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FB2.aktuell Neues aus dem Fachbereich 2 – Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften Jahrgang 3 | Ausgabe 1 | April 2017 Bild: Jan-Christoph Hartung Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften

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FB2.aktuellNeues aus dem Fachbereich 2 – Gesellschafts- und GeschichtswissenschaftenJahrgang 3 | Ausgabe 1 | April 2017

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Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften

Impressum:Herausgeber: Dekanat Fachbereich 28 http://www.gugw.tu-darmstadt.de | h [email protected]

Inhalt

Seite 2 | FB2.aktuell | April 2017

FOKUS

DeKanat DeS FachbereichS 2 in neUer KOnStellatiOnSeit dem 1. April 2017 ist das neue Dekanatsteam im Amt. Das Trio aus Prof. Dr. Jens Steffek, Prof. Dr. Petra Gehring und Prof. Dr. Marcus Müller sieht spannenden zwei Jahren entgegen, in denen von der Institutionellen Evaluation über internationale und interdisziplinäre Vernetzung bis zur Umsetzung der Systemakkreditierung diverse Herausforderungen zu bewältigen sein werden. Wir stellen die »drei Neuen« vor und was ihnen wichtig ist.

begehrteS eU-grant

2,5 MilliOnen eUrO aUS brüSSel Für FOrSchUngSprOjeKtDas hat es an der TU Darmstadt bisher nicht gegeben: Ein Mitglied des Fachbereichs Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften erhält Forschungsgelder vom renommierten Europäischen Forschungsrat (Euro-pean Research Council – ERC). Technikhistoriker Prof. Dr. Mikael Hård konnte mit seinem auf fünf Jahre angelegten Projekt »Eine Globalgeschichte der Technik 1850-2000« die Auswahlkommission des ERC überzeugen.

epOchenjahr 1917 neU bewertet

OFFen Für alle: ringvOrleSUng DeS inStitUtS Für geSchichteOktoberrevolution in Russland, Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, Mobilisierung der Heimatfront, verschärfte Proteste in den kriegführenden Ländern – das Jahr 1917 gilt als Epochenjahr in der neueren Geschichte. Aber ist diese Charakterisierung noch plausibel? Die Ringvorlesung »Das Jahr 1917 – Auftakt zum »kurzen 20. Jahrhundert«?« aus dem Institut für Geschichte bietet Antworten.

Liebe Mitglieder des Fachbereichs,

zu Beginn des Sommersemesters 2017 freuen wir uns, Ihnen die sech-ste Ausgabe unseres Newsletters FB2.aktuell präsentieren zu dürfen. Wir haben einige interessante Neuig-keiten für Sie zusammengestellt und können auch auf einige Erfolge der letzten Monate zurückblicken.

Das neue Dekanat hat Anfang April seine Arbeit aufgenommen. Dekan und in Personalunion Internationa-lisierungskoordinator Prof. Dr. Jens Steffek (Institut für Politikwissen-schaft), Prodekan Prof. Dr. Marcus Müller (Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft) und Studi-en- und Lehramtsdekanin Prof. Dr. Petra Gehring (Institut für Philo-sophie) stellen sich und ihre Plä-ne für die kommenden zwei Jahre in dieser Ausgabe auf S. 4 vor. An dieser Stelle möchten wir dem Vor-gängerteam Prof. Dr. Christoph Hubig (Dekan, Institut für Philo-sophie), Prof. Dr. Michèle Knodt (Prodekanin, Institut für Politikwis-senschaft), Prof. Dr. Nina Janich (Stu-diendekanin, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft), Prof. Dr. Ger-rit Jasper Schenk (Lehramtsdekan, Institut für Geschichte) und Prof. Dr. Cornelia Koppetsch (Internationali-sierungskoordinatorin, Institut für Soziologie) ganz herzlich für ihre Ar-beit danken!

Erstmals in der Geschichte der TU Darmstadt konnte am Fachbereich ein EU-Grant des European Research Council (ERC) eingeworben werden. Prof. Dr. Mikael Hård (Institut für Geschichte) erhält rund 2,5 Millio-nen Euro über eine Laufzeit von fünf Jahren für sein Forschungsprojekt A Global History of Technology 1850-2000. Mehr Informationen und Hin-tergründe finden Sie auf S. 10. Wir

Seite 3 | FB2.aktuell | April 2017 Editorial

Neues aus dem Fachbereich

gratulieren herzlich zu diesem he-rausragenden Erfolg!

Am 26. Januar 2016 fand die Absol-ventenfeier des Fachbereichs statt. Zahlreiche Absolventen und Absol-ventinnen feierten ihren Abschluss in der feierlichen Atmosphäre des Maschinenhauses. Grußworte und Gratulationsreden des Dekans, Prof. Dr. Christoph Hubig, der Studien-dekanin, Prof. Dr. Nina Janich, und der Vertreterin der Fachschaft, Ele-na Jundt, sowie die Absolventenrede von Falco Hüsson wurden gerahmt von Live-Musik der Band „The Hu-man Jukebox“. Anschließend fan-den sich Absolventen und Absolven-tinnen, Studierende, Freunde und Angehörige, Professorinnen und Pro-fessoren und zahlreiche Lehrende zu einem Get-together zusammen. Ein ganz besonderer Dank gilt unserer Fachschaft, die diese Veranstaltung wieder einmal sehr professionell or-ganisiert hat!

Im sechsten Jahr des Deutschland-stipendiums sind an der TU Darm-stadt insgesamt 345 Stipendien mit einer Gesamtfördersumme von ca. 1,24 Millionen Euro vergeben wor-den. Während in den ersten Jahren vor allem große Konzerne die be-gehrten Stipendien vergeben haben, hat sich die Zusammensetzung der Förderer seit 2016 verändert: Weni-ger Großunternehmen fördern den akademischen Nachwuchs, dafür be-teiligen sich mehr Stiftungen, sowie kleine und mittelständische Firmen. Neu ist ein Botschafter-Programm, bei dem die Stipendiatinnen und Stipendiaten selbst neue Förderer ansprechen. FB-2-Stipendiatin Miri-am Bathia erklärte in ihrer Rede auf der Stipendiatenfeier, dass es den Botschafterinnen und Botschaftern

vor allem darum gehe, den Gedan-ken des Gebens und Nehmens in die Studierendenschaft zu tragen. Der Fachbereich 2 konnte 28 Stipendien gewinnen und gratuliert den Sti-pendiatinnen und Stipendiaten. Für ein Jahr erhalten Studierende mit herausragenden Studienleistungen rund 300 Euro monatlich – einkom-mensunabhängig und in Ergänzung zum BaföG.

Dr. Andreas Boes, Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaft-liche Forschung München, ist am 23. Februar 2017 zum außerplanmä-ßigen Professor am Institut für Sozio-logie ernannt worden. 2006 wurde er am Fachbereich 2 der TU Darmstadt zum Thema »Informatisierung und gesellschaftlicher Wandel« habili-tiert. Wir gratulieren zur Ernennung!

Viel Spaß mit der neuen Ausgabe von FB2.aktuell.

Herzlich grüßtIhr Dekanat

Fachbereichssitzungen SoSe 2017Donnerstags, 14:00 Uhr, Raum S4|24 209r 27. April 2017r 1. Juni 2017r 13. Juli 2017

TUDayr 17. Mai 2017

terMine

Seite 4 | FB2.aktuell | April 2017 Vorstellung

Seit dem 1. april 2017 ist das neue Dekanatsteam im amt. Das trio aus prof. Dr. jens Steffek, prof. Dr. petra gehring und prof. Dr. Marcus Müller sieht spannenden zwei jahren entgegen, in denen von der institutionellen eva-luation über internationale und interdisziplinäre vernetzung bis zur Umset-zung der Systemakkreditierung diverse herausforderungen zu bewältigen sein werden. wir stellen die »drei neuen« vor und was ihnen wichtig ist.

Die drei Neuen im Dekanat DeKanat DeS FachbereichS 2 in neUer KOnStellatiOn

Dekan Professor Jens Steffek aus dem Institut für Politikwissenschaft ist seit 2010 Professor für Transnatio-nales Regieren an der TU Darmstadt; zuvor arbeitete er u. a. an der Univer-sität Bremen und war Gastwissen-schaftler in Cambridge, Berlin, Mon-tréal, Heidelberg, Rom und Pavia. Seine Forschungsinteressen reichen von Politik und Geschichte internati-onaler Organisationen über Theorien der Internationalen Beziehungen und transnationale gesellschaftliche Akteure bis zu Demokratietheorien.

Als eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht Steffek die Institutionelle Eva-luation des Fachbereichs, die durch die geplante Systemakkreditierung mit der (Re-)Akkreditierung sämt-licher Studiengänge zusammenfal-len wird. Ein Kick-off zwischen dem Präsidenten und dem Fachbereich ist für den 18. Juli 2017 angesetzt; im Sommersemester 2018 ist die Vor-Ort-Begehung geplant, für die Selb-stevaluation und Selbstbericht er-stellt werden müssen. Anschließend wird die Begutachtungskommission einen Evaluationsbericht schreiben, aus dem wiederum die Zielverein-barungen, die Umsetzung und das Monitoring hervorgehen. Als Dekan möchte Steffek dafür sorgen, dass der Fachbereich aus dieser zweiten bevorstehenden Institutionellen Eva-luation gestärkt hervorgeht und dass Zukunftsperspektiven weiterentwi-ckelt und vorhandene Ressourcen auf allen Ebenen optimal genutzt werden können.

Darüber hinaus ist es dem neuen Dekan ein Anliegen, die weitere Pro-fessionalisierung der Fachbereichs-verwaltung voranzutreiben, die zu-nehmend bedeutender werde: Immer mehr Aufgaben administrativer wie organisatorischer Art fallen inzwi-schen den dezentralen Einrichtungen und Fachbereichen zu. So betrachtet es Steffek als seine Aufgabe, Dekanat und Studienbüro in ihren vielfältigen Arbeitsbereichen zu unterstützen. Und schließlich möchte er die Kom-munikation zwischen den Instituten weiter fördern – und zwar über die unvermeidliche Zusammenarbeit in der Selbstverwaltung hinaus. »Ge-rade auf inhaltlicher Ebene wünsche ich mir noch intensiveren Austausch, damit der Fachbereich seine For-schungsprofile stärken und weiter von seiner disziplinären Vielfalt pro-fitieren kann«, so Steffek.

Lehramts- und Studiendekanin Pro-fessorin Petra Gehring, Institut für Philosophie, ist seit 2002 Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt. Die Universitäten Gießen, Marburg, Bochum und Hagen, später Berlin und Lüneburg sind Forschungs- und Lehrstationen ihrer Laufbahn. Von 2008 bis 2013 war sie Vizepräsi-dentin der TU Darmstadt; bis 2006 Sprecherin des Graduiertenkollegs »Technisierung und Gesellschaft«, danach von 2006 bis 2016 des Gradu-iertenkollegs »Topologie der Technik« am Fachbereich. In ihren künftigen Aufgabenbereich fällt insbesonde-re die Systemakkreditierung, die ab

Prof. Dr. Petra Gehring. Bild: Katrin Binner

Prof. Dr. Jens Steffek. Bild: Felicitas von Lutzau

Prof. Dr. Marcus Müller. Bild: Privat

Seite 5 | FB2.aktuell | April 2017 Personalia

2017/18 einerseits die Institutionelle Evaluation, andererseits die (Re-)Akkreditierung aller Studiengänge beinhalten wird.

Gehring unterstützt die Ziele der TU (Synergiepotenziale besser nut-zen, Qualitätssicherung in allen Be-reichen verbessern und forschungs-orientierte Lehre zu unterstützen), legt aber das Augenmerk auf die konkreten Herausforderungen, die mit dem Projekt Systemakkreditie-rung verbunden sind. Diese will sie gemeinsam mit allen Beteiligten bewältigen. Ein weiteres Ziel ist es, die im Fachbereich geplanten neuen Masterstudiengänge etablieren zu helfen. Die interdisziplinären und internationalen Studiengänge »Data and Discourse Studies« und »Urban Studies« sollen systematisch weiter spezifiziert und ausdifferenziert wer-den, um das Studiengangs-Portfolio des Fachbereichs einerseits zu schär-fen, andererseits neue Zielgruppen für ein Studium zu interessieren.

Für entscheidend hält Gehring die gute Gesprächskultur rund um Stu-dienangelegenheiten im Fachbe-reich. Diese will sie fortführen sowie nach Möglichkeit noch intensivieren und bestehende wie künftige stu-dentische Aktivitäten unterstützen. Eine Kultur des Zusammenhalts und der Einbeziehung der Studierenden macht den Fachbereich 2 aus. Diese möchte Gehring weiterhin pflegen. Die bevorstehenden Großprojekte und Aufgaben nimmt sie fürs erste gelassen – frei nach Erich Kästner: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«

Prodekan Professor Marcus Müller vom Institut für Sprach- und Lite-raturwissenschaft ist seit 2016 Pro-fessor für Germanistik – Digitale Linguistik an der TU Darmstadt. Stationen seines akademischen Wer-degangs waren u. a. die Universitäten Heidelberg, Beijing, Düsseldorf, Bu-dapest und Paderborn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören

digitale Diskursanalyse, Wissen-schaftskommunikation und gramma-tische Variation.Gemeinsam mit seinen neuen Deka-natskolleg_innen Jens Steffek und Petra Gehring möchte Müller die In-ternationalisierung des Fachbereichs vorantreiben. Kooperationsmöglich-keiten hat er hierfür während sei-nes Aufenthalts als Gastprofessor an der Tongji Universität in Shanghai im März dieses Jahres ausgelotet, mit der die TU Darmstadt bereits seit 1980 eine strategische Partner-schaft pflegt und stetig intensiviert. Diese umfasst alle Stufen der wis-senschaftlichen Karriere von Stu-dierenden über wissenschaftlichen Nachwuchs bis zu Professorinnen und Professoren und wird seit 2013 auch durch den Deutschen Akade-mischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt. Müller sieht – natürlich auch über diese Partnerschaft hi-naus  – beträchtliches Potenzial für den Fachbereich, sowohl im Bereich der Forschung als auch der Lehre.

Neben der Internationalisierung ist ihm die interdisziplinäre Vernetzung im Fachbereich und darüber hinaus ein Anliegen. Auf Ebene der Lehre bietet das BMBF-geförderte Projekt »Kompetenzentwicklung durch In-terdisziplinäre und Internationale Vernetzung von Anfang an« (KI2VA) eine Plattform, das mit dem Teilpro-jekt »KI2VA Studienbüros« auch im Fachbereich verankert ist. Auf Ebene der Forschung bestehen am Fachbe-reich bereits zahlreiche interdiszipli-näre Kooperationen – diese weiter auszubauen und neue interdiszipli-näre Felder zu bestellen, ist für Mül-ler ein weiteres wichtiges Anliegen.

Last but not least möchte er die Di-gitalisierung in den Instituten un-terstützen und reflektieren. »Ich freue mich darauf, die Entwicklung des Fachbereichs in dieser wichtigen Phase in einem starken Team mitge-stalten zu können«, so Müller.

vanessa geuen

Personalia

neue Professorinnen und Professoren

apl. Prof. dr. phil. Gabriele Wesch-Klein übernimmt vom 1. April bis zum 30. September 2017 eine Vertretungsprofessur am Institut für Geschichte, Fachgebiet Alte Geschichte.

