Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte...

7
Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung von Einzelzahnlücken Ein Beitrag von Dr. Theresa Wohlrab, Dr. Simona Schick und Prof. Dr. Cornelia Frese, Heidelberg Für die funktionelle und ästhetische Rehabilita- tion einer Einzelzahnlücke nach traumatischem Verlust eines Frontzahns existiert in der Zahn- heilkunde ein breites Portfolio an Behandlungs- möglichkeiten, zum Beispiel ein- oder mehrflü- gelige Adhäsivbrücken, konventionelle Brücken, Einzelzahnimplantate oder der kieferorthopädi- sche Lückenschluss. Weniger verbreitet hinge- gen sind Behandlungsmöglichkeiten, die die Verwendung von plastisch verarbeitbaren und adhäsiv verankerbaren Kompositmaterialien beinhalten und so ein defektorientiertes, non- bis minimalinvasives Vorgehen ermöglichen. Faserverstärkte Kompositmaterialien erweitern die klinischen Indikationsbereiche im Sinne semipermanenter Versorgungen. Gründe für das Fehlen von Zähnen sind neben Karies unter anderem Parodontitiden, genetische Prädispositionen und dentale Traumata [1–3]. Be- sonders im anterioren Bereich ergibt sich neben der rein funktionellen Rehabilitation die Schwierig- keit, eine harmonische Frontzahnsituation unter Berücksichtigung von Hart- und Weichgewebe her- zustellen. Bei jungen Patienten nehmen zusätzlich nicht abgeschlossenes Kieferwachstum und das Be- streben nach maximaler Schonung der Zahnhart- substanz der benachbarten Dentition Einfluss auf die therapeutische Entscheidungsfindung. Als festsitzende Therapieoptionen stehen konven- tionelle Brücken, substanzschonendere Formen wie ein- oder zweiflügelige Adhäsivbrücken sowie chirurgisch-prothetische Versorgungen mittels Im- plantaten zur Auswahl [4–7]. Im Folgenden soll eine weitere, minimalinvasiv-restaurative Alter- native der Einzellückenversorgung im Sinne einer faserverstärkten Kompositbrücke vorgestellt und diskutiert werden. Faserverstärkte Komposite Faserverstärkte Komposite (englisch: fiber-rein- forced composites = FRC) wurden erstmals in der Zahnmedizin der 1960er-Jahre zur Verstärkung von Prothesen basen eingesetzt [8]. Inspiriert durch die Verwendung im Bereich der Luft- und Raumfahrt sowie des Schiffs- und Automobilbaus wurde in den vergangenen 40 Jahren auch an der Weiterentwicklung der faserverstärkten Kom- positmaterialien und deren Einsatzgebieten im dentalen Sektor gearbeitet [9]. Mittlerweile fin- den die Fasermaterialien bei der Herstellung und Reparatur herausnehmbarer Prothetik [10], zur Verstärkung festsitzenden Zahnersatzes [11], in der restaurativen Zahnheilkunde [12], der Paro- dontologie [13,14], der Endodontie [15] sowie der Kieferorthopädie [9] Anwendung. Faserverstärkte Komposite bestehen aus einer Kombination anorganischer präimprägnierter Glasfasern, die in eine organische methacrylat- basierte Matrix eingebettet sind. Der Verbund zwischen Matrix und Glasfasern soll entweder durch Silanisierung oder durch eine spezielle Plasmabeschichtung der Fasern entstehen. Die Matrix, die die Fasern umgibt, besteht entweder aus einer Komposition von Dimethacrylatmono- meren (z. B. bis-GMA, UDMA, TEGDMA) oder ist aus zwei Polymeren (z. B. Bis-GMA und PMMA) zusammengesetzt. Dimethacrylatmonomere rea- gieren theoretisch nach Lichtpolymerisation zu einem quervernetzten Polymer (Cross Linked Po- lymer-Matrix, CLP-Matrix), während die Polymer- matrix ein semi-interpenetrierendes Polymernetz- werk (Semi-IPN) aus zwei getrennten, chemisch nicht verbundenen Netzwerken ausbilden und funk- tionelle Gruppen ungebunden lassen soll [16]. Aus diesem Grund besteht auch nach der Polyme- risation die Möglichkeit, dass frische Monomere in die Semi-IPN-Matrix diffundieren. Damit wäre die Semi-IPN-Matrix der CLP-Matrix hinsichtlich ih- res Reparaturpotenzials überlegen [17]. Klinische Anwendung finden Semi-IPN-basierte Strukturen in vorgefertigten Werkstücken wie Wurzelkanal- stiften oder laborgefertigten faserverstärkten Kom- positbrücken. FRC-Materialien mit einer CLP-Mat- rix sollen sich aufgrund ihrer guten mechanischen Eigenschaften für die direkte intraorale Herstel- | BZB Dezember 18 | Wissenschaft und Fortbildung 60

