Fairplay Sport Regeln Geld Erfolgsdruck
Transcript of Fairplay Sport Regeln Geld Erfolgsdruck
SPORT
1
W E R T E I M S P O R T
Fairplay verkommt zum Wort zumSonntagFür Fairplay werden allerhand Preise verliehen. Doch inder Realität gewinnt Cleverness gegen Fairness. Geld undErfolgsdruck verändern den Sport. Und nicht nur den.VON Friedhard Teuffel | 29. Dezember 2013 - 20:23 Uhr
© Ivan Milutinovic, dpa
Die Handballerin Anna Loerper im Spiel gegen Australien
Der Ball springt auf sie zu, das Tor ist leer. Ein Geschenk, das man annehmen muss,
denn darum geht es doch im Handball, Tore zu erzielen. Aber die Torfrau liegt vor ihr am
Boden, gerade von einem Ball im Gesicht getroffen. Ein Tor ohne Gegnerin zählt genauso
viel – ist es auch genauso viel wert?
Wiebke Kethorn täuscht einen Wurf an, so wie es üblich ist im Handball. Dann lässt sie
den Arm sinken. Sie unterbricht das Spiel, dieses Tor will sie nicht. Am Ende fehlt ihrer
Mannschaft des VfL Oldenburg ein Treffer zum Sieg. Am Ende der Bundesliga-Saison ein
Punkt zum Erreichen der Play-offs.
Schon in der Halbzeitpause prasseln die Fragen der Mitspielerinnen auf Wiebke Kethorn
ein: Warum? Warum hat sie sich verweigert? Warum nicht dieses Tor gemacht, das doch
so wichtig sein könnte, nicht nur für sie, für den ganzen Verein? "War halt so", brummt sie
zurück, bevor wieder alle aufs Feld müssen.
Nach dem Abpfiff kommen ihre Mitspielerinnen wieder auf sie zu. Diesmal, um sich zu
entschuldigen. Sie haben noch eine Halbzeit gebraucht, bis ihnen bewusst wurde, was
Wiebke Kethorn gelungen war. Etwas Seltenes. Ein Sieg des Sportgeists.
SPORT
2
Über Fairplay ist auch in diesem Jahr viel diskutiert worden. Vor allem über das, was
davon im Profisport übrig geblieben ist. Stefan Kießling, Stürmer von Bayer Leverkusen,
musste sich als Verräter am Fairplay beschimpfen lassen, weil er den Ball neben das Tor
geköpft hatte und trotzdem danach den Treffer annahm. Der Ball war durch ein Loch im
Tornetz gerutscht. Vielleicht hat Kießling wirklich an seinen Treffer geglaubt.
Der Geist des Sports scheint kein Stürmer zu sein, eher ein Abwehrspieler, Fairplay ist
in die Defensive geraten, allenfalls bereit dazu, Schlimmeres zu verhindern. Der Ruf des
Sports hat ziemlich gelitten, gerade im Fußball, wo die Spieler bei jedem Ball, der ins
Aus fliegt, sicherheitshalber die Hände in die Luft reißen, um den nächsten Einwurf zu
bekommen. Und im Fußball gilt es als fast normal, den Gegner mal aus taktischen Gründen
von den Beinen zu holen. Oder bei kleineren Fouls mit schmerzverzerrtem Gesicht über
den Rasen zu rollen. Eine Examensarbeit hat vor einigen Jahren die Fußball-Bundesliga
nach fairen Szenen durchsucht. Gefunden wurden sie vor allem bei Mannschaften, die
entweder hoch in Führung lagen oder schon abgestiegen waren. So wirkt Fairness mal als
Luxusartikel, mal als Nebenwirkung von Leistungsschwäche.
Um zu zeigen, dass es noch Fairplay gibt, werden inzwischen allerhand Preise verliehen.