Pd dr. stephan Voswinkel übernimmt vom 1. April bis zum 30. September 2017 eine Vertretungsprofessur am Institut für Soziologie, Fachgebiet Allgemeine Soziologie.

ernennunGen

apl. Prof. dr. andreas Boes wurde zum außer-planmäßigen Professor am Institut für Soziologie am 8. Februar 2017 ernannt.

dr. sabine Bartsch wurde zur akademischen Rätin am Institut für Sprach- und Literaturwissen-schaften, Fachgebiet Corpus- und Computerlin-guistik am 1. Januar 2017 ernannt.

haBilitationen

dr. oliver nachtwey habilitiert am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften am 16. Februar 2017. Thema des Habilitations-vortrags: »Entsteht ein neuer Geist des digitalen Kapitalismus? (Kultur- und Religionssoziologie)«.Nachtwey hat einen Ruf auf die Professur für Sozialstrukturanalyse an die Universität Basel erhalten und angenommen.

ruhestand

Prof. dr. Klaus-dieter Wolf, Institut für Politik-wissenschaft, Fachgebiet Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt internationale und transnatio-nale Beziehungen, einschließlich Friedens- und Konfliktforschung.

apl. Prof. dr. ulrich Joost, Akademischer Ober-rat am Institut für Sprach- und Literaturwissen-schaft, Fachgebiet Neuere deutsche Literaturge-schichte und allgemeine Literaturwissenschaft.

GestorBen

apl. Prof. dr. Wolfram lamping, Institut für Politikwissenschaft, Fachgebiet Öffentliche Verwaltung, Staatstätigkeit (public policy) und lokale Politikforschung, verstarb am 25. Februar 2017.

dr. helmut Wenzel, Institut für Soziologie, Fachgebiet Soziologie - Organisationssoziologie, verstarb am 6. März 2017.

Seite 6 | FB2.aktuell | April 2017 Begrüßung

Die Neue am Fachbereich verStärKUng aM inStitUt Für SOziOlOgie

Herzlich willkommen! Wir freuen uns sehr darüber, dass Sie dem Ruf nach Darmstadt gefolgt sind. Warum die Technische Universität Darmstadt?

Bevor ich den Ruf an die TU Darmstadt angenommen habe, war ich Professo-rin für Soziologie mit Schwerpunkt Gender und Technik an der RWTH Aachen. In diesem Fachgebiet geht es darum, soziologische Perspekti-ven auf Geschlechterverhältnisse auf den MINT-Bereich zu beziehen. Da-bei werden naturwissenschaftliches Wissen und Technik immer auch als gesellschaftliches Phänomen be-trachtet und in ihren Entstehungs-zusammenhängen und kulturellen Prägungen untersucht. Die Professur für Kultur- und Wissenssoziologie bietet hierfür eine ideale Ausgangs-position, nicht zuletzt weil die TU Darmstadt und insbesondere auch der Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften und das Institut für Soziologie sich seit vielen Jahren als besonders produktiver Ort für so genannte ‚große‘ Interdiszipli-narität profiliert haben. Ich sehe hier ausgezeichnete Voraussetzungen, die Potentiale kultur- und wissenssozi-ologischer Forschung einzubringen als auch gewinnbringende interdiszi-plinäre Forschungsbezüge zu entwi-ckeln.

Was ist für Sie besonders spannend in Ihrem Forschungsschwerpunkt?

Gesellschaft ist seit langem aber heute in ausgeprägter Form durch Naturwissenschaften und Technik geformt, und auch letztere erhalten ihre Gestalt maßgeblich im Rah-men gesellschaftlicher Wissensord-nungen und kultureller Praxis. Im Forschungsschwerpunkt gehen wir davon aus, dass es sich um ein kom-plexes Wechselverhältnis handelt, dessen Facetten zu untersuchen, au-ßerordentlich herausfordernd und spannend ist. Dies wird auch im Zen-trum der nächsten Tagung der Sek-tion Wissenschafts- und Technikfor-schung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem Titel »WISSEN MACHT TECHNIK« stehen, die ich in meinem Arbeitsbereich gemein-sam mit Dr. Bianca Prietl und Armin Ziegler, M.A., im Juli hier in Darm-stadt ausrichten werde. Schwerpunkt meiner Arbeit ist, Fragen gesell-schaftlicher Teilhabe mit Fragen der Herausbildung sozialer wissenschaft-

Seit dem letzen wintersemester wird der Fachbereich gesellschafts- und geschichtswissenschaften durch eine neue professorin am institut für Soziologie verstärkt: tanja paulitz, professorin für Kultur- und wissenssoziologie. Die professur baut die Forschungsschwerpunkte des instituts für Soziologie zusam-men mit den bereits bestehenden professuren weiter aus. Der Fach-bereich heißt tanja paulitz herzlich willkommen und stellt sie vor.

Prof. Dr. Tanja Paulitz. Bild: Sissi Furglerzur Person

tanja Paulitz studierte Germanistik, Slawistik, Erziehungswissenschaft und Soziologie in Marburg, Bochum, Frankfurt/Main und Moskau. 2004 promovierte sie mit einer empirischen Untersuchung zur Entwicklung von Koopera-tionsplattformen im Internet am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Nach Stationen als Wissenschaftliche Assistentin an der TU Berlin und als Assistenz-professorin an der Karl-Franzens Universität Graz sowie nach einem Lise-Meitner-Stipendium des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) habilitierte sie sich 2011 in Graz mit einer Arbeit über die Genealogie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften. Mehrere Gastaufenthalte führten sie nach Skandina-vien und in die USA, u. a. an die University in California Los Angeles. 2012 folgte sie einem Ruf auf die Professur für Spezielle Soziologie und empirische Sozialforschung an der Universität Würzburg, 2013 auf die Professur für Soziologie mit Schwerpunkt Gender und Technik an der RWTH Aachen.

KontaKt

h [email protected]

Weitere informationen8 http://bit.ly/2oUqljM

Seite 7 | FB2.aktuell | Dezember 2016 Begrüßung

lich-technisch verfasster Ordnungen, etwa in Form von Diskursen, Arte-fakten und Praktiken, zu verbinden. Wie wird beispielsweise derzeit der Prozess der Digitalisierung von Ar-beit und Leben konkret ausgestaltet? Welche alltäglichen Handlungsprak-tiken zur Bewältigung aber auch zur kreativen Aneignung können wir be-obachten? Und wie verhält sich dies zu sozialen Ein- bzw. Ausschlüssen? Soziologische Wissenschafts- und Technikforschung hat in jüngerer Zeit vielfältige neue Felder der Tech-nisierung erschlossen: An der Pro-fessur Kultur- und Wissenssoziologie untersuchen wir auch die Technolo-gien des Körpers, der Ernährung und Nahrungsmittelherstellung usw. Wenn wir solche Wechselverhält-nisse zwischen Naturwissenschaft und Technik einerseits und Gesell-schaft andererseits beleuchten, bil-det Geschlecht als Wissenskategorie in ihren Interdependenzen zu ande-ren Kategorien sozialer Ungleichheit einen zentralen Ausgangspunkt. In ähnlicher Weise beschäftigen wir uns mit Berufskulturen und wissen-

schaftlichen Wissenskulturen, in-dem die Zusammenhänge zwischen fachlichen Orientierungen und ge-sellschaftlichen Wissensbeständen beleuchtet werden. Soziale Ungleich-heiten im Wissenschaftsbetrieb bil-den etwa den Schwerpunkt eines neuen Forschungsvorhabens, das im Sommersemester seine Arbeit auf-nehmen wird (siehe S. 11).

Um solche Themen und Fragestel-lungen zu bearbeiten bietet das In-stitut für Soziologie natürlich ein wunderbares Umfeld. Im Fachbe-reich sehe ich gleichermaßen etliche produktive Überschneidungen mit Fachgebieten in Geschichte, Politik-wissenschaft, Philosophie und mit der Sprach-und Literaturwissen-schaft. Aber auch über den Fach-bereich hinaus bestehen sehr gute Möglichkeiten, mit Forschenden in den MINT-Fächern zusammen zu ar-beiten.

die fragen stellte mônica holtz

Kultur- und WissenssozioloGie

Die Kultur- und Wissenssoziologie geht davon aus, dass das, was wir wissen, wie wir denken und welche alltäglichen Handlungsweisen da-raus hervorgehen, nicht einfach auf individuellen Vorlieben oder objektiven Fakten beruhen. Wissen, Denken und Handeln, so wie auch Vor-lieben und Überzeugungen werden als kulturell verankerte soziale Phänomene betrachtet. Auf dieser Grundlage lässt sich mit soziologischen Methoden untersuchen, wie diese Phänomene gesellschaftlich geprägt sind und wie sie mit unserer Stellung in der Gesellschaft und den darin wirkenden sozialen Machtverhältnissen zu einer bestimmten Zeit zusammenhängen.

Prof. dr. tanJa PaulitzJünGere PuBliKationen (Auswahl)

→ Mann und Maschine. Eine genealogische Wissenssoziologie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1850-1930. Bielefeld: transcript, 2012; → Ernährung aus kultursoziologischer Perspekti-ve. In: Handbuch Kultursoziologie. Hg.: Stephan Moebius et al. Wiesbaden: VS, 2016 (online first) (mit Martin Winter);→ Frauen-/Geschlechterforschung. Paradigmen, Kontroversen und Genealogien – von den Anfän-gen bis zur Jahrtausendwende. In: Geschichte der deutschsprachigen Soziologie, Bd. 1. Hg.: Stephan Moebius, Andrea Ploder. Wiesbaden: VS, 2017 (online first); → Kontinuitäten und Brüche des nationalsozia-listischen Technokraten. Geschlechtersoziolo-gische Studien zum Ingenieurwesen der rationa-lisierten Moderne. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 40 Jg., H. 2, (2015). 209-226. (mit Bianca Prietl).

Brian RathbunprOFeSSOr OF internatiOnal relatiOnS zU gaSt aM inStitUt Für pOlitiKwiSSenSchaFt

Im Juni 2017 begrüßt das Institut für Politikwissenschaft Brian Rathbun von der University of Southern Cali-fornia/USA als internationalen Gast-professor. Brian Rathbun ist ein Spe-zialist im Bereich der internationalen Beziehungen, hat aber auch starkes Interesse an Fragen der politischen Psychologie. Er arbeitet mit einer Vielzahl von Methoden, von Archiv-studien über Eliteninterviews bis hin zu Experimenten unter Laborbedin-gungen. Im Mittelpunkt seiner ak-tuellen Forschungsarbeiten steht die Frage, wie sich dominante politische Ideologien auf die außenpolitischen Strategien und Entscheidungen von Staaten auswirken. In Darmstadt unterrichtet er ein Blockseminar für Masterstudierende zum Thema »The Psychology of International Re-lations«.

Brian Rathbun promovierte im Jahr 2002 an der University of California in Berkeley und wechselte danach als Post-Doc an die Ohio State Uni-versity. Seit 2004 unterrichtet er am Dornsife College of Letters, Arts and Sciences der University of Southern California in Los Angeles, eine der renommiertesten Privatuniversitäten der USA.

Zuletzt erschienen von ihm Trust in International Cooperation: The Cre-ation of International Security In-stitutions and the Domestic Politics of American Multilateralism (Cam-bridge University Press, 2012) und Diplomacy's Value: Creating Security in 1920s Europe and the Contempora-ry Middle East (Cornell University Press, 2014).

Brian Rathbuns Aufsätze wurden in führenden politikwissenschaftlichen Zeitschriften publiziert, darunter In-ternational Organization, World Po-litics und International Studies Quar-terly.

Professor Brian Rathbun. Bild: Privat

Seite 8 | FB2.aktuell | April 2017 Fokus

Das neue Urheberrechtsgesetz – Fluch oder Segen für die Wissenschaft?vier Fragen an vizepräSiDentin prOF. Dr. anDrea rapp

Frau Professorin Rapp, seit Früh-jahr 2016 steht das Urheberrechts-gesetz an deutschen Hochschulen auf dem Prüfstand. Was sind die Ursachen dafür?

Das Thema Urheberrecht an Hoch-schulen ist enorm komplex und betrifft unsere gesamte Publika-tions- und Wissenschaftskultur, die vielfältig und heterogen ist. Das Thema wird noch schwieriger, weil wirtschaftliche Interessen damit verflochten sind. Ein Aspekt ist die Bereitstellung von Materialien in di-gitalen Semesterapparaten und auf Lehrplattformen wie z. B. Moodle. Bislang gab es für die Bereitstellung von Werken in Semesterapparaten eine Pauschalvergütung der Länder an die VG Wort, die dafür zuständig ist, diese Vergütungen an Autorinnen und Autoren sowie an Verlage wei-terzuverteilen. Im Frühjahr 2016 hatte im Übrigen der Bundesgerichtshof die Praxis der Verlegerbeteiligung an Einnahmen der VG Wort als rechtswidrig unter-sagt.8 http://bit.ly/2gAmS5iIm Dezember 2016 verabschiedete der deutsche Bundestag neue Rege-lungen, die die Verlegerbeteiligung nun rechtmäßig möglich machten.

Wie ist der aktuelle Diskussions-stand?

Ab 1. Januar 2017 sollte ein neu-er Rahmenvertrag die Nutzungen an Hochschulen regeln, indem die

Hochschulen selbst durch Einzeler-fassung mit der VG Wort abrechnen. Ein Pilotprojekt der Universität Os-nabrück hatte jedoch klar erbracht, dass der dafür zu erbringende Auf-wand in keinem Verhältnis zum Er-gebnis steht. Ferner sind massive datenschutzrechtliche Bedenken an-zumelden, da Verlage Zugriffe auf die eLearning-Systeme der Universi-täten geltend machten.8 http://bit.ly/2hajJOh

Nachdem im vergangenen Jahr keine Universität dieser neuen Rahmenver-einbarung beigetreten war, wurde zwischen den Verhandlungsführern Kultusministerkonferenz (KMK), Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und VG Wort eine Übergangsfrist bis 30. September 2017 beschlossen, in der die alte Rechtslage gilt. Bis Ende September soll also der Rahmen-vertrag neu verhandelt werden – im Gespräch ist eine Art Pauschalver-gütung auf der Basis exemplarischer Datenerhebungen.8 http://bit.ly/2i9JlZlNur am Rande sei erwähnt, dass es für Schulen nach wie vor eine Pau-schalvergütung gibt.

Was konkret bedeutet diese Ent-wicklung für uns als Forschende und Lehrende, was dürfen wir in Zukunft und was nicht?

In diesem Sommersemester kön-nen wir uns noch nach der alten Regelung richten, d. h., dass maxi-mal 12% bzw. 100 Seiten aus Wer-

Seit einigen Monaten macht der Streit über die verwendung von Schriftwerken in lehre und Forschung an hochschulen die runde und verunsichert die wissenschaftsgemeinschaft. andrea rapp, vizepräsidentin für wissenschaftliche infrastruktur der tU Darmstadt und professorin für germanistische computerphilologie am Fachbereich 2, bringt licht ins Dunkel.

Vizepräsidentin Prof. Dr. Andrea Rapp. Bild: Katrin Binner

ken (Büchern) bereitgestellt werden dürfen; ferner einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften und Werke kleineren Umfangs (z. B. Ge-dichte, Bilder) aus dem Bestand der ULB Darmstadt. Gibt es ein digitales Verlagsangebot, muss das lizenziert werden. Urheberrechtsfreie Werke – in der Regel 70 Jahre nach Tod des Autors – dürfen vollständig digital verfügbar gemacht werden.

Der Referentenentwurf zur Neure-gelung des Urheberrechts kann in vielen Aspekten Rechtssicherheit schaffen und wird von den Wissen-schaftsorganisationen allgemein als wissenschaftsfreundlich und als Fortschritt begrüßt. Es bleibt aller-dings abzuwarten, inwiefern hier noch Veränderungen im Detail vor-genommen werden. Im Zweifelsfall berät das eLearning Center der TU Darmstadt.8 http://bit.ly/2oMlN05

Fortsetzung auf nächster Seite →

Seite 9 | FB2.aktuell | April 2017 Fokus

Wie schätzen Sie persönlich die Veränderungen ein, die auf uns alle zukommen und die unsere Lehr- und Forschungskultur nach-haltig verändern werden?

