. Hilmi Bey, der am Komplott beteiligt
war und nun Zuflucht bei Mustafa Kemal suchte. Die Weigerung Mustafa
Kemals, Dr. Hilmi Bey an die Zentralregierung Istanbuls auszuliefern,
interpretierte man als Signal, dass Mustafa Kemal wirklich gegen die Re-
gierung, in Istanbul zu opponieren schien.
Beim zweiten markanten Ereignis verweigerte Mustafa Kemal noch deutli
cher den Gehorsam gegenüber der Zentralregierung in Istanbul. Im Laufe
des Krieges erlitten die Truppen des Islamischen Staates eine empfindliche
Schlappe gegen Russland, das die Stadt Erzurum in Nordostanatolien be-
setzen konnte. Kurz danach im März rgrT eroberten die englischen Trup-
pen mit Hilfe der indischen Armee Bagdad. Schließlich drangen sie bis
Mosul vor. Enver Pasa geriet als verantwortlicher Kriegsminister unter star-
ken innenpolitischen Druck. Dabei wurde offen über seine Ablösung
durch Mustafa Kemal spekuliert. ]edoch erinnerte man sich an die offen-
kundige Auflehnung Mustafa Kemals gegen die Politik des Osmanischen
Staates und beließ Enver Pasa in seinem Amt.
Enver Pasa bat die verbündeten Deutschen um Unterstützung, welche
diese ihm auch gewährten. Generai volkenheim wurde mit einer Reihe
von Beratern beauftragt, Teile der Osmanischen Armee zu restrukturieren.In Aleppo wurde das neue Hauptquartier aufgeschlagen. Mustafa Kemal
wurde dabei zum General ernannt. Trotzdem ließ er kaum ei.ne Gelegen-
heit aus, die osmanische Politik zu kritisieren und das Ende der
Zusammenarbeit mit den Deutschen zu fordern. Er weigerte sich sogar,
Befehle Volkenheims entgegenzunehmen und beharrte auf seiner Mei-
nung, dass eine Wiedereroberung Bagdads sinnlos sei. Mustafa Kemal
opponierte deutlich gegen die Zentralregierung in Istanbul.
Suitan Mehmet V. Resat starb am 3. Juli r9r8. Die Nachfolge trat Sultan
Mehmet V. an. Mustafa Kemal nutzte seine Beziehungen zum neuen Kaii-
fen fur einen Versuch aus, seinen Ansichten Geltung zu verschaffen. Er
forderte den Kalifen auf, das Bündnis mit Deutschland aufzugeben und
sich aus dem r. Weltkrieg herauszuziehen. Obwohl der neue Kalif den'Worten
Mustafa Kemals Cehör schenkte, änderte sich an der Politik und
r8
Die Zerstörung des Kalifats
Sfrut.gl" des Osmanischen Staates nichts. Niemand ahnte zu diesem Zeit-
punkt, was Mustafa Kemal wirklich im Schilde führte.
Das Ende des ersten Weltkrieges und der endgültige Aufstieg
Mustafa Kemals
Der Verlauf des ersten Weltkrieges in Europa war wechselhaft. Am Ende
iedoch besiegte die Entente mit Hilfe der Vereinigten Staaten die Miitel-mächte. Deutschland und Österreich-Ungarn waren besiegt.
Im Spätsommer r9r8, also kurz vor Kriegsende, mobilisierten die Britenalle ihre vorhandenen Kräfte gegen den Islamischen Staat. Ein Teil der bri-tislhen Flotte postierte sich vor Palästina, das noch von Streitkräften derMuslime kontrolliert wurde. Der deutsche General Volkenheim wurdedurch den deutschen General Lieman von Sanders ersetzt, der weiterhindie Unterstützung Deutschlands fur die Truppen des Islamischen Staatessichern sollte. Lieman von Sanders übereab Mustafa Kemal die Verantwor-ttuig über die siebente Armee. Am r9. Säptember r918 starteten die Briteneine Großoffensive. Mustafa Kemal stellte sich nicht zum Kampf, sondernzog sich in einem ersten Schritt östlich des Jordans zurück. Danach zogMustafa Kemal mitsamt der ganzen Armee nach Damaskus weiter.
Lieman von Sanders forderte Mustafa Kemal auf, eine Verteidigungsliniein der Nähe von Damaskus aufzubauen. Mustafa Kemal ledoch sah in einersolchen Maßnahme keinen Sinn und schlug statt dessen einen Rückzugnach Aleppo vor. Trotz der Vorbehalte von Sanders, der Syrien nicht ohneweiteres den Engländern überiassen wollte, zog sich Mustafa Kemal nachAleppo zurückr.rnd tib"rnrhm fur diese Entschäid,r.rg die vol1e Verantwor-
!1ng. Er rechtfertigte diesen Verrat mit der Notwendigkeit, das türkischeTerritorium des Isi"amischen Staates zu verteidigen. Zeitgleich kontaktierteer den Sultan und versuchte ihn für die Umgestaltung der Regierung zu8elüinnen. Im Rahmen dieser Umgestaltu.rg ü""nrp*Ihte er fur sich denPqsten des Verteidigungsministers.
Dieser Verrat Mustafa Kemals ist offensichtlich. Es gibt einige Indizien, die4$ir sprechen, dass er mit den Briten kooperierte: So z.B. seine indirekte\*5;taktaufnahme mit Lawrence ("von Arabien'), dem Offizier des briti-
ffi C"tt"imdienstes. Dieser Kontakt erfolgte durch die mit den Eng-
r 9
Die Zerstörung des Kalifats
ländern kollaborierenden arabischen Fürsten, die ihm ein Ende des Krie-ges und einen separaten Frieden mit den Alliierten vorschlugen. Ferner istsein kampfloser Rückzug aus ganz Syrien zu erwähnen und die de factoÜbergabe des Landes an die Briten unter dem Vorwand, bei Aleppo eineVerteidigungslinie errichten zu wollen, um den türkischen Teil des Isla-mischen Staates zu verteidigen. Darüber hinaus hat er nur die türkisch-sprechenden Soldaten aus der islamischen Armee nach Aleppo abgezogen.Dies sind alles Indizien, die eine Kontaktaufnahme Mustafa Kemals mitden Briten wahrscheinlich machen. Auch sein feiger Abzug aus den heili-gen Stätten Palästinas ist ein ungeheurer Verrat, der in der Folge die Er-richtung des Staates Israel ermöglichte.
Wenig später war der erste Weltkrieg mit der Niederlage des OsmanischenStaates besiegelt. Die Briten begannen nun die Früchte ihrer Separations-politik zu ernten. Ein Teil des Sykes-Picot-Abkommens aus dem f ahre r916wurde nun umgesetzt. Das Abkommen sah eine Aufteilung des NahenOstens unter Engländern und Franzosen in Interessensgebiete vor. Groß-britannien sollte Mesopotamien von Bagdad bis zum Persischen Golf er-halten. Für Frankreich wurde der Libanon, das westliche Syrien und dassüdöstliche Anatolien vorgesehen. In Palästina sollte zwischen Akko undGaza eine internationale Zone eingerichtet werden. Um die InteressenRusslands scheinbar zu befriedigen, wurden ihm die Dardanellen und derBosporus zugesprochen.
Nach dem Ende des r. Weltkrieges schloss sich Großbritannien mit denSeparatisten innerhalb des Islamischen Staates kurz und ermöglichte überdirekte Verhandlungen mit ihnen die Errichtung der heutigen künstlichenStaaten in der islamischen Welt. Dieses Verhalten war völkerrechtswidrig,da die meisten Gebiete noch zum Osmanischen Staat gehörten und eigent-lich direkte Verhandlungen mit dem Sultan in Istanbul hätten gefuhrtwerden müssen. Nach und nach entstanden von den Briten unterstützteRegime, deren Herrscher, wie Abdullah, Faisal oder die Familie Saudfortan treu den Briten ergeben waren. Diese " Loyalität" ermöglichte erst dieZerstörung des Islamischen Staates und später die Errichtung Israels imHerzen der islamischen Welt.
Die Entente-Mächte hatten durchaus die Möglichkeit, den OsmanischenStaat vollständig zu besetzen und ihn unter sich aufzuteilen. )edoch walden Briten mehr als bewusst, dass eine bloße Okkupation des Islamischen
Staates nicht seine endgültige Zerstörung bedeuten würde, weil dies einen
stärkeren Widerstand provoziert hätte. Denn die Idee des Kalifats hätte in
den Herzen der Menschen weitergelebt. Es wäre lediglich eine Frage derZeit, bis die Muslime den Widerstand gegen die Okkupanten formierthätten. Selbstverständlich hätten sie dann die Errichtung eines neuen Isla-mischen Staates, eines Kalifats angestrebt. Nein, die Zerstörung des Isia-mischen Staates musste - so der Wille der Engländer - endgültig sein. Vondaher wurden fortan der Reihe nach die Abspaltung der arabischen Terri-torien vom Osmanischen Staat, die Absetzung des Sultans, die Zerstörungdes Kalifats und die Errichtung einer neuen türkischen Republik ange-strebt. Um dies zu realisieren, unternahmen die Briten zahlreiche Vor-sröße innerhalb des Osmanischen Staates durch ihre Mittelsmänner. Da-bei sollte Mustafa Kemal eine ganz zentrale Roile spielen. Mustafa Kemalwar einer der wenigen Menschen im Osmanischen Staat, weiche die Zer-störung des Kaiifats befurworteten. Viele Muslime taten sich bereits mitder Vorstellung schwer, dass sich die arabischsprachigen Gebiete des Os-manischen Staates, wie Syrien, der Hidschaz u.a. abspalten würden, keineriedoch - bis auf unrühmliche Ausnahmen wie Mustafa Kemal - konnte sicheine Abschaffung des Kalifats vorstellen.
l9r9 besetzten die Griechen Izmir und richteten unter der Bevölkerung lz-mirs ein abscheuiiches Blutbad an. Die Szenen, die sich dort ereigneten,erinnern an die Massaker, die die Serben Mitte der neunziger fahre desvorigen fahrhunderts in Bosnien-Herzegowina begingen. Mustafa Kemaltrafkurz danach in der Region ein, um den Widerstand gegen die Griechenzu formieren. Die Briten unterstützten indirekt diesen widerstand, indemsie alles daran setzten, die Person Mustafa Kemals zu heroisieren. Von denwahren Absichten Mustafa Kemals, das Kalifat zu zerstören, konntedamals noch niemand ahnen. Mehrere Ereignisse trugen dazu bei, den RufN4rrstafa Kemals als Befreier und Held zu fördern.
i , i
Die Briten ließen durchsickern, dass sie die Okkupation von Sivas über denSchwarzmeerhafen Samsun ins Ause fassten. Mustafa Kemal beordertelginen Mitstreiter Rifat Pascha ,r"ch
-Samsrrn und gab ihm die Anweisung,
Samsun um ieden Preis zu verteidisen. Als die enslische Flotte Samsunerreichte, waren die Truppen Rifat iascha,
".rrv"r"i-,d. Es kam jedoch zu
fh:t Konfrontation, da die Briten den Hafen kampflos verließen. SofortWrde dieser Abzug zur Propaganda genutzt. Die Briten hatten angeblichffit und hätten rln d"r*"gei zrrrulkge zogen. Samsun und Sivas waren
Die Zerstörung des Kalifats
damit gerettet.
Die Griechen, die Izmir weiterhin besetzt hielten, drangen nun tiefer ins
Hinterland Kleinasiens ein, was die Muslime mit heftigem Widerstand
beantworteten. Mustafa Kemal entsandte seine Mitstreiter in die zahl-
reichen Dörfer, um die Menschen dort fur den Widerstand zu gewinnen.
Daraufhin drangen seine Truppen ins griechische viertel Izmirs ein und
zerstörten es. Die Antwort der Griechen folgte prompt. sie begannen
systematisch die türkischsprachigen Muslime in Izmir zu töten. Die Briten
protestierten bei der Zentralregierung in Istanbul gegen das Vorgehen
Mustafa Kemals. Der Sultan forderte von Mustafa Kemal, seine Scharmüt'
zel gegen die Griechen zu beenden. Als dieser sich weigerte, setzte ihn der
Sultan ab. f edoch war der Einfluss Mustafa Kemals bereits so groß, dass er
die Macht weiterhin in Händen hielt.
Fast parallel hierzu wurde im August rgrg in der Stadt Erzurum eine
kleine Konferenz abgehalten, in der sich fiihrende Politiker Ostanatoliens
zusammenfanden. Ziel der Konferenz war die Suche nach Maßnahmen,
um die Einheit des Osmanischen Staates zu wahren. Dabei wurde Mustafa
Kemal trotz Abwesenheit zum Vorsitzenden der aus der Konferenz ent'
standenen Organisation gewählt. Die Organisation erkannte den Sultan
und seine Regierung sowie die islamische Verfassung an. Diese Konferenz
war der Vorbote der Konferenzvorr Sivas, die weitreichende Konsequenzen
nach sich ziehen sollte.
Die Konferenz von Sivas
Die Situation des Kalifen in Istanbul war äußerst heikel. Zum einen spürte
er, dass Mustafa Kemal und seine Mitstreiter einen Widerstand gegen
Istanbul formierten. Zum anderen machten die Briten dem Kalifen
unmissverständlich deutlich, dass sie eine Zerschlagung der Bewegung
von Mustafa Kemal unter keinen Umständen dulden würden.
Der Kalif konnte demnach nur zuschauen, wie sich am z. August r9t9
Mustafa Kemal und weitere Politiker aus Ostanatolien in der anatolischen
Stadt Sivas zu einer Konferenz einfanden. Mustafa Kemal beabsichtigte,
durch die Konferenz seinen verräterischen Widerstand gegen den Kalifen
und somit gegen den Islam zu legitimieren. Diese Absicht wurde bereits
bei der wahl des Konferenzpräsidenten deutlich. Mustafa Kemal prokla'
nierte diesen Posten für sich, ohne sich zuvor mit den anderen Konferenz-
milnehmern abzustimmen. Als dann Kritik an seinem diktatorischen Füh-
nrngsstil geübt wurde, raffte sich Mustafa Kemal zu einer propagandisti-
schen Rede auf und konnte somit seine Kritiker verstummen lassen.
