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DIE LINKE JUGENDZEITSCHRIFT FÜR WIEN DIE LINKE JUGENDZEITSCHRIFT FÜR WIEN FACKELZUG AM 30.APRIL 20:00 BEI DER OPER EU-WAHL INTERVIEW MIT LUKAS OBERNDORFER herausgegeben von der sozialistischen jugend wien www.sj-wien.at heft 01 2014

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Die erste Ausgabe des FAKTORS in diesem Jahr steht ganz unter dem Zeichen „Reconstruct Europe“ – denn das ist auch unser Motto für den diesjährigen Fackelzug! Wenn man uns fragt, geht derzeit einiges schief in der EU.

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faktor nr. 1/2014

DIE LINKE JUGENDZEITSCHRIFT FÜR wIENDIE LINKE JUGENDZEITSCHRIFT FÜR wIEN

FACKELZUG AM 30.ApRIL20:00 BEI DER OPER

EU-wAHLINTERVIEW MITLUKAS OBERNDORFER

herausgegeben von der sozialistischen jugend wien www.sj-wien.at heft 01 2014

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thema

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thema

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muss das sein?

Scheiß Schule? –

Die Bildungsinitiative der SJ

Wien

Wir wissen, dass vieles in der Schule nicht passt. Aber es gibt einfach

kaum Möglichkeiten, sich einzubringen. Das ist ziemlich ungerecht – aber

es bringt nichts, wenn alle das nur über sich ergehen lassen.

Wenn wir mitgestalten wollen, dann müssen wir uns dafür einsetzen.

Deshalb startete die SJ-Wien im Frühjahr die Initiative „Scheiß Schule – muss

das sein?“. Mit Flyern und Stickern waren die SJ-Bezirksgruppen vor zahlreichen

Wiener Schulen und haben mit SchülerInnen diskutiert und Ideen gesammelt, wie

der Schulalltag anders aussehen könnte. Und eine Sache hat sich dabei ganz klar

herauskristallisiert: nicht nur wir in der Sozialistischen Jugend, sondern auch viele

andere SchülerInnen stellen sich die Frage „Muss Schule so sein?“ – „Nein!“

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InhaltRedaktion 4

Kommentar der Vorsitzenden 5

Außen 6 Innen 7

ReportageUkraine: Im Labyrinth der Revolution 8

Frauenpolitischer KommentarGut für die Frauen 13

News von RechtsNationalistische EU-Fraktiongeplant! 14

WienFackelzug 2014 15

Bezirke stellen sich vorSJ Hietzing 16SJ Donaustadt 17

InterviewLukas Oberndorfer 18

InternationalBosnien. Unterm Rad 22Das TTIP 24Und wer näht dein Shirt? 26

PortraitJohanna Dohnal 29

Noch Fragen?Europäische Union 30

Die Politik der EUIn Zahlen 31

FAKTOR, Die linke Jugendzeitschrift für Wien 01/14 Medieninhaber: Verein zur Förderung fortschrittlicher Jugendmedienarbeit Herausgeberin: Sozialistische Jugend Wien, Alle: Landstraßer Hauptstraße 96/2, 1030 Wien; [email protected]; Tel.: 01/7138713 Chefredaktion: Julia Hess (SJ13), Marlis Zederbauer (SJ21) MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Sara Costa (SJ3), Martin Gutlederer (SJ9), Mario Ferstl (SJ10), Sarah Pliem (SJ12), Julia Hess (SJ13), Marlene Mutschmann-Sanchez (SJ13), Dennis Metzger (SJ13), Melanie Eidler(SJ17), Jaqueline Gam (SJ17), Alice Seidl (SJ17), Lazar Smiljkovic (SJ21), Marlis Zederbauer (SJ21), Marina Hanke (SJ21), Bettina Rosenberger (SJ23), Antonia Netzl (SJ23) Lektorat: Marlis Zederbauer, Julia Hess Layout: Nina Schitter Druck: Fair Drucker Ges.m.b.H 3002 Purkersdorf, Wintergasse 52

Johanna dohnal Portrait 29

30. aPril fackelzug 15

im labyrinth der revolution eine rePortage aus lviv 8

und wer näht dein shirt? made in cambodia 26

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Die erste Ausgabe des FAKTORS in diesem Jahr steht ganz unter dem Zeichen „Reconstruct

Europe“ – denn das ist auch unser Motto für den diesjährigen Fackelzug!

Wenn man uns fragt, geht derzeit einiges schief in der EU. Letztes Mal haben wir bereits über den Wettbewerbspakt berichtet und diesmal geht es weiter: Wir haben einen Vortrag zu dem Thema organisiert – und die wichtigsten Infos gibt’s hier im Interview mit dem Vortra-genden (S. 18).

Außerdem gibt es eine Analyse des anstehenden TTIP-Abkommens (S. 24), das von der EU beschlossen werden soll und wie das mit der Wahl am 25. Mai ei-

Redaktion

Gehört

Liebe Leserin, lieber Leser,

Marlene Möwe "Blauer Tag"

Martin Coeur de Pirate "La Petite Mort"

Julia Band of Horses "The Funeral"

Sara Ellie Goulding "Burn"

Jaqueline Justice "We Are Your Friends"

Sarah Ed Sheeran "I See Fire"

Antonia King Krule "A Lizard State"

Marlis Various Artists "Frozen Soundtrack"

Bettina Mono & Nikitaman "Tausend"

Dennis Rise Against "Satellite"

Nina Jimmy Eats World "Pain"

Marina Tote Hosen "Liebeslied"

Alice Rise Against "Bricks"

Mario Cee Lo Green "Bright Lights, Bigger City"

gentlich funktioniert, könnt ihr in dieser Ausgabe auch nachlesen (S. 30).

Ein brennendes (im wahrsten Sinne des Wortes!) Thema ist auch die Ukraine. Die Vorgänge dort sind mehr als komplex – wir haben nachrecherchiert und Infos vor Ort erhalten. Nachlesen kannst du das in unserer großen Reportage (S. 8)! Auch Bosnien (S. 22) und die Situ-ation der ArbeiterInnen in Kambodscha (S. 26) werden beleuchtet, denn für uns ist klar: Solidarität darf nicht vor nati-onalen Grenzen Halt machen! Unsere Zukunft ist international!

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und sehen uns am 30. April bei der Oper!

Marlis & Julia

❞ wir sehen uns am 30. april beim fackelzug bei der oper! ❝

vor

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Text: Marina Hanke

Kommentarder vorsitzenden

Stellen wir uns einmal vor, dass von einem Tag auf den anderen das Wiener AKH zusperrt und die

Wiener Gebietskrankenkassa ihre Arbeit einstellt. Stellen wir uns vor, dass jedeR dritte Erwachsene und jedeR zweite Jugendliche, den bzw. die wir kennen, ar-beitslos ist. Stellen wir uns vor, dass viele der Kindergärten und Schulen aus unse-rer Umgebung zusperren müssen, weil sie den Alltagsbetrieb nicht mehr finanzieren können. Und stellen wir uns vor, dass von den Menschen, die noch Arbeit haben, sehr viele sich trotzdem nicht mehr genug Lebensmittel für sich und ihre Familie kaufen können.

Was wie das Drehbuch für einen drama-tischen Film klingt, passiert gerade nicht unweit von Österreich, im Süden Europas. Das alles ist mittlerweile Realität in Grie-chenland.

Die genannten Punkte sind die Folgen einer Politik, die Griechenland, sowie auch die anderen Länder, die von der Wirt-schaftskrise besonders stark betroffen sind, aus eben dieser Krise herausretten sollte. Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von zahlreichen Maßnahmen auf europä-ischer Ebene, die für mehr Stabilität und die Bekämpfung der Krise sorgen sollten. Dass das nicht sonderlich gut funktioniert hat, wird angesichts der Situation, die sich für die Bevölkerung immer mehr zuspitzt, offensichtlich.

Der Auftrag der EU an die Länder ange-sichts der Krise ist klar: Sparen! Sparen! Sparen! Nur dann kann die Wettbewerbs-fähigkeit wieder erreicht werden. Wo wird gespart? Am besten im Bereich öffentlicher Investitionen, also genauer gesagt, bei

staatlichen Leistungen wie Bildung, Ge-sundheit, Leistungen zur sozialen Absiche-rung, etc. Und wo diese Maßnahmen nicht von selbst passieren, dort werden sie in Form von bindenden Verträgen erzwungen.

Der Europäischen Union kann man ange-sichts der kommenden EU-Parlamentswah-len am 25.Mai nicht mehr entgehen. Die Wahlkämpfe der Parteien sind angelaufen – während das BZÖ mit der Tochter des ehemaligen Kärntner Landeshauptman-nes Jörg Haider in den Kampf zieht, stellt die Sozialdemokratie mit Eugen Freund einen politischen Quereinsteiger an die Spitze der KandidatInnenliste. Es geht bei den kommenden Wahlen um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob der bisherige Kurs zur Bekämpfung der Krise fortgeführt werden wird, oder wir einen Kurswechsel hin zu einem sozialeren Eu-ropa der Menschen vollziehen können. Ob Eugen Freund die Person sein wird, mit der in Österreich der Beitrag zu einer sozialde-mokratischen Mehrheit erkämpft werden kann, wird sich in den nächsten Wochen herausstellen. Nicht weniger wichtig ist jedoch die Frage, ob den Forderungen nach einem sozialen Europa und einem Nein zur neoliberalen Sparpolitik der Konservativen auch seitens der österreichischen Regie-rung, unter einem sozialdemokratischen Kanzler, in den nächsten Jahren Rechnung getragen wird. Angesichts der Tatsache, dass Österreich in den letzten Jahren unter Leitung desselben sozialdemokratischen Kanzlers allen neoliberalen Maßnahmen und Pakten zugestimmt hat, erweist sich eine grundlegende Skepsis wohl als nicht unbegründet.

Dass die Europäische Union in ihrer jetzi-gen Form eine Politik verfolgt, die lediglich

den Interessen des Kapitals, nicht aber denen der Bevölkerung dient, wird von Tag zu Tag klarer. Dass es eine anderes Europa braucht ebenso. Die Sozialistische Jugend zeigt am 30.April beim „Reconstruct Europe!“ Fackelzug klar, dass wir keine EU wollen, in der neoliberale Sparpolitik und menschenfeindliche Asylpolitik auf der Ta-gesordnung stehen. Wir sagen aber auch, wie wir uns ein anderes Europa vorstellen: offener, demokratischer, sozialer, friedli-cher, nachhaltiger!

30. aPril fackelzug

Schau vorbei: Fackelzug am 30.April

20:00 bei der Oper

nähere Infos siehe Seite 15

wort

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außen

volksabstimmung in der schweiz schatten über sotschi

Die von der rechten SVP initiierte Volksab-stimmung „Gegen Masseneinwanderung“ löste auf europäischer Ebene eine Welle der Empörung und Verwunderung aus, da sich 50,34 Prozent für Zuwanderungskon-tingente auch für EU-StaatsbürgerInnen aussprachen. Die Umsetzung dieser Volks-abstimmung würde die Personenfreizügig-keit aushebeln. Interessant allerdings ist, dass 23,5 Prozent der Gesamtbevölkerung ihre Wurzeln im Ausland haben. Während Rechtsparteien wie AfD, FPÖ und Front Na-tional die Schweizer Entscheidung bejubeln, gab es mehrheitlich Kritik an der Volksab-stimmung. Die Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) werfen der Schweiz „Rosinenpickerei“ vor. Frankreich erwägt die Beziehung zur Schweiz zu überdenken. Die Europäische Union hat als Ergebnis des Referendums beispielsweise neben den Gesprächen zum grenzüberschreitenden Stromhandel auch eine Schweizer Beteiligung am Studieren-den-Austauschprogramm „Erasmus-Plus“ ausgesetzt. Auch Zuwanderungskontingen-te für Schweizer StaatsbürgerInnen stehen nun im Raum. Dies wurde von Jose Manuel Barroso angedroht. Die Schweiz hat nun drei Jahre für die Umsetzung der Volksab-stimmung.

