FACHZEITSCHRIFT FÜR PROFESSIONELLE AUDIOTECHNIK...

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TEST: FUNK MTX-MONITOR TEST: FERROFISH A32 FACHZEITSCHRIFT FÜR PROFESSIONELLE AUDIOTECHNIK 2017 40. JAHRGANG · NR. 429 INTERVIEW: HANNES BIEGER

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I N T E R V I E W M I T M I S C H E R U N D P R O D U C E R H A N N E S B I E G E R

Wenn man sich die unheimliche Menge an neuen Releases im großen Markt der, nennen wir es Club-Musik, an-

schaut, dann ist die Vorstellung wohl nicht ganz falsch, dass vieles davon in einem Kämmerlein in einem Alt-

bauhinterhof entstanden ist, während sich die Nachbarn beim Vermieter über das ‚ständige Gehämmer‘ be-

schwert haben. Gerade Dance ist ein Genre in dem man mit kleinem Technikaufwand heute sehr viel erreichen

kann. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Musiker und Produzenten einen enorm hohen Anspruch

an sich und die Klangqualität haben. Die Bereitschaft hier den Schritt ins Studio zu gehen ist bei vielen vorhan-

den. Hinzu kommen die Produktionen der verschiedenen DJs, die auf Grund von Tour-Stress und Zeitmangel

Fachleute für viele Arbeitsschritte zu Rate ziehen. Bei genau solchen Dingen kommt Hannes Bieger ins Spiel.

Er bietet seine Expertise, mit eigenem Studio, bei Produktion und Mischung an und unterstützt viele Künstler

als Figur im Hintergrund. Nebenbei betreut er seine eigenen Projekte, war lange Zeit als Masteringingenieur in

einem bekannten Berliner Studio tätig, schreibt für verschiedene Audio-Fachmagazine und liebt seinen großen

Moog Modularsynthesizer. Wir haben es geschafft die raren Minuten zwischen all diesen Aktivitäten abzupas-

sen und ihn für ein Interview zu besuchen.

F R I E D E M A N N K O O T Z , F O T O S : H A N N E S B I E G E R , F R I E D E M A N N K O O T Z

Clubmixer

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Hannes Bieger stammt ursprünglich aus

Hamburg, entschloss sich jedoch zum En-

de der 1990er Jahre zum Umzug nach Ber-

lin. Ihn auf die Club-Musik zu reduzieren

greift viel zu kurz, denn mit seiner Histo-

rie in der Bandszene und Offenheit und

Interesse für viele Stilistiken finden sich

seine Mischungen in tausenden Produkti-

on aus den Bereichen Triphop, über Elec-

tronica, Rock, bis Jazz und hin zu Folk.

Sein Weg ins Tonstudio verlief ohne Schu-

le und Studium, direkt über das aktive

Musik machen. Aber lassen wir ihn doch

einfach selbst erzählen, wie sich seine

Karriere entwickelt hat.

Hannes Bieger: Ich habe mit 10 Jahren an-

gefangen E-Gitarre zu spielen, war etwa

mit 14 Jahren in den ersten Schülerbands

aktiv und es war für mich total klar, dass

dies mein Weg sein soll. Für mich war

nach der Schule nicht mehr die Frage was

ich werde, sondern wie. Ich habe meinen

Zivildienst noch in Hamburg geleistet und

bin dort auch noch ein Jahr geblieben. Im

Jahr 2000 bin ich dann nach Berlin umge-

zogen und arbeite seitdem als selbststän-

diger Musiker. Ich hab also nicht studiert,

sondern bin einfach von jetzt auf gleich in

den Beruf eingestiegen. Zu diesem Zeit-

punkt hatte ich schon ein paar gute Gi-

tarren und ein paar schöne Synthesizer

und mich damals noch eher als Produ-

zent meiner eigenen Sachen gesehen. Ei-

nige Leute mit denen ich damals gearbei-

tet habe, haben spannende Karrieren ge-

macht. Die Sängerin Ruth Renner zum

Beispiel ist als Miss Platnum inzwischen

bei Four Music. Oder der Keyboarder Chri-

stopher Noodt, der später Gründungs-

mitglied bei den Ohrbooten war. Ihn ken-

ne ich noch aus Schülerbandzeiten, er ist

etwa mit mir zusammen nach Berlin ge-

kommen. Er macht heute viel Theatermu-

sik, spielt bei Mark Forster und Yello. Es

gibt also so ein paar parallele Wege, die

sich hier entwickelt haben. Ich habe die

ersten Jahre hier in Berlin an meinen ei-

genen Projekten gearbeitet, ein paar Film-

musiken und Multimedia-Musik produziert.

Das ganze kulminierte dann in den beiden

Alben, die ich 2005 und 2006 released ha-

be. Für mich war das ein ziemlicher Wende-

punkt. Ich hatte zwei Alben in eineinhalb

Jahren gemacht und kam an einen Punkt,

an dem ich mich meine Ideen erst einmal

verschossen hatte. Ich musste eine For-

schungsphase einlegen, in der ich wieder

einen neuen Ansatz und neue Ideen finden

konnte. Zum anderen ging die Release des

zweiten Albums Airmate aus organisato-

rischen Gründen etwas schief. Ich war un-

glücklich, habe mir die Sinnfrage gestellt

und natürlich zeichnete sich auch die trau-

rige Entwicklung der gesamten Musikbran-

che sehr deutlich ab. Deshalb habe ich

dann das Verhältnis zwischen meiner musi-

kalischen Tätigkeit im Studio und meinem

zweiten Standbein als Fachjournalist um-

gekehrt und war für lange Zeit in erster Li-

nie redaktionell tätig. Parallel war es aber

so, dass ich zunehmend gefragt wurde wer

inter view

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denn meine beiden Alben gemischt hat.

Aus dieser Nachfrage entstand im Prinzip

mein Mixing-Business. In dieser Phase ha-

be ich auch parallel bei Calyx-Mastering

gearbeitet.

Friedemann Kootz: Dort bist du inzwi-

schen nicht mehr?

Hannes Bieger: Ich mache kein Mastering

mehr, aber wir arbeiten sehr eng zusam-

men. Wir teilen auch viele technische Phi-

losophien und haben einige Gemeinsam-

keiten. Aber wir waren nie in den gleichen

Räumlichkeiten und ich habe mich nach

und nach aus dem Mastering zurückge-

zogen und auf die Mischung konzentriert.

