Fabia Morger. Amabilia Das vergiftete Erbe

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Leseprobe aus dem Debütroman von Fabia Morger.

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PrologZwei getrennte Seelen

Lange bevor die eigentliche Geschichte beginnt, um genau zusein vierzig Jahre vorher, ertönte ein Pochen an der Tür zu Sy-billas Zimmer und weckte sie aus ihrem unruhigen Dämmer-schlaf. Das Laken, auf dem sie lag, war schweißnass, die Deckeebenfalls. Sie hatte wieder einmal von ihrem Heimatplaneten ge-träumt und von ihren Eltern, an die sie sich eigentlich kaum er-innern konnte – ein Albtraum natürlich.Aber schlafen war immer noch besser, als ruhelos im Zimmerauf und ab zu schreiten, wie es in letzter Zeit oft vorkam. Nachsolchen Nächten fühlte sie sich den Tag hindurch unkonzen-triert und verhielt sich passiv.Die Bilder, die sie quälten, kamen seit einiger Zeit besondershäufig wieder hoch. Ein schlechtes Omen? Oder lag es einfachdaran, dass sie seit kurzem besonders häufig darauf angespro-chen wurde? Wahrscheinlich war es beides …Seit sie bei einem Lehrer vor etwa zwei Wochen eine beiläufigeBemerkung über den Tod ihrer Eltern hatte fallen lassen – ihrfiel im Moment nicht einmal ein, wie sie gelautet hatte –, bohr-ten alle in ihren Erinnerungen herum. Ihre Lehrer und dieHeimleiter wollten genau wissen, was sie sah, wenn sie an jenenTag vor zehn Jahren zurückdachte … An jenen Tag, an demsich ihr Leben um hundertachtzig Grad gedreht hatte …Hatte es erneut geklopft? Ja, nun hörte sie es ganz deutlich,wenn auch nur gedämpft – offenbar wollte der- oder diejenigevor der Tür niemand anderen außer ihr wecken.Was nahm man sich eigentlich die Frechheit, sie so spät aus demBett zu scheuchen?! Verärgert darüber, dass sie nicht einmal in

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der Nacht ihren Frieden haben konnte, drehte sich Sybilla aufdie andere Seite und versuchte weiterzuschlafen.Doch der Klopfer an der Tür gab nicht auf, sondern pochte im-mer heftiger.»Wer ist da?«, fragte sie ungehalten unter der Decke hervor.»Ich bin es«, ertönte eine Stimme vom Flur herein. »Mach bitteauf – schnell!«Ach so! Erleichtert schlüpfte sie aus dem Bett. Ihr kleiner Bru-der hatte die Angewohnheit, wenn er schlecht schlief – wasziemlich oft der Fall war – in ihr Zimmer zu kommen und nebenihr weiterzuschlafen Es schien ihn zu beruhigen, sie in seinerNähe zu haben. Doch nun – er war immerhin schon zwölf – er-schien er ihr langsam zu alt für diese Macke.Sie öffnete die Tür. Bestürzt sah sie auf ihn hinunter. Jedes Mal,wenn er zu ihr kam, war er ein wenig verängstigt, aber jetztschien er geradezu in Panik zu sein.»Ach, Bruder«, rief sie tröstend und nahm ihn in die Arme. Erbegann zu weinen, auf eine Art, die ihr Angst einflößte. Es warein verzweifeltes Schluchzen, und sie begann zu ahnen, dass et-was Schlimmes geschehen war.»Was ist denn passiert?«, fragte sie verunsichert. Ihr Bruder warvielleicht manchmal etwas ängstlich, aber dass er einfach so los-weinte, das war nicht seine Art. Er gab ihr keine Antwort, docher hörte auf zu schluchzen, was fast noch unheimlicher wirkte –es war, als versuchte er, sie schonend auf eine schlimme Wahr-heit vorzubereiten.»Was ist?«, flüsterte sie noch einmal und packte ihn unwillkür-lich am Arm.»Sie kommen, Sy!«, sagte er aufgelöst. »Sie kommen, um dichzu töten. Morgen früh. Mit einer Spritze.«Ungläubig starrte sie ihn an.

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»Wer kommt?«, fragte sie mit erstickter Stimme.Er sah sie an und biss sich auf die Unterlippe. »Menschen, diebeauftragt wurden – von Siard.«Die Antwort traf Sybilla wie eine Faust in den Magen. Siard –der Führer des Empires, in dem sie seit zehn Jahren lebte? Niehatte sie viel mit ihm zu tun gehabt, geschweige denn, dass sieihn so sehr verärgert hatte, dass er sie jetzt …»Was soll das, woher willst du das wissen?«, flüsterte sie. Siewollte die Panik, die sich in ihr ausbreitete, verscheuchen.»Ich wollte zu dir ins Zimmer kommen.« Er vermied es, ihr indie Augen zu sehen. »Da habe ich Stimmen gehört, Stimmen,die wir kennen, und auch andere, die ich noch nie gehört habe.Ich bin stehen geblieben und habe gelauscht. Sie hielten eine Sit-zung, wieso und worüber ist mir klar geworden, als dein Namefiel. Du ahnst zu viel, haben sie gesagt.« Er schwieg kurz, dannsetzte er zögernd hinzu: »Ich glaube, es geht um diese Morde,von denen du mir erzählt hast. Du bist die Einzige von uns Kin-dern, die sich noch an unser früheres Leben erinnern kann.«Regungslos stand Sybilla da und versuchte, den Sinn seinerWorte zu begreifen.»Du musst weg! Komm mit mir, ich helfe dir!«, fuhr ihr Bruderfort und starrte sie eindringlich an.»Gut!« Sybilla wusste, was sie zu tun hatte. In fiebriger Eilepackte sie die Sachen zusammen, die ihr zum Mitnehmen amwichtigsten erschienen. Wo auch immer sie hingehen würde, eswürde weit weg von ihrem jetzigen Zuhause sein.Auf Zehenspitzen schlichen sie den Gang entlang. Ihr Bruderging voraus. Das Licht der zwei Monde durchflutete den men-schenleeren Flur und beleuchtete schwach die Zeichnungen ausdem Malunterricht, die an den Wänden festgeklebt waren. Eini-ge davon hatte sie selbst gemalt. Alles wirkte so friedlich und so