Die olympischen Spiele hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Überschattet wird das Ereignis, das eigentlich Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen-führen soll, durch katastrophale Arbeits-bedingungen beim Aufbau der Olympia-Einrichtungen. Vor allem MigrantInnen waren am Aufbau beteiligt, bekamen aber nur teilweise Entlohnung, und die Human Watch Group deckte auf, dass Russland sämtliche Reisepässe und Arbeitsgenehmi-gungen beschlagnahmt hatte. Des Weiteren gab es bis vor kurzem auch in Sotschi große Proteste gegen ein Anti-Homosexuellen-Propaganda Gesetz, welches Russland 2013 erließ. Seit dem Sommer bis über die Olym-pischen Spiele riss die Kritik am Umgang Russlands mit Homosexuellen nicht ab, er wurde sogar lauter. Viele PolitikerInnen boykottieren aufgrund der gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Sotschi die Olympischen Spiele. Bundeskanzler Wer-ner Faymann und Verteidigungsminister Gerald Klug reisten mit der Absicht nach Sotschi, ihre Werte dort genauso zu vertre-ten wie in Österreich. Warum weder eine öffentliche inhaltliche Auseinandersetzung noch Kritik von Faymann kam, lässt sich wahrscheinlich nicht nur auf sein großes Interesse am Sport zurückführen.

Außen

regierungswechsel in italien

Die italienische Politik kommt auch im siebten Jahr der Wirtschaftskrise nicht zur Ruhe. Am 14.2.2014 erschütterte ein neuerlicher Regierungswechsel die Innenpolitik des Eurokrisenlandes, welches lange Zeit in einer Rezession steckte und seit 2007 neun Prozent der Wirtschaftsleis-tung eingebüßt hat. Der Bürgermeister aus Florenz und Vorsitzende der Demokrati-schen Partei, Matteo Renzi, gewann einen internen Machtkampf gegen den Parteikol-legen und Premierminister Enrico Letta, welcher nach erst zehn Monaten seinen Rücktritt erklärte, nachdem 136 Mitglieder des PD-Gremiums gegen ihn votierten. Die italienische Politik wird nunmehr von Mat-teo Renzi angeführt. Es ist der dritte Regie-rungschef nach Mario Monti und Enrico Letta, welcher nicht durch demokratisch legitimierte Wahlen das wichtigste Amt der italienischen Politik innehat. Der erst 39-jährige Renzi führt nun ein 16-köpfiges Regierungsteam an, unter denen sich acht Frauen befinden. Hauptziel der Regierung war, eine Neuwahl zu verhindern, welche jedoch von der Mehrheit der italienischen Bevölkerung ausdrücklich gewünscht wird. Unter den Anhängern Renzis finden sich neben seiner eigenen Partei auch der rechte Koalitionspartner.

Text: Mario Ferstl, Melanie EidlerFotos: beigestellt

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innen

hyPo alPe adria ak-wahl 2014 sJ wien goes lPt

Bereits seit mehreren Wochen ist der Hypo Alpe Adria-Skandal in aller Munde, doch was steckt dahinter?Nachdem die Nationalbank 2008 die Hypo als gesunde Bank bezeichnete und bereits stattliche 4,8 Milliarden an Geldern an die-se fl ossen, wurde nun beschlossen, die Bank mit bis zu 19 Milliarden Euro zu retten statt sie einfach Pleite gehen zu lassen. Der Grund dafür sind angeblich die Haftungen des Landes Kärnten – Jörg Haider und dem Kärntner Landtag sei dank. In Wirklichkeit würden im Fall einer Pleite der Hypo die Haftungen nicht unbedingt schlagend wer-den, sondern österreichische und interna-tionale Banken sowie InvestorInnen, allen voran die Raiff eisen Bank, würden massiv Geld verlieren. Deshalb drängte die ÖVP auf die Hypo-Rettung, um damit der Raika unter die Arme zu greifen. Die SPÖ lässt sich wegen der großen Koalition vor den Karren der Reichen spannen und will nun gemeinsam mit der ÖVP verschiedenste KapitalistInnen und InvestorInnen retten. Doch das Geld der Hypo-Rettung kommt nicht irgendwoher: die Zeche werden vor allem die Klein- und MittelverdienerInnen zahlen: Die Folge sind mit hoher Wahr-scheinlichkeit Einsparungen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich.

Die im fünfj ährigen Turnus stattfi nden-den Wahlen zur „Kammer für Arbeiter und Angestellte“ fi nden von Ende Jänner bis Mitte Mai in allen neun Bundeslän-dern statt.Die WienerInnen konnten zwischen 11. März und 24. März ihre Stimmen abgeben. Bundesweit wird es aller Voraussicht nach keine großen Änderungen geben. Die rote FSG möchte die absolute Mehrheit von 55,8% verteidigen und wenn möglich sogar ausbauen, während die schwarzen (ÖAAB) sowie die blauen VertreterInnen (FA) Stimmgewinne verzeichnen wollen. Zu Re-daktionsschluss fanden schon die Wahlen im Westen Österreichs (Vorarlberg, Tirol und Salzburg) statt. Während die schwar-zen Christgewerkschafter in Tirol ihre absolute Mehrheit erwartungsgemäß ver-teidigen konnten (63,95%, + 0,93%), erlitten sie in Salzburg eine historische Niederlage. Hier konnte die FSG mit 70,74% einen Gewinn von 2,82% verbuchen. Auf Platz 2 ist die blaue Vertretung. Auch in Vorarlberg konnte der ÖAAB seine absolute Mehrheit verteidigen. Die größten Zugewinne gab es hier für die FA. Die Wahlbeteiligung lag bundesweit im Jahr 2009 bei 43,8%. Bei den bisherigen Wahlen im Westen ging die Wahlbeteiligung überall zurück.

Am 26. April fi ndet der alljährliche Landesparteitag (LPT) der SPÖ Wien statt. Die Bezirke und Teilorganisationen (zu denen auch die SJ zählt) haben dort die Möglichkeit, Anträge einzubringen und damit die politische Leitlinie der SPÖ Wien zu beeinfl ussen. Auch dieses Jahr stellt die SJ wieder Anträge mit dem Ziel, die SPÖ weiter nach links zu rücken. Neben einigen Anträgen, die die SJ Wien bereits auf ihrer Landeskonferenz im Ok-tober 2013 beschlossen hat und die an den LPT weitergeleitet wurden, gibt es auch acht neue Anträge, die eigens für den LPT geschrieben wurden: Solidarität mit den antifaschistischen Protesten rund um den Akademikerball, die Wiedereinführung eines eigenständigen Frauenministeriums und eine klare Absage an jede Form von Privatisierung – auch durch Public-Private-Partnerships (PPP) - sind nur einige der Themen, die die SJ dieses Jahr fordert. Auch innerparteiliche Demokratie ist ein Thema: Denn es kann nicht sein, wie im Fall des EU-Wahlprogramms, dass inhalt-liche Diskussionen einfach abgedreht wer-den. Nur durch solche Debatten kann die SPÖ wieder linke Antworten auf aktuelle Probleme fi nden: Wie etwa auf das aktuelle Handelsabkommen TTIP (siehe S. 24-25).

InnenText: Martin Gutlederer, Mario Ferstl,Marlis ZederbauerFotos: Sara Costa

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reportage

Text: Bettina Rosenberger und Antonia NetzlFotos: Mariusz Sękowski

Im Labyrinth der revolutionEine Reportage aus Lviv.

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reportage

lviv (lemberg), ukraine.

Mariusz gestikuliert wild mit den Hän-den, er deutet in die Ferne und ruft mit aufgebrachter Stimme: „Dort! Siehst du es?“. Klar vom schwarzen Nachthimmel heben sich Flammen ab. Lviv brennt. Am Balkon, im achten Stockwerk eines Plat-tenbaus in einem Außenbezirk von Lviv, bläst der kalte Februarwind Mariusz im-mer schärfer ins Gesicht. Dennoch bleibt er dort stehen und verfolgt, wie das Feuer im Zentrum immer größer wird. Auch die Zahnbürste umklammert er nach wie vor mit den Fingern seiner linken Hand. Eigentlich wollte er nach einem langen Arbeitstag schlafen gehen, doch daraus wird jetzt so schnell nichts.

Es waren die Abendstunden des 18. Februars, jenes Tages, an dem die Gewalt in der gesamten Ukraine neue Ausmaße annahm. Stündlich wurde die Anzahl der Todesfälle aktualisiert, denn sie stieg unerbittlich an. In den folgenden Tagen mussten fast 100 Menschen ihr Leben lassen. Hunderte wurden verletzt. Doch diese gewaltvollen Ausschreitungen begrenzten sich nicht nur auf Kyiv (Kiew). Am nächsten Tag ist in Lviv klar ersicht-lich, was sich in den dunklen Straßen zugetragen hat: das Polizeigebäude und Autos wurden in Brand gesetzt.Wichtige Dokumente wurden en masse verbrannt. In der Nacht wurde auch eine Militärba-sis gestürmt, dabei wurden rund 2000 Waffen gestohlen. Der weitere Verbleib der entwendeten Waffen bleibt unklar. Als Auslöser für die nächtlichen Krawalle galt die steigende Zahl der Todesopfer aus Kyiv. Dennoch waren diese Entwick-lungen im westukrainischen Lviv nicht voraussehbar, denn bereits Wochen zuvor wurde der Janukowitsch nahestehende Gouverneur Oleg Salo zum Rücktritt gezwungen. Nach dem Aufflammen der Gewalt erklärte sich Lviv schließlich endgültig für autonom. Doch der Schein trügt: als demokratiepolitischer Fort-schritt werden sich diese Entwicklungen nicht erweisen. Denn beim neu ernannten Gouverneur handelt es sich um Petro Ko-

lodij. Er ist Mitglied der rechtsextremen Swoboda und war jahrelang als Berater für den Swoboda- Vorsitzenden Tjahny-bok tätig.

Im Osten viel Neues

Es waren mühselige und äußerst zähe Verhandlungen, die über Jahre hinweg zwischen der Ukraine und der EU statt gefunden haben. Das Assoziierungsab-kommen sollte den Grundstein für eine erste Annäherung zwischen den beiden AkteurInnen bilden und Ende Novem-ber bei einem Gipfeltreffen in Vilnius beschlossen werden. Doch es kam anders. Der ukrainische Präsident Janukowitsch ließ das Abkommen platzen. Dem Mei-nungsumschwung ist ein Treffen mit Russlands Präsidenten Putin vorausge-gangen.

Bereits im Sommer übte Russland massiven Druck auf die Ukraine aus und erlaubte für eine Woche keine ukraini-schen Importe. Wer die Handelsbezie-hungen zwischen den beiden postsowje-tischen Ländern kennt, weiß um welch eklatantes Abhängigkeitsverhältnis es sich hierbei handelt. In Folge versuchte Janukowitsch, sich zumindest rhetorisch der EU zu nähern. Natürlich geht es auch der EU bei diesem Abkommen um ihre wirtschaftlichen Eigeninteressen, doch der große Streitpunkt war ein anderes Thema. Die Forderung nach der Freilas-sung der inhaftierten Julia Timoschenko kam für Janukowitsch auf keinen Fall in Frage. Unterdessen stellte Russland billige

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reportage

Gaspreise in Aussicht, vorausgesetzt die Ukraine wird, genauso wie bereits Kasachstan und Weißrussland, Mitglied einer Zollunion.

Die Aufkündigung des fast fertigen Assoziierungsabkommens mit der EU war einer von mehreren Faktoren, die die Proteste anfeuerten. Denn Gründe gab es genügend, um gegen Janukowitsch auf die Straße zu gehen. Um die Komple-xität dieses Protests zu verstehen, ist es notwendig, die politischen Rahmenbedin-gungen des Landes zu kennen. Auch wenn Timoschenko medial oft zur Ikone der Orangen Revolution stilisiert wurde, blieb auch sie schlussendlich nur ein Mitglied des undurchsichtigen und hochgradig komplexen Machtnetzwerkes. In den 90er Jahren, als in der noch jungen Ukraine gerade der Ausverkauf von staatlichen Unternehmen von sich ging, war sie Un-ternehmerin und häufte durch fragwürdi-ge Gas-Geschäfte große Kapitalsummen an. Im Jahr 2009 als die Gas-Krise immer drastischere Ausmaße annahm, unter-schrieb sie einen Energievertrag mit Russ-land. Doch ihr wurde vorgeworfen, dass dieses Übereinkommen massive Nachteile für die Ukraine beinhaltete.