Persönlich habe ich große Sympa-thien für die Open Access-Idee, mir ist aber auch klar, dass ein Kultur-wandel nicht leicht zu bewerkstel-ligen ist und dass man unterschied-liche Interessen austarieren muss. Ich finde den Gedanken attraktiv, dass ein System, ein Staat, eine Uni-versität in die Publikationskraft der eigenen Forschenden investiert und die Ergebnisse der Forschung für alle frei zur Verfügung stellt – auf diese Weise müssen forschungsstarke Ein-richtungen mehr leisten als schwa-che, aber alle können partizipieren. Dafür müssen im System vorhandene Mittel umstrukturiert werden, das sollte von allen Seiten konstruktiv und kreativ statt durch Verweige-

rung und Pochen auf alte Traditionen diskutiert werden.

An der TU Darmstadt wird Open Access unterstützt: Finanziell z.B. durch den Open Access-Publikations-fonds, der von der DFG gefördert ist. Technologisch und organisatorisch z.B. durch den institutionellen Ser-ver TUPrints oder die Software Open Journal Systems (OJS), mit der die ULB die Herausgabe von Open Ac-cess-Zeitschriften unterstützt.8 http://bit.ly/2olNDzr

In Zukunft werden offene Platt-formen wie Open Educational Re-sources an Bedeutung gewinnen, dazu und zu deren Qualitätssiche-rung kann jeder beitragen.8 http://bit.ly/2orfehX8 http://bit.ly/2mOPW0l

das interview führte vanessa geuen.

Weitere informationen

hochschulreKtorenKonferenz (hrK) 8 http://bit.ly/2pQyIgQ8 http://bit.ly/2mvJCKW8 http://bit.ly/2pzlOHK

iriGhts.info8 http://bit.ly/2inLouT

deutscher BiBliotheKsVerBand8 http://bit.ly/2oMOJF68 http://bit.ly/2oKxAxJ

der taGessPieGel8 http://bit.ly/2oKuCJF

liBreas8 http://bit.ly/2oKzkH68 http://bit.ly/2oU9PUk8 http://bit.ly/2pAGiN9

KaPselschriften8 http://bit.ly/2oKtu8Q8 http://bit.ly/2oU81L3

Bild: Thomas Ott

Seite 10 | FB2.aktuell | April 2017 Forschung | Neue Projekte

Mikael Hård erhält begehrtes EU-Grant2,5 MilliOnen eUrO beKOMMt Der hiStOriKer aUS brüSSel Für Sein prOjeKt glObal-hOt

Jährlich werden eine halbe Million Euro zur Verfügung gestellt – Mittel, die für eine siebenköpfige Forscher-gruppe gedacht sind. Ihre Aufgabe: Die bisher vernachlässigte Technik-entwicklung des sogenannten Globa-len Südens zu untersuchen. Prof. Dr. Mikael Hård erklärt die Hintergründe und Ziele seines Projekts: Die Tech-nikgeschichte der Kontinente Asien, Afrika und Lateinamerika weist viele bislang unerforschte weiße Flecken auf. Vertreter_innen des Faches gibt es in der ehemaligen ‚Dritten Welt‘ fast gar keine. Und die Europäer_in-nen und Nordamerikaner_innen, die sich doch diesen Ländern widmen, behandeln hauptsächlich die Technik der Kolonialherren: Kanonenboote, Telegrafenlinien, Eisenbahnen. Dar-stellungen von einheimischen Ge-genständen und lokalen Fähigkeiten finden wir, wenn überhaupt, eher in der Ethnologie.

Mit A Global History of Technolo-gy, 1850-2000 (www.global-hot.eu) versucht Hård die Globalgeschichte gewissermaßen gegen den Strich zu bürsten. Die Globalisierung ist nicht ein allumfassender Prozess, der au-tomatisch mit zunehmender Homo-genisierung der Welt einhergeht. Ein Beispiel von Mozambiques Haupt-stadt mag die »Gleichzeitigkeit des

Ungleichzeitigen« illustrieren: In den letzten Jahren ist in Maputo die An-zahl von SUVs stark angewachsen, aber ebenso stark der Konsum von Holzkohle. Auf der einen Seite finden wir aus den Industrieländern einge-führte, »moderne« Artefakte, auf der anderen Seite lokal hergestellte, »pri-mitive« Holzkohleöfen.

Es ist diese Art von Beispielen, die das Forschungsteam herausarbeiten wird. Zusammen mit Professor Hård und einem Postdoc sollen Dokto-rand_innen aus unterschiedlichen Ländern Archive und Bibliotheken durchforsten – auf der Suche nach Material, das es erlaubt, eine Tech-nikgeschichte »von unten« zu schrei-ben. Nicht große Staudammprojekte oder Expertenwissen stehen im Fo-kus des Projekts, sondern eher Hand-werker_innen und Konsument_in-nen – Menschen, die sich fremde Techniken aneignen oder eigene Lö-sungen entwickeln. Sei es in einem Bereich wie dem Eigenheimbau oder bei den Versuchen, westliche Technik an lokale Bedingungen anzupassen.Am Ende von GLOBAL-HOT soll eine Reihe von Doktorarbeiten und Bü-

Das hat es an der tU Darmstadt bisher nicht gegeben: ein Mitglied des Fachbereichs gesellschafts- und geschichtswissenschaften erhält Forschungsgelder vom renom-mierten europäischen Forschungsrat (european research council – erc). technikhistoriker prof. Dr. Mikael hård konnte mit seinem auf fünf jahre angelegten projekt »eine globalgeschichte der technik 1850-2000« die auswahlkommission des erc überzeugen.

Prof. Dr. Mikael Hård und Jethron Ayumba Akallah, sein kenianischer Doktorand. Bild: Jochen Monstadt

erc adVanced GrantsZielgruppe der ERC Advanced Grants sind etablierte, aktive Wissenschaftler_innen mit einer herausragenden wissenschaftlichen Lei-stungsbilanz. Bei der Begutachtung der wissenschaftlichen Leistung sind die letzten zehn Jahre vor der Antragstellung maßgeblich.Als Grundlage für die Bewertung zieht der ERC in der Begutachtung – je nach Disziplin in unterschiedlicher Gewichtung – die Publikati-onen als Erstautor/in in führenden internationa-len Zeitschriften, (übersetzte) Monographien, Patente, Vorträge auf internationalen Konfe-renzen, Forschungsexpeditionen, die Organisati-on von internationalen Konferenzen sowie (inter-)nationale Wissenschaftspreise und Akademie-mitgliedschaften der Antragsteller/in heran.(Quelle: http://www.eubuero.de/erc-adg.htm)

KontaKtProf. dr. mikael hård

h [email protected]

Weitere informationen8 www.global-hot.eu

chern stehen, die ein modifiziertes Bild der technischen Globalisierung vermitteln. Technische Lösungen sind nicht nur vom Globalen Norden in den Süden exportiert worden, son-dern viel Wissen und Können haben sich auch zwischen den ehemaligen Kolonien verbreitet. Das Ergebnis waren nicht selten hybride Lösungen: Mischformen, die von der Kreativität und dem Erfindergeist der dortigen Menschen zeugen.

Seite 11 | FB2.aktuell | April 2017 Forschung | Neue Projekte

daten und faKten

→ Forschungsprojekt »Jenseits der gläsernen Decke. Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung (academica)«→ Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Förderkennzeichen 01FP1637 und 01FP1638→ Verbundprojekt von Prof. Dr. Tanja Paulitz, TU Darmstadt, in Kooperation mit Prof. Dr. Leonie Wagner an der HAWK Hochschule für ange-wandte Wissenschaft und Kunst Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen→ Förderzeitraum: 01.04.2017 – 31.03.2020→ Gesamtfördervolumen des Verbundes: ca. 800.000 €

KontaKt

Prof. dr. tanja Paulitz

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Weitere informationen8 http://bit.ly/2oUqljM

Academica – Jenseits der »gläsernen Decke«prOFeSSOrinnen zwiSchen anerKennUng UnD MarginaliSierUng

Das Vorhaben beinhaltet eine erste umfassende, qualitative empirische Untersuchung von Marginalisie-rungserfahrungen und Handlungs-möglichkeiten von Professorinnen an Universitäten und anderen Hoch-schulen. Das Ziel ist, näheren Auf-schluss über das komplexe Wech-selspiel zwischen Anerkennung und Marginalisierung zu gewinnen, um so auch mögliche Handlungsspiel-räume zu erforschen.

Obwohl verschiedene Wissenschafts-organisationen und die Politik in den 2000er Jahren Programme zur Stei-gerung des Professorinnenanteils an den Hochschulen aufgelegt haben, bleibt, so die Bestandsaufnahme des Wissenschaftsrats, die Steige-rung des Professorinnenanteils hin-ter den Erwartungen zurück. Dabei zeichnen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Hochschultypen ab. Darüber hinaus setzen die mei-sten Programme auf der Stufe vor bzw. auf dem Weg zur Professur an, nicht jedoch an der Situation von Professorinnen und ihren Teilha-bechancen bei der Gestaltung von Hochschule und Wissenschaft. Auch die Forschung zu den Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft fokussiert auf die Situation des Nachwuchses und auf Wissenschaftskarrieren bis zur Pro-fessur. Indessen weisen statistische Daten (etwa zur Besetzung von Lei-tungspositionen an Hochschulen) darauf hin, dass sich die Unterre-

präsentanz von Frauen »jenseits der gläsernen Decke«, d. h. auch nach Be-rufung auf eine Professur, fortsetzt. Zugleich wissen wir, dass in der Wis-senschaftskarriere heute nicht allein und nicht primär formale Zugangs-barrieren Ungleichheit (re-)produ-zieren, sondern die in hohem Maße kulturellen und häufig informellen Praktiken von Anerkennung bzw. Marginalisierung im wissenschaftli-chen Alltag. Für die Statusgruppe der Professorinnen klafft hier eine deut-liche Forschungslücke, insbesondere hinsichtlich der Fragen, mit welchen Handlungsstrategien sie solchen Marginalisierungsmechanismen be-gegnen und welche (möglichen) Un-terschiede zwischen den Hochschul-typen Universität, Fachhochschule sowie Kunst- und Musikhochschule existieren.

Das Forschungsprojekt »Academi-ca« setzt an dieser Stelle mit einer breit angelegten, empirischen Un-tersuchung der Arbeitssituation und Erfahrungen von Professorinnen an, wobei alle vier genannten Hoch-schultypen berücksichtigt werden. Einbezogen werden verschiedene Vergleichsgruppen und Kohorten so-wie Expertinnen und Experten aus Gleichstellung und Wissenschaftsbe-ratung. Hierfür wird ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, das es erlaubt, solche in der Wissenschafts-kultur zentralen, kulturellen Mecha-nismen zu rekonstruieren.

Obwohl verschiedene wissenschaftsorganisationen und die politik in den 2000er jahren programme zur Steigerung des professorinnenanteils an den hochschulen aufgelegt haben, bleibt, so die bestandsaufnahme des wissenschaftsrats, die Steigerung des professorinnenanteils hinter den erwartungen zurück. professorin tanja paulitz, institut für Soziologie, Fachgebiet Kultur- und wissenssoziologie, untersucht in einem Forschungs-projekt der tU Darmstadt und der hawK die erfahrungen von professo-rinnen in der bundesrepublik Deutschland.

Seite 12 | FB2.aktuell | April 2017 Forschung | Neue Projekte

daten und faKten

→ Forschungsprojekt »Ernährungskulturen und Geschlecht. Eine empirische Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen am Beispiel Fleischkonsum und ‚Veggie-Boom‘«→ Förderung: Hessische Ministerium für Wissen-schaft und Kunst→ Förderzeitraum: 01.07.2017 – 31.12.2018→ Fördervolumen: ca. 35.000 €

KontaKt

Prof. dr. tanja Paulitz

h [email protected]

martin Winter, m.a. h [email protected]

Weitere informationen8 http://bit.ly/2oUqljM

Ernährungskulturen und GeschlechtMännlichKeit zwiSchen FleiSchKOnSUM UnD »veggie-bOOM«

Gegenwärtige gesellschaftliche Ver-änderungen im Bereich des Essens werden in der Regel mit hoher me-dialer Aufmerksamkeit begleitet. Un-terschiedlichste Trends und Diäten hinterfragen tradierte Essgewohn-heiten, propagieren Lifestyle-Pro-dukte oder fordern zu gesundheitsbe-wussten Ernährungsweisen auf. Fast zeitgleich wird Traditionelles, kaum verabschiedet, wiederentdeckt, auf-gemöbelt und in verändertem Ge-wand reinszeniert. Insbesondere am Lebensmittel Fleisch entzünden sich Kontroversen: Der »Veggie-Boom«, die immer stärkere Verbreitung des Vegetarismus und Veganismus, scheint einen bedeutenden Nerv all-tagskultureller Selbstverständlich-keiten zu treffen. Umgekehrt finden sich Ansätze einer erneuerten und intensiv zelebrierten Fleischkultur. Betrachtet man hier Phänomene wie die Zeitschrift »Beef! Für Männer mit Geschmack« wird deutlich, dass gerade das Thema Fleisch nicht ge-schlechtsneutral behandelt wird, sondern starke Bezüge zu Männ-lichkeit bestehen. Doch während in den Naturwissenschaften zumeist Gesundheitsaspekte im Vordergrund stehen, findet die kulturelle Seite des Fleischkonsums bzw. -verzichts in Zusammenhang mit seiner Bedeu-tung für soziale Vorstellungen von Männlichkeit weitaus weniger wis-senschaftliche Aufmerksamkeit. Hier setzt das Forschungsprojekt mit einer ethnografisch ausgerichteten empi-rischen Untersuchung an. Es zielt auf die Beleuchtung des aktuellen gesell-schaftlichen Wissens über Ernährung in Zusammenhang mit Fleisch und

der alltäglichen Praxis des Fleisch-konsums bzw. der pflanzlichen Er-nährung. Mit dieser Gegenüberstel-lung folgt das Forschungsvorhaben der Annahme, dass in Zusammen-hang mit Fleisch und Veganismus un-terschiedliche Konstruktionsweisen von Männlichkeit gesellschaftlich ausgehandelt werden. Dieser kultur-soziologische Zugang will also weder die normative Frage einer ethisch ‚richtigen‘ Wahl von Lebensmitteln in Zusammenhang mit Geschlecht be-antworten, noch die gesundheitswis-senschaftliche Problemstellung, wie erwünschtes ‚gesundes‘ geschlecht-lich differenziertes Ernährungsver-halten zu erzielen sei. Im Zentrum der Untersuchung steht hingegen die Analyse der kulturellen Herstel-lung von Männlichkeiten und deren Verkörperungen über Fleischkonsum bzw. -verzicht.