Die erste Hälfte der Konferenz verlief nicht so recht nach Mustafa Kemals
Geschmack. Die Teilnehmer weigerten sich, von einer neuen Regierung in
Sivas zu sprechen. Darüber hinaus wurden Stimmen laut, sich mit den
Amerikanern zusammenzusetzen, um über die Zukunft des Osmanischen
Staates zu reden. Viele der Teilnehmer sahen in einem Bündnis mit den
USA keine Gefahr fur die Unabhängigkeit des Osmanischen Staates. Sie
misstrauten den Briten, die sie fi-ir die Misere des Osmanischen Staates
und seine Niederlage im r. Weltkrieg verantwortlich machten. Vor allenDingen waren sich die Konferenzteilnehmer in einer Sache mehr als einig.Ihre Loyalität galt weiterhin uneingeschränkt dem Kalifen und dem Kaiifat.Niemand, außer Mustafa Kemal, konnte sich eine Zukunft ohne das Kalifatund somit quasi ohne den Islam vorstellen.
Während der Konferenz kam es zu Protesten einiger kurdischer Stämmegegen die Zentralregierung in Istanbul, die Mustafa Kemal sofort zur For-mulierung eines eigenen Protestes nutzte. Er forderte eine neue Regierungir1-lqtanbul. Trotz eines deutlich zu vernehmenden Murrens konnte Mus-tafa Kemal diese Forderung in Form eines Abschlussdelretes den Konfe-rqnzteilnehmern abringen, was allgemein als Erfolg für Mustafa Kemalinterpretiert wurde.Iedenfalls konnte Mustafa Kemal zwei wesentliche Erkenntnisse aus demKonferenzverlauf ziehen . Zurn einen war er der wohl einzige im ganzenLand, der - nicht öffentlich - für eine Aufhebung des Kalifats eintrat. Zumanderen musste er sich der Unterstützuns des Militärs sicher sein. Dennotrne diese wäre ein Vorgehen gegen die Rägierung in Istanbul undenkbar.Deswegen war Mustafa-Kemal gemeinsam mit den Briten bestrebt, sich(lre-se Unterstützung durch geschickte politisch-taktische Schritte zusichern.'ri
DörVerlauf der Konferenz wurde in Istanbul anders wahrgenommen. Mantilttrpretierte die Konferenz als Revolte und war von der angeblichen Zu-stirnmung der Teilnehmer - sie lag in Wirklichkeit nicht vor - mehr als be-
diese Revolte niederzuschlagen. Die im r. Weltkrieg siegreichen'Mächte im Alleemeinen und die Briten im Speziellen hinderten
2 )
Die Zerstörung des Katifatsden Kalifen massiv daran, diese Bewegung militärisch zu bekämpfen, eindeutliches Indiz dafür, dass die Engländer in Mustafa Kemal ihren Mannhatten und ihn um jeden Preis halten wollten. Mehr noch, sie gestaltetenaktiv das Mosaik, welches Mustafa Kemal zum angeblichen Helden hoch-stilisierte.
Ankara wird zum selbsterwählten Stützpunkt Mustafa Kemals
Gestärkt durch den fur ihn halbwegs positiven Ausgang der Konferenz inSivas begann Mustafa Kemal seinen Widerstand gegen Istanbul auf eineneue populistische Formel zu bringen. Er forderte eine neue Regierung, daer die Unabhängigkeit der damaligen Regierung nicht mehr gewahrt sah.Er warf der Regierung in Istanbul vor, dass sie von fremden Mächten diri-giert wurde. Mit anderen Worten: Mustafa Kemal scharte seine Anhängermit der Forderung nach Unabhängigkeit um sich und verschleierte somitseine wahren Motive für das Vorgehen gegen den Kalifen.
Im weiteren Verlauf des f ahres r9r9 fanden Parlamentswahlen statt, die aisErgebnis eine neue Regierung unter der schwachen Führung von Ali RezaPascha zur Folge hatten. Mustafa Kemal war zu dem Zeitpunkt bereits inseiner Wahlheimat Ankara, wo er zuvor von den Einwohnern der Stadt be-geistert empfangen worden war. Dort wählte man ihn auf Anhieb zum Ab-geordneten und zum Vertreter von Ankara. Allerdings kam er der Bitte derBevölkerung Ankaras nicht nach, das neue Parlament in Istanbul zu eröff-nen. Fortan versuchte er weiter gegen den Kalifen vorzugehen, ohne je-doch Zuspruch zu erhalten.
Ankara wird zur Hauptstadt der kemalistischen Parallelregierung
Mustafa Kemal entschied sich zu einem zweiten Anlauf, nachdem er jedeHoffnung verloren hatte, durch das Parlament in Istanbul an die Macht zukommen. Er stattete seine Truppen aus und bereitete sie auf einen Kampfvor, während ihm Gelder und Waffen aus Istanbul zugeschickt wurden,ohne dass die in Kenntnis gesetzten britischen und französischen HighCommissioners intervenierten.
Trotz der Überwachung des britischen High Commissioners gelang esMustafa Kemal, mit Waffen und Munition gefullte Lastwägen auf derHalbinsel Gallipoli zu sammeln. Die Tatsache, dass die Briten zu diesern
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zeitynkt nicht eingriffen, führt prägnant vor Augen, dass sie es waren,die Mustafa Kemals Rücken stärkten, seine pläne vorbereiteten und sie ini-tiierten. Ein Guerillakrieg brach gegen die Alliierten aus, was dazu frthrte,dass die italienische Garnison aus Biria, die französische, und die britischeaus Anatolien evakuiert wurden. London und paris verlansten ein ab-solutes Stop der militärischen operationen, was alleemein" unbeachtetblirb.
Am7.März r92o zwangen die Alliierten Ali Reza, zurückzutreten. Er wur-de vom Minister der Kriegsmarine Salih pascha ersetzt, der einen Monatspäter auch zurücktrat. Nun zielten alle Maßnahmen auf die militärischeBesetzung Istanbuls ab. Paris und Rom stimmten darin überein, dassGroßbritannien, Frankreich und Itaiien an dieser Aktion teilnehmen soll-ten. |edoch schickte Großbritannien allein ihre Marine, und sie nahmIstanbul erfolgreich ein.
Hierauf intervenierten Frankreich und Italien, um das eigenmächtige Han-deln Großbritanniens zu unterbinden, und das Gleichgewicht der"Machtezuobewahren. In diesem sinne forderten sie die Teilnihme an der Regie-rung, was aber die Briten nicht zuließen. So marschierten die Briten in diestadt ein, vereinnahmten die Regierungsgebäude und verhafteten einegroße Anzahl von vertretern der partei ti,tustafa Kemals, sowie den pre-mierminister Said Halim. Istanbul war nun von Alliierten besetzt, die dasKriegsgesetz deklarierten und die Zensur in presse, post und Regierungdtnchsetzten. Diese Maßnahmen wurden vom sultan unterstützt, was all-gernein eine nachteilige wirkung auf sein Ansehen hatte. Anschließendwurde das Parlament offiziell aufgelöst.
. :Damad Ferid Pascha, der Nachfolger von Salih pascha, bildete auf wunschclor Briten am 5. April rgzo eine-neue Regierung und ftihrte das Land incespotischem stil. Im Anschluss daran värhängie der Sultan die Todes-strafe über Mustafa Kemal und seine Helfer. Daraufhin befahl Mustafa
l-tTtl der türkischen Garnison, die Briten anzugreifen und die Stadttakisehir zu belagern, in der ein britischer Zug stationiert war. Den türki-schen Truppen gelang es, die Stadt zu besetzen und die alliierten Mächte
*l::1"" aus ganz Anatolien evakuiert werden. Hierbei ist es wichtig fest-
lnjll.:, d"ss es keine kriegerische Koliision mit den Briten gab, lediglichcmen kleineren Zusamm"tritoß mit den Italienern bei KonyalDurch dieseunerationen wurde die Konstellation in beiden Lagern augenscheinlich:
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Die Zerstörung des Kalifats
Die Briten, unterstützt vom Kalifen und der Regierung, auf der einen Seite,und Mustafa Kemals Partei, als Befreier der Nation', fur die das ganzeVolk eintrat, auf der anderen Seite.
So kam Mustafa Kemal, den das Volk als Anfuhrer im Befreiungskampfgegen die Briten sah, in die Oppositionsrolle zur Regierung. Inmitten die-ser günstigen Ausgangslage ergriff er im Interesse des Parlamentskomi-tees, welches nicht aufgelöst wurde, die Gelegenheit, neue Wahlen anzu-kündigen. Auch versprach er, dass das neue Parlament keine Verbindungzu der alten Versammlung haben werde und, dass es kein osmanischesParlament sein werde, sondern eine nationalistische, gesetzgebendeInstitution mit beispielloser Macht. Seine Sitzungen fanden in Ankara, dasals Machtzentrum ausgewählt wurde, statt. Es fanden aber keine Wahienim eigentlichen Sinne statt, sondern künstliche Aktionen, die lediglich denScn-ein eines Wahlvorganges haben sollten. Diese umstrittenen "Wahlen"waren ftir die Kemalisten doch ein Erfolg, da sie als logische Sieger daraushervorgingen und somit die Repräsentanten der Nation wurden.
Am 23. April rgzo fand die Nationalversammlung statt, die mit religiösenFeierlichkeiten eingeleitet wurde. Während ihrer Vorbereitung brachteMustafa Kemal den Regierungsstab nach Ankara und führte somit denRegierungsapparat dort ein. Ferner kaufte er eine Presse und ein Iourna-listenteam, um u. a. eine eigene Zeilung herauszugeben.
All diese Maßnahmen bezweckten, Ankara zum Regierungssitz und zurHauptstadt des Landes zu machen. Mustafa Kemal legte damit den Grund-stein für die türkische Republik. Diese Initiative führte er mit größter Vor-sicht und Verschwiegenheit durch, unter dem Vorwand, dass dieser Kampfein Kampf gegen die fremde Besatzung und ein Krieg gegen die ausländi-schen Mächte sei. Während seiner Antrittsrede zur Nationalversammlungerklärte er, dass alle notwendigen Maßnahmen fur die Aufrechterhaltungdes Kalifats getroffen werden würden.
Da der Kalif in seinen Augen weder ein freier Herrscher war, noch irgend'eine Souveränität genoss, verordnete er, dass die oberste Nationalver'sammlung sich vorläufig um die Angelegenheiten des Landes kümmernsollte: Aufgrund dessen wurde ein geschäftsführendes Komitee aufgestelltund mit den Angelegenheiten des Landes beauftragt. Mustafa Kemal wur-de zu dessen Präsidenten gewählt, nachdem er zuvor zum Sprecher der
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Nationalversammlung ernannt wurde. Die Nationalversammlung traf eine
Reihe wichtiger Entscheidungen, z. B. erklärte sie alle Handelsabkommen
66{ unterschriebenen Verträge zwischen der Regierung in Istanbul undden fremden Ländern ftir null und nichtig. Ein weiterer Beschluss setztefa$, dass alle Staatseinnahmen unter das Verfügungsrecht der Regierungin Ankara gestellt werden sollten.
Selyurde eine Regierung in Ankara ausgerufen, die ein Parlament, staatli-che Abteilungen und eine Armee besaß. Der Kalif stand nun vor der Ent-sdheidung, die neue Regierung entweder abzuschaffen, oder sich ihr zu er-geben. Eine bewaffnete Konfrontation der beiden Lager wurde unvermeid-lich. Der Kalif schickte Truppen in verschiedene Regionen aus, um dieMBnschen fur den Kampf gegen Mustafa Kemal zu gewinnen. Außerdemfoüderte er auch die ganze Umma auf, das Kalifat zu verteidigen. Zu die-sem Zeitpunkt war die Loyalität gegenüber dem Kalifen noch sehr groß, so-dass alle Provinzen ihm den Rücken stärkten. So war die Armee des Kali-fen in der Lage, Mustafa Kemals Streitkräfte überall zu schlagen. MustafaKemal und seine Gefolgsleute gerieten in Ankara in eine Notlage, viele vonihnen dachten darüber nach, sich dem Kalifen zu ergeben und sich ihmanzuschließen. Zu diesem Zeitpunkt hins Mustafa Kemals Leben aneihem seidenen Faden. Genau zu dem fiir ih"ngünstigen Zeitpunkt wurdendie Bedingungen des waffenstillstandsvertrages, der über ein f ahr zuvor inPdris unterschrieben worden war, wie ein Paukenschlag im ganzen Land
$.3nnt gegeben.
'.
ISS". dies der Vertrag von S6vres, den der Kalif akzeptiert und den derPtdlnierminister Damad Ferid Pascha unterschrieben hatte. Die türkischeSÜtölkerung hatte keine Ahnung von den bewusst geheimgehaltenen Be-
$fBungett, die erst in dieser Notlage Mustafa Kemals, nach über einemJ:thr, gezielt ans Licht der öffentlichkeit gebracht wurden.
zwielichtige Umstand war zweifellos von den Briten eingefädelt
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worden, um Mustafa Kemal aus dieser schwierigen Situation zu retten unddem Kalifen einen Schlag zu erteilen, so dass eine zweite Regierung iqLand geschaffen werden konnte. Aufgrund dessen lösten sich die Men.schen vom Kalifen und schlossen sich Mustafa Kemal an.Die Macht des Sultans reduzierte sich auf ein Minimum und die Armeedes Kalifen war besiegt. Die Menschen schworen Rache an Damad FeridPascha, der den Vertrag unterschrieb und damit das Land aufgab. Infolge.dessen gewann Ankara die Kontrolle über die Situation zurück und Mus.tafa Kemal wurde zur Erlöserfigur hochstilisiert, so dass er sich der Unter.stützung des Volkes in der Realisierung seiner Pläne gewiss sein konnte.Der Grund fur diese gewaltige Verbitterung des Volkes bestand darin, dassdie entsetzlichen Klauseln des Vertrages das Ende des osmanischen Rei-ches besiegelten und die Türkei auf Gebiete unter britischen, französischen und italienischen Einfluss reduzierten. Somit gewann Mustafa Ke.mal die zweite Phase, welche die Schaffung einer zweiten Regierung imLand mit Ankara als ihr Zentrum zur Folge hatte. Schließlich gewann erdie Oberhand über das Land und die Armee.