Die Orange Revolution

Trotz der Orangen Revolution blieb alles beim Alten. Dies hatte die Konsequenz, dass Janukowitsch die Präsidentschafts-wahlen im Jahr 2010 gewann. Julia Timo-schenko wurde ein Jahr später zu sieben Jahren Haft verurteilt. Doch eine politisch eingefärbte Justiz war noch lange nicht alles, was das autoritäre Regime von Janukowitsch zu bieten hatte. Die Men-schenmassen, die am Maidan wochenlang nicht nur der Polizeigewalt, sondern auch den Minusgraden im zweistelligen Bereich trotzten, prangerten auch die Manipulation der letzten Präsident-schaftswahlen an. Darüber hinaus gilt das prestigeträchtige Anwesen von Januko-witsch als Wahrzeichen der ukrainischen Korruption. Die Datscha Meschigorje hat

sich ursprünglich in staatlichen Besitz befunden, wurde aber über zwielichtige Geschäfte zum Eigentum des Präsidenten. Die Villa ist ein Emblem für das massive soziale Ungleichgewicht, das in der Uk-raine vorherrscht. Das durchschnittliche Einkommen der UkrainerInnen beträgt rund 200 Euro, PensionistInnen müssen gar mit nur 90 Euro im Monat über die Runden kommen. Im Vergleich dazu sind die Lebenshaltungskosten exorbitant, da sie nahezu genauso hoch sind wie in Westeuropa. Dies hat auch zur Folge, dass jeden Winter dutzende Menschen den Kältetod sterben, da sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Gas- bzw. Stromrechnung zu bezahlen. Die Korruption durchzieht alle gesellschaftlichen Lebensbereiche und hinterlässt dadurch massiven sozio-ökonomischen Schaden.

#Euromaidan

Mustafa Nayem, ein ukrainischer Journa-list, konnte nicht wissen, welche Konse-quenzen sein Posting auf Facebook mit sich bringen wird. Es war ein schlichter und spontaner Demoaufruf, Treffpunkt war der Maidan. Bereits in den Abend-stunden des 21. Novembers waren tau-sende Menschen auf der Straße. Sie alle waren wütend und fassungslos über den faktischen Abbruch des Assoziierungsab-kommens. Denn sie malten sich Hoffnun-gen aus, Hoffnungen, dass Demokratie, Menschenrechte und vor allem Presse-freiheit auch in der autoritär regierten Ukraine endlich in greifbare Nähe geraten würden. In den nächsten Tagen waren es bereits 100.000 Menschen, dielautstark gegen Janukowitsch protes-tierten. Zu Beginn der Proteste gab es zwei Zeltstädte. Die Proteste am Maidan wurden vor allem von Studierenden getragen, Parteien waren unerwünscht. Daher waren die drei Oppositionspartei-en, Klitschkos Udar, die Vaterlandspartei sowie die rechtsextreme Swoboda am Europaplatz statt am Maidan vertreten. Aufgrund der massiven Polizeigewalt arbeiteten schließlich beide Protestlager,

orange revolution

Die Manipulation bei den Präsidentschaftwahlen im Jahr 2004 führte zu Massenprotesten. Bei der Wiederholung der Wahl unterlag Janukowitsch dem Oppositionskanditaten Wiktor Juschtschenko. Aber auch die darauffolgenden Jahre waren durch Streitigkeiten zwischen Juschtschenko und der Ministerpräsidentin Timoschenko geprägt.

die datscha meschigorJe

die auch als Präsidenten-Wohnresistenz diente, verfügt über einen Golfplatz, einen Tennisplatz, sowie einen Yachthafen. Die Böden, im nicht minder protzigen Gästehaus sind aus Mamor.

korruPtion

Die Ukraine zählt zu den korruptesten Ländern der Welt. Rinat Achmetow, der mächtigste Oligarch des Landes, verfügt über 16 Milliarden Dollar, auch er „kontrolliert“ Abgeordnete. Im ukrainischen Parlament, der Rada, sind nur rund 50 von 450 ParlamentarerInnen nicht von OligarchInnen abhängig.

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reportage

trotz ihrer Heterogenität, zusammen. In den darauffolgenden Wochen harrten tausende Menschen, auch in der Nacht, am Maidan aus. Das Rathaus, sowie das Gewerkschaftsgebäude wurden besetzt. Die Lage spitzte sich immer weiter zu, im Dezember waren bereits 350.000 Men-schen auf der Straße. Es folgten mehrere Einsätze der Polizeisondereinheit, sowie eine immer restriktivere Auslegung des Demonstrationsrechts. Ende Jänner, als die Berkut, eine Spezialeinheit der Polizei, wieder mal am Platz vorrückte, eskalier-te die Lage: Angehörige der Opposition schossen mit Steinen und Brandsätzen. Die Polizei wehrte sich mit dem Einsatz von Tränengas und Blendgranaten. Am Ende der Nacht sind zwei Demonstran-ten tot, sie wurden erschossen. Dennoch gingen die Proteste auch im Februar weiter. In Kyiv hinterließ die Nacht des 18. Februar eine Bilanz des Schreckens. Denn Janukowitsch ordnete an, den Maidan zu räumen. Es waren Kriegsszenen, die sich in dieser Nacht ereignet haben. Rund um den Maidan brannten die meterhohen Barrikaden. Auch das Gewerkschaftsge-bäude, das seit Dezember als Quartier der Oppositionsparteien fungierte, brannte lichterloh. Immer wieder ertönten Schüs-se. Die DemonstrantInnen antworteten auf den Räumungsversuch mit Molotow-cocktails. Zwei Tage später kam es zu einem erneuten Blutvergießen: Umhüllt vom Morgengrauen lagen Scharfschützen auf den Dächern des Unabhängigkeits-platzes und mordeten weiter. Wer sie angeheuert hat, bleibt unklar.

Systemwechsel?

Olena kommt in das Jugendzentrum in der Strijska Street 24 in Lviv. Hektisch legt sie ihre Jacke ab und streicht sich die langen, dunkelblonden Haare aus dem Gesicht. Sie hat sich um einige Minuten verspätet und schenkt sich schnell noch Tee ein. In den letzten Tagen haben sich die Ereignisse überschlagen. Janukowitsch hat Kyiv verlassen und das Parlament hat ihn seines Amtes enthoben.

Die DemonstrantInnen machten sich unterdessen auf den Weg zur Villa des mittlerweile Ex-Präsidenten. Die 20-jäh-rige Genetik- Studentin kann sich zwar ihr Lachen nicht verkneifen, dennoch drückt ihre Mimik klar aus wie angewi-dert sie von Janukowitsch Dekadenz ist. Diese Tage sind Bilder des Privatzoos und des Piratenschiffes durch die Medien gegangen. „Es ist schrecklich. Es ist nur eine Zurschaustellung seines Geldes. Nur Spielzeug, das hat nichts Reales. Men-schen leiden Hunger, während auf seinem Tisch ein 4 Kilo Brotlaib aus purem Gold liegt!“, fügt Olena wütend hinzu. Das durchsuchte Anwesen offenbarte noch weitere Geheimnisse: aus einem nahegelegenen See wurden Dokumente gefischt. Besonders brisant ist hierbei eine „schwarze Liste“ mit Namen von JournalistInnen. Auch der Name von Tatjana Tschornowol wird erwähnt. Die regierungskritische Journalistin wurde im Dezember von Unbekannten brutal zusammengeschlagen.

Die Studentin verspricht sich keine Verbesserungen von der zukünftigen Regierung, hegt jedoch starke Sympathien für die Proteste vom Maidan. Die Abset-zung von Janukowitsch, sowie die aktuelle Krim-Krise überschatten nach wie vor die mediale Berichterstattung über die Ent-wicklungen in der Ukraine. Ein Umstand,

euromaidan – a project by students of the School of Journalism at the Ukraini-an Catholic University (UCU) Lviv

❞ sie ist ein zweiter Janukowitsch. ich kann nicht bestrei-ten, dass sie sehr eloquent ist und sich in der Politik auskennt, doch sie ist genauso korrupt wie die anderen Po-litkerinnen. sie hat uns schon einmal enttäuscht.“❝

Olena über Timoschenko

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reportage

der dazu führt, dass die Rolle der Opposi-tionsparteien aus dem Blickfeld gerät. Die politische Lage der Ukraine ist zu kom-plex, um sie in ein Schubladensystem aus „gut“ und „böse“ einzuteilen. Doch genau dieser Schritt wurde vollzogen. So ent-steht der Eindruck als hätte eine progres-sive und demokratiebewusste Opposition einen autoritären Herrscher vertrieben. Doch wer die drei Oppositionsparteien genauer unter die Lupe nimmt, erkennt schnell, dass sie alle keinen Systemwech-sel herbeiführen werden, weil sie selber Teil des Systems sind.

Ukraine über alles

Besonders bedrohlich erscheint der Aufstieg der faschistischen Swoboda, die mit offenem Antisemitismus agiert und in Kontakt mit der Front National und der deutschen NPD steht. Hierbei handelt es sich auch um jene Partei, die Gedenk-märsche für Stepan Bandera organisiert. Immer wieder ertönten auf den Straßen Kyivs folgende Parolen: „Bandera komm zurück und sorge für Ordnung“, „Ruhm der Ukraine, töte den Feind“, sowie „Ukraine über alles“. Die Zerstörung der Lenin-Denkmäler, an denen auch die Rechtspopulisten beteiligt sind, wird als Akt eines ukrainischen Freiheitsschlags dargestellt. Ehemaligen KommunistIn-nen, AtheistInnen, sowie MigrantInnen wird die Parteimitgliedschaft verwehrt. In der neuen Regierung bekam die Swoboda drei Ministerien, das Amt des Vizepremi-ers, sowie die Position des Generalstaats-anwaltes.

Mit dem „Rechten Sektor“ gibt es eine weitere rechtsextreme Gruppierung, die die Proteste am Maidan für sich nutz-te, um sich stärker zu profilieren. Ihr Anführer Dmitri Jarosch ist mittlerweile stellvertretender Minister für Nationale Sicherheit. Seine Anhänger haben sich am Maidan Ende Februar wilde Gefechte mit der Berkut geliefert. Sie sind für ihre paramilitärische Vorgehensweise bekannt

und treten meist mit Tarnkleidung, Skimasken oder Helmen in Erscheinung. Die Tatsache, dass faschistische Akteure durch den Umsturz zu mehr Macht ge-langen, lässt sich nicht leugnen. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sich Pu-tin gerade dieser Argumente bedient, um die Okkupation der Krim zu legitimieren.

Auch die Udar erscheint nicht unbedingt harmlos: Klitschko behauptet zwar, das gesamte Kapital für seine Partei selbst aufzubringen, dennoch wird ihm ein Nah -Verhältnis zum Gas-Oligarchen Dmytro Firtasch nachgesagt. Einst war dieser einer der mächtigsten Männer der Uk-raine, kooperierte eng mit Janukowitsch und „kontrollierte“ auch 30 Abgeordnete im Parlament. Darüber hinaus war er Eigentümer des wichtigsten Senders. Nun sitzt er in der Justizanstalt Wien Josefstadt: der Haftantrag stammt aus den USA, ist aber nicht mit den aktuellen Entwicklungen zu kontextualisieren. Anfang März sperrte die EU schließlich alle Konten des Janukowitsch- Clans. Davon ist nun auch der Sohn des Ex-Präsidenten betroffen. Er hat innerhalb von drei Jahren eine halbe Milliarde Dollar angehäuft. Mit der Sperrung der Konten reagierte die EU auf die tödlichen Schüsse am Maidan und die Unterschla-gung von staatlichen Geldern.

Die Vaterlandspartei lässt ebenfalls keine Hoffnung auf Veränderung aufkommen. Ihr Fraktionsvorsitzender, Arseni Jazen-juk, wurde nach dem Sturz von Januko-witsch vom Parlament zum neuen Minis-terpräsidenten gewählt. Er hatte bereits die Rolle des Außen-, sowie Wirtschafts-ministers inne. Darüber hinaus stellt die Partei noch fünf weitere Mitglieder der neuen Regierung. Außerdem gilt auch der Übergangspräsident Turtschinow als langer und enger Vertrauter von Timoschenko. Die Wahlen am 25. Mai, sowie der Konflikt auf der Krim werden maßgeblich über die Zukunft der Ukraine entscheiden.

euromaidan2013.wordpress.com

a project by students of the School of Journalism at the Ukrainian Catho-lic University (UCU) Lviv

stePan bandera

war Anführer der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten), die auch für die Ermordung von vielen JüdInnen, KommunistInnen und weiteren ZvilistInnen während des Zweiten Weltkrieges verantwortlich war. In der Westukraine sind auch heute noch Straßen nach ihm benannt. Sein Abbild war auch auf vielen Protestplakaten deutlich ersichtlich.

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frauenpolitischer kommentar

Text: Sara Costa, Frauenpolitische Kommission

Zuerst die gute oder die schlechte Nach-richt?