Die Mix-Jobs wurden immer mehr und als

ich mich 2010 von meinem Fachverlag ge-

trennt hatte, war der Zeitpunkt gekom-

men, das Verhältnis wieder zu Gunsten

der Studioarbeit umzudrehen. Ich arbei-

te jetzt also nur noch nebenbei als Redak-

teur und bin hauptsächlich aktiv im Stu-

dio tätig. Schreiben macht mir nach wie

vor Spaß, aber ich fülle damit heute mehr

die Lücken in meiner Studiozeit. Letzten

Endes wollte ich doch immer Musiker wer-

den. Trotzdem war auch diese Phase wich-

tig um mich neu zu sortieren und zu ori-

entieren.

Friedemann Kootz: Hast du denn über-

haupt noch Zeit für deine eigenen Pro-

jekte?

Hannes Bieger: Ich blocke mir immer mal

wieder Zeit für meine eigenen Sachen,

aber das sind dann oft die Puffer, die ich

letzten Endes für Mischungen von Stamm-

kunden opfere. Kunden die ich trotz

meines vollen Terminkalenders noch be-

dienen möchte, erstens damit ich sie nicht

an Jemand anderen verliere, aber auch

aus einem Fairness-Gedanken heraus.

Denn ich bin sehr dankbar für alles Busi-

ness dass ich kriege und natürlich gerade

auch für die Leute die immer wieder kom-

men. Ich habe also tatsächlich erst letztes

Jahr wieder angefangen aktiv eigene Mu-

sik zu machen.

Friedemann Kootz: Und wie bist du in die

Rolle als Produzent rein gewachsen?

Hannes Bieger: Es gab schon früher immer

wieder Anfragen dafür, aber ich habe sie

anfangs immer abgelehnt.

Friedemann Kootz: Warum?

Hannes Bieger: Das hatte zwei Gründe. Ich

wollte meine Ideen sozusagen für mich

selbst, für meine eigene Musik, aufhe-

ben. Außerdem lehne ich Ghost-Producing

als Konzept in der Clubmusikszene ab. So

etwas mache ich auch nach wie vor gar

nicht. Zumindest nicht so, dass man sozu-

sagen einen ‚schlüsselfertigen‘ Track für

Jemand anderen macht und selbst nicht

einmal auf der CD steht. Sicherlich ma-

che ich auch ab und an Produktionen oder

Koproduktionen bei denen ich nicht er-

wähnt werde, aber das sind dann auf je-

den Fall Sachen bei denen der Künstler

hier bei mir ist und wir gemeinsam an den

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Songs arbeiten. Ich möchte keine gesichts-

losen Auftragsproduktionen machen, son-

dern immer etwas, in dem von allen Betei-

ligten etwas drin steckt. Aber ich habe na-

türlich irgendwann gemerkt, dass das Pro-

duzieren ein Business ist, das mir einen

riesigen Spaß macht, ich es aber einfach

so liegen lasse.

Friedemann Kootz: Du hast deine Ableh-

nung also überwinden können.

Hannes Bieger: Ich habe über die Jah-

re meine Tools verändert und zum Bei-

spiel die Workstation von Logic zu Nuen-

do gewechselt. Damit war auch ein Groß-

teil meines Setups völlig anders als das

Setup, mit dem ich damals diese Alben

produziert habe. Das war gar nicht so ein-

fach und ein totaler Reset. Aber ich ha-

be gemerkt, dass mir Produktionen gehol-

fen haben wieder neue Routinen zu ent-

wickeln. Mit den neuen Werkzeugen und

den neuen Denkweisen und Arbeitsmetho-

den. Deshalb mache ich das inzwischen

total gerne und ich habe auch nicht mehr

das Gefühl, dass es mir Ideen klaut. Mei-

ne Befürchtung, die ich damals hatte, war

im Nachhinein betrachtet eigentlich Un-

sinn. Hinzu kommt, dass ich Mischen im-

mer schon als sehr variables Arbeitsfeld

gesehen habe. Das hängt natürlich auch

damit zusammen, dass ich eigentlich aus

der Musikproduktion komme, auch Maste-

ring gemacht habe und daher alle Blick-

winkel kenne. Für mich war Mischen immer

der gesamte Schritt zwischen dem Song-

writing und dem Mastering. Ich habe oft

die Erfahrung gemacht, dass Projekte die

ich zum Mischen bekommen habe Heraus-

forderungen in sich hatten, die ich mit ei-

ner reinen Mischung im ursprünglichen

Sinne gar nicht hätte lösen können. Klassi-

ker sind dabei zum Beispiel ‚nervöse‘ Hö-

hen, weil unglaublich viele Hihat- und Per-

cussionspuren drin sind. Im Prinzip ist der

Trick dann die Menge an Informationen zu

reduzieren. Man greift also direkt ins Arran-

gement ein. Ebenso häufig sind Songs ein-

fach nicht ‚fett‘ und ‚warm‘, weil sie ein-

fach kein fettes und warmes Element ent-

halten. Man bricht sich dann tierisch einen

ab ein totales Loch zwischen 180 und 300

Hz mit Obertönen zu füllen, weil die Bass-

drum zu tief sitzt und die Pads in diesem

Bereich nichts liefern. Oder weil einfach in

diesen Bereich nichts hinarrangiert wurde.

Man merkt dann, dass man versucht in der

Mischung Frequenzen in der Snare anzuhe-

ben, oder Reverbs einzubringen oder eben

die Bassdrum mit Obertönen anzureichern.

Man kann solche Löcher irgendwie ka-

schieren, aber oft ist es dann einfach geiler

noch ein Pad einzuspielen, das sich wie ei-

ne Brücke über diesen Bereich spannt. An-

fangs war ich damit sehr zurückhaltend,

denn ich dachte, dass das für mich als

Mischer eigentlich nicht zu meinem Aufga-

benbereich gehört. Aber gerade als ich an-

fing mit größeren Namen zu arbeiten ha-

be ich die Erfahrung gemacht, dass solche

Sachen helfen das Produkt zu verbessern.