Mustafa Kemal bereitet mit Unterstützungder Briten dieAbschaffung des Kalifats vor
So endete die zweite Phase mit der Gründung einer zweiten Regierung inAnkara, das zum Träger der Macht wurde. Inzwischen war die Regierungin Istanbul machtlos und ohne Autorität. Kaum hatte sich die zweite Regie'rung etabliert und die Kontrolle über das Land gewonnen, rief Großbritan'nien auch schon infolge der Ereignisse zur Konferenz von London a:uf, anwelcher eine Anzahl von Vertretern Griechenlands und der Türkei teilneh'men sollten. Die Absicht für das Abhalten der Konferenz, die als offizielleFriedenskonferenz vorgesehen war, sei die Suche nach einer Lösung fürdie Krise im Osten. Das konnte nur die Prüfung der Friedensbedingungercdes Vertrages von Sövres bedeuten, der erneut zum Gegenstand der Dis'kussion wurde. Dieser hatte nämlich zuvor keine Wirkung, da kein ein'ziger Artikel erftillt werden konnte, was verdeutlicht, dass Großbritannietiihn nur zur Realisierung ihrer eigenen Ziele nutzte. Diese Tatsache zg9große Aufmerksamkeit auf sich, denn das egebnis des Vertrages war z['gunsteq Großbritanniens, das jetzt eine Überprüfung verlangte.
In dieser Zeit gingdie Nationalversammlung in eine dauerhafte Versamfll'lung über. Sie entwarf auch eine Verfassung, die eine große Diskussiotl
.ütrer die Bedeutung des Kalifats auslöste. Mustafa Kemal war gezwungen,
üflter dem Druck der überwältigenden Mehrheit in der Nationalversamm-
lurrg, deutlich in der Verfassung darzulegen, dass das Kalifat aufrechter-
halten bliebe. Jedoch weigerte sich der Sultan, die Nationalversammlung
rgrd die von ihr entworfene Verfassung anzuerkennen, da ihreÄüerkennung die effektive Beseitigung des Kalifats bedeutet hätte, auchs[6nn die Verfassung seinen nominellen Schutz beinhaltete. Zusätzlichsepte die Verfassung fest, dass die Nation der Ursprung der Gesetzgebungsei'und dass die Nationalversammlung das absolute Recht bekomme, dieSouveränität des Volkes zu repräsentieren. Ferner entscheide sie überKrieg und Frieden. Für den Sultan war es folglich unmöglich, diese Verfas-stiYrgzu akzePtieren.
Als Großbritannien zur Konferenz aufrief, sandte es Mustafa Kemal imNbmen der Alliierten eine direkte Einladung nach Ankara. Dieses wurdeals eine deutliche Anerkennung der Ankara-Regierung durch die Alliiertenbetrachtet, so dass schließlich zwei Delegationen an der LondonerKoriferenz teilnahmen, die im Februar rgzr stattfand. Tawfiq Pascha warder Kopf der Delegation des Kalifen, während Bakir Sami ney die Ankara-Delegation anführte. Tawfiq Pascha übertrug Bakir Sami Bey das Recht, fürbeide Delegationen zu sprechen, so dass Istanbul ruhig blieb und nur dieStimme Ankaras erhoben wurde.
Errstellt sich die Frage, welche Position die neue Ankara-Regierung ein-utilam, die noch kein einziger Staat anerkannt hatte. und warum sie zu derir*emationalen Konflereniinseladen wurde. Ist das nicht ein ausreichen-dür Beweis daftir, dass die Grti"ndung dieser Regierung in Ankara von denStlten inszeniert wurde, um sie ,r"rit an den Friedeniverhandlungen teil-mhtmen zu lassen und sie dannzumalleinigen Unterhändler über äie end-Sltigen Friedensbedingungen zu machen? Der Kalif hätte die Teilnahme(&lr Ankara-Regierung neben seiner Regierung ablehnen müssen, dennsonst bedeutete dies ihre offizielle Anerkennrttg. Anß"rdem legte die Prä-senz zweier Regierungen im Land, die dem Feind gegenüberstanden undtlbbr- Friedensb"edittgungen verhandelten, extreme Schwäche offen. Tat-cthlich duldete der"ralif es, was aber nicht das Versagen der Konferenzhrhindern konnte. Diese wurde beendet, ohne irgenäetwas erreicht zulllben, außer dass Frankreich und Italien g"r*rrrrg"nermaßen Gebiete ab-Q€n mussten.llifö,1
Ungeachtet der Präsenz der legitimen Regierung des Kalifen, stellte Mus.tafa Kemal Kontakte mit anderen Staaten her, die wiederum mit ihm ver.handeiten und auch Verträge mit ihm unterschrieben. So stärkten Frank-reich und Italien, die nicht im geringsten mit dem Ausgang der Konferenzzufrieden waren, und Russland, das Kemai fur sich gewinnen konnte, sei-nen Rücken. Infoigedessen blieb nur eine Angeiegenheit offen, nämiichdie Griecheniandkrise, die Kemal durch einen Krieg lösen wollte. Damachte er sich daran, aufzurüsten und sein Heer zu vergrößern. Frank-reich evakuierte Cilicia und zog seine Truppen von dort zurück, wo Kemalsein Heer aufstelite.
Diese Tatsache beunruhigte die Griechen, die bemerkten, dass die europä-ischen Staaten sie im Stich ließen, besonders Großbritannien. Daherfurchteten sie, dass die Türkei gegen sie einen Schlag vorbereiten würde.Aufgrund dessen entschloss sich Griechenland, einen Angriff gegen dieTürkei zu starten, ohne auf die Erlaubnis der Alliierten zu warten, die esgegen sich vermutete. Als die Alliierten dies wahrnahmen, versuchten sie,eine Annäherung zwischen sich und der Türkei herbeizuführen. Jedochschien es für die Griechen nur eine Verzögerungstaktik zu sein, mit demZiel, den Türken die Möglichkeit zu geben, weiter aufzurüsten. Dahergriffen sie die Türkei umgehend an, sodass ein Krieg zwischen ihnenausbrach, der anderthalb Iahre dauerte.
Kaum waren diese Feindseligkeiten ausgebrochen, erklärten die Alliiertenoffiziell ihre Neutralität. Dies schien äußerst merkwürdig, da derOsmanische Staat noch unter britischer Besatzung stand. Daher hätte sichjeder Kampf, der in der Türkei stattfand, zweifellos auf die Position derBesatzer ausgewirkt. Gerade in dieser kritischen Situation einen neutralenStandpunkt einzunehmen, war unverständiich. Zwar bot sich die britischeRegierung an, a1s Vermittler zwischen Griechenland und der Türkei zufungieren, aber Griechenland lehnte es kategorisch ab, da es hinter Kemaldie Briten vermutete. So wurde weitergekämpft.
Der Kampf hatte seine Höhen und Tiefen und ging von einem bloßenGuerillakrieg gegen die Griechen in einen wohlorganisierten Krieg über,V/ährenddessen fanden sinnlose Verhandlungen mit den Griechen statt, indenen ihnen Kemal eine Menge Zugeständnisse machte, die aber a1le ab'gelehnt wurden. Als am 7.g:922 die Nachricht kam, dass die Offensive derGriechen scheiterte und sie sich zurückzog.en, startete die türkische Armt'e
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Die Zerstörung des Kalifats
einen Gegenangriff, worauf schließlich Großbritannien, Frankreich und
Italien Waffenstillstand forderten. Dieser trat am n.9:922 in Kraft, so dass
detKrieg zwischen Griecheniand und der Türkei zu einem Ende kam.
Der Rückzug der Griechen war keine Konsequenz einer entscheidenden
Schlacht zwischen ihnen und Kemai, da sie zu dem Zeitpunkt dieOberhand über die Situation hatten. Auch war die türkische Streitmachtbesiegt, ihre Moral am tiefsten Punkt angelangt, und Verzweiflung begannsich breit zu machen. Es steht außer Frage, dass ein internationaler Druckauf den Griechen lastete, welcher sie zwang, sich zurückzuziehen. DieserDruck wurde unzweifelhaft von den Alliierten ausgelöst, weilGroßbritannien, Frankreich und Italien es waren, die den Waffenstillstandveflangten. So trat der Waffenstillstand ein. Die Briten nutzten dieSchlachten zwischen den Griechen und Türken als ein Mittel für Kemai,das Kalifat abzuschaffen. Besonders Großbritannien machte vielPropaganda fur Kemal innerhaib und außerhalb der Türkei, bis erschließlich ais der Sieger und Eroberer gefeiert wurde, der die Griechenund die Alliierten vertrieb. Das ermöglichte ihm, sich im Land zuetablieren, was sich fatal auf die Muslime und die Herrschaft des Islamauswirken sollte.
Als Frankreich, Italien und Großbritannien arn 15.j.rgzr ihren neutralenStandpunkt erklärt hatten, errichteten sie ein neutrales Gebiet, das sichvom Bosporus bis zu den Dardanellenküsten erstreckte. Beide Streitpar-teien durften dieses Gebiet nicht passieren. Tatsächlich aber versuchten dieGriechen, bevor sie Istanbul besetzen wol l ten, diese Zone zu passieren.General Harrington, Oberkommandant der alliierten Kräfte, hinderte siedaran. Auch KeÄal ignorierte dieses Verbot, so dass er bis in die Nähe derDardanellen vorrückie. Daraufhin bereitete sich General Harrington aufeine endgültige Auseinandersetzung vor. Obwohi er der Türkei eineWarnung sctriltt", die von den Alliierten unterstützt wurde, schenkte ihrnemal keine Beachtung. Großbritannien rüstete auf und verlangte, dassFrankreich und Italien seinem Beispiel folsen. Diese aber lehnten es abW ,og"tt sich aus der neutrale n ZoÄ" zurrilk, so dass Großbritannien aufsrch allein sestellt war.
Die.Angelegenheit war nicht mehr eine Angelegenheit der Türken und der
nrulerten, vielmehr eine Angelegenheit r.i..h"r, den Türken und denohhn allein. Die türkischen Streitmächte trafen auf die britischen. Iedoch
1 T
fanden keine Zusammenstöße zwischen beiden Seiten statt, obwohl Groß-britannien mit seinen Landtruppen in der Lage gewesen wäre, das türki-sche Heer eine vernichtende Niederlage erleiden zu lassen. Es standenKampfflugzeuge und Schiffe in Bereitschaft, womit Kemal nicht dienenkonnte. Die britischen Truppen schienen verwirrt zu sein, da die Befehle,die sie erreichten, zum einen beinhalteten, dass sie die Türken vom Passie-ren der Zone abhalten sollten, und ihnen zum anderen verbaten, Waffeneinzusetzen und Gewalt anzuwenden. Nachdem ein französischer Gesand-ter Kemal zusicherte, dass die Griechen sich zurückziehen würden, befahlKemal seinen Truppen, ihr Vorrücken zu stoppen. Die Alliierten stimmtendem zu und vertrieben die Griechen, so dass die Ankara-Regierung dieZngel der Macht wieder in Händen hielt. So war keine fremde Garnisonmehr in der Türkei vorhanden, außer der britischen Armee. Dies wurdeauch als Sieg Kemals über die Alliierten gefeiert, obwohl ein vernünftigesUrteil bestätigen würde, dass diese theatraiischen Handlungen mit denBriten arrangiert waren, um ihre Verbündeten zu entfernen und schließ-lich allein im Land zu bleiben.
Damit war die Phase der Inlandsaktionen beendet, und Kemal machte sichdaran, seine wahre Absicht zu realisieren, nämlich die Abschaffung desKalifats. Als Poiitiker und Offiziere dies wahrnahmen, bildeten sie gegenihn in der Nationalversammlung eine überwältigende Mehrheit. Dabeimachten sie deutlich, dass sie und auch ein Teil der Armee, der ebensodachte, sich in dieser kritischen Angelegenheit gegen ihn stellen würden.Daraufhin erklärte Kemal, dass die Verfassung nicht endgültig sei und sievielmehr eine Menge allgemeiner Prinzipien zur Führung beinhaltete undeine Richtschnur ftir diejenigen sei, die das Land in einem demokratischenSystem, frei von Chaos, regieren wollen. Er bezeichnete diejenigen, die inWirklichkeit seine wahren Absichten durchschauten, als realitätsfern.Diese Erklärung hatte seine Wirkung, so dass sich der Sturm wieder legte.Kemal wusste nun, dass er, bevor er sein Vorhaben, nämlich die Gründungeiner Republik, in Angriff nehmen konnte, ein großes Heer bräuchte, dasihm blind ergeben war. Nachdem er ein solches Heer vorbereitet hatte unddurch die Propaganda der Briten in der Türkei und in der islamischen Weltunterstützt wurde, kam sein Vorhaben dem Ziel ein Stück näher.