Prinzipiell gilt: Egal wie viele positive Maß-nahmen die EU für Frauen setzt, solang es keine Veränderung in den EU Strukturen und Interessen gibt, wird es sowohl für Frauen als auch für Männer keine grundle-genden Verbesserungen geben.

Die derzeitige Krisenpolitik wird auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung ausgetragen und das allein hat schon einen „Genderaspekt“: Die Vermögenden in unse-rer Gesellschaft sind in erster Linie Männer und eben jene, die nicht zur Kassa gebeten werden.

Hinzu kommt, dass vor allem bei den Sozialleistungen gespart wird. Öffentliche Einrichtungen weisen einen geringeren Gender Pay Gap (der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern) auf als die Privatwirtschaft. Somit werden die wenigen sicheren und besser bezahlten Jobs gestrichen und der gesamte Gender Pay Gap erhöht.

Zusätzlich besteht der Aspekt, dass im Sozialbereich mehr Frauen als Männer tätig sind. Auch Kinderbetreuung ist davon be-troffen. Hier sind ebenso mehr Frauen be-

Die FpK ommentargut für die frauen

votewatch.eu

Alle, die sich gerne vergewissern wollen, dass unsere Abgeordneten auch tatsäch-lich unseren Grundsätzen treu geblieben sind, können sich dort das Abstim-mungsverhalten aller Abgeordneten anschauen.

schäftigt und es entsteht der Nebeneffekt, dass natürlich das Fehlen von Betreuungs- und Pflegeplätzen irgendwo aufgefangen werden muss. Es sind jetzt schon viele Frauen teilzeitbeschäftigt, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, denn von halbe-halbe sind wir leider noch weit entfernt. Dadurch entsteht eine Vielfach-belastung von Frauen.

Weniger Mitbestim-mungDas Recht auf Mitbestimmung war ein lang umkämpftes Terrain. Früher war es nur den Reichen vorbehalten, mitzube-stimmen. Später gab es das Wahlrecht für alle Männer, bis dann 1919 (in Österreich) das allgemeine Wahlrecht kam. In den EU Gremien ist die Frauenquote noch nicht sonderlich hoch, aber immer noch höher als in Finanzinstitutionen wie IWF oder Europäische Zentralbank (EZB). Das sind aber genau jene, die jetzt EU Politik beein-flussen bzw. gar bestimmen: Die reichen weißen Männer.

Nicht alles, was aus der EU kommt, ist schlecht!Es gibt auch Positives: Die Barcelona Ziele. Da geht es konkret um die Betreuung von

Ist die Europäische Union (EU) wirklich gut für die Frauen? Bald findet die Wahl des EU-Parlamentes statt - ein guter Anlass, um die Situation für Frauen in der EU mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Kindern im Vorschulalter. Österreich hinkt noch hinten nach, aber Wien hat die Ziele bereits erreicht: So sind z.B. 85,4% der Betreuungseinrichtungen mit einem Voll-zeitjob vereinbar. Oder auch Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass mehr Frauen in Aufsichtsräte kommen (auch, wenn das nur wenige Frauen betrifft), wurden bereits durchgeführt.

Hoffnung bekommt man auch durch Be-richte wie der Bericht über die „Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduk-tiven Gesundheit“ (kurz: Estrela-Bericht). Der Bericht beinhaltete Handelsempfeh-lungen, wie das Recht auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch. Er wurde allerdings von der konservativen Mehrheit im EU Parlament mit der Be-gründung, die Mitgliedstaaten seien allein für diese Fragen zuständig, abgelehnt. Diese Mehrheit hat auch das schwedische Modell der „Freierbestrafung“ (genaue-res FAKTOR 4/2013) angenommen. Wir sehen also: Wie in jedem Parlament, sind die Entscheidungen auch in der EU von den Kräfteverhältnissen abhängig – Gute Ideen gibt es immer wieder, doch sie werden nicht durchgesetzt, wenn es nicht entsprechende Mehrheiten gibt. Mit einer sozialdemokratischen Mehrheit können wir Frauen- oder ArbeiterInnenrechte auch europaweit durchsetzen!

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news von rechts

News von Rechts: nationalistische eu-fraktion gePlant!

Text: Mario FerstlFoto: SJ Wien

Was haben PolitikerInnen wie Marine LePen, Geert Wilders oder Heinz-Christian Strache gemeinsam? Man sei geneigt zu sagen, dass die Gemeinsamkeiten endend wol-lend sind und bei genauerer Betrachtung stimmt dies sogar: unterschiedliche Nationali-täten, unterschiedliche innenpolitische Agenden, unterschiedliche Feindbilder.

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Doch in einer äußerst zentralen Angelegenheit agieren unter Anderem diese drei Rechtspoliti-

kerInnen mit demselben Populismus und derselben aggressiven Agitation: Sie eint die tiefe Abneigung gegen die Europäische Union.

Bedingt durch die seit Jahren grassieren-de Wirtschaftskrise in Europa konnten die rechten Parteien über den gesamten Kontinent hinweg verstreut bei Wahlen an Stimmen gewinnen und liebäugeln demzu-folge mit der Bildung einer gemeinsamen Fraktion auf europäischer Ebene nach den Wahlen zum EU-Parlament. Die Intention dieser Fraktionsbildung kam aus Österreich. Heinz-Christian Strache und die FPÖ stre-ben die Bildung einer „Nationalistischen Internationale“ (© profil) an.

Um die erfolgreiche Bildung einer Fraktion im EU-Parlament verkünden zu können, be-darf es einer Mitgliedschaft von insgesamt 25 Abgeordneten aus sieben nationalen Parteien der Mitgliedstaaten der Union. Zur genannten FPÖ gab es schon bestätigtes Interesse aus Frankreich (Front National), Schweden (Schwedendemokraten), Italien (Lega Nord), Belgien (Vlaams Belang), Nie-derlande (partij voor de vrijheid) sowie aus der Slowakei (SNS). Eine klare Abgrenzung findet sich hingegen bei der ungarischen Jobbik sowie der griechischen Morgenröte, mit denen die FPÖ nicht anstreifen möchte.

Damit diese grundlegend unterschiedlichen Parteien einander besser kennenlernen

konnten, fand auf österreichischem Boden schon im November des Vorjahres ein erster informeller Austausch statt. Zu diesem Zweck wurde auch ein gemeinsa-mes Positionspapier veröffentlicht. Die Inhalte dieses Papiers sind dürftig. Neben der bekannten Ablehnung der gemein-samen Währung sind die Rückkehr und Stärkung der nationalen Identität, die Zerstörung des Zentralismus aus Brüssel sowie ein Austritt aus der Europäischen Union das gemeinsame Ziel. Die Vorteile einer Fraktion sind nicht zu unterschät-zen, da sie das Recht haben, Teil eines oder mehrerer Ausschüsse zu sein, von denen es auf europäischer Ebene immer-hin zwanzig gibt.

Ob eine „Nationalistische Internationale“ von langer Lebenszeit geprägt sein wird, ist allerdings mehr als fraglich. Schon im Jahr 2007 scheiterte ein ähnlicher Versuch (ITS – Identität, Tradition, Sou-veränität) aufgrund einer rassistischen, menschenfeindlichen Aussage von Ales-sandra Mussolini, welche die rumänische Bevölkerung diskriminiert hat.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die rechtspopulistischen PolitikerInnen innerhalb ihrer eigenen Fraktion ver-bale sowie inhaltliche Duelle liefern, ist durchaus gegeben, ist es doch ein Kenn-zeichen nationalistischer Interessen, jene des Nachbarn weniger zu respektieren als die eigene. Spätestens bei Grenz- oder Minderheitenfragen wird der gemeinsa-me Nenner verschwindend gering sein.

Medienaktion vom 14.11.13 vor dem Haus der Europäischen Union

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wien

Text: Marlis Zederbauer

Das Frühjahr 2014 steht Europa-weit ganz im Zeichen der EU-Wahlen (am 25. Mai), wodurch sich für uns in diesem Jahre ein besonders wichtiges und passendes Thema für die kommende Großdemo am 30. April ergibt.

wir wollen europa nicht den rechten überlassen – deshalb stellen wir den diesjährigen fackelzug unter das motto „reconstruct europe – kein rechtes europa!“.

Die Politik in Europa ist derzeit auf dem Holzweg – die Maßnahmen, die gegen die Krise umgesetzt werden, entsprin-gen dem Gedankengut, das uns in die Krise hineingeführt hat: dem Neoli-beralismus. „Wettbewerbsfähigkeit“ ist das Lieblingswort der EU, das den Mitgliedsländern derzeit aufgedrückt wird. Wettbewerbsfähigkeit, das heißt: billige Produktion, also niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften und weniger Rechte. Es heißt auch, dass gespart und privatisiert werden soll, vor allem im Ge-sundheits- und Sozialbereich. Kurz: Die Krise wird auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung ausgetragen – obwohl wir sie nicht verschuldet haben. Diese Politik muss schleunigst geändert wer-den. Denn sie hat zu den Zuständen etwa in Griechenland geführt, wo der Großteil der Jugendlichen arbeitslos und teilweise

die Gesundheitsversorgung nicht mehr möglich ist. Diese Zustände wird es bald in noch mehr Teilen in Europa geben, wenn die aggressive Sparpolitik nicht bald beendet wird.

Von den Entwicklungen profitieren vor allem die rechten Parteien in Europa: Denn sie erleben seit ein paar Jahren einen Aufschwung. Wir brauchen nur in unsere Nachbarländer schauen, um zu erkennen, was das bedeutet: In Ungarn etwa herrscht inzwischen ein autoritäres System. Die Rechten nutzen die Krise aus, um die Schuld mal wieder auf die anderen zu schieben. Ob die „faulen“ GriechInnen oder die AsylwerberInnen, die in Europa nach Schutz vor Gewalt, Krieg und Armut suchen – die Rechten suchen den Sündenbock bei denen, die es sowieso am schlimmsten getroffen hat. Das wahre Problem, den Neoliberalismus und den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik, ignorieren sie. Dadurch werden die Rechten wiedermal zu den Handlan-gerInnen der Reichen.

Wir wollen ein soziales Europa ohne rechte HetzerInnen! Deshalb werden wir diesmal auch einen kleinen Umweg gehen – zum Haus der Europäischen Union, wo wir gemeinsam ein Zei-chen gegen ein rechtes Europa setzen wollen. Danach geht’s wie immer weiter zum Rathausplatz, auf dem die große Fackelzug-Afterparty stattfindet wird. Auflegen wird dieses Jahr DJ Wad Ad von FAUL & Wad Ad, die bekannt sind durch ihr Lied „Changes“.

Seit Jahrzehnten veranstaltet die SJ – Wien jährlich ihren Fackelzug durch die Wiener Innenstadt, um ge-meinsam mit tausenden Menschen für eine bestimmte Forderung einzutreten.

Fackelzug 2014 reconstruct euroPe!

Reconstruct Europe – Kein rechtes Europa!

Fackelzug der Sozialistischen Jugend Wien30. April, 20 Uhr, Oper Danach Party mit DJ Wad Ad von FAUL & Wad Ad

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bezirke stellen sich vor

SJ Donaustadtsozialistische Jugend 1220

In der Donaustadt am Rande von Wien gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine aktive SJ-Gruppe. Aber nicht mehr lange!

Ein paar engagierte AktivistInnen der SJ haben es sich mit Unterstützung des Lan-desbüros zur Aufgabe gemacht, den 22ten Bezirk mit aktiver Antifaschismus-Arbeit wieder zu beleben.

In der Donaustadt sind fast 30.000 Jugend-liche zuhause. Der Bezirk gehört damit ei-nerseits zu den EinwohnerInnen-stärksten und vom altersspezifischen Standpunkt her auch zu den Jüngsten in ganz Wien. Leider ist in dem traditionellen ArbeiterInnenbe-zirk nicht mehr nur die SPÖ die dominante Kraft, sondern auch die Rechten konnten in den letzten Jahren stimmenmäßig ganz schön aufholen. Mit fast 27% bei der letzten Nationalratswahl 2013 liegt die FPÖ in der Donaustadt 6% über ihrem wienweiten Ergebnis. Dieses Wahlverhalten zeichnet sich dabei enttäuschender Weise auch bei den jungen Menschen ab.