Das Projekt »Ernährungskulturen und Geschlecht. Eine empirische Untersuchung von Männlichkeits-konstruktionen am Beispiel Fleisch-konsum und ‚Veggie-Boom‘« startet am 1. Juli 2017 im Arbeitsbereich Kultur- und Wissenssoziologie (Lei-tung: Prof. Dr. Tanja Paulitz, wissen-schaftliche Mitarbeit: Martin Winter, M.A.). Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst fördert das Projekt im Forschungsschwerpunkt »Dimensionen der Kategorie Ge-schlecht – Frauen- und Geschlechter-forschung in Hessen« über einen Zeit-raum von 18 Monaten (vorbehaltlich der Haushaltszusagen für 2018) mit einer Summe von ca. 35.000 Euro.

tanja paulitz und martin winter

Das vom hessischen Ministerium für wissenschaft und Kunst geförderte For-schungsprojekt beschäftigt sich mit dem verhältnis von Fleisch, veganismus und Männlichkeit. im Fokus der empirischen Untersuchung stehen Kulturen des Fleischkonsums und des »veggie-booms«.

information

→ Forschungsprojekt »Reading at Scale. Mixing Methods in Literary Corpus Analysis«→ Förderung: VolkswagenStiftung→ Laufzeit: 3 Jahre→ Fördervolumen: ca. 450.000 €

KontaKtProf. dr. thomas Weitin

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Weitere informationen8 http://bit.ly/2nJXJtw

Seite 13 | FB2.aktuell | April 2017 Forschung | Neue Projekte

Lesen – Rechnen – Beobachten vOlKSwagenStiFtUng FörDert Fachgebiet Digitale literatUrwiSSenSchaFt

wie können Mensch und computer am besten zusammenarbeiten, um literarische texte zu analysieren? Dieser Frage gehen prof. Dr. thomas weitin vom institut für Sprach- und literaturwissenschaft und sein projektpartner prof. Dr. Ulrik brandes von der Universität Kon-stanz im projekt »reading at Scale« nach.

Professor Thomas Weitin. Bild: Katrin Binner

Beide Wissenschaftler führte eine einfache Grundidee zusammen: Die hermeneutische Analyse einzelner literarischer Werke gibt Aufschluss über Gattungsmerkmale und spezi-fische Kennzeichen literaturhisto-rischer Epochen. Durch computer-gestützte Methoden können für das Individuum nicht zu bewältigende Textmengen und nur statistisch sichtbare Eigenschaften in die Analy-se einbezogen werden. Um die effiziente Vernetzung solcher close- und distant-reading-Techniken zu stärken, haben Thomas Wei-tin und Ulrik Brandes einen neuen Mixed Methods-Ansatz entwickelt, der im Projekt »Reading at Scale« erprobt werden soll. Die Volkswa-genStiftung hat eine Fördersumme von 450.000 Euro bewilligt, die es ermöglicht, drei Nachwuchswissen-schaftler_innen in die Korpusanalyse einzubeziehen.Ausgangspunkt ist eine historische Sammlung von 86 Novellen, die un-ter dem Titel Der deutsche Novellen-schatz von den Herausgebern Paul Heyse und Hermann Kurz veröffent-licht wurde (24 Bände, 1871 – 1876). Dank ihrer mittleren Größe liegt die Novellensammlung noch in der Reichweite individueller Lektüre und hat doch schon eine für statistische Analysen vielversprechende Größe.In dem von Weitin geleiteten Darm-städter LitLab werden die Textkorpo-ra des Projekts aufbereitet und digital analysiert. Ziel ist die Erschließung

sämtlicher Novellenschätze des 19. Jahrhunderts. Auch zeitgenössische Sammlungen anderer Gattungen, etwa von Kriminalrechtsfällen, sol-len zum Vergleich einbezogen wer-den. Dabei werden am historischen Gegenstand Schlüsselthemen des heutigen Digitalzeitalters erforscht. Denn die Textsammlungen des 19. Jahrhunderts entstehen unter dem Eindruck literarischer Massenpro-duktion und eines drastisch zu-nehmenden Wettbewerbs um die Ressource Aufmerksamkeit in der Leserschaft. Das Darmstädter Litlab quantifiziert vor diesem Hintergrund z. B. die Entstehung individueller Stil- und Gattungsmerkmale und führt mittels Eye Tracking und der Messung physiologischer Funktionen kognitionsorientierte Rezeptionsana-lysen durch, um zu beobachten, wie Literatur Aufmerksamkeit steuert. In der Konstanzer Arbeitsgruppe um Brandes, Experte für Algorithmik und Netzwerkanalyse, werden die produzierten Daten netzwerkana-lytisch ausgewertet, wodurch das Forscherteam die Position des einzel-

nen Textes als Beziehungsgeflecht in großen Zusammenhängen untersu-chen kann. Die beiden Forscher er-warten, dass ihre Arbeit mit Texten und deren Daten dabei helfen wird, den Individualitätseffekt moderner Mediengesellschaften besser zu ver-stehen.

Die feierliche Projekteröffnung fin-det am 27. April statt mit einem Fest-vortrag von Prof. Dr. Ulrik Brandes (Konstanz) zum Thema »Im Netz der Verhältnisse. Vergleichbarkeit, Textstrukturen und Position als Cha-rakteristikum«.

Seite 14 | FB2.aktuell | April 2017 Forschung | Fokus

GraduiertenKolleG Kritis

sPrecher

Prof. dr. Jens ivo engels

h [email protected]

Weitere informationen8 http://www.kritis.tu-darmstadt.de

Kritische Infrastrukturen in StädtenDaS graDUiertenKOlleg KritiS Stellt Sich vOr

Im Oktober 2016 hat das interdiszi-plinäre Graduiertenkolleg »Kritische Infrastrukturen: Konstruktion, Funk-tionskrisen und Schutz in Städten« (kurz: KRITIS) am Fachbereich 2 seine Forschungsaktivitäten aufge-nommen. Das Kolleg wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Hauptantragstel-ler waren Prof. Dr. Jens Ivo Engels (Institut für Geschichte) und Prof. Dr. Jochen Monstadt, (ehemals FB  13), der inzwischen an die Universität Ut-recht gewechselt ist.

Zwölf Doktorandinnen und Dokto-randen aus den Geistes-, Sozial- und Ingenieurwissenschaften arbeiten unter der Betreuung von zehn Pro-fessorinnen und Professoren zu netz-gebundenen technischen Infrastruk-turen in Städten. Vorangebracht werden soll die noch lückenhafte Grundlagenforschung zu Kritischen

Infrastrukturen. Das schließt auch sehr grundlegende Fragen ein, wie: Was sind Kritische Infrastrukturen? Welche Faktoren bedrohen sie? Wie können sie geschützt werden? Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf räumlichen und zeitlichen Zu-sammenhängen.

Die Doktorandinnen und Doktoran-den des Kollegs arbeiten an indivi-duellen Promotionen in ihrem jewei-ligen Fachgebiet mit fachspezifischen Fragen und Methoden. Die im Kolleg vertretenen Fachgebiete aus dem Fachbereich 2 sind: Neuere und Neu-este Geschichte, Technikgeschichte, Mittelalterliche Geschichte, Philoso-phie der Technik & Technowissen-schaften, Vergleichende Analyse po-litischer Systeme. Aus drei anderen Fachbereichen sind beteiligt: Raum- und Infrastrukturplanung, Entwer-fen und Stadtentwicklung, Bahnsy-steme und Bahntechnik, Informatik im Bauwesen, Ubiquitäre Wissens-verarbeitung (Informatik).

Interdisziplinarität entsteht durch die Fokussierung auf den gemein-samen Gegenstand der Kritischen Infrastrukturen in Städten und den Bezug auf fünf gemeinsame Brü-ckenkonzepte: Kritikalität, Resilienz, Vulnerabilität, Preparedness und Prevention. Mit diesen Kategorien werden Konstruktion, Funktions-krisen und Schutzkonzepte von Kri-tischen Infrastrukturen beschrieben und interpretiert.

Das graduiertenkolleg an der tU Darmstadt, an dem zehn professorinnen und professoren aus vier Fachbereichen beteiligt sind, will die noch lücken-hafte grundlagenforschung zu Kritischen infrastrukturen voranbringen. infrastruktursysteme (und deren ausfälle) sollen in ihren räumlichen und zeitlichen zusammenhängen verstanden und erklärt werden. zugleich wollen die beteiligten geistes-, Sozial- und ingenieurwissenschaftler_innen antworten darauf finden, wie der Schutz vor Funktionsausfällen und die vorbereitung auf Funktionskrisen organisiert werden können.

Städtische Gesellschaften stehen in enger Abhängigkeit zu technischen Systemen z. B. Elektrizitätsversor-gung oder Personennahverkehr. Sie gelten als »Nervensysteme« mo-derner Städte schlechthin. Die For-schungsarbeiten des Kollegs fragen nach den technischen, politischen, sozialen und kulturellen Aspekten städtischer Sicherheit. Im Mittel-punkt stehen alle Systeme der Ver- und Entsorgung, der Kommunika-tion und des Transports. Nicht nur externe Gefahren (wie z. B. Natur-katastrophen, Terroranschläge und Cyberattacks) bedrohen städtische Infrastrukturen, sondern auch die wachsende Komplexität und Vernet-zung der Systeme selbst birgt Ri-siken. Ziel der Forschungen ist es, die komplexen städtischen Infrastruk-tursysteme in ihren räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen zu ver-stehen und zu erklären sowie Prak-tiken der Planung, der Vermeidung von Funktionsunterbrechungen bzw. der Vorbereitung auf Krisen zu ana-lysieren.

Seite 15 | FB2.aktuell | Dezember 2016 Forschung | Fokus

takte zu zahlreichen Praxispartnern und gemeinsam organisierten Veran-staltungen.

Mit KRITIS wird eine fast zwanzig-jährige Tradition interdisziplinärer Graduiertenkollegs fortgesetzt, in denen der Fachbereich 2 stets eine wichtige Rolle spielte. Die früheren Kollegs beschäftigten sich mit »Tech-nisierung und Gesellschaft« sowie mit der »Topologie der Technik«. Die gemeinsamen Büros und die Ge-

die drei forschunGsschWerPunKte des GraduiertenKolleGs Kritis

1. KonstruKtion Kritischer infrastruKturen

Wie sind KRITIS konstruiert? Welche technischen Funktionsnotwendigkeiten und sozialen und politischen Zuschreibungen sind relevant? Inwieweit variieren diese je nach historischem (d.h. zeitlich) und räumlichem Kontext? Das Leitkonzept für diese Fragen ist die »Kritikalität«.

2. funKtionsKrisen Kritischer infrastruKturen

Ausgehend von der Annahme, dass die komplexen räumlichen und zeitlichen Arrangements bei infrastruk-turellen Funktionskrisen besonders gut erkennbar werden, werden Ausfälle von städtischen Infrastrukturen untersucht. In den Fokus rücken dabei auch die Bedingungen ihrer »Vulnerabilität« oder »Resilienz«.

3. strateGien zum schutz Von Kritis

Wie wird der Schutz vor und die Vorbereitung auf infrastrukturelle Funktionskrisen organisiert bzw. wie kann dieser organisiert werden? Im Zentrum stehen hier die Konzepte Prävention« und »Preparedness«. Gefragt wird danach, welchen räumlichen und zeitlichen Faktoren sie Rechnung tragen.

Die Untersuchungen des Kollegs ori-entieren sich an drei Leitfragen: 1. Welche Infrastrukturen werden

als »kritisch« identifiziert und warum?

2. Welche Funktionskrisen und Be-drohungslagen der Systeme sind festzustellen?

3. Wie schützt die Gesellschaft sich und ihre Infrastrukturen?

Aus diesen Fragen ergeben sich drei Forschungsschwerpunkte, die mit eigenen Leitfragen versehen sind und jeweils auf ein interdisziplinär anwendbares Brückenkonzept oder Konzeptpaar bezogen werden (siehe Infokasten).

Die Zusammenarbeit innerhalb des Kollegs erfolgt in Oberseminaren, Kolloquien und Redaktionsgruppen sowie über die gemeinsame Organi-sation von Workshops. Einen wich-tigen Stellenwert hat außerdem der wissenschaftliche und internationale Austausch mit eingeladenen Gästen und Fellows. Der Bezug zur Praxis entsteht unter anderem über die Kon-

schäftsstelle des neuen Kollegs befin-den sich in den Räumlichkeiten des FB 2 in der Landwehrstraße.

Eine Übersicht über die laufenden Dissertationsprojekte ist auf der Webseite des Kollegs zu finden: www.kritis.tu-darmstadt.de

tina enders

Die Mitglieder des Kollegs auf einer Klausurtagung in Annweiler Anfang Dezember 2016. Bild: Privat

Seite 16 | FB2.aktuell | April 2017 Veranstaltungen | Ausblick

Epochenjahr 1917 neu bewertetOFFen Für alle: ringvOrleSUng DeS inStitUtS Für geSchichte

Die Kriegserklärung der USA an die Mittelmächte im April 1917 gab den Ausschlag für den Sieg der Entente im Ersten Weltkrieg und eröffnete das »amerikanische Jahrhundert«. Das 20. Jahrhundert war geprägt von wirtschaftlicher und nach dem Zwei-ten Weltkrieg auch politischer Hege-monie der USA, die diese Weltmacht-rolle bewusst wahrnahm.

Die Russische Revolution von 1917 leitete eine Periode scharfer ideolo-gischer und auch militärischer Pola-risierung zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten ein, die das »kurze 20. Jahrhundert« bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 prägte. Die Willenserklärung des britischen Außenministers Bal-four am 2. November 1917, den Ju-den eine »Heimstätte« in Palästina zu schaffen, steht am Anfang eines bis heute ungelösten Konflikts um die Herrschaft über Israel und Palästi-na; ein Konflikt, der die Beziehungen zwischen der arabisch-islamischen Welt, Europa und den USA dauerhaft belastet.

Veränderte PersPektiVen

Dies sind nur drei Beispiele für die epochale Bedeutung des Jahres 1917. Das Institut für Geschichte veran-staltet im Sommersemester 2017 eine Ringvorlesung, die das Jahr als historische Zäsur angesichts neuer weltpolitischer Rahmenbedingungen und veränderter geschichtswissen-schaftlicher Perspektiven kritisch re-flektiert.

Die Vorträge von ausgewiesenen Experten anderer deutscher Univer-sitäten und der TU Darmstadt wid-men sich sowohl der Kriegsrealität als auch den langfristigen Folgen des Jahres 1917: Das Jahr war gekenn-zeichnet von einer Radikalisierung der Kriegsführung – man denke an den uneingeschränkten U-Boot-krieg –, aber auch durch Massenpro-teste und Verweigerung an Front und Heimatfront. Kriegsrealität war auch die unübersehbare Präsenz von hun-derttausenden Kriegsinvaliden, die neue sozialpolitische Fragen aufwarf, ständig an die Schrecken des Krieges erinnerte und letztlich einen neuen Umgang mit Behinderten erforderte.

Oktoberrevolution in russland, eintritt der USa in den ersten weltkrieg, Mobilisierung der hei-matfront, verschärfte proteste in den kriegführenden ländern – das jahr 1917 gilt als epochenjahr in der neueren geschichte. aber ist diese charakterisierung noch plausibel? Die ringvorlesung »Das jahr 1917 – auftakt zum »kurzen 20. jahrhun-dert«?« aus dem institut für geschichte bietet antworten.

Paradox wirkende entwicklungen

Die Städte und ihre Verwaltungen standen vor schier unlösbaren Proble-men bei der materiellen Versorgung der Bevölkerung, die 1918 in man-chen Staaten zur völligen Auflösung des Durchhaltewillens beitrugen. Die radikale Mobilisierung sämtlicher Ressourcen mündete langfristig aber auch in Ansätze zur »Humanisierung der Arbeitswelt«. Wissenschaftler le-gitimierten den Krieg, dachten aber, wie Max Webers Beispiel zeigt, über den Tag hinaus über die Rolle der Wissenschaft in der modernen Ge-sellschaft nach. Diese teils gegenläu-fig wirkenden Entwicklungen stehen im Blick der Vortragenden, deren Beiträge zudem der globalen Dimen-sion des Krieges Rechnung tragen.