Transcript of Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte...

Page 1: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem ZahnverlustBehandlungsalternative zur konventionellen Versorgung von Einzelzahnlücken

Ein Beitrag von Dr. Theresa Wohlrab, Dr. Simona Schick und Prof. Dr. Cornelia Frese, Heidelberg

Für die funktionelle und ästhetische Rehabilita-tion einer Einzelzahnlücke nach traumatischem Verlust eines Frontzahns existiert in der Zahn-heilkunde ein breites Portfolio an Behandlungs-möglichkeiten, zum Beispiel ein- oder mehrflü-gelige Adhäsivbrücken, konventionelle Brücken, Einzelzahnimplantate oder der kieferorthopädi-sche Lückenschluss. Weniger verbreitet hinge-gen sind Behandlungsmöglichkeiten, die die Verwendung von plastisch verarbeitbaren und adhäsiv verankerbaren Kompositmaterialien beinhalten und so ein defektorientiertes, non- bis minimalinvasives Vorgehen ermöglichen. Faserverstärkte Kompositmaterialien erweitern die klinischen Indikationsbereiche im Sinne semipermanenter Versorgungen.

Gründe für das Fehlen von Zähnen sind neben

Karies unter anderem Parodontitiden, genetische

Prädispositionen und dentale Traumata [1–3]. Be-

sonders im anterioren Bereich ergibt sich neben

der rein funktionellen Rehabilitation die Schwierig-

keit, eine harmonische Frontzahnsituation unter

Berücksichtigung von Hart- und Weichgewebe her-

zustellen. Bei jungen Patienten nehmen zusätzlich

nicht abgeschlossenes Kieferwachstum und das Be-

streben nach maximaler Schonung der Zahnhart-

substanz der benachbarten Dentition Einfluss auf

die therapeutische Entscheidungsfindung.

Als festsitzende Therapieoptionen stehen konven-

tionelle Brücken, sub stanzschonendere Formen

wie ein- oder zweiflügelige Adhäsivbrücken sowie

chirurgisch-prothetische Versorgungen mittels Im-

plantaten zur Auswahl [4–7]. Im Folgenden soll

eine weitere, minimalinvasiv-restaurative Alter-

native der Einzellückenversorgung im Sinne einer

faserverstärkten Kompositbrücke vorgestellt und

diskutiert werden.

Faserverstärkte KompositeFaserverstärkte Komposite (englisch: fiber-rein-

forced composites = FRC) wurden erstmals in der

Zahnmedizin der 1960er-Jahre zur Verstärkung

von Prothesen basen eingesetzt [8]. Inspiriert

durch die Verwendung im Bereich der Luft- und

Raumfahrt sowie des Schiffs- und Automobilbaus

wurde in den vergangenen 40 Jahren auch an

der Weiterentwicklung der faserverstärkten Kom-

positmaterialien und deren Einsatzgebieten im

dentalen Sektor gearbeitet [9]. Mittlerweile fin-

den die Fasermaterialien bei der Herstellung und

Reparatur herausnehmbarer Prothetik [10], zur

Verstärkung festsitzenden Zahnersatzes [11], in

der restaurativen Zahnheilkunde [12], der Paro-

dontologie [13,14], der Endodontie [15] sowie der

Kieferorthopädie [9] Anwendung.

