Faust verstehen – Goethe ins eigene Leben holen · WIB – ANSCHAULICH LEHREN UND LERNEN –...

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WIB – ANSCHAULICH LEHREN UND LERNEN – JOACHIM PENZEL: FAUST VERSTEHEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected] 1 Faust verstehen – Goethe ins eigene Leben holen Joachim Penzel Im Deutschunterricht der Sekundarstufe und der gymnasialen Oberstufe besitzt das Kennenlernen und die Anwendung wissenschaftlicher Interpretationsmethoden von li- terarischen Texten eine zentrale Stellung. Damit erlernen die Schüler/innen einen vermeintlich objektiven Zugang zu Texten, der ihnen Deutungspotentiale jenseits ei- nes subjektiv-emphatischen oder eines rein assoziativen Zugangs erschließt. Hierbei besteht aber die große Gefahr, dass die Lektüre nicht nur vom individuellen Textemp- finden sondern auch vom eigenen Lebensalltag abgekoppelt wird bzw. gar keine Chance hat, dort überhaupt anzukommen. Das trifft insbesondere auf historische Lite- ratur wie beispielsweise Goethes „Faust“ zu. Was es heißt, einen derartigen Klassiker ins eigene Leben zu holen, zeigt die folgende Auseinandersetzung mit dem „Faust“ in Form von Modellbau bzw. der Gestaltung eines Objektkastens. Historische Kunstwerke, ob Gemälde im Kunst- oder literarische Texte im Deutschunterricht, werden meist bereits vor der inhaltlichen Auseinandersetzung einer geschichtlichen Einord- nung unterzogen, beispielsweise durch Vermittlung von biografischem Wissens über die Künstler/innen oder über damalige Zeitereignisse oder von kunst- und literaturgeschichtli- chen Epochenbegriffe. Von der damit vollzogenen Distanzierung, das heißt vom Wegrücken aus dem heutigen und persönlichen Leben kann sich ein Kunstwerk meist nie wieder erho- len. Kurz gesagt: Der „Faust“ ist dann so tot wie sein Autor. Der Deutschunterricht könnte hier wesentlich vom aktuellen Theater lernen, dass derartigen Brachialhistorisierungen vermeidet, um stattdessen eine kreative Textauseinandersetzung zu versuchen. Ebenso kurz gesagt: Was bedeutet „Faust“ jetzt gerade? Für einen solchen, ge- zielt subjektiven Zugang zur Literatur sind Textwerkzeuge der Analyse und Interpretation e- her ungeeignet. Hier werden zwei Schritte vorgestellt – a) die Arbeit mit Concept Maps und b) die Anfertigung eines Objektkasten, in denen Gegenstände als symbolische Stellvertreter den „ollen Faust“ interpretieren. a) Concept Maps Dabei handelt es sich um Schaubilder, die helfen, entweder Sachinformationen oder eigenen Gedanken in eine Ordnung zu bringen. Im Gegensatz zu Mind Maps, die einfach nur Gedan- ken versammeln, strukturieren Concept Maps die gesammelten Informationen und machen dadurch Zusammenhänge deutlich. Für die Anordnung bieten sich verschiedene Strukturen an – Stammbäume, Blüten-, Haus- oder Säulenmodelle, aber ebenso willkürlich gewählte Symbole wie Kopf- oder Körperformen.

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Faust verstehen – Goethe ins eigene Leben holen

Joachim Penzel

Im Deutschunterricht der Sekundarstufe und der gymnasialen Oberstufe besitzt das Kennenlernen und die Anwendung wissenschaftlicher Interpretationsmethoden von li-terarischen Texten eine zentrale Stellung. Damit erlernen die Schüler/innen einen vermeintlich objektiven Zugang zu Texten, der ihnen Deutungspotentiale jenseits ei-nes subjektiv-emphatischen oder eines rein assoziativen Zugangs erschließt. Hierbei besteht aber die große Gefahr, dass die Lektüre nicht nur vom individuellen Textemp-finden sondern auch vom eigenen Lebensalltag abgekoppelt wird bzw. gar keine Chance hat, dort überhaupt anzukommen. Das trifft insbesondere auf historische Lite-ratur wie beispielsweise Goethes „Faust“ zu. Was es heißt, einen derartigen Klassiker ins eigene Leben zu holen, zeigt die folgende Auseinandersetzung mit dem „Faust“ in Form von Modellbau bzw. der Gestaltung eines Objektkastens.

Historische Kunstwerke, ob Gemälde im Kunst- oder literarische Texte im Deutschunterricht, werden meist bereits vor der inhaltlichen Auseinandersetzung einer geschichtlichen Einord-nung unterzogen, beispielsweise durch Vermittlung von biografischem Wissens über die Künstler/innen oder über damalige Zeitereignisse oder von kunst- und literaturgeschichtli-chen Epochenbegriffe. Von der damit vollzogenen Distanzierung, das heißt vom Wegrücken aus dem heutigen und persönlichen Leben kann sich ein Kunstwerk meist nie wieder erho-len. Kurz gesagt: Der „Faust“ ist dann so tot wie sein Autor.

