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Es ist 02:15 Uhr in einer kalten und neblig- grauen Mainacht im Waadtländer Jura. Der Hirt, der im Frühjahr seine Alp für die kom- mende Saison vorbereitet, wird von einem Ge- räusch aus dem Schlaf gerissen. Als er vor seine Hütte tritt, heult ein Wolf ganz in der Nähe. Ein schauderhaftes Heulen, das durch Mark und Bein geht. Auch wenn er weiss, dass für ihn vom Wolf wahrscheinlich keine Gefahr ausgeht und seine Tiere zum jetzigen Zeitpunkt noch im Tal sind, läuft es ihm doch kalt über den Rü- cken und er bekommt Gänsehaut. Dann noch ein kurzer Heuler und der Wolf verschwindet in der dunklen Stille der Nacht. Diese kleine Anekdote erzählte mir ein Hirte, als ich beim akustischen Monitoring der Wölfe im Jura auf der Suche nach geeigneten Standorten für Tonaufnahmegeräte an seiner Hütte vorbei- kam. Jeder, der schon einmal Wölfe in freier Natur heulen gehört hat, war beeindruckt von der Kraft und dem unheimlichen Klang des Heulens. Es scheint, als ob uns Wolfsgeheul direkt auf körperlicher und emotionaler Ebene anspricht. In diesem Artikel gehe ich genauer auf die akustische Kommunikation der Wölfe ein und zeige auf, wie die Lautäusserungen der Wölfe für deren Monitoring und Management verwendet werden können. Zudem möchte ich versuchen zu erklären, weshalb Wolfsgeheul niemanden kalt lässt. Wolfsmonitoring mit bioakusschen Methoden Nr. 55 / Dezember 2019 Wolfsmonitoring Teil-Version Fauna Focus

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Es ist 02:15 Uhr in einer kalten und neblig-grauen Mainacht im Waadtländer Jura. Der Hirt, der im Frühjahr seine Alp für die kom-mende Saison vorbereitet, wird von einem Ge-räusch aus dem Schlaf gerissen. Als er vor seine Hütte tritt, heult ein Wolf ganz in der Nähe. Ein schauderhaftes Heulen, das durch Mark und Bein geht. Auch wenn er weiss, dass für ihn vom Wolf wahrscheinlich keine Gefahr ausgeht und seine Tiere zum jetzigen Zeitpunkt noch im Tal sind, läuft es ihm doch kalt über den Rü-cken und er bekommt Gänsehaut. Dann noch ein kurzer Heuler und der Wolf verschwindet in der dunklen Stille der Nacht. Diese kleine Anekdote erzählte mir ein Hirte, als ich beim

akustischen Monitoring der Wölfe im Jura auf der Suche nach geeigneten Standorten für Tonaufnahmegeräte an seiner Hütte vorbei-kam. Jeder, der schon einmal Wölfe in freier Natur heulen gehört hat, war beeindruckt von der Kraft und dem unheimlichen Klang des Heulens. Es scheint, als ob uns Wolfsgeheul direkt auf körperlicher und emotionaler Ebene anspricht. In diesem Artikel gehe ich genauer auf die akustische Kommunikation der Wölfe ein und zeige auf, wie die Lautäusserungen der Wölfe für deren Monitoring und Management verwendet werden können. Zudem möchte ich versuchen zu erklären, weshalb Wolfsgeheul niemanden kalt lässt.

Wolfsmonitoring mit bioakusti schen Methoden

Nr. 55 / Dezember 2019 Wolfsmonitoring

Teil-Version

Fauna Focus

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Bild Titelseite: Wölfe heulen auch am Tag, hauptsächlich jedoch in der Nacht, wobei das Heulen in der ersten Nacht-hälfte und am frühen Morgen besonders intensiv ist. Fotografie: Naturfoto Hofmann

Kommunikation bei Wölfen

Wölfe kommunizieren durch Körperhaltung und Mimik, aber auch taktil mit Schubsen, Stossen, Schnappen und Beissen.Fotografien: Naturfoto Hofmann

