FERNSTUDIENGANG ANGEWANDTE UMWELTWISSENSCHAFTEN …

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Autoren: Peter Martin, Brigitte Nixdorf, Wolfram Remmers, Carola Winkelmann & Thomas Zumbroich FERNSTUDIENGANG ANGEWANDTE UMWELTWISSENSCHAFTEN Studienbrief AUW-M09-02 ÖKOLOGISCHE BEWERTUNG VON GEWÄSSERN NATURWISSENSCHAFTEN & TECHNIK LESEPROBE

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Autoren:

Peter Martin, Brigitte Nixdorf, Wolfram Remmers,

Carola Winkelmann & Thomas Zumbroich

FERNSTUDIENGANG ANGEWANDTE UMWELTWISSENSCHAFTEN

Studienbrief AUW-M09-02

ÖKOLOGISCHE BEWERTUNG VON GEWÄSSERN

NATURWISSENSCHAFTEN & TECHNIK

LESEPROBE

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IMPRESSUM

AUFLAGE: 2. AUFLAGE 2018

UNIVERSITÄT KOBLENZ-LANDAUZENTRUM FÜR FERNSTUDIEN UND

UNIVERSITÄRE WEITERBILDUNG

ANSCHRIFTZENTRUM FÜR FERNSTUDIEN UND

UNIVERSITÄRE WEITERBILDUNG (ZFUW)POSTFACH 201 602

56016 KOBLENZWWW.ZFUW.ORG

URHEBERRECHTE: DIESER LEHRBRIEF IST URHEBERRECHTLICH

GESCHÜTZT. ALLE RECHTE VORBEHALTEN. DIESER LEHRBRIEF DARF IN JEGLICHER FORM

OHNE VORHERIGE SCHRIFTLICHE GENEHMIGUNG DER UNIVERSITÄT KOBLENZ-LANDAU NICHT

REPRODUZIERT UND/ODER UNTER VERWENDUNG ELEKTRONISCHER SYSTEME VERARBEITET,

VERVIELFÄLTIG ODER VERBREITET WERDEN.

© 2017, 2018 ZENTRUM FÜR FERNSTUDIEN UND UNIVERSITÄRE WEITERBILDUNG, UNIVERSITÄT KOBLENZ-LANDAU

MODUL 09: GEWÄSSERSCHUTZ

STUDIENBRIEF: ÖKOLOGISCHE BEWERTUNG VON GEWÄSSERN

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GEWÄSSERSCHUTZ

ÖKOLOGISCHE BEWERTUNG VON GEWÄSSERN

Wolfram  Remmers,  Brigitte  Nixdorf,  Peter  Martin,  Carola  Winkelmann  & Thomas Zumbroich 

Studienbrief AUW-M09-02

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DIE AUTOREN

PDF: 25.09.2018

DIE AUTOREN

WOLFRAM REMMERS 

Wolfram Remmers MSc. hat an der Universität Koblenz-Landau BioGeoWissen-schaften studiert. Zurzeit arbeitet er an seiner Doktorarbeit im Bereich Fließgewäs-serökologie, die von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert wird. In dem Promotionsvorhaben geht es um die Erklärung natürlicher Verbreitungsbarrie-ren für Fließgewässerorganismen. Am Beispiel des großen Höckerflohkrebses (Di-kerogammarus villosus) wird das Zusammenspiel von Umweltfaktoren und der Konkurrenzfähigkeit verschiedener Benthosorganismen untersucht. Außerdem hat Herr Remmers Erfahrungen im Bereich Tropenökologie und Verbreitung und Öko-logie terrestrischer Insekten gesammelt.

CAROLA WINKELMANN 

PD Dr. rer. nat. Carola Winkelmann hat an der TU Dresden Hydrobiologie stu-diert und sich seither auf Fließgewässerökologie spezialisiert. In ihrer Promotion im Jahr 2008, ebenfalls an der TU Dresden, beschäftigte sie sich mit Räuber-Beute Interaktionen in Fließgewässern. Seit 2011 leitet Frau Winkelmann eine Arbeits-gruppe für Aquatische Ökologie an der Universität Koblenz-Landau, wo sie 2017 im Fach Hydrobiologie/Zoologie habilitierte. Ihre aktuellen Forschungsthemen beinhalten die Auswirkung von invasiven Arten in Flüssen, die Bewertung von Fließgewässern, die Möglichkeit einer Eutrophierungssteuerung sowie den integra-tiven Artenschutz bedrohter aquatischer Tierarten. Sie lehrt an der Universität Kob-lenz-Landau größtenteils im Bereich der Limnologie, Taxonomie und Physiologie.

BRIGITTE NIXDORF 

Prof. Dr. Brigitte Nixdorf studierte Biologie und Hydrobiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Technischen Universität Dresden. 1983 promo-vierte sie an der Akademie der Wissenschaften der DDR, und bis 1991 war sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Arbeitsgruppenleiterin tätig. Von 1991 – 1993 arbeitete sie am Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, 1994 folgte die Habilitation an der TU Dresden. Seit 1993 ist sie Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU). Ihre Forschungs-schwerpunkte sind die Trophieentwicklung von Standgewässern, die Klassifizie-rung, Bewertung und Leitbildentwicklung von Stand- und Fließgewässern, die Limnologie saurer Tagebauseen sowie die Sanierung und Restaurierung von Seen. Von 2002 bis 2007 war Frau Nixdorf Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Limnologie (DGL e.V.), seitdem Mitglied des erweiterten Präsidiums der DGL.

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DIE AUTOREN

PDF: 25.09.2018

PETER MARTIN 

Dr. rer. nat. Peter Martin: Diplom-Studium an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel, Studienschwerpunkt Limnologie (Universität: Fließge-wässer, angewandte Themen, Max-Planck-Institut Plön: Grundlagenforschung, Planktonökologie), Promotion (CAU) über Aut- und Synökologie von Wassermil-ben (Hydrachnidia, Acari) aus kleinen Fließgewässern bei Prof. Dr. K. Böttger, Postdoc-Projekt: Wassermilben aus Quellen im Nationalpark Berchtesgaden (Schwerpunkt Larvalmorphologie und Parasitismus), anschließend Anstellungen in der Ökologie (Prof. Dr. T. Bauer) und Limnologie an der CAU (Prof. Dr. H. Bren-delberger) im Wechsel mit freiberuflichen Forschungstätigkeiten. Derzeit freier Mitarbeiter an der CAU und selbständig im Bereich Limnologie, Akarologie und Quellschutz tätig.

THOMAS ZUMBROICH 

Prof. Dr. Thomas Zumbroich ist Diplom-Geograph mit landschaftsökologischer und limnologischer Ausrichtung. Er ist Inhaber des „Planungsbüro Zumbroich – Landschaft und Gewässer“ mit Sitz in Bonn. Schwerpunkt der Tätigkeiten bilden gewässerökologische Fragestellungen, von Entwicklungen strategisch ausgerichte-ter Kartierverfahren über die Erarbeitung von Entwicklungskonzepten bis hin zur Planung, Bauüberwachung und Monitoring von Gewässerumgestaltungen. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie nimmt das Planungsbüro beratende und planerische Aufgaben wahr. Es ist in Forschungsprojekte eingebun-den. Als Gesellschafter der wissenschaftlich ausgerichteten HZ Hahn & Zumbroich GbR ist er an der Entwicklung von Messverfahren zur ökologischen Bewertung von Gewässersedimenten (Kolmation) beteiligt. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Fachzeitschrift Natur & Landschaft, die vom Bundesamt für Natur-schutz (BfN) herausgegeben wird. Thomas Zumbroich ist Honorarprofessor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Geographie) und langjähriger Lehrbeauftragter der Universität Koblenz-Landau (Angewandte Umweltwissen-schaften). LESEPROBE

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INHALTSVERZEICHNIS

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 1

INHALTSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGS‐ UND AKRONYMVERZEICHNIS ......................................................... 4

LERNZIELE .............................................................................................................. 7

01. EINLEITUNG ................................................................................................... 8

02. ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG ....................................................................... 12

02.1  FLIEßGEWÄSSERTYPISIERUNG ............................................................................................. 13 

02.1.1  Gewässerlandschaften .......................................................................................... 14 

02.1.2  Die Fließgewässertypen ........................................................................................ 15 

02.1.3  Abiotische Gradienten – Das River Continuum Concept ...................................... 18 

02.1.4  Fischregionen ........................................................................................................ 19 

02.2  STANDGEWÄSSERTYPISIERUNG ........................................................................................... 21 

02.2.1  Natürliche Seen .................................................................................................... 22 

02.2.2  Anthropogene Seen .............................................................................................. 26 

02.2.3  Typisierung von Standgewässern in Bezug auf die ökologische 

Bewertung durch die EG‐WRRL ............................................................................ 28 

02.3  ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ...................................................................... 35 

03. GRUNDLAGEN DER GEWÄSSERBEWERTUNG ............................................... 36

03.1  THEORETISCHE ANFORDERUNGEN AN BEWERTUNGS‐ UND KARTIERVERFAHREN ............ 36 

03.2  KARTIERUNGEN .................................................................................................................... 37 

03.3  KONFLIKTE ............................................................................................................................ 37 

03.4  BIOINDIKATION .................................................................................................................... 38 

03.5  BIODIVERSITÄT ..................................................................................................................... 40 

03.5.1  Quantifizierung der Biodiversität ......................................................................... 41 

03.5.2  Bewertung der Biodiversität ................................................................................. 43 

03.6  GRUNDLAGEN DES BEWERTUNGSVERFAHRENS NACH EG‐WRRL ....................................... 43 

03.6.1  Leitbilder ............................................................................................................... 46 

03.6.2  Referenzzustand und Referenzgewässer .............................................................. 47 

03.6.3  Der Gewässerzustand nach EG‐WRRL .................................................................. 48 

03.6.4  Der ökologische Zustand ...................................................................................... 49 

03.6.5  Das ökologische Potenzial .................................................................................... 51 

03.6.6  Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung gemäß EG‐WRRL ..................................... 52 

03.7  ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ...................................................................... 55 