Man müsste keinen Mix heraus geben, mit

dem man eigentlich unzufrieden ist, weil

man weiß, dass ihm etwas fehlt. Aber man

traut sich nicht und setzt im Kopf die Sche-

re an. Aus diesen Erfahrungen heraus bin

ich immer weiter auf den Trichter gekom-

men, dass die Leute nicht zu mir kommen,

damit ich an ein paar Knöpfen drehe, son-

dern dass es auch um meine Expertise und

um eine zusätzliche Meinung von außen

geht. Diese kann je nach Projekt auch sehr

weit gefasst sein. Viele Mix-Sessions wer-

den hier zu Re-Arrangement-Sessions oder

Produktions-Sessions. Daraus habe ich ge-

lernt, dass das eigentlich alles genau das

Gleiche ist, nur von einer anderen Seite be-

trachtet.

Friedemann Kootz: Eine spannende Er-

kenntnis.

Hannes Bieger: Ich glaube, dass mich die

tausenden Mischungen die ich hier ge-

macht habe, auch zu einem besseren Pro-

duzenten haben werden lassen. Diese ‚Mi-

scherschule‘ mit ihren ungezählten Fall-

studien hat mir sehr genau gezeigt, ‚so ist

es geil und so funktioniert es nicht‘. Das

ist eine Produzentenschulung für mich ge-

wesen, die ich absolut nicht missen möch-

te. Was braucht der Track, wo kann man

noch Schlusssteine einsetzen, welchen

Softsynth sollte man vielleicht gegen ei-

nen Hardwaresynth austauschen, wo fehlt

noch ein Lead-Instrument, das einen guten

Song aus der Masse heraus hebt. Dabei

sind natürlich die analogen Instrumente

perfekt, denn sie füllen diesen Raum, der

vielleicht noch emotional brach liegt. Das

ist etwas, dass definitiv im Moment zu-

nimmt.

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Friedemann Kootz: Weil die Producer von

heute hauptsächlich vor ihrem MacBook

sitzen und den Songs diese Emotionali-

tät fehlt?

Hannes Bieger: Ja, aber damit will ich nicht

sagen, dass man nicht gut in der DAW ar-

beiten kann. Ich habe überhaupt kein Pro-

blem mit Produktionen ‚In The Box‘ – im

Gegenteil. Selbst vor dem Hintergrund,

dass ich hier ja ein sehr umfangreiches

und über Jahre entstandenes Analogse-

tup habe, habe ich trotzdem keinerlei ge-

nerelles Problem damit. Ich fand immer,

dass Rechner für bestimmte Arbeiten to-

tal geil sind und so ist meine Mix-Arbeit

schon immer hybrid. Ich bin auch dabei

auszuloten wie sich hybride Setups be-

währen, bei denen das meiste digital pas-

siert. Ich bin mittlerweile völlig emotions-

los was diese Vorlieben angeht. Man kann

in beiden Bereichen tolle Sachen machen

und man kann in beiden richtig große Pro-

bleme bekommen. Aber natürlich hat ei-

ne reine In The Box-Produktion von einem

unerfahrenen Produzenten schneller Pro-

bleme, die man nur schwer lösen kann. Ich

hatte zum Beispiel mal einen Kunden der

sehr viel mit Samples gearbeitet hat, die

aus MP3s stammen. Unter anderem weil

er Sachen gesampelt hat, die man anders

praktisch gar nicht bekommen kann. Ich

kann mich an einen Track erinnern, der nur

aus MP3-Samples bestand. Der Produzent

selber hat für die Arbeit die wir dann ma-

chen mussten die sehr schöne Metapher

ins Spiel gebracht, dass das sei als würde

man versuchen eine Qualle festzuhalten.

Immer wenn man sie am einen Ende ge-

packt hat ist sie an der anderen Seite aus

den Händen gerutscht. Das war ein tota-

ler Augenöffner für die Effekte, die bei der

MP3-Kompression entstehen. Durch das

Ausnutzen der psychoakustischen Maskie-

rung werden Sachen endgültig aus dem Si-

gnal entfernt und man ist dann mit dem

EQ wirklich machtlos. Da kommt einfach

nichts mehr. Wenn man nun völlig digi-

tal und unbedarft drauf los produziert und

das Bewusstsein für audiophilen Klang

nicht geschärft wurde, dann macht man

eben Sachen, die der Klangqualität prin-

zipbedingt schlimmste Schäden antun. Li-

quid-Audio zum Beispiel, bei dem man

Tempo und Tonhöhe frei verformen kann.

Es gibt so viele Fallstricke in einer DAW,

mit denen man sich seinen Sound versau-

en kann. Und wenn man das nicht gelernt

hat, oder noch nicht lange genug dabei ist

um das einschätzen zu können, dann ver-

baut man sich viele Möglichkeiten. In die-

sem Fall ist oft eine analoge Bearbeitung

einiger Signale wichtig oder man kann ih-

nen zusätzliche Klänge zur Seite stellen,

die die fehlende Präsenz und Physis mit-

bringen.

Friedemann Kootz: Womit man dann nicht

die absolute Klangqualität anspricht, son-

dern wieder die fehlende Emotionalität.

Hannes Bieger: Absolute Klangqualität

in dem Sinne gibt es ja eigentlich nicht.

Weil sie sehr subjektiv ist und einen als

Mischer immer wieder herausfordert, wenn

man mit Projekten arbeitet, die bewusst

dreckig klingen sollen. Da muss man dann

das richtige Maß finden, wie viel Dreck

man drin lässt. Das finde ich sehr schwie-

rig. Welcher Dreck ist ‚guter Dreck‘, wo

kann man etwas verbessern und wo macht

man ein Musikstück eher beliebiger, wenn

man ein emotional ansprechendes Ele-

ment verbessert. Aber, zum Beispiel in der

Filmmusik wird heute sehr viel mit Sample-

libraries gearbeitet und man mischt dann

noch eine echte Violine oder ein echtes

Cello hinzu, um einen Live-Charakter zu

erzeugen. Und diese Zumischung wer-

tet das Ergebnis enorm auf. Diese Aufwer-

tung entsteht oft auch in einem Synthesi-

zer-Arrangement, wenn man einen Ana-

logsynthie dazu mischt. Er lässt auch den

ganzen Rest besser klingen. Ein Effekt, den

ich schon sehr oft beobachtet habe. Ich

mag Softsynthies und schätze sie sehr um

Lücken zu füllen und für Klänge, bei de-

nen man einfach nicht den Aufwand trei-

ben kann, erst einmal zwei Stunden den

Modularsynthesizer zu patchen. Manch-

mal muss es einfach schnell gehen. Man

muss auch nicht bei jedem Sound versu-

chen den Über-Charakter zu erzwingen. Im

Gegenteil kann das sogar Kontraproduk-

tiv sein. Aber mir fehlt bei Softsynths oft

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eben doch etwas. Das liegt sicher auch an

meiner Historie, denn als Gitarrist habe

ich natürlich mit analogen Instrumenten

angefangen, mein erster Synthie war ein

Moog und mein erstes E-Piano ein Wurlit-

zer. Für mich hat das etwas, dass ich aus

dem Computer nicht kenne. Aber diese Er-

gänzung funktioniert eben total gut. Und

das funktioniert sowohl bei problema-

tischen DAW-Produktionen, als auch bei

toll klingenden.