Wölfe (Canis lupus) sind praktisch auf der gan-zen Nordhalbkugel verbreitet. Sie besiedeln von der Arktis bis in die Wüstenregionen der Arabi-schen Halbinseln sehr unterschiedliche Habitate. Das Nahrungsspektrum ist breit und reicht von der Wühlmaus bis zum Bison. Wölfe können auch gut in der vom Menschen gestalteten Kulturlandschaft überleben, vorausgesetzt, es ist ein ausreichendes Nahrungsangebot vorhanden. Die hohe Anpas-sungsfähigkeit und die Kooperation im Rudel sind zwei wichtige Eigenschaften, die Wölfe im Verlauf der Evolution so erfolgreich gemacht haben. Rudy-ard Kipling schreibt in seinem Dschungelbuch dazu

treffend: „Denn die Stärke des Rudels ist der Wolf, und die Stärke des Wolfs ist das Rudel.” Um im Rudel erfolgreich zu kooperieren, müssen sich die Wölfe gut untereinander verständigen können. So kommunizieren sie denn auch auf unterschiedlichs-te Weise miteinander. Einerseits visuell über Kör-persprache, durch Körperhaltung und Mimik, aber auch taktil mit Schubsen, Stossen, Schnappen und Beissen. Olfaktorische Kommunikation ist ebenfalls wichtig: Wölfe erkennen sich anhand des individu-ellen Geruchs und über den Urin und Kot, welche sie an strategischen Stellen in ihrem Steifgebiet absetzen. Solche Duftbotschaften können neben der Identität auch Informationen über Geschlecht, Fortpflanzungszyklus, sozialen Status, Alter, Kondi-tion und Nahrungszusammensetzung geben.

Wölfe verständigen sich auch oft akustisch und geben unterschiedlichste Lautäusserungen von sich. Die Vorteile der akustischen Kommunika-tion liegen darin, dass auch in unübersichtlichem Gelände, bei schlechter Sicht und über grosse Dis-tanzen kommuniziert werden kann. Im Gegensatz

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Lautäusserungen von Wölfen und die dazuge-hörigen Kontexte.Tabelle angepasst nach Schassburger 1993

zur visuellen Kommunikation kann ein Empfänger auch erreicht werden, wenn dieser gerade weg-schaut oder ausser Sichtweite ist. Eine Lautnach-richt kann verschiedene, spezifische Informatio-nen enthalten, wie z.B. individuelle Kennzeichen und den Emotionszustand, aber auch über mögli-che Absichten informieren.

Für die akustische Kommunikation verwen-den Wölfe viele verschiedene Laute, die auf un-terschiedliche Distanzen wahrgenommen werden

können. Knurren und Winseln sind typische Kurz-distanzlaute, mit denen sie Aggressivität oder Un-terwürfigkeit anzeigen. Wölfe können auch bellen, jedoch tun sie dies selten und nur, wenn akute Ge-fahr droht, also wenn sich z.B. ein Bär der Wurf-höhle nähert. Das Heulen eignet sich, um über weite Distanzen zu kommunizieren und ist somit ein Langdistanzlaut. Es wird vermutet, dass Wölfe einander in Waldgebieten bis zu 10 km und in der offenen Tundra bis zu 16 km weit hören können.

Lautäusserung Kontext

Aufjaulen Schmerz, AngstWinseln Begrüssung, Frustration, AngstJaulen Frustration, UnterwerfungJammern Dominanz, DrohungKnurren Dominanz, Drohung, Warnung, VerteidigungZähnefletschen Drohung, AngriffWuffen Warnung, Verteidigung, ProtestBellen Warnung, Verteidigung, ProtestHeulen Kontaktaufnahme, Aggression, Chorheulen

„Denn die Stärke des Rudels ist der Wolf, und die Stärke des Wolfes ist das Rudel.” Rudyard Kipling, Dschungelbuch.Fotografie: Naturfoto Hofmann

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Weshalb, wo und wann heulen Wölfe?