Faserverstärkte Komposite bestehen aus einer

Kombination anorganischer präimprägnierter

Glasfasern, die in eine organische methacrylat-

basierte Matrix eingebettet sind. Der Verbund

zwischen Matrix und Glasfasern soll entweder

durch Silanisierung oder durch eine spezielle

Plasmabeschichtung der Fasern entstehen. Die

Matrix, die die Fasern umgibt, besteht entweder

aus einer Komposition von Dimethacrylatmono-

meren (z. B. bis-GMA, UDMA, TEGDMA) oder ist

aus zwei Polymeren (z. B. Bis-GMA und PMMA)

zusammengesetzt. Dimethacrylatmonomere rea-

gieren theoretisch nach Lichtpolymerisation zu

einem quervernetzten Polymer (Cross Linked Po-

lymer-Matrix, CLP-Matrix), während die Polymer-

matrix ein semi-interpenetrierendes Polymernetz-

werk (Semi-IPN) aus zwei getrennten, chemisch

nicht verbundenen Netzwerken ausbilden und funk-

tionelle Gruppen ungebunden lassen soll [16].

Aus diesem Grund besteht auch nach der Polyme-

risation die Möglichkeit, dass frische Monomere in

die Semi-IPN- Matrix diffundieren. Damit wäre die

Semi-IPN-Matrix der CLP-Matrix hinsichtlich ih-

res Reparaturpotenzials überlegen [17]. Klinische

Anwendung finden Semi-IPN-basierte Strukturen

in vorgefertigten Werkstücken wie Wurzelkanal-

stiften oder laborgefertigten faserverstärkten Kom-

positbrücken. FRC-Materialien mit einer CLP-Mat-

rix sollen sich aufgrund ihrer guten mechanischen

Eigenschaften für die direkte intraorale Herstel-

| BZB Dezember 18 | Wissenschaft und Fortbildung60

Page 2: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

lung von Verblockungen, Traumaschienungen

oder direkten faserverstärkten Kompositbrücken

eignen [9,18–20].

Neben den verschiedenen Matrixstrukturen ste-

hen diverse faserverstärkte Kompositmaterialien

mit unterschiedlichen Faserorientierungen zur

Verfügung, was bei der Therapieplanung von Vor-

teil für die interne Verstärkung der Restauration

sein soll. Daher ist die Verlaufsrichtung der Fa-

sern ausschlaggebend für den klinischen Einsatz-

bereich: Unidirektional orientierte Faserbündel, so-

genannte Faserstränge, sollen sich zur Herstellung

von faserverstärkten Kompositbrücken eignen, die

beispielsweise bei der Versorgung von Einzelzahn-

lücken im Frontzahnbereich sowie parodontalen

und kieferorthopädischen Verblockungen zum

Einsatz kommen (Abb. 1 bis 3). Orthogonale faser-

verstärkte Netze sollen hingegen eher zur inter-

nen Verstärkung direkter Kompositaufbauten im

Seitenzahnbereich mit Ersatz eines oder mehrerer

Höcker und zur bukkalen Schienung traumatisch

geschädigter Zähne indiziert sein (Abb. 4 und 5).

Die Gruppe der kurzen, zufällig angeordneten

Fasern befindet sich in Bulk-Fill-Kompositen (z. B.

everX Posterior, GC). Verwendet werden diese

zufällig angeordneten, circa 1 mm langen FRC-

Fasern als Stumpfaufbaumaterial zur Stabilisie-

rung endodontisch vorbehandelter und tief zer-

störter Zähne (Abb. 6 und 7) [21].

Auch wenn die faserverstärkten Kompositmate-

rialien vielfältig einsetzbar scheinen, sollten die

Anwendung und die Art der verwendeten Materia-

lien weiterhin kritisch betrachtet und indikations-

bezogen geprüft werden. Aufgrund der unter-

schiedlichen Natur der zwei Werkstoffe bleibt die

dauerhafte Festigkeit des Verbunds zwischen Glas-

faser und Harz matrix fraglich. Die chemische

Anbindung der Fasern an die organische Matrix

stellt nach wie vor die Schwachstelle im Verbund

dar. Bekannte Komplikationen sind ein Abplatzen

des Verblendkomposits vom Glasfasergerüst (Chip-

pingfrakturen) mit freiliegenden Fasern, Frak-

turen im Verbindungsbereich (Konnektorfläche)

zum Nachbarzahn sowie ein Verlust der faserver-

stärkten Brücke aufgrund eines kompletten Versa-

gens des adhäsiven Verbunds zum Pfeilerzahn. Ein

klinisches Beispiel für ein Versagen im Sinne einer

Chippingfraktur des Verblendkomposits mit frei-

liegenden Faseranteilen ist in den Abbildungen

8a und b dargestellt [22].