Auch aus Sehnsucht nach Vorbildern. Wiebke Kethorn hat einen bekommen, vergeben
unter anderem vom Bundesinnenministerium. Vier Jahre ist das nun her, aber ihr kommt es
manchmal vor, als klebte die Auszeichnung noch sichtbar an ihr. Erst kürzlich hat die 28
Jahre alte Nationalspielerin wieder einen Spruch zu hören bekommen, als sie es bei einem
Spiel ganz genau nahm und einen Treffer nicht haben wollte. Jetzt sei nicht wieder so nett,
hat eine zu ihr gesagt und: Ach, du mit deinem Fairplay.
Fairplay geht ihr manchmal auf die Nerven, sagt Wiebke Kethorn in einem Lokal in
Oldenburg, die Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, vor ihr eine Schale
mit grünem Wackelpudding. "Nach dem Spiel damals war mir das eher peinlich." Die
Journalisten blaffte sie an: "Fragt mich nicht mehr danach!" Zur Preisträgerin wurde sie
auch, weil es ihr selbstverständlich vorkam, den Ball nicht zu werfen.
So furchtbar viel an Fairplay sei in der Regel ja auch im Handball nicht immer vorhanden.
Da werde gekniffen, gekratzt, geschubst. Sie könne fünf, sechs Spielerinnen aufzählen, die
Verletzungen ihrer Gegnerinnen bewusst in Kauf nähmen. Da hört es auf. "Manche können
es nicht anders, sonst wären sie gar nicht in die Bundesliga gekommen." Mit unfairem
Verhalten komme man eben leichter ans Ziel.
Hat sich Fairplay für sie schon mal gelohnt? Wiebke Kethorn zieht die Nase kraus:
"Schwierige Frage. Vielleicht in der Situation damals, weil ich dadurch mal ins
Rampenlicht gekommen bin. Aber sonst? Nee, irgendwie nicht." Dennoch hoffe sie, dass
sie beim nächsten Mal wieder genauso handeln würde.
Auf seinem langen Weg durch die Sportgeschichte ist Fairplay etwas müde geworden.
Ursprünglich stammt es aus England, wo im 19. Jahrhundert auch viele Sportarten geboren
SPORT
3
wurden. Für die höheren Schichten war Sport nicht nur Spiel, er war eine Haltung. "Fair ist,
wenn man über die Regeln hinaus dem Gegner eine Chance gibt, sein Spiel zu machen",
sagt der Sportphilosoph Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin. "Erst durch
diese Haltung wird das Spiel richtig schön. Dann kann man auch als Verlierer erhobenen
Hauptes vom Platz gehen." Sei hart zu dir selbst, aber liebe den Gegner, lautete der Auftrag
Pierre de Coubertins, des Erfinders der neuzeitlichen Olympischen Spiele. Inspiriert hatte
Coubertin dabei der englische Sport.
Geld und Erfolgsdruck haben einiges verändert im Sport. "Es ist eine Abwägungssache
geworden, ob man die Regeln befolgt oder nicht", sagt Gebauer. Nützt es mir und der
Mannschaft mehr, wenn ich den Gegner per Foul stoppe, selbst wenn ich dafür die Gelbe
Karte sehe? Das sei wie mit dem Parken in der zweiten Reihe. Man zahle lieber eine Strafe
und freut sich dafür, dass man toll geparkt hat. Oder wie mit den Banken, die ihre Kunden
falsch beraten und sich dafür mit einer Konventionalstrafe freikaufen. "Aber Fairplay
bedeutet, dass man besser handelt", sagt Gebauer.
Im Profisport hat der Erfolgsdruck etwas Existenzielles bekommen. Ein Tor kann über
Tausende von Euro entscheiden. Im Wettbewerb verliert die Fairness daher oft gegen die
Cleverness. "Der Sinn der Sportregeln hat sich total verändert. Was der Schiedsrichter nicht
gesehen hat, ist auch nicht geschehen. Der Spieler ist gar keine autonome Persönlichkeit
mehr, die an der Schönheit des Spiels interessiert ist", sagt Gebauer. Dazu falle ihm Thierry
Henry ein. Frankreich qualifizierte sich auch deshalb noch für die Fußball-WM 2010,
weil Stürmer Henry vor dem entscheidenden Tor den Ball mit der Hand mitgenommen
hatte. Zugegeben hat er das erst hinterher. Anders machte es der deutsche Nationalspieler
Miroslav Klose. Er hat schon zweimal auf dem Platz Entscheidungen des Schiedsrichters
korrigiert und wurde dafür gefeiert. Gebauer findet: "Ein fairer Akt ruft Zufriedenheit bis
Glück hervor."