Das Ende des Kalifats
Allein durch die Überprüfung all der in der Türkei stattgefundenen
\ 2
Die Zerstörung des Kalifats-{,,irp., uon dem Mondros-Waffenstillstand bis zur ersten Konferenz von
fa+t^nnr, wird augenscheinlich, dass die Briten mit äußerster Ge-
sclrir*lichkeit eine schmutzige Rolle bei der Zerstörung des Kalifats
spielten. Der britische General Harrington war der Oberbefehlshaber derjuiurt"n Armee, der die totale Kontrolle über Istanbul und die türkischen
Gebiete inne hatte. Dieses bedeutete zugleich, dass die Türkei von der
restlichen islamischen Welt isoliert war. So war die Zeit zum Handeln
e-lrßstig. Die britischen Aktivitäten konzentrierten sich auf die Zerstörung
äCI Kalifats und die Entfernung ihrer Verbündeten aus der Türkei. Groß-
brftannien initiierte seine Manöver mit Böswilligkeit und größter Ge-sddcklichkeit, wobei es nicht einmal vor dem Ausbruch eines Bürger-krigges zurückschreckte. Mustafa Kemal war der Mann, dem in diesemsduecklichen Vorhaben die Schlüsselrolle zukam. Ohne seine Hilfe wärediq,qe Verschwörung zum Scheitern verurteilt gewesen. Den Hauptkontakthatte er mit Harrington, der die Kontrolle über alle Angelegenheiten hatteund als höchste Autorität in der Türkei betrachtet wurde. So wurde dieletzte Phase der Zerstörung des Kalifats eingeleitet und ihm der tödlicheStoß versetzt.
Naeh dem Eintreten des Waffenstillstands im fuli 1922 war das Land freivon.fremden Besatzern - mit Ausnahme der Briten. Demzufolge war Har-rirygton der alleinige Vermittler, durch dessen Einfluss die Popularität undNleght Kemals nun ihren Höhepunkt im ganzen Land erreichte. In derZ'{fuichenzeit war die Regierung in Istanbul nur mehr eine nominelle Re-gienrng, die kein Mitspracherecht mehr in den Staatsangelegenheiten be-sa&"aa die volle Autorität in den Händen der Regierung in Ankaralag.Wfhend der Sultan unbeachtet in seinem Palast blieb, bemitleideten ihndn'Btiten und. gaben ihm von Zeitzu Zeit Geld, um die leere Kasse zu
!th-. Inmitteridieses Status Quo in der Türkei schickten die alliiertenShrten, Großbritannien, Frankreich und Italien, am 17. Oktober rgzzsorbhl der Ankara-Regierung als auch der Regierung des Sultans in Istan-ol*-tine Einladung, an der Konferenz in Lausanne teilzunehmen, um denrtHensvert r ag zu untersch reiben.
& r '\fe Eirrt"aung der beiden Regierungen im Land wurde von der Nationai-v$ltnmlune
ii Ankara, die dieser Situation und somit ihrer ZweitrolleeWnde ,"ti"n wollte, verärgert zur Kenntnis genommen. So hatte der
Versuch begonnen, das Kalifat abzuschaffen. Einige Vertretersogar die Fusion beider Regierungen vor, wobei der Kalif auf eine
) )
konstituelle Funktion mit Kemal als seinen Premierminister beschränft1werden sollte. Dieser Vorschlag wurde dann in der Nationalversammlunpdiskutiert und von den Anhängern Kemals als die einzige Rettung der Tür.kei angepriesen. In dieser heftigen Debatte erklärte Kemal sein Vorhaben,das Sultanat vom Kalifat zu trennen. Überrascht nahmen die Abgeordne.ten diesen Vorschlag, der die Gefahr für das bedrohte Kalifat deutlicloffenlegte, zur Kenntnis. Nach heftigen Debatten wurde die Angelegenheitan das Komitee fur auswärtige Angelegenheiten weitergeleitet, das auseiner Gruppe von Anwälten und Gelehrten bestand. Es verbrachte vieleStunden damit, die Trennung des Sultanats vom Kalifat zu untersuchen.Seine Mitglieder zogen sowohl Texte aus Qur'an und Sunna, als auch Bei.spiele aus der Geschichte der Kalifen heran.
Nach einer eingehenden Untersuchung fanden sie weder in der Offenba.rung, noch in der islamischen Geschichte ein Argument, das eine Tren.nung des Kalifats - als religiöse Autorität - vom Sultanat - als politischeAutorität - befürworten würde. Demzufolge lehnte sie den Vorschlag ein.stimmig ab. Wütend darüber drohte Kemal den Mitgliedern des Komiteesmit dem Tod, worauf hin sie verämgstigt die Angelegenheit an die Natio.nalversammlung weiterleiteten. Aber auch die Mehrheit der Nationalver.sammlung erklärte ihre Ablehnung des Vorschlags und drückte ihrenGroll dagegen und auch gegen Mustafa Kemal aus. Außer sich vor Wutsammelte Kemal seine bewaffneten Anhänger um sich und verlangte, eineweitere, offene Wahl durch Handheben durchzufuhren, was die Abge.ordneten jedoch ablehnten. Daraufhin schrie Mustafa Kemal sie an unddrohte, während seine Anhänger ihre Hände auf ihre Pistolen legten: "lchbin sicher, dass die Versammlung den Vorschlag einstimmig annehmenwird, es reicht für die Abstimmung das bloße Hanheben!" Obwohl nurwenige die Hand hoben, wurde das Ergebnis der Wahl unter lautstarkerlProtesten als eine allgemeine Zustimmung bekannt gegeben.
Fünf Tage, nachdem die Entscheidung gefallen war, inszenierte RifaatPascha vor den Augen Harringtons einen plötzlichen militärischen Putschin Istanbul, durch den er mit Hilfe der Armee die Zügel der Macht in delHauptstadt übernehmen konnte. Somit zerstörte er die Regierung des Sul'tans, der den Vorfall mehrere Tage lang ignorierte. Anschließend bat detSultan Harrington um Hilfe und versicherte ihm, dass er sich in Lebens'gefahr befende. Zwei Tage später, am 17. November r9zz, brachten mallSultan Wahiduddin auf einem britischen Kriegsschiff nach Malta
Die Zerstörung des Kalifats
Nach seiner Abreise wurde sein Cousin Abdelmaiid nach Zustimmung der
Nationalversammlung zum Kalifen ernannt. Daraufhin eilten viele An-
hänger des Kalifats zu thm, um ihm offen ihre Unterstützung zuzusichern
untder ganzen Welt zu demonstrieren, dass sie dem Kalifat gegenüber
loyal sind und der Kalif auch weiterhin präsent ist. Mustafa Kemal gab sich
einstweilen mit der Trennung des Kalifats vom Sultanat zufrieden und
rnachte sich, nachdem er die politische Macht in Händen hielt, daran, die
Friedenskon f et enz vorzubereiten.
Die Engländer machen die Abschaffung des Kalifats und dieSäkularisierung des Staates zur Bedingung für einenFriedensvertrag
Am zo. November tgzz fand die Konferenz von Lausanne statt, die im Auf-trag des Osmanischen Staates abgehalten wurde. Hier erschien aber nureine von Ismet Inönü geführte Delegation der Ankara-Regierung. Curzon,der britische Außenminister und Kopf der britischen Delegation, setztevier Bedingungen fest, um die Unabhängigkeit der Türkei anzuerkennen.Diese Bedingungen waren: Die totale Abschaffirng des Kalifats, die Aus-weis-ung des Kalifen jenseits der landesgrenzen, die Besdrlagnahmungsfünes Vermögens und die ErHärung der Säkularisierung des Staates. DerEqfolg der Konferenz stützte sich auf die Erfüllung dieser Bedingungen.Iqöch ging sie am 4. Febru ar 1923 zu Ende, ohne ein Resultat zu erztelen.Deswegen wurde sie als Misserfolg betrachtet.
Iggret kehrte in die Türkei zurück und erstattete Kemal über die Verhand-lqg"tt Bericht. Die Vertreter der Nationalversammlung samt Regierung,u$er Führung des Ministerpräsidenten Ra'uf starteten einen heftigen An-ffiauf Ismei, indem sie ihn beschuldigten, ungeschickt in den Verhand-lungen mit Curzon eehandelt zu haben. Auch kritisierten sie seine Ent-sendung ohne ihre /ustimmung, sodass sie schließlich seine Entlassungqurch eine Wahl und die Bestimmung eines Nachfoigers, der die Verhand-
l$.n in Lausanne wiederaufnehmen sollte, bewirken wollten. Mustafa
\pal schäumte vor Wut, machte Drohungen und hetzte die Vertreter
Seneinander auf, bis er es schaffte, die Enlscheidung über eine Entlas-
ffig Ism"tt zu vereiteln. Dieser war nämlich sein zuverlässigster und
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treuester Gesandte in seinem Kontakt mit den Briten und der Mann, derihm bedingungslos gehorchte. Einen anderen zu schicken hätte seinePläne gefährden und sein eigenes Ende bedeuten können.
Aus Sorge um das drohende Ende des Kalifats verbündeten sich nun dieVertreter der Nationalversammlung im kemalistischen Ankara mit derOpposition. Viele der treuesten Weggef,ährten Mustafa Kemals, die ihm inden schwierigsten Zeiten zur Seite gestanden sind, formierten sich jetztunter der Führung Ra'ufs gegen ihn. Unter ihnen waren Rihmi, Adnan,Kazim Kara Bekir, Rifaat, Ali Fouad, Nouruddin und viele andere. Kemalreaiisierte, dass seine Niederlage in der Nationalversammlung unter diesenUmständen eine Gewissheit wäre. Dies hätte die Fortsetzung der Friedens-konferenz in Lausanne unmöglich gemacht, da sie an die Erfullung dervier Bedingungen, die Curzon festgesetzt hatte, geknüpft war.
DerTodesstoß
Kemal musste also die Erfullung der Bedingungen ermöglichen und eineEntscheidung von der Nationalversammlung erhalten, die die Ausrufungeiner Republik und die Abschaffung des Kalifats gutheißen sollte. Fernerwollte er zum Präsidenten der Republik gewählt werden. Da es aber ziem-lich unwahrscheinlich war, dass die Nationalversammlung seine Plänedurchfuhren würde, dachte er über die Auflösung der Nationalversamm-lung und über Neuwahlen nach. Dies nahm er auch sofort in Angriff.Jedoch war auch die neue Versammlung gegen ihn, was ihn dazu veran-lasste, gegen sie vorzugehen. So inszenierte er eine politische Ver'schwörung, um eine Krise zu schaffen, die er für seine Zwecke nutzte. Erlud die Minister zu einem Abendessen bei sich ein und besprach mit ihnendie Situation in der Nationalversammlung in allen Aspekten. Zuletztschlug Mustafa Kemal vor, dass die Minister allesamt zurücktreten sollten,um die Versammlung dadurch in die Verlegenheit zu bringen, eine neueRegierung aufstellen zu müssen. Der Vorschlag wurde angenommen undam darauf folgenden Tag erklärte der gesamte Ministerrat vor der National-versammlung seinen Rücktritt.
Nun wurde die Nationalversammlung einberufen, um eine neue Regie'rung aufzustellen. Dazu war sie aber nicht in der Lage. Die Abgeordnetenkonnten sich auf keine Regierung einigen, es kam zu heftigem Wortwech'sel, Streit und sogar Handgemenge. feder von ihnen war auf seinen
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Die Zerstörung des Kalifats. - - - .irsönlichen Vorteil bedacht und versuchte, seinen Standpunkt mit Gewalttd*chzusetzen. Zwei Tage später lud Mustafa Kemal seine engsten Freun-
ä abermals zu einem Abendessen ein. Unter ihnen waren Ismet, Fathi
üd Kem"lrddin. Man sprach von der Zwickmühle in der sich die Natio-
än"rr"*-lung befand und dass sie nicht im Stande war, sich auf eine
n"*i"-trg zu einigen. Zum Schluss ergriff Mustafa Kemal das Wort und
sÄe: "Es ist an der Zeit, diesem Chaos ein Ende zu bereiten. Morgen
*äa." wir die Republik ausrufen, denn sie ist der Ausweg aus all diesen
Schwierigkeiten. Fathi, du musst morgen die Nationalversammlung so gut
es dir möglich ist in Aufruhr versetzen, die Abgeordneten gegen einander
aufwiegeln und fur Chaos sorgen. Sodann schlägst du Kemaluddin vor,
dsss ich herangezogen werde, um die Angeiegenheit in die Hand zu neh-
men und die Nationaiversammlung aus ihrer Zwickmühle zu befreien!"
t \ :
Anr nächsten Tag wurde alles so durchgefuhrt, wie man es vereinbart hatte.
Bie Nationalversammlung hielt ihre Sitzung ab, es kam zu bösen wortge-
{bchten und fast zu Rangeleien unter den Abgeordneten. Am Höhepunkt
dir Auseinandersetzung machte Kemaluddin den Vorschlag, Mustafa Ke-
mal mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Abgeordneten waren
darnit einverstanden, nachdem sie ihren Streit mit ihm offenbar vergessen
bntten. Mustafa Kemal lehnte zuerst aus taktischen Gründen ab. Daraufhincüchteten die Abgeordneten ein schriftliches Gesuch an ihn, indem siecin'gestanden, aus eigener Kraft die Regierungskrise nicht bewältigen zuLbnnen. Mustafa Kemal stellte jedoch die Bedingung, dass dielhtionalversammlung seine Meinung ohne jegliche Einwände akzeptierenüfiiisste, andernfalls sei er zu einer Regierungsbildung nicht bereit. Dielübgeordneten erklärten sich damit einverstanden.fli:,,r
{* ,g. Oktober I9z3 wurde nun die Nationalversammlung zu einerrichtigen Tagung einberufen. Mustafa Kemal hielt eine Rede in der erSne Entscheidung verkündete, eine Republik mit einem gewählten Präsi-&nten ausrurufe,i da der Ursprung där Krise ein fundamentaler Fehlerilh System sei. Um eine handlungsfähige Regierung zu haben, dürfe dieNationalversamlung nicht gleichzeitig legislatives und exekutives Organ8üi[, meinte er. Vielmehr müsse die Türkei eine Republik werden, mit
$m gewählten Präsidenten an ihrer Spitze. Die Abgeordneten warenUutäubt"und sprachlos, als sie diese unerwartete, schreckliche Entschei-
$qg vernahmen. obwohl vierzig Prozent der Abgeordneten an der Ab-pnmung nicht teilnah-"n, *rrrä" der bereits vorgefertigte Beschluss an-
erkannt und Kemal zum ersten Präsidenten der Republik gewähit.