Klinisches FallbeispielAnamnese und BefundeEine 13-jährige Patientin stellte sich in Begleitung

ihrer Mutter in der Sektion für Präventive und Res-

taurative Zahnheilkunde der Poliklinik für Zahn-

erhaltungskunde der Klinik für Mund-, Zahn- und

Abb. 1: Schematische Darstellung einer unidirektio- nalen Faserorientierung im Querschnitt durch den Faserstrang. Grau: Faser, grün: methylacrylatbasierte Kompositmatrix, rot: Silan.

Abb. 2: Beispiel für einen unidirektionalen Faserstrang (everStickC&B, GC). Verpackung, Durchmesser, Dicke und Faserzahl des faserverstärkten Kompositstrangs variieren je nach Hersteller und Produkt.

Abb. 3: Weiteres Beispiel für einen unidirektionalen Faserstrang (GrandTec, Voco). Verpackung, Durchmesser, Dicke und Faserzahl des faserverstärkten Kompositstrangs variieren je nach Hersteller und Produkt.

Wissenschaft und Fortbildung | BZB Dezember 18 | 61

Page 3: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Heidel-

berg zur Beratung vor. Grund dafür war die Schalt-

lücke in regio 21, die als Folge eines vorausgegan-

genen Frontzahntraumas mit Avulsion, Replanta-

tion, restaurativer und endodontischer Therapie

sowie anschließender Ankylose des traumatisch

geschädigten Zahns entstanden war. Um bei der

jungen Patientin eine dauerhafte alveoläre Wachs-

tumshemmung aufgrund der Ankylose im Front-

zahnbereich zu verhindern, war im Laufe der

vorhergegangenen Behandlungen entschieden

worden, eine Dekoronation und Entfernung des

Zahns 21 durchzuführen.

Die Patientin gab bei der Erhebung der allge-

meinen Anamnese an, gesund zu sein. Sie nahm

keine Medikamente ein. Zum Zeitpunkt der Vor-

stellung bestanden keine Schmerzen oder andere

Beschwerden im Mund-, Kiefer- und Gesichts-

bereich, es waren keine erhöhten Sondierungstie-

fen, kein Bluten nach Sondieren und keine Locke-

rung der Zähne 11 und 22 zu konstatieren. Die

Zähne reagierten auf den Sensibilitätstest mittels

Kälte positiv und der Perkussionstest gab keinen

Hinweis auf ein pathologisches apikales Gesche-

hen. Der Zahn 11 war restaurativ bereits mittels

einer direkten Kompositrestauration versorgt. Der

Zahn 22 war naturgesund und weder prothetisch

noch restaurativ in irgendeiner Form behandelt.

Eine herausnehmbare kieferorthopädische Appa-

ratur hielt die Lücke in regio 21 stabil und ersetzte

gleichzeitig den fehlenden Zahn 21 provisorisch.

Die Lücke zwischen dem Zahn 11 und dem Pro-

thesenzahn wurde von der 13-jährigen Patientin

als ästhetisch störend empfunden. Der Ausgangs-

zustand vor der Behandlung ist in den Abbildun-

gen 9a und b dargestellt.

Abb. 4: Schematische Darstellung einer orthogonalen/ netzartigen Faserorientierung. Grau: Faser, grün: methyl- acrylatbasierte Kompositmatrix, rot: Silan.

Abb. 6: Schematische Darstellung von kurzen, zufäl-lig angeordneten Fasern in einem viskösen Komposit- material. Grau: Faser, grün: methylacrylatbasierte Kompositmatrix, rot: Silan.

Abb. 5: Beispiel für ein faserverstärktes Netz mit orthogonaler Faserorientierung (everStick-NET, GC)

Abb. 7: Beispiel für ein visköses Bulk-Fill-Komposit mit zufällig angeordneten Fasern (everX Posterior, GC). Das Fasermaterial kann als stabilisierendes Aufbaumaterial bei endodontisch vorbehandelten und tief zerstörten Zähnen verwendet werden. Es sollte mit circa 1 mm polier-barem Restaurationskomposit überdeckt werden.