Friedemann Kootz: Wenn du das so be-

schreibst, dann bleiben die analogen

Komponenten aber auch bei dir der Mittel-

punkt. Das macht die anderen Komponen-

ten nicht weniger wichtig, aber die Auf-

merksamkeit erzielt man mit diesen Zu-

taten.

Hannes Bieger: Ich zumindest, aber man

sollte das nicht verallgemeinern und an-

dere können das vielleicht auch viel bes-

ser. Ich kriege auch viele DAW-Tracks, die

mit ihrer digitalen Ästhetik total cool sind.

Wo man fast gar keine analogen Kompo-

nenten ins Spiel bringen möchte, weil sie

das Ganze in eine falsche Richtung brin-

gen würden. Es ist eine ganz interessante

und schwierige Frage, wie man das Beste

beider Welten zusammen bringen kann,

so dass es auch wirklich besser wird und

nicht nur anders. Es gibt Produzenten, die

können damit extrem gut umgehen und es

werden oft auch Genres bedient, die auf

solchen Tools fußen. Ich kann aus meiner

eigenen Historie nicht heraus und aus den

Sachen die ich gerne mag und die mich ge-

prägt haben. Zum Beispiel wenn ich mich

an den Moog Modular setze. Da kommt je-

des Mal etwas heraus, dass ich als Ideen-

basis für einen neuen Titel aufnehme. Das

ist unglaublich toll und kreativ. Weil es ein

Sound ist der diese Präsenz, diese Tie-

fe, Breite und Höhe – und eben auch die

emotionale Tiefe total mitbringt. Das ist et-

was, was ich nicht hoch genug einschät-

zen kann. Denn ein Problem, welches ich

als Mischer oft genug habe und früher auch

bei meinen eigenen Sachen hatte ist, dass

viel zu viele Spuren zum Einsatz kommen.

Das hat mehrere Ursachen. Manchmal ist es

Unsicherheit oder Unerfahrenheit, so dass

man irgendwann vielleicht nicht mehr sieht,

was das Beste für den Track ist. Manch-

mal häuft man im Laufe der Produktion im-

mer mehr Signale an die man drin lässt,

weil man sich vielleicht nicht trennen kann.

Obwohl man es vielleicht besser sollte.

Dann gibt es Elemente, die einen unglaub-

lich gekickt haben in dem Moment, in dem

man sie entwickelt hat. Die dann aber letz-

ten Endes vielleicht gar nicht richtig rein

passen. Da gibt es das schöne Sprichwort

‚Kill your darlings‘. Man muss an irgendei-

nem Punkt einsehen, dass es um die Mu-

sik geht und die muss einem sagen, wo es

lang geht. Manchmal muss man wirklich die

innere Haltung und Stärke aufbringen Din-

ge wieder raus zu schmeißen. Und dann

kommt eben dazu, dass man einen Sound

braucht, der das Gesamtwerk trägt. Dass

man eben nicht das Gefühl hat noch mehr

Elemente hinzufügen zu müssen, damit es

irgendwie anfängt interessant zu klingen.

Die Tiefe und das Emotionale sollte schon

in einem, oder vielleicht sind es auch zwei

oder drei, Sounds drin stecken. Das ist na-

türlich auch abhängig vom Genre, denn

manche Stile brauchen einfach diese opu-

lente Vielschichtigkeit. Aber für mich zeigt

sich die Erfahrung eines Produzenten oft

darin, dass ihre Produktionen meist nicht

viele Spuren haben, es aber schaffen mit

wenigen Elementen auszudrücken was sie

sagen wollen.

Friedemann Kootz: Am Ende ist es dann

wieder die Entsprechung für Schlagzeug,

Bass, Gitarre und Gesang – damit kann

man klingen wie eine Schülerband oder

eben wie Queen.

Hannes Bieger: Genau. Aber wenn man

mal die Einzelspuren von Bohemian Rhap-

sody gehört hat realisiert man, dass auch

die nur mit Wasser gekocht haben. Das

war für mich ein riesiger Lerneffekt zu hö-

ren, dass auch diese Mega-Referenzpro-

duktionen heruntergebrochen auf ihre Ele-

mente nicht so krass sind, wie man sie

sich vielleicht immer ausgemalt hat.

Friedemann Kootz: Ja, aber es genau das

zeigt doch eindrucksvoll die Sinnhaftigkeit

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und den Wert der Arbeit des Produzenten

und Mischers. Auch für Außenstehende.

Hannes Bieger: Wichtig ist, dass das Aus-

gangsmaterial stimmt. Ich habe meine Al-

ben beide im Rechner gemischt. Das war,

bevor ich wieder auf ein analoges Misch-

pult zurückgegangen bin. Was ich aber im-

mer hatte, war ein gutes Frontend. Mei-

ne erste Gitarre war eine 62er Jazzma-

ster und mein erster Synthie ein Moog Ro-

gue. Ich hatte immer gute Instrumente und

sehr früh auch gute Preamps. Das bedeu-

tet, dass ich relativ schnell schon die Er-

fahrung gemacht habe, analoge Klanger-

zeuger nutzen zu können, die mir diese

Präsenz und Tiefe von vornherein liefern.

Wenn man das noch halbwegs sinnvoll ar-

rangiert, dann braucht man gar nicht mehr

viele Kompressoren und Equalizer. Idea-

lerweise mischt sich ein gutes Arrange-

ment im Prinzip von selbst. Eigentlich ist

‚Fix it in the mix‘ eine Sache die man na-

türlich beherrschen muss, aber ich leh-

ne sie als Idee ab. Das bringt uns natür-

lich wieder zurück an den Punkt, an dem

Arrangement, Produktion und Mischung

ineinander greifen und Hand in Hand ge-

hen. Ich glaube ganz stark an die Prämis-

se je früher in einer Produktion gute Quali-

tät herrscht umso besser. Das heißt, wenn

man gute Ausgangssounds hat, dann ist

das besser als gute Mixtools. Ich bin heut-

zutage auf dem Standpunkt, dass das

Frontend und die Abhörsituation das wich-

tigste sind. Das sind die beiden Bereiche

mit denen die Schlachten geschlagen wer-

den. Die Klangsubstanz mit der man arbei-

tet muss stimmen und natürlich muss man

das auch wirklich hören können. Und wenn

man es so will ist alles dazwischen Bonus.