Ihren Reflex, den Ball nicht zu werfen, hat sich Wiebke Kethorn später noch mal ins
Bewusstsein geholt. "Ich dachte, die Torhüterin sei verletzt." Im Jahr danach gab es
eine ähnliche Szene. Nur dass diesmal die Torfrau von Kethorns Mannschaft am Kopf
getroffen wurde. Der Ball sprang zur Angreiferin zurück, die ihn abgeworfen hatte. "Sie
hat ihn einfach reingemacht." Kethorn stellte sie zur Rede – und bekam als Antwort: Eurer
Torhüterin geht’s doch gut, stell dich nicht so an. Dass Kethorn auch anders kann, bewies
sie wenig später: "Ich habe gegen sie gedeckt, da hat sie von mir einen Schlag abbekommen
– weil ich das gemein fand", sagt sie, und lässt ihre Faust trotzig auf den Oberschenkel
fallen.
Die Gesetze des Fairplays gelten nicht nur im Spiel, sie lassen sich auch auf die Regeln
des Alltags übertragen. Wiebke Kethorn, die neben ihrer Handballkarriere als Architektin
arbeitet, denkt dabei an die vielen Tricks bei Ausschreibungen von Bauvorhaben, mit denen
Unternehmen den Zuschlag zugeschustert bekämen. Ein abgekartetes Spiel, manchmal
nicht mal illegal, aber eben immer unfair.
SPORT
4
"Man erwartet vom Sport ein besseres Persönlichkeitsmodell. Eher noch als von der
Politik und der Wirtschaft und immer weniger von der Kirche", sagt Gunter Gebauer.
In der Wirtschaft gratuliere der Unterlegene nicht dem Marktführer, sondern strenge im
schlimmsten Fall noch eine Klage gegen ihn an. Im Zehnkampf dagegen gehen alle Sportler
gemeinsam auf die Ehrenrunde durchs Stadion, aus Respekt vor der Leistung des anderen.
Das ist ein Ritual, genauso wie manche Sportart einen Ehrenkodex hat für faires Verhalten.
Im Tischtennis etwa gibt es die Sitte, den Punkt an den Gegner zu geben, wenn der Ball
auf der eigenen Hälfte die Tischkante doch noch berührt und der Schiedsrichter es nicht
gesehen hat – mit Einschränkungen. "Gegen Nordkorea bekommst du den Ball nicht
zurück."
Timo Boll, Deutschlands erfolgreichster Tischtennisspieler, hat seinem chinesischen
Gegner bei einer Weltmeisterschaft auch beim Matchball den Punkt gegeben. Der
Schiedsrichter hatte den Ball schon im Aus gesehen. Für Boll ist Fairplay Gefühlssache,
seitdem er mal einen Punkt mitgenommen habe, der ihm nicht zustand. Vergessen hat
er, wann und wo das war, aber es ist etwas hängen geblieben: "Ein schweres, unschönes
Gefühl. Das möchte ich einfach nicht mehr haben."
Das Spiel gegen den Chinesen verlor Boll, am Ende des Turniers bekam er aber noch einen
Fairplay-Preis. Solche Auszeichnungen sollen das Edle feiern und wirken manchmal doch
wie Trostpreise. Für die netten Sportler, die eben nicht gewinnen können. Nice guys finish
last, heißt es. Der türkische Fußballer Alpay Özalan hat auch einen solchen Preis erhalten,
weil er seinen kroatischen Gegenspieler bei der Fußball-EM 1996 laufen ließ, anstatt ihn
umzutreten. Der schoss das einzige Tor des Spiels.