Kemal machte sich nun daran, das Kalifat abzuschaffen und die Säkulari-sierung des Staates durchzusetzen. Die Menschen begannen nun zu spü-ren, was Kemai im Schilde fuhrte. Die öffentliche Meinung begann ihn an.zugreifen. Es wurde überall verbreitet, dass die neuen Regierenden in An-kara Kuffar (Unglaubige) seien. Auf Flugblättern, Karikaturen und vonPredigern wurde er heftig angegriffen. Ferner verließen viele Vertreter undberühmte Personen Ankara, um sich in Istanbul um den Kalifen zuscharen.
In dieser heiklen Situation gaben ihm die Engländer erneut eine Waffe indie Hand, die er gegen die Anhänger des Kalifats einsetzen konnte.Während der stärksten anti-kemalistischen Kampagne nämlich, schicktendie beiden indisch-muslimischen Anfuhrer Agakhan und Amir Ali imNamen der Muslime Indiens einen offiziellen Protestbrief an Mustafa Ke-mal, in dem sie verlangten, die Steilung des osmanischen Kalifen, des Kali-fen aller Muslime zu respektieren. Agakhan war der Anführer der Ismaeli-ten. Bei den Muslimen in der Türkei und anderswo war jedoch bekannt,dass er ein Freund der Engländer und deren Agent war. Das Schreibenwurde in den Istanbuler Zeitungen veröffentlicht, bevor es die Regierungin Ankara erreichte. Mustafa Kemal nutzte nun diese Gelegenheit, um inder ruhmlosen Geschichte Agakhans herum zu wühlen. Er zeigte auf, dasser in England lebte, seine Pferde auf englischen Rennstrecken einsetzte, inden Kreisen der englischen Politiker und Botschafter verkehrte und alsverlässliches ü/erkzeug benützt wurde, um die indischen Muslime gegendie Türkei aufzuwiegeln, wann immer es ihnen recht war. Mustafa Kemalfuhr fort, diesen Trumpf auszuspielen, um die öffentliche Meinung gegenden Kalifen aufzuherzen So erklärte er den Leuten beispielsweise: "Eng-land, dieser hinterlistige Erzfeind, als es nicht im Stande war, die Türkeimit Hilfe der Griechen zu vernichten, versucht es nun auf dem gewohntenWeg der Verschwörungen. Sie benützt ihr Werkzeug Agakhan, um sichmit dem Kalifen zu verbünden und die Türken in zwei Lager zu spalten!"
Nun wandte sich die öffentliche Meinung gegen den Kalifen. Von MustafaKemal aufgestachelt, hetzte jetzt auch die Nationalversammlung gegen dasKalifat, gegen religiöse Würdenträger und gegen die Opposition. Es wurdesogar ein Gesetzesentwurf gutgeheißen, nach dem jede Opposition gegendie Republik und jede Verbundenheit mit dem abgesetzten Sultan ais ein
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Die Zerstörung des Kalifats
Hochverrat betrachtet wurde, auf den die Todesstrafe stand. Als einige Ab-
oeordnete in der Nationalversammlung versuchten, den diplomatischen
frutr"n des Kalifats fur die Türkei aufzuzeigen, wurden sie von den An-
hängern Kemals niedergeschrien. Kemal stieg zum Rednerpult und sagte:qfllar es nicht das Kdifat, der Islam gnd die religiöse Autorität, für das die
tärlosdren Dörfler gekämpft haben und wlihrend fünf fahrhunderten
sestorben sind? Es ist an der Zeit, dass sich die Ti.irkei ihren eigenen
irrt t rt.tt zuwendet, die Inder und Araber ignoriert und sich vor der
Fiihrung der islamisdren Staaten rettet!"
Trotz dieser wilden Angriffe auf das Kalifat, gab es noch viele Persönlich-
keiten, die strikt gegen eine Abschaffung waren. Vor allem in der Armee,
war die Loyalität gegenüber dem Kalifat noch ungebrochen. Eine Tatsache
von der sich Kemal selbst bei einem Besuch der Streitkräfte in der Nähe
von Izmir überzeugen konnte. Deshalb wandte er jetzt Einschüchterung
und Terror als Mittel an, um sein Vorhaben durchzusetzen. Als ein Abge-
ordneter während einer der Sitzungen hartnäckig opponierte, beauftragteKemal jemanden, ihn in der gleichen Nacht noch zu ermorden. Einemanderen Abgeordneten, der in einer Rede den Kalifen unterstütze, drohteel mit dem Galgen, sollte er noch einmal seinen Mund mit ähnlichemöffnen. Er beorderte auch Ra'uf aus Istanbul zu sich und zwang ihn, vordem Hauotkomitee der Volkspartei, ihm und der Republik die Treue zuschworen. Ansonsten drohte ihm Kemal mit dem Rausschmiss aus Parteiund Komitee. Dem Gouverneur von Istanbul schickte er einen strengenBefehl, keine Erscheinungen von Pracht und Größe um den Kalifenwährend der Verrichtung des Gebetes mehr zuzuiassen. Außerdemreduzierte er sein Gehalt auf das Mindeste und warnte seine Anhängerdavor, ihn weiter zu unterstützen.
Ih dieser Atmosphäre des Terrors und der Einschüchterung, der Gerüchteuhd der Negativpropaganda, trat die Nationalversammlung am t. MärzI$e4 zusammen. Die Einführungsrede konzentrierte sich auf die Not-üundigkeit der Zerstörung des Kalifats, was auf heftigen Widerstand stieß.Mustafa Kemal Iegte der Nationalversammlung einen Gesetzesentwurflhr, der die Zerstäng des Kalifats, die Ausweisung des Kalifen und dieSäkularisieruns des Staates vorsah. Er wandte sich an die Abgeordnetenühd sagte: "DiJbedrohte Republik muss um ieden Preis geschützt werdenfrrd auffesten. säkularistischen Fundamenten aufbauen. Der Kdifund die
ffberUteibsel der osmanen müssen gehen. Die alten, religiösen Gerichte
und ihre Geseue müssen durdr moderne Gerichte und Gesetze ersetäwerden und die religiösen Schulen staatlich-laizistisöen Platz machen!"
Zwei Tage dauerten die Sitzungen der Nationalversamlung, unter hitzigenDebatten und heftigem Worfwechsel an, ohne zu einer Einigung zu gelan-gen. Erst am Morgen des 3. März 1924, nach Diskussionen, die die ganzeNacht über andauerten, wurde bekannt gegeben, dass die große National-versammlung der Abschaffung des Kalifats und der Trennung von Reli-gion und Staat zustimmte. In der selben Nacht schickte Kemal einen Be-fehl an den Gouverneur in Istanbul, dass der Kalif Abdulmajid die Türkeivor der Morgendämmerung des nächsten Tages zu verlassen habe. So wur-de der Kalif mitten in der Nacht von einer' Abordnung der Polizei und derArmee in die Schweiz gebracht, ausgestattet mit einem einzigen Kofferund einigen Geldscheinen. Zwei Tage später versammelte Kemal allePrinzen und Prinzessinnen, und verwies sie des Landes. Alle religiösenFunktionen wurden gestrichen, indem z.B. die religiösen Schulen instaatliche umgewandelt und die Awqafstiftungen der Muslime verstaat-licht wurden.
Auf diesem Wege erfüllte Kemal die vier Bedingungen, die der britischeAußenminister Curzon für einen Friedensvertrag festgesetzt hatte. Nungab es kein Hindernis mehr, das der Einberufung und dem Erfolg derFriedenskonferenz im Weg stand. So schickte Ismet Inönü, türkischerAußenminister und Kopf der Delegation, am 8. März r9z4 ein Schreibenan die Konferenz, mit der Bitte, die Verhandlungen wiederaufzunehmen.Die Alliierten stimmten dieser Bitte zu. Am 4. Aprll ry24 trat die Kon-fercnz wieder zusammen, um sich über die Friedensbedingungen zu eini-gen. Der Vertrag von Lausanne wurde am z4.Juli r9z4 unLerzeichnet. DieStaaten erkannten die Unabhängigkeit der Türkei an, sodass sich dieBriten aus Istanbul und den Meerengen zurickzogen und auch GeneralHarrington schließlich die Türkei verließ. Englands AußenministerCurzon erkiärte, nachdem ein Parlamentsabgeordneter gegen die An-erkennung der Unabhängigkeit der Türkei protestierte, folgendes: "Es isteine Tatsache, dass die Ttirkei erledigt ist und sich nie wieder erhebenwird, weil wir ihre spirituelle Kraft, das Kalifat und den Islam, zerstörthaben!"
Auf diese Weise wurde die Zerstörung des Kalifats vollendet. Es wurde voll-kommen abgeschafft, und dadurch verschwand der Islam als staatliche
Die Zerstörung des Kalifats
?off"rrrrng, als Ursprung der Gesetzgebung und Lebensordnung für die
U*a".Verursacher dieser Katastrophe waren die Briten unter tatkräftiger
ünterstützung ihres Agenten und Verräters Mustafa Kemal. Die Behaup-
äe bewusst denkender und aufrichtiger Muslime, dass die Briten der
tCoo?a"r Kufr, des Unglaubens, unter allen Kufr-Staaten sind, kommt also
,i.trt uott ungefähr: Sie verkörpern tatsächlich den Erzfeind des Islam, der
dwch die Zerstörung der islamischen Lebensordnung, soviel unheil über
die Muslime brachte. Die Musiime sollten Ablehnung gegen die Briten
hegen, die es geschafft haben, das Kalifat und den Islam durch Kemal zu
""ätöt"n, den Muslimen auf der ganzen Welt und besonders den Musli-
rnen in der Türkei zumTtorz.
Auf diese Weise verschwand das Gesetz Allahs, das Er offenbarte, aus dem
kben der Menschen. Was blieb und bis heute geblieben ist, sind die von
Menschen gemachten Gesetze und Systeme, die Gesetze des Unglaubens,
öe die Menschen beherrschen und überall auf der Welt angewendet wer-
den. Wie lange noch?
Die Fxistenzlragen und die entscheidende Maßnahme auf Tod oderL0ben
Nun stellt sich fiir uns die Frage: War es den Mächten des Unglaubens
Wirklictr so einfach, das Kalifat zu zerstören, und den Islam aus der politi-slhen Realität zu entfernen, wo die Muslime doch hunderte Millionenwaren und nicht bereit ihren Giauben und ihre politische Existenz zr ver-
!öjdigenl
Die Antwort darauf ist klar: )awohl, mit dieser Leichtigkeit hat es der Un-glauben vermocht, das Kalifat zu zerstören und den Islam aus der politi-
-sEtren Realität zu entfernen. Die Muslime waren nicht bereit, sich diesemV-örhaben wirklich entgegenzustellen oder zumindest zum letzten Schlag
{ö! Besiegten auszuholen. O"r Grund dafur liegt in der Tatsache, dass deri$lamischen Ummah die Existenzfrage, die entscheidende Maßnahmen
lüf Tod oder Leben erfordern, wahreid diesem fatalen Ereignis nicht be-
{"üsst waren. Sie erkannte nicht, dass es sich bei dieser Katastrophe uml r - " e l w d l E I l . J l c c l ^ d
ei.ne Schicksalsangeiegenheit fur sie handelt, die existenzbedrohend ist
$d ihr überleberiode"r Untergang davon abhängt. Deswegen war sie auch
t bereit, entschlossene Maßnahmen zu setzen, die in solchen Situatio-
notwendig sind, nämlich Maßnahmen auf Tod oder Leben' Dadurch
war es dem Unglauben erst möglich, das Kalifat zu zerstören und denIslam als Lebensordnung zu eliminieren.
Schon der Selbsterhaltungsinstinkt im Menschen schreibt jedem Volk aufdieser Erde und jeder Nation vor, Existenzfragen zu besitzen, fur die es all-zeit bereit ist, sein Blut - ohne jegliches Zögern und ohne Diskussion - mitaller Hingabe zu opfern. Diese Angelegenheiten sind stets solche, die mitdem Verlust des Lebens oder dessen Erhaltung oder der Existenz eines Vol-kes oder dessen Zerstörung verbunden sind. Es sind fast die gleichen Ex-istenzfragen bei allen Menschen oder zumindest sehr ähnliche, bei denenes immer um die spürbare Bedrohung der Existenz geht. Die Maßnahmen,die man bei solchen Angelegenheiten setzt, sind auch bei allen Menschenannähernd die gleichen; nämlich der totale Einsatz aufTod oder Leben, umdie Existenz zu erhalten.
Nun sind die Existenzfragen aber nicht nur jene, die mit dem Selbster-haltungsinstinkt verbunden sind. Es gibt auch andere Existenzangelegen-heiten bei den Menschen, die andersartig motiviert sind. Diese hängenfedoch mit der Lebensanschauung eines Menschen zusammen und sinddeswegen bei den Menschen nicht alle gleich. Sie sind f e nach Lebens- bzw.Weltanschauung bei den Völkern unterschiedlich gesetzt und auch diediesbezüglichen Maßnahmen sind je nach Lebensauffassung verschieden.Die Muslime, als eine Ummah, haben zweifelsohne auch ihre Existenzan-gelegenheiten. Und diese Existenzfragen, seien sie durch den Selbsterhal-tungs- Arterhaltungs- oder reiigiösen Instinkt motiviert, werden durch ihreLebensanschauung vorgeschrieben, mit anderen Worten, durch den Islam.Der Islam ist es also, der die Existenzfragen für die Muslime vorschreibtund auch die Maßnahmen, die sie diesbezüglich zu setzen haben.