Die FPÖ Donaustadt und ihre VerbindungenSo gibt es im 22. Bezirk zum Beispiel auch eine vergleichsweise starke RFJ (Ring Frei-heitlicher Jugend), die Seite an Seite mit der FPÖ für besonders bedenkliche Forderun-gen eintritt. Die hohen Funktionäre der Do-naustädter Freiheitlichen zeigen schließlich vor allem durch Mitgliedschaften, wie zum Beispiel bei der schlagenden Burschenschaft Olympia, dass die Bezirkspartei tief im rechtsextremen Sumpf feststeckt. Realpo-litisch äußert sich das schlussendlich in

SJ 22Erzherzog-Karl-Straße 65

1220 Wien

Nähere Infos zu dem Projekt gegen Rechts in Kürze auf www.sj-wien.at

Aktionen wie der Ablehnung der Idee, eine neue Verkehrsfläche nach der von den Nazis verfolgten Anne Frank zu benennen. Auch bei der illegalen Homepage Alpen-Donau, auf der rassistische und antisemitische Hassparolen verbreitet wurden, führen Spuren zu den Donaustädter Freiheitlichen. Der von der Justiz mitangeklagte Felix B. ist Referent der jungen FPÖ (RFJ) im 22ten, was nicht weiter verwundert, wenn man bedenkt, dass der eigene Bezirksparteiob-mann Martin Graf persönlich ist.

Die rechte Szene macht auch in diesem Bezirk nicht HaltDeshalb startet die SJ in der Donaustadt nun ein groß angelegtes Projekt gegen Rechts. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des 22ten Bezirk soll rassistisches und ausländerfeindliches Verhalten in den Bezirksparteien aufgedeckt, Nazi-Parolen an Hauswänden übermalt und andere Ausdrucksformen rechten Gedankenguts thematisiert werden. Alle Donaustädter Jugendlichen werden dazu aufgefordert, sich an dem Projekt zu beteiligen und aktiv gegen Rassismus und andere Ausgren-zungstaktiken aufzustehen. Mithilfe von Aktionen, Veranstaltungen und wirksamer Öffentlichkeitsarbeit kann der Bezirk wie-der weiter nach links gerückt und damit zu einem besonders lebens- und liebenswerten Ort an der schönen blauen Donau werden, wo rechtes Gedankengut, vor allem bei jun-gen Menschen, nur wenig Anklang findet.

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bezirke stellen sich vor

SJ Hietzingsozialistische Jugend 1130

Wien ist anders. Hietzing ist ganz anders.

Wir befinden uns im Jahre 2014 n.Chr. Ganz Hietzing ist von der ÖVP besetzt... Ganz Hietzing? Nein! In einem von unbeugsamen jungen Linken bevölker-tem Lokal am Hietzinger Kai tickt die Uhr nämlich ein wenig anders. Keine hundert Meter entfernt (außerhalb des Gemeindebaus) schütteln sich Reich und Schön (und Alt) die Hände, beim Küch-lein-Essen im Café Dommayer oder beim Rinderverzehr im Placchuta. Doch in den unterirdischen Räumen der SJ Hietzing nahe des Wienflusses findet sich eine andere Welt wieder:

Meistens einmal in der Woche, trifft sich dieses kleine linke Völkchen in einem riesigen, halbdunklen, ab und zu nicht ganz sauberen, aber dennoch gemütlichen Kellerlokal um sich - ja, was eigentlich? - auszutauschen.

Auf den – entgegen den Vorurteilen – nicht aus Samt und Seide bestehenden Möbeln sitzen wir zusammen und erregen gegenseitig die Gemüter, wenn über den neuesten Unfug der Politik berichtet wird. Aber auch die Bildungsarbeit kommt nicht zu kurz. Von der Politik in Latein Ameri-ka über Rechtspopulismus in Europa bis zu den Piraten in Somalia ist die ganze Bandbreite an politischen, sozialen und ökonomischen Problemen abgedeckt. An anderen Tagen wieder wagen wir uns dann aus unserem Kellerlokal in die Öf-fentlichkeit, um Hietzinger Jugendliche, die uns ähnlich gesinnt sind, zu erreichen.

In Form von Medienaktionen, beispiels-weise zur Reanimierung der Nightline N58, oder mit klassischen Verteilaktionen bis hin zu gigantischen Partys mit der DJ-Gruppe „Kein Sonntag ohne Techno“ fallen wir schließlich im Bezirk auf und thematisieren die Dinge, die uns wichtig sind.

Doch, mal ehrlich, auch wir sind nicht im-mun gegen das großbürgerliche Hietzing – Fieber. So gehört zu unseren traditionel-len Aktivitäten im Frühjahr zum Beispiel immer auch ein besonderes Auftreten am Ball der Bezirkspartei. Auch wir werfen uns dann und wann in Schale und lassen in feiner Manier die Korken knallen, wäh-rend wir gekonnt trotz gekennzeichneter Mistkübel die Mülltrennung ignorieren. Ja, hin und wieder handeln auch wir situa-tionselastisch.

Wenn es darauf ankommt, können wir verbal auf ’s Maul hauen, aber Grenzen re-spektieren wir und halten diese auch ein. Wenn unsere Lokalschwelle übertreten wird, bläst der eigenen Person Freund-schaft und ein Hauch von familiärem Ambiente entgegen.

Kurzum: Die SJ-13 besteht aus dem Durchschnitt der heutigen Jugend, von SchülerInnen bis StudentInnen, von alternativ Lernenden bis ArbeiterInnen ist alles vertreten. Wir sind kritisch, gele-gentlich sind wir typisch – Hietzing, aber auf jeden Fall einfach liebenswert.

SJ 13Hietzinger Kai 7-9

1130 Hietzing, WienTreffen: Montag 19 Uhr

www.facebook.com/sjhietzing

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interview

Europa im hegemonialen krisenstrudel

Die Wirtschaftspolitik der EU ist derzeit vor allem durch die harten Sparmaßnah-men geprägt, die von der Troika durchgesetzt werden. Doch warum wird diese Politik so aggressiv durchgeboxt, obwohl sie offensichtlich Schaden anrichtet? Lukas Oberndorfer, Mitarbeiter der Arbeiterkammer Wien im Referat für EU und Inter-nationales, ist Rechtswissenschafter und hat eine Antwort auf diese Frage: Im Gespräch mit dem FAKTOR erzählt er von einer autokratischen Wende auf Ebene der Europäi-schen Union und von einer Hegemonie-Krise der neoliberalen Integration.

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interview

was er damit meint und was genau das für uns bedeutet, beantwortet er im folgenden interview.

FAKTOR: Du hast dich intensiv mit der Krisenpolitik der EU auseinanderge-setzt. Wir hören immer wieder, welche dramatischen Folgen diese Politik hat. Was ist da passiert?

Oberndorfer: Man muss sagen, dass es irgendwie gelungen ist, die Krise neu zu erzählen. Es ist plötzliche keine Krise mehr der Ungleichverteilung der Vermögen, es ist keine Krise mehr der Entdemokratisierung der Wirtschaft, es ist keine Krise der Deregulierung der Finanzmärkte, sondern eigentlich wird es so erzählt, dass die Krise 2008 eine Krise war, die mit einer übermäßigen Verschuldung zusammenhängt. Und als Grund für die Verschuldung wird genannt, dass einige europäische Länder zu wenig wettbewerbsfähig sind. Hier sehen wir die zwei Standpunkte der europäischen Krisenpolitik, nämlich, dass es mehr radikale Sparpolitik und mehr Wettbewerbsfähigkeit braucht und daraus resultieren die Bausteine der Krisenpolitik: etwa die Troika Politik. Jene Länder, die sich nach der Krise auf den Finanzmärkten nicht mehr refinan-zieren konnten, werden dieser Politik unterworfen. Die betroffenen Länder, also Griechenland oder kurzweilig Spanien, müssen die Auflagen der Troika erfüllen, um Geld aus den sogenannten Rettungsschirmen zu bekommen. Die Troika schließt also Verträge ab, soge-nannte Memoranda of Understanding. Die Bedingungen beinhalten ausschließ-lich neoliberale Wirtschaftspolitik. Und zwar radikale Sparpolitik auf der einen Seite, sprich Kürzungen in den öffentli-chen Dienstleistungen, in der sozialen Infrastruktur, und auf der anderen Seite Wettbewerbsfähigkeit durch innere

Abwertung, sprich: Man senkt die Löhne, man schwächt die Gewerkschaften und baut das Arbeitsrecht ab.

Wenn man sich diese einzelnen Bau-steine der Krisenpolitik ansieht und versucht, ein Muster herauszuarbeiten, was sind die Ähnlichkeiten in allen Bausteinen?

Zum Einen bedeuten alle Bausteine eine Radikalisierung der neoliberalen Integration, und zwar unter den beiden Leitplanken Austerität und Wettbe-werbsfähigkeit. Und zum Anderen ist in fast allen Bausteinen deutlich, dass diese Krisen-politik europarechtswidrig ist und nur durch Umgehung bzw. Durchbrechung von Verfahren der formalen Demokratie eingerichtet werden konnten. Das heißt man hätte eigentlich bei sehr vielen dieser Krisenbausteine ein verhandlungs-rechtliches Verfahren einleiten müssen, was aber nicht passiert ist.Und Weiters geht es im Wesentlichen immer mehr um eine Aufwertung der Ex-ekutive, es werden etwa nationalstaat-liche Finanzministerien aufgewertet. Gleichzeitig werden nationalstaatliche Parlamente abgewertet, d.h. die Konflik-tachse ist eigentlich Staat und Staatsap-parate gegen repräsentative Demokratie. Das ist glaube ich, die zentrale Ausei-nandersetzung, in der wir uns gerade befinden. Auch wenn die sehr selten als solche bezeichnet wird.

Warum sind diese einzelnen Maßnah-men der EU rechtswidrig?

Da gibt’s verschiedene Muster. Bei der Troika Politik kann man sagen, dass die

lukas oberndorfer

Referent für Europarecht, Binnenmarktpo-litik und Europaforschung in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien; Redak-tionsmitglied des juridikum (zeitschrift für kritik|recht|gesellschaft)

❞Jeder mitglieds-staat kann ent-sprechende klagen beim eugh ein-bringen. das ist bis jetzt nicht passiert.❝

Text: Julia Hess und Marlis Zederbauer Foto: European Parliament

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interview

Errichtung vom ESM so weit in Ord-nung war. Rechtswidrig ist hier aber die Ausrichtung. Die ist nicht nur ökono-misch falsch und sozial fatal, sondern ist auch menschenrechtswidrig. Wir, die AK gemeinsam mit dem ÖGB, hatten da eine Vermutung und haben deshalb eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn man sich die Auflagenpolitik und ihre Auswirkungen ansieht, dann sieht man in vielen Bereichen, dass das ein Eingriff in die Menschenrechte ist: nämlich im Recht auf Tarifautonomie oder im Recht auf die Sicherung einer passablen Gesundheitsversorgung. Das ist die Rechtswidrigkeit, die man bei der Troika – Politik erkennen kann.Beim Fiskalpakt hat man einfach einen Völkerrechtlichen Vertrag aufgesetzt, der sogar in die EU Verträge eingreift und der sagt, das und das müsst ihr jetzt anders machen. Das ist in einem Ausmaß rechtswidrig, dass man eigentlich nicht sagen kann, das ist juristische Feinspitz-arbeit, sondern das ist für jedeN Jus-StudentIn offensichtlich falsch.

Du sprichst im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise auch von einer Autori-tarisierung auf europäischer Ebene. Was meinst du damit?

Wir können Europa-weit etwas beob-achten, das ich als Hegemonie-Krise des Neoliberalismus bezeichnen wür-de. Unter Hegemonie verstehe ich den Begriff in Anschluss an Antonio Gramsci, italienischer Marxist und Philosoph, der versucht hat, zu erklären, warum moderne Herrschaft nicht allein über Zwang funktioniert. Gramsci wollte eine Antwort auf die Frage, warum Europa in Folge der 20er und 30er Jahre trotz Revolutionen in Russland derart stabil geblieben ist. Sein Argument: Moderne Herrschaft funktioniert nicht nur über

Zwang, also z.B. durch eine gewaltsame Durchsetzung mithilfe von Polizei und Militär, sondern auch über Konsens. Man muss demnach auch irgendwie die Köpfe der Menschen erreichen. Erst darüber wird Herrschaft stabil, denn so kann man Politik absichern: Zwang gepanzert mit Konsens.

Wie wird dieser Konsens hergestellt?