Quelle der Abbildungen 1, 2, 4, 5, 6 und 7: Frese C., Staehle H. J., Wolff D. Faserverstärkte Komposite – Materialspezifische Eigenschaften und klinische Einsatzmöglichkeiten; wissen kompakt 2015, 9(4); 179 – 188

| BZB Dezember 18 | Wissenschaft und Fortbildung62

Page 4: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

Die Patientin wünschte die funktionelle und äs-

thetische Rehabilitation der Lücke im Oberkiefer-

frontzahnbereich mittels eines festsitzenden, mini-

malinvasiven und zahnfarbenen Zahnersatzes. Die

Möglichkeit, die Lücke nach Abschluss des Kiefer-

wachstums im Erwachsenenalter mit einem Einzel-

zahnimplantat oder einer konventionellen Alterna-

tive zu versorgen, sollte durch die restaurative Ver-

sorgung möglichst bestehen bleiben. Insofern kam

auch eine semipermanente Lösung in Betracht.

In der Sektion für Präventive und Restaurative

Zahnheilkunde wurde die Patientin über verschie-

dene Behandlungsoptionen unter Abwägung der

Vor- und Nachteile ausführlich aufgeklärt. Sie und

ihre Mutter wurden darauf hingewiesen, dass ak-

tuell ausschließlich mittelfristige Studien hinsicht-

lich der Haltbarkeit von faserverstärkten Komposit-

brücken vorliegen [19,22,23] und derzeit keine

Langzeitprognose gegeben werden kann.

Ein Vorteil der faserverstärkten Kompositbrücken

insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen

ist jedoch die minimal- beziehungsweise non-inva-

sive Technik zur festsitzenden Lückenversorgung.

Lückenbegrenzende Nachbarzähne müssen nicht

oder nur geringfügig beschliffen werden, und so-

mit bleibt die Möglichkeit für jede weitere Therapie-

option zum Lückenschluss im Erwachsenenalter

offen. Aus dem Gespräch wurde deutlich, dass die

Patientin eine minimalinvasive und festsitzende

Therapie bevorzugt, sodass eine Versorgung der

Lücke im Oberkiefer mittels einer faserverstärkten

Kompositbrücke unter Abwägung aller Vor- und

Nachteile vereinbart wurde.

Anhand von Situationsmodellen sollte das Pontic

des Zahns 21 indirekt im zahntechnischen Labor

hergestellt (Abb. 10a) und in einer zweiten Sitzung

unter Zuhilfe nahme von faserverstärkten Kompo-

sitmaterialien als einflügelige Brücke an Zahn 11

eingegliedert werden. Somit wird ein vollständiger

Zahnhartsubstanzerhalt der lückenbegrenzenden

Zähne gewährleistet.

Herstellung der einflügeligen faserverstärkten KompositbrückeZu Beginn der restaurativen Behandlung wurden

die Zähne gereinigt und die Zahnfarbe bestimmt.

Anschließend erfolgte die absolute Trockenlegung

der Oberkieferfront von 13 bis 23 mittels Koffer-

dam. Aufgrund der okklusalen Verhältnisse konnte

auf eine Präparation des Pfeiler zahns 11 verzichtet

werden. Die auf Schmelz begrenzte Oberfläche des

Zahns 11 wurde mittels Säureätztechnik auf den

Abb. 8a und b: Beispiel für das Versagen einer faserverstärkten Kompositbrücke im Frontzahnbereich. Zu sehen ist ein Abplatzen des Verblendkomposits vom Faser-gerüst mit freiliegenden Faseranteilen. a) Ansicht von okklusal, b) Ansicht von frontal.

Abb. 9a und b: Ausgangssituation mit Zustand nach Frontzahntrauma und Verlust des Zahns 21. a) Zahn 11 ist direkt restaurativ mittels einer Komposit restauration versorgt. Der Zahn 21 fehlt nach vorangegangenem Frontzahntrauma. b) Intraorale Situation mit eingesetzter kieferorthopädischer Apparatur und eingearbeitetem Prothesenzahn zum provisorischen Ersatz des fehlenden Zahns 21. Die Lücke zwischen dem Zahn 11 und dem Prothesenzahn wird von der 13-jährigen Patientin als ästhetisch störend empfunden.