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INHALTSVERZEICHNIS

2 2. Auflage 2018

04. FLIEßGEWÄSSERBEWERTUNG NACH EG‐WRRL ............................................. 56

04.1  BIOLOGISCHE BEWERTUNGSVERFAHREN DER WRRL ......................................................... 56 

04.1.1  Bewertung anhand des Makrozoobenthos (MZB) ............................................... 56 

04.1.2  Bewertung anhand der Fischfauna ...................................................................... 60 

04.1.3  Gewässerbewertung anhand des Phytoplanktons .............................................. 61 

04.1.4  Bewertung mit Makrophyten und Phytobenthos ................................................ 64 

04.1.5  Weitere Aspekte .................................................................................................. 69 

04.2  DIE GEWÄSSERSTRUKTURGÜTE .......................................................................................... 70 

04.3  DIE CHEMISCHE UND PHYSIKALISCH‐CHEMISCHE BETRACHTUNG ..................................... 71 

04.3.1  Wasserkörper ....................................................................................................... 72 

04.3.2  Anforderungen der WRRL .................................................................................... 74 

04.3.3  Der chemische Zustand ........................................................................................ 78 

04.3.4  Allgemeine Methodik ........................................................................................... 78 

04.3.5  Analytik ................................................................................................................ 80 

04.4  SEDIMENT ............................................................................................................................ 81 

04.4.1  Chemische Beurteilung von Gewässersedimenten ............................................. 84 

04.5  ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ..................................................................... 87 

05. STANDGEWÄSSERBEWERTUNG ................................................................... 88

05.1  TROPHIEBEWERTUNG ......................................................................................................... 88 

05.2  BEWERTUNG NACH LAWA (2013) ....................................................................................... 89 

05.3  BEWERTUNG VON STANDGEWÄSSERN NACH DER EG‐WRRL ............................................ 92 

05.3.1  Kenngrößen zur Ermittlung des Phyto‐See‐Index (PSI) für natürliche Seen ........ 96 

05.3.2  Bewertung anhand von Biodiversitäts‐Metrics nach  

Leßmann & Nixdorf (2009) für saure Bergbauseen ........................................... 101 

05.4  ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ................................................................... 103 

06. GRUNDWASSERBEWERTUNG ..................................................................... 104

06.1  GRUNDWASSER ALS LEBENSRAUM UND ABIOTISCHE PARAMETER ................................. 104 

06.2  GRUNDWASSERBIOLOGIE ................................................................................................. 107 

06.2.1  VIREN, BAKTERIEN, PILZE, PROTOZOEN, PATHOGENE ORGANISMEN............... 107 

06.2.2  Vielzellige Tiere .................................................................................................. 109 

06.3  METHODEN DER UNTERSUCHUNG ................................................................................... 112 

06.4  ÖKOLOGISCHE BEWERTUNGSVERFAHREN ....................................................................... 115 

06.4.1  Grundwasserfauna ............................................................................................. 115 

06.4.2  Quellfauna .......................................................................................................... 118 

06.5  ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ................................................................... 120 

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INHALTSVERZEICHNIS

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 3

LÖSUNGEN DER ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN ............................ 123

LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................................... 133

ÜBERSICHTSWERKE ........................................................................................................................... 133 

WEITERFÜHRENDE LITERATUR .......................................................................................................... 134 

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ABKÜRZUNGS- UND AKRONYMVERZEICHNIS

4 2. Auflage 2018

ABKÜRZUNGS- UND AKRONYMVERZEICHNIS

a Jahr (lat. anno)

A Fläche

Abb. Abbildung

Abk Abkürzung

AQEM Assessment System for the Ecological Quality of Streams and Rivers throughout Europe using Benthic Macroinvertebrates

Art. Artikel

AWB artificial water bodies

BSB Biochemischer Sauerstoffbedarf

°C Grad Celsius

CB GIG Central Baltic Geographical Intercalibration Group

Chl Chlorophyll

Cl Chlor

cm Zentimeter

CPOM grob-partikuläres organisches Material (engl. Coarse Particulate Organic Matter)

CSB Chemischer Sauerstoffbedarf

d.h. das heißt

DIN Deutsches Institut für Normung

DI-PROF Diatomeen-Profundal-Index

DOC gelöster organischer Kohlenstoff (engl. Dissolved Organic Carbon)

DOM gelöstes organisches Material (engl. Dissolved Organic Material)

ECD Elektroneneinfangdetektor (engl. Electron Capture Detector)

EEA European Environment Agency

EG Europäische Gemeinschaft

Eh Redoxpotenzial

EPT-Taxa Ephemeroptera, Plecoptera, Trichoptera

et al. und andere

etc. et cetera

EU Europäische Union

EZG Einzugsgebiet

Fe Eisen

FG Fließgewässer

FIBS Fischbasiertes Bewertungssystem

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ABKÜRZUNGS- UND AKRONYMVERZEICHNIS

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 5

FID Flammenionisationsdetektor

FLG Fließgewässer

FPOM fein-partikuläres organisches Material (engl. Fine Particulate Organic Matter)

g Gramm

GC Gaschromatograph

GESI Groundwater Ecosystem Status Index

GFI Grundwasserfauna-Index

ggf. gegebenenfalls

GÖP Gutes ökologisches Potenzial

GW Gewichtungswert

GWM Grundwassermessstelle

H Wasserstoff

ha Hektar

HMWB Highly Modified Water Bodies

HÖP Höchsten ökologisches Potenzial

Hrsg. Herausgeber

Igeo Geoakkumulationsindex

Ind. Individuen

ISO International Organization for Standardization

Kap. Kapitel

kg Kilogramm

km Kilometer

l / L Liter

LANUV NRW Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes NRW

LAWA Bund-/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser

m Meter

ME Maßeinheit

mg Milligramm

mm Millimeter

MSD Mass selective detector

mV Millivolt

MW Mittelwasser

MZB Makrozoobenthos

g Mikrogramm

m Mikrometer

S Mikrosiemens

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ABKÜRZUNGS- UND AKRONYMVERZEICHNIS

6 2. Auflage 2018

N Stickstoff

Nr. Nummer

NW Niedrigwasser

O Sauerstoff

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (engl. Organisation for Economic Co-operation and Development)

ÖQ Ökologische Qualitätsklasse

ÖWS Ökologische Wertesumme

ÖWZ Ökologische Wertzahl

OGewV Oberflächengewässerverordnung

P Phosphor

pH potentia Hydrogenii (Maß für die Wasserstoffionenkonzentration einer Lösung)

PND Phosphor-Stickstoff-Detektor

POM partikuläres organisches Material (engl. Particulate Organic Material)

PSI Phyto-See-Index

PTSI Phytoplankton-Taxa-Seen-Index

Q Volumenstrom (Durchfluss in m³/a)

s Saprobiewert

S Schwefel

sog. so genannt

SRP Gelöster reaktiver Phosphor/Orthophosphat (engl. Soluble Reactive Phosphorus)

ST / SD Sichttiefe / Secchi depth (engl.)

STAR Standardisation of River Classifications

Tab. Tabelle

TAW Trophieankerwert

TOC Gesamtkohlenstoff (engl. Total Organic Carbon)

TP Gesamt-Phosphor (engl. Total Phosphorus)

u.a. unter anderem

UBA Umweltbundesamt

V Volumen

VQ Verhältnis von Fläche des Einzugsgebiets eines Sees zum Seevolumen

WFD CIS Common Implementation Strategy of the Water Framework Directive

WRRL Wasserrahmenrichtlinie

z.B. zum Beispiel

z.T. zum Teil

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LERNZIELE

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 7

LERNZIELE

Im ersten Studienbrief „Auswirkungen anthropogener Eingriffe auf Gewässer“ wurden die Grundlagen zu den Belastungen der Gewässer und die daraus resultie-renden Probleme für die Gewässerökosysteme und die Nutzung durch den Men-schen besprochen. Um diese Probleme zu quantifizieren und Entwicklungen zum Besseren oder Schlechteren nachvollziehen zu können, gibt es Bewertungssysteme für Gewässer. Die Gewässerbewertung nimmt einen großen Teil der praktischen Arbeit der zuständigen Behörden, Verbände und Planungsbüros ein. In diesem zweiten Studienbrief soll den Studierenden grundlegendes Wissen zum Verständnis der Bewertungssysteme vermittelt werden. Anhand der folgenden Texte und der darin zitierten Literatur zu weiterführenden Verfahrensanleitungen etc. sollte es möglich sein, einen Einstieg in die selbstständige Gewässerbewertung zu finden.

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EINLEITUNG

8 2. Auflage 2018

01. EINLEITUNG

Mit der zunehmenden Nutzung und gleichzeitiger Degradation der Gewässeröko-systeme im Laufe der Industrialisierung, einer wachsenden Bevölkerung und spä-testens mit dem Boom der Chemieindustrie, der intensiven Landwirtschaft (Pesti-zide, synthetische Dünger) und dem fortschreitenden Gewässerausbau sowie zu-nehmender saprobieller Belastung wurden Umweltschäden in vielen Gewässern offensichtlich und hatten direkte Auswirkungen auf die menschliche Lebensqualität (z.B. „Umkippen“ von Angel- und Badegewässern). Dies verstärkte das Bewusst-sein einer breiten Öffentlichkeit für den Erhalt natürlicher Lebensräume und Res-sourcen und führte zu einer größeren Wertschätzung funktionierender Ökosysteme und deren Dienstleistungen (Ökosystemdienstleistungen, ecosystem services).

Um anthropogene Belastungen quantifizieren und kommunizieren sowie Hand-lungsbedarf ableiten zu können, muss der Zustand der Gewässer objektiv berwertet und dargestellt werden. Die Gewässergütekarten der 1980iger Jahre (Abb. 01.1) haben einen enormen Handlungsdruck auf die Verantwortlichen aufgebaut und den Gewässerschutz zu einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe gemacht. Ein Schutz und eine Wiederherstellung natürlicher Lebensräume und Prozesse braucht also zwingend eine funktionierende Gewässerbewertung mit leicht zu kommunizieren-den Ergebnissen. Bewertungssysteme erfüllen somit den Zweck, Schäden zu erfas-sen, Entwicklungen der Gewässerqualität nachzuverfolgen, das Erreichen von Entwicklungszielen zu bewerten und die Effektivität von Maßnahmen zu quantifi-zieren.

