Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur · 2017-05-05 · 4 3 Musikakzente (eingestreut darunter...

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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil TAEKWONDO oder Auch Affen fallen mal vom Baum Von Elodie Pascal Produktion: RBB/NDR/WDR 2015 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 25.06.2017, 20.05-21.00 Uhr Regie: Elisabeth Putz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil

TAEKWONDO oder Auch Affen fallen mal vom Baum

Von Elodie Pascal Produktion: RBB/NDR/WDR 2015 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 25.06.2017, 20.05-21.00 Uhr Regie: Elisabeth Putz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

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Atmo/Training (darunter liegend)

Musikakzente (eingestreut)

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ISABELLA Tscha Ryod!

SPRECHER Hab Acht!

ISABELLA Kukkiye Daehayo Kyong Ned!

SPRECHER Gruß zur Fahne!

ISABELLA Baro!

SPRECHER Zurück in die Hab-Acht-Stellung!

FRANK Am Anfang erstmal die Fresse halten,

weil der Chef mit der Fahne sagt was los ist.

Sonst geht alles in Chaos unter.

ISABELLA Tscha Ryod!

SPRECHER Hab Acht!

ISABELLA Sabomnimgge Kyong Ned!

SPRECHER Gruß zum Meister!

FRANK Was will der Chef da vorne,

was will der „Sabomnim“, Meister, was auch immer –

was will der von mir,

weil wir machen ja eine gefährliche Sportart.

Das dürfen wir ja nicht vergessen.

Ich kann dich mit einem Handschlag töten wenn ich will.

Geräusch/Schrei

Musik und Atmo/Training (darunter liegend)

ANSAGE TAE KWON DO

ODER

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AUCH AFFEN FALLEN MAL VOM BAUM

FRANK Wir werden ja ausgerichtet zu kämpfen…

ANSAGE von Elodie Pascal

FRANK …oder Dinge umzusetzen kämpferisch.

ANSAGE Regie: Elisabeth Putz

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HELENA TAEKWONDO ist eine koreanische Kampfsportart…

MARTIN Also die einzelnen Silben TAE KWON DO bedeuten:

TAE, Springen, Stoßen, Schlagen mit den Füßen.

HELENA …besteht eigentlich aus Faust und Fußtechniken

und es gibt eben Wettkampf und Poomsaebereich.

Das ist so der Formenlauf – der Poomsaebereich.

MARTIN KWON bezeichnet eigentlich die Handtechniken.

HELENA Also ich würde sagen 70% sind Fußtechniken.

Im klassischen Bereich vielleicht eher auch eher

Faust-Techniken oder Arm-Techniken.

Aber im Wettkampf ist nahezu fast alles mit den Füßen.

MARTIN Und DO ist eben dieser

philosophisch-spirituelle Weg sozusagen,

den man beschreitet,

wenn man das TAEKWONDO praktiziert.

Also dieser Weg, den eigenen Charakter zu vervollkommnen

und durch das Training des TAEKWONDO

ein besserer Mensch zu werden, sozusagen.

Geräusch/Schrei

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Musikakzente (eingestreut darunter liegend)

YOON Auf jeden Fall ich 12 Jahre war – angefangen mit TAEKWONDO.

Geräusch/Schrei

MÄDCHEN Ich erinnere mich genau.

An meine erste Stunde.

YOON Warum angefangen? Das ist gute Idee.

MÄDCHEN Es hatte einen Streit gegeben.

Mit meinem Exfreund.

YOON Ich war einmal…

MÄDCHEN Ich war so wütend wie noch nie in meinem Leben.

YOON Ich war einmal so ungefähr 11 Jahre, war im Kino.

MÄDCHEN Wütend und traurig.

Und meldete mich an.

YOON Ich gucke …

MÄDCHEN Für eine Probestunde.

YOON … gerne Elisabeth Taylor, so amerikanische Schauspielerin.

Immer geträumt.

Kino und dann Film geguckt.

Und dann war gegen so 10 Uhr.

Und dann nach Hause.

So zwei Jungs mich angegriffen. Ja.

MÄDCHEN Ich hatte den Namen TAEKWONDO schon mal gehört.

YOON Ja, dann ich einfach so weggelaufen.

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MÄDCHEN Aber ich wusste nicht genau, was es war.

YOON Und diese Zeit ich überlegt:

„Ich muss TAEKWONDO lernen“.

MÄDCHEN Woher es kam.

YOON Da ist eigentlich angefangen TAEKWONDO.

MÄDCHEN Was es bedeutete.

Ich tat einfach.

Unüberlegt und schnell.

Um mich zu fangen.

Um mich zu beruhigen.

Und stand da in diesem Dojang,

in diesem Trainingsraum.

Ahnungslos.

Mit dunkelblauer Trainingshose.

YOON Dann so Militär auch so TAEKWONDO-Unterricht gemacht,…

MÄDCHEN Inmitten all der Menschen in Dobok –

dem TAEKWONDO-Anzug.

YOON … so amerikanisch, so Militär-Unterricht gemacht.

MÄDCHEN Ich stand da wie ein kleines Lamm.

YOON Na und dann …

MÄDCHEN Das herumirrt.

YOON … dann hier Deutschland gekommen.

Das war 1971.

Ich war 27.

MÄDCHEN Dabei war ich zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt.

YOON Wie alt ich bin? 71. Ja.

Geräusch/Schrei

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Atmo/Training (eingestreut darunter liegend)

AGNES Ja, hier wird trainiert.

Vollkontakt.

Sparring.

Gerade werden die Westen angezogen

und dann werden wir einfach gute Kämpfe sehen.

MÄDCHEN Wir machten Steps zum Aufwärmen.

Wir sollen tief stehen.

Und sachte umspringen.

MÄDCHEN Bei den anderen sieht das einfach aus.

Locker.

Ich bin verkrampft.

Springe zu hoch.

Sehe aus wie ein Hampelmann.

AGNES Ich habe 7 Jahre Vollkontakt trainiert und gekämpft.

MÄDCHEN Nach 10 Minuten rinnt mir der Schweiß von der Stirn.

Die Oberschenkel brennen.

AGNES Von 17 bis 22 Uhr Training jeden Tag

und Sonntag Bahnen schwimmen.

MÄDCHEN Nach dem Aufwärmen kommt der Meister zu mir.

Ich soll einen Dollyochaggi lernen – …

AGNES Man hat natürlich einen Druck.

MÄDCHEN … einen Halbkreistritt.

Wenn man Probleme hat

und man nimmt das mit auf die Kampffläche ,

hat man eigentlich schon verloren.

MÄDCHEN Der Meister holt einen Stab – einen Bambusstab –

und richtet mich ein.

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AGNES Also ganz spontan und sofort: Disziplin.

MÄDCHEN Mein Bein ist schwer.

Ich kann es kaum halten.

AGNES Komplett fürs Leben.

Selbstbewusstsein.

Sachen zu Ende zu führen,

obwohl man oft gar keine Lust darauf hat.

MÄDCHEN Ich soll schlagen, in die Luft.

Ich zittere. Und breche ein.

AGNES Man nimmt es vom ersten Tag an.

Weil es gibt Regeln, die musst du ja befolgen.

Und befolgen von Regeln bedeutet ja Disziplin.

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Musikakzente (eingestreut, teils darunter liegend)

Atmo/Training (eingestreut)

SPRECHER 1.) Beim Betreten und Verlassen des Dojang

verneigt sich der Schüler als Zeichen des Respekts

vor der koreanischen Fahne,

vor der Fahne des Landes, in dem trainiert wird,

Sowie vor dem Meister.

MÄDCHEN Beim zweiten Mal,

weiß ich, dass ich mich verneigen muss.