Über den Preis, verliehen vom europäischen Fußball-Verband Uefa, hat sich Özalan nicht
gefreut. Er hätte lieber gewonnen. Gerade im Fußball wird von Trainern, Zuschauern,
Medien Härte gefordert, Aggressivität. Im Zweifel scheint der Sieg wichtiger zu sein als
der Sportsgeist, Fairplay wirkt da geradezu geschäftsschädigend. Der Preis zeigte Wirkung:
Özalan fiel fortan durch grobe Fouls auf, beteiligte sich an Rangeleien und löste einmal
durch einen Tritt eine Schlägerei mit Schweizer Nationalspielern aus.
Nicht hinter jedem Preis steht eine Heldentat. Eine "Verflachung der Fairplay-Preise", hat
der Sportpädagoge Norbert Müller beobachtet, seit 1990 sitzt er im internationalen Fair-
Play-Komitee. Das fange schon mit den Vorschlägen an. Es würden immer weniger und
immer weniger gute. Da werde aus China eine zweitplatzierte Turnerin nominiert, die doch
tatsächlich der Gewinnerin zum Sieg gratuliert habe. Welch große Geste.
Den deutschen Fairplay-Preis erhielten im Dezember ein russischer Kampfrichter und ein
Fotograf, die dem deutschen Kugelstoßer David Storl durch die nachträgliche Auswertung
eines Fotos zur Goldmedaille verhalfen. "Lächerlich", findet Müller das. "Das ist einfach
Gerechtigkeit, aber doch kein Fairplay." Inzwischen wird auch Toleranz und Anti-
SPORT
5
Rassismus in die Preise und Kampagnen hineingerührt. Fairplay verkommt zum sportlichen
Wort zum Sonntag.
Und ist es nicht auch schon eine Niederlage für den Sport, dass faires Verhalten überhaupt
mit Preisen belohnt werden muss, obwohl es doch eigentlich so normal sein sollte? Fairplay
macht jedenfalls den Unterschied aus zum einfachen Erfolgsstreben. Als sie ihren Preis
erhielt, kam sich Wiebke Kethorn vor wie ein Star. "Es gibt sicher auch Leute, die das
gerne gemacht hätten wie ich und finden es schade, dass sie nicht so handeln." Auch
deshalb habe sie viel Bewunderung gespürt. Um Fairplay wieder wettbewerbsfähig zu
machen, müsste man das Verhältnis zum Sieg und zum Gegner zurechtrücken, findet
Gunter Gebauer: "Die Lust am Gewinnen muss eine schöne Lust sein, keine gemeine Lust,
und die Fähigkeit zu verlieren ist nur scheinbar pessimistisch, denn aus Niederlagen kann
man Stärke ziehen. Das ist im Sport sehr viel sinnlicher und direkter zu erleben als überall
sonst."
Im Sport lasse sich eine faire Haltung am besten einüben, sagt Gebauer, und Wiebke
Kethorn will ihre Überzeugung vom guten Spiel auch weitergeben, als Jugendtrainerin
beim VfL Oldenburg. "Wenn meine Spielerin vier Schritte macht und ein Tor wirft, obwohl
nur drei erlaubt sind, kriegt sie einen auf den Deckel. So laut, dass die Schiedsrichterin es
hört." Aber schon in ihrer Familie habe sie sich über Fairness gestritten. Ihr Bruder spiele
Fußball und lasse sich gerne mal fallen. "Ich habe ihm gesagt, er wäre stärker, wenn er das
nicht mehr machen würde. Ich habe ihn dann Andy genannt – wegen Andy Möller, dem
Schwalbenkönig."
Erschienen im Tagesspiegel
COPYRIGHT: ZEIT ONLINEADRESSE: http://www.zeit.de/sport/2013-12/fairplay-sport-regeln-Geld-Erfolgsdruck