Für die Gewässerbewertung wurden in der Vergangenheit verschiedene Verfahren entwickelt, vorgeschlagen und angewendet. Die Art des Bewertungsverfahrens hängt stark davon ab, was bewertet werden soll und warum es bewertet werden soll. Dabei spielt auch eine Rolle, was die aktuellen Gewässerprobleme sind. In Fließgewässern waren das lange Zeit vor allem die saprobielle Belastung durch mangelnde oder schlecht funktionierende Kläranlagen sowie die Versauerung. Für diese Belastungspfade wurden in der Vergangenheit entsprechende Bewertungssys-teme wie der Saprobienindex und der Versauerungsindex entwickelt.

Der Saprobienindex basiert auf der Beobachtung, dass verschiedene Taxa unter-schiedlich auf die Belastung reagieren. Schon Kolkwitz & Marsson (1902) legten die Grundlage für eine Bewertung des Gewässerzustandes nach dem Prinzip der Bioindikation. Durch stetige Weiterentwicklung entstand ein ausgeklügeltes Ver-fahren zur Bewertung der Belastung durch organisch belastete Abwässer.

Aktuelle Gewässer-

belastungen müssen

bewertet werden

können.

Der Saprobienindex

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EINLEITUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 9

Abb. 01.1: Ausschnitt aus einer Gewässergütekarte, basierend auf dem Saprobienindex, Deutschlands aus den Jahren 1974 (links) und 2000 (rechts). Durch die Farb-wahl ist die Darstellung intuitiv verständlich. Die normierte Erfassung ermög-licht Vergleiche über lange Zeiträume.

Heutzutage sind die Probleme der organischen Belastung etwas in den Hintergrund getreten, während Eutrophierung und eine allgemeine Degradation, die viele Ursa-chen hat (Schadstoffe, Landnutzung, Hydromorphologie), die Hauptprobleme dar-stellen. Dies muss in der Entwicklung neuer Bewertungsverfahren berücksichtigt werden (vgl. Böhmer et al. 2004), und seither hat sich die Gewässerbewertung wesentlich weiterentwickelt. Eine grundlegende Neuausrichtung wurde mit Inkraft-treten der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) im Jahr 2000 vom Ge-setzgeber gefordert. Vorher wurde in Fließgewässern nur das Makrozoobenthos (MZB) zur Berechnung des Saprobienindexes systematisch und flächendeckend erfasst. In Seen wurde die Trophie anhand physikalischer und chemischer Mess-werte bestimmt. Mittlerweile werden auch Fische, Makrophyten und Phytobenthos, Plankton sowie Angiospermen (nur in Küstengewässern) als Qualitätskomponenten zur Berechnung von Indizes herangezogen (LAWA 2012). Auf diese Weise soll die Naturnähe der gesamten Biozönose zusammenfassend dargestellt werden. Somit wurde die Grundlage für eine Bewertung geschaffen, die sich nicht auf einzelne Belastungspfade beschränkt, sondern eine ökologische Gesamtbewertung anstrebt.

Oft führt eine Nutzungsabsicht zu der Notwendigkeit einer Bewertung, die bei den gewählten Verfahren eine Rolle spielt. Beispielsweise müssen Gewässer für die Trinkwassergewinnung untersucht werden. Dabei stehen humantoxikologische und hygienische Erwägungen im Vordergrund; bei der Eignungsprüfung eines Gewäs-sers als Badegewässer werden haupsächlich hygienische und ästetische Maßstäbe

Darstellung der

Belastungen

Bewertungssysteme

müssen sich ständig

weiterentwickeln

Nutzungsabsicht

bestimmt oft das

Bewertungsverfahren

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EINLEITUNG

10 2. Auflage 2018

angesetzt; und eine Bewertung nach Belangen des Artenschutzes erfordert andere Zielvorgaben.

Alle Bewertungsverfahren haben eine objektive und wertfreie Ebene, welche die reine Erfassung/Beobachtung beinhaltet und eine wertende Ebene, die diese Be-obachtung mit einer gut/schlecht Aussage interpretiert. Die angelegten Bewer-tungsmaßstäbe sind immer anthropozentrisch und basieren auf Konventionen, was als gut und was als schlecht zu beurteilen ist. Das unterscheidet Gewässerbewer-tung von der Grundlagenforschung, die sich auf wertfreie Beobachtung beschränkt.

Die Maßstäbe für die Bewertung unterliegen einer Entwicklung, was sich beson-ders an der Festlegung von Grenzwerten, sowohl an deren Höhe, als auch an der Auswahl der Kriterien zeigt. Grenzwerte können sich mit der Zeit ändern oder unterscheiden sich in verschiedenen Ländern. Dafür sind verschiedene Gründe zu nennen, beispielsweise Wissenslücken, Mängel in der Analytik, der große Auf-wand sowie wirtschaftliche und politische Erwägungen oder einfach unterschiedli-che Auffassungen (Abb 01.2).

Abb. 01.2: Einflüsse auf die Grenzwertfestlegung (nach Frimmel, 1995).

Politische und sonstige

Interessen

Parameter

Grenzwert

ANALYTIK

Ökologie

Natürliche Basis

Human-toxikologie

Technologie

Politische und sonstige

Interessen

Politische und sonstige

Interessen

Parameter

Grenzwert

ANALYTIKANALYTIK

ÖkologieÖkologie

Natürliche BasisNatürliche Basis

Human-toxikologie

Human-toxikologie

TechnologieTechnologie

Bewertung ist

subjektiv

Bewertungsmaßstäbe

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EINLEITUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 11

Insbesondere in der chemischen Bewertung der Gewässer existeren für viele Stoffe überhaupt keine Grenzwerte. Dies ist hauptsächlich mit der Vielzahl synthetischer Stoffe und deren Metaboliten zu begründen. Allerdings spielen auch hier die in Abb. 01.2 genannten Einflussfaktoren eine Rolle. Bei der Bewertung stofflicher Belastungen werden nur die Wirkungen einzelner Stoffe betrachtet. Mögliche sy-nergistische, additive und antagonistische Effekte in Stoffgemischen werden bisher kaum berücksichtigt. Hier bietet sich auch die Möglichkeit Bewertungssysteme zu missbrauchen, wenn gute Ergebnisse durch die Auswahl der gemessenen Kompo-nenten oder ein unrealistisches Klassifikationssystem gezielt herbeigeführt werden. Aus diesem Grund sollten Bewertungen immer kritisch hinterfragt werden.

Grenzwerte, Willkür

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

12 2. Auflage 2018

02. ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

Die Aufgabe der Gewässertypologie ist es, die natürliche Vielfalt der Gewässer in einem anschaulichen und handhabbaren System zusammenzufassen, um somit eine fachübergreifende Bewertung der Gewässer möglich und praktikabel zu machen. Eine Typisierung der Gewässer und Gewässerabschnitte trägt der Tatsache Rech-nung, dass Gewässer immer Produkte der ihnen umgebenden Landschaft sind. So bringen die typischen Eigenschaften der Umgebung auch typische Ausprägungen an Gewässern hervor, deren Biozönosen an die örtlichen Umweltbedimgumgen angepasst sind.

Für eine differenzierte Betrachtung konkreter Gewässer und Gewässerabschnitte muss berücksichtigt werden, dass die Gewässercharakteristik, sprich Abfluss- und Feststoffdynamik, Morphologie sowie physikalische und chemische Faktoren der Wasserqualität, von Klima, Geologie, Tektonik, Boden und Vegetation abhängt. Außerdem muss die Typisierung für die zur Bewertung herangezogenen Qualitäts-komponenten relevant sein. In der EG-WRRL werden die Gewässerbiozönosen als Grundlage für die Einteilung in Gewässertypen verwendet.

Nach DIN 38 410 ist die Gewässertypisierung die “…idealisierte Zusammenfas-sung individueller (Fließ-)gewässer nach definierten gemeinsamen (z.B. morpho-logischen, physikalischen, chemischen, hydrologischen, biozönotischen) Merkma-len. Die Typen natürlicher Gewässer können als Leitbilder beschrieben werden.“

Diese Typisierung ist notwendig für die Gewässerbewertung nach WRRL, da sie anhand typspezifischer Referenzbedingungen erfolgt. Daher teilt man die Gewässer anhand ihrer Eigenschaften, vor allem der geogenen Gewässerchemie, Gewässer-größe und Relief, in Gewässertypen mit möglichst ähnlicher Besiedlung ein (bio-zönotisch relevante Typen) und definiert darüber die zu erwartende Besiedlung in einem bestimmten Gewässer (Referenzzönose).

Der Begriff der ökologischen Typisierung macht deutlich, dass die Herangehens-weise in der WRRL eine ganzheitliche Betrachtung des Gewässersystems verlangt, in der die Biozönose, die durch Wechselwirkungen mit abiotischen Faktoren ge-prägt ist, im Vordergrund steht.

Typisierung in der

EG-WRRL

Biozönotische

Relevanz

Ganzheitliche

Herangehensweise

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 13

02.1 FLIEßGEWÄSSERTYPISIERUNG 

Für die Umsetzung der WRRL wurde eine weitergehende Gewässertypologie für Deutschland entwickelt. Als Typisierungskriterien werden Höhenlage, Gewässer-größe und eine differenzierte Geologie/Geomorphologie inklusive Talform und Sohlensubstrat verwendet (Tab. 02.1). Darüber hinaus werden Ökoregionen aus-gewiesen, die auf der Klassifizierung von Illies (1978) basieren, in der die potenzi-elle Verbreitung bestimmter Gewässerorganismen Europas und angrenzender Ge-biete ausgewiesen ist.

Tab. 02.1: Typisierungsgrundlagen für Fließgewässer nach den Vorgaben der EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) – System B (Anhang II)(Patt 2016).

Alternative Charakterisierung

Physikalische und chemische Faktoren, welche die Ei-genschaften eines Fließgewässers oder eines Abschnittes desselben bestimmen und die Struktur und Zusammen-setzung der Lebensgemeinschaft prägen.

Obligatorische Faktoren Höhe Geographische Breite Geografische Länge Geologie Größe

Optionale Faktoren Quellenentfernung Dynamik (Abfluss- und Gefälleverhältnisse) Mittlere Gewässerbreite Mittlere Gewässertiefe Mittleres Gefälle Gerinnebettform Abflusskategorie Talform Feststofftransport Säurebindungsvermögen Mittlere Substratzusammensetzung Chloridgehalt Lufttemperaturspanne Lufttemperaturmittel Niederschlag

Bei der Entwicklung der Gewässertypologie wurde darauf geachtet, dass es sich um eine national einheitliche Typologie für alle Qualitätskomponenten handelt, die im Konsens der deutschen Bundesländer und Anwender beschlossen wurde (LA-WA = Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser). Darüber hinaus wurden so viele Typen wie nötig, aber so wenige wie möglich ausgewiesen, um die Entwicklung und Anwendung der Bewertungssysteme überschaubar zu halten. Dies ist vor allem aus Sicht der Gewässerwirtschaft wünschenswert, während aus naturschutzfachli-cher Sicht eine höhere Auflösung vorteilhaft wäre.