Wölfe auf Nahrungssuche durchstreifen weite Gebiete und sind dabei nicht immer nur im Rudel, sondern auch oft allein unterwegs. Beobachtungen zeigen, dass vom Rudel getrennte Wölfe häufi ger heulen. Mit Heulen fi nden sich die Mitglieder eines Rudels wieder, denn sie erkennen sich anhand der Stimme. Ob gemeinsames Heulen im Rudel wirk-lich die soziale Bindung festigt, ist wissenschaftlich

nicht belegt und wird kontrovers diskutiert. Sicher ist aber, dass fremde Wölfe und fremde Rudel mit Heulen auf Distanz gehalten werden können. Für ausgewachsene Wölfe sind fremde Wölfe meistens Nahrungskonkurrenten und sehr gefährlich. Frem-de Wölfe werden, wenn möglich vertrieben oder sogar getötet. Bei Auseinandersetzungen zwischen fremden Wölfen werden Wölfe somit häufi g auch

Die hohe Anpassungsfähigkeit und die Kooperation im Rudel sind zwei wichtige Eigenschaften, die Wölfe im Verlauf der Evolution so erfolgreich gemacht haben.Fotografie: Naturfoto Hofmann

Dem Heulen werden vier mögliche Funktionen zugeordnet: Partner für Paarung und Rudelbil-dung fi nden, Rudelmitglieder zusammenbringen,

soziale Bindung im Rudel festigen, sowie fremde Rudel auf Distanz halten.

Vier mögliche Funktionen von Wolfsheulen.Tabelle: S. Suter

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Opfer ihrer eigenen Artgenossen. Durch das Heu-len können solche Auseinandersetzungen vermie-den werden, denn einzelne Wölfe und auch Rudel erkennen dadurch, welches Rudel im Gebiet das Sagen hat und wo sich das Rudel befindet.

Wölfe heulen im Zentrum ihres Streifgebiets und auch an dessen Grenzen. Bevorzugt heulen sie an sogenannten „Rendezvous-Plätzen“, wo sich das Rudel trifft aber auch an einer frisch gerisse-nen Beute. Wölfe heulen auch am Tag, hauptsäch-lich jedoch in der Nacht, wobei das Heulen in der ersten Nachthälfte und am frühen Morgen beson-ders intensiv ist. Möglich, dass sich ein Rudel so vor dem Aufbruch zur nächtlichen Jagd sammelt und auf die Jagd einstimmt. Die eigentliche Jagd findet dann aber lautlos statt. Diejenigen Rudel-mitglieder, welche eventuell «in der Hitze des Ge-fechts» verloren gingen, finden am frühen Morgen

mit Hilfe des Heulens wieder zusammen. Im Ver-lauf des Jahres ist die Heulaktivität unterschied-lich hoch. Im Frühling und Frühsommer sind die Wölfe eher still, möglicherweise um nicht den Ort der Wurfhöhle mit den verletzlichen Jungtieren zu verraten. Studien aus Nordamerika und Polen sowie Daten aus dem akustischen Wolfsmonito-ring in der Schweiz zeigen, dass Wölfe gegen Ende Sommer und im Herbst am häufigsten heulen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass in diesen Monaten die Jungwölfe bereits mobil sind und das Rudel deshalb häufiger akustisch kommuniziert. Wie jedes andere Verhalten kann das Heulen nicht nur Nutzen mit sich bringen, sondern auch Kosten verursachen. Einerseits braucht Heulen Energie und andererseits können nicht nur freundlich ge-sinnte Zuhörer die Botschaft hören und damit In-formationen über den Aufenthaltsort des Heulers bekommen.

Beobachtungen zeigen, dass vom Rudel getrennte Wölfe häufiger heulen. Fotografie: Naturfoto Hofmann

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Ihr Wildtier Schweiz-Team

Zum Autor Stefan Suter hat Ökologie und Evolution sowie Umweltwissenschaften und Anthropologie an den Universitäten Fribourg, Bern und Lausanne studiert. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Firma WildLife Solutions (WLS.CH) und Dozent an der Zürcher Hochschule für angewandte Wis-senschaften (ZHAW) in Wädenswil.

Copyright Dez. 2019

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ses S. Grant. Vol. 1, Herausg. Charles L. Webster & Company 1885-86, New York.

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Wolfsmonitoring 55 / 2019

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