SPRECHER Sollte der Meister nicht anwesend sein,

verneigt sich der Schüler vor dem ranghöchsten Gurt.

MÄDCHEN Meine erste Verneigung vor dem Meister

zeugt nicht von Demut und Respekt,

sondern von Unsicherheit.

SPRECHER 2.) Der Schüler erscheint pünktlich

und in sauberem DOBOK sowie mit kurzen Nägeln

und gewaschenen Füßen zum Training.

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3.) Trinken im Dojang ist nicht erlaubt.

MÄDCHEN Anfangs blicke ich ihn noch an…

SPRECHER 3.) Trinken im Dojang ist nicht erlaubt.

MÄDCHEN …bis ich es kann – …

SPRECHER 4.) …

MÄDCHEN …den Blick auf den Boden richten.

SPRECHER Reden und lachen im Dojang ist nicht erlaubt.

YOON Ja, Dojang heißt …

SPRECHER 5.) …

YOON … geistliche Turnhalle.

SPRECHER Das Training beginnt, wenn der Meister zur Aufstellung ruft.

YOON Dojang kommen, …

SPRECHER Die Schüler und Schülerinnen

stellen sich in Reihen hintereinander zur Begrüßung auf.

YOON … muss ruhig sein, …

SPRECHER 6.) …

YOON … Gedanken haben.

SPRECHER Wenn der Schüler den Dojang verlassen will,

muss er den Meister

oder den ranghöchsten Gurt um Erlaubnis bitten.

YOON Immer wie in Korea – gibt Kirche Tempel.

SPRECHER 7.) Ein Freikampf darf nur

mit Erlaubnis des Meisters begonnen werden.

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YOON Wenn Kirche gehen muss beten,

genauso ungefähr DO, geistlich, so Gedanken machen.

Das ist Dojang.

SPRECHER 8.) Anfängern ist es verboten Personen

außerhalb des Dojang zu unterrichten.

Die Regeln unterscheiden sich

von Kampfkunstschule zu Kampfkunstschule -

von Meister zu Meister. Geräusch/Schrei

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Atmo/Training (darunter liegend)

ÖZER Also wir sind Wettkampfverein.

Tanzschule ist hinter unserer Schule.

Nächste Straße ist bei uns Tanzschule.

Wenn jemand tanzen wollen,

ist da wahrscheinlich richtige Adresse.

SPRECHER TAEKWONDO besteht aus fünf Dingen:

ÖZER Ich liebe TAEKWONDO.

Ich war auch selber Wettkämpfer,

aber ich war nicht einmal deutscher Meister.

SPRECHER 1.) Dem Kyrugi: …

ÖZER Ich hab’ viel gelernt.

SPRECHER Dem Wettkampf

ÖZER Aber bei mir müssen die –

das Material muss kaputt gehen.

Wie heute Pratze.

Und der Boden muss voll dreckig sein.

Klamotten müssen voll nass sein.

Ich möchte nur so sehen.

Und Kopfschutz muss immer kaputt sein

und ab und zu kann man auch mal vom Boden Blut wischen.

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SPRECHER 2.) Der Poomsae: …

ÖZER Aber es soll nicht extrem sein, es soll vorsichtig sein.

SPRECHER … dem Formenlauf.

Geräusch/Schrei

ERIKA Poomsae ist im TAEKWONDO-Bereich eine Abfolge

von vorgegebenen Angriffs- und Abwehrtechniken,

die in einer bestimmten Reihenfolge ausgeführt werden sollen–

und stellt im Prinzip einen Kampf

gegen einen imaginären Gegner dar. Musik (kurz darunter liegend)

SPRECHER Dem Hanbon Kyrugi und dem Hosinsul: Dem Einschrittkampf und der Selbstverteidigung. Dem KYOKPA – dem Bruchtest. Und dem DO!

MEISTER KIM DO hat mit Menschen zu tun, sagt Konfuzius. Atmo/Atmen (kurz darunter liegend)

FRANK Tja das DO!

Ich glaube das DO ist einfach so eine Sache,

was du über Jahre immer weiter begreifen musst.

Und umso länger du das machst, umso entspannter

oder umso unwichtiger wird DO.

MEISTER KIM Christus spricht in der Bibel davon, …

FRANK Glaube ich fast.

MEISTER KIM … dass man das was einem gut tut, weiter geben soll.

Mein DO ist: Was mir schlecht tut oder böse ist,

will ich nicht weiter geben.

MEISTER LEE (mit koreanischem O-Ton gegen geschnitten)

Wenn man ohne „Do“ nur „Taekwon“ lernt,

ist das zu gefährlich.

„Taekwon“ ist eine fürchterliche Kampfkunst,

die eine hervorragende Abwehr- und Angriffstechnik besitzt.

MÄDCHEN Fünf Wochen übe ich nur eine Technik:

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Den Dollyo Chagi.

Ich stehe an der Wand, halte mich fest,

um mein Gleichgewicht aufzubauen

und schlage in die Luft.

Und nach diesen fünf Wochen denke ich:

Er wird!

MEISTER LEE (mit koreanischem O-Ton gegen geschnitten)

Ich gebe ein Beispiel, um „Do“ leicht zu verstehen.

Man kann mit einer Pistole auf einen Stein schießen,

was eine kleine Spur hinterlässt.

Tropfendes Wasser aber macht ein Loch.

Das heißt, auch wenn jemand am Anfang schwach erscheinen

mag, kann er mit Geduld, Konzentration und kontinuierlicher

Bemühung sein Ziel erreichen.

FRANK Wenn am Anfang, wenn man ganz frisch ist in dem Sport,

man rennt da rum mit dicken T-Shirts,

macht da überall irgendwelche Bewegungen,

wo da jeder denkt, Wunder wer er ist.

MÄDCHEN Als ich das erste Mal auf einen Schlagpolster üben darf,

habe ich Gänsehaut.

FRANK Man macht und tut und umso länger du den Sport machst,

machst du gar nichts mehr.

Du bist so ganz ruhig, wie gesagt, entspannst dich komplett.

MÄDCHEN Der Schlagpolster heißt Pratze.

Und ich fühle mich stark,

als ich es treffe. Stark und wichtig.

Der Meister sagt nichts.

Ich bekomme kein Lob.

Oder wenig Lob.

Einmal zeigt er mit dem Daumen nach oben.

Und dieses eine Mal reicht mir.

Für eine lange Zeit.

Geräusch/Schrei

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Musik (darunter liegend)

HELENA Also mein Kindergartenfreund

hat das damals schon gemacht: TAEKWONDO.

Und dann war das schon während der Schulzeit.

Mit 6 Jahren habe ich dann angefangen.

Ich hatte immer verschiedene Charaktere von Trainern:

Angefangen mit einem wirklich sehr lockeren,

wo ich halt wirklich den Spaß

an dem Sport kennen gelernt habe

und nicht den Zwang und das Muss.

Und dann aber – wo es halt ein bisschen höher wurde vom

Niveau – durch den Carlos auch einen Trainer hatte,

wo ich auch wirklich musste.

Aber 2004, vor elf Jahren, da haben wir,

er hatte halt Hunde

und die hatten immer so 15-Kilo-Säcke Hundefutter.

Und dann haben wir ein bisschen Krafttraining gemacht

und dann haben wir uns halt immer

dieses Hundefutter zuwerfen müssen.

Und solche Sachen werde ich halt nicht mehr vergessen.

Oder wir hatten dann da draußen eine Regentonne

mit einem 5-Liter-Eimer Wasser –

dann mussten wir immer den 5-Liter-Eimer Wasser

aus der Tonne rausziehen

und wieder reinschütten,

so dass das quasi unser Krafttraining war.

