FEUILLETON Nummer 186 5 Auf gute Nachbarschaft! · 2018. 8. 29. · polierte Schnitte von...

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FEUILLETON Montag, 13. August 2018 Nummer 186 5 Im Grenzort Bayerisch Eisen- stein begegnet man den meisten Touristen in der Bahnhofstraße, die parallel zu den Bahngleisen Bayern mit Böhmen verbindet, schrankenlos. Tritt man aus dem Schatten der mächtigen Bäume am Straßenrand, blickt man auf den „König des Bayerischen Wal- des“, den Arber. Der Arberland- Tourismus preist die Eisensteiner Bahnhofstraße als „Erlebnisallee“ an, denn hier reihen sich heute ein „Localbahnmuseum“, „Natur- park-Welten“, eine gastronomi- sche „Schmugglerhütte“ – und die „Kuns(t)räume“ aneinander. Regionales, aber auch Rembrandt, Dalí und Miró Das ehemalige Postamt gab vor fünf Jahren dank Kunstmäzen Christian Bayerl der Kunst seine Räume. In Sonderausstellungen waren bisher neben renommier- ten Künstlern aus der Region auch Salvador Dalí, Rembrandt oder Miró zu sehen. 2018 hat man das 100-jährige Bestehen des Frei- staats Bayern und der tschechi- schen Republik zum Anlass der Gruppenausstellung „Kunst aus Bayern & Böhmen“ gemacht. Falsch liegt, wer glaubt, diese möchte 100 Jahre Kunst der Nachbarländer darstellen. Die Kuratoren Sven und Fritz Bauer haben nach Gutdünken und auf- grund eigener Kontakte zeitge- nössische Künstler eingeladen, fünf aus Niederbayern und fünf aus dem tschechischen Pilsen. Dabei waren sie auf Qualität und vielseitige künstlerische Aus- drucksformen bedacht. Sonst un- terliegt die Künstlerauswahl kei- nem speziellen Anspruch – viele andere hätten ebenso an ihrer Stelle vertreten sein können. Für Bayern stellen Sandra Hu- ber (seriell-konstruktive Ölmale- rei), Martina Kreitmeier (Bild- hauerei aus Holz und Bronze), Gerhard Lutz (durchbrochene Keramik), Christoph Müller (digi- tale Fotografie) und Toni Scheu- beck (Arbeiten seiner Pendelse- rie) aus. Für Tschechien Ivan Bukovský (monumentale Ölmale- rei), Jaroslav Hausner (digitale Fo- tografie), Jan Jelínek (surrealisti- sche Ölmalerei), Tom Kůs (Grafik, Malerei, Skulpturen) und Václav Šmolík (expressiv-realistische Öl- malerei). Herausgekommen ist ei- ne ansprechend installierte Aus- stellung, in der sich jeder Künstler in einem eigenen Raum präsentie- ren kann. Ausgehängte biografi- sche Daten erleichtern den Zu- gang. Im Kabinett von Ivan Bukovský riecht ein Ölbild noch nach Farbe, so neu ist es. Ansons- ten zeigen alle Beteiligte Arbeiten aus verschiedenen Zeiträumen ih- res Schaffens. Für Kunstliebhaber aus Nieder- bayern sind die Fotografien von Christoph Mathias Müller eine Neuentdeckung. Müller verbin- det in seiner Biografie Bayern mit Tschechien, sein Vater stammt aus Passau, seine Mutter aus Brünn. Der 52-jährige Diplomsoziologe arbeitet beim Bayerischen Rund- funk in München. Nebenbei foto- grafiert er, seit 30 Jahren, stets mit Die Kunst hier muss weder berühmt noch neu sein gesenktem Blick: seine Motive stammen vom Wald- oder Moor- boden. Die eingefangenen Details verfremdet er digital und druckt sie auf Glas. Dabei entstehen