Fahrerassistenz der Zukunft Fahren Oder Gefahren Werden?

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FAHRERASSISTENZ DER ZUKUNFT FAHREN ODER GEFAHREN WERDEN? Das Auto hat sich in den letzten 125 Jahren in einem Maß verändert, dass man schon beinahe nicht mehr vom selben Produkt reden kann. Wie auch immer das Auto der Zukunft aussieht, es wird sich weiter verändern. Irgendwann wird es dann vielleicht auch seinem Namen gerecht werden: Das „Auto-Mobil“ wird selbst fahren, glauben Martin Haub und Joachim Mathes von Valeo. 125 JAHRE AUTOMOBIL 72

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Fahrerassistenz der zukunFt Fahren oder geFahren werden?Das Auto hat sich in den letzten 125 Jahren in einem Maß verändert, dass man schon beinahe

nicht mehr vom selben Produkt reden kann. Wie auch immer das Auto der Zukunft aussieht, es wird

sich weiter verändern. Irgendwann wird es dann vielleicht auch seinem Namen gerecht werden:

Das „Auto-Mobil“ wird selbst fahren, glauben Martin Haub und Joachim Mathes von Valeo.

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mehr Sicherheit, weniger StreSS

In den zurückliegenden beiden Jahrzehnten sind bereits viele Funktionen eingeführt worden, die den Fahrer in kritischen Situa­tionen unterstützen. Der Ausgangspunkt waren Systeme, die schwere Unfälle verhin­dern können wie das Antiblockiersystem ABS oder der Schleuderschutz ESP, der bald zum Serienumfang aller neuen Fahrzeuge gehören wird. Die Autofahrer schätzen aber auch Funktionen, die sie in harmloseren alltäglichen Situationen entlasten. Da jede Fahrt mit einem Parkvorgang endet und dies, wie erst unlängst durch eine Studie in den USA nachgewiesen wurde, eine deut­liche Stressbelastung des Fahrers mit sich bringt, werden Parkhilfesysteme inzwischen weltweit in Millionenauflage verkauft.

Wo aber geht die Reise hin? Werden wir bald auf Knopfdruck vollautomatisch an unser Ziel chauffiert? Trifft das überhaupt die Wünsche des Marktes?

marktentwicklung

Valeo führt seit Jahren systematisch Kun­denbefragungen und Marktstudien durch. Dabei ist der Trend zu beobachten, dass die Fahrer mehr und mehr bereit sind, Teile der Fahraufgabe zu delegieren. Allerdings wol­len die Kunden auch den Fahrspaß genie­ßen, der sich aus dem Gefühl ergibt, das Fahrzeug unter Kontrolle zu haben. Ein scheinbarer Widerspruch, an dessen Auflö­sung Valeo arbeitet. Der Fahrspaß endet in der Regel nämlich ganz schnell, wenn es sich um ermüdende Routinetätigkeiten han­delt oder wenn sich unerwartet eine Gefah­rensituation ergibt, in der blitzschnell die richtige Entscheidung getroffen werden muss. Beides, die Unterforderung wie auch die Überforderung, bergen zudem nach­weisbare Unfallrisiken.

Beim Blick in die Zukunft stimmen die Experten darin überein, dass es zu einer weiteren Zunahme des Individualverkehrs in den Ballungsräumen kommen wird. Insbesondere in den Schwellenländern, die in den nächsten Jahrzehnten wesent­lich zum Marktwachstum beitragen wer­den, entstehen weitere Megastädte. So werden nach Prognosen der WHO bis 2020 55 % der Weltbevölkerung in Groß­städten leben. Der Fahrspaß wird sich bei den zu erwartenden Fahrzeugdichten in Grenzen halten; dazu kommt häufig eine

unzureichende Infrastruktur, sodass es auf den Straßen und Parkplätzen eng zu wer­den droht.