Was ich mittlerweile auch ganz stark pro-

pagiere ist, dass es egal ist ob man einen

V72 benutzt oder einen Neve, oder welches

EQ-Plug-In man nimmt, wenn man den fal-

schen konzeptuellen Ansatz verfolgt. Im

Prinzip geht es darum was man macht und

erst im zweiten Schritt darum womit. Natür-

lich liebe ich bestimmtes Equipment was

bei mir zum Einsatz kommt, aber wenn ich

es mir aussuchen kann, dann nehme ich

lieber einen guten Ausgangssound, der

diese Bearbeitung gar nicht benötigt. Dem-

entsprechend arbeite ich auch lieber mit

Mix-Kunden an ihren Arrangements, als

zu versuchen den Mix mit tollen Pultecs ir-

gendwie hinzubiegen.

Friedemann Kootz: Bringst du deine Kun-

den damit nicht manchmal ins Zweifeln?

Denn ich kann mir vorstellen, dass sich

viele extrem viel Mühe gegeben haben

und dann feststellen welche Möglichkeiten

noch drin stecken, wenn man ihre Arbeit

verwirft und mit anderen Mitteln umsetzt?

Oder überwiegt der Wow-Faktor, der die

Leute begeistert?

Hannes Bieger: Ich würde sagen, dass hier

wahrscheinlich die gesamte Bandbreite an

Zweifeln vorkommt. Und da schließe ich

mich ganz eindeutig mit ein. Das ist aber

auch gut! Ich habe zwar oft besuchte Ses-

sions hier im Studio, aber es lässt sich bei

vielen internationalen Kunden aus Austra-

lien, über Libanon bis Amerika nicht im-

mer realisieren. Die schicken mir dann

ihr Material online. Für mich ist das nicht

ideal, denn ich gehöre nicht zu den Men-

schen denen ihre Kunden in erster Linie

auf die Nerven gehen, wenn sie mit im Stu-

dio sitzen. Es gibt ja Mischer, die am lieb-

sten alleine arbeiten. Sei es um sich nicht

in die Karten gucken zu lassen, oder weil

sie sich sonst nicht konzentrieren können.

Aber für mich ist Musik machen durch mei-

ne Banderfahrung immer etwas Gemein-

sames. Ich mag es mit anderen Leuten in

einem Raum etwas zu entwickeln. Und ich

empfinde es auch gerade im Kontext mit

meinem analogen Setup und der Proble-

matik des Total Recall als große Erleichte-

rung, wenn man schnell gemeinsam etwas

ausprobiert, eine Entscheidung trifft und

weiter macht. Besser, als wenn man Miss-

verständnisse hat und mehrere Runden

drehen muss. Ich habe mir zwar eine Mög-

lichkeit geschaffen Total Recall zu realisie-

ren, aber es ist am Ende doch Sand im Ge-

triebe. Es gibt für mich also sowohl prak-

tische Vorteile hier Menschen mit im Stu-

dio zu haben, als auch einen gefühlten,

emotionalen. Abends, wenn wir aus dem

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Studio gehen höre ich sehr oft von den

Musikern, dass sie ganz viel gelernt hätten

an diesem Tag. Und sie gucken mich dann

oft komisch an, wenn ich sage, dass ich

auch ganz viel gelernt habe an diesem Tag.

Klar, es gibt auch Routine und ich habe na-

türlich bei vielen Arbeitsschritten eine ho-

he Arbeitsgeschwindigkeit entwickelt. So

etwas wie Drums tunen oder Resonanzen

filtern, beides Sachen die für mich un-

glaublich wichtig sind, passiert ohne zwei-

mal darüber nachdenken zu müssen. So

etwas würde ich auch nie ohne Computer

machen. Die Präzision eines digitalen EQs,

der Recall und die Möglichkeit sich aussu-

chen zu können wie viel Einfluss man auf

den Phasengang nimmt sind Dinge, die

ich nicht missen wollen würde. Darüber hi-

naus gibt es aber ganz oft Probleme, die

einen herausfordern noch einmal ganz neu

nachzudenken und etwas neues auszupro-

bieren. So entstehen für bestimmte Pro-

blemlösungen immer wieder neue Presets

in einem Plug-In. Oder neu konzipierte Be-

arbeitungsketten. Im Nachhinein freut man

sich, dass man wieder etwas Neues ge-

funden hat, dass einem die Arbeit leichter

macht. In dem Moment aber zweifelt man

oftmals an sich. Und dieses Erlebnis ha-

ben natürlich auch meine Kunden. Sie sind

manchmal positiv oder auch negativ scho-

ckiert über das, was sie mitgebracht haben

oder was man daraus machen kann. Letz-

ten Endes gibt es nach einer Mischung ganz

viele Denkansätze, die man für die nächste

Produktion dann zielgerichteter und konse-

quenter übernehmen kann.

Friedemann Kootz: Dürfen dir deine Kunden

genau über die Schulter schauen?

Hannes Bieger: Ja, das ist auch etwas, dass

ich weiter gebe. Natürlich reibe ich nicht

immer alles direkt unter die Nase, aber im

Großen und Ganzen bin ich da sehr offen.

Ich biete ja auch Masterclasses hier im Stu-

dio an, bei denen es dann ganz schön ans

Eingemachte geht. Ich habe so viel von an-

deren Leuten gelernt und so viel davon pro-

fitiert, dass zum Beispiel Menschen wie Bo

Kondren von Calyx Mastering mit mir dis-

kutiert haben oder mich auf Probleme ge-

stoßen haben, während einer Zusammen-

arbeit. Durch manches wäre ich sonst bis

heute nicht durchgestiegen. Es gibt so viele

Stellen, an denen ich wirklich vom Wissen

anderer Menschen profitiert habe und das

ist ja selten eine Einbahnstraße. Ich bin der

Meinung, dass Wissen geteilt werden muss.