farb- intensive Bilder, die teils male- risch wirken. Manche erinnern an polierte Schnitte von Mineralien, andere öffnen unbekannte orga- nische Kosmen. Die Arbeiten der fünf Künstler aus Pilsen (mit Geburtsjahr zwi- schen 1944 und 1955) zeigen typi- sche Merkmale tschechischer Kunstschulen und -traditionen: etwa ausdrucksvolle Malerei, auf kräftigen Grundfarben basierend (Šmolík), oder in altmeisterlicher Technik großformatik angelegt (Bukovský), oder fantastisch hin- tergründig (Jelínek). Im größten Raum, dem Flur, zeigt Tom Kůs fantasievolle Vielfalt in verschie- denen Werktechniken und Stilen. „Seine Grafik und Malerei könnte man mit einem Spaziergang durch die Kulturgeschichte und die Ge- genwart vergleichen“, heißt es in Auf gute Nachbarschaft! „Kunsträume grenzenlos“ am Grenzbahnhof in Bayerisch Eisenstein zeigen zeitgenössische Kunst aus Bayern und Böhmen seiner Kurzbiografie. Seine skur- rilen Skulpturen schweißt er aus Alteisen, dazu arrangiert er pas- sende Fundstücke. Beiläufig könnte man auch die naturalistische Bildhauerei von Martina Kreitmeier aus Altfraun- hofen bei Landshut tschechischer Herkunft zuordnen. Sie zeigte ih- re Holzskulpturen und Bronze- Kleinplastiken 2015 beim Kunst- verein Passau. Der als Steinbild- hauer bekannte Toni Scheubeck aus Arnschwang stellt Arbeiten aus seiner konzeptionellen Pen- del-Serie – Zeichnungen, Frotta- gen, Fotografien und „Tritte“ in Stein – aus, die 2015 im National- park-Infohaus in Neuschönau zu sehen war. Der angesehene Kera- miker Gerhard Lutz aus Nieder- alteich zeigt eine Auswahl seiner markanten, teils verschachtelten Steinzeug- und Porzellanformen mit filigran durchbrochenen Oberflächen. Die charakteristi- sche Malerei der Passauerin Sand- ra Huber war in Ostbayern zuletzt mehrfach zu sehen. Passend zur Nachbarlandthematik in Eisen- stein zeigt Huber u. a. Bilder ihrer „Nachbarschaft“-Reihe. Bekannt- oder Neuheit sind in- des für eine Kunstgalerie in einem touristischen Grenzort keine schlagenden Kriterien, herrscht hier ja eine besondere Perspekti- ve. Für tschechische Besucher sind die bayerischen Künstler un- bekannt, und umgekehrt. Und für weiter angereiste Urlauber stellt alle regionale Kunst Neuland dar. Aus Sicht der ausstellenden Künstler ergibt sich so ein erwei- tertes Portal, um beachtet zu wer- den. Gabriele Blachnik Bis 19. Oktober in Bayerisch Ei- senstein, Bahnhofstrasse 52, di- rekt am Grenzbahnhof mit Halte- station der stündlich fahrenden Waldbahn, Mi.–So. 10.30–17 Uhr kunstraeume-grenzenlos.de Spatenstich für Museum der Moderne erst 2019 Das von den Schweizer Stararchi- tekten Her- zog & de Meuron entworfene Museum der Moder- ne in Berlin kommt später als ge- plant. Der erste Spatenstich ist nach Angaben von Kulturstaats- ministerin Monika Grütters erst für das kommende Jahr geplant. Eigentlich hatte das Gebäude in der Nähe des Potsdamer Platzes schon 2021 fertig sein sollen. Die Architekten hätten inzwischen ihren Wettbewerbsentwurf in Ab- sprache mit den Nutzern weiter- entwickelt, er werde im Herbst vorgestellt, sagte Grütters. Die Berliner