Neben verschiedenen Regionen Eu-ropas stehen die USA, Russland, Pa-lästina und die britischen Kolonien im Fokus eigener Beiträge. Abschlie-ßend wird es dadurch möglich wer-den, den »Epochencharakter« des Jahres 1917 neu zu bewerten.

dieter schott, detlev mares,

silke paradowski

Demonstration der Putilov Arbeiter am ersten Tag der Februar-Revolution von 1917 in Petrograd (St. Peters-burg). Bild: gemeinfrei/State museum of political history of Russia

Seite 17 | FB2.aktuell | April 2017 Veranstaltungen | Ausblick

rinGVorlesunG »das Jahr 1917«

Jeweils dienstags, 18:15 Uhr, Altes Hauptgebäude S1|03, Raum 223, Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt

25. aPril Prof. dr. Jörn leonhard 1917 und die Revolution steigender Erwartungen

2. mai Prof. dr. Philipp GassertDer Kriegseintritt der USA 1917: Auftakt zum demokratischen Zeitalter?

9. mai Prof. dr. dietmar neutatzDie Russische Revolution 1917, ihre Folgen und historischen Bewertungen

16. mai Prof. dr. Gerrit schenk»Aber eine aktive Politik liegt doch unserm Kreis ganz fern...« Zum Kriegseinsatz der Mediävistik im Ersten Weltkrieg

23. mai Prof. dr. mikael hård »Wissenschaft als Beruf«: Max Weber als Universitätspolitiker

30. mai Pd dr. Karsten uhl1917 als Ausgangspunkt der Humanisierung des Arbeitslebens im 20. Jahrhundert

6. Juni Prof. dr. dieter schottDie Heimatfront halten! Die unmöglichen Aufgaben der Städte im Krieg

13. Juni Prof. Dr. Jens Ivo engels

Endzeit des Parlamentarismus nach demI. Weltkrieg? Korruptionskritik und die autoritäre Versuchung in Europa

20. Juni dr. des. nils riecken1917 im Nahen Osten: Die Balfour-Deklaration, Palästina und die Entstehung des Nahostkonflikts

27. Juni dr. Birte försterKontrolle und Nutzung kolonialer Ressourcen. Die Imperial War Conference von 1917

4. Juli Prof. dr. noyan dinçkal Versehrte Körper im Zeitalter der Weltkriege

11. Juli Prof. dr. rainer liedtke Neuanfang? Thessaloniki nach dem Brand von 1917

18. Juli Prof. dr. christof dipperDas Jahr 1917 und die Periodisierung des 20. Jahrhunderts

Weitere informationen8 http://bit.ly/2oadeNT

Die Goldene Bulle Kaiser Karls IVaUSStellUng verlängert biS 30. april 2017

Anlässlich des 660. Jubiläums der Goldenen Bulle und des 700. Geburts-tages Kaiser Karls IV. widmen die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt (ULB) und das Institut für Geschichte dem hiesigen Kurkölner Exemplar dieses wohl wichtigsten »Verfassungsdokumentes« des Alten Reichs eine Ausstellung. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (1316 – 1378) ist einer der bedeutendsten Schätze der ULB. Benannt wurde sie nach dem Goldsiegel des Kaisers, das an einer Urkunde hängt, die in Form eines Buches gebunden ist. In der Goldenen Bulle wurden unter ande-rem die Königswahl im deutsch-rö-mischen Reich geregelt und den sie-ben Kurfürsten als den Wählern des Königs wichtige Privilegien verbrieft. Sieben Exemplare in Originalausfer-tigung sind heute erhalten.Als UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt dieses Manuskript zu den Pre-ziosen der Bibliothek. Gezeigt wer-den ferner weitere selten zu sehende mittelalterliche Handschriften, Inku-nabeln, frühe Drucke und Urkunden, die sämtlich in Zusammenhang mit der Goldenen Bulle stehen. Schwer-

punkte der Ausstellung sind Recht und Ritual im Reich vor und nach der Goldenen Bulle, ihre Provenienz und das Schicksal des Kölner Exemplars sowie dessen Restaurierung in Darm-stadt. Die Ausstellung wurde nun bis 30. April 2017 verlängert.

aus den medienBerichte über die Ausstellung

→ echo-online, 19.12.20168 http://bit.ly/2p40mqe

→ faz, 27.12. 2016Katja Borowski, In Ziegenleder gebunden und versiegelt. Die Universitäts- und Landesbiblio-thek in Darmstadt zeigt das Kurkölner Exemplar der Goldenen Bulle und weitere mittelalterliche Handschriften, in: Frankfurter Allgemeine Zei-tung [Ausgabe Rhein-Main] Nr. 302, S. 42.

Im Juni 2017 ist das Institut für Phi-losophie Gastgeber von zwei, direkt aneinander anschließenden technik-philosophische Tagungen. Am 12. und 13. Juni findet ein von der Thys-sen Stiftung geförderter deutsch-chi-nesischer Workshop zum prekären Verhältnis von Wissenschafts- und Technikphilosophie statt. Eine Fra-ge des Workshops ist, ob es aus der Perspektive der chinesischen Philo-sophie leichter ist, den technischen Charakter wissenschaftlicher For-schung zu würdigen?

Die chinesischen Workshop Teilneh-mer_innen können dann gleich in Darmstadt bleiben. Vom 14. bis 17. Juni findet die von der DFG geför-derte Tagung der Society for Philo-sophy and Technology statt. Unter der Überschrift »The Grammar of Things« wird es 6 Plenarvorträge und an die 300 eingereichte Beiträ-ge geben. Mit Teilnehmern aus etwa 40 Ländern versammeln sich die weltweit namhaftesten Technikphi-losophen, diskutieren grundlegende und praxisorientierte Fragen.

Weitere informationen & ProGramm8 http://bit.ly/2oM6qap

Die Grammatik der Dingezwei tagUngen iM jUni aM inStitUt Für philOSOphie

Seite 18 | FB2.aktuell | April 2017 Veranstaltungen | Rückblick

Deutsch-polnische Tagung »Kosmos Lem«ziviliSatiOnSpOetiK, wiSSenSchaFtSanalytiK UnD KUltUrphilOSOphie

Aus Polen, Russland, der Ukraine, Weißrussland und der Schweiz wa-ren zahlreiche Lem-Experten und Expertinnen angereist, um sich über vier Tage hinweg mit ihren deut-schen Kollegen und Kolleginnen über Themen aus dem philosophisch-äs-thetischen »Kosmos« des ideen- und sprachschöpferisch geradezu über-quellenden, aber auch labyrinthi-schen Lem’schen Oeuvres zu verstän-digen.

Wie sich auf der Tagung zeigte, ar-beitet eine Lem-Community in Po-len bereits in der dritten Generation an Detailfragen des Werks wie auch zu Lems intellektueller Biographie und zur Lem-Rezeption. Neben den Zeitgenossen, Wegbegleitern und Herausgebern Lems, Prof. Stanisław Bereś (Breslau) und Prof. Jerzy Jarzębski (Krakau), war die Folgegen-eration auf der Tagung insbesondere durch Prof. Agnieszka Gajewska (Po-sen) und Prof. Przemysław Czapliński (Posen) vertreten. Deren neue, kon-trovers diskutierte Interpretationsan-sätzen und Lesarten von Lem werden inzwischen von einer aufstrebenden Generation von Doktoranden und Doktorandinnen kritisch diskutiert. Die Beiträge der östlichen Nach-barn, etwa von Dr. Victor Yaznevich (Minsk) zeigten wiederum, dass die Rezeption Lems im russischspra-chigen Raum ganz eigene Wege ging. Thesen aus dem deutschsprachigen

Raum zu Lems Werk und Wirken entstammten insbesondere auch an-deren Fächern als den in Polen und Rußland dominierenden Domänen der Literaturwissenschaft und Phi-losophie. Sie erbrachten selbst für die bestinformierten Lem-Experten neue Erkenntnisse, etwa über einen Workshop mit Stanisław Lem zu In-formations- und Kommunikations-strukturen der Zukunft, der 1981 an der FU Berlin veranstaltet wurde und über den Prof. Gabriele Gramelsber-ger (Witten/Herdecke) informierte. Viel beachtet wurden auch die me-thodisch durchdachten Ansätze von Dr. Henrike Schmidt (Berlin), Philipp Tvridinić (München) und der medi-enwissenschaftliche Beitrag von Dr. Vladimir Velminski (Berlin).

Es war die erste internationale Ta-gung dieser Art, wie die vor Ort ver-sammelten Korphäen der polnischen und russischen Lemforschung be-merkten, deren Fachkreise sich bis-lang erst noch wenig überschneiden. Auch die Brücke zu deutschspra-chigen Fachwelten wurde in dieser Weise erstmals begangen. Die Debat-te verlief intensiv von der ersten bis zur letzten Minute, zur Lebendigkeit

Die internationale, interdisziplinäre Fachtagung »Kosmos lem. zivilisa-tionspoetik, wissenschaftsanalytik und Kulturphilosophie« vom 2. bis 5. März 2017 bildete der abschlie-ßenden höhepunkt des wissen-schafts- und Kulturfestivals »Komet lem« – veranstaltet vom Deutschen polen institut und dem institut für philosophie.

des Austauschs trug insbesondere die durchgehende, hervorragende deutsch-polnische Simultanüber-setzung durch Piotr Żwak und Alek-sandra Grzybkowska und ihr Techni-kerteam bei.

So sind die Türen (oder auch: Schleu-sen zwischen an einander ando-ckenden Raumfahrzeugen?) für den internationalen Austausch nun ge-öffnet. Die vielfältigen Bezüge und Kontexte eines der faszinierendsten Werke der europäischen Literatur- und Theoriegeschichte können von der Erweiterung des Diskurses nur gewinnen. Denn in der intensiven Diskussion hat sich Lem als keines-wegs leicht zu verbuchen oder gar zu erledigen erwiesen. Dass sein Werk bisweilen vielmehr an Rätselhaftig-keit und auch an Zauber gewann, dürfte dem Autor von Solaris sicher-lich gefallen haben.

alexander friedrich und petra gehring

Professor Stanisław Bereś (Breslau, links) mit Übersetzerin Aleksandra Grzybkowska (hinten) diskutiert Lem. Bild: Alexander Friedrich

Weitere informationen

festiVal »Komet lem«8 http://www.komet-lem.de/das-festival/

BloG »Komet lem«8 http://www.komet-lem.de/blog/

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Lem im Philosophie/EthikunterrichtwOrKShOp iM DeUtSchen pOlen-inStitUt

Die Reflexion und Klärung der Be-griffe wird unmittelbar erforderlich: Auf dem fernen Planeten Solaris fin-den Wissenschaftler einen gallertar-tigen Ozean, der sich der üblichen Klassifikation des Lebendigen ent-zieht, aber doch nicht tote Materie zu sein scheint, vielmehr womöglich zu intelligentem Handeln fähig ist. Zu-mindest sehen sich die drei Wissen-schaftler der die Solaris umkreisen-den Raumstation plötzlich mit Wesen konfrontiert, die Personen aus ihrer Vergangenheit unverwechselbar gleichen und sich ähnlich wie diese verhalten. »Das sind weder Personen, noch Kopien bestimmter Personen, sondern materialisierte Projektionen dessen, was zum Thema der betrof-fenen Person in unserem Gehirn enthalten ist«, behauptet einer der Wissenschaftler. Das jedoch ist alles andere als klar, da zumindest man-che der »Projektionen« zu Selbstbe-stimmung, Reflexion und Gefühlen fähig sind – sollten wir diesen Wesen den Personenstatus absprechen, weil ihr Körper keine typisch menschliche Zell- und Molekülstruktur aufweist? Die Überlegungen und Andeutungen des Romans gehen in dieser Frage deutlich weiter in die Tiefe, als man von einem bloßen »Sci-Fi-Roman« erwarten könnte. Auch stellen sich zahlreiche weitere implizit philoso-phische Fragen. Allerdings gibt es zwei Fragen, die Lem ausdrücklich als philosophische bezeichnet: Gibt

es Denken ohne Bewusstsein? Ist der Ozean ein »verkrüppelter Gott«, der zwar nicht allmächtig, aber seinen Geschöpfen und den Menschen an Intelligenz weit überlegen wäre?

Grund genug diesem philosophisch ergiebigen Roman auch in didak-tischer Hinsicht nachzuspüren, um ihn für das philosophische Nach-denken mit Schülerinnen und Schü-lern fruchtbar zu machen. Dr. Boris Schwitzer (Fachleiter für Philosophie am Studienseminar Heidelberg) und Dr. Philipp Richter (Institut für Philo-sophie/TU Darmstadt) haben daher zu den »Philosophischen Aspekten im Roman ‚Solaris’« am 13.12.2016 einen Workshop für Lehrende der Philosophie/Ethik veranstaltet. Die Nachfrage war groß: 23 Teilneh-merinnen und Teilnehmer aus der schulischen Praxis, dem Referenda-riat oder dem Lehramtstudium von verschiedenen Universitäten sowie andere Interessierte haben sehr in-tensiv mitgearbeitet und mitdisku-tiert. Im Seminarraum des Deut-schen Polen-Instituts im Darmstädter Residenzschloss wurden nach einem Impulsvortrag an ausgewählten »Solaris«-Auszügen philosophische

Der roman »Solaris« von Stanisław lem bietet zahlreiche anschluss-möglichkeiten für philosophische Fragen und Diskussionen. Das phan-tastische Szenario fordert übliche auffassungen von wissenschaft-licher Forschung, dem menschlichen leben sowie von echter liebe, iden-tität und authentizität heraus.

Fragen für den Unterricht entwickelt. Die Diskussion konzentrierte sich dann insbesondere auf den Status der nicht-menschlichen »Projektionen« und auf die ethische Frage, wozu die Wissenschaftler diesen gegenüber verpflichtet sind. Hier bot sich eine kritische Diskussion des »Prinzips der gleichen Interessenabwägung« nach Peter Singer an, da dieses expli-zit nicht nur Interessen der Gattung homo sapiens erfassen soll.

Wir danken dem Deutschen Polen-Institut sehr herzlich für die Versor-gung mit allem, was für einen erfolg-reichen Workshop nötig war.

philipp richter und Boris schwitzer

Workshop für Lehrende der Philosophie/Ethik mit Dr. Philipp Richter und Dr. Boris Schwitzer. Bild: Paula Böse, Deutsches Polen-Institut (DPI)

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WorKshoP »Komet lem«8 http://bit.ly/2oMkscd

das festiVal »Komet lem«8 http://www.komet-lem.de

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Dialektik – Ontologie – Kunst tagUng aM inStitUt Für philOSOphie, 3. / 4. März 2017

In Zusammenarbeit mit dem Centro di Studi Filosofici Sant‘ Abbondio (Schweiz) veranstaltete das Insti-tut für Philosophie anlässlich des 90. Geburtstages von Hans Heinz Holz eine Tagung, die der produk-tiven Auseinandersetzung mit dem Stand dialektischer Philosophie, wie er in den Werken von Hans Heinz Holz vorliegt, gewidmet war. Dabei sollten die von Holz, dem wohl ein-flussreichsten marxistischen Philo-sophen der Gegenwart, formulierten Probleme und Antworten auf ihre Gültigkeit und Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung hin befragt wer-den. Holz gehörte seinerzeit dem legendären VDI-Ausschuss »Technik und Philosophie« an, in dem auch u. a. Arnold Gehlen und Hans Blumen-berg wirkten. Das seinerzeit entwi-ckelte Handbuch »Nachdenken über Technik. Klassiker der Technikphilo-sophie und neuere Ansätze« erschien bisher in drei Auflagen, von denen die letzte als »Darmstädter Ausgabe« hier besorgt wurde; eine vierte Auf-lage ist in Vorbereitung. Neben der Technik markieren Dialektik, Ontolo-gie und Kunst die Eckpunkte des Phi-losophierens von Hans Heinz Holz.