Die Herstellung von Konsens funktio-niert über zwei Säulen. Einerseits muss es gelingen, eine Weltauffassung zu etablieren. Es muss also genau dieses Moment geschaffen werden, wo man die Köpfe der Menschen erreicht. In Bezug auf Europa wäre das die Etablierung von gewissen Europa-Bildern. Die zweite Säule im Sinne Gramcsis ist die Tatsache, dass man nicht allein über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden kann. Den Menschen, die einer bestimm-ten Politik folgen sollen, müssen auch Zugeständnisse gemacht werden. In der wohlfahrtstaatlichen Phase könnte man sagen, dass das vor allem eine starke Um-verteilungspolitik oder ein funktionie-rendes Sozialsystem war. In der neolibe-ralen Phase wurde das zunehmend durch ein höheres Konsumniveau und billige Kredite ergänzt.

Was passiert jetzt in der europäischen Wirtschaftskrise in Anschluss auf die Weltwirtschaftskrise mit der neolibera-len Hegemonie?

Man kann sehen, dass es zu einer be-schleunigten Auflösung dieser Hegemo-nie kommt. Und zwar, weil einerseits die-se Europa-Bilder, die entwickelt worden sind, ihre Ausstrahlungskraft verloren haben. Die Wirtschafts- und Währungs-union überzeugt nicht mehr so, wie sie das früher tat. Auch die Idee der Deregu-lierung der Finanzmärkte erreicht sozu-

esm

Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist ein Vertrag, der die Zahlungsfähigkeit der Mitgliedsländer sichern soll. ESM-Hilfen erhalten nur Länder, die den Fiskalpakt unterzeichnet haben.

fiskalPakt

Der Fiskalpakt ist ein Vertrag zu Vereinheitlichung der Fiskalpolitik. Er verpflichtet die Länder unter anderem zur Eingrenzung der Schulden.

Antonia Gramsci (1891 -1937) italienischer Marxist und Philosoph

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interview

Das vollständige Interview findest du auf www.sj-wien.at!

umgehungs- konstruktionen

Für die Krisenbewältigungspolitik der EU wurden „Umgehungskonstruktionen“ angewandt: Der Fiskalpakt ist etwa ein Völkerrechtlicher Vertrag, der in die bestehenden EU-Verträge eingreift und bestimmt, was anders gemacht werden muss. So wurde die harte Sparpolitik in der ganzen EU durchgesetzt.

sagen nicht mehr die Köpfe, der Konsens wird brüchig. Die andere Frage ist, gibt es noch materielle Zugeständnisse? Denn der Spielraum für die materiellen Zuge-ständnisse, also beispielsweise ein hohes Lohnniveau oder eine gute Gesundheits-versorgung, der ist extrem eng geworden. Und zwar weil die Krise einerseits hohe Kosten verursacht hat, da die Bankenret-tungen extrem teuer waren.Diese beiden Brüche in den zentralen Säulen der Konsens-Herstellung führen dazu, dass der Konsens für eine neolibe-rale Integration eigentlich im Bröckeln ist. Und weil dieser Konsens brüchig wird, kommt es dazu, dass die derzeitige Politik versucht, die Dinge autoritär zu beschließen, anstatt dass Ebenen ange-sprochen werden, wo ein hoher Konsens-wert bestehen würde.

Warum genau kommt es zunehmend zu dieser autokratischen Wende?

Es gab heftige soziale Kämpfe in ver-schiedenen Ländern Europas. Solche Staatskrisen auf nationalstaatlicher Ebe-ne schlagen sich direkt auf die Stabilität oder die Hegemonie der europäischen Ebene durch. Deshalb wird auf euro-päischer Ebene zunehmend versucht, Verfahren zu umgehen, wo dieser brü-chig werdende Konsens relevant werden könnte. Das ist meines Erachtens die Begründung, warum sich dieses autori-täre Muster herausbildet, und konkret im Recht diese Umgehungskonstruk-tionen vorangebracht werden. Sobald nämlich in die Europäischen Verträge neue Kompetenzen eingeführt werden sollen, wird ein Vertragsänderungsver-fahren benötigt, und dieses Vertragsän-derungsverfahren setzt voraus, dass jeder Mitgliedsstaat den neuen Vertrag gemäß seiner Verfassungsmäßigen Bestimmung ratifiziert. Das heißt zum Beispiel auch, dass so ein Vertrag in Griechenland und

Spanien ratifiziert werden müsste. Indem man Umgehungskonstruktionen voran-bringt, umgeht man diese Vertragsände-rungsverfahren.

Wie soll unter dem Hintergrund einer autoritären EU ein soziales und demo-kratisches Europa entstehen?

Ich sehe folgende Strategien als zielfüh-rend für die Etablierung eines sozialen und demokratischen Europas:Strategie 1: Ansprechen, was ist. Man müsste ganz offen sagen, dass wir nichts anderes erleben, als eine Verschärfung der Neoliberalisierung; dass keine fort-schrittlichen Momente in der derzeitigen Politik auszumachen sind. Es muss klar und deutlich gesagt werden, dass die derzeitige Politik Bestandteile formaler Demokratie gefährdet. Wir reden hier über die Gefährdung von formal demo-kratischen Abläufen und die Gefährdung von Rechtsstaat und Grundrecht. Diese derzeitige Krisenpolitik muss in aller Deutlichkeit benannt werden.Strategie 2: Was kann man unmittelbar tun? Es ist zentral, dass das Europäische Parlament und auch seine fortschrittli-chen Fraktionen juristisch gegen die Kri-senpolitik vorgehen könnten. Das wurde bisher nicht gemacht. Das Europäische Parlament und auch jeder einzelne Mit-gliedsstaat könnte entsprechende Klagen beim EUGH einbringen. Das ist bis jetzt nicht passiert.Und Strategie 3: Weg von dem bisheri-gen „Ja, aber“ hin zu einem „Nein, wenn nicht“. Bei kommenden Auseinanderset-zungen muss es die Aufgabe der Gewerk-schaften und der Sozialdemokratie sein, Forderungen zu stellen. Man soll also Bestimmungen der Europäischen Union nicht zustimmen, wenn nicht auch Forderungen erfüllt werden, die für eine materielle Gerechtigkeit und Umvertei-lungssysteme kämpfen.

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international

Unterm Raddie wunden des krieges

Genau 30 Jahre nachdem die Olympische

Flamme im Jahre 1984 in Sarajewo

erleuchtete, beginnt das Land wieder

zu brennen. Damals vermittelte die

jugoslawische Teilrepublik Bosnien-

Herzegowina das Bild eines florierenden

multiethnischen Landes mit einer

funktionierenden Industrie und einem

beneidenswertem Sozialsystem.

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international

Was blieb übrig? 10 Jahre nachdem das Land die Blicke der Welt auf sich zog, lag es in Schutt und Asche. Die fast 50 Jahre alte sozialis-tische föderative Republik Jugoslawien zerfiel. Mehr als 100.000 Menschen fielen dem Bosnienkrieg von 1992–1995 zum Opfer, einer der schrecklichsten Kriegs-schauplätze des 20 Jahrhunderts. Was blieb übrig? Belagerte, zerstörte Städte, Konzentrationslager und Massengräber – Alles Opfer des Nationalismus, Europa sah nichts tuend zu.

Um die Ausschreitungen im Februar 2014 in Bosnien nachzuvollziehen, muss man die Problematik der Multiethnizität verstehen. Bosnien hat 3,8 Millionen Ein-wohnerinnen und Einwohner, darunter 48% (muslimische) BosniakInnen, 37,1% (orthodoxe) SerbInnen und 14,3% (katho-lische) KroatInnen. In der Geschichte des Landes kam es immer wieder zu Kon-flikten zwischen den Ethnien. Um diese Konflikte zu verhindern, wurde das Land mithilfe des Dayton-Abkommens in zwei Föderationen unterteilt: Die Bosniakisch-Kroatische Föderation von Bosnien-Herzegowina, die 50% des Territoriums ausmacht und die Serbische Republik, die 49% des Territoriums ausmacht. 1% des Territoriums entfällt auf den Brcko-Dis-trikt, der als territorialer Puffer geschaf-fen wurde. Das Land wird zentralistisch regiert. Die Regierung rotiert zwischen den Ethnien, sodass nach 3 Regierungs-perioden jede Ethnie einmal regiert hat. Zudem hat jede Föderation eine eigene Regierung mit eigenen Ministerinnen und Ministern.

Die Wunden des Krieges heilen nur lang-sam. Der gegenseitige Unmut der Regie-rungen ist groß, was sich in der Situation im Land widerspiegelt. Die BosniakInnen

wollen einen starken Zusammenhang der Föderationen, die SerbInnen wollen mehr Souveränität oder gar die Unabhän-gigkeit und einen Zusammenschluss mit der Republik Serbien, und die KroatInnen wollen ihren politischen Einfluss stärken.

Die Menschen wollen VeränderungenDie derzeitige Politik aber bietet den Men-schen keine Perspektiven. Im ehemaligen Jugoslawien etablierte sich die Stadt Tuzla als eines der industriellen und kulturellen Zentren. Seit 1995 wurden viele Unter-nehmen privatisiert und gingen bankrott. Am 4. Februar begannen genau hier die ersten friedlichen Proteste, weil den ArbeiterInnen aufgrund der zahlreichen Entlassungen der Kragen platzte. Die Proteste breiteten sich wie ein Lauffeuer aus und erreichten alle größeren Städte, nur die serbische Republik blieb weit-gehend von den Protesten verschont. Regierungsgebäude und Autos wurden in Brand gesteckt, Straßen wurden blockiert, PolitikerInnen entführt. Die Bilanz der Proteste: 370 Verletzte und 38 Verhaftungen. Die Unruhen sind seit 10. Februar vorbei, die Proteste gehen weiter. Die BürgerInnen haben durch die Proteste die Aufmerksamkeit der Regierung(en) erhalten. Die Hauptforde-rungen der Protestierenden sind in einem Fünf-Punkte Katalog niedergeschrieben worden: Politische Reformen, Rücktritt der Regierung und Installation einer parteilosen Regierung, Verbesserungen des Lebensstandards, die sogenannte ,,kriminelle Privatisierung" von Staats-betrieben rückgängig machen und die ,,Wirtschaftsmafia‘‘ soll vor das Gericht gestellt werden. Die Verhandlungen laufen noch. Wie es weiter geht, wird die Zukunft zeigen.

Grenzverlauf der Föderationen nach dem Dayton-Abkommen (1995)

Text: Lazar Smiljkovic

Fotos: beigestellt

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Das TTIp: ein abkommen, sie alle zu knechten

Text:Alice SeidlMitte des Jahres 2013 starteten die Verhandlungen über das „Transatlantic Trade and Investment Partnership“-Abkommen, und zwar vorwiegend hinter verschlossenen Türen.

Beim TTIP handelt es sich um ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA in Form eines völkerrecht-lichen Vertrages. Bisher wurden keine konkreten Verhandlungsergebnisse ver-öffentlicht, was eine öffentliche Debatte verhindern soll.

Chlorhuhnschnitzel?

Vorrangiges Ziel des TTIP ist es, soge-nannte „nichttarifäre“ Handelshinder-nisse – das heißt alles, was kein direkter Zoll ist, aber den Handel in irgendeiner Weise beschränkt – abzuschaffen, was durch eine Abgleichung der rechtlichen Standards erreicht werden soll. Diese Harmonisierung hat zur Folge, dass jeweils die wirtschaftsfreundlichste Rechtslage zur verbindlichen Norm für alle wird. Vereinfacht bedeutet das, dass, wenn ein Produkt in den USA verkauft werden darf, man das auch in Europa und damit Österreich kann – und umgekehrt. So wäre es beispielsweise denkbar, dass mit dem TTIP als Rechtsgrundlage die in den USA nicht verbotenen „Chlorhühner“ (Hühnerfleisch, das nach dem Schlachten mit Chlor behandelt wird, um Salmonel-len einzudämmen und die Haltbarkeit zu verlängern) auch in Österreich verkauft werden dürfen – je nach Ausgang der Vertragsverhandlungen sogar ohne Kennzeichnung. Möglich würde durch das TTIP auch der Verkauf von Fleisch werden, für das während der Aufzucht wachstumsbeschleunigende Hormone verwendet wurden. Diese Wachstumshor-mone sind derzeit allerdings in allen EU-

Staaten und in insgesamt ca. 160 Ländern der Welt verboten, da sie unter Verdacht stehen, gesundheitsgefährlich zu sein und das Krebsrisiko zu erhöhen.Darüber hinaus würden auch noch ArbeitnehmerInnenrechte durch das Abkommen auf das jeweils niedrigere Niveau der Mitgliedsstaaten nivelliert werden, sodass staatliche arbeitsrecht-liche Bestimmungen quasi außer Kraft gesetzt werden können. Doch nicht nur die aktuelle Rechtslage in den Unterzeich-nerstaaten wäre bedroht, auch zukünftige Gesetzesprojekte würden unter dem ste-ten Druck stehen, ihre Gesetze möglichst wirtschaftsfreundlich auszugestalten, um keine Strafzahlungen zu riskieren.