Der Deutschunterricht könnte hier wesentlich vom aktuellen Theater lernen, dass derartigen Brachialhistorisierungen vermeidet, um stattdessen eine kreative Textauseinandersetzung zu versuchen. Ebenso kurz gesagt: Was bedeutet „Faust“ jetzt gerade? Für einen solchen, ge-zielt subjektiven Zugang zur Literatur sind Textwerkzeuge der Analyse und Interpretation e-her ungeeignet. Hier werden zwei Schritte vorgestellt – a) die Arbeit mit Concept Maps und b) die Anfertigung eines Objektkasten, in denen Gegenstände als symbolische Stellvertreter den „ollen Faust“ interpretieren.

a) Concept Maps

Dabei handelt es sich um Schaubilder, die helfen, entweder Sachinformationen oder eigenen Gedanken in eine Ordnung zu bringen. Im Gegensatz zu Mind Maps, die einfach nur Gedan-ken versammeln, strukturieren Concept Maps die gesammelten Informationen und machen dadurch Zusammenhänge deutlich. Für die Anordnung bieten sich verschiedene Strukturen an – Stammbäume, Blüten-, Haus- oder Säulenmodelle, aber ebenso willkürlich gewählte Symbole wie Kopf- oder Körperformen.

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Nach der Lektüre eines Kapitels aus Goethes „Faust“ werden die Lernenden aufgefordert, al-le erkennbaren Lebensprobleme, alle Alltagsthemen und menschliche Konflikte, Krisen und Bewährungssituationen in einem begrifflich definierten und bildhaft strukturierten Concept Map zu veranschaulichen.

Concept Map zur Brunnenszene, in der über Gretchens Lebensweg entschieden wird

b) Objektkasten – Die Symbolsprache von Dingen und Materialien nutzen

Im Anschluss werden die Lernenden aufgefordert, sich mit einem Aspekt des Concept Maps intensiver auseiander zu setzen. Dazu sollen sie Gegenstände wählen, die als symbolische Stellvertreter für alltägliche Sachverhalte dienen – beispielsweise ein Buch für Wissenser-werb, Kosmetikprodukte für Schönheitswahn oder Alkohol für Sucht. Genauso können aber auch traditionelle Motive wie die des Schiffs für die Lebensreise oder des Kreuzes für christ-liche Religion etc. verwendet werden. Es gilt, mittels aktueller alltäglicher Objekte, Aspekte des „Faust“ offen zu legen und damit die Barriere der Historisierung zu durchbrechen. Mittels einer Materialcollage soll der klassische Text ins eigene Leben geholt werden.

Objektkasten: Fausts Leben mit Mephisto auf dem Weg zu Sex, Drugs and Rock’n Rol

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Somit kann – in pädagogischer Perspektive – die Erkenntnis befördert werden, dass Faust, Mephisto, Gretchen oder die Hexe etwas mit uns selbst zu tun haben. In dieser Weise be-steht die Chance, an den Kern von Kunst zu gelangen, nämlich die Aufforderung jedes Wer-kes „Du musst Dein Leben ändern“, wie sie Rainer Maria Rilke angesichts des Torso vom Belvedere in einer Gedichtzeile formuliert hat.

Es folgen hier verschieden Beispiele von Concept Maps und Objektkästen:

Concept Maps zu Faust als Sinnsucher und zu Aspekten der Szene in Auerbachs Keller

Concept Map zum Pakt von Faust und Mephisto

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Concept Map zur Szene bei der Hexe (Hexenküche, wo der Verjüngungstrank gebraut wird)

Concept Map zu Auerbachs Keller

Concept Map zur ganzen Tragödie „Faust“ als persönliche Glückssuche

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Faust auf der Suche nach Lebenssinn Gretchen als Schmetterling, der aus dem Kokon schlüpft

Zwei Objektkästen zum Schönheitstrunk in der Hexenküche

Fausts Leben unter der Bedrängnis verschiedener Lebensmotive und Verführungsangebote (links) und Heraustreten des Gelehrten aus seiner Bücherwelt (rechts)

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Wandel Gretchens vom Kind zur Frau (links); Gretchens Leiden und Untergang als Folge sozialer und moralischer Konventionen und männlicher Verführung (rechts)

Faust als Inbegriff eines Narzissten

An der Übung waren beteiligt Studierende im 2. Sem. LA an GS der MLU Halle: Louisa Richter, Sophie Wochner, Nathalie Arlt, Helen Erhardt, Jessica Fischer, Laura-Sophie Gottwald, Julius Grobler, Nils Kellner, Anne Liekweg, Constanze Marx, Laura Schiefer, Julia Sölter, Katja Stolze, Denis Voigt, Emily Voigt, Anne Weslau, Konrad Winter

erstellt: 6 / 2017