Was natürlich nicht heißt, dass ich jedes

meiner Geheimnisse sofort an jeden ver-

schenke und manchmal braucht man sicher

auch die Gabe zwischen den Zeilen zu hö-

ren.

Friedemann Kootz: Was du beschreibst

weist immer einen großen Fokus auf die di-

rekte Interaktion mit dem Musiker auf. Wie

machst du das dann bei Online-Sessions

ohne den Kunden? Wie kitzelst du die Idee

des Künstlers ohne ihn aus den Files he-

raus?

inter view

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Hannes Bieger: Ich glaube, dass das ei-

ne mehrstufige Sache ist, die schon da-

mit beginnt, dass die Menschen die zu

mir kommen wissen, warum sie zu mir

kommen. Das heißt, ich habe sehr selten

den Fall, dass ich eine Mix-Anfrage kriege

von einem Projekt, dass mir klanglich

oder musikalisch überhaupt nichts sagt.

Zu dem ich keinen Bezug habe. Ich wür-

de so etwas auch ablehnen, denn wenn

ich etwas in seinem Kern nicht verste-

he oder es im Zweifelsfall sogar fürchter-

lich finde, dann kann ich dem auch nichts

hinzufügen. Es muss nicht alles woran

man arbeitet die eigene Lieblingsmusik

sein, egal wie schmal oder breit diese ge-

fasst ist. Ich kann da sehr weit abstrahie-

ren, aber ich brauche irgendeinen Bezug.

Wenn der nicht da ist, dann ist es sinnlos.

Im zweiten Schritt ist es oft eine Erfah-

rungssache und auch Routine, eine Pro-

duktion zu sehen und eine Idee zu ent-

wickeln. Oft passiert das beim ersten An-

hören und ist das unmittelbare Bauch-

gefühl. Der Rest ist dann ‚nur noch‘ die

Ausführung des Plans. Ich muss sagen,

dass ich dadurch wirklich nur wenig Re-

calls habe. Es kommt natürlich mal vor

und obwohl ich einen perfektionistischen

Anspruch an mich habe, bin ich mir be-

wusst nicht Fehlerfrei zu sein. Natürlich

will man immer besser werden, aber man

ist auch ein Mensch und keine Maschine.

Und natürlich gibt es mal Abstimmungs-

probleme, so dass man einen Recall ma-

chen muss. Ich würde aber sagen, dass

ein großer Teil der Recalls gemacht wer-

den müssen, weil die Kunden Fehler in ih-

ren Stems entdecken. Das Verhältnis ist

bestimmt 50 zu 50. Dass man mal emo-

tional, mit dem Genre oder charakter-

lich, daneben liegt, ist mir schon lange

nicht mehr passiert. Da hilft mir natürlich

ein Stück weit meine Arbeitsweise, die ja

eher ‚minimalinvasiv‘ ist. Ich kann auch

mal richtig aufdrehen und ich habe auch

Verzerrer und Kompressoren um richtig

Dampf zu machen, aber der Kern der Sa-

chen die ich mache folgt eigentlich dem

Konzept ‚mach es besser, aber verändere

es nicht‘. Eigentlich ein Paradoxon, aber

‚so viel wie nötig und so wenig wie mög-

lich‘ ist ein wichtiges Grundaxiom meiner

Arbeit.

Friedemann Kootz: Das ist ja sozusagen

das Ziel des Masterings auf die Spurebene

heruntergehoben.

Hannes Bieger: Ja, wobei das beim Ma-

stering natürlich umso wichtiger wird, da

der Flaschenhals viel schmaler ist. Also

wo die Nebeneffekte deiner Eingriffe po-

tentiell viel größer und verheerender sein

können. Das Prinzip ist das Gleiche, aber

beim Mischen hat man das Glück mehr De-

tails im Griff zu haben. Dennoch gibt es

dabei natürlich auch Artefakte die entste-

hen können. Oft ist es so, dass die kaput-

testen Digitalsignale, also die bei denen

man am meisten machen müsste, am we-

nigsten Bearbeitung vertragen, bevor al-

les auseinander fällt. Wenn man also mit

sehr hoher Signalqualität einsteigt, muss

man nicht viel machen, sondern läuft eher

Gefahr diese Qualität zu verwässern. Und

wenn man mit ganz niedriger Signalquali-

tät arbeiten muss, sind einem auch wieder

die Hände gebunden und man muss des-

halb möglichst besonders wenig machen.

In dem Mittelfeld dazwischen ist mehr

Spielraum in alle Richtungen. Aber ich bin

ein großer Freund hochwertiger, kurzer Si-

gnalwege und ein Teil meiner Mixarbeit be-

steht darin Plug-In-Ketten in Kundenpro-

jekten zu verkürzen. Mein krassestes Bei-

spiel war einmal, dass ich auf einer Drum-

Subgruppe 15 oder 16 Plug-Ins entfernt

habe und am Schluss ist noch ein Low-Cut

übrig geblieben, den ich selber drauf ge-

macht habe. Das war das Letzte was drauf

blieb, aber auch genau das war, was die

Spur brauchte. Man braucht die Sicher-

heit zu wissen, wo man eigentlich hin will.

Und das ist im Kern auch genau das, wo-

rüber wir jetzt schon aus verschiedenen

Blickwinkeln gesprochen haben. Viele Be-

arbeitungen entstehen aus einer Unsi-

cherheit und irgendwann verliert man den

Überblick. Man hat einen EQ drauf ge-

macht, dann findet man es zu dumpf und

macht einen anderen EQ drauf. Mischen

ist für mich wie die Arbeit eines Restaura-

tors, der ein Deckenfresko wieder herstellt,

wo es total darum geht auf Details zu ach-

ten. Oder wie ein Arzt, der den hippokra-

tischen Eid geschworen hat - ‚do no harm‘.

Das ist für mich die oberste Pflicht. Egal

ob man bei einem echten Menschen eine

Herztransplantation macht oder das Glei-

che im übertragenen Sinne bei einer Mu-

sikproduktion. Es gibt bei den modernen

Tools ein so immenses Potential Signale

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62 | 63 Studio Magazin 01/17

inter view

kaputt zu bearbeiten, und vor allem sie oh-

ne es zu merken kaputt zu machen. Erst-

mal sollte man gucken, dass man, wenn

man als Produzent oder Koproduzent die

Möglichkeit dazu hat, die Grundintegri-

tät in den Signalen erzeugt und dann auch

im weiteren Verlauf auf Händen durch den

gesamten Prozess trägt. Ich lege wirklich

großen Wert darauf die mir anvertrauten

Signale nicht mutwillig zu verwässern oder

schlechter zu machen.