Hier liegt die Chance für die Assistenz­systeme. Im ersten Schritt bleibt es ein Kernbedürfnis des Fahrers, den Überblick zu behalten. Kamerasysteme, die eine lückenlose Rundumsicht des unmittelbaren Fahrzeugumfeldes ermöglichen, wie sie von Volkswagen im neuen Touareg ange­boten werden, helfen ihm dabei. Dazu kommt, dass intelligente Algorithmen aus den Kamerabildern auch Informationen über das Umfeld gewinnen werden, die zukünftig die Aufmerksamkeit des Fahrers auf kritische Bereiche lenken können, oder die in Verbindung mit anderen Sensordaten sogar dafür sorgen, dass der Fahrer eine aktive Unterstützung erfährt.

automatiSierung von FahrauFgaben

So ist das „Park4U“­System, wie wir das halbautomatische Einparken nennen, eine Erfolgsgeschichte. Seit 2007 am Markt, wird es inzwischen von Herstellern in Europa, USA und Asien angeboten; allein Valeo beliefert aktuell sieben Marken mit 25 Fahr­zeugen. In der zweiten Generation, die inzwischen auch Querparklücken beherrscht, wurde die erforderliche Lücken­länge so weit reduziert, dass die Kunden mittlerweile auch den Ausparkassistenten zu schätzen wissen. Nicht sehr bekannt, aber in einem Moment der Unaufmerksam­keit möglicherweise entscheidend, warnen neue Systeme den Fahrer durch einen hapti­schen Bremsruck vor einer drohenden Kolli­sion während des automatischen Parkvor­gangs. Sie bringen unter günstigen Bedin­gungen das Fahrzeug ohne Zutun des Fahrers rechtzeitig zum Stillstand.

In diesem Sinn ergibt sich eine Kaskade, die wir in der Zukunft in vielen Bereichen der Fahrerassistenz sehen werden, 1.

Zunächst ist der Fahrer alleine und voll­ständig für die Führung des Fahrzeugs verantwortlich. Dazu braucht er einen Überblick, den ihm Kameras, aber auch intelligente Lichtsysteme selbst unter erschwerten Bedingungen liefern. Eine wichtige Herausforderung für die Ent­wicklung derartiger Systeme liegt auch darin, die Mensch­Maschine­Schnittstelle so intuitiv auszulegen, dass der Sicher­heitsgewinn nicht durch eine übermäßige Ablenkung des Fahrers kompensiert wird.

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Übersteigt die Menge der Informationen seine augenblickliche Aufnahmebereitschaft oder wendet er seine Aufmerksamkeit ande­ren Tätigkeiten zu und übersieht eine sich anbahnende Gefahr, wird er gezielt darauf hingewiesen. Dies wird im Regelfall ausrei­chen, um Schlimmeres zu verhindern. Auch hier spielt die Ergonomie eine wichtige Rolle; wird der Fahrer unangemessen oft gewarnt, besteht das Risiko, dass er das System abschaltet und damit in einer ent­scheidenden Situation keine Hilfe erfährt.

Ist der Fahrer selbst nicht mehr in der Lage, angemessen zu reagieren, wird ein elektronisches Sicherheitsnetz gespannt. Nur wenige Fahrer wissen wirklich, was bei einem ESP­Eingriff geschieht, mancher ist sehr überrascht zu erfahren, dass sein Auto ganz unabhängig einzelne Räder bremsen kann. Das kann auch ein noch so guter Autofahrer nicht.

techniSche entwicklungen

Die modellübergreifende Einführung von ESP als Serienausstattung bei Mercedes in den 90er­Jahren ermöglicht heute eine statistisch belastbare Aussage zur Wirk­samkeit dieses Assistenzsystems. Laut Dekra kann die Anzahl der folgenschweren Unfälle um 30 bis 40 % verringert werden. Dennoch sind weltweit gesehen noch nicht einmal die Hälfte der Neuwagen damit ausgerüstet, 2010 waren es weltweit 41 %. Ein Beispiel dafür, dass für Sicherheits­funktionen letztlich eine gesetzliche Rege­lung erforderlich ist, um alle technisch möglichen Verbes serungen auch flächen­deckend in den Markt zu bringen. Für ESP wird dies in Europa und USA nun sukzes­

sive verbindlich; andere Systeme werden folgen, denkt man beispielsweise an Spur­warner und Notbremssysteme für Last­kraftwagen.