Öffentlichkeit hatte mit Häme („Scheune“, „Reitstall“, „neuer Aldi“) auf den Siegerent- wurf reagiert. Grütters schloss nicht aus, dass auch die veran- schlagten Kosten von 200 Millio- nen Euro aus dem Bundeshaus- halt noch steigen könnten. - dpa Bauern und Zirkus in Regensburger Museum Unter dem Titel „Schlachter des guten Gewissens“ sind im Kunst- forum Ostdeutsche Galerie in Re- gensburg vom 5. Oktober bis 13. Januar 2019 rund 100 Bilder von Paul Holz (1883–1938) zu sehen. „In virtuosen Federzeichnungen hielt Holz bevorzugt Bauern- und Zirkusszenen fest, die seinen schonungslosen und zugleich sensiblen Blick auf das menschli- che Leben widerspiegeln“, so die Ausstellungsmacher. In Koopera- tion mit der Akademie der Künste Berlin werden zudem Arbeiten von Käthe Kollwitz und anderen Zeitgenossen präsentiert. - kna KULTUR IN KÜRZE Heiße Diskussionen auf den Partys und in den Bars am Lago Maggiore über die Jury-Entschei- dungen des 71. Filmfestivals Lo- carno: Vor allem der Goldene Leopard für „A Land Imagined“ von Regisseur Yeo Siew Hua (Sin- gapur) hat überrascht. Doch alle stimmen dem Festival-Fazit des scheidenden Leiters und künfti- gen Berlinale-Chefs Carlo Chatri- an zu, der zum Abschluss resü- mierte: „Es war eine reiche Ausga- be, ohne Berührungsängste, an der sich Lächeln und Nachdenk- lichkeit nicht ausschlossen.“ Wobei der Gewinner des Gold- enen Leoparden vor allem Nach- denklichkeit auslöst. Der Film er- zählt in einer raffinierten Montage von Thriller, Lovestory und Do- kumentation die Geschichte eines Polizisten auf der Suche nach ei- nem verschwundenen Leiharbei- ter. Die spannende Geschichte mündet in eine kompromisslose Kritik an modernen Methoden der Ausbeutung. Mit dem Film hat die Jury einen in seiner Verbin- dung von Publikumswirksamkeit und Gesellschaftskritik für diesen Festival-Jahrgang von Locarno ty- pischen Film ausgezeichnet. Den Spezialpreis der Jury erhielt der einzige Dokumentarfilm im Hauptwettbewerb: „M“. Die fran- zösische Regisseurin Yolande Zauberman beleuchtet darin sen- sibel den Kindesmissbrauch in ei- ner ultraorthodoxen Gemein- schaft in Israel. Der Film beein- druckt so, weil er ausgehend von erschütternden Schicksalen fragt, wieso es in einer auf Harmonie und Frieden ausgerichteten Ge- meinschaft zu unmenschlichem Verhalten kommen kann. Gerade weil Yolande Zauberman keine vorschnellen Antworten gibt, ist das ungemein wirkungsvoll. Das hoch gehandelte deutsche Antiterrorismus-Drama „Winter- märchen“ (Regie: Jan Bonny) ging leer aus. Aber das deutsche Kino hatte Erfolg in der Nachwuchs- Sektion: „Alles ist gut“ von Regis- seurin Eva Trobisch wurde als bes- ter Debütfilm ausgezeichnet. Das schon auf dem Filmfest München mit Preisen bedachte Drama um eine junge Frau in einer Krise konnte auch auf internationalem Parkett bestehen. Peter Claus Eva Trobisch aus Berlin in Locaro ausgezeichnet Mit Krise zum Preis Im ehemaligen Postamt am Bahn- hof von Bayerisch Eisenstein sind die „Kunsträume grenzenlos“ un- tergebracht. Neben Dauerausstel- lungen und einem Galerieshop gibt es hier regelmäßig