Friedemann Kootz: Auch mit der Auswahl

der Technik?

Hannes Bieger: Das hat natürlich ganz

viel mit den Arbeitsprozessen, aber auch

mit den versteckten Details im Studio zu

tun. Wie zum Beispiel Stromversorgung,

Taktverteilung, oder welche Wandler man

nimmt. Diese vermeintlich ‚unsexy‘ klin-

genden Themen. Und natürlich auch mit

den Geräten die man nimmt. Meine Ana-

loghardware hat im Kern eine große Ge-

meinsamkeit und das ist mit wenigen Aus-

nahmen die Eigenschaft den Ton an sich

besser zu machen. Man kennt das ja, ein

neues Gerät kommt raus und man möch-

te es unbedingt haben und lässt sich ein

Testgerät kommen. Optisch und haptisch

hat man es schon längst gekauft, aber je

länger man daran rumschraubt merkt man,

dass es einem überhaupt nichts bringt.

Und der Prozess sich von der Vorstellung

zu trennen, dass das Gerät ja jetzt schon

im Studio ist und da eigentlich auch blei-

ben sollte, ist schwierig. Man muss da ehr-

lich zu sich sein. Oftmals ist es für mich

nur eine Sache von Minuten oder Sekun-

den in denen ich weiß, ob ein Gerät et-

was für mich ist oder nicht. Und je länger

ich dafür brauche mit einem Gerät warm

zu werden, desto größer ist die Wahr-

scheinlichkeit, dass es mir am Ende nichts

bringt.

Friedemann Kootz: Ich kann das objektiv

bestätigen, denn ich erinnere mich noch

an deine Racks, als wir uns vor 15 Jahren

kennenlernten. Und vieles ist noch an dem

Ort, wo ich es damals zum ersten Mal ge-

sehen habe. Einiges davon würdest du

wahrscheinlich niemals hergeben.

Hannes Bieger: Auf jeden Fall! Aber es

sind auch Sachen dabei, die ich doch ir-

gendwann verkauft habe. Ich musste bei-

spielsweise letztes Jahr 37 werden um mir

endlich einzugestehen, dass ich den Ne-

ve-Sound einfach nicht mag. Ich bin ein

Pultec- und API-Typ und definitiv kein Ne-

ve-Typ. Das einzige Neve-artige Teil, das

ich hier noch habe, ist ein Chandler LTD2

Kompressor, den ich nach wie vor mag und

definitiv nicht verkaufen werde. Ich hatte

zum Beispiel einen Brent Averill 1084 Vor-

verstärker mit EQ. Und natürlich ist das am

Anfang geil mit dem EQ Bässe und Höhen

rein zu drehen oder diese Mitten, in de-

nen unglaublich viel passiert. Aber ich fin-

de, dass der Neve-EQ auch in der Time-

Domain komische Sachen macht. Das Si-

gnal wird ‚zickiger‘ und unruhiger und das

kann ich überhaupt nicht gebrauchen. So

viel von meiner Arbeit zielt darauf ab zi-

ckige Signale zu beruhigen, fetter und wär-

mer klingen zu lassen. Equipment welches

mir dabei nicht hilft, hat einen sehr schwe-

ren Stand. Der 1084 war eine Zeit lang

mein Standard-EQ für Lead-Vocals und ich

habe ihn irgendwann gegen meinen Man-

ley-Pultec ausgetauscht. Ich habe wirk-

lich viel Erfahrung mit jeglichen Arten von

Pultec-Equalizern - man könnte mir zwei

originale EQP-1A hinstellen und ich würde

für diese Aufgabe trotzdem auf den Man-

ley zurückgreifen wollen. Was der mit den

Vocals macht ist einfach nicht austausch-

bar. Das sind so Sachen, bei denen sich

der Geschmack über die Zeit auch entwi-

ckelt. Einen Grundstock meiner Ausstat-

tung habe ich schon sehr lange. Den habe

ich vielleicht mit mehr Intuition als Wissen

gekauft und deshalb viele gute Entschei-

dungen sehr früh getroffen. Ich möchte Ge-

räte, die mir helfen den Klang zu verbes-

sern. Sie müssen irgendwas an am Sound

richtig gut machen.

Friedemann Kootz: Sonst bräuchtest du

ja auch nicht mehr aus dem Wandler raus

und könntest es ganz im Computer lassen.

Hannes Bieger: Absolut. Und das was im

Computer passiert wird ja auch immer bes-

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ser. Ich bin ganz froh mit Nuendo als DAW,

weil es eine hohe Stabilität hat, was das

Klangbild an sich angeht. Es ist sehr sach-

lich und sehr direkt. Da passiert wenig

was man nicht haben will. Es gibt über-

haupt keine Probleme mit dem Latenzaus-

gleich, der meiner Meinung nach für viele

klangliche Probleme von Logic verantwort-

lich ist. Wenn man in Nuendo ein Plug-

In lädt oder einen Send aktiviert, dann

stoppt immer einmal ganz kurz die Wie-

dergabe, die Buffer werden neu kalku-

liert und es startet perfekt neu synchroni-

siert ein. Bei Logic oder Live werden die

Sachen ‚on the fly‘ rein geschummelt. Das

ist für ein Programm wie Live auch sinn-

voll, aber bei einer DAW ist es total wich-

tig, dass sie macht was sie soll und nicht

macht was sie nicht soll.

Friedemann Kootz: Das ist ein interes-

santer Punkt, war er doch die Revolution

für viele Toningenieure, als die digitalen

Aufnahmesysteme aufkamen und ihnen

ermöglichten vom Recorder das zurück zu

bekommen was sie auch drauf getan hat-

ten und sich nicht dem Klangdiktat der

Maschine unterwerfen zu müssen. Und

trotzdem ist ein Tape eben ein Tape.

Hannes Bieger: Es ist auch nach wie vor

so, dass es nichts gibt, was die Musik

so zusammen bringt wie Tape. Man hört

die Musik als Ganzes und nicht mehr die

Summe seiner Einzelteile. Ich schätze

das sehr, aber in dem modernen Kontext

in dem ich arbeite macht es Sachen auch

oft zu weich und nimmt ihnen die Attacke

und die Schärfe, die Transienten; das was

die Leute heute gewohnt sind und was sie

den ganzen Tag um die Ohren bekommen.