Die Tagung wurde eingeleitet durch einen Vortrag von Christoph Hubig »Spekulative Sätze. Zur logischen Grammatik eines Denkens von und in Verhältnissen«, gefolgt von Hans J. Glattfelder (Paris) »Über Konstrukti-on, Spekulation und Metapher – Ge-spräche mit Hans Heinz Holz« sowie von Jochen Stankowski (Dresden) und Michael Weingarten (Stuttgart) »Kunst, Konstruktion, Dialektik«. Jörg Zimmer (Girona) diskutierte den »Spekulativen Materialismus« in der Philosophie von Holz; Roberto Caner-Liese (Barcelona) reflektierte Holz‘ Sprachphilosophie »Die Unsi-cherheit der Rede und die Gewissheit der Aussage« mit Blick auf Kleist. Dem Thema »Tätigkeits- und Arbeits-begriff« war der Beitrag von Claus Baumann (Stuttgart) gewidmet; Da-niel Hackbarth (Zürich) analysierte vergleichend die Materialismuskon-zepte bei Ernst Bloch, Holz und Max Horkheimer. Den Abschluss bildete der Vortrag von Hannes A. Fellner (Wien) »Novissima Sinica Holziana«,

Dialektik, Ontologie und Kunst – das sind die Kernthemen des werkes von hans heinz holz. Kontrovers und von besonderer bedeutung ist jedoch der Dialektikbegriff des mar-xistischen philosophen. auf einer internationalen tagung des instituts für philosophie wurden nun die ak-tualität und das Forschungspotenzi-al des gesamtwerkes deutlich.

der die intensive Rezeption dialek-tischer Strukturen in der klassischen chinesischen Philosophie durch Holz vorstellte, in eins mit einer semio-tischen Analyse der einschlägigen Schriftzeichen.

Aus den Verhandlungen der Ta-gung resultierten einerseits deutlich kritische Bilanzierungen mancher Holz’scher Theoreme, insbesondere was den Einsatz der Spiegel-Meta-pher betrifft; andererseits wurden eine ganze Reihe von bisher wenig beachteten Impulsen für die Wei-terentwicklung dialektischen Philo-sophierens herausgearbeitet, die im Wesentlichen die Rolle von Kunst und Arbeit in der Welterschließung betreffen. Für den Herbst ist die Pu-blikation der Beiträge geplant.

philipp richter

Hans Heinz Holz. Filmstill aus der Vorlesung »Spekulatives Denken – sein Grund und seine Systematik«. Sant'Abbondio/Weimar, 2009. Bild: Stefan Wilke

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Prof. dr. christoph hubig h [email protected]

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Elektrotechnik, Biologie, Mikro- und Nanofluidik, Informatik, Physik und Philosophie arbeiten im Darmstäd-ter LOEWE Projekt CompuGene zu-sammen. Dabei werden genetische Schaltkreise in Zellen implementiert, die einfache logische Operationen durchführen können. Biologische Zellen sollen also kleine Computer werden, inzwischen aber ist sehr viel Computermodellierung notwendig: Fünf der zehn Arbeitsgruppen sind mit Modellierungsfragen befasst. Eine einwöchige Winter School zu »Varieties of Modelling in Technosci-ence« brachte anfang März 7 Wissen-schaftsphilosoph_innen, CompuGene

Mitarbeiter_innen und interessierte Studierende aus Deutschland, Eng-land, Finnland und den USA zusam-men, die einen intensiven Austausch mit den CompuGene Modellierern zu suchen. In je dreistündigen Dis-kussionen haben Philosoph_innen und Modellierer_innen voneinan-der gelernt, die Unterschiedlichkeit der Ansätze herausgearbeitet und weiterführende Themen für künf-tige Treffen identifiziert. Darüber hinaus haben Doktorand_innen ihre Projekte und die eingeladenen Phi-losoph_innen neue Manuskripte zur Philosophie der Synthetischen Biolo-gie vorgestellt.

Philosophie trifft Modellierungwinter SchOOl iM lOewe prOjeKt cOMpUgene

Kick-off WorkshopKataStrOphen iM SpannUngSFelD vOn KUltUr, UMwelt UnD techniK

»Katastrophen« fallen nicht vom Himmel. Sie haben eine natürliche, eine kulturelle und eine technolo-gische Dimension – und, sie haben eine Vorgeschichte. Auf dem Laden-burger Diskurs kamen auf Initiative von Prof. Dr. Gerrit Jasper Schenk (Institut für Geschichte) und der Daimler und Benz Stiftung in La-denburg Forscher der Natur- und Geisteswissenschaften zusammen und fragten nach Möglichkeiten zur Etablierung einer gemeinsamen Ar-beitsgruppe zur Erforschung von Dürrekatastrophen im mediterranen Raum. Als Erkenntnisziele des For-scherkollegs formulierte Prof. Dr. Gerrit Jasper Schenk im Eröffnungs-vortrag Verlaufsformen und Wieder-holungsstrukturen von Dürren, hier-für relevante Verflechtungsprozesse von Umwelt, Kultur und Technik sowie weiterführendes Wissen über tipping points, Determinismen und soziokulturellen Dispositiven gegen-über Dürren.

»Hitze, Hunger, Durst« führen be-reits in der Gegenwart zu globa-len Umwälzungen, die sich auch am Zustrom von Flüchtlingen nach Europa messen lassen. Vor diesem Hintergrund ist das Verständnis um die historische Dimension von Dür-ren, ihrem Entstehen und Verlauf sowie den gesellschaftlichen und technischen Bewältigungsmethoden für den Umgang mit den gegenwär-tigen Veränderungen höchst rele-vant. Der Kick-off Workshop konnte die Potenziale des Themas »Dürre-katastrophen« ausleuchten, indem langfristige Verflechtung natürlicher und gesellschaftlicher Faktoren auf-gezeigt werden konnten. Diese Er-gebnisse sollten in den Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) einfließen, um die Sensibilität internationaler Organisa-tionen für sozionaturale Grundlagen

aber auch ‚temporale Fernwirkung‘ einzelner Entscheidungen im Fall von Dürrekatastrophen zu erhöhen. Dieser Aspekt komme gegenwärtig zu kurz. Die Notwendigkeit des Di-alogs der Disziplinen wurde noch einmal bekräftigt. So sei beispiels-weise der Begriff »Dürre« noch nicht hinreichend definiert. Das Festhal-

Kick-off Workshop »Katastrophen im Spannungsfeld von Kultur, Umwelt und Technik« in LadenburgBild: © 2017 Daimler und Benz Stiftung/Oestergaard

ten am mediterranen Raum fand insgesamt Zustimmung. Langfristig müsse neben der Vormoderne eine sowohl historisch als auch naturwis-senschaftlich dichter dokumentierte Epoche (19. und 20. Jahrhundert) in die Untersuchung einfließen.

Weitere informationen8 http://bit.ly/2nSfqaj

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European Lounge Talk zwiSchen trUMp UnD pUtin: Die zUKUnFt Der eUrOpäiSchen SicherheitSpOlitiK

Am 15. März 2017 veranstaltete das Jean Monnet Centre of Excellence »EU in Global Dialogue« (CEDI) ge-meinsam mit der Schader-Stiftung den zweiten European Lounge Talk. Thema der Podiumsdiskussion war die Neuausrichtung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik angesichts globaler politischer He-rausforderungen. Wie verändern sich die europäischen Sicherheitsbezie-hungen in Zeiten von Wladimir Pu-tin, Donald Trump und Brexit? Muss die EU global mehr sicherheitspoli-tische Verantwortung übernehmen? Diese und andere Fragen diskutier-ten die geladenen Experten Prof. Dr. Thomas Jäger (Universität Köln), Dr. Manfred Sapper (Zeitschrift Osteur-opa), Dr. Annegret Bendiek (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Mili-tärbischof Dr. Sigurd Rink.

Prof. Dr. Thomas Jäger (Universität zu Köln) analysierte als Experte für transatlantische Beziehungen den Strategiewechsel in der US-ameri-kanischen Außen- und Sicherheits-politik insgesamt und die Neuaus-richtung der Beziehungen zwischen den USA und Russland. Dr. Manfred Sapper (Zeitschrift Osteuropa) kom-mentierte die Beziehungen zur EU und den USA aus russischer Perspek-tive. Dr. Annegret Bendiek (Stiftung Wissenschaft und Politik) skizzierte schließlich die Herausforderungen für die europäische Außen- und Si-cherheitspolitik. Sie attestierte ei-nen neuen außen- und sicherheits-

politischen Pragmatismus, der mit dem Begriff der »Sicherheitsunion« einhergehe. Der Militärbischof der Evangelischen Kirche Deutschland, Dr. Sigurd Rink, thematisierte grund-legende normative Konzepte der Ver-lässlichkeit, des gerechten Friedens und der Solidarität. Die Experten waren sich einig, dass die EU ihren normativen und transformativen Anspruch in der Außen- und Sicher-heitspolitik nicht aufgeben dürfe.

anne tews

v.l.n.r. Prof. Dr. Michèle Knodt (TU Darmstadt), Dr. Annegret Bendiek (Stiftung Wissenschaft und Politik, Ber-lin), Prof. Dr. Thomas Jäger (Universität Köln). Bild: Claus Völker

Jean monnet centre of excellence«eu in GloBal dialoGue” (cedi)8 https://www.eu-global-dialogue.eu

schader stiftunG8 http://bit.ly/2oa59c8

EU IN GLOBALDIALOGUE

Jean Monnet Centre of Excellence

(CEDI)

Prof. Dr. Michèle Knodt ist zusammen mit Prof. Dr. Sabine Schlacke (Uni-versität Münster) und Prof. Dr. Erik Gawel (Universität Leipzig) als Lei-terin der AG »Rahmenbedingungen für eine europäische Energieunion« der Initiative »Energiesysteme der Zukunft« (ESYS) des acatech, der Leopoldina und der Union der deut-schen Akademien der Wissenschaft berufen worden.

Die Arbeitsgruppe wird bis Anfang 2018 eine Stellungnahme zur Analy-se und Bewertung des bestehenden rechtlichen, politischen und ökono-mischen Rahmens der europäischen Energietransformation erarbeiten sowie Handlungsoptionen für die Bundesregierung und die EU präsen-tieren.

neUe leitUng

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Internationale Konferenz: UNSETTLEDUrban rOUtineS, teMpOralitieS anD cOnteStatiOnS

Unsettled: Die jüngeren politischen und gesellschaftlichen Umwäl-zungen auf globaler, europäischer und nationaler Ebene (Flüchtlings-krise, Europakrise, Brexit, Attentate und Anschläge im öffentlichen Raum auch westlicher Städte, …) verän-dern Stadtleben und öffentliche Räu-me sichtbarer denn je. Stadtentwick-lung, Stadtplanung und Architektur sind konfrontiert mit Unsicherheiten und Unplanbarkeiten angesichts be-schleunigter wirtschaftlicher, so-zialer, kultureller, politischer und ökologischer Transformationen, die alte Routinen, Zeitlichkeiten und Widerstände verändern oder aushe-beln, und gleichzeitig neue – noch unbekannte oder wenig verstandene hervorbringen.

Unsettled: Diese Unbeständigkeit ist auch Bedingung für Veränderungen und eröffnet Chancen für Neues: Neuanfänge, Umdenken und Inno-vation per se. Soziale und politische Bewegungen in Städten fordern ihr Recht auf Stadt und Teilhabe ein. Gleichzeitig gerät mit der Krise des durch globale Wirtschaftsmuster ge-schwächten Nationalstaats und su-pranationaler Institutionen (z. B. EU) die stabilisierende Rolle von Städten, Stadtverwaltungen und von Stadt-politik wieder stark in den Vorder-grund.

Die Konferenz Unsettled: Urban rou-tines, temporalities and contestations möchte der Unbeständigkeit, die so-wohl gegenwärtig auch als bereits historisch den städtischen Alltag be-

stimmt hat, und die Möglichkeiten, die diese Lösung von Routinen inner-halb de Stadtkultur und öffentlichen Räume mit sich bringt, ausloten. Wir laden dazu internationale, interdis-ziplinäre Teilnehmer_innen aus Uni-versitäten, Forschungseinrichtungen, Büros, Verwaltungen, Aktivistenkol-lektiven und Beratungsunternehmen ein, über Theorie und Praxis hinweg in der Unbeständigkeit Orientierung für Stadtgestaltung, Stadtplanung und Stadtforschung zu finden.

Unter dem Aspekt Urban routines wollen wir alten und den – oftmals unbemerkt – neu aufkommenden Routinen im städtischen Alltag nach-gehen, von Routinen der Verwaltung, des alltäglichen Pendelns, politischer Festlichkeiten wie Nationalfeier-tage, bis hin zum Skateboarden im Resselpark. Urban temporalities be-schäftigt sich mit den städtischen Zeitlichkeiten sowohl der zyklischen Stadtentwicklung und -erneuerung, als auch des Alltagslebens der Stadt-bewohner und ihrer veränderten Ta-ges-, Wochen- und Jahresrhythmen. Urban temporalities beschreiben gleichzeitig veränderte Geschwin-digkeiten und Mobilität, die auch mi-

Bild: http://bit.ly/2ogyUbE

grantische Perspektiven auf Stadt er-öffnen: Menschen auf Reisen, auf der Flucht, im Ankunftsort. Mit Urban contestations gehen wir auf Stadt als politischer Raum ein, in dem sich Widerstand gegen zunehmende stadtgesellschaftliche Polarisierung und Ungleichheit, gegen Verdrän-gung und städtische Segregation regt. Die Stadt und ihre öffentlichen Räume sind Berührungsstellen für soziale und politische Erneuerung, ausgehend von Stadtplanung, Stadt-politik und Zivilgesellschaft glei-chermaßen. In Zeiten, in denen die Demokratie selbst, auch als urbanes Ideal, aus dem Gleichgewicht gera-ten erscheint, kann Unsettled! auch einen ersten Anstoß zur Erneuerung der Demokratie geben. Gerade Städ-te und Stadtgesellschaften als Orte der Inklusion und sozialen Innova-tion stellen den Ausgangspunkt für das fortwährende Projekt der gesell-schaftlichen Demokratisierung dar.

Weitere informationen8 http://bit.ly/2nSfqaj

Die von professorin Sybille Frank, institut für Soziologie, organisierte internationale Konferenz UnSettleD – Urban routines, tem-poralities and contestations fand vom 29. bis 31. März in wien statt.

Seite 24 | FB2.aktuell | April 2017 Pulbikationen

Publikationen

goVernance und Politisches ent-scheiden

Zur intersubjektiVen erschliessung der grundlagen Politischer entscheidungen

Hubert HeineltNomos Verlag, 2016

In diesem Buch geht es um die Fä-higkeit von Individuen, sich durch kommunikativen Austausch in In-teraktionsnetzwerken ihre Hand-lungsmöglichkeiten und -grenzen im Hinblick auf kollektiv bindende Entscheidungen sinnhaft anzueignen und damit politisch handlungsfähig zu werden. Bezogen wird dies auf ein Konzept von Wissen, nach dem

8 http://bit.ly/2pAY2bo

dessen Kernfunktion in der Auswahl, dem Sortieren und der Integration von Daten und Informationen be-steht, wodurch diese mit spezifischer Relevanz versehen werden. Wissen ist in diesem Sinne immer verknüpft mit einem Prozess der Sinngebung und einer sich daraus ergebenden Herstellung von Handlungsfähig-keiten.

handbuch sturm und drang

Matthias Luserke-Jaqui (Hrsg)Unter Mitarb. v. Vanessa Geuen/Lisa WilleReihe: De Gruyter ReferenceDe Gruyter, 2017

Erstes umfassendes Nachschlagewerk zum Sturm und DrangBis heute fehlt eine Gesamtschau über die Literaturgeschichte Sturm und Drang.Mit diesem Handbuch liegt erstmals eine umfassende Übersicht über das Themengebiet Sturm und Drang vor.Die Autorartikel berücksichtigen ne-ben den bekannten Größen wie Goe-the, Lenz oder Klinger auch die klei-neren, nahezu vergessenen Autoren wie Wagner, Carbonnières, Füssli.Systematische Artikel u.a. zu den Themen Wissenschaftsgeschichte, Ästhetik- und Philosophiegeschich-te, Musikgeschichte, Kunstgeschich-te, Religionsgeschichte, Lyrikge-schichte etc. des Sturm und Drang erlauben eine kontextuelle Bedeu-

8 http://bit.ly/2omh4RO

tungssetzung. In zahlreichen und umfassenden Beiträgen werden die einzelnen Texte des Sturm und Drang vorgestellt und eine Neubewertung sorgfältig diskutiert. Die Artikel sind so aufgebaut, dass Forschungsdiskus-sion, literatur- und kulturgeschicht-licher Kontext und die Bedeutung für den Sturm und Drang klar zu erkennen sind. Drei umfassende Re-gister bieten die Möglichkeit, gezielt auch kleinteilige Fragestellungen zu bearbeiten. Die Beiträgerinnen und Beiträger sind ausgewiesene Exper-tinnen und Experten auf ihrem Fach-gebiet. Der Herausgeber ist einer der führenden Forscher des Sturm und Drang.