Der Islam hat den Menschen die Existenzfragen klar definiert und auch dieentscheidenden Maßnahmen auf Tod oder Leben, die diesbeziglich zusetzen sind, verpflichtend vorgeschrieben. Deswegen haben die Muslimeauch keine Wahl bei der Festlegung ihrer Existenzfragen. Denn das, wasder Islam als Existenzfrage betrachtet, muss ftir sie auch eine solche sein.Und die diesbezügliche Maßnahme, nämlich der totale Einsatz auf Tododer Leben, ist für sie ebenfalls zwingend erforderlich. Denn der Islam hatdie Existenzfragen festgelegt, genauso wie er auch die diesbezüglich erfor-derlichen Maßnahmen festgelegt hat.
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des Kalifats
brrr "r in der Geschichte des Islam immer wieder zu Ereignissen kam, die
seine Existenz bedrohten, liegt in der Natur der Sache. )ede Bewegung, vor
allem wenn es sich um eine aufrichtige Verbesserungsbewegung handelt,
hat ihre Gegner und ist Existenzgefahren ausgesetzt. Seit der Frühzeit des
Islam wird die Auseinandersetzung mit dem Kufr, dem Unglauben, bis
aufs Außerste gefuhrt. Diese Auseinandersetzung ist für beide Seiten ein
Existenzkampf, wo es um das Schicksal des Kufr und das Schicksal des
Islam geht. Nach der Gründung des Islamischen Staates in Medina, kam
zur intellektuell-ideologischen Auseinandersetzung, die blutige noch dazu.
Auch dies war ein Existenzkampf, wo es um das Schicksal des Islam als
Lebensordnung ging. Deswegen sind Existenzfragen für Muslime eine un-
abdingbare und selbswerständliche Sache. Und die Maßnahmen, die von
ihnen diesbezüglich gesetzt werden müssen, nämlich Kampf auf Tod oder
Leben, sind genauso unabdingbar und selbstverständlich.
Nun stellt der lihad eine der größten Pflichten dar, so hat der Gesandte +gesagt: "Das Haupt ist der Islam, die Sätrle ist das Gebet und die Speer-
rpitze ist der lihad" Der lihad wird auch fortgesetzt bis zum |üngsten Ge-richt, wie es der Gesandte i.= ebenfalls festlegte: "Der lihadwirdfortgesetzt,ron dem Zeitpunkt an, als midr Allah d# mit der Botschaft entsandte, bisdie leEten meiner Umma den betrügerischen Christus (N-Masih N'Dajjal) bekämpfen werden, ohne dass er durdr die Ungerechtigkeit einesUngeredrten oder die Geredrtigkeit eines Geredrten ausgeseEtwirl" Er +sagte auch: "Der lihadwird fortgesetzt, mit dem Gerechten und Ungerech-ten (Herrscher)!" Deswegen haben die Muslime keinen Moment innegehalten, wenn es um die Verteidigung der Existenzangelegenheiten ge-gengen ist und kein Bisschen gezögert, die erforderlichen Maßnahmen aufTod oder Leben zu serzen.
Als ihre Existenz a\s IJmmaund Gesellschaftsordnung während der Kreuz-Büge bedroht war, haben sie entschlossene Maßnahmen auf Tod oderIeben gesetzt und gegen die Kreuzritter über ein Iahrhundert lang einenblutigei Krieg gefuLri i.r d"r.t es ihr gelungen ist den Todesstoß von sich4bzuwenden. Ahnliches haben sie auch während der Mongolenkriegegetan. Die Einfalle der Mongolen, die weite Teile der islamischen weltinklusive Baedad' der Hauptstadt des Kalifats, überrannt und ein Meer deril,€rwüstung"zurückgelassen haben, wurde von der LJmma als existenzbe-&ohend be"trachtet,-deshalb war sie entschlossen, Maßnahmen auf Tod
l}$.r Leben zu setzen. Die Muslime fuhrten gegen die Mongolen einen
rchl -r, 434,,,,-i-i-#
ihrer blutigsten Kriege, und opferten daftir bereitwillig ihr Leben, bis ihnender klare Siee bescherr war.
Den Muslimen waren also ihre Existenzfragen bewusst und sie setzten da-fur jene Maßnahmen, die notwendig sind, nämlich Maßnahmen auf Tododer Leben. Denn das, was der Islam als Existenzfrage definiert hat, war fursie eine unumstößliche wahrheit, die sie fest umklammerten. Sie erkann-ten sofort die Gefahr, die davon ausging. Deshalb war es gar nicht denkbar,dass etwas vorfällt, was ihre Existenz bedroht und sie dagegen nicht die er-forderlichen Maßnahmen auf Tod oder Leben setzten. Als jedoch dasIslamverständnis bei den Muslimen fast bis zur Irreleitung nachließ unddie Gottesfurcht in ihren Herzen so schwach wurde, dass sie das Auf-kommen des offenen Kufr duideten, verloren fur sie diese Dinge denstellenwert, Existenzfragen zu sein. Deswegen wurden dafur nicht die er-forderlichen Maßnahmen auf Tod oder Leben gesetzt und es kam in Folgezu gravierenden Ereignissen, die wirklich existenzbedrohend waren. DieMuslime waren nicht mehr bereit, ihr Blut und Leben zu opfern, um dieseGefahren abzuwenden, und so kam es zur zersrörung des Kalifats, zur Ab-schaffung der Islamischen Lebensordnung und zur Bedrohung, dass dieIslamische umma als einzigartige Gemeinschaft aufhört zu existieren.
Für die Muslime ist es deshalb notwendig, die Existenzfragen vom isla-mischen Standpunkt her zu begreifen, so, wie sie in eur,an und Sunnafestgelegt sind. Ferner ist es für sie notwendig, die diesbezüglich verpflich-tenden Maßnahmen zu verstehen, wie sie im eur'an und in den Hadithendes Propheten 5 dargelegt wurden. Dadurch wird das richtige Bewusstseinflir die Existenzfragen und fur die dazu verpflichtenden Maßnahmenerzeugt, was ein weiteres Ausschweigen über die Hegemonie des Ku&unmöglich macht.
Die Existenztragen aus der Sicht des lslam
wer den Qur'an und die sunna untersucht wird feststellen, dass der Islamdie Existenzfragen ftir die Muslime und die diesbezüglich notwendigenMaßnahmen klar definiert hat. und zwar in einer weise, die keinen Zwei-fel mehr zurück lässt. So hat er beispielsweise die Apostasie, d. h. die Ab-trünnigkeit vom Islam, sei es von einer Einzelperson oder von einerGruppe begangen, zu einer Existenzfrage erklärt und die dazu notwendigeMaßnahme, nämlich Rückkehr
firtgelegt. Eine Maßnahme eben auf Tod oder Leben. Der Prophet # hat
desagt: "Wer seinen Glauben (den Islam) wechselt, so tötet ihn!" Ferner
äagte er: "Das (Vergießen) des Blutes eines Muslim, der bezeugt, dass es
kJn"tt Gott gibt außer Allah und dass ic.h sein Gesandter bin, ist außer in
folgenden drei Fällen nicht erlaubt Verheiratete, die Unzudrt begehen, ein
Leben für ein anderes Leben (bei Mord) und derjenige, der von seinem
Glauben ablässt und sich (somit) von der Gemeinsdraft abkehrt!"
Diese Angelegenheit war für die Muslime eine klare Sache, die sie mit allerEntschiedenheit durchführten. Die Gef;ihrten des Propheten vollzogen eszu seinen Lebzeiten und nach seinem Tode. So taten es auch die Muslimenach ihnen. Yon Abu Musa wird berichtet: "...dass der Prophet 6 ihn (alsWeh) in den femen entsandte. Bald darauf schidcte er Muath Ibn labalnach. Manbradrte einen Mann nt AbuMusa, dervom Islam abtri.innig ge-worden war. Er lud ihn fast zvranzig Näctrte Lang dant ein, zum Islamalräd<zukehren. Als Muth ankam, lud auch er ihn dazu ein. Nachdemder Mann auf seine Apostasie bestand,ließ er ihm den Kopf abschlagen!"(Abu Dawud)Audr der Kaßf Abu Balrließ eine Frau hinrichten, die, trotzBekelrnrrrgsversuche, auf die Apostasie bestand, wie es von Al-Baihaqi undAl-D araqut ni überliefert wird.
So sehen wir, dass die Muslime, beginnend mit dem Propheten ---, seinenGefährten, den Tabi'un und den nachfolgenden Generationen von Kalifen,dieses Gebot vollzogen haben. Sie gingen mit voller Entschlossenheitheran, weil ihnen bewusst war, dass es sich hierbei um eine Existenzfrageffir die Muslime handelt, die keinesfalls vernachlässigt werden darf. Als dieKalifen aber schwach wurden und das allgemeine Islamverständnis immerrttiter zurückging, wurde man beim Vollzug der Todesstrafe für Apostasietnrmer nachlässiger. Dadurch wurden die Fälle von Apostasie und Ketzereiiktmer zahlreichär. Es ging sogar soweit, dass einige Apostaten neue Ge-üeinschaften gründeten, mit einem anderen Glauben als den Isiam. Dasfuhrte dazu, diss die Muslime Schwäche befiel, obwohl es sich hierbei umeine Existenzfrage fi.11r sie handelt, wo jede Nachsicht und jedes Mitgefühlfthl am platz istlJri
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spielsweise die Apostasie, d. h. die Ab- Ebswegen darf es auch niemanden wundern, wenn jemand wie Mustafarr einer Einzelpeison oder von einer &rn"l de- Islam den Krieg erklärt, Apostasie begeht und sich niemandzfrage erklart und die dazu notwendige uädet, der das Islamische Gesetz an ihm vollzieht. Denn die Frage derrr- Ir1"- (Tauba) oder den Toä, ,
lbostasie hatte für die Muslime den Stellenwert einer Existenzfrage ver-
l&tII^I
loren, und so kam es zur Katastrophe. Deswegen muss diese Frage denStellenwert zurückerlangen, der ihr tatsächlich gebtihrt, nämlich den, eineExistenzfrage zu sein, auch wenn es zahlreiche Menschenleben fordert.
Dies bedeutet aber nicht, dass man übereilt jemanden der Apostasiebezichtigt und die strafe vollzieht. Vielmehr muss unzweifelhaft erwiesensein, dass ein Muslim Kufr begangen hat. Sobald noch die Möglichkeit be-steht, nur für einen Prozent, die Aussage einer Person als islamisch akzept-abel auszulegen, auch wenn neunundneunzig Prozent dagegen sprechen,gilt die Person als Muslim, nicht als Apostat, und das Gesetz darf nichtvollzogen werden. Die Apostasie muss aiso für den vollzug des Gesetzeseindeutig erwiesen sein. Andererseits darf aber nicht tückenhaft nacheinem vorwand gesucht werden, nur um die Strafe auszusetzen. Denndies würde ihre Eigenschaft als Existenzfrage untergraben.
Wenn der Musiim also etwas tut, was ihn unzweifelhaft zu einemApostaten macht, wie beispielsweise in einer Kirche mit den christen ge-meinsam ihre Gebete zu beten oder etwas sagt, was ihn zum Apostatenmacht, dass z.B. die Geschichte von lbrahim*,,]r im eur'anerlogen ist, weiles daftir keinen historischen Beleg gibt oder etwas glaubt, was ihn zumApostaten macht, dass beispielsweise der Islam fur die moderne Zeit nichtmehr brauchbar ist oder etwas eindeutiges anzweifelt, wie der Zweifel, dassder Qur'an Gottes wort ist, in solchen Fällen ist er ohne jeden Zweifel einApostat, und die Angelegenheit muss als Existenzfrage angesehen werden.Hierfür ist allein die Maßnahme auf Tod oder Leben zu setzen. also ent-weder Besinnung und Rückkehr zum Islam oder den Tod.
In gleicher weise hat der Islam die Einheit der ummaund die des Staateszu einer Existenzfrage erklärt und die dazu erforderliche Maßnahmeebenso als Maßnahme auf Tod oder Leben festgeiegt. Diese Tatsache zeigtsich in zwei Angelegenheiten: Erstens, wenn mehrere Kalifen gleichzeitigexistieren und zweitens, wenn sich eine personengruppe mit waffenge-walt gegen den Kalifen wendet. Yon Abdullah lbn Amr lbn Al-As wird be-richtet, dass der Prophet # sagte: "Wer einem Imam (I(alifen) die Bai,a(Treueeid) leistet, ihm seinen Handschlag (darauO gibt und die "Fruchtseines Herzens" (seine Zuneigung), so soll er ihm gehorchen, wo er nurkann. wenn nun ein anderer kommt und ihm (dem Kalifen) die Regent-sclraft streitig macht, so schlägt dem anderen den Kopf abl" Abu saa el-Khudari berichtet, dass der Prophet + sagte: "wenn zwei Kalifen dte Bai'a
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Die Zerstörung des Kalifats
Eäeben wird, so tötet den letzteren von beiden!" Damit hat der Islam die
[intt"l, des,staates zur Existenzfrage,erklärt, als er das Vorhandensein von
äehr"ten Kalifen verbat und befahl, denienigen zu töten, der nach der
ipaltu.tg des Kalifats trachtet, soilte er davon nicht Abstand nehmen. Von
Arftg" wird berichtet, dass er den Gesandten Allahs '+ sagen hörte: "Wer
nr euch kommt, wenn ihr unter der Führung eines Mannes vereint seid
undversucht, eure Einheit zu spalten oder eure Gemeinschaft aufzuteilen,go tötet ihn!" Die Einheit der Umma und des Staates ist somit zu einer
Existenzfrage erhoben worden, als der Prophet * die Spaltung der Ge-
r.neinschaft verbat und befahl, denjenigen, der danach trachtet, zu töten,
wenn er davon nicht Abstand nimmt.