Ich glaube solche Geschichten hat fast keiner, also,

weil keiner einen so verrückten Trainer hatte wie wir. Geräusch/Schrei

Atmo/Training

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Musiksphären (darunter liegend)

MÄDCHEN Ich kaufe mir meinen ersten Dobok.

ERIKA Also im TAEKWONDO gibt es eigentlich

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die traditionelle Trainingsbekleidung den DOBOK –

diese weißen Anzüge.

MÄDCHEN Ich empfinde ihn als schwer und einengend.

ERIKA Diese weißen Anzüge.

MÄDCHEN Später wird man mir sagen,

dass es gut sei, dass der Dobok lange Ärmel hat.

ERIKA Eine der ursprünglichen Ideen dahinter ist

ein möglichst unbeflecktes, tugendhaftes Leben zu führen.

Soviel zu der Farbe.

MÄDCHEN Weil sie den Schweiß auffangen.

Und Halt geben.

ERIKA Soviel zur Philosophie von der Farbe.

MÄDCHEN In der Umkleide versuche ich meinen weißen Gurt zu binden.

ERIKA Er wird festgehalten durch den Gürtel.

MÄDCHEN Ich schaffe es nicht.

ERIKA Dieser Gürtel wird eben auch um die Körpermitte gebunden

und zwar doppelt in zwei Runden um den Körper herum

und dann kommt der Knoten.

MÄDCHEN Ich schaffe nicht, dass der Knoten richtig sitzt.

ERIKA Die eine Schlinge steht für den Körper.

Die andere für den Geist.

Und mit diesem Knoten verbindet man beides

und hält quasi Körper und Geist zusammen in der Körpermitte.

ERIKA Er wird festgehalten durch den Gürtel.

Dieser Gürtel wird eben auch um die Körpermitte gebunden

und zwar doppelt in 2 Runden um den Körper herum

und dann kommt der Knoten.

Geräusch/Schrei

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Musik (darunter liegend)

ÖZER Kopf ist das allerwichtigste.

Wenn Auto sehen – Motor ist nicht in Ordnung ist genauso.

Bei uns TAEKWONDO ist genauso.

RABIA Also vor den Kämpen jetzt.

Also ne, ich bin gar nicht nervös.

ÖZER Wenn Körper ist voll fit, aber Kopf ist nicht in Ordnung,

ist alles umsonst.

TAHIR Also ich bin nicht so aufgeregt vor meinen Kämpfen.

Ich bin eher ganz locker, ganz cool, ganz easy.

RABIA Ich bin eher so eine Person, die ruhig reingeht,

die entspannt ist und denkt sich halt:

Man gibt sein Bestes und wenn es klappt dann klappt‘s.

Und wenn nicht, dann war es halt nicht mein Tag

oder sie war besser.

Viele Leute machen sich Druck und wollen’s, wollen’s.

Machen sich Stress, schauen sich Kämpfe davor an.

Ich denke mir einfach nur:

Vorm Kampf bete ich einfach, das ist meine Methode.

Ich bete einfach und sage:

Ich will einfach nur das Beste für mich –

egal ob es eine Niederlage ist oder ob’s die Goldmedaille ist.

ÖZER Ich habe denen immer gesagt:

Verlieren – ihr braucht keine Angst haben vor verlieren,

man verliert nur einen Kampf, sonst nichts.

TAHIR Nein, aber ich erinnere mich,

dass ich früher nicht so stark war wie jetzt heute…

ÖZER Und wenn die das merken:

Ok, ich habe das jetzt verloren

und Trainer steht trotzdem hinter mir.

Und dann nächste Turnier wird immer besser.

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TAHIR …dass die Leute nicht gedacht hätten,

dass ich soweit komme.

ÖZER Und jede Turnier was wir verlieren lernen wir was.

Und das ist Allerwichtigste.

TAHIR Deswegen: Die früher nicht hinter mir standen,

stehen jetzt heute hinter mir.

Aber ich weiß, früher haben die sich alle gedacht:

Ah so ein Pisser, so ein Kleiner,

der hat doch nichts drauf, verliert immer und so.

Und wo ich dann Weltmeister wurde,

waren alle so: „Wau der ist gut!“

Und alle sind froh, glücklich auf einmal,

dass ich den Titel geholt habe.

ÖZER Ich bin aber auch meistens so,

wenn Turnier Schüler verliert oder andere gewinnt,

ich bin immer meistens mit dem Verlierer zusammen, …

TAHIR Ja, so ist das Leben halt.

ÖZER … dass die immer mich fühlen.

Meinen Geruch.

So meinen Mundgeruch immer oft.

Geräusch/Schrei

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Atmo/Training (darunter liegend)

MÄDCHEN Nach fünf Wochen zeigt mit der Meister die zweite Technik.

YOON Ja, musst Du üben!

MÄDCHEN Den Yoptschagi.

YOON Ja da ist, guck mal: Jeder Mensch hat andere Charakter.

MÄDCHEN Ich bin aufgeregt.

Stelle mich an die Wand.

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Halte mich an ihr fest.

Weil ich die Technik noch nicht frei machen kann.

Ohne Halt.

YOON Eine kann schneller, eine kann langsam:

Üben, üben, üben – geht nicht.

Schule auch, Mathe: üben, üben, üben –

eine gut, eine nix.

MÄDCHEN Ich übe und übe.

YOON Jeder Mensch ist anders.

Eine macht gut, eine macht nicht so schnell.

MÄDCHEN Ich sehe nur die Schwarzgurte.

Und denke: Ich will so werden wie sie. Musik (darunter liegend)

Schnell und stark. Und flink.

Der Meister sagte zu mir: Sie sind verbissen und ungeduldig.

Er hat Recht. Natürlich hat er Recht.

Er sagt mir, dass ich im TAEKWONDO in die erste

Volksschulklasse gehe.

Dass es noch viele Klassen sind.

Bis ich einmal das Abitur machen könne.

Bis ich meinen ersten DAN,

meinen schwarzen Gurt machen könne.

Es sei noch ein weiter Weg.

Vorher müsse ich alle Farben durchlaufen.

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SPRECHER Es gibt 10 Schülergrade.

Und 9 Meistergrade. Geräusch/Schrei

Atmo/Training (darunter liegend)

Musikakzente (eingestreut)

Wenn man die erste Prüfung schafft,

erhält man den 10. Kup und trägt als Gurtfarbe GELB.

ERIKA In einer der Versionen – es gibt da mehrere Ideen –

da steht Gelb für den Keim, da sprießt etwas aus der Erde.

Grün ist dann das erste Blatt, die grünen Blätter, die kommen.

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SPRECHER Wenn man den 8. Kup hat

wechselt die Gurtfarbe von Gelb auf Grün.

Beim 6. Kup von Grün auf Blau.

ERIKA Blau wäre dann der Himmel –

jemand mit blauem Gürtel fühlt sich schon im Himmel

und denkt vielleicht, er wäre schon so super.

SPRECHER Ab dem 4. Kup trägt man Braun.

ERIKA Braun wäre dann für die Erde.

Da kommt er auf den Boden der Realität zurück und merkt:

Oha, so besonders bin ich doch noch nicht,

ich muss doch noch viel üben.

SPRECHER Mit dem 2. Kup wechselt die Farbe des Gurtes

von Braun auf Rot.

ERIKA Rot ist dann ein bisschen so eine Signalfarbe.

Einerseits: Achtung hier entsteht etwas Wichtiges,

hier ist schon jemand, der hat schon gewisse Kenntnis –

kann man auch so interpretieren,

dass man sagt:

Achtung der kann schon sehr viel,

aber halt kann‘s noch nicht ganz kontrollieren,

passt ein bisschen auf,

er ist schon kräftig und kann aber noch viel Schaden anrichten,

weil er es noch nicht kontrollieren kann.