ISDS, TPP, TAFTA, MIA – WTF?!Die Einhaltung der durch das TTIP festgelegten Standards soll von eigens eingerichteten Schiedsgerichten (ISDS: Investor-to-State Dispute Settlement) überwacht werden, für die bis jetzt weder Kontrollmechanismen noch Berufungs-möglichkeiten vorgesehen sind. Damit sollen Konzerne die Möglichkeit haben, Staaten zu verklagen, wenn ihre erwarte-ten (!) künftigen Profite durch bestehende Gesetze eingeschränkt würden.

Mit dem TTIP soll eine Transatlantische Freihandelszone (TAFTA) eingerichtet werden, die dauerhaft begründet wird und die auch keine Ausstiegsmöglichkei-ten für Staaten vorsieht. Abänderungen über Vertragspunkte können nur be-

❞ multinationale konzerne würden weltweit eine de-mokratiepolitisch höchst problema-tische machtpo-sition einnehmen können. ❝

international

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Das TTIp: ein abkommen, sie alle zu knechten

❞ das ttiP wür-de zahlreiche möglichkeiten für internatio-nale konzerne eröffnen, massiv in nationale ge-setzeslagen ein-zugreifen – allen voran in sachen umweltschutz, arbeitnehmerin-nenrechte und konsumentin-nenschutz.❝

schlossen werden, wenn jeder Mitglieds-staat zustimmt, was insofern einem absoluten Vetorecht gleichkommt. Gleich-zeitig steuern diverse US-Konzerne ein ähnliches Abkommen für den pazifischen Raum (TPP) an. Wenn also das TTIP zu-stande kommen sollte, würden zahlreiche andere Staaten unter Zugzwang stehen, an ein ebensolches Abkommen anzudo-cken. Damit würden multinationale Kon-zerne weltweit eine demokratiepolitisch höchst problematische Machtposition einnehmen können, die Nationalstaaten wären mangels Ausstiegsmöglichkeiten an die jeweiligen Vertragswerke gebunden und würden somit einen maßgeblichen Anteil ihrer staatlichen Souveränität abgeben.

Das TTIP ist nicht der erste Versuch von multinationalen Konzernen, ein solches Abkommen zu initiieren: Im Jahr 1995 etwa starteten die Verhandlungen über das Multilaterale Investitionsabkommen (MIA). Die Absichten des MIA waren ähnlich denen des TTIP und wären ein ebenso massiver Eingriff in die staatliche Souveränität zugunsten des neoliberalen Mantras des „freien Wettbewerbes“ ge-wesen. Nachdem es zu öffentlicher Kritik kam, scheiterte das Abkommen drei Jahre später am Widerstand Frankreichs.

Öffentliche Debatte nicht erwünscht?Da das TTIP-Abkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist der momentane Stand der Verhandlungen

ebenso wenig bekannt wie der tatsäch-liche Inhalt des Dokumentes. Etwa 600 offizielle Delegierte von Konzernen haben Zugang zu den Verhandlungen, aber nur wenige ausgewählte und unter Strafan-drohung zur Geheimhaltung verpflichtete EU-RepräsentantInnen. Wie brisant kann der Inhalt eines Vertrages sein, dass nicht einmal das gesamte Europäische Parlament – wo das Abkommen immer-hin beschlossen werden muss – Einblick in die Verhandlungsdokumente erhält? Der Schluss daraus darf aber nicht sein, einfach abzuwarten. Hier wird gezielt eine öffentliche Debatte verhindert und es ist anzunehmen, dass versucht wird, das Abkommen nach Abschluss der Verhand-lungen möglichst rasch und ohne mediale Diskussion durch das EU-Parlament durchzuwinken. Diese Vorgehensweise erinnert an das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA, das ebenfalls geheim verhandelt und nach internationalen Protesten durch den Druck der Öffentlichkeit im Jahr 2012 vom Europäischen Parlament abgelehnt wurde.

Das TTIP würde zahlreiche Möglichkei-ten für internationale Konzerne eröff-nen, massiv in nationale Gesetzeslagen einzugreifen – allen voran in Sachen Umweltschutz, ArbeitnehmerInnenrechte und KonsumentInnenschutz. Es ist ein Eingriff in Errungenschaften und Rechte, die jahrzehntelang in politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erkämpft wurden, und die über Nacht mit einer Zustimmung zu diesem Vertrag zunichte gemacht werden könnten.

www.ttip.at Petition von Greenpeace

www.campact.de/ttip Aktuelles und Informationen

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UND wER NäHT DEIN SHIRT? made in cambodia

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Text: Bettina Rosenberger

Fotos: Clean Clothes Österreich

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Die Fabriken in Kambod-schas Hauptstadt Phnom Penh sind ständig in Be-trieb: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es sind jene Fabriken, in denen auch Nike, Puma, Adidas und H&M produ-zieren lassen. Doch mit einem Lohn von 80 Dollar im Monat lässt sich auch in Kambodscha das Le-ben nicht bestreiten. Also standen die Fabriken still.

Schließlich bieten die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen genug Anlass, um zu streiken. Im Vorjahr brach die Decke einer Schuhfabrik ein, drei Menschen starben. Denn die Sicherheitsvorkehrungen sind, wie so oft, mehr als dürftig. Durch den ununterbrochenen Betrieb ist die Luft extrem stickig, in Kombination mit dem Austritt von chemischen Dämpfen und den vielen Überstunden führten diese Arbeitsbedingungen bereits zum Zusam-menbruch von tausenden ArbeiterInnen. Die Ohnmachtsanfälle sind auch die Folge von massiver Unterernährung. Von dem ohnehin mageren Lohn, den die Arbeite-rInnen erhalten, schicken sie auch noch einen beträchtlichen Teil ihren Familien, die meist in ländlichen Gegenden leben und unter massiver Armut leiden. Für die Mehrheit der rund 600.000 Textilarbeite-rInnen sind 12-Stunden- Schichten, sechs Tage die Woche die Regel. 

Das Leben, ein ExistenzkampfOftmals werden nur befristete Verträge ausgestellt. Diese können ein halbes Jahr, zwei bis drei Monate oder sogar nur 25 Tage dauern. Wer etwa durch gewerk-schaftliches Engagement „unangenehm“ auffällt, verliert seinen Arbeitsplatz, indem der Vertrag nicht mehr verlän-gert wird. Generell ist es in Kambod-

scha sehr gefährlich, sich in kritischen und unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren. Zwischen 2004 und 2007 wurden drei Gewerkschaftsfunktionäre ermordet. Aufgeklärt wurde kein einziger dieser Fälle.  Im Vorjahr wurden rund 40 TextilarbeiterInnen der Fabrik E- Gar-ment  aufgrund ihres Engagements in der Gewerkschaft C.CAWDU entlassen. Als die verbleibenden NäherInnen durch einen Streik auf diese Farce aufmerksam machen wollten, wurden sie von Schlä-gertruppen mit Eisenstangen attackiert und niedergeschlagen.  AktivistInnen der internationalen NGO Clean Clothes wurden aufgrund eines Treffens mit den Streikenden für ein paar Stunden festge-nommen.  

Während der Lohn im Jahr 2000 nur 40 Dollar betrug, liegt er heute bei rund 80 Dollar (ca. 57 Euro). Die Gewerkschaften fordern das Doppelte, doch selbst dieser Betrag liegt noch deutlich unter dem Exis-tenzlohn von 286 Euro. Erst diese Summe garantiert es den ArbeiterInnen, ausrei-chend Nahrung zu kaufen, sowie Miete und Medikamente zahlen zu können und andere notwendige Kosten zu decken. Die Textilbranche hatte allein im Vorjahr Einnahmen von rund 5 Milliarden Dollar zu verbuchen und ist somit der größte Exportsektor des Landes. Viele Fabriken sind auch in den Sonderwirtschaftszonen angesiedelt. Die Intention dahinter ist klar: es sollen möglichst viele auslän-dische Unternehmen damit angelockt werden, keine Steuern zahlen zu müssen. Schließlich ist die „Wettbewerbsfähigkeit“ das oberste Credo, oft muss sie auch dazu dienen, um die Hungerlöhne der Textil-arbeiterInnen zu legitimieren. Mittler-weile sind die Löhne sogar in China und Thailand höher als in Kambodscha. Die Unternehmen nützen ihre Vormachtstel-lung, um PolitkerInnen zu beeinflussen und Gewerkschaften zu bestechen. So gibt es zwar hunderte Gewerkschaften, aber oftmals handelt es sich um sogenannte „gelbe Gewerkschaften“, also Arbeite-rInnenvertretungen, die dezidiert im Interesse der Unternehmen agieren und als sehr regierungsnahe gelten. Eine Aus-nahme bildet die C.CAWDU (Coalition of

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das Pol-Pot regime (1975- 1979)

war eine blutige Diktatur unter maoistischen Vorzeichen, in der bis zu zwei Millionen Menschen starben. Wer höhere Qualifikationen als einen Volksschulabschluss hatte, wurde verfolgt und umgebracht. Hingegen verfügte Pol-Pot selbst über einen französischen Universitätsabschluss.

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Cambodian Apparel Workers Democratic Union) mit rund 50.000 Mitgliedern. Sie setzt sich unter anderem dafür ein, dass unbefristete Arbeitsverträge ausgestellt werden. Obwohl rund 90% der Textilar-beiterInnen Frauen sind, werden die Ge-werkschaften mehrheitlich von Männern dominiert. Dem wirkt das Workers Infor-mation Center, eine kambodschanische NGO, entgegen, indem Frauen ermutigt werden, den Kampf um ihre Rechte auch selbst in die Hand zu nehmen. Da es keine unabhängige Justiz gibt, bleibt den Arbei-terInnen der Streik  als einziges Mittel, um mehr Lohn einzufordern. 

Mit Fremdenhass ge-gen die RegierungDie politische Lage ist äußerst ange-spannt: Ende Juli fanden die Parlaments-wahlen statt, seitdem will die Protestwelle gegen den amtierenden Ministerpräsi-denten Hun Sen nicht abreißen. Zwar hat er die Wahl gewonnen, doch ihm wird massive Wahlmanipulation vorgeworfen. Als Indiz hierfür kann auch die Tatsache herangezogen werden, dass es in manchen Bezirken bei der WählerInnenregistrie-rung Quoten von 100- 200 % gab. Hun Sen pflegt einen äußerst autoritären Regierungsstil und das schon seit bald 29 Jahren. Etabliert hat er sein System mit vietnamesischer Hilfe. Denn der Vietnam marschierte im Jahr 1979 in Kambodscha ein, beendete das Pol-Pot Regime (Roten Khmer)  und besetzte anschließend das Land für viele Jahre.  Mehr als die Hälfte der rund 14 Millionen Kambodschane-rInnen wurde erst nach dem Ende des Roten-Khmer Regimes geboren. Diese Jahre des Schreckens wurde in vielen Familien tabuisiert, mit der Konsequenz, dass das Thema in den Hintergrund rückte. Doch die Vergangenheit holt das Land wieder ein: Rassismus gegen Vietna-mesInnen ist weit verbreitet. Sam Rainsy, Vorsitzender der Oppositionspartei CNRP (Cambodia National Rescue Party), nützt diese Stimmung aus. Er hetzt gegen VietnamesInnen, die den Kambodscha-nerInnen angeblich den Arbeitsplatz und die Anbauflächen wegnehmen. Für sein Versprechen, alle VietnamesInnen dazu zu zwingen das Land zu verlassen, wenn

er an die Macht kommt, erhält Rainsy regen Zuspruch aus der Bevölkerung. Ge-walttätige Übergriffe auf vietnamesische Geschäfte sind das Resultat dieser Hass-Propaganda. Darüber hinaus wird Hun Sen auch nachgesagt, gute Beziehungen zum Vietnam zu pflegen. Die regierungs-kritische Protestwelle muss als äußerst heterogen gesehen werden und darf nicht auf die rassistische Oppositionspartei re-duziert werden, auch wenn diese sehr viel Platz einnimmt und sich um Bündnisse mit den Gewerkschaften bemüht. 