Seite 25 | FB2.aktuell | April 2017 Pulbikationen

beware of smart PeoPle! redefining the smart city Paradigm towards inclusiVe urbanism

Proceedings of the 2015 «beware of smart PeoPle!” symPosium

Stollmann, Jörg; Wolf, Konrad; Brück, Andreas; Frank, Sybille; Million, Angela; Misselwitz, Philipp; Schlaack, Johanna; Schröder, Carolin (Hrsg.)Universitätsverlag der TU Berlin, 2016

Das Paradigma der Smart City ist Aus-druck der Ambition, Stadtentwick-lung durch die Anwendung von IKT effizient und Ressourcen schonend zu gestalten. Städte in denen wir arbeiten und über die wir forschen entwickeln Smart City Strategien und Forschungsförderung speziali-siert sich zunehmend auf die Ent-wicklung »smarter« Infrastrukturen und Steuerungsmechanismen. Smart Cities werden als radikaler Paradig-menwechsel gelesen und als Mo-toren technologischer Entwicklung: ökonomisches Wachstum, höhere Lebensqualität, Effizienz und Risi-kokontrolle angesichts abnehmender Ressourcen und drohenden Klima-wandels. Dieser »Smartifizierung« stehen die zunehmenden Forde-rungen zivilgesellschaftlicher Grup-pen und sozialer Bewegungen für mehr und umfassendere Einbindung in Entscheidungsprozesse entgegen. Neue urbane Akteure werden zu Agenten, indem sie ihre Erfahrungs-wissen, ihre lokalen Kenntnisse, ihre sozialen Netzwerke und Fähigkeiten zur Kooperation und Kollaboration

8 http://bit.ly/2pAnyAs

einbringen. Hintergrund diese Be-wegungen ist ein augenscheinlich paralleler Diskurs zur »Smart City« welcher sich zunehmend Gehör ver-schafft – der Diskurs über die Ge-meingüter, die Commons. Commons werden definiert als das Zusammen-spiel von Ressourcen, Menschen und Praktiken: Ressourcen, die von einer Gemeinschaft – den Commonern - definiert und verwaltet werden, und eine Praxis des Commoning, wel-che die Ressource schonend bewirt-schaftet ohne sie zu verbrauchen. In diesem Sinne scheint Commoning eine Praxis, die einer nachhaltigen Lebensweise am nächsten kommt. Sind diese zwei Diskurse – der Dis-kurs über die Smart City und jener über die urbanen Gemeingüter – un-vereinbare Antagonisten oder teilen sie Gemeinsamkeiten, welche offen gelegt, weiter entwickelt und ver-fechtet werden sollten? Diese Frage ist keineswegs eine rein theoretische. Sie ist eine sehr praktische Frage, da sie auf die Verteilung und das Ma-nagement lebenswichtiger Ressour-cen zielt. Sie ist eine politische Fra-ge, da sie Auseinandersetzung und Parteinahme einfordert. Und sie ist eine ethische Frage, denn sie fordert gegenseitigen Respekt und Einsatz ein – für unsere Mitmenschen sowie für die nichtmenschliche Natur, für die wir Verantwortung tragen. Die Texte und Aufzeichnungen des Sym-posiums »Beware of Smart People!« wollen hierzu einen Beitrag leisten und zukünftige Forschungsvorhaben stimulieren.

die goldene bulle kaiser karls iV. (1356-2016)das kurkölner exemPlar in darm-stadt. eine ausstellung der tech-nischen uniVersität darmstadt, der uniVersitäts- und landesbibli-othek darmstadt und des fachge-biets mittelalter der technischen uniVersität darmstadt

Gerrit Jasper Schenk und Björn Gebert, Darmstadt (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt) (Hrsg) 2016

8 http://bit.ly/2pQMKza

Seite 26 | FB2.aktuell | April 2017 Pulbikationen

historical disaster exPeriences

towards a comParatiVe and trans-cultural history of disasters across asia and euroPe

Gerrit Jasper Schenk (Hrsg)Springer Verlag, 2017

Historical disaster research is still a young field. This book discusses the experiences of natural disasters in different cultures, from Europe across the Near East to Asia. It fo-cuses on the pre-industrial era and on the question of similarities, diffe-rences and transcultural dynamics in the cultural handling of natural di-sasters. Which long-lasting cultural patterns of perception, interpretati-on and handling of disasters can be determined? Have specific types of

8 http://bit.ly/2pAY2bo

disasters changed the affected socie-ties? What have people learned from disasters and what not? What adap-tation and coping strategies existed? Which natural, societal and econo-mic parameters play a part? The book not only reveals the historical depth of present practices, but also reveals possible comparisons that show glo-balization processes, entanglements and exchanges of ideas and practices in pre-modern times.

reasoning in measurement

Nicola Mößner, Alfred Nordmann (Hrsg)Routledge, 2017

Geschichte und Theorie der Technowissenschaften

Gerade erschienen sind im Routledge Verlag zwei Bände der Buchreihe Hi-story and Philosophy of Technosci-ence. Beide gehen auf Initiativen des Instituts für Philosophie zurück.

Der von Nicola Mößner und Alfred Nordmann herausgegebene Band »Reasoning in Measurement« ver-sammelt Beiträge, die jenseits der klassischen Messtheorie die Frage nach dem Messen als einer Technik untersuchen. Sowohl bei seismogra-phisichen Messungen als auch bei der Messung von Lebensqualität müssen Skalen definiert werden, muss die Anzeige eines Instruments oder das Ergebnis eines Fragebogens model-liert werden, um einen Messwert zu erhalten. Das Buch legt Untersu-chungen von konkreten Verfahren und Erkenntnisstrategien vor.

8 http://bit.ly/2pR17Do

research objects in their technological setting

Bernadette Bensaude Vincent, Sacha Loeve, Alfred Nordmann, Astrid Schwarz (Hrsg)Routledge, 2017

Der von Bernadette Bensaude Vin-cent, Sacha Loeve, Alfred Nordmann und Astrid Schwarz herausgegebene Band »Research Objects in their Technological Setting« geht auf ein von der DFG und der französischen ANR gemeinsam gefördertes Projekt zurück. Über drei Jahre hat sich eine internationale Gruppe von Philo-sophen und Wissenschaftsforschern mit den unterschiedlichen Gegen-standsbezügen wissenschaftlicher und technowissenschaftlicher For-schung befasst. Während die Dinge einerseits auf ihre natürlichen Eigen-schaften oder auf ihre Substanz hin befragt werden, kann sich das Inte-resse andererseits auf ihre Potenz richten und das, was sie uns gewäh-ren. Um die wechselvolle Geschichte des Kohlenstoffs geht es und um Pa-ketpappe, um arktisches Eis und um Plastikströme im Pazifik. 8 http://bit.ly/2orGFrz

Seite 27 | FB2.aktuell | April 2017 Pulbikationen

bilateral energy relations

between the eu and emerging Powers

mutual PercePtions of the eu and braZil, china, india and south africa

Michèle Knodt, Natalia Chaban,Louise NielsenNomos Verlag, 2017

Globale Energie Governance voll-zieht sich in einer multipolaren Welt, die von einer wachsenden Nachfrage nach Energie gekennzeichnet ist. EU und die aufstrebende Staaten Brasi-lien, China, Indien und Süd-Afrika

8 http://bit.ly/2orNIAC

(BICS) konkurrieren dabei um knap-pe Ressourcen. Gleichzeitig koope-rieren die EU und BICS in bilateralen Energiedialogen. Dieser Band analysiert die gegensei-tigen Wahrnehmungen der EU und den aufstrebenden Staaten in der Energie Governance, den Heraus-forderungen der Energiekooperation und der gemeinsamen Governance knapper Ressourcen. Die Ergebnisse speisen sich aus der Analyse von Eli-tendiskursen sowie Medienanalysen, die sich auf die Sichtweisen aus den BICS, der EU und den EU »Big 3« Mit-gliedstaaten – Deutschland, Frank-reich und Großbritannien bezieht.

cities contested

urban Politics, heritage, and so-cial moVements in italy and west germany in the 1970s

Martin Baumeister, Dieter Schott, Bruno Bonomo (Hrsg)Campus Verlag, 2017

Die 1970er-Jahre gelten in der deut-schen Zeitgeschichte als Epoche eines tief greifenden sozialen Wan-dels, eines "Strukturbruchs " im Übergang von der Industriemoderne zur postfordistischen Gesellschaft. Die Beiträge dieses Bandes widmen sich diesem Jahrzehnt erstmals aus

8 http://bit.ly/2oNP3DF

einer stadthistorischen Perspekti-ve und stellen dabei Entwicklungen in Westdeutschland und Italien ei-nander gegenüber. In Fallstudien zu Städten vom Ruhrgebiet bis Sizilien wird untersucht, wie sich die Umbrü-che dieser Zeit im Brennpunkt von städtischem Raum und städtischer Gesellschaft verdichten, als "urbane Krise" wahrgenommen und verhan-delt werden und sich in Konflikten in der städtischen Politik sowie Kämp-fen in und um die Stadt manifestie-ren.

riVers lost, riVers regained

rethinking city-riVer relations

Martin Knoll, Uwe Lubken, Dieter Schott (Hrsg)University of Pittsburgh Press, 2017

Many cities across the globe are re-discovering their rivers. After de-cades or even centuries of environ-mental decline and cultural neglect, waterfronts have been vamped up and become focal points of urban life again; hidden and covered streams have been daylighted while restora-tion projects have returned urban ri-vers in many places to a supposedly more natural state. This volume tra-ces the complex and winding history of how cities have appropriated, lost, and regained their rivers. But rather than telling a linear story of pro-gress, the chapters of this book high-light the ambivalence of these deve-

lopments. The four sections in Rivers Lost, Rivers Regained discuss how ci-ties have gained control and exerted power over rivers and waterways far upstream and downstream; how rivers and floodplains in cityscapes have been transformed by urbaniza-tion and industrialization; how ur-ban rivers have been represented in cultural manifestations, such as no-vels and songs; and how more recent strategies work to redefine and recre-ate the place of the river within the urban setting. At the nexus between environmental, urban, and water hi-stories, Rivers Lost, Rivers Regained points out how the urban-river relati-onship can serve as a prime vantage point to analyze fundamental issues of modern environmental attitudes and practices.

8 http://bit.ly/2pfUIpj

Rivers Lost Rivers Regained

Rethinking City-River Relations

Edited by Martin Knoll, Uwe Lübken, and Dieter Schott

Seite 28 | FB2.aktuell | April 2017 Lob & Preis

neuroenhancement

interdisZiPlinäre PersPektiVen auf eine kontroVerse

Ronja Schütz, Elisabeth Hildt, Jürgen Hampel (Hrsg)transcript Verlag, 2017

Viele versprechen sich von den Neu-rowissenschaften eine Verbesserung der geistigen Eigenschaften gesun-der Menschen – das sogenannte »Neuroenhancement«. Dieser Band gibt einen umfassenden Überblick über den Diskussionsstand in unter-schiedlichen wissenschaftlichen Dis-ziplinen. Die Autorinnen und Auto-ren beschreiben nicht nur ein breites

8 http://bit.ly/2omXGUI

Spektrum unterschiedlicher Ver-fahren, sondern zeigen zudem, wie groß die Bandbreite an Zielen ist, die mit »Neuroenhancement« verknüpft werden: Geht es darum, geistig lei-stungsfähiger, moralischer oder kre-ativer zu werden? Oder wird letztlich nur der Druck auf das Individuum er-höht, besser, klüger und vielseitiger zu werden?

Friedrich-Ebert-PreispreiS Für beSte DiSSertatiOn geht an vOlKer Köhler

Dr. phil. Volker Köhler erhielt den Preis für seine Dissertation »Die Mi-kropolitik der Genossen, Freunde und Junker. Zur Bedeutung perso-naler Verbindungen im politischen Handeln während der Weimarer Re-publik«, betreut von Jens Ivo Engels und Andreas Fahrmeir.

Aus der Laudatio der Jury:Volker Köhler ist die Erprobung der »Mikropolitik der Genossen, Freunde und Junker« – so der Haupttitel sei-ner Darmstädter Dissertation – über die »Bedeutung personaler Verbin-dungen im politischen Handeln wäh-rend der Weimarer Republik« in me-thodischer wie empirischer Hinsicht gelungen. Er nimmt die personale Di-mension von Geschichte ernst, ohne in den Modus einer bloß anekdoten-

reichen Biographik zu verfallen, und fragt nach ihrem Einfluss bei der Vergabe staatlicher und kommunaler Ressourcen in Abgrenzung oder in Vermischung mit strukturellen Gege-benheiten und »Sachzwängen«. Es ist eine der Stärken dieser Studie, dass er solche Kontexte oder zusätzliche Entscheidungsfaktoren ebenfalls berücksichtigt und gewichtet, sei-nen mikropolitischen Ansatz mithin nicht absolut setzt, sondern eher als ergänzenden Erklärungsansatz zur Geltung bringt.

Gaben, Geschenke, Gesten und Ge-fälligkeiten, Freund- und Feind-schaften, Hierarchien überwindende

Volker Köhler erhält den Friedrich-Ebert-Preis. Bild: http://bit.ly/2pBI54z

Mittlerfiguren, Netzwerke quer zu institutionellen Strukturen, perso-nale Beziehungen und informelle Praktiken, die eine mikropolitische Kulturgeschichtsschreibung ausma-chen, spielten während der gesamt-en Weimarer Geschichte eine bislang unterschätzte Rolle, die es weiter zu erforschen gilt. Gerade zur Erklä-rung von Mechanismen in einer zer-klüfteten politischen Landschaft wie zu Weimars Zeiten und angesichts eines Mangels an durchdringenden republikanischen Legitimationsmu-stern und Leitfiguren, kommt – da-für sensibilisiert Köhlers innovative Pionierstudie – mikropolitischen Be-trachtungen ein hoher Rang zu.

2016 haben die Forschungsstelle weimarer republik und der verein weimarer republik zum ersten Mal und zum teil in Kooperation mit der hugo-preuß-Stiftung preise für Forschungsarbeiten zur weimarer republik ausgeschrieben. Sie wur-den am 9. Dezember 2016 auf einer Festveranstaltung im rahmen der internationalen Konferenz »weimar und globaler politischer wandel« verliehen.

Seite 29 | FB2.aktuell | April 2017 Querschnitt

INOGOV ist ein 28-Länder For-schungsnetzwerk, das sich mit In-novation in Klima-Governance be-schäftigt und über vier Jahre (2014 – 2018) ca. 750.000 Euro für Work-shops, Konferenzen und Gastaufent-halte ausgibt. Vorsitzender des Netz-werks ist Prof. Dr. Andrew Jordan der University of East Anglia.