SPRECHER Mit dem schwarzen Gurt hat man den ersten DAN-Grad,

den ersten Meistergrad, erreicht.

ERIKA Und schwarz vereint dann alle Farben in sich und

das sind dann die Meistergrade.

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Musiksphäre (darunter liegend)

MARTIN Diese Geschichte mit den DANS

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und so – das ist sehr ambivalent zu sehen.

Wenn man zum Beispiel nach Korea schaut,

da hat jeder den ersten DAN –

da ist das absolut nichts Besonderes.

Und nichts Besonderes, den ersten DAN

nach eineinhalb Jahren Training zu haben.

Die rauchen da einfach durch

bis sie eben den ersten DAN haben

Also dieser ideelle Wert des DANs

so wie wir das hier sehen, so dass der DAN der Meistergrad ist,

also das ist in Korea gerade ganz anders zu sehen.

FILMTRAILER Here comes a unique and devastating force: TAEKWONDO!

MÄDCHEN Jeder Freund dem ich sage,

dass ich jetzt TAEKWONDO mache, stellt dieselbe Frage:

Würdest du dich verteidigen können,

wenn ein 2 Meter großer Mann mit 100 Kilo

vor dir steht und dich attackiert?

Ich gebe immer dieselbe Antwort.

Ich würde mich umdrehen.

Und so schnell weglaufen, wie ich nur kann.

Aber dass ich eine Kampfkunst erlerne,

gibt mir mehr Sicherheit.

Gibt mir ein besseres Gefühl. Auf der Straße. Und auch sonst.

FILMTRAILER When Taekwondo strikes. See this shocking movie

of rebellion and revenge!

MÄDCHEN Und ich denke immer wieder an meine Mutter, …

MARTIN Es ist ja ganz interessant, …

MÄDCHEN … die als ich klein war einen Kampffilm

nach dem anderen schaute.

MARTIN … dass das eigentlich mit dem Aufkommen

des martial arts Films im Westen

in eine sehr ähnliche Zeit fällt –

die Verbreitung des TAEKWONDO vor allem im Westen auch!

MÄDCHEN Sie vergötterte Bruce Lee, Jean Claude van Damme,Cuck Norris.

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Aber sie schickte mich nicht in eine Kampfkunstschule.

Sie schickte mich ins Ballett.

MARTIN Ja genau, es ist halt ein großes Politikum eigentlich.

Ich finde das immer witzig, wenn Leute sagen,

dass Sport und Politik irgendwie nicht zusammen gehören,

weil die Geschichte belehrt uns immer eines Besseren.

Und im TAEKWONDO war‘s auch nicht anders.

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Musiksphäre (kurz darunter liegend)

FRANK Also ich kann nicht sagen, was es jetzt wirklich war.

Weil wie gesagt, es ist ja ähnlich fast wie bei der Bibel:

Es gibt so viele Leute, die wissen angeblich

wer sie geschrieben hat oder was passiert ist

oder warum sie geschrieben wurde.

Aber eigentlich weiß es keiner.

Und so es ist auch bei dieser Sportart. Atmo/Training (kurz darunter liegend)

Es ist immer so ein bisschen eine cloud

um die ganze Nummer rum.

Keiner weiß so richtig:

Wo ist denn eigentlich

Was, wie, warum passiert.

MARTIN Ich werde mal versuchen, es kurz zu beschreiben.

Also das historische Umfeld, das soziale Umfeld war ja eben,

dass Korea besetzt war durch Japan.

SPRECHER Die Geschichte des TAEKWONDO ist rätselhaft.

MEISTER KIM Über die Geschichte des TAEKWONDO gibt es

verschiedene Meinungen.

MARTIN Speziell die Begründer des TAEKWONDO

haben eigentlich die meisten Karate gelernt in Japan

an der Universität.

Musikakzent (kurz darunter liegend)

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MEISTER KIM Ich persönlich finde aber, dass der behauptete

Einfluss des Karate auf das TAEKWONDO absurd ist.

SPRECHER Die meisten Kampfkunstschulen behaupten,

der Ursprung des TAEKWONDO

liege ungefähr 2500 Jahre zurück.

In dieser Zeit sei Taekyon entstanden,

YOON Taekyon heißt ja ur-, uralt ‚Kampfsport‘, TAEKWONDO.

SPRECHER Taekyon war sowohl Kampfkunst als auch Kampfspiel.

YOON Taekyon ist…

SPRECHER Ob Taekyon der Vorläufer des modernen TAEKWONDO ist?!

YOON …ursprünglich TAEKWONDO.

SPRECHER Daran scheiden sich die Geister.

YOON Taekyon diese Name hat geändert, mehr nicht.

MARTIN Natürlich kann man sagen TAEKWONDO ist jahrtausendealt,

aber es ist es über zehn Ecken halt sozusagen.

Die nachvollziehbare Geschichte

oder die an Fakten argumentierbare Geschichte des

TAEKWONDO beginnt im Prinzip in den 50er Jahren. Musik (darunter liegend)

SPRECHER 1966 gründete General Choi Hong Hi,

den ersten Weltverband.

Die ITF-die International Taekwondo Federation.

MARTIN Der Choi Hong Hi – der wird von vielen

als der Vater des TAEKWONDO bezeichnet.

Aber ich finde, seine Rolle wird generell überbewertet.

SPRECHER General Choi Hong Hi zerstritt sich mit der so genannten KTA,

der Korean Taekwondo Association,

die 7 Jahre zuvor gegründet worden war.

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YOON Choi Hong Hi heißt das.

SPRECHER 1971 wurde Kim Un Yong – …

YOON Der hat auch viel getan.

SPRECHER …bis zu diesem Zeitpunkt

Agent des koreanischen Geheimdiensts –…

YOON Aber leider…

SPRECHER Präsident der KTA.

YOON ITF, WTF…

SPRECHER Er gab den Bau eines Taekwondo Hauptzentrums in Auftrag.

YOON …bisschen Krach gehabt.

SPRECHER Dem so genannten Kukkiwon.

YOON Kukkiwon heißt…

SPRECHER 1973 schließlich wurde die WTF,…

YOON Welt-TAEKWONDO-Verband.

SPRECHER …die World Taekwondo Federation gegründet –…

YOON Die Zentrum. Da ist ja die Prüfung.

SPRECHER …ein vom Kukkiwon und der KTA anerkannter Weltverband.

Seither gibt es zwei Weltverbände,

die jeweils ihre Version des TAEKWONDO propagieren.

YOON Der Welt-TAEKWONDO-Verband und

der koreanische TAEKWONDO-Verband muss uns bedanken.

Wir haben hier außer Lande gekommen durch Schwierigkeit,

aber trotzdem hier TAEKWONDO gebracht haben.

Aber die bekloppte Verband interessiert nicht. Geräusch/Schrei

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MÄDCHEN Am Ende der Stunde sagt der Meister:

Alle sollen sich setzen.

Er geht und kommt wieder.

Mit einem Brett. Musik (kurz darunter liegend)

Und jetzt kommt die Elisabeth, sagt er.

Mein Puls rast.

Die Stimmen der anderen verschwinden.

Ich höre die Worte des Meisters

wie durch eine meterdicke Wand aus Glas.

Ich spüre nur meinen Atem,

sehr nur dieses Brett.

Ich weiß, dass nun eine Entscheidung zu treffen ist.

Werde ich dieses Brett durchschlagen oder nicht?

Fragt der Meister.

Ich antworte mit ‚Ja‘. Nicht laut.

Nur zu mir selbst.

Ich zerschlage das Brett.

Und höre Applaus aus weiter Ferne.

Ich verneige mich vor dem Meister und tue so,

als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt –

ein Brett zu durchschlagen.