Durch die Einführung solcher Systeme hat die Automobilindustrie aber auch bewiesen, dass komplexe elektronische Systeme mit einem großen Anteil an Soft­ware den Anforderungen an Zuverlässig­keit und Robustheit genügen können, wie sie an solche Sicherheitsfunktionen gestellt werden müssen. Mehr noch, durch die flä­chendeckende Einführung von ESP werden diese Strukturen ein fester Bestandteil der Autos von morgen sein.

Verbindet man diese Tatsache mit dem Siegeszug der Umfeldsensorik, lassen sich nochmals drei wichtige Trends ableiten.

Die Leistungsfähigkeit der Sensoren und die Vernetzung der Fahrzeugsysteme erlauben es, mehrere Kundenfunktionen mit einem Sensor oder Subsystem abzu­decken. Ein Paradebeispiel ist hier die Frontkamera, 2, die meist als Sensor für ein Spurhalte­ oder ­warnsystem einge­führt wurde, aber die inzwischen die situa tionsgerechte Ausleuchtung des Sicht feldes ermöglicht, den Fahrer durch die Erkennung von Verkehrszeichen vor einer möglichen Geschwindigkeitsüber­schreitung warnt und in Verbindung mit anderen Sensoren auch die Kollisionsver­meidung unterstützt. Weniger bekannt ist, dass Radarsensoren, die den toten Winkel überwachen, beim Ausparken den Fahrer vor Querverkehr warnen (Cross Traffic Alert). Diese Funktion ist bereits in Serie, weitere folgen in den nächsten Jahren. Damit bekommt der Autofahrer einen grö­ßeren Mehrwert für das eingesetzte Kapi­tal. Selbst unter Berücksichtigung der erforderlichen Softwarekosten sinkt damit der Preis pro Funktion deutlich.

Autofahrer werden die angebotene Unterstützung gerne annehmen, aber sie werden auch das enthaltene Sicherheits­netz auf die Probe stellen. Die Anforderun­gen an die Zuverlässigkeit der Systeme wie

2 Multifunktionale Frontkameras, ursprünglich zur Spurhaltung eingesetzt, ermöglichen mittlerweile ein vollvariables Fernlicht

1 Fahrerassistenz-systeme erfüllen, wenn sie richtig ausgelegt werden, Bedürfnisse des Fahrers

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auch der Komponenten wird daher weiter steigen. Valeo arbeitet aus diesem Grund beispielsweise an einer neuen Generation der Ultraschallsensoren. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die zunehmende Verlage­rung von Intelligenz in die Komponenten im Sinne einer verteilten Architektur, 3. Die Sensorik der Zukunft muss also mög­lichst eigensicher sein und ihre Signale mit einer Vertrauensbasis belegen. Damit nicht ein schwaches Glied die Sicherheit gefähr­det, muss die gesamte Signal­ und Wirk­kette konsequent und systematisch unter den Gesichtspunkten der funktionalen Sicherheit konzipiert werden.

Das führt zum dritten wichtigen Trend: Die Marktdurchdringung, insbesondere relativ kostengünstiger ultraschall­ und kamerabasierter Fahrerassistenzsysteme, erhöht die Wahrscheinlichkeit, im selben Fahrzeug sowohl die eine als auch die andere Sensorik vorzufinden. Da die bei­den Technologien weitgehend komplemen­tär sind, gehört die Zukunft der Sensorda­tenfusion. Damit lassen sich beispielsweise die oben angesprochenen Anforderungen

an die Robustheit sicherheitsrelevanter Sys­teme durch eine geschickte Verknüpfung und Plausibilisierung zweier sich ideal ergänzender Signale erfüllen. Eine weitere wichtige Informationsquelle erschließt sich

durch die Nutzung der ESP­Sensorik für die Fahrzeugodometrie sowie zukünftig vermehrt auch durch Telematiksysteme, die Informationen über das weitere Umfeld vermitteln.