Entwicklung der

Typologie

Typen:

so wenig wie möglich,

so viele wie nötig

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

14 2. Auflage 2018

Methodisch wurde die deutsche Fließgewässertypologie zunächst „top down“ ent-wickelt, d.h. ausgehend von den bereits erwähnten geomorphologischen Grundla-gen der Landschaft bis hinunter zu den einzelnen Typen in ihrer jeweiligen Grö-ßenklasse. Anschließend wurden die Typen anhand von Ähnlichkeitsberechnungen (Cluster-Analysen) umfangreicher Makrozoobenthosdatensätze einer „bottom up“ Validierung oder biozönotischen Validierung unterzogen (Haase et al., 2004).

Die Typenentwicklung beinhaltete folgende Schritte:

1. Ermittlung der in Deutschland nach Illies (1987) vorkommenden Ökoregionen(Alpen, zentrales Mittelgebirge, zentrales Tiefland).

2. Aufteilung der Ökoregionen in die Gewässerlandschaften nach Briem (2003).Dabei wurden einige geomorphologisch abgeleitete Gewässerlandschaften ag-gregiert, da sie ähnliche Gewässertypen hervorbringen.

3. Zusammenstellung der abiotisch abgeleiteten Grundtypen.

4. Unterteilung der Grundtypen entsprechend der Längszonierung der Gewässer.Es werden die Größenklassen Bach, kleiner Fluss, großer Fluss und Strom un-terschieden. Daraus ergaben sich 20 Fließgewässertypen.

5. Weitere Differenzierung der Fließgewässertypen und Integration von For-schungsvorhaben zur Kenntnis der biozönotischen Typisierung und entspre-chende Weiterentwicklung der Typologie.

Fließgewässer unterscheiden sich in ihrer Struktur und Funktion sowohl unterei-nander als auch im Längsverlauf. Anders als Seen sind sie sehr offene Systeme, in denen die Energie- und Stoffflüsse stark von den Eigenschaften der von ihnen durchflossenen Landschaft beeinflusst werden.

02.1.1 Gewässerlandschaften 

Gebiete, die im Bezug auf die wichtigsten gewässerprägenden geologischen, geo-morphologischen und pedologischen Faktoren ähnlich sind, lassen sich als (Fließ-) Gewässerlandschaften zusammenfassen. Sie beschreiben den abiotischen, heutigen, potenziell natürlichen Zustand der Gewässer, der sich ohne menschliche Einflüsse einstellen würde. Die Gewässerlandschaften sind von Briem (2003) in Karten aus-gewiesen.

Als Kartierungsgrundlage für die Verbreitung der Fließgewässerlandschaften dien-ten die Verbreitung der Substrate und ihre Eigenschaften. Vor allem Relief und Substrat (Gestein, aufgeschüttetes Lockermaterial und die Verwitterungsprodukte) haben sich als Hauptfaktoren für die Ausprägung der Gewässer herausgestellt. Innerhalb eines bestimmten Klimas und einer tektonischen Einheit ist immer das

Methodik: top-down

Bäche und Flüsse sind

vergleichsweise

offene Systeme

Relief und Substrat

als Kartierungs-

grundlagen

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 15

Substrat ausschlaggebend für die Charakteristik (Morphologie) eines Gewässers (Abb. 02.1).

Abb. 02.1: Beispielhafter Ausschnitt aus der Karte der Gewässerlandschaften Deutsch-lands (Briem 2003). Sichtbar ist das Rheinische Schiefergebirge mit seinen prägenden Substraten und den großen Flüssen Rhein und Mosel (Komplette Karte verfügbar unter: www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/ 419/bilder/gewaesserlandschaften_der_bundesrepublik_deutschland.jpg).

Es gibt zwar keine hundertprozentig gleichen Gewässer, jedoch gibt es auf regiona-ler Ebene Gewässer und Auen, die ganz spezifische, regionaltypische Erschei-nungsformen ausbilden. Für Steckbriefe und Karten der Gewässerlandschaften sei hier auf Briem (2003) verwiesen.

Einzelne Gewässertypen nach der Typologie der EG-WRRL (Kap. 02.1.2) haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in der Regel in einer Gewässerlandschaft, da diese eine Schlüsselrolle in der Typologie der WRRL darstellen.

02.1.2 Die Fließgewässertypen 

Eine der wichtigsten Anforderungen der WRRL ist, dass die abiotisch abgeleitete Top-Down-Typologie biozönotisch (im Bezug auf ihre natürliche Besiedlung) va-lidiert werden muss. Dies erfolgte zunächst anhand umfangreicher Makro-zoobenthos-Datensätze (Haase et al. 2004). Allerdings sind die, anhand der MZB-Besiedlung validierten Typen für die Bewertung anhand der anderen Qualitäts-komponenten (Fische etc., Kap. 04.1) nicht gleichermaßen relevant. Daher mussten für diese Komponenten eigene Typologien entwickelt werden, die ebenfalls anhand von umfangreichen faunistischen oder floristischen Datensätzen validiert wurden. Die biologischen Datensätze sollten aus möglichst naturnahen Gewässern bzw. Gewässerabschnitten (Referenzgewässern, Kap. 03.6.2) stammen.

Biozönotische Vali-

dierung anhand von

Makrozoobenthos

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

16 2. Auflage 2018

Der Vorgang der Typisierung ist ein laufender Prozess und wird durch Experten-wissen und später hinzukommende Daten ergänzt und eventuell revidiert.

Insgesamt wurden in Deutschland bisher 25 (inkl. Subtypen: 33, Stand 2013) gut voneinander abgrenzbare Gewässertypen identifiziert (LAWA 2013, Pottgiesser & Sommerhäuser 2008). Die Einteilung in Subtypen ist für die Bewertung bestimmter Qualitätskomponenten relevant und in den Steckbriefen enthalten. Außerdem fin-det sich dort eine „Übersetzung“ der LAWA-Typen in qualitätskomponentenspezi-fische Typen (Fische, Makrophyten, Phytobenthos, Diatomeen).1

Die Gewässertypen verteilen sich auf die drei Ökoregionen Alpen, Mittelgebirge und Alpenvorland sowie Norddeutsches Tiefland. Darüber hinaus gibt es vier Ge-wässertypen, die von der Ökoregion unabhängig sind (Tab. 02.2).

Die Steckbriefe (inkl. Anhang und Ergänzungen) enthalten eine morphologische Beschreibung, physiko-chemische Leitwerte, Abfluss-Charakteristika, eine Aus-wahl charakteristischer Arten sowie eine kurze Beschreibung funktionaler Gruppen der Qualitätskomponenten Makrozoobenthos, Makrophyten, Phytobenthos und Fische. Die Steckbriefe sollen keine Ist-Zustände widerspiegeln und können auch nicht jede Ausprägung und Übergangsvariante darstellen, sondern beschreiben ideale Ausprägungen eines Gewässertyps (Pottgiesser & Sommerhäuser 2008). Ergänzend dazu wurden hydromorphologische Steckbriefe erstellt (Umweltbun-desamt 2014). Darin enthalten ist die Beschreibung der Leitbilder (potenziell natür-licher Zustand) und davon abgeleitet eine Beschreibung des guten Zustands. Die Leitbilder sind vor allem für die Gewässerbewirtschaftung und Entwicklung rele-vant.

In der Gewässerbewertung spielen die Auen, trotz ihrer herausragenden Rolle im Naturhaushalt der Gewässer, bislang noch eine untergeordnete Rolle, und spezifi-sche ökologische Auenbewertungssysteme sind noch nicht in der WRRL etabliert (Graf et al. 2013). Die Entwicklung einer Auentypologie als Bewertungsgrundlage ist aber schon weiter fortgeschritten (Patt 2016, Koenzen 2005).

Unabhängig von den Fließgewässertypen der WRRL existieren noch weitere Kon-zepte der ökologischen Beschreibung, die typische Ausprägungen von Fließgewäs-sern darstellen und wesentlich zum Verständnis ökologischer Zusammenhänge beigetragen haben: das River Continuum Concept (Kap. 02.1.3) sowie die Eintei-lung in Fischregionen (Kap. 02.1.4).

1 Die Steckbriefe der Gewässertypen können auf wasserblick.net (2016) heruntergeladen werden.

Typisierung ist ein

offener Prozess

Steckbriefe der

Gewässertypen

Auentypologie

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 17

Tab. 02.2: Übersicht der LAWA-Gewässertypen Deutschlands, die von Pottgiesser und Sommerhäuser (2008) in Steckbriefen beschrieben und seitdem überarbeitet und ergänzt wurden.

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

18 2. Auflage 2018

02.1.3 Abiotische Gradienten – Das River Continuum Concept 

Im Längsverlauf eines Fließgewässers existeren typische abiotische Gradienten die, innerhalb eines gegebenen Klimas, ausschlaggebend für die taxonomische und funktionale Zusammensetzung der Artengemeinschaften in den verschiedenen Gewässerabschnitten sind. Diese Änderungen sind im River Continuum Concept für ein idealisiertes Fließgewässer mittlerer Breiten zusammengefasst (Vannote et al. 1980).

Abb. 02.2: Das River Continuum Concept nach Vannote et al. (1980) zeigt die typischen Änderungen der Umweltbedingungen und der Artengemeinschaft eines ideali-sierten Fließgewässers im Längsverlauf. (Bildquelle: ecologycenter.us (2016)).