Quelle der Abbildungen 8a und b: Wolff, D. et al. Fiber-reinforced composite fixed dental prostheses: A 4-year prospective clinical trial evaluating survival, quality, and effects on surrounding periodontal tissues. J Prosthet Dent, 2017

Wissenschaft und Fortbildung | BZB Dezember 18 | 63

Page 5: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

adhäsiven Verbund zwischen Zahn und glasfaser-

verstärktem Komposit vorbereitet. Hierzu wurde

die palatinale und mesiale Fläche des Zahns 11

mit 37-prozentiger Phosphorsäure für 30 Sekunden

angeätzt, abgespült und getrocknet. Darauf folgte

unter abgedunkelter OP-Leuchte das Einmassieren

eines Primers für 20 Sekunden und das Auftragen

und Lichthärten eines gefüllten Adhäsivs (Opti-

bond FL, Kerr Hawe).

Parallel dazu wurde der Pontic-Zahn 21 extra-

oral vorbereitet. Hierzu wurde in einem ersten

Schritt im inzi salen Drittel des Pontics eine circa

2 bis 3 mm breite und 0,5 mm tiefe Rille angelegt

(siehe grüne Markierung in Abb. 11a). Die palati-

nal-mesiale Fläche wurde anschließend mit einem

Al2O

3-Pulver (50 μm Körnung) abgestrahlt und ein

mikromechanisches Relief geschaffen. Hierauf er-

folgte das Auftragen eines silan-methacrylathalti-

gen Universal primers für 60 Sekunden (Monobond

Plus, Ivoclar Vivadent), der als Haftvermittler fun-

gierte. Analog zur Vorbehandlung der intraoralen

Klebe fläche wurde auch auf die Klebeflächen des

Pontics ein gefülltes Adhäsiv aufgetragen und licht-

gehärtet. Das Pontic wurde nach abgeschlossener

Vorbereitung in einem Lichtschutzgefäß (Vivapad,

Ivoclar Vivadent) aufbewahrt.

Um die korrekte Länge des faserverstärkten Kom-

positstrangs abzuschätzen, wurde die Distanz

zwischen den palatinalen Flächen des Zahns 11

und des Pontics 21 mithilfe eines Gummistreifens

(Wedget) und einer Parodontalsonde ausgemes-

sen (Abb. 10b). Eine kleine Menge Flow-Komposit

wurde auf die mesiale Fläche des Zahns 11 gege-

ben, das Pontic in die richtige anatomische Aus-

richtung im Kieferbogen gebracht und zur initia-

len Fixierung lichtgehärtet. Hierbei ist zu beach-

ten, dass das Pontic in Hinblick auf die Ästhetik

und Reinigungsfähigkeit unter Druck und mit

Kontakt zum Kieferkamm festpolymerisiert wer-

den sollte. Durch die Fixierung mit einer kleinen

Abb. 11a: Schematische Darstellung der einflügeligen faserverstärkten Kom-positbrücke und der Lage des faserverstärkten Komposit strangs. Im Front- zahnbereich sollten die faserverstärkten Komposit stränge aufgrund der dort auftretenden Scherkräfte möglichst weit inzisal platziert werden. Grün: faser-verstärkter Kompositstrang, *: Pontic.

Abb. 11b: Zustand nach Eingliederung der einflügeligen faserverstärkten Kompositbrücke, *: Pontic

* *

Abb. 10b: Wedget und Parodontalsonde als Hilfsmittel zur korrekten Bestimmung der Länge des faser-verstärkten Kompositstrangs

Abb. 10a: Beispiel für ein Pontic, das aus Komposit-material im zahntechnischen Labor gefertigt wurde und mithilfe eines faserverstärkten Kompositstrangs als einflügelige faserverstärkte Kompositbrücke an Zahn 11 eingegliedert werden soll.

| BZB Dezember 18 | Wissenschaft und Fortbildung64

Page 6: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

Menge Flow-Komposit im Approximalbereich ist

die Wiederholung der Prozedur zur Korrektur der

Position möglich. Hierbei müssen die Oberflächen

mit einem feinen Diamanten angefrischt und die

entsprechenden Schritte der Adhäsivtechnik wie

oben beschrieben wiederholt werden.