Mit meinem rechten Fuß. Musik (darunter liegend)

Nach einem Jahr Training.

Innen drinnen drohe ich zu zerspringen.

Vor Freude, vor Stolz, vor Erleichterung.

Der Meister hebt die beiden Teile auf und trägt sie weg.

Als wären sie nur zwei Teile eines belanglosen Brettes.

Ich werde sie mir holen.

Am Ende der Stunde.

Denn sie stehen für mich dafür,

dass ich mich selbst bezwungen habe – ein wenig.

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Atmo/Training (eingestreut)

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TIMON Tscharyod Tschunbi

FRANK Diese Abläufe, die du gerade beschreibst

das ist ja so ein klassisches Bild,

was ja überall in der TAEKWONDO-Schule gemacht wird

eigentlich, wenn man diese traditionelle Version nimmt.

MARTIN Also zum Beispiel dieses in der Reihe aufstellen,

das ist ganz klar aus dem militärischen Kontext entlehnt.

TIMON Kyroguitschunbi. Schisak. (darunter liegend)

Das hat nichts mit koreanischer Tradition zu tun.

Das hat damit zu tun, dass TAEKWONDO einfach im

militärischen Kontext gewachsen ist –

und im Kontext von Militarisierung und Nationalismus.

Und da wird einfach deutlich,

wie schwierig auch dieser Begriff der Tradition ist.

MEISTER KIM TAEKWONDO ist eine Kampfkunst

Und es kann gefährlich werden,

wenn die Anweisung während des Trainings nicht

sofort und genau befolgt werden.

FRANK Und diese ganzen Ansagen,

dieses ganze mit Tscharyod, mit Aufstellen

und machen und tun das hat einen Respekt, der nötig ist,

weil du darfst nie vergessen, wir machen

nach wie vor eine gefährliche Sportart.

MEISTER KIM Und dass wir die Fahne begrüßen

und dass wir einander begrüßen,

indem wir uns verneigen,

hat weniger mit einem Militarismus zu tun, als damit,

dass Ritual Inhalt erzeugt.

MÄDCHEN Was ich am Taekwondo so liebe ist,

dass ich nicht denken darf. Musik (darunter liegend)

Ich konzentriere mich nur auf meine Bewegungen.

Alles andere,

alle Gedanken an den Alltag bleiben außerhalb des Dojang.

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Geräusch/Schrei

YOON Bei mir – unsere Zeit war knallhart TAEKWONDO.

MÄDCHEN Ich mag es, dass mir gesagt wird, was zu tun ist.

YOON Montag bis Sonntag – jeden Tag Training gemacht.

MÄDCHEN Vielleicht hängt das damit zusammen,

dass ich endlich einmal nicht die Qual der Wahl habe –…

YOON Nur Training. Training. Training.

MÄDCHEN …wie in so vielen andern Bereichen meines Lebens.

YOON Wir haben damals Turnier bis Ende,

bis einer kein Bock oder kaputt – dann gewinnen.

Und wenn irgendwas hat falsch gemacht:

sofort auf Hintern mit Stock: Pah!

Ja, so hart gewesen.

Hier in Deutschland, ich angefangen,

ich auch so gemacht. Ich so hart gemacht.

Bisschen Hintern geschlagen.

MÄDCHEN Nach 18 Monaten Training kaufe ich mir meinen ersten

Schutzanzug.

YOON Nun: weg, weg, weg!

Ja, dann ich überlegt: Aha.

MÄDCHEN Kopfschutz.

YOON Muss bisschen lieb sein.

MÄDCHEN Unterarmschützer.

YOON Bisschen so höflich.

MÄDCHEN Ristschutz.

YOON Ja, dann wieder neu angefangen.

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MÄDCHEN Schienbeinschutz.

YOON So militärisch ist zu hart…

MÄDCHEN Zahnschutz.

YOON …für Kinder. Dann Kinder…

MÄDCHEN Und eine Weste.

YOON …kein Spaß mehr. Oder nicht?

MÄDCHEN Mein erstes Sparring.

Geräusch/Schrei

16

Musik (darunter liegend)

ÖZER Man muss erst mal: Kontrolle nie verlieren Kampffläche.

Wenn Sie Kontrolle verlieren,

das ist so wie schwimmen gegen Fluss.

Oder wie spucken gegen Wind.

Dann ist alles aus.

SPRECHER Bruce Lee sagte einmal:

„Ein guter Kämpfer ist nie angespannt.

Nur bereit dazu.“ Geräusch/Schrei

RABIA Ich kenne sehr viele Leute,

die das nicht haben können,

wenn die einen Kopftreffer kassieren von einer Person,

die für die nicht gut ist.

SPRECHER „Nicht denkend, dennoch nicht träumend.

Bereit für alles was seinen Weg kommt.“

RABIA Dann drehen die am Rad durch und kassieren mehr.

SPRECHER „Wenn der Gegner sich ausweitet, ziehe ich mich zusammen.“

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RABIA Und zum Beispiel wie mein Bruder schon gesagt hat:

Wir sind eher so entspannt

und ich denke in der Ruhe liegt die Kraft.

MÄDCHEN Ich bin aufgeregt.

Geräusch/Schrei

SPRECHER „Wenn er sich zusammenzieht, weite ich mich aus.“

MÄDCHEN Denke daran, was uns der Meister immer sagte:…

SPRECHER „Und wenn sich eine Möglichkeit auftut,…

MÄDCHEN Zeigen was man kann.

SPRECHER …schlage nicht ‚Ich’,

der Schlag kommt von ganz von selbst.”

Geräusch/Schrei

Atmo/Training (darunter liegend)

MÄDCHEN Mein Gesicht wird der Versuch eines Pokerface.

MICHAEL Dann noch kurz zum Wettkampf.

MÄDCHEN Komme schnell in eine Trance.

MICHAEL Die Grundregeln für den Wettkampf sind drei Sachen.

MÄDCHEN Ich höre nicht, was der Meister sagt.

MICHAEL Zwei Grundregeln, wann wir schlagen.

MÄDCHEN Meine Sparringpartnerin schlägt mir auf den Kopf.

MICHAEL Erstens wenn der Gegner von vorn kommt:

MÄDCHEN Und lächelt dabei.

MICHAEL Schlagen.

MÄDCHEN Mein Puls rast.

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MICHAEL Zweitens: Wenn man selber vornweg kommt.

MÄDCHEN In meinen Ohren rauscht es.

Ich gehe auch zum Kopf.

Ich ziehe hoch.

Ich fühle mich aufgestachelt.

Getrieben.

Sie dreht sich um.

Läuft weg. Auf die Toilette. Musik (darunter liegend)

Ich laufe ihr nach.

Sehe Blutstropfen am Boden.

Der Meister kommt. Fragt was passiert ist.

Die Sparringpartnerin weint.

Der Meister versucht ihre Nase einzurichten.

Sie ist gebrochen.

Ich entschuldige mich.

Mit dünner und verwirrter Stimme.

Immer und immer wieder.

Später würde der Meister sagen:

Heute haben wir Aggression erlebt.

Ich hatte mich nicht einschätzen können.

17 Atmo/Training (kurz darunter liegend)

TAHIR Also meine größte Verletzung war bis jetzt,

dass ich mir meinen Finger gebrochen habe.

Da sind auch fünf Schrauben, meinen kleinen Finger.

HELENA Bei mir war immer der Schwachpunkt die Knie.

TAHIR Ich hab’ halt oft Anspann-Probleme,

weil wir sehr viel kicken.

HELENA Ich hab eben zwei Mal mein Kreuzband im Wettkampf gerissen

und…

TAHIR Physiotherapie, Training, Physiotherapie.