Was diefenigen anbelangt, die sich gegen den Kalifen auflehnen /A/-Bughah), so hat Allah:€ folgendes entschieden:
I a>!-t , tJ
"lJnd wenn zwei Gruppen von Gläubigen miteinandet kämpfen, so stiftetFriden zwischen ihnen. Wenn eine die andere emeut angreift, so
hkämpfr die angreifende, bis sie sich Nlahs Gebot ftgt!" (Sura aL'Huiurat
49, aya 9i Wenn also jemand als Kalif der Muslime feststeht, ist es nichterlaubt, die Waffe gegen ihn zu erheben. Dies würde nämlich zur Teilung
der Muslime, zu Blutvergießen und dem Verlust ihrer Güter führen. DerGesandte Allahs * hat gesagt: "Wer gegen meine Ummavorgeht, wenn sievereint ist, so sdrlägt ihm mit dem Sdrwerte den Kopf ab, egal wer er ist!"Diejenigen also, die sich gegen den Kalifen erheben, sind Bughah, died.urch Dialog zur Vernunft gebracht werden müssen, um eventuell vorhan-dene Missve"rständnisse auizuheben. Wenn sie auf ihr Vorhaben trotzdembestehen, müssen sie bekämpft werden.
Durch diese strengen Verbote hat Allah:5 die Einheit des Staates und dieEinheit der Ummäzur Existenzfrage erhoben, indem er die diesbezüglichäu setzende Maßnahme als Maßnahme auf Tod oder Leben festgelegt hat.fy'er so eine Übertretung begeht, muss sich entweder zur Vernunft bringenihssen und davon Abstand ,r"h-"n oder getötet werden. Die Muslime führ-
dies auch durch und betrachteten es als eine der gefährlichsten Ange-
+/
legenheiten überhaupt, bei der man keinesfalls Nachsicht üben darf. Soübte Afi (;,.) als Kalif keine Nachsicht mit Mu'awia, als dieser sich gegenihn stellte, noch übten er, die Omalyaden oder die Abbasiden Nachsichtmit den Khawarij, als diese sich gegen das Kalifat erhoben. Es war ihnenbewusst, dass es sich hierbei um eine Existenzfrage handelt, bei der jedeNachsicht fehl am Platz ist. Die diesbezüglichen Berichte sind so zahlreich,dass man sie gar nicht erfassen kann. Als die Kalifen jedoch Schwächebefrehi und das Islamverständnis schlecht wurde, nahm man es hin, dasssich einige islamische Gebiete von der staatlichen Einheit des Kalifats ab-spalteten und die Muslime dadurch geteilt wurden. So entstanden mehrereStaaten in der islamischen Welt, obwohl die Abspaltung vom Kalifat eineExistenzfrage ist, die uns vor die alleinige Wahl stellt: Entweder Rückkehrin die staatliche Einheit oder Krieg, egal, wie viel Geld und Menschenlebendas kostet.
Dieser Zustand verschlimmerte sich weiter, sodass die Muslime in zahl-reiche unabhängige Staaten aufgeteilt wurden. Manche von ihnen riefensogar zu einer islamischen Liga auf, in welche der Staat des Kalifats undalle anderen Staaten, die sich von ihm abgespaltet haben, eintreten sollenund das Kalifat somit ganz offiziell die Unabhängigkeit dieser Staaten an-erkennt. Man verlangte also, die Spaltung der islamischen Einheit und dieZerspiitterung der Muslime in verschiedene Völker und Nationen zuunterstützen, ja sogar zu legalisieren. Dies, obwohi es sich dabei um eineExistenzfrage handelt, und die Hadithe in diesem Fall deutliche Wortesprechen, nämlich entweder Besinnung und Rückkehr zur Einheit, oderden Tod. Deswegen darf es nicht verwundern, wenn jemand wie MustafaKemal die Türkei von der restlichen islamischen Welt abtrennt und sogaroffen verkündet, die anderen islamischen Länder den ungläubigen Staatenzu überlassen, damit sie ihr Schicksal bestimmen. Denn diese Angelegen-heit hatte nicht mehr den Stellenwert, eine Existenzfrage zu sein.
Somit war es den Muslimen ein Leichtes, ihre Aufteilung in mehrereStaaten und ihre Spaltung in verschiedene Völker und Nationen hinzuneh-men. A1les nur, weil die Einheit des Staates und die Einheit der Ummanicht mehr als Existenzfrage angesehen wurde, für die es nur eine einzigeMaßnahme gibt, namlich Einsatz auf Tod oder Leben. Deswegen mussauch diese Frage den Stellenwert zurückerlangen, der ihr gebührt, nämlichden, eine Existenzfrage zu sein. Die Abspaltung irgendeines Landes vonder staatlichen Einheit des Kalifats muss unter allen Umständen ver-
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Die Zerstörung des Kalifatse7
lind.tt werden und wenn es zu jahrelangen Kriegen fuhrt und Millionen
pduslimen das Leben kostet'
t l
ßbenso hat der Islam das Aufkommen des offenen Kufr (Unglauben) im
lslamischen Staat zu einer Existenzfrage erklärt, die unter keinen Um-
ständen hingenommen werden darf. Auch hier ist die zu ergreifende,
kompromisslose Maßnahme auf Tod oder Leben durch den Islam
festgelegt worden. Die Angelegenheit selbst und die dazugehörige Maß-
nahäe sind also in gleicher Weise bestimmt. Muslim berichtet von Auf
Ibn Malik, dass der Prophet * sagte: "Es werden Herrscher folgen, einige
ihler Taten werdet ihr gutheißen, andere werdet für anprangern. Wer (ihre
rechten Taten) gutheißt, ist frei von Schuld und wer (ihre unrechten Taten)
mprangert, bleibt unversehrt. Wehe demienigen aber, der sich zufrieden
gibt unä (ihnen im Unredrten) folgt...'l Man fragte: "O Gesandter Allahs,
sollen wir sie nicht mit dem Schwerte bekämpfen?" Er antwortete: "Nein,
eolange sie unter euch das Gebet aufrecht haltenl" Al-Buchari berichtet von
Ubaia Ibn Al-Samif "Der prophet 6 rief uns auf, und wir gaben ihm die
$ai,a fireueeid). unter dem, was er uns an versprechen abnahm war: Dass
wä hören und gehorchen, in dem was uns lieb und unlieb ist, in schwieri-
gen und in leichten Zeiten, dass wir (die Herrscher) uns selbst vorziehen
und den Befehlshabern ihre Befehlsgewalt nicht streitig machen, es sei
d€nn, ihr seht einen offen aulkommenden Kuft, ibet den ihr von Allah
Cinen eindeutigen Beweis habt!" Die Worte "...solange sie unter euch das
6ebet aufrecht halten!" im ersten Hadith sind ein Synonym fur die Auf-
rechterhaltung der islamischen Herrschaftsordnung. Der "offen auf-hsmmende Kufr" im zweiten Hadith ist jener lfufr (unglaube), der in denFtandlungen des Herrschers offen zutage tritt. Wenn er aiso mit dem Kufrregiert.
&ie implizite Bedeutung (Mafhum)dieser Hadithe ist offenkundig: Wennüte Resenten die Herrschaftsordnung des Islam und seine gottesdienli-chen Eischeinunssformen nicht mehi aufrecht halten, haben wir sie mitdem Schwerte zu bekampfen. Und wenn wir den Kufr in ihren Handlun-
$en offen aufkommen ,"i"n, so haben wir ihnen diese Herrschaft strittigxfl;hachen, sie also dafir zu bekämpfen. Im Rechtsbuch "Al-Fath" steht:hie celehrten sind sich einig, dass man dem Herrscher, der die Macht anSü gerissen hat, gehorctren muss und mit ihm den fihad vollziehen muss'
LDi. eirzige Au-snahme die sie festlegten ist die, wenn vom Herrscher
Kutr:ausgeht. In diesem Fall muss er von jedern bekimpft werden,
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der dazu im Stande ist, wie esim Haditherwähnt wird.,'
Die Zerslörung des Kalifats
rforderliche Maßnahme auf Tod oder Leben nicht gesetzt wurde. Deswe-
g.n -usr auch diese Frage dorthr-n zlfi$eefuhrt werden, wo sie hinge-
f,Ott, tra-li.h eine Existenzfrage für die Muslime zu sein. Das Regieren
pit dem System des Ku.fr muss unter allen Umständen verboten werden
trnd wenn es einen jahrelangen Kampf, Millionen von muslimischen
Opfern und Millionen von Märtyrern erfordern würde'
So verhielt es sich mit allen Existenzfragen, die der Gesetzgeber (Allah:tr)
erklärt und determiniert und auch die diesbezüglich erforderliche Maß-
nahme auf Tod oder Leben festgelegt hat. Sie wurden nicht mehr richtig
begriffen, ihre verbin dung zur islamischen Aqida (Überzeugungsfunda-
mänt1 löste sich auf, sie verloren ihren Stellenwert, bis sie letztendlich
nicht mehr als islamische Gesetze von foigenschwerer Wichtigkeit an-
gesehen wurden, ftir die man ohne zuZögern die Waffe erheben muss.
So verloren diese Fragen jenen Stellenwert, den die Rechtslehre ihnen gab,
nämlich den, eine Existenzfrage zu sein. Man erkannte nicht mehr, dass
die Maßnahme, die der Gesetzgeber dafür unabdingbar gemacht hat, die
bewaffnete Auseinandersetzung ist, um das Kufr-system wiedet abzu-
schaffen und das islamische System wieder einzuführen. Deswegen wurde
die Frage der Zerstörung des Kalifats und die Abschaffung der islamischen
Lebensärdnung nicht als Existenzfrage erkannt. Weder im Herzen, noch in
der öffentlichen Atmosphäre dominierte sie ais Schicksalsfrage. Und so
beging Mustafa Kemal seine Untat, zerstörte das Kalifat und eliminierte
den tslam aus der poiitischen Realität, ohne dass iemand die Waffe gegen
ihn erhob oder ihn dafür bekämpfte.
So einfach beseitigten die Ungläubigen das Kalifat, radierten die islami-
sche Lebensordnung aus, unter den Augen hunderter Miilionen Musiime.
wenn den Muslimen zu dieser Zeit bewusst gewesen wäre, dass es sich
hierbei um eine Existenzfrage handelt, von der ihr Schicksal und das
schicksal des Islam abhängt, was die unbedingte Maßnahme des bewaff-
neten Kampfes gegen Muslafa Kemal erfordert, wäre es zu diesem tödli-
chen Schlag, rn äi"i"t schlimmen Katastrophe und folgenschwerem Ereig-
nis nicht gäko--"n. Die Tatsache a1so, dass die Muslime diese Angele-
genheit ,ri.ht ,i, Existenzfrage angesehen haben, die von ihnen die unbe-
dingte, entschiossene Maßnihme iuf Tod oder Leben erfordert, ist der ei-
genili.h" Grund, warum sie von solch einer Katastrophe heimgesucht wer-
r den konnten.
Die Verpflichtung nach dem Islam zu regieren und das verbot nach demKufr zu regieren ist demnach eine Existenzfrage, denn der Gesetzgeber(Allah d;) hat diesbezüglich die kompromisslose Maßnahme auf TododerLeben festgelegt. wer nicht nach dem Islam, sondern nach dem Kufr re-giert, muss entweder zur Regentschaft des Islam zurückkehren oder ge-tötet werden.
Die Muslime dürfen es niemals hinnehmen, wenn nicht nach dem regiertwird, was Allah herabgesandt hat, denn dies ist fur sie eine Existen rfäg.Als die Gottesfurcht in ihren Herzen jedoch nachließ und ihr Islamver_ständnis stark zurückging, war es ftir sie nicht weiter schlimm zu akzeptie_ren, dass die Kalifen und Regenten in einer Angelegenheit nach dem kufrregieren. Als die Schwäche sie noch stärker befiehl, akzeptierten sie sogar,dass die Regenten in einer Reihe von Angelegenheiten nach dem Ku6 re-gierten. pie Folge war, dass die Regenten sich schließlich anmaßten, ganzoffenkuridig den Kuf als Gesetzgebung zu implementieren. So schwiägensich die Muslime in Agypten aus, als der Regent rgg3 das französischeZivilrecht einluhrte und damit die islamischen Gesetze abschaffte. DieMuslime im Islamischen Staat schwiegen sich aus, als dieser r9o9 dieKufr-Gesetze als verfassung festlegte. otwohl es anfänglich einige piotes-te gab, wurde es letztendlich doch hingenommen. Deswegen darf es nichtverwrrndern, wenn jemand wie Mustafa Kemal das Kalifatlerstört und alleislamischen Gesetze mit ihm und ganz offen den Kufr zur einziggültigenRechtsquelle erklärt. Denn diese Angelegenheit hatte bei den Muslimenden Stellenwert einer Existenzfrage verloren und so kam, was kommenmusste.
Für die Muslime war es nicht weiter schlimm, dass der Kufrunter ihnenganz offen aufkommt und sie das Schwert gegen ihn nicht erheben. Es istfur sie ein Leichtes geworden, mit dem xifrlegiert zu werden, ohne ihnwenigstens anzuprangern. Mehr noch, ihre Mehrheit hat sogar Gefallen an{9n
ru-cgsetzen gefunden, sich daran gewöhnt und gaä freiwillig aufdie islamischen Gesetze verzichtet. Man lst bereits soieit, sich mit denKufr-Gesetzen zufrieden zu geben, sie sogar anzustreben, geschweigedenn sie nur zu erdulden oder die waffe gegen sie zu erheben. Äll di". ,r*aus dem einen Grund, weil die Frage des Regierens mit dem system desKuf nicht mehr als Existenzfrage angesehen wurde und die diesbezüelich
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DIE ERRICHTUNG DES KALIFATS UND DASREGIEREN NACH DEM, WAS ALLAH OFFENBART HAT,
IST DIE EXISTENZFRAGE DER MUSLIME
Die Muslime befinden sich heute in einer Lage, die schlimmer nicht seinkann. Der Ausweg aus dieser prekären Situation liegt zuallererst im richti-gen Erkennen ihrer gegenwärtigen Probleme, ob es sich dabei um Ex-istenzfragen handelt oder nicht. Bei jeder Existenzfrage haben sie dannauch die unabdingbare Maßnahme auf Tod oder Leben zu setzen, wie esihnen der Islam vorgeschrieben hat. Vor aliem dann, wenn es sichschlechthin um die alles umfassende Existenzfrage handelt. Solange dieseErkenntnis nicht klar und deutlich die Herzen erfüllt und die öffentlicheAtmosphäre dominiert, werden die Muslime in einer permanenten Deka-denz und Niedergeschlagenheit verweilen, ohne die ihnen gebührendeBedeutung unter den Völkern zu bekommen.