Jonas Schönefeld aus dem Institut für Politikwissenschaft koordiniert INOGOVs Early Career Investiga-tor Network (ECIN), das er auch im Management des Gesamtnetzwerkes vertritt.

Weitere informationen8 https://www.inogov.eu

Neue ForschungsnetzwerkinOgOv: innOvatiOnS in cliMate gOvernance

Die Diskussion und Entwicklung von zentralen und aktuellen Fragestel-lungen in der Energie-, der Klima- und der Umweltpolitik ist das Ziel der neu gegründeten Forschungs-gruppe »Energie – Klima – Umwelt« am Institut für Politikwissenschaft.

Beteiligt sind die Mitarbeiter der Ar-beitsbereiche »Vergleichende Analyse politischer Systeme und Integrations-forschung« unter Prof. Dr. Michèle Knodt, »Internationale Beziehungen« unter Prof. Dr. Markus Lederer so-wie »Modelle der Wohnungs- und Energiepolitik« unter Prof. Dr. Kai Schulze. Damit vereint die Gruppe Expertisen in unterschiedlichen Be-reichen der vergleichenden und der internationalen Energie-, Klima- und Umweltpolitik sowie qualitativer und quantitativer Herangehensweisen. Grundstein der Forschungsgruppe bildet ein regelmäßiges Kolloquium, das im kommenden Sommerseme-ster zum ersten Mal stattfindet und den beteiligten Forscher_innen die Möglichkeit gibt, Fragen und Ergeb-nisse ihrer eigenen Forschung, etwa zu Aspekten des grenzüberschreiten-den Regierens, Transformationspro-zessen oder zur Übernahme, Diffusi-on und Implementation von Politiken

aus den genannten Bereichen, vorzu-stellen.

Darüber hinaus organisiert die For-schungsgruppe regelmäßig Work-shops und Gastvorträge zu den The-menbereichen Energie, Klima und Umwelt. So findet unter Leitung der EKU-Mitglieder Linda Wallbott und Judith Kreuter des Arbeitsbereichs »Internationale Beziehungen« am 13. und 14. Juli der Workshop »Energy Transitions Revisited: the Material and Socio-Political Dimensions of Renewable Energy Technologies” des Arbeitskreises «Natur – Ressourcen – Konflikte” der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung am Institut für Politikwissenschaft statt.

Die internationale Vernetzung der Gruppe findet unter anderem über das »Innovations in Climate Gover-nance« (INOGOV) Netzwerk statt, das von der European Cooperation in Science and Technology (COST) finanziert wird (www.inogov.eu). EKU-Mitglied Jonas Schönefeld ko-ordiniert dessen »Early Career« Netz-werk (ECIN) mit über 100 Mitglie-dern.

judith kreuter

»Energie – Klima – Umwelt« neUe FOrSchUngSgrUppe aM inStitUt Für pOlitiKwiSSenSchaFt

Weitere informationen

inoGoV8 https://www.inogov.eu

early career netzWerK (ecin)8 http://bit.ly/2pRthyl

KontaKt h [email protected]

Seite 30 | FB2.aktuell | April 2017 Querschnitt

Am 24. Januar 2017 war Professor Jens Ivo Engels (Institut für Ge-schichte) als Experte zu einem Vor-bereitungstreffen der G 20 in Berlin eingeladen. Der Historiker hielt ei-nen Abendvortrag vor der »Working Group on the Fight Against Corrup-tion«. Er plädierte dafür, die Korrup-tionsbekämpfung von überzogenen Ansprüchen und Erwartungen zu befreien. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass Korruptionsbekämpfung ganz unterschiedlichen Zielen die-nen konnte. Mehr Partizipation und Demokratie können, müssen aber nicht zwangsläufig durch Korrupti-

onsbekämpfung gefördert werden. Zudem erinnerte Engels daran, dass die heute übliche Korruptionsauf-fassung westlichen Modellen von Staatlichkeit und Gesellschaft ent-spricht. Das Treffen wurde seitens der deutschen G 20-Präsidentschaft durch das Bundesjustizministerium ausgerichtet. Unter den Teilnehmern waren Regierungsvertreter der be-teiligten Staaten, darunter der bra-silianische Minister für Transparenz, und Repräsentanten internationaler Organisationen wie OECD und Welt-bank.

Vortrag bei G 20

Die Stadtforschung lebt!prOF. Dr. hUbert heinelt alS gaStreDner beiM »glObal citieS FOrUM« in Shanghai

Prof. Dr. Hubert Heinelt (Institut für Politikwissenschaft) als Gastredner beim "Global Cities Forum" in Shanghai am 30.10.2016, bei dem das »China Institute for Urban Governance« gegründet wurde. Bild: http://bit.ly/2pg2fUT

Seite 31 | FB2.aktuell | April 2017 Abschied

apl. Prof. Dr. Wolfram Lamping ein nachrUF

Wolfram Lamping, der am 25. Febru-ar 2017 gestorben ist, war seit Januar 2012 am Institut für Politikwissen-schaft der TU Darmstadt tätig. Zu-nächst koordinierte er bis Ende 2014 die von der Deutschen Forschungs-gemeinschaft geförderte interdis-ziplinäre Forschergruppe »Lokale Generierung handlungsrelevanten Wissens – am Beispiel lokaler Strate-gien und Maßnahmen gegen den Kli-mawandel«, anschließend war er als Gastprofessor in der Lehre engagiert. Wolfram Lamping setzte damit seine Lehrtätigkeit am Institut für Politik-wissenschaft fort, mit der er bereits 2004 nach seiner Habilitation für das Fach Politikwissenschaft am Fachbe-reich 2 begonnen hatte.

Wolfram Lamping schloss sein Studi-um der Sozialwissenschaften an der Universität Hannover 1992 mit einer Diplomarbeit zum Thema »Die Ent-stehung des Krankenversicherungs-gesetzes von 1883. Ideen, Interessen, Akteure« ab. Schon im Untertitel die-ser frühen Arbeit kommt das beson-dere Interesse von Wolfram Lamping an Akteuren und ihren Ideen für die Erklärung von politischen Entschei-dungen zum Ausdruck. Von diesem Ansatz, den man heute einer inter-pretativen Policy-Analyse zuordnen würde, ist auch seine im Jahr 1998 abgeschlossene Dissertation geprägt, die den etwas launig klingenden Titel »Vom Müll zur Policy« trägt. Inhalt-lich geht es dabei um »Kommunale Abfallpolitik im Vergleich« – so der Untertitel – und damit um die Frage, wie kommunale Akteure ihre eige-nen Vorstellungen von Abfallbeseiti-gung auch gegen strikte überörtliche rechtliche Vorgaben durchzusetzen versuchten bzw. durchsetzen konn-ten. Angesichts der zunehmenden europäischen Integration kann es bei einem so wissbegierigen Geist, wie es Wolfram Lamping war, nicht

verwundern, dass er sich auch mit Auswirkungen dieser Entwicklung auf nationalstaatlich verfasste Po-litikfelder auseinandersetzte. Dies kommt in seiner Habilitationsschrift mit dem Titel »European Union and Social Policy. Processes, Logics and Opportunities of Health Policy Inte-gration« zum Ausdruck.

Vor Beginn seiner Beschäftigung am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt war Wolfram Lamping von 1992 bis 1998 am Institut für Po-litische Wissenschaft der Universität Hannover zunächst als wissenschaft-licher Mitarbeiter und anschließend bis 2011 als wissenschaftlicher Assi-stent und schließlich Oberassistent tätig. Während dieser Zeit hat er eng mit seinem akademischen Ziehva-ter, Bernhard Blanke, zusammenge-arbeitet. Mit Bernhard Blanke, der sich zeitlebens mit dem »Formwan-del von Staatlichkeit« beschäftigte, trug Wolfram Lamping Anfang der 2000er Jahre wesentlich dazu bei, dass sich in Deutschland das Leitbild des »aktivierenden Staates« politisch durchgesetzt hat. Dafür steht das zu-sammen mit Bernhard Blanke und Henning Schridde im Jahre 2001 für das Bundeskanzleramt verfasste Gutachten »Aktivierender Staat – ak-tive Bürgergesellschaft« genauso wie die zusammen mit Bernhard Blanke, Stefan Plaß und Henning Schridde für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2002 angefertigte Studie »Der Aktivierende Staat. Positionen, Be-griffe, Strategien«.

Das, was Wolfram Lamping in den letzten Jahren wissenschaftlich be-schäftigt hat, wird in dem von ihm zusammen mit Marlon Barbehön und Sybille Münch verfassten Kapitel »Problem Definition and Agenda-Set-ting in Critical Perspective« deutlicht, das 2015 in dem von Frank Fischer

et al. herausgegebenen »Handbook of Critical Policy Studies« veröffentlicht worden ist.

Wie angesehen Wolfram Lamping als Politikwissenschaftler war, wird auch daran deutlich, dass er Ver-tretungsprofessuren an der Westfä-lischen Wilhelms-Universität  Mün-ster, der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Leibniz Universität Han-nover, der Universität Bremen, der Universität Göttingen, der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der TU Darmstadt wahrgenommen hat. In Anerkennung seiner bedeut-samen Leistungen in Forschung und Lehre hat die TU Darmstadt Wolfram Lamping den Titel eines außerplan-mäßigen Professors verliehen.

Mit Wolfram Lamping haben wir einen Kollegen verloren, der in For-schungszusammenhängen als immer hilfsbereiter, verlässlicher, kreativer und inhaltlich überaus inspirierender Wissenschaftler und Gesprächspart-ner geschätzt wurde und der bei Stu-dierenden als engagierter Lehrer und Betreuer hohes Ansehen genoss.

huBert heinelt

apl. Prof. Dr. Wolfram Lamping. Bild: Privat

Seite 32 | FB2.aktuell | April 2017 Abschied

Als ich im WS 1987/88 meine Profes-sur an der TH Darmstadt antrat, hatte ich in einem – damals noch kleinen – Proseminar zu Grundlagentexten von Marx den Erstsemesterstu-denten Helmut Wenzel (01.01.1954 – 06.03.2017) als Teilnehmer. Wenzel, der sich nach einer Krankenpfle-geausbildung und entsprechender Berufstätigkeit nach einigen Jahren doch zu einem Studium entschlossen hatte, erwies sich im Laufe der Jahre als an Theorien hoch-interessierter Student, der zudem eine ausgeprägte Affinität zu den modernen Informa-tions- und Kommunikationstechno-logien hatte. Er blieb mir deswegen über lange Jahre zunächst als wis-senschaftliche Hilfskraft, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter zuge-ordnet und über viele Jahre auch im freundschaftlichen Verhältnis ver-bunden.

Seine wissenschaftliche Entwicklung fand ihren Höhepunkt in seiner Dis-sertation, die einen großen Bogen von der frühen Kybernetik über die Allgemeine Systemtheorie bis hin zu den aktuellen Entwicklungen der In-formationstheorie schlug – das Ganze aus der Blickrichtung der Kritischen Theorie, besonders Horkheimers. Diese Arbeit stellte eine außerordent-liche Leistung dar, ist nach wie vor ein Forschungssolitär, im Frühjahr 2000 fertiggestellt1 und weiterhin rezipiert. Leider wurde sie aufgrund von Skrupeln und nicht realisierten Überarbeitungsüberlegungen nie als Buch veröffentlicht. Praktisch folgenreicher waren die schon seit Ende der 1980er Jahre gemeinsam betriebenen Anstren-gungen zur Innovation der wissen-schaftlichen Fachinformation. Die TH Darmstadt hatte damals über 80 Teilbibliotheken, die in jeweils un-terschiedlicher Weise (z. T. auch gar nicht) die Umstellung auf IT-Systeme

Dr. Helmut WenzelperSönlicher nachrUF aUF einen eigenSinnigen KOllegen

betrieben. Eine maßgeblich von Hel-mut Wenzel geprägte Arbeitsgruppe im Institut für Soziologie betrieb und programmierte in der ersten Hälf-te der 1990er Jahre ein System von Schnittstellen zwischen allen ange-wandten IT-Systemen, so dass – was heute niemand mehr weiß – die THD Mitte dieses Jahrzehnts die erste deutsche Universität mit einem in-tegrierten Gesamtkatalog war2. Sein indirekter Einfluss auf den von mir als Vizepräsident verantworteten Bi-bliotheksentwicklungsplan 1999 der TUD, der schließlich den Weg zum heutigen integrierten Bibliothekssy-stem eröffnete, ist deswegen nicht zu unterschätzen. Ein Anfang der 1990er Jahre unternommener Ver-such, diesen Ansatz auch kommer-ziell zu etablieren, scheiterte leider an der mangelnden Erfahrung. Da es gelang, diese Aktivitäten zu einem umfangreichen Forschungs- und Ent-wicklungsschwerpunkt zu erweitern, wurde Wenzel im Lauf der Jahre zunehmend zum praktischen Pro-jektmanager in dem von mir verant-worteten Schwerpunkt Arbeit, Orga-nisation und Gesellschaft. Daneben erfüllte er kontinuierlich Lehraufga-ben mit intensivem Kontakt zu den Studierenden.Diese Entwicklung wurde jedoch leider Mitte der 2000er Jahre unter- und schließlich abgebrochen durch eine zunächst harmlos erscheinende Erkrankung von Helmut Wenzel, ei-nen Zeckenbiss mit Borreliose als Folge, der trotz der an sich vorhan-denen medizinischen Kenntnisse zu spät diagnostiziert und behandelt wurde. Dieses Malheur machte Wen-zel in kurzer Zeit zum Stockgeher, dann zum Rollstuhlfahrer und zum Schwerbehinderten und schwäch-te ihn kontinuierlich. Er ergab sich bald diesem Schicksal, hielt jedoch an seiner Überzeugung fest, seinen beruflichen und familiären Pflichten

bis zum formellen Eintritt in die Al-tersrente, der ab Anfang 2017 mög-lich war, nachkommen zu müssen. Zwischenlösungen erschienen ihm als für ihn nicht gangbar, auch wenn dieser Verzicht erhebliche Bela-stungen für seine universitäre Umge-bung, viele studentische Hilfskräfte und nicht zuletzt seine Ehefrau nach sich zog. Ein Schlaganfall setzte ihn dann endgültig außer Gefecht. Sein Tod im März 2017 war schließlich die schicksalhafte Mischung aus Tra-gik und Erlösung, die wir leider oft im Leben und an seinem Ende vor-finden.

Ich hätte Helmut und seiner Frau Ka-rin  Kukuck-Wenzel gewünscht, dass er nach der anstehenden Verrentung Gelegenheit gehabt hätte, die innere Ruhe und äußere Gelassenheit zu finden, um mit seinen Verdiensten und seinem Schicksal weniger be-lastet und entspannter umzugehen. Es hat nicht sollen sein. Wir werden seiner gerade deswegen – und in be-sonderer Trauer um diese verpasste Perspektive – mit Bedauern, Achtung und Verständnis gedenken.

rudi schmiede

Dr. Helmut Wenzel. Bild: Privat

1 Helmut Wenzel: Subjekt, Information und System (http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/60/) 2 Berichte dazu sind ebenfalls verfügbar: Rudi Schmiede/Helmut Wenzel: Darmstädter Bibli-otheken im World Wide Web. Ein Projektbericht, in: Bibliotheksdienst Jg. 30 (1996), Heft 1, pp. 75-90 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-255518); Rudi Schmiede/Helmut Wenzel: Der Darmstädter Virtuelle Gesamtkatalog. Ausbau und Erweiterungen 1996, in: Bibliotheksdienst Jg. 31 (1997), Heft 1, pp. 88-97 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-255196)

Seite 33 | FB2.aktuell | April 2017 Abschluss

impressionen von der letzten absolventenfeier. Die Feier fand am Donnerstag, 26. januar 2017im Maschinenhaus statt.

bilder: rené weber