Wir haben keine Zeit, um uns zu erholen. Geräusch/Schrei

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HELENA Also beim ersten Mal ist es mir gerissen

und ich habe gedacht: Mhm, was ist denn hier passiert? Musik (kurz darunter liegend)

Der Kampf war aber relativ schnell vorbei dann noch,

also die Zeit war fast abgelaufen, da dachte ich:

Hm, ok, das hältst du jetzt noch durch.

Dann hatte ich halt gewonnen

und dann hat der Physio mich behandelt

und ich hab’ gedacht: Irgendwie ist mein Knie komisch.

MÄDCHEN Ich weiß nicht, was der Meister will.

HELENA Also die Schmerzen kamen dann erst,

als der Arzt mir gesagt hat,

das Kreuzband ist gerissen

und die Europameisterschaft fällt für dich auf jeden Fall aus.

MÄDCHEN Fühle mich wie eine Volksschülerin,

die keine drei Buchstaben schreiben kann.

HELENA Aber…

MÄDCHEN Wir üben ausweichen.

HELENA Nach dem ersten Kreuzbandriss habe ich…

MÄDCHEN Wie immer.

Musiksphäre (darunter liegend)

HELENA …EM Silber geholt und nach dem zweiten

– das war 2007 – habe ich dann EM Gold geholt.

MÄDCHEN Und wie immer werde ich aggressiv.

Weil ich ausweichen muss, blocken muss, verkürzen muss,

und nicht schlagen darf.

Mich nicht wehren darf.

HELENA Also nach so einer Verletzung bin ich immer irgendwie

relativ stark da wieder raus gekommen.

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MÄDCHEN Der Meister sagt, man müsse heilen lernen,

bevor man jemanden verletzt. Atmo/Atmen (darunter liegend)

Und man müsse ausweichen lernen, bevor man schlägt.

Fühle mich wie in einem Flugzeug, das abstürzt.

Und ich weiß, ich kann nicht eingreifen.

YOON Ja, Meister ist Meister.

Geräusch/Schrei

18

Atmo/Training (darunter liegend)

FRANK Der Großmeister besteht ja nicht darin,

sich hinzustellen und den großen Macker zu machen -

mit einem dicken Gürtel und dicker Bezeichnung an der Jacke,

sondern auch selbst immer weiter zu lernen.

YOON Muss Schüler zu Meister Hochachtung haben.

FRANK Und selbst von dem letzten Weißgurt kann ich was lernen,

ich selber, wenn ich es zulasse.

SPRECHER Die Träger des 1. bis 4. DAN werden Meister genannt.

YOON Immer grüßen, so verbeugen.

Musikakzente (eingestreut, teils darunter liegend)

SPRECHER Die Träger des 5. bis 9. Dan werden Großmeister genannt.

YOON Meister ist Meister.

Geräusch/Schrei

ÖZER Ja das ist echte eine Liebe. Das ist wirklich eine Liebe.

YOON Ja, ist schön. Ich bin stolz, ich TAEKWONDO-Meister bin.

ÖZER Und es war mein Traum, wo ich mal Schüler war,

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ich habe eine schlechte Trainer gehabt,

aber ich danke nochmals diese Trainer.

Aber ich habe immer gelernt:

Wenn ich irgendwann Schule habe,

wenn ich irgendwann Trainer werde,

ich werde nicht so machen.

Ich werde so machen, so machen, so machen.

YOON Ja, ich bin 9. Dan.

ÖZER Meister war nicht in Ordnung –

der ist zum Beispiel voll mit dem Alkohol

in Training gekommen.

Ich habe gesagt, das darf doch nicht sein.

Und ich trinke nicht Alkohol.

Ich rauche nicht.

Wenn ich auf der Straße irgendwie laufe,

ich möchte Vorbild sein für meine Schüler, Vorbild sein.

Die Schüler müssen auch denken:

Ah, das ist mein Meister.

MÄDCHEN Es ist kurz vor Weihnachten.

Nach dem Training sagt der Meister,

dass wir uns alle setzen sollen.

SPRECHER Ein koreanisches Sprichwort besagt:…

MÄDCHEN Sille

SPRECHER Auch Affen fallen mal vom Baum.

YOON Mein Gott, ich bin auch ein Mensch, nicht Elefant.

MÄDCHEN Er sagt, dass er das TAEKWONDO-Training aufgeben werde.

YOON Mein Gott, ich bin auch ein Mensch.

SPRECHER Es bedeutet: Jeder macht Fehler.

Selbst der größte Meiser.

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MÄDCHEN Er sagt, dass er sich das sehr lange und gut überlegt habe.

Und er uns vermissen werde.

Und wir immer vorbei kommen können.

In diesem Dojang.

Er sagt, dass er uns zu seinem Meister schicken werde –

einem koreanischen Großmeister.

19

Atmo/Kinder-Training

SOHN VON YOON Und das? Wie nennen wir hier unsere Turnhalle?

Unseren Übungsraum?

KIND TAEKWONDO!

SOHN VON YOON Ja, das machen wir hier, TAEKWONDO. Wer weiß denn –?

KIND Dojang.

SOHN VON YOON Dojang, genau.

Wer weiß denn, was ‚ TAEKWONDO‘ bedeutet?

TAHIR Gar keinen Spaß.

Aber das gehört halt auch zu TAEKWONDO.

KIND Der Weg des Fuß- und Faustkampfes!

TAEKWONDO Richtig! Das war superlaut.

So, jetzt machen wir die erste Form.

Wie heißt nochmal die 1.Form?

KIND Taekuk IL JANG.

SOHN VON YOON Und bedeutet?

KIND Der Himmel.

SOHN VON YOON Super. Alle mit Kommando!

TAHIR Aber jeder entscheide sich.

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Entweder macht man Vollkontakt oder Formenlauf.

SOHN VON YOON Taekuk IL JANG, die erste Form, der Himmel: Kommando!

TAHIR Manchen macht das Spaß, manche haben daran Spaß, also.

MÄDCHEN Ich bin traurig.

TAHIR Ich habe Spaß am kämpfen. Wenn ich kämpfe habe ich Spaß daran.

MÄDCHEN Darüber, dass es vorbei ist.

Dieser Dojang war wie ein zweites Zuhause.

Aus und vorbei.

Nicht mehr in dieser Halle.

Mit den dick-gelben Wänden.

Dem tollen Boden.

Dem Meister, den wir alle lieb gewonnen haben.

Auch wenn immer ein natürliches Distanzgefühl da war. Geräusch/Schrei

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ÖZER Mich hat TAEKWONDO wirklich interessiert.

Deswegen ich habe gesagt: Ich gehe Wurzeln.

Wo ist Wurzel? Korea!

Wo ist Wurzel? Kukkiwon! Geräusch/Flugzeug

SPRECHER Das Kukkiwon ist das Welt-Taekwondo-Hauptquartier

Er wurde 1971 erbaut und befindet

sich im Süden von Seoul.

FRANK Mein Besuch beim Kukkiwon war sehr witzig.

Bei meinem allerersten Besuch in Korea

musste ich ‘ne Menge Sachen abhaken.

Wo ich dann so dachte: Ok, so läuft das hier.

Das ist ein Geschäft. Nichts anderes.

MÄDCHEN Der koreanische Großmeister will,

dass wir ihn SABOMNIM nennen,

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die koreanische Bezeichnung für Meister. Musiksphäre (darunter liegend)

FRANK Beim Kukkiwon – wenn du Prüfungen beobachtest,

da sind dann tausende von Leuten, die geprüft werden.

Da liegen die DAN-Prüfungs-Urkunden auf so einem Berg,

die dann nur noch runter genommen werden

und abgezeichnet werden,

Hauptsache, du bezahlst deine 150 Dollar.

ÖZER Die denken nur um Geld, die denken.