Sonderausstel- lungen – wie derzeit die „Kunst aus Bayern & Böhmen“. Sandra Huber: „Nachbarschaft“, Öl auf Leinwand. Faszinierende Perspektive auf die Welt: Jan Jelíneks „Erdschichten“ in Öl auf Karton, derzeit in Bayerisch Eisenstein. - Fotos: Blachnik Jaroslav Hausner: Fotografie digi- tal bearbeitet. Christoph Müller: „Aufklärung“, Fotografie digital bearbeitet, ge- druckt auf Echtglas. Regisseurin Eva Trobisch (35) aus Deutschland mit ihrem Preis für das beste Erstlingswerk in der Katego- rie „Signs of Life“ für ihren Film „Al- les ist gut“. Regisseur Yeo Siew Hua (r.) aus Singapur und Schauspielerin Luna Kwok aus China mit dem Goldenen Leoparden für „A Land Imagined“. - Fotos: A. Wey/Keystone/dpa Der Mann hatte einen doppel- ten Migrationshintergrund: Mit 18 Jahren zog V. S. Naipaul ins fer- ne England und sagte seinen El- tern auf Trinidad Lebewohl. De- ren Vorfahren wiederum waren aus Indien auf die Karibikinsel ge- kommen. Brite, Inder und Karibe – die Erfahrung, verschiedenen Kulturen anzugehören und in kei- ner ganz zu Hause zu sein, prägte das Schaffen des Literaturnobel- preisträgers. Am Samstag starb V. S. Naipaul im Alter von 85 Jah- ren in London im Kreis seiner Fa- milie. Der weltberühmte Schrift- steller hinterlässt seine Frau Nadi- ra und eine Tochter. Geboren wurde Sir Vidiadhar Surajprasad Naipaul 1932 in Cha- guanas, einer Kleinstadt, rund ei- ne halbe Autostunde südlich von Trinidads Hauptstadt Port of Spain. Die Gegend dort wirkt mit ihren Hindutempeln und Mo- scheen wie ein Stück Asien in der Karibik – Spuren der Einwande- rer, die die britischen Kolonialher- ren im 19. Jahrhundert als Arbei- ter vom indischen Subkontinent nach Westindien holten. Auch Naipauls Geburtshaus steht noch. Das „Lion House“ ist einer der Schauplätze in Naipauls wohl be- kanntestem Roman, „Ein Haus für Mr. Biswas“ (1961, dt. 1981). Hinter dem Romanhelden Bis- was steckte Seepersad Naipaul, der früh verstorbene Vater des Au- tors. Ihm gelang es, vom bettelar- men Dörfler zum Journalisten in der Hauptstadt aufzusteigen und ein Haus in Port of Spain zu kau- fen. Das eigene Haus hieß für ihn, „einen Anspruch auf seinen Teil der Erde geltend zu machen.“ Den Sohn trieb es in die Ferne. Ein Stipendium ermöglichte 1950 ein Studium in Oxford, und ob- wohl er unter Heimweh und engli- Der Lebensreisende schem Essen litt, war Naipaul ent- schlossen, nicht zurückzukehren. „Ich würde geistig völlig verküm- mern“, schrieb er seinem Vater. Trinidad, das waren für ihn Unter- entwicklung und Perspektivlosig- keit, Großbritannien dagegen Bil- dung und Zivilisation. Nach Jahren als Journalist be- gann Naipaul, Romane zu schrei- ben. Die ersten spielten auf Trini- dad. Später erkundete er Afrika, Asien und Lateinamerika und ver- arbeitete seine Eindrücke in Ro- manen, Reportagen und Essays. In „Land der Finsternis“ (1964, dt. 1997) und zwei Folgebänden ana- lysierte er kritisch die Verhältnisse in Indien. In „Eine Islamische Rei- se“ (1981, dt. 1982) wurde er zum Islamkritiker. Der Roman „An der Biegung des großen Flusses“ (1979, dt. 1980) beschrieb Chaos und