Nach korrekter Positionierung des Pontics wurde mit

einer Sonde eine weitere kleine Menge Flow-Kom-

posit auf die palatinale Fläche des Zahns 11 und

des Pontics 21 aufgetragen. Der zurechtgeschnit-

tene faser verstärkte Komposit strang wurde darin

eingebettet und mithilfe eines Heidemannspatels

vorsichtig Schritt für Schritt angedrückt. Hierbei

erfolgte die initiale Fixierung des faserverstärkten

Kompositstrangs durch kurzes Lichthärten an jeder

Stelle (circa 3 bis 5 Sekunden). Nach dem Erreichen

der endgültigen Position wurde das Fasermate-

rial vollständig lichtgehärtet und anschließend mit

viskösem Kompositmaterial abgedeckt. Die Über-

schichtung mit viskösem Komposit ist wichtig, um

Feuchtigkeitszutritt und Degradation des faser-

verstärkten Kompositmaterials während der intra-

oralen Liegedauer zu vermeiden.

Die Ausarbeitung der Interdentalräume und der

Übergänge erfolgte mittels sichel förmigem Skal-

pell (Nr. 12) und Finierstreifen. Um Belastungsspit-

zen auf dem Pontic zu vermeiden, wurde es aus

der dynamischen Okklusion genommen, lediglich

leichte statische Okklusionskontakte wurden belas-

sen. Die abschließende Gestaltung der Verbund-

flächen und die Vorpolitur erfolgten mit Finierdia-

manten, die Hochglanzpolitur mittels Polierschei-

ben sowie Silikonpolierern (Abb. 11b und 12).

Um eine suffiziente Pflege der Zahnzwischenräume

und damit weitgehend entzündungsfreie Verhält-

nisse gewährleisten zu können, wurden in einem

letzten Schritt Zahnzwischenraumbürsten individu-

ell an die Größe der neu entstanden Zwischenräume

angepasst. Die Hand habung dieser Bürsten wurde

der Patientin demonstriert und mit ihr geübt.

Kontrolle nach drei JahrenZum Zeitpunkt der Nachuntersuchung nach drei

Jahren zeigt sich das Erscheinungsbild ästhetisch

ansprechend. Die faserverstärkte Kompositbrücke

unterscheidet sich in Farbton und Transluzenz

nicht von den Nachbarzähnen (Abb. 13a und b). Es

traten innerhalb der Beobachtungszeit keine uner-

wünschten Ereignisse oder Reparaturen an der faser-

verstärkten Kompositbrücke auf. Weiterhin sind

keine funktionellen Einschränkungen erkennbar.

Der Pfeiler zahn 11 ist weder hypersensibel noch

klopfempfindlich oder gelockert und die Gingiva

imponiert weitgehend reizlos. Die Sondiertiefen an

Zahn 11 liegen bei 2 mm, es tritt kein Bluten nach

Sondieren auf. Das nach Abschluss der Behand-

lung bestehende interdentale schwarze Dreieck

zwischen Zahn 11 und Pontic 21 hat sich mit einer

Interdentalpapille auf natürliche Weise gefüllt

Abb. 12: Okklusale Aufsicht auf die einflügelige faserverstärkte Kompositbrücke 11 bis 21: Die Glasfasern sind in das Pontic 21 integriert und liegen als Flügel palatinal an Zahn 11 auf. Da die okklusalen Verhältnisse es erlaubten, musste der Zahn 11 nicht präpariert werden. Um einen vorzeitigen Verschleiß zu vermeiden, ist der FRC-Strang vollständig mit viskösem Komposit abgedeckt.

Abb. 13a und b: Zustand zum Zeitpunkt der Kontrolle nach drei Jahren. a) Okklusale Aufsicht auf die einflügelige faserverstärkte Komposit brücke 11 bis 21, b) Ansicht von frontal auf die einflügelige faser verstärkte Komposit- brücke 11 bis 21. Der Pfeilerzahn 11 ist weder hypersensibel noch klopf- empfindlich oder gelockert und die Gingiva imponiert weitgehend reizlos. Die Sondiertiefen an Zahn 11 liegen bei 2 mm. Grüner Pfeil: Die Interdental-papille füllt den Inter dentalraum vollständig aus.

a

b

Wissenschaft und Fortbildung | BZB Dezember 18 | 65

Page 7: Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust · Faserverstärkte Kompositbrücken nach traumatischem Zahnverlust Behandlungsalternative zur konventionellen Versorgung

(siehe Pfeil in Abb. 13b). Die marginale Adaption

des Komposits an die Zahnhartsubstanz sowie an

das Pontic ist stufenlos und zeigt keine Anzeichen

von Abplatzungen oder Rissen. Die Patientin ist

zufrieden und nutzt täglich die individuell ange-

passte Interdentalraumbürste.