Weil dann können sie immer kaufen jetzt.

MÄDCHEN Der Sabonim sagt, dass wir seine Enkelkinder sind.

ÖZER Das finde ich nicht ok, zum Beispiel.

MÄDCHEN Wie sind die Schüler seines Meisterschülers.

ÖZER Den DAN muss man verdienen.

MÄDCHEN Und er sagt, dass es sicher nicht leicht ist,

wenn man von einem Haus, in dem lange gelebt hat,

in ein Neues ziehen muss.

ALFRED Wo Geld im Spiel ist, bleibt die Moral auf der Strecke.

MÄDCHEN Der Sabomnim hat Recht.

Bei mir wird es ein halbes Jahr dauern.

Bis ich mich in diesem neuen Dojang zu Hause fühle.

ALFRED Ich denke, da kann man nicht viel tun, um das aufzuhalten. Es ist halt so ein globaler Trend Immer alles mehr zu kommerzialisieren. Geld bestimmt immer mehr. MÄDCHEN Bei mir wird es ein halbes Jahr dauern.

Bis ich mich in diesem neuen Dojang zu Hause fühle. Geräusch/Schrei

Atmo/Training (darunter liegend)

MÄDCHEN Das Vertrauen kommt in einem bestimmten Moment.

In einem anstrengenden Training.

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MÄDCHEN Ich bin müde.

Und geistig fragil in diesem Training.

Ich ärgere mich.

Ich ärgere mich darüber,

dass mir eine Trainingskollegin die Pratze nicht gut hält.

Darüber, dass ich dafür gerügt werde

die Pratze nicht zu treffen.

Darüber dass ich keine Pause habe um mich zu erholen.

Dass es weitergeht.

Eine Technik nach der anderen.

Schneller, schneller Elisabeth, ruft der Sabomnim

Und irgendwann gibt es kein schneller mehr. Musikschläge (darunter liegend)

Ich hyperventiliere.

Alle starren mich an.

Der Sabomnim reagiert schnell.

Und ganz ruhig.

Er nimmt meine Arme und streckt sie nach hinten.

Öffnet meine Lunge.

Und hilft mir beim Atmen.

Einatmen. Ausatmen.

Einatmen. Ausatmen.

Einatmen. Ausatmen.

Ich beruhige mich. Und trainiere weiter.

Von diesem Moment an ist

dieser Dojang mein Zuhause.

Ich weiß, ich kann dem Sabomnim vertrauen.

Und meinen Trainingspartnern. Geräusch/Schreie

Atmo/Training

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Musikakzente (eingestreut)

HELENA Warte mal, wie war das denn?

Ich hatte wieder einmal meinen Meniskus kaputt.

Ich musste wieder operiert werden

und die Qualifikation war schon Ende Januar

in Kasan in Russland damals, 2012 war das.

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Und vier, fünf Monate vorher kam dieses Lied

„Somebody that I used to know” von Goyte raus.

Und irgendwie war das so im Krankenhaus

und meine Stimmung –

ich hab’ das Lied halt immer wieder gehört,

weil’s halt überall auch einfach lief.

Ja, und dann hab’ ich irgendwie gesagt:

„Irgendwie gefällt mir das Lied

und ich nehme das einfach so jetzt als mein Lied.

Für die Vorbereitung. Für die Qualifikation.

Und dann war ich auch vor meinem Kampf,

vor meinem ersten Kampf in Russland.

Ich hatte Holland als Gegnerin

und es war eigentlich wirklich auch eine der Stärksten.

Und ich war schon wirklich sehr, sehr nervös,

weil es hing alles an diesem Tag.

Ich musste jetzt einfach diese Platzierung erreichen,

damit wir das Ticket für London holen.

Und dann war ich so nervös

und hab mir dann einfach dieses Lied nochmal angehört,

hab’ gedacht:

Ok, das und das war in den letzten Monaten passiert,

da tat‘s dir weh,

da wolltest du nicht mehr weiter,

da hast du die Vorbereitung vielleicht verflucht

und wolltest einfach nicht mehr.

Also ich habe mich nochmals zurückerinnert,

was ich alles für diesen Tag getan hab.

Und dann bin ich einfach auf die Fläche gegangen

und es hat mir einfach so eine Selbstsicherheit gegeben.

Ich wusste, ich habe in meinen Möglichkeiten

jetzt alles für diesen Tag getan.

Du musst jetzt einfach die Leistung abrufen

Und schauen, was dabei rum kommt. Geräusch/Schrei

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Atmo/Turnier

REGINA Ja, wir sind jetzt heute da am ersten Wettkampftag

der heurigen Austrian Open, Taekwondo-CHI-WON-Welt-Turnier.

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Du musst den Kampf einfach geniessen.

Jetzt zeig’ mal: Wie weit sind wir, was wir gemacht haben.

Einfach geniessen, ok?

Schön Kontrolle, ruhig – ja, ok?

Mach’ einfach Deinen Kampf, Du brauchst keine Taktik.

Komm Baby, auf geht’s: Komm!

MARTIN War ganz schlimm.

ÖZER Ok. Jetzt begrüßen wir Gegner

und dann fangen wir an.

MARTIN Ich habe immer – mein Mund war ganz trocken

und ich konnte schlecht atmen.

ÖZER Du musst stören, Du musst stören!

Weiter! Und jetzt: stören!

Nein, nicht da schauen!

FRANK Ich muss sagen, ich habe das eher andersrum-

ich habe immer Freude dabei gehabt mich auszuprobieren.

Natürlich habe ich auch Schiss gehabt,

weil wenn große Namen –

wenn ich dann gegen die kämpfen musste

oder wo’s um was ging.

ÖZER Du sollst nicht defensiv kämpfen!

Du musst offensiv kämpfen!

FRANK Und in meiner 10 Jahre Wettkampflaufbahn habe ich

auch echt harte Schlachten geschlagen,

unfassbare Schlachten.

Aber sobald ich da stand – das war meine Nummer –

sobald ich da stand, war für mich klar:

Jetzt sind wir alleine.

Und jetzt gucken wir mal wo es hingeht.

Du bist bestimmt gut, ich bin auch nicht schlecht.

Und wir werden sehen:

Ich werde auf jeden Fall guter Zweiter.

ÖZER Offensiv!

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HELENA Also für London, für die olympischen Spiele

hatte ich dann wieder ein anderes Lied.

Das war von Awolnation und das hieß „Sail“.

MÄDCHEN Nach drei Monaten Training fragt der Sabomnim in die Runde

wer gerne kämpfen will.

Ich melde mich nicht.

Nicht freiwillig.

ÖZER Jetzt links rein! Jetzt links!!!

HELENA Und so im olympischen Dorf –…

MÄDCHEN Ich habe Angst davor.

HELENA …es war irgendwie so eine positive Nervosität,

wo ich gesagt habe:

Ok, jetzt geht es bald endlich los.

Jetzt kannst du endlich bald zeigen,

wofür du jetzt das letzte halbe Jahr trainiert hast.

MÄDCHEN Der Sabomnim sieht mich an und sagt:

Elisabeth?

Ich sage: Wenn Sie das wollen.

Und denke: Bring‘ es hinter dich.

HELENA Und als ich dann mit 4:1 in Führung gegangen bin,

da wusste ich:

Ok, jetzt lasse ich mir das nicht mehr nehmen.

Weil das waren dann noch glaube ich 30, 40 Sekunden

bis Ende und da wusste ich:

Irgendwie kriege ich diese Zeit rum.

Und da wusste ich:

Ok, das wird jetzt heute meine Medaille. Musik (darunter liegend)

ÖZER Jetzt Kick, jetzt! Und dreh’!