3 20 Jahre und fünf Produktgenerationen trennen den Ultraschallsensor von 1991 (links) und 2011 (rechts)

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rahmenbedingungen

Das Endkundeninteresse und die demo­grafische Entwicklung verheißen der Fah­rerassistenz eine interessante Zukunft. Spannend wird sicher werden, wie die zunehmende Delegation kritischer Ent­scheidungen an derartige Systeme durch die Gesetzgebung bewertet werden wird. Im Wiener Weltabkommen, einer UN­Konvention, ist verbindlich geregelt, dass der Fahrer „dauernd und unter allen Umständen“ sein Fahrzeug beherrschen können muss. Technisch wären heute viele Funktionen, von denen die Autofah­rer träumen, bereits greifbar nahe.

Gleichzeitig ist die Automobilwelt global wie nie zuvor. Fahrerassistenzsys­teme der Zukunft müssen nicht nur in Berlin oder Paris ihre Zuverlässigkeit unter Beweis stellen, sondern auch in Kairo, in São Paulo oder Mumbai. Sie müssen chinesische Parkmarkierungen ebenso erkennen wie arabische Verkehrs­zeichen, Fußgänger in Stammestracht ebenso wie Fahrradrikschas. Die daraus erwachsenden Anforderungen an Ent­wicklung und Validierung aller Hard­ und Softwarekomponenten sowie der mögli­

chen Kombinationen werden gewaltige Herausforderungen sein.

Durch die konsequente Weiterentwick­lung von Entwicklungsprozessen, den Sie­geszug von Simulation und Hardware­in­the­Loop­Testverfahren auch für Umfeld­erkennungssysteme und nicht zuletzt durch intelligente Standardisierung und Variantenmanagement sind tragfähige Lösungen zu finden.

Der Individualverkehr der Zukunft wird dadurch noch sicherer, umweltfreundli­cher und bequemer werden. Das ist ohne Zweifel auch notwendig. Bereits heute fordert der Straßenverkehr 90 % seiner Opfer in Schwellenländern. Während in den westlichen Industrienationen die Zahl der Verkehrstoten beständig sinkt, steigt sie dort hingegen dramatisch an. In West­europa oder auch Japan ergeben sich durch die erwartete Vergreisung der Gesellschaft jedoch weitere Herausfor­derungen an die Fahrerassistenz.

Die zunehmende Elektrifizierung des Antriebsstrangs bietet weiteres Einspar­potenzial, das sich durch eine antizi­pative Steuerung des Energieflusses ab hängig von der Verkehrssituation erschließen lässt. Verbrauchseinspa­

rungen von 6 bis 7 % erscheinen realis­tisch. Für den Überlandverkehr wird im EU­Projekt Sartre aktuell ein automati­sches Kolonnenfahren erprobt. Erwartete Einsparung hier: 20 %. In beiden Fällen ist ein vernetztes Fahrzeug mit Sensordaten­fusion die Voraussetzung.

Fazit

Ein wichtiges Ziel für die aktuelle Dekade ist die aktive Unfallvermeidung. Sowohl Mercedes als auch Volvo kommunizieren ihre Vision vom unfallfreien Fahren. Volvo spricht an dieser Stelle konkret von zehn Jahren. In diesem Zeitraum scheint auch ein temporärer Autopilot, wie unlängst von Volkswagen propagiert, realistisch. Das wirklich autonome Fahren wird auf­grund der Anforderungen an die Infra­struktur wohl darüber hinaus noch wei­tere zehn Jahre auf sich warten lassen.

Das Autofahren wird auch in Zukunft noch Spaß machen, aber vielleicht auf andere Weise als heute. Der Fahrer wird Routineaufgaben delegieren können und hat ansonsten die Gewissheit, dass ein elektronischer Schutzengel mitfährt, der unauffällig im Hintergrund wirkt.

autoren

martin haub (linkS) und Joachim matheS (rechtS)sind Topmanager bei Valeo.

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Vorläufige Werte: Kraftstoffverbrauch kombiniert 1,6 l/100 km, CO2-Emission kombiniert 40 g/km (gemäß 2007/715/EG).

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