Diskussion und EpikriseDas junge Alter der Patientin, die zahnmedizini-

sche Vorgeschichte des Frontzahntraumas und die

weitgehend naturgesunden, lückenbegrenzenden

Zähne verlangen nach einer minimalinvasiven

und substanzschonenden Therapieoption. Zusätz-

lich ist im jugendlichen Alter von chirurgischen

und invasiv-prothetischen Interventionen abzura-

ten, da das Kieferwachstum nicht abgeschlossen

sein und die Pulpa bei jungen Patienten durch

ausgedehnte Präparationsformen gefährdet wer-

den könnte. Die vorgestellte Behandlungsmethode

bietet die Möglichkeit, Einzelzahnlücken im Front-

zahnbereich mit einer maximal zahnhartsubstanz-

schonenden semipermanenten Versorgung zu

schließen. Damit ist dieses Vorgehen ideal für die

Behandlung von Kindern und Jugendlichen geeig-

net. Zusätzlich grenzen sich die faserverstärkten

Kompositbrücken durch die Option der unmittel-

baren Reparatur- und Erweiterungsfähigkeit po-

sitiv von klassischen laborgefertigten voll- oder

metallkeramischen Brücken ab [24,25].

Die Langzeitprognose für das Überleben nach

viereinhalb Jahren liegt bei faserverstärkten Kom-

positbrücken zwischen 72,6 und 73,4 Prozent [19,

26]. Sie sind damit zwar den Adhäsivbrücken im

Frontzahn bereich deutlich unterlegen (87,7 Pro-

zent nach fünf Jahren beziehungsweise 94,4 Pro-

zent nach zehn Jahren) [4,5], jedoch bieten sie

sich bei Kindern, Jugendlichen und auch bei er-

wachsenen Patienten als semipermanente, mini-

malinvasive Behandlungsmethode an, wenn eine

definitive Therapieentscheidung aus finanziellen

oder persönlichen Gründen abgewartet werden soll

[9,19, 27]. Gleichzeitig beeinträchtigt die Eingliede-

rung einer direkten Kompositbrücke eine spätere

konventionelle Versorgungsmöglichkeit im Erwach-

senenalter nicht.

Fazit für die Praxis∙ Faserverstärkte Kompositbrücken zeigen in aktu-

ellen Studien ein gutes mittelfristiges Überleben.

∙ Faserverstärkte Kompositbrücken eignen sich als

semipermanente, kostengünstige, minimalinva-

sive Alternative zu konventionellen prothetischen

oder chirurgischen Versorgungsmöglichkeiten von

Einzelzahnlücken im Frontzahnbereich.

∙ Direkte Kompositbrücken zeichnen sich durch die

unmittelbare Reparatur- und Erweiterungsfähig-

keit aus und eignen sich im Besonderen im Rah-

men der Versorgung von Kindern und Jugendli-

chen mit nicht abgeschlossenem Kiefer wachstum.

∙ Für den erfolgreichen Umgang mit faserverstärk-

ten, direkt eingebrachten Kompositmaterialien ist

neben einer patientenbezogenen Nutzen-Risiko-

Abwägung auch eine kritische Evaluation der auf

dem Markt verfügbaren Materialien wichtig.

Korrespondenzadresse:Dr. Theresa Wohlrab

Universitätsklinikum Heidelberg Poliklinik für Zahnerhaltungskunde

Im Neuenheimer Feld 40069120 Heidelberg

[email protected]

Literatur bei den Verfasserinnen

Jetzt informieren: www.teamwork-campus.de

CURRICULUM IMPLANTATPROTHETIK

an der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, LMU in München Ab April 2019

Anzeige

| BZB Dezember 18 | Wissenschaft und Fortbildung66