10 Sekunden noch!

7 Sekunden noch!

Geräusch/Schrei

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MÄDCHEN Ich weiß, dass meine Gegnerin einen roten Gurt trägt.

Ich trage gelb.

Ich trage den Anfang, den Keim an mir.

Der Kampfrichten ruft uns auf die Fläche.

Tschong für meine Gegnerin,

die eine blaue Weste trägt.

Hong für mich und meine rot Weste.

Wir verneigen uns.

Vor dem gegnerischen Meister.

Vor unserem Meister.

Der Kampfrichter schreit.

Kurogi tschunbi. Schisak. Los! Geräusch/Schrei

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Geräusch/Uhrticken (eingestreut darunter liegend)

FRANK TAEKWONDO für mich besteht aus einer vollendeten

Körperlichkeit, die natürlich erlernt werden muss, klar.

MÄDCHEN Die Zeit steht still.

Alles verlangsamt sich.

Nur mein Puls rast. Musikakzent

YOON Wir sind Menschen.

Jeder hat eigenen Charakter.

Und so eigene Gedanken. Auch eine Schicksal.

Musiksphäre (darunter liegend)

MÄDCHEN Ich kämpfe auf Konter.

Sie kommt und ich treffe sie am Kopf.

Nach der ersten Runde habe ich keine Luft mehr.

Die Nervosität nimmt mir den Atem.

FRANK Es besteht aus einer gewissen Gewalttätigkeit

die du brauchst, die du aber für dich finden musst,

dass die anstellbar und abstellbar ist.

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Aber die kannst du mitbringen –

wie gesagt für dich kannst du die unterschwellig beibehalten,

weil wie gesagt, Gesellschaft besteht aus Gewalt,

aber das damit umgehen, das korrekte,

das ist immer entscheidend.

MÄDCHEN Zwei Minuten sind eine Ewigkeit.

Wenn man kämpft.

Vor allem, wenn man zum ersten Mal kämpft.

Nachfolgend darunter liegend: Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack.

FRANK Das heißt ja auch, dass wenn ich verliere

Ich auch eine Niederlage akzeptiere.

Oder wenn ich einmal getroffen werde,

dass ich das akzeptiere und nicht durchdrehe.

MÄDCHEN Ich habe keine Kraft.

Weiß nicht was ich tue.

Ich denke nur: Ich will den Kampf überstehen.

Ich hatte nicht geschlafen.

Die Nacht davor.

Keine einzige Sekunde.

Ich hatte wach in meinem Bett gelegen

Und hatte mich gefragt, warum ich mir das antue.

YOON Manchmal Jungs oder Mädchen cool, hart,

gute Kämpferin – aber ist egal.

Und dann erste Mal Turnier mitgehen

und dann sie sind nervös!

Das ist normal.

MÄDCHEN Der Gong zur zweiten Pause.

Meine Beine wiegen Tonnen.

YOON Das Erfahrung sein.

Solche Sachen gehen weg, ne.

Das ist normal.

MÄDCHEN Ich denke an die Geschichte die uns Sabomnim erzählte:

Dass die Früchte die ganz oben hängen am Baum –

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dass die die Besten sind.

Man muss hinaufklettern, hatte er gesagt.

Das ist mühsam, aber es lohnt sich.

Ich freue mich auf das Danach. Musikakzent

FRANK Ja, und wirklich eine Aufmerksamkeit,

eine Übersicht zu haben –

für die Dinge des Lebens, des Tages.

Also des Moments. Der Situation.

MÄDCHEN 3. Runde:

Ich weiß nicht, was ich mache.

Blocken. Reingehen. Versuchen, nicht getroffen zu werden.

FRANK Und das auch gepaart mit einer Menge Gefühl.

MÄDCHEN Die Punkterichter schreiben mit.

Wir kämpfen ohne elektronischen Westen.

Die Zeit vergeht noch langsamer.

Dann der Gong.

Endlich.

Dann werden die Punkte zusammen gezählt.

Es ist mir egal, ob der Kampfrichter meine Hand hebt.

Ich habe mich gestellt.

Mir selbst.

Mir und meinen Ängsten. Musik (darunter liegend)

Was für ein Tag!

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ABSAGE: TAEKWONDO

oder

Auch Affen fallen mal vom Baum

Von Elodie Pascal

Geräusch/Schrei

Atmo/Training/Atmen (kurz darunter liegend)

Mit:

Frank Kessler Also ich habe mich niemals zu Boden geschmissen komplett

und habe so den großen Guru geheiligt.

Kim Kwang Chul Mein erster Kampf war ich schon zwei Wochen davor nervös.

Özer Gülec Wir sind eine Familie, auch im Verein.

Wir haben eine tolle Familie bei uns alle!

Tahir Gülec Also mein Beruf: Ich bin bei der Sportfördergruppe

der Bundeswehr Deutschland.

Rabia Gülec Ne, also ich hab’ auch mal letztens einen Sekundenzeiger

beobachtet. Die zwei Minuten sind extrem lang,

wenn man sie einfach so mal von draußen anschaut.

Alfred Castano Beim Umgang in der Halle ist es ganz wichtig,

Dass die Schüler miteinander fair umgehen.

Agnes Guerra Im Training macht ja die ganze Zeit das,

was man ja dann im Wettkampf dann ausführt.

Lee Kyu Hong (koreanischer O-Ton)

Ich habe damals Taekwondo angefangen,

um mich zu schützen, weil ich körperlich

gegenüber anderen schwach und unterlegen war.

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Helena Fromm Man hat alle, die das von einem erwartet haben,

sei es Präsidium oder irgendwelche anderen Organisationen,

man hat deren Erwartungen erfüllt,

seine eigenen Erwartungen natürlich erfüllt,

und auch: Es ist jetzt vorbei.

Erika Zimmermann Geduld ist natürlich auch eine Tugend,

die im TAEKWONDO geschult werden sollte.

Yoon Sin Kil Ich liebe Korea, das ist mein Heimatland, ne.

Aber da ich will nicht mehr leben. Lebe hier.

Regina Singer Wir haben heuer Teilnehmerrekord wieder

mit 1.946 gemeldeten Sportler und Sportlerinnen.

Isabella Kassowitz Tscha Ryod! Kukkiye Daehayo Kyong Ned!

Michael Bokr Also bei Prüfungen: Grundregeln für den Wettkampf sind drei

Sachen.

Martin Minarik Ich war halt eigentlich auch immer eher so ein zurückhaltender

Junge und jetzt wenn ich das so im Nachhinein betrachte, dann

war die Anziehungskraft des TAEKWONDO für mich

wahrscheinlich auch darin so.

Diese Stärke und Durchsetzungsfähigkeit.

Henrike von Kuick Im Dojang spiegelt sich das Leben außerhalb wider.

Und man nimmt das, was man im Dojang lernt, mit.

Friedhelm Ptok Ich habe versucht, Kindern und Erwachsenen das DO zu

vermitteln. Ich habe gesagt, ihr werdet nicht nur gute Kämpfer

und gute Trainer, sondern auch gute Menschen werden.

Und

Max Mauff Ein Kampf dauert drei Mal zwei Minuten

beziehungsweise drei Mal drei Minuten.

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Musik (darunter liegend)

Mit besonderem Dank an die Schüler und SchülerInnen von:

Taekwondo Özer in Nürnberg

Dem Hwarang Taekwondo Verein in Dorsten

Und Kim‘s Sportcenter in Wien

Regie-Hospitanz: Duška Roth

Regie-Assistenz: Andreja Andrisević

Ton: Nikolaus Löwe

Regie: Elisabeth Putz

Geräusch/Schrei

Musikakzente

Produktion: Rundfunk Berlin-Brandenburg gemeinsam mit dem

Norddeutschen Rundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk

2015.

Redaktion: Renate Jurzik.