Das kommt vom Band oftmals nicht in der

Form zurück. Ich setze die Bandmaschi-

ne immer noch gerne ein, aber das be-

schränkt sich dann auf Jazz-, Rock- oder

Folk-Produktionen. Im Bereich Club-Mu-

sik spielt Tape für mich keine Rolle mehr.

Die Anlagen im Club sind heute oftmals so

eingestellt, dass sie scharfes, dünnes Ma-

terial andicken. Wenn man dann warmes,

weiches Material hat, dann geht das total

baden. Das heißt man muss auch manch-

mal mit dem Strom mit schwimmen. Die

Kunst ist, die Sachen so zu machen, dass

sie mit diesem Transienten-Energielevel

mithalten können und trotzdem eine ge-

wisse Dicke haben.

Friedemann Kootz: Können dir das Plug-

Ins auch bieten?

Hannes Bieger: Die Plug-Ins sind zum Teil

richtig gut geworden. Zum Beispiel die

letzten Sachen, die auf der UAD raus ge-

kommen sind. Klar, ich liebe meinen Vin-

tage 1176 Revision F über alles, und an

dieses Weiche, das er mir bieten kann,

kommen die Plug-Ins auch nicht ran. Aber

das ist beim LA-2A zum Beispiel anders.

Da habe ich Blindvergleiche mit meinem

Gerät gemacht und fand das Plug-In bei

bestimmten Basslines besser. Das zeigt

mir, dass die Plug-Ins generell auf ein Le-

vel kommen, wo man heutzutage eigent-

lich nichts mehr vermissen muss. Und es

ist zum Beispiel die Frage, ob ich meine

eigenen, neuen Produktionen überhaupt

über das Pult oder in der DAW mische. Die

ist für mich noch nicht endgültig beant-

wortet. Ich tendiere aber dazu es wieder

so zu machen wie früher, also mit einem

guten Frontend, gute Signale in den Com-

puter spielen und dann klar fokussiert

und minimalistisch in der DAW nach Hau-

se bringen. Das ist für meine Arbeitswei-

se, mit den analogen Instrumenten und

den Preamps mit denen ich Sound mitge-

ben kann, wahrscheinlich der Weg.

Friedemann Kootz: Du achtest sehr auf al-

le Details. Könntest du Teile davon abge-

ben?

Hannes Bieger: Viele Engineers arbei-

ten mit einem Assistenten. Und ich habe

auch wahnsinnig viele Anfragen für die-

se Stelle, konnte mich aber aus verschie-

denen Gründen noch nicht dazu durchrin-

gen. Obwohl es einige Gründe gibt die da-

für sprechen, dass das auch für mich sinn-

voll ist. Aber ein Grund spricht eben sehr

dagegen. Ich habe neulich mal in einer

Kochsendung die Aussage gehört, wenn

man sich zu fein für die einfachen Grund-

arbeiten ist, dann ist man es auch nicht

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wert die tollen Gerichte zu zaubern. Und

ich verwende sehr viel Zeit auf das soge-

nannte Session-Prepping, also die Vorbe-

reitung, über die andere Leute oftmals viel

schneller drüber hinweg gehen um sich

den eigentlichen Mix zuzuwenden. Für

mich ist das Prepping eigentlich schon fast

der halbe Mix. Angefangen mit Resonanz-

filterung, Drumtuning, Arrangement, Fader,

Balancing, Leveling… Es ist oft so, dass

ich danach, wenn noch kein Kompressor

oder Effekt im Spiel ist oder kein EQ ange-

fasst wurde, an einem Punkt bin, an dem

ich das Geld für die Mischung eigentlich

schon annehmen könnte. Natürlich geht

dann noch mehr und ich versuche auch

immer alles zu geben. Aber es zeigt, wie

weit man in der DAW schon kommt. Nur

mit diesen minimalen Eingriffen, die an-

dere Leute als Vorbereitung ansehen, die

auch der Assistent machen kann. Ich habe

Schwierigkeiten diesen Arbeitsschritt ab-

zugeben, weil er einfach so viel Erfahrung

erfordert. Wo man das Filter setzt und ob

man überhaupt eins setzen muss, wo man

eine Resonanz entfernt und ob es noch ei-

ne zweite gibt. Oder das schon angespro-

chene Drum-Tuning. Eine Bassdrum die ei-

nen Viertelton schief liegt versaut einem

den ganzen Mix, vom Keller bis ins Dach.

Und was das für den Groove macht, wenn

die Drums richtig gestimmt sind. Das sind

alles Sachen die manchmal sogar länger

dauern als das, was man Mischen nennen

würde.

Friedemann Kootz: Denkst du, dass die

Endformate für den Hörer all die Mühe

übertragen können?

Hannes Bieger: Ich muss da einen Schritt

zurückgehen. Bevor ich den Lavry Gold

hatte, wusste ich genau, dass das was

ich an den Kunden rausgebe weniger ist

als das, was ich hier höre. Ich hatte Apo-

gee Wandler und dann Lavry Blue, aber

der Schritt zum Gold war nochmal ein gro-

ßer Augenöffner für mich. Ich bin da auch

ganz bei Dan Lavrys Konzept, dass der fi-

nale A/D-Wandler auch die Clock erzeu-

gen sollte. Externe Clocks bringen mir

überhaupt nichts. Die Lavry-Clock ist su-

per und hat das gesamte Klangbild mei-

ner anderen Wandler verbessert. Ich ha-

be seit ich mit dem Lavry Gold arbeite die-

ses Problem nicht mehr und verspüre kei-

ne starke Diskrepanz mehr zwischen dem

was ich hier höre und dem was ich als fer-

tigen Mix raus gebe. Aber das ist nur der

erste Schritt zur Antwort auf deine Frage.

Der zweite ist, dass ich schon immer der

Ansicht war, dass sich guter Sound überall

hin übersetzt. Natürlich kann MP3 einiges

zerstören. Aber eine Produktion die in sich

stimmig, emotional stringent und eine run-

de Sache ist, bleibt auch als MP3 eine run-

de Sache. Ich mag mir darüber auch nicht

so große Sorgen machen, denn ich ha-

be es ja nicht mehr in der Hand, nachdem

ich hier den Mixdown mache. Alles was ich

tun kann ist das was ich hier raus gebe so

gut wie möglich zu machen.