Die im River Continuum Concept dargestellten Veränderungen der Artengemein-schaft im Längsverlauf als eine Folge abiotischer Gradienten entstehen direkt durch autökologische, meist physiologisch bedingte Eigenschaften wie Toleranz, und indirekt durch Veränderungen biotischer Interaktionen wie Konkurrenz und Präda-

Longitudinale

Gradienten

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 19

tion (z.B. MacNeil & Dick 2012). Vor allem die Land-Wasser-Schnittstelle unter-liegt einer longitudinalen Veränderung. Im Oberlauf ist noch eine sehr starke Prä-gung des Gewässers von der umgebenden Landschaft vorhanden, nimmt aber mit zunehmender Gewässergröße ab. Dies äußert sich besonders in Fracht, Nutzung, Transport und Speicherung organischen Materials. Der Oberlauf ist geprägt von allochthonem Input (Eintrag von außen) und leicht abbaubaren organischen Sub-stanzen. Im weiteren Verlauf werden hauptsächlich die schwer abbaubaren Stoffe weitertransportiert und die Bedeutung des allochthonen Inputs schwindet zuguns-ten einer höheren autochthonen Produktion (Primärproduktion im Gewässer, z.B. Algenwachstum), vor allem im Mittellauf. Im Unterlauf führt die Selbstbeschat-tung aufgrund der höheren Gewässertiefe wieder zu einer verringerten Primärpro-duktion.

Während der Anteil an Prädatoren in allen Gewässerabschnitten ungefähr gleich bleibt, weisen andere Gilden wiederkehrende längszonale Besiedlungsmuster auf. Im Oberlauf sind die Zerkleinerer (Shredder) als Konsumenten des allochthonen groben organischen Materials, wie zum Beispiel Laub (coarse particulate organic matter = CPOM), besonders stark vertreten. Ihre Bedeutung nimmt mit zunehmen-der Gewässergröße stark ab, weil der Eintrag von CPOM an Bedeutung verliert. Die Weidegänger (Grazer), im Oberlauf noch in verhältnismäßig geringer Dichte vertreten, haben im Mittellauf ihren Verbreitungsschwerpunkt aufgrund des großen Nahrungsangebotes (Phytobenthos oder Periphyton). Die Sammler und Filtrierer (Collectors) haben im gesamten Gewässerverlauf eine große Bedeutung, da deren Nahrungsgrundlage – feines organisches Material (fine particulate organic matter = FPOM) – überall vorhanden ist und mit der fließenden Welle transportiert wird. Im Unterlauf ist außer dieser Gilde und den Prädatoren kaum ein anderer Ernährungs-typ anzutreffen, da in den unteren Regionen eines Fließgewässers fast ausschließ-lich FPOM als Nahrungsgrundlage vorkommt.

02.1.4 Fischregionen 

Analog zur Abfolge der Makrozoobenthos-Gilden im River Continuum Concept existieren im Längsverlauf von Fließgewässern sogenannte Fischregioinen. Sie entstehen ebenfalls durch die systematischen Änderungen der Gewässergröße, Substrateigenschaften, Sauerstoffversorgung und weiteren Umweltfaktoren und werden nach den dominanten bzw. typischen Fischarten benannt. Von der Quelle bis zur Mündung gibt es in einem typischen mitteleuropäischen Gewässer fünf Fischregionen (Abb. 02.3).

Längszonierung der

Ernährungstypen

Fünf Fischregionen LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

20 2. Auflage 2018

Abb. 02.3: Die Fließgewässer lassen sich in Zonen mit einer typischen Fyschzönose unter-teilen.

Die Fischregionen werden durch die jeweiligen Leitarten und typische Begleitarten charakterisiert. Im Oberlauf (Epi- und Metarhitral) kommen die kaltstenothermen (an niedrige Temperaturen angepassten) und von einer guten Sauerstoffversorgung abhängigen Salmoniden als Leitarten vor. Im Epirithral ist die Bachforelle (Salmo trutta) Leitfisch und mit Elritze, Groppe und Bachneunauge vergesellschaftet.

Abb. 02.4: Rhithrale Fließgewässer mit Forellenregion (links) und Äschenregion (rechts, Bildquelle: wunsiedel.bund-naturschutz.de (2016) www.wunsiedel.bund-natur-schutz.de/lebensraeume-im-fichtelgebirge/fliessgewaesser/lr-beschreibung.html).

Auch im Hyporithral (unterer Oberlauf), wo es im Sommer etwas wärmer werden kann, dominieren Arten mit ähnlichen Habitatansprüchen, wie z.B. die Äsche (Thymalus thymalus). Sowohl Forellen als auch Äschen sind kieslaichend und da-her an Bereiche mit grobkörnigen Substraten und einem gut durchströmten Intersti-tial gebunden.

Leitfischarten

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 21

Auf die Forellen- und Äschenregion folgt die Barbenregion, die in vielen Aspekten eine intermediäre Ausprägung zwischen Oberlauf (Rhitral) und Unterlauf (Potamal) aufweist: höhere Maximaltemperaturen, geringere Sauerstoff-Minima als im Oberlauf und feinkörnigere Substrate (sandig-kiesig). Charakteristisch für das Epi-Potamal ist eine hohe Makrophytenabundanz. Aber auch die Barbe (Barbus barbus) benötigt flache kiesige Stellen zur Eiablage und zieht daher zum Laichen oft in Schwärmen flussaufwärts.

Abb. 02.5: Mittellauf (links), ein typisches Gewässer der Barbenregion ist von Makrophy-ten besiedelt und Unterlauf (rechts), in dem sich die Brachsenregion befindet.

Im Meta-Potamal kommt es im Sommer zu relativ hohen Temperaturen und schlechter Sauerstoffversorgung durch den saprobiellen Abbau. Hier ist mit der Brachse (Abramis brama) eine Art, die schlammige und pflanzenreiche Habitate bevorzugt, als Leitfisch vertreten.

Ebenso wie das River Continuum Concept, spiegelt die Einteilung der Gewässer in Fischregionen zwar grundlegende ökologische Zusammenhänge wider, stellt aber immer noch eine starke Vereinfachung dar und kann in einzelnen Gewässern völlig unzutreffend sein. Daher ist eine Typisierung anhand dieser Konzepte zwar hilf-reich zur Beschreibung von Gewässerabschnitten, aber nicht ausreichend für eine referenzbasierte Bewertung der ökologischen Gewässergüte.

02.2 STANDGEWÄSSERTYPISIERUNG 

Seen umfassen natürliche und künstliche Standgewässer und bilden wichtige funk-tionale Elemente in Einzugsgebieten als Stoffsenken. Sie werden neben der Entste-hung nach ihrer Einbindung in das Gewässernetz, ihrer Morphometrie, dem Durchmischungsregime und ihren trophischen Eigenschaften klassifiziert. Der wichtigste Besiedlungsraum für Fische und das Plankton ist das Freiwasser (Pelagial). Die Bodenzone (Benthal) wird von tierischen Wirbellosen und Makro-phyten besiedelt. Natürliche Seen in der gemäßigten Klimazone sind meist in der Eiszeit entstanden. Zu den künstlichen Gewässern gehören Abgrabungsseen wie

Barbenregion

Brachsenregion

Natürliche und künst-

liche Seen sind Stoff-

senken

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

22 2. Auflage 2018

Tagebau- und Kiesbaggerseen und Talsperren. Sie unterscheiden sich von natür-lichen Seen in ihrer Morphometrie und ihrem hydrologischen Regime durch nut-zungsbedingtes Wassermanagement.

02.2.1 Natürliche Seen 

In Europa hat eine Zählung etwa 500.000 Standgewässer > 1 ha ergeben (EEA 1996). Weltweit belaufen sich die Schätzungen auf 8.3 Millionen natürliche und künstlich angelegte Standgewässer (Pourriot & Meybeck 1995). Seen (Stillgewäs-ser, Standgewässer, stehende Gewässer) sind „allseitig umschlossene Wasseran-sammlungen in einer Vertiefung der Erdoberfläche“ (Forel 1901, Ruttner 1962). Diese Vertiefungen können sehr groß sein (tektonische Seen, z.B. Baikal- und Tanganjikasee). Die meisten Seen sind glazialen Ursprungs und sind mit weniger als 20.000 Jahren relativ jung bzw. durch Flussaktivitäten als fluviale Seen ent-standen. Eine Abgrenzung zu Fließgewässern erfolgt aufgrund der deutlich höheren Verweilzeit des Wassers. Aufenthaltszeiten von mehr als 30 Tagen erlauben die Ausbildung von Planktongemeinschaften, die ein prägendes Besiedlungsmerkmal von Seen sind. Seen mit kürzeren Aufenthaltszeiten stehen zwischen Seen und Fließgewässern und werden als Flussseen bezeichnet.

02.2.1.1 Klassifizierung  von  Seen  und  topographische  und  hydromor‐phologische Eigenschaften 

Neben der Entstehung können Seen nach Morphometrie und Topographie, Wasser-führung und Wasserspeisung, Lage in Klimagebieten bzw. Ökoregionen, Nutzun-gen, Belastungen usw. klassifiziert werden. Nach der Thermik und Schichtung unterscheidet man flache, oft durchmischte Seen.

Seen sind immer einem Einzugsgebiet zugeordnet und unterliegen dabei unter-schiedlichen Wasserzu- und -abflüssen. Folglich unterscheidet man:

durchströmte Seen mit Zu- und Abfluss,

Flussseen, von einem Fließgewässer geformt, z.B. Müggelsee,

Quellseen mit Abfluss, aber ohne Zufluss,

periodisch abflusslose Seen durch Trockenheit oder Verstopfung,

Mündungs- oder Endseen mit Zufluss, aber ohne Abfluss, z.B. Balaton oder Neusiedler See.

Zu- und Abflüsse in bzw. aus Seen können ober- und unterirdisch erfolgen. Wäh-rend die hydrologische Situation für oberflächengespeiste Seen gut beschrieben ist, besteht bei grundwassergespeisten Seen erheblicher Forschungsbedarf zur zeit-lichen und räumlichen Quantifizierung des Zu- und Abstromverhaltens.

Seeentstehung:

tektonisch, glazial

oder fluvial

Hohe Wasser-

verweilzeiten

bedingen typische

Planktonzönosen

Klassifizierungs-

kriterien

Zu- und Abfluss LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 23

Wichtige Parameter zur morphometrischen Charakterisierung von Seen sind in Tab. 02.3 aufgeführt. Seen lassen sich nach weiteren Kriterien typisieren, z.B. nach Trophiegrad oder nach der Besiedlung mit Fischen und Bodentieren.