Deswegen ist es zwingend notwendig für die Muslime, ihre Existenzfragenklar zu erkennen. Diese Erkenntnis muss ihren Weg in ihre Herzen, ihreSeelen und in die öffentliche Atmosphäre finden. Nur dann kann sie dieMuslime dazu bewegen, mit unerschütterlicher Entschlossenheit und nieversiegendem Eifer jene Maßnahmen zu setzen, die Existenzfragen ebenerfordern, nämlich Maßnahmen auf Tod oder Leben. Das ist die eigent-liche Frage und das ist auch die Grundlage, auf der die Muslime all ihreTätigkeiten zur Veränderung ihrer gegenwärtigen Situation aufuauenmüssen.
Die heutige Realität der Muslime ist für jeden Muslim erkennbar, ohnedass es weiterer Erklärungen oder Ausführungen bedarf. Ihre Ländernwerden mit den Systemen des Kufr regiert, somit sind sie ohne f eglichenZweifel allesamt Stätte des ltufr (Dar Al-Kufr). Darüber hinaus sind sie inmehr als vierzig Staaten aufgeteilt, in RepLrbliken, Sultanate, Emirate undScheichtümer. So sind sie zu schwach. als dass sie sich gegen die Un-glaubigen stellen könnten. Deswegen muss das Ziel jedes Landes in derislamischen Welt sein, in eine Stätte des Islam (Dar al-lslam)umgewandeltund mit anderen islamischen Ländern vereint zu werden Diese Frage rsteine Existenzfrage ftir die Muslime, es ist für sie vielmehr die alles um-
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Die Zerstörung des Kalifats
fassende Existenzfrage, fur die man die einzig zuiässige Maßnahme, näm'
iich die Maßnahme auf Tod oder Leben setzen muss.
Allerdings ist diese Existenzfrage, die Umwandlung der Länder in der isla-
mischen Welt in eine Stätte des Islam und ihre Vereinigung miteinander,
ein Ziel, das man zu erreichen anstrebt. Der Weg aber um dieses ZieI zu
erreichen, führt unwergerlich über die Gründung des Kalifats als Regie-
rungssystem. Auf diese Weise werden die islamischen Länder in eine
Stätte des Islam umgewandelt und können anschließend miteinander ver-
schmolzen werden. Das ist die Kernfraee, die uns heute als Muslime be-
schäftigen muss.
Es muss uns aber kiar sein, dass es dabei nicht bloß um die Aufstellung
eines Kalifen geht, wo gesagt werden kann, dass es sich um eine Pflicht
handelt, die lediglich zur Genüge von den Muslimen erfüllt werden muss,
gemäß dem Hadith, den lbn Omar vom Propheten = berichtet: "'Wer
stirbt, ohne dass der Imam einer Gemeinschaft vorhanden wäre, stirbt
einen Tod der lahiliyya!" Dies wäre an sich keine Existenzfrage. Was die
Muslime heute jedoch betrifft, ist die grundsätzliche Errichtung des Kali-
fats als Staats- und Regierungssystem, als Substitut für die heutigen Sys-
teme und nicht bloß die Aufsteliung eines Kalifen. Es ist also eine andere
Realität mit der wir umzugehen haben. SelbsWerständlich wird dre Errich-
tung des Kalifats zr-rr Aufstellung eines Kaiifen führen.
Die Errichtung des Kalifats ist, wie erwähnt, zweifelsohne eine Existenz-frage. Denn sie führt nicht bloß dazu, unsere Länder in eine Stätte des
lslarn (Dar al-lslam)zu verwandeln, vielmehr wird sie auch die Zerstörungder Systeme des Kufr, des "offen aufkommenden Umglaubens" also, zur
Folge haben, was gemäß den Hadithen des Propheten .'a eine klare
Existenzfrage ist. So hat der Gesandte + gesagt: "... und das ihr den Macht-
habern füre Macht nicht strittig macht, es sei denn, ihr seht einen offen
aufkommenden Kufr.-," In einem anderen Hadith heißt es: "Man fragte: ,OGesandter Allahs, sollen wir sie nicht mit dem Schwerte bekämpfenl' Er
antwortete: ,Nein, solange sie das Gebet unter euch aufrecht halten!"' Da-
raus erg ib t s ich , dass d ie Methode, um e ine Ex is tenz f rage zu rea l i s ie ren ,
selbst auch eine Existenzfrage darstellt. Denn sie ist ja der unabdingbare
Weg, um diese Existenzfrage realisieren zu können. Außerdem zeigt der
Rechtsbe*eis aus der Sunna dies auf. Deswegen muss die einzig zulässige
Maßnahme, nämlich die auf Tod oder Leben, auch hierfi-ir gesetzt werden.
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Nachdem sich nun die Regentschaft des Kufr in ihrer vollen Größe überdie Muslime ausgebreitet hat, und ihre Geschicke nunmehr von Un-gläubigen, Heuchlern und Apostaten gelenkt werden, versuchen sie unent-wegt, sich von der Hegemonie des Unglaubens, seiner Paten und Verbün-deten zu befreien. Allerdings ist ihnen nicht bewusst, dass es sich bei die-ser Angelegenheit für die sie kämpfen um eine Existenzfrage handelt, dieeinzig und allein die entschiossene Maßnahme auf Tod oder Lebenerfordert. Der Verlust genau dieses Bewusstseins hat ihnen aber - als Ge-meinschaft und Umma - die Bereitschaft geraubt, Leid, Gefängnis und Fol-ler zu ertragen, geschweige denn Armut, Zerstörung und Tod. Dies sindjedoch alles Opfer, welche der Kampf um Existenzfragen immer erfordertund die untrennbar mit ihm verbunden sind. Deswegen waren all dieseVersuche zum Scheitern verurteilt und sind dem Ziel fnr das sie kämpfenkeinen Schritt näher gekommen.
Für die Muslime bedarf es keines großen Denk- und Betrachtungsaufwan-des um zu erkennen, dass diese Angelegenheit eine Existenzfrage fur siedarstellt. Vom ersten Moment an war klar, genauso wie es heute fur jedenmit zwei Augen klar sein muss, dass der Unglaube, der Kufr, es dem Islamniemals ermöglichen wird, ins politische Leben - d. h. an die Regrerungs-macht - zurückzukehren, solange er noch ein Körnchen Kraft hat, gegenjene vorzugehen, die sich dafür einsetzen. Apostaten und Heuchler werdenin dieser Angelegenheit nicht minder brutai und verbrecherisch vorgehen,als der Unglaube selbst. Sie werden die ganze ihnen zur Verfügungstehende Kraft aufwenden und alle in ihrer Reichweite liegenden Mittel ein-setzen, um jene Gläubigen zu bekämpfen, ja zu bekriegen, die ihnen dieRegentschaft entreißen wollen, um die Regentschaft Allahs an ihrer Stellezu errichten und um Allahs Verbote durch Seine Strafgebote zu wahren.
Deswegen kann jeder Versuch, den die Muslime in der Angelegenheitunternehmen, unmöglich fruchten, solange sie diese Angelegenheit nichtals Existenzfrage ansehen, wo jeder Erfolg davon abhängt, die entschlos-sene Maßnahme auf Tod oder Leben zu setzen. Da sich die Muslime derNatur dieser Auseinandersetzung nicht bewusst waren und die wahrheitdes diesbezüglichen göttlichen Rechtsspruches nicht erkannten, versuch-ten sie sich auf eine weise zu befreien, die einer Existenzfrage nicht ent-sprach. Es waren Versuche, die vielleicht für normale Angelegenheiten ge-eignet sind, nicht aber für solche, wo es um sein oder nicht sein geht. Die
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Maßnahmen, die sie diesbezüglich setzten, waren entsprechend unter demNiveau der erforderlichen Maßnahmen auf Tod oder Leben.
Tatsächlich werden jene Angelegenheiten, die von Natur aus schicksalhaftsind, wie die Beseitigung des Kufr-Systems und die Errichtung des Sys-tems des Islam - wurden sie nun auf dieser Basis begriffen oder nicht - un-möglich von jemandemzu bewältigen sein, egal wie stark er ist und egalwie sehr er sich auch dafur einsetzen mag, solange er sich in seiner Tätig-keit und Konzeption ihrer Natur nicht bewusst ist und die erforderlichenMaßnahmen auf Tod oder Leben setzt, die ihre Natur ihm auch vor-schreibt. Die Muslime, als Einzelpersonen und Gruppierungen, müssensich offen eingestehen, dass kein Ausweg daran vorbeiführt, ihren Einsatzim Kampf gegen den Kufr auf die Grundlage eines Kampfes auf Tod oderLeben zu setzen, weil die Natur dieser Existenzfrage ihnen dies vorschreibtund weil die Gesetzgebung aus Qur'anund Sunna dies ebenfalls belegt.
Auch der Gesandte € hat uns gelehrt, unsere Angelegenheiten klar zu defi-nieren und gegenüber jeder Schicksalsfrage die erforderliche Maßnahmeauf Tod oder Leben zu setzen. So hat er .<+, als ihn Allah:ts mit dem Islamentsandte und er durch intellektuelle Auseinandersetzung begann, die Bot-schaft zu verkünden, seine Schicksalsfrage als die Emporhebung des Islamdefiniert und dafur die erforderliche Maßnahme auf Tod oder Leben ge-setzt. Es wird berichtet, dass der Onkel des Propheten r-,=, Abu Talib, ihmvon der Forderung der Quraisch'(Stamm der Mekkaner), er möge mit sei-nen Angriffen gegen sie aufhören, erzählte und ihm sagte: "So verschonedoch mich und dich selbst und lege mir keine Bürde auf, die ich nichtertragen kann!" Daraufhin antvvortete der Prophet: "O mein Onkel! BeiAllah, wenn sie die Sonne zu meiner Redrten und den Mond zu meinerLinken legen würden, damit ic-h diese Sadre aufgebe, nimmer wi.irde ichdies tun, bis Allah den Islam emporhebt, oder ic-h dabei umkomme!" Undals der Prophet # den Staat gründete und den lihad mit dem Schwertevollzog, definierte er auch hier seine Schicksalsfrage als die Emporhebungdes Islam. In gleicher Weise setzte er dafür die erforderliche Maßnahmeauf Tod oder Leben fest. So wird berichtet, dass der Prophet #, als er aufdem Weg nach Mekka zur {Jmra war und vom kriegerischen Auszug derMekkaner gegen ihn erfuhr, folgendes sagte: "Was glaubt denn QualsdrlBei Allah, ich werde fortsetzen zu kämpfen fü,r das, mit dem mich Allatlentsandt hat, bis Allah diese Sadre (den Islam) emporhebt oder sidr dieses
Haupt vom Rumpfe trennt!", dabei deutete der Prophet auf seinen Hals.
Die Emporhebung des Islam war ftir den Propheten demzufolge eint'Existenzfrage, fur die er jederzeit bereit war zu sterben.In beiden Fällen also, sowohl beim Weitertragen der Botschaft durch dieideologisch-intellektuelle Auseinandersetzung, als auch beim Weitertragendurch den lihad mit dem Schwert, hat der Prophet j+ sein Ziel als dieEmporhebung des Islam festgelegt und dieses Ziel zur Existenzfrage er-klärt. Er hat in beiden Fäilen die dafür erforderliche, unabdingbare Maß-nahme gesetzt, nämiich die Maßnahme auf Tod oder Leben. Die voileBereitschaft also für diese Existenzfrage zu sterben. Im ersten Fall hat erdies mit folgendem Satz bekundet: "... bis Allah den Islam emporhebt, oderich dabei umkomme!", im zweiten Fall mit dem Satz: "...bis Allah es emp-orhebt, oder sich dieses Haupt vom Rumpfe trennt!" Hätte der Prophetdiese Angelegenheit nicht zur Existenzfrage erhoben und dafür nicht dieentsprechende Maßnahme auf Tod oder Leben gesetzt, wäre der Islam nie-mals hochgekommen, weder durch seine Verkündung auf dem Weg derintellektuellen Auseinandersetzung, noch durch seine Verkündung aufdem Weg des bewaffneten Kampfes. Genauso verhält es sich mit denMuslimen in ihrer heutigen Realität, nachdem sie mit den Systemen desKufr regiert werden und sich die Ungläubigen und Heuchler ihrer be-mächt igt haben. Solange sie diese Angelegenheit nicht zu elnerExistenzfrage erheben und die dafur erforderliche Maßnahme auf Tododer Leben setzen, werden ihre ganzen Bestrebungen nicht von Erfolggekrönt sein und sie werden keinen einzigen Schritt vorankommen.
Deswegen rufen wir jeden Muslim inmitten dieses erdrückenden Kufr, derdie Länder der islamischen Welt beherrscht, dazu auf, sich fur die Errich-hrng des Kalifats einzusetzen, ais Weg, sein Land in eine Stätte des Isiamzu verwandeln und es mit den ancieren Ländern der Musiime zu verernen.Die islamische Botschaft soll er in alle Welt weitertragen, im Bestreben,diesen Isiam emporzuheben. Möge er in aufrichtigem Iman, in erleuchte-ter Erkenntnis und korrektem Bewusstsein stets die Worte des Propheten# wiederholen: "Bei Allah, wenn sie die Sonne zu meiner Rechten und denMond zu meiner Linken legen wtirden, damit ich diese Sache aufgebe,nimmerwürde ich dies tun, bis Allah den Islam emporhebt, oder ictr dabeiumkomme!" "Bei Allah, ich werde fortsetzen zu kämpfen firr das, mit demmich Allah entsandt hat, bis Allah es hochhebt oder sich dieses Haupt vomRumpfe trennt!"
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