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still, dass Sybilla sich fragte, ob das nicht alles ein Traum war,aus dem sie am nächsten Morgen aufwachen und darüber la-chen würde. Es musste einfach so sein. Dies war der Ort ihrerKindheit, dieser riesige Gebäudekomplex, in dem sie mit ihrenKameraden Verstecken und anderes gespielt hatte … Dass mansie jetzt töten wollte, das klang so grotesk, das passte einfachnicht in diese heitere Welt.Ihr Kinn straffte sich. Obwohl sie keinen Mucks von sich ge-geben hatte, hielt ihr Bruder noch einmal den Finger vor dieLippen.»Majen war auch dabei«, hauchte er und machte eine Hand-bewegung zur Tür links von ihm, hinter der Majen, die Frau,die alle Kinder des Hauses betreute, zu schlafen pflegte.»Majen? Nein!« Sybillas Gelassenheit fiel vollends von ihr ab.Plötzlich brannten Tränen der Wut und der Verzweiflung in ih-ren Augen. Ihr Hals begann zu schmerzen und sie musste sichzusammenreißen, um ihre Atemzüge ruhig zu halten. Majen warimmer für sie da gewesen, hatte sich mit einer Hingabe ihrenPflegekindern gewidmet, die über das Normale hinausging. Sieliebte Sybilla … Wie konnte sie zulassen, dass sie sterben sollte,nur weil sie um die Morde auf Diane wusste?Sybilla wollte doch nur in Frieden ihr Leben weiterleben, mitihren Freunden, ihrem Bruder und ihrer neuen Familie.Majen.Einen Moment lang dachte sie, dass sie lieber gestorben wäre, alserfahren zu müssen, dass sie von allen betrogen worden war.Doch nun musste sie stark sein und nicht alles noch schlimmermachen, als es sowieso schon war. Wenn nicht sich selbst, dannwenigstens ihrem Bruder zuliebe. Wenn sie von hier wegkamen –auch wenn sie keinen Schimmer hatte, wie sie das anstellensollten –, musste sie sich um ihn kümmern.

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Leise öffnete ihr Bruder eine Tür, welche in den Garagenraumführte, in dem die Erwachsenen ihre Autos parkten. Nur wenigeMeter von Sybilla entfernt schwebte Siards Auto. Ihr Bruderöffnete die Tür und machte ihr ein Zeichen einzusteigen.Ungläubig sah sie ihn an.»Wenn wir Siards Auto stehlen und erwischt werden, sterbenicht nur ich, sondern auch du«, sagte sie. Es war einfach nureine Feststellung.»Sie werden dich nicht erwischen«, versuchte ihr Bruder ihrMut zu machen. »Und jetzt geh, bevor dich jemand bemerkt!«»Du kommst doch mit mir?!«»Nein«, sagte ihr Bruder leise. »Ich bin nicht so stark wie du,ich muss hierbleiben. Wenn ich mitkäme, würde ich dich nurbehindern und die Kyprolo auf unsere Spur lenken. Und dannmüssen wir beide sterben. Jetzt geh!«Er atmete stockend. Was er gerade gesagt hatte, musste ihngrößte Überwindung gekostet haben. Sybilla machte denMund auf und versuchte, irgendetwas zu sagen, das ihn über-zeugen würde, mit ihr zu kommen. Irgendein kluges Argument.Doch zugleich wurde ihr klar, dass es vorbei war. Er hatte sichentschieden. Tränen traten in Sybillas Augen. Sie sah ihren Bru-der an und wusste, dass dies ein Abschied für immer war. Nocheinmal prägte sie sich seine Gesichtszüge ein, betrachtete nocheinmal das schmale, immer bleiche Gesicht, das in so starkemKontrast zu seinen dunklen Augen und dem dunkelbraunenHaar stand. Ohne sie würde er es noch schwerer haben als oh-nehin. Was würde aus ihm werden?Sie drückte ihn an sich, so fest sie konnte, damit er nicht sah,dass sie weinte.»Versprich mir, dass du weiterlebst!«, flüsterte sie. »Egal wie,aber versprich es!«

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»Ich verspreche es«, sagte er und klang auf einmal heiser.Sie sog seinen Duft ein, die letzte Erinnerung an ihre Kindheit.Dann stieg sie in den nachtschwarzen Wagen und aktivierte dieautomatische Steuerung. Lautlos rauschte das Auto weg. Wegvom Planeten Hernux, hinaus ins All.Sie würde nach Symian fahren und dort zur Polizei gehen, fallssie den Planeten überhaupt fand.Ihr Bruder stand im Garagenraum und starrte in den Himmel,in dem der Lichtpunkt, zu dem das Auto geworden war, raschkleiner wurde und verschwand. Auch dann noch blickte er hi-naus in die sternenklare Nacht und nahm Abschied. Abschiedvon seiner geliebten Schwester. Abschied von seiner geborgenenWelt. Abschied von seinem Glück – Abschied von sich selbst.

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