Tab. 02.3: Morphometrische Parameter zur Charakterisierung von Seen (Abk. = Abkür-zung, ME = Maßeinheit, Q = Durchfluss in m³/a; EZG = hydrologisches Ein-zugsgebiet) am Beispiel des geschichteten Scharmützelsee (SCH) und des Müggelsees (MUG)

Parameter Abk. ME Bemerkung SCH MUG

Fläche A km2 12,1 7,6

Volumen V 106m3 108,2 36,5

Maximale Tiefe zmax m 29,5 8,9

Mittlere Tiefe zm; z m Quotient V/A 8,9 4,8

Theoretische Wasseraufenthaltszeit

tR a Quotient V/Q; auch (tau) oder Tw

10,7 0,16

Uferlänge L km 30,3 14,8

Uferentwicklung U

Verhältnis von Uferlänge zum Umfang eines flächengleichen

Kreises; Anhaltspunkt für Buchtenreichtum

2,5 1,5

02.2.1.2 Thermische Eigenschaften und Schichtung 

Nach ihrer geographischen Lage in der polaren bis zur tropischen Region kann man Seen in thermische Seetypen einteilen. Die besondere Eigenschaft des Wassers, Dipole und Cluster zu bilden, beeinflusst neben dem Temperaturregime eines Sees dessen Schichtungs- bzw. Mischungsverhalten. Es werden nach der Durchmi-schung des Sees sog. Mixistypen unterschieden: solche die gar nicht (amiktisch), vollständig bis zum Gewässergrund (holomiktisch) bzw. nur bis zu einer gewissen Tiefe (meromiktisch) durchmischt werden. Der wichtigste Mixistyp in der gemä-ßigten Klimazone ist der holomiktische See, der sich je nach Tiefe des Gewässers, seiner Größe und der Windangriffsfläche di- bzw. monomiktisch oder polymiktisch verhält. In tiefen, dimiktischen Seen wechseln sich Perioden von stabiler Schich-tung und vollständiger Zirkulation ab.

Im Frühjahr und Herbst treten die Phasen der Durchmischung auf, während im Sommer eine stabile thermische Schichtung in die obere, warme Deckschicht (Epi-limnion), die Sprungschicht mit Temperaturgradienten von über 1°C/m (Metalim-nion) und die kalte Tiefenzone (Hypolimnion) typisch ist (Abb. 02.6). Diese ther-mische Zonierung ist für den Stoffhaushalt von tiefen Seen entscheidend, weil im Gegensatz zu den oft durchmischten Flachseen durch die thermischen Barrieren auch der Stofftransport beeinflusst wird. So können diese Seen als Stoffsenken in der Landschaft fungieren.

Temperaturverhält-

nisse determinieren

den Mixistyp

Durchmischung in

Frühjahr und Herbst,

stabile Schichtung in

Sommer und Winter

(Sommer- und

Winterstagnation)

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

24 2. Auflage 2018

Abb. 02.6: Sommerstagnation in einem dimiktischen See und Verhältnis von durchmisch-ter Epilimnionschicht zur durchlichteten Schicht (euphotische Zone) (nach Uhlmann und Horn. Hydrobiologie der Binnengewässer © 2001, mit freundli-cher Genehmigung der Eugen Ulmer KG, Stuttgart)

Im Winter tritt unter Eis eine inverse Schichtung ein, d.h. das „wärmere“ Wasser mit 4°C sammelt sich wegen seiner höheren Dichte in den tieferen Bereichen, wäh-rend das kältere, leichtere Wasser unter Eis in der oberen Schicht verbleibt. Es gibt Seen, die wegen ihrer Größe nicht bzw. äußerst selten zufrieren (z.B. Bodensee) und folglich keine Winterstagnation aufweisen. Diese Seen zirkulieren dann vom Herbst bis zum Frühjahr und sind folglich monomiktisch.

Im Zuge der Klimaänderung wird in den gemäßigten Zonen mit wärmeren Wintern gerechnet, die aller Voraussicht nach für einige Seen einen Wechsel von dimiktisch zu monomiktisch zur Folge haben werden. Polymiktische Seen sind wegen ihrer Flachheit während der Sommerphase nicht stabil geschichtet. Sie können wegen der zu erwartenden wärmeren Sommer und thermisch bedingter höherer Schich-tungsstabilität zu dimiktischen Seen werden (Hupfer & Nixdorf 2011).

Inverse Schichtung

im Winter

Klimawandel wird

das Mixisverhalten

verändern

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 25

02.2.1.3 Lebensräume und Besiedlung in Seen 

In der Abb. 02.7 sind die ökologischen Zonierungen eines Sees einschließlich der Uferbereiche dargestellt (Grüneberg et al. 2009).

Abb. 02.7: Morphologie und Lebensräume eines Seeufers (schematisch, verändert nach Ostendorp et al. 2004; with permission from European Regional Centre for Ecohydrology of the Polish Adacemy of Sciences).

Die wichtigsten Lebensräume in einem See sind die Freiwasserzone (Pelagial) und die Bodenzone (Benthal), die sich in einen durchlichteten (euphotisch) und einen nicht durchlichteten (aphotisch) Bereich einteilen lässt. Diese Grenze wird bei 1 % des an der Oberfläche einfallenden Lichtes gesetzt. Sie kann annähernd aus dem Wert der 2,5-fachen Sichttiefe hergeleitet werden. Die durchlichtete Bodenzone heißt Litoral und ist von Wasserpflanzen besiedelt, während das nicht durchlichtete Profundal pflanzenlos ist und nur von heterotrophen Organismen besiedelt werden kann. Die euphotische Schicht im Pelagial wird auch trophogene Zone genannt. Hier ist Photosynthese durch Primärproduzenten möglich. Im aphotischen Bereich des Pelagials ist nur Stoffab- bzw. -umbau durch Destruenten und Konsumenten möglich (tropholytische Zone).

Hauptbesiedler des Pelagials sind das Plankton und die aktiv schwimmfähigen Organismen (Nekton, hauptsächlich Fische), während die Bodenzone vom Benthos besiedelt wird (Abb. 02.8).

Ökologische

Zonierung

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

26 2. Auflage 2018

Abb. 02.8: Lebensbereiche und Besiedlung in einem See.

Nach der Größe unterscheidet man Pico- (< 2 µm), Nano- (2-20 µm), Mikro- (20-200 µm), Meio- (200-500 µm) und Makroplankton (> 500 µm) und nach der Funk-tion pflanzliches Plankton (Phytoplankton), tierisches Plankton (Zooplankton) und suspendierte Bakterien (Bakterioplankton). Der Gewässergrund (Benthal) ist im Litoral mit Mikrophytobenthos (pflanzlicher Aufwuchs auf Steinen, Stängeln, Holz, im Biofilm) und größeren Wasserpflanzen (Makrophyten) bewachsen, die man in submers (untergetaucht), emers (aufgetaucht, ganz oder teilweise über die Wasseroberfläche) und Schwimmblattpflanzen unterscheidet. Im Profundal kommt vor allem Makrozoobenthos (tierische Invertebraten, z.B. Würmer, Larven, Schne-cken, Muscheln) vor.

02.2.2 Anthropogene Seen 

Zu Seen, die durch menschliche Tätigkeit entstanden sind, gehören Baggerseen einschließlich Tagebauseen bzw. Bergbaurestseen, Sand- und Kiesseen, Tongru-ben, Steinbruchseen und Teiche. Diese Gewässer werden nach der EG-Wasser-rahmenrichtlinie zu den künstlichen stehenden Gewässern gezählt. Talsperren und Stauseen werden den stark beeinträchtigten Gewässern (HMWB, Heavely Modifi-ed Water Bodies) zugeordnet. Zu den Baggerseen gehören ehemalige Kies-, Lehm- oder Tongruben, die sich mit Wasser gefüllt haben. Mühlen- und Fischteiche sind durch den Anstau von Fließgewässern entstanden.

Plankton

Mikro- und

Makrophyten

Makrozoobenthos

Künstliche

Standgewässer LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 27

02.2.2.1 Talsperren 

Talsperren bestehen aus einem Damm oder einer Staumauer, und dem Wasserkör-per, der angestaut wird. Sie haben eine Veränderung der Wasserressourcen und der regionalen Umweltbedingungen zur Folge. Talsperren werden als "Fluss-See-Hybridsysteme" bezeichnet (Margalef 1975, Thornton et al. 1990, Soballe & Kim-mel 1987), da ihre Wasserkörper in überstauten Flusstälern zugleich Eigenschaften von Fließgewässern und Seen aufweisen. Anders als Fließgewässer sind stehende Gewässer vornehmlich durch vertikale Gradienten geprägt, z.B. im Hinblick auf Licht, Temperatur, gelöste Stoffe oder Produktions- und Abbauprozesse (Hutchin-son 1975, Wetzel 1983). Als „Fluss-See-Hybridsysteme“ weisen Talsperren gleichzeitig horizontale und vertikale Gradienten auf. Talsperren unterscheiden sich von natürlichen Seen nach Thornton et al. (1982) durch:

größeres Einzugsgebiet in Relation zur Wasserfläche,

größere mittlere und maximale Tiefen,

höhere Wasserfrachten pro Flächeneinheit und kürzere Wasseraufenthaltszeiten.

02.2.2.2 Tagebauseen 

In Deutschland entstanden bzw. entstehen etwa 500 Seen aus ehemaligen Tagebau-restlöchern. Ein Teil der Tagebauseen ist durch niedrige pH-Werte zwischen 2,5 und 3,5 und hohe Eisen-, Sulfat- und Calciumkonzentrationen gekennzeichnet. Die Versauerung ist ein Ergebnis der Oxidation von Pyrit und Markasit, die in tertiären Substraten vor allem des Lausitzer, aber auch des Mitteldeutschen und Bayrischen Braunkohlereviers vorkommen. Durch den Kontakt mit Sauerstoff bzw. Fe3+ wer-den Sulfide in den Kippen oxidiert. Das dabei entstehende Fe2+ und Calcium, Sul-fat sowie Hydrogencarbonat gelangen mit dem Kippengrundwasser in das sauer-stoffhaltige Seewasser, wo es zu Fe3+ oxidiert wird. Bei pH > 3 hydrolysiert Fe3+ sofort und fällt als Fe(OH)3 bzw. Eisenhydroxysulfat aus, wobei die dabei frei wer-denden Protonen den eigentlichen Säureschub bewirken.