Die Fabriken stehen stillSchließlich sind auch die Streiks der Tex-tilarbeiterInnen mehr oder weniger Teil dieser Protestbewegung. Zum Jahresan-fang eskalierten die Demonstrationen: insgesamt verloren fünf Menschen durch Polizeigewalt ihr Leben. Als aufgrund des Abbruchs einer Kundgebung Steine, Flaschen und auch Brandsätze von den DemonstrantInnen geworfen wurden, zögerte die Militärpolizei nicht lange und nahm  Sturmfeuergewehre zur Hand. Im ganzen Land gingen im Jänner hundert-tausende Menschen auf die Straße, um ihr Recht auf faire Arbeitsbedingungen einzufordern. Währenddessen standen die Fabriken still. Die  teils militanten Züge der Proteste lassen sich mit der Verzweiflung der Menschen erklären. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, riskiert sein Leben.  In Kambodscha müssen dringend Bedin-gungen geschaffen werden, die es Arbei-terInnen ermöglichen, sich ohne Angst vor Gewalt zu organisieren. Kritische und unabhängige Gewerkschaften müssen gefördert werden und sich dezidiert für die Rechte ihres arbeitenden Klientels einsetzen. Die kambodschanische Regie-rung darf nicht länger Menschenrechte opfern, um Wirtschaftswachstum zu erzielen. Fakt ist: international agierende Konzerne, egal ob Billigketten oder teure Modemarken, können sich nicht länger vor ihrer Verantwortung drücken. Denn ihre stetig wachsenden Gewinne werden von den TextilarbeiterInnen mit ihrem Leben bezahlt. 

Auf der Seite von Clean Clothes lässt sich herausfinden, welche Marken bereit sind mit NGOs und Gewerkschaften zu kooperieren. www.cleanclothes.at/de/ firmen-check/

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portrait

❞ aus taktischen gründen leise zu treten, hat sich noch immer als fehler erwiesen. ❝

Mit Beginn des Jahres 1975 tritt die Fristenregelung in Kraft. Auf das neue Gesetz folgte heftiger Widerstand, getra-gen von der katholischen Kirche. Dieser Kampf bildet die Basis für Dohnals zukünftiges politisches Handeln.

Ende der 1970er forderte Dohnal die Elternkarenz, die Möglichkeit beider Eltern, sich nach der Geburt die Karenz-zeit zu teilen oder wahlweise in Karenz zu gehen. Diese Forderung wurde aber erst 13 Jahre später, 1990, erfüllt. Sie tritt auch vehement gegen Rollenklischees auf, Mädchen sollen durch ihre Schulbildung die selben Berufsmöglichkeiten haben wie Burschen. Sie startet Vorbereitungskurse für Mädchen, die einen technischen Beruf erlernen wollen und gründet eine Arbeits-gruppe für gleiche Lehrpläne für Buben und Mädchen.

Erstes Frauenhaus ÖsterreichsGemeinsam mit Vertreterinnen der au-tonomen Frauenbewegung ist es Dohnal gelungen, das erste Frauenhaus Öster-reichs zu eröffnen. Bundeskanzler Kreisky beruft 1979 Dohnal als Staatssekretärin für Frauenfragen in die Regierung. Damit löst er Frauenpolitik erstmals aus dem Bereich der Familienpolitik und etabliert sie als eigenständigen Bereich. Dohnal engagiert sich für Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst und beginnt in der Entwicklungszusammen-arbeit Fuß zu fassen. Auf ihre Initiative wird das Familienrecht erneuert.

Mitte der Achtziger beschließt der Bun-desparteitag der SPÖ die 25 %-Quote. Trotz dieser und anderer Erfolge wird es ab 1986 (die SPÖ bildet mit der ÖVP eine große Koalition) schwieriger, frauenpo-litische Forderungen umzusetzen, da es gilt, konservative Forderungen der ÖVP abzuwehren. Reformen im Strafrecht folgen, so wird die Vergewaltigung durch den Ehepartner unter Strafe gestellt und es besteht erstmals die Möglichkeit, auch in aufrechter Ehe einem gewalttätigen Ehepartner den Zutritt zur Wohnung mit-tels einstweiliger Verfügung gerichtlich zu untersagen.

1990 wird Dohnal zur ersten Frauenmi-nisterin und setzt ihre Arbeit fort, bis sie, vier Jahre später, bei der Regierungsum-bildung durch Vranitzky zum Rücktritt bewogen wird. Dohnal war bis zum Ende ihrer SPÖ-Karriere unbequem und hat sich unter den männlichen Genossen viele Feinde gemacht. Dohnal zieht sich daraufhin ins Privatleben zurück, meldet sich aber immer zu aktuellen politischen Debatten zu Wort. Sie lehrt an der Uni-versität und erhält zahlreiche Ehrungen. 2010 lässt sie ihre Partnerinnenschaft mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin eintragen, nur knapp einen Monat später, am 20. Februar, stirbt sie.

Johanna Dohnal hat mit ihrer Arbeit und Persönlichkeit viele Feministinnen inspiriert und motiviert. Sie war ihrer Zeit voraus und schaffte damit die Grundlage für unser heutiges politisches Selbstver-ständnis und lebt damit in unserer Arbeit weiter.

Johanna Dohnal vorreiterin und kämPferinJohanna Dohnal wurde am 14. Februar 1939 in Wien geboren. Sie wächst in ein-fachsten Verhältnissen auf. Mit 17 Jahren tritt sie der SPÖ bei. Durch ihr Engage-ment in der Partei und im Zuge ihrer prekären Arbeitsverhältnisse politisiert sie sich. Besonders der Kampf um die Fristenlösung Anfang der 70er Jahre sensibili-siert sie für frauenpolitische Themen.

Text: Jaqueline Gam

fristenregelung

auch Fristenlösung, das Gesetz, welches in Österreich den Schwangerschaftsabbruch bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffrei stellt.

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noch fragen?

was wählen wir bei den eu-wahlen?

wieso kann man „nur“ das euroPäische Parlament wählen?

Am 25. Mai wählen wir unsere Vertrete-rInnen für das Europäische Parlament. Ins Parlament werden 2014 insgesamt 751 Abgeordnete gewählt. Österreich stellt von diesen 18 Abgeordnete. Diese verteilen sich je nach Stimmenanzahl auf die verschie-denen Parteien. Der Spitzenkandidat der SPÖ ist Eugen Freund. Weitere Kandi-datInnen sind u.a. Evelyn Regner, Jörg Leichtfried und Karin Kadenbach.

Jeder Mitgliedsstaat hat seine eigene Wahlordnung, wie die VertreterInnen ins EU Parlament gewählt werden. Grund-sätzlich gilt aber, dass jede/-r EU Bürge-rIn wahlberechtigt ist. Das Wahlalter ist von Staat zu Staat unterschiedlich (in Ö ab 16 Jahren).

Neben dem EU Parlament, welches das Vertretungsorgan der EU BürgerInnen ist, gibt es auch noch den Europäischen Rat, den Rat der Europäischen Union und die EU Kommission, um nur einige zu nennen. Diese anderen Institutionen, mit Ausnahme der EU Kommission, sind durch Regierungsmitglieder der einzelnen Mitgliedsstaaten besetzt.

Bei den EU Wahlen 2014 kann man als EU BürgerIn indirekt auch die Wahl des/der KommissionspräsidentIn beeinflussen. Die stärkste Fraktion nach den Wahlen 2014 stellt den/die Kommissionspräsiden-tIn. Für die S&D Fraktion ist das Martin Schulz aus Deutschland.

Europäische Unionnoch fragen?Am 25. Mai wird gewählt, und zwar in fast ganz Europa. Für die meisten Jugendlichen ist das die erste EU-Wahl und viele wissen nicht genau, was nun zu tun ist. Deshalb gibt es hier nun ein paar Fragen und Antworten.

Text: Sarah Pliem

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in zahlen

Was die neoliberale Politik der EU genau anrichtet, zeigen einige ausgewählte Zahlen sehr deutlich:

welche aufgaben hat das euroPäische Parlament?

was bedeutet

euroPa–wählerinnen- evidenz?

Zum einen nimmt das Parlament gemein-sam mit dem Rat der Europäischen Union eine wichtige Rolle in der Gesetzgebung der EU ein. So diskutieren die Abgeordne-ten über EU – Verordnungen und Richt-linien und stimmen darüber ab. Diese erfolgen allerdings nicht auf Initiative des EU – Parlaments, sondern bspw. der Europäischen Kommission.

Eine weitere Aufgabe ist die Budgetie-rungsfunktion. Auch hier diskutieren die Abgeordneten und stimmen am Ende da-rüber ab. Je nachdem wird ein Vorschlag angenommen oder nicht.Darüber hinaus übt das EU – Parlament die parlamentarische Kontrolle über die Kommission und den Rat der Europäi-schen Union aus.

Bei der Europawahl ist jede/-r EU – Bür-gerIn wahlberechtigt. Ist es einer/einem WählerIn nicht möglich, am Wahltag im eigenen Land zu sein, so kann man sich in die Wählerevidenz eintragen lassen. Daraus ergibt sich dann, zwei Monate vor der Wahl, das WählerInnenverzeichnis.

Hat bspw. ein/-e Deutsche/-r aus beruf-lichen Gründen den Hauptwohnsitz in Österreich, so kann er oder sie sich in die Europa – WählerInnenevidenz der Gemeinde, in der sich der Hauptwohnsitz befindet, eintragen lassen. Das Wahlrecht des Heimatstaates erlischt damit nicht, doch wird es quasi an den Ort des Haupt-wohnsitzes verschoben.

Der Stichtag, bis zu dem man sich für die Europawahlen 2014 eintragen lassen kann, war der 11. März.

DIE poLITIK DER EUin zahlen

26.000000 Menschen waren im Jänner

2014 in der EU arbeitslos. Das sind 10,8% der Bevölkerung. In

Griechenland und Spanien ist es sogar jedeR zweite

Jugendliche!Wienerzeitung,

40.000 Flüchtlinge

ertranken seit 2008 im Mittelmeer.

Vergessene-kriege.blogspot.co.at, 4.3.

30%ist die Obdachlosig-keit in Griechenland

seit 2009 und somit seit Beginn der Krise ange-

stiegen.Deutsche Wirtschaftsnach-

richten, 4.3.

1.500% Um soviel Prozent stieg

in Athen seit 2009 die Pro-stitution. Diese unkontrollierte

Zunahme trug zu einem ungeheu-ren Anstieg der sexuell übertragenen

Krankheiten bei. Seit den Kriegszeiten fast in Vergessenheit geratene Krank-

heiten wie Syphilis, Gonorrhoe (“Tripper”) und Condylomata

acuminata (“Feigwarzen”) sind wieder aktuell geworden.

Netzfrauen.org, 4.3. 360 Euro beträgt das

Arbeitslosengeld für GriechInnen. Es wird maximal für ein Jahr

ausbezahlt.Netzfrauen.org, 4.3.

160 MilliardenEuro

flossen in den Ländern Griechenland, Irland und

Spanien in die Hände der Ban-ken, um damit deren Verluste auszugleichen, die den Geld-häusern aus faulen Krediten

entstanden sind.Netzfrauen.org, 4.3.

1.000Erwerbstätige in

Griechenland werden jüngeren Berechnun-gen zufolge pro Tag

gekündigt.Netzfrauen.org, 4.3.

75% ist die Überlebens-

chance für Flüchtlinge, die mit dem Boot übers

Mittelmeer nach Europa wollen. Im Schnitt ertrinkt

jedeR Vierte von ihnen. Vergessene-kriege.blogspot.

co.at, 4.3.

500Immobilien wer-

den derzeit pro Tag in Spanien zwangsweise ge-

räumt. Dazu gehören nicht nur Wohnungen, sondern auch

Garagen, Werkstätten oder Grund-stücke. Die Zwangsräumungen lösten eine

Welle von Protesten aus. Mehr als 1,5 Millionen SpanierInnen unterstützten ein Volksbegehren, das ein sofortiges

Ende aller Zwangsräumungen forderte.Spiegel, 4.3.

400.000 SpanierInnen muss-

ten in den vergangenen vier Jahren bereits ihre

Wohnungen und Häuser verlassen, weil sie zwangs-

geräumt wurden.Spiegel, 4.3.

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thema

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FACKELZUGKEIN RECHTES EUROPA!30. APRIL, 20 UHR, OPER

WAD ADAM RATHAUSPLATZ

DANACH PARTY MIT