Neben den sauren Tagebauseen sind aber auch zahlreiche neutrale Seen entstanden, darunter einige der bisher größten und tiefsten Seen, z.B. Bärwalder See (44 m tief, 1229 ha), Altdöberner See (68 m tief, 879 ha) und Bernsteinsee (445 ha) in der Lausitz, Goitzsche (1331 ha, 49 m tief) und Seelhausener See (643 ha) in Sachsen-Anhalt oder Cospudener (441 ha, 54 m tief) und Werbeliner See (441 ha) in Thü-ringen. Die weitaus größten Seen werden jedoch im Niederrheinischen Kohlerevier entstehen. Die Tagebauseen Inden II (Volumen 806 Mill. m³, 181 m tief), Garzwei-ler (Volumen 2.000 Mill. m³, 190 m tief) und Hambach (Volumen 5500 Mill. m³, 325 m tief) werden nach ihrer Füllung im 22. Jahrhundert zu den größten und tiefs-ten Seen Deutschlands gehören.

Fluss-See-Hybride

Häufig saures Milieu

Neutrale Tagebauseen LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

28 2. Auflage 2018

Eine Besonderheit von Tagebauseen ist die Vielfalt der Seebeckenmorphometrie, die von der ehemaligen Fördertechnologie abhängig ist. So gibt es viele kleine Litoralseen aus den Anfangszeiten der Braunkohleförderung (Plessa-Region) bis hin zu den erwähnten sehr großen und tiefen Seen mit zum Teil meromiktischem Charakter. Neben einfachen Hohlformen mit geringer Uferentwicklung gibt es auch viele dimiktische Seen mit komplizierter Morphometrie. Häufig anzutreffen sind Seen mit großen flachen, polymiktischen Bereichen und tiefen und schmalen Randschläuchen, die im Sommer thermisch geschichtet sind. Oft gibt es auch In-seln, die aus Innenkippen entstanden sind (Abb. 02.9).

Abb. 02.9: Altdöbener See und Grünewalder Lauch (Fotos: B. Grüneberg).

02.2.3 Typisierung  von  Standgewässern  in  Bezug  auf  die ökologische Bewertung durch die EG‐WRRL 

02.2.3.1 Typisierungskriterien für Standgewässer 

Die EG-Wasserrahmenrichtlinie beinhaltet einen typenspezifischen Ansatz, d.h. für eine leitbildgestützte Bewertung der Seen müssen Seentypen entwickelt werden, die im anthropogen unbelasteten Zustand eine jeweils charakteristische Lebensge-meinschaft (Referenzbiozönose) besitzen. Als Basis für eine Seentypisierung wur-de seitens des LAWA-Unterausschusses „Bewertung stehender Gewässer“ (Mathes et al. 2002) ein Seetypensystem erarbeitet, in das sich im Idealfall die für die Was-serrahmenrichtlinie relevanten Biozönosen (Phytoplankton, Makrozoobenthos, Makrophyten/Phytobenthos, Fische) einordnen lassen.

Vielfältige See-

beckenmorphometrie

Bezugspunkt für die

leitbildgestützte

Seenbewertung ist die

Referenzbiozönose LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 29

Es ist ratsam, die Typisierung unter praktikablen Gesichtspunkten vorzunehmen und somit die Anzahl der Typen gering zu halten, weil für jeden Typ Referenzzu-stände und entsprechende vier Degradationszustände (guter, mäßiger, ungenügen-der, schlechter Zustand) für alle relevanten Organismengruppen entwickelt werden müssen. Die Einschränkung der Seen auf Seeflächen ≥ 50 ha reduziert die Anzahlder zu betrachtenden Seen in Deutschland bereits erheblich. Die Typisierung er-folgte nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie gemäß System B, ergänzt durch weitere Kriterien nach System A. Zur Abgrenzung der Typen werden geo-graphische, topographische, geologische, hydrologische und morphometrische Kenngrößen verwendet. Wesentliche Kriterien sind:

Größe (Mindestseefläche 50 ha);

Ökoregion;

Calcium-Konzentration als Maß für die geochemischen Verhältnisse des Ein-zugsgebietes (Hart- oder Weichwassergebiet);

Verhältnis Einzugsgebietsgröße/Seevolumen als Maß für den Einfluss des Ein-zugsgebietes auf den Wasser- und Stoffhaushalt des Sees;

Schichtungseigenschaften für die morphometrische und stoffliche Charakteri-sierung des Sees.

Als erster Anhaltspunkt für die Lebensgemeinschaften der verschiedenen Seenty-pen wurde die Trophie herangezogen. Sie charakterisiert die Verhältnisse im Phy-toplankton, die später als ein wichtiges biozönotisches Kriterium heranzuziehen sein wird, und die chemisch-physikalischen Verhältnisse. Die übrigen, für die Wasserrahmenrichtlinie relevanten Biozönosen konnten aufgrund der noch fehlen-den Leitbilder vorerst nicht berücksichtigt werden.

Mit Hilfe des vorhandenen Datenmaterials von knapp 400 Standgewässern aus allen Regionen Deutschlands wurden die Grenzwerte für die einzelnen Kriterien unter dem Gesichtspunkt einer praktikablen Anwendung festgelegt.

02.2.3.2 Ökoregionen 

Die Alpen und das Alpenvorland umfassen unabhängig von einer bestimmten Hö-henlinie das Gebiet des Gebirges selbst, den Alpenrand (z.B. mit dem Bodensee) sowie alle Gebiete nördlich der Alpen, in denen die Seen geologisch (Gesteins-schotter aus den Alpen), damit gewässerchemisch alpin sowie durch ein alpines Abflussregime (Frühjahrs- und Sommerhochwässer infolge Schneeschmelze, hoher Schwebstoffanteil, niedrige Zuflusstemperaturen) charakterisiert sind. Dabei wer-den Alpenseen und Voralpenseen voneinander abgegrenzt.

Alpenseen sind unabhängig von ihrer Lage (in den Alpen oder im Vorland) durch die oben beschriebenen Charakteristika der meist großen alpinen Einzugsgebiete

Referenz- und Degra-

dationszustände

Typisierungskriterien

Trophie

Alpen und

Alpenvorland

Alpenseen:

nährstoffarm

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

30 2. Auflage 2018

besonders geprägt. Diese Faktoren bedingen einen natürlicherweise nährstoffarmen Status und eine geringe Primärproduktion. In höher gelegenen alpinen Seen, die in Deutschland nur mit Flächen < 50 ha vorkommen, kann die hohe Strahlung das Plankton schädigen und dadurch die Primärproduktion zusätzlich limitieren.

Alpenvorlandseen werden dagegen nicht durch Zuflüsse aus den Alpen gespeist. Diese Seen sind meistens wärmer, haben ein von den Alpenseen abweichendes hydrologisches Regime, geringe oder keine Schwebstoffzufuhr und die Einzugsge-biete sind kleiner als die alpiner Seen. Unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. geringe mittlere Tiefe) ist dort ein höherer potenziell natürlicher Trophiestatus möglich.

Beide Seengruppen dieser Region sind aufgrund der geologischen Voraussetzun-gen (nördliche Kalkalpen) kalkreich und können zusätzlich durch Grundwasser beeinflusst sein. Das Voralpenland und die geologisch und klimatisch heterogenen Mittelgebirge sind so verschieden, dass es nicht sinnvoll ist, die Seen der Voralpen mit denen der Mittelgebirge zusammenzufassen.

Die zentralen Mittelgebirge schließen nördlich an das Alpenvorland an, umfassen u.a. die Schwäbische Alb, den Schwarzwald, den Bayerischen Wald, OberpfälzerWald, Fichtelgebirge, Thüringer Wald, die Gebiete der oberen Donau, des Ober-rheins und der Oberweser, Spessart, Odenwald, Rhön, Rothaargebirge, RheinischesSchiefergebirge bis zum nördlichen Rand der Mittelgebirge, Teutoburger Wald,Weserbergland, Leinebergland, Harz und Erzgebirge. Auch in den Mittelgebirgenkönnen Seen in Tallagen zum einen durchaus unterhalb der von Illies (1978) veran-schlagten Höhengrenze von 200 m liegen, zum anderen existieren beispielsweiseim Schwarzwald auch Seen oberhalb von 800 m Höhenlage.

Die Zahl der natürlichen Seen mit einer Größe von ≥ 50 ha ist in den Mittelgebir-gen sehr gering. Die überwiegende Anzahl stehender Gewässer dieser Größe ist künstlich (zumeist Talsperren und Speicherbecken). Diese Seen sind auf Grund der geologischen Voraussetzungen (Granit, Gneis, Buntsandstein, Schiefer) meistens kalkarm und oft leicht sauer. Vor allem kleinere Gewässer sind versauerungsge-fährdet oder bereits versauert. Wegen der überwiegend durch Wald geprägten Ein-zugsgebiete ist für die Seen auf Festgesteinen ein potenziell nährstoffarmer Status anzunehmen. Einige dieser Seen sind zudem huminstoffgeprägt (z.B. Eckertalsper-re, Schluchsee).

Das norddeutsche Flachland schließt sich nördlich an die Mittelgebirgsregion an und reicht bis zur Nord- und Ostsee. In dieser Ökoregion hat sich eine Reihe von Seentypen gebildet, die sich auch biozönotisch von den beiden vorgenannten Gruppen unterscheiden. Es sind kalkreiche, aber auch kalkarme Seen anzutreffen. Letztere sind jedoch selten und bis auf eine Ausnahme (Ewiges Meer) kleiner als

Alpenvorlandseen

Meist kalkreich

Mittelgebirgsseen

Meist kalkarm und

leicht sauer

Norddeutsches

Flachland:

meist flache, kalk-

reiche Seen

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 31

50 ha. Prägend für die Ökoregion sind überwiegend flachere Seen. Die Einschrän-kung auf Seen mit einer Mindestwasserfläche von 50 ha reduziert die dort theore-tisch zu erwartende große Zahl von Seentypen erheblich.

02.2.3.3 Chemische Eigenschaften (insb. Härte) 

Für die Charakterisierung der geochemischen Verhältnisse des Einzugsgebietes wird die Calcium-Konzentration des Seewassers herangezogen, indem Kalkreich-tum bzw. -armut bei Werten größer/gleich bzw. kleiner 15 mg/l unterschieden wird.

Eine weitere Differenzierung der Calcium-Konzentration erscheint nicht sinnvoll, da das vorhandene Datenmaterial nur wenige kalkarme Seen im Mittelgebirge ent-hält. An Talsperren wurde festgestellt, dass die pH-Werte bei einer Calcium-Konzentration kleiner 15 mg/l in den sauren Bereich wechseln, ab 15 mg/l Ca je-doch gut gepuffert sind und stabil bei bzw. über pH 7 bleiben. Auch im Rahmen der Seenbewertung nach trophischen Kriterien wird dieser Grenzwert für die Diffe-renzierung von kalkarmen bzw. kalkreichen Böden genutzt (LAWA 1999).

Da die Calcium-Konzentration in der Regel eng mit der Leitfähigkeit korreliert ist, kann diese bei fehlenden Calcium-Daten alternativ zur Abgrenzung genutzt wer-den. Anhand des vorliegenden Datenmaterials ergibt sich für kalkarme Seen ein Grenzwert von < 180 µS25/cm. Eine Ausnahme bilden stark saure Gewässer, bei denen die Leitfähigkeit durch die hohe Konzentration der Protonen bestimmt wird.

02.2.3.4 Charakterisierung des Einzugsgebietes 

Der Einfluss des Einzugsgebietes wird über das Verhältnis der Einzugsgebietsflä-che (inklusive Seefläche) zum Seevolumen charakterisiert, wobei unterschieden wird, ob der Quotient größer bzw. kleiner/gleich 1,5 ist.

Natürliche Seen stehen durch ihre Zuflüsse und den direkten See-Umland-Kontakt in enger Wechselwirkung mit ihrem Einzugsgebiet. In der Regel gilt: je größer das Einzugsgebiet, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der See nährstoffreich ist; regionale Unterschiede sind möglich (z.B. in den Alpen). Hinsichtlich der Nähr-stoffausnutzung spielt hingegen die Seebeckenmorphologie eine bedeutende Rolle. Ein flacher See ist bei gleicher Nährstoffkonzentration produktiver als ein tiefer See. Daher ist das Verhältnis der Einzugsgebietsfläche (inklusive Seefläche) zum Seevolumen (VQ [km²/106m³]) ein relativ gutes Maß für die Wirkung des Einzugs-gebiets auf den Stoffhaushalt des Sees.

Das vorhandene Datenmaterial ergibt, dass die Mehrzahl der natürlichen Seen mit einem VQ bis zu 1,5 im Istzustand eine geringe Trophie aufweist. Bei nur 29 % der

Calcium-

Konzentration

Leitfähigkeit

VQ-Wert

Großes Einzugsgebiet

i.d.R. nährstoffrei-

che Seen

Hohe Biomasse-

produktion in

flachen Seen

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

32 2. Auflage 2018

natürlichen Seen mit VQ ≤ 1,5 liegt die Trophie über mesotroph. Diese sind zurHälfte ungeschichtet und vermutlich aus diesem Grund produktiver. Bei Erhöhung der Grenze von VQ auf ≤ 2 erhöht sich der Prozentsatz auf 38 %. Bei Werten abVQ > 2 sind die Seen zu 90 % eutroph e1 (siehe Tab. 05.2) und produktiver. Es wird daher vorgeschlagen, die Grenze für den „Seentyp mit kleinem Einzugsge-biet“ bei VQ ≤ 1,5 zu legen. Bei stark bewaldeten oder alpinen Einzugsgebieten,Seenketten oder auch anderen natürlichen Gegebenheiten, die die Nährstofffracht aus der Fläche vermindern, ist vom Bearbeiter zu entscheiden, ob die Grenze ggf. höher angesetzt werden kann.

02.2.3.5 Durchmischungsregime von Seen 

Für die Klassifizierung nach Seetypen wird die Unterscheidung zwischen geschich-teten und ungeschichteten Gewässern herangezogen. In flachen ungeschichteten oder schwach geschichteten Seen stehen die Nährstoffe, die im Wasser oder Sedi-ment nach der Zersetzung wieder freigesetzt werden, dem Algenwachstum unmit-telbar wieder zur Verfügung. Massenentwicklungen von Algen, vor allem im Sommer, sind in eutrophierten Seen die Folge. Daher ist es wahrscheinlich, dass sich die Biozönosen von geschichteten und ungeschichteten Seen unterscheiden. Es wird empfohlen, einen See als geschichtet einzuordnen, wenn die thermische Schichtung an der tiefsten Stelle des Sees für mindestens drei Monate stabil bleibt. Sofern nicht genügend Messdaten zum Schichtungsverhalten des Sees vorliegen, kann als Hilfsgröße der Tiefengradient benutzt werden.

02.2.3.6 Theoretische Aufenthaltszeit von Gewässern 

Eine weitere Kenngröße des Einzugsgebietes mit Einfluss auf die Biozönose von Standgewässern ist die theoretische Wasseraufenthaltszeit. Da die Jahresabfluss-menge eines Sees aber nur sehr schwer zu erfassen ist und von Jahr zu Jahr sehr stark schwanken kann, ist die theoretische Wasseraufenthaltszeit und insbesondere die in diesem Zusammenhang interessierende sommerliche Verweildauer nur grob abschätzbar. Mit Ausnahme von wenigen stark durchflossenen Mittelgebirgstal-sperren (Pirk, Ratscher, Neunzehnhain 1) liegen die mittleren jährlichen und die sommerlichen theoretischen Verweilzeiten der Gewässer in der Alpen- und Mittel-gebirgsregion in der Regel über 30 Tagen und lassen damit einen biozönotisch wirksamen Durchspüleffekt in den Hintergrund treten. Im Flachland lässt sich über mittlere sommerliche Verweilzeiten (Mai bis Oktober) über 3 Tage (Abgrenzung zum typischen Fließgewässer), aber unter 30 Tagen der Typ eines Flusssees cha-rakterisieren. Diese Gewässer werden über größere Einzugsgebiete (großer Flä-chen- bzw. Volumenquotient) versorgt, haben verhältnismäßig geringe Volumina, sind flach und demzufolge alle polymiktisch.

Schichtungsverhalten

hat Einfluss auf die

Biozönose

Wasser-Verzeilzeit in

Seen der Gebirgs- und

Mittelgebirgsregion

meist > 30 Tage LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 33

02.2.3.7 Typisierungssystem für Standgewässer 

Für die Klassifizierung der Seen nach Gewässertypen lagen Angaben von insge-samt 377 Gewässern ≥ 50 ha vor, von denen 319 Seen komplette Datensätze auf-wiesen. Es handelt sich um Datenmaterial von Seen natürlicher Entstehung und von Talsperren. Weitere künstliche Gewässertypen lassen sich mit dem vorliegen-den Typisierungssystem nicht erfassen und werden zunächst unter der Rubrik Son-dertypen geführt. Das trifft insbesondere auf die Abgrabungsseen zu, die grund-wassergespeist sind und daher in den meisten Fällen nur unwesentlich vom oberir-dischen Einzugsgebiet beeinflusst werden.

Mit Hilfe der oben genannten Kriterien ergeben sich für Deutschlands Standgewäs-ser mit Mindestwasserflächen von 50 ha insgesamt 10 Haupttypen für Seen natürli-cher Entstehung sowie weitere 4 Gewässertypen der Mittelgebirgsregion, die fast ausschließlich Talsperren enthalten (Tab. 02.4 und Abb. 02.10). Die Verteilung der Seen in den Ökoregionen ist in Abb. 02.11 dargestellt.

Tab. 02.4: Haupttypen von Seen natürlicher Entstehung und Talsperren.

Alpen- und Voralpenregion:

Voralpenseen: kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, ungeschichtet [1]

Voralpenseen: kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, geschichtet [2]

Voralpenseen: kalkreich, relativ kleines Einzugsgebiet, geschichtet [3]

Alpenseen: kalkreich, geschichtet [4]

Mittelgebirgsregion:

kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, geschichtet, (nur Talsperren) [5]

kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, ungeschichtet, (fast nur Talsperren) [6]

kalkreich, relativ kleines Einzugsgebiet, geschichtet, (eine Talsperre, ein nat. See) [7]

kalkarm, relativ großes Einzugsgebiet, geschichtet, (nur Talsperren) [8]

kalkarm, relativ kleines Einzugsgebiet, geschichtet, (fast nur Talsperren) [9]

Flachlandregion:

kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, geschichtet [10]

kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, ungeschichtet, Verweilzeit > 30d [11]

kalkreich, relativ großes Einzugsgebiet, ungeschichtet, Verweilzeit 3 - 30d [12]

kalkreich, relativ kleines Einzugsgebiet, geschichtet [13]

kalkreich, relativ kleines Einzugsgebiet, ungeschichtet [14]

10 Haupttypen

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

34 2. Auflage 2018

Abb. 02.10: Typisierungssystem für die Seen und Talsperren Deutschlands mit Wasser-flächen ab 50 ha Typisierungsschema nach Mathes et al. (2002).

LESEPROBE

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ÖKOLOGISCHE TYPISIERUNG

2017, 2018 Universität Koblenz-Landau 35

Abb. 02.11: Verteilung der stehenden Gewässer auf die Seentypen (Quelle: Umweltbundes-amt nach Angaben der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA))

02.3 ÜBUNGS‐ UND SELBSTKONTROLLAUFGABEN 

Aufgabe 02.3.1:

Was wird im River Continuum Concept beschrieben? Erläutern Sie kurz die wich-tigsten Punkte.

Aufgabe 02.3.2:

Erläurern Sie kurz, wie Gewässerlandschaften entstehen.

Aufgabe 02.3.3:

Welche Bedeutung hat die Gewässertypisierung im Hinblick auf Gewässerbewer-tung und -entwicklung (Renaturierung, Maßnahmenplanung)?

Aufgabe 02.3.4:

Welche Probleme können bei einer unzutreffenden Typisierung der Fließgewässer im Hinblick auf Bewertung und Renaturierung auftreten?

Aufgabe 02.3.5:

Nach welchen Kriterien können Seen klassifiziert werden? Nennen Sie vier Bei-spiele.

Aufgabe 02.3.6:

Warum sind flache Seen bei gleicher Nährstoffkonzentration im Mittel produktiver als tiefe Seen? Welche Rolle spielt das Einzugsgebiet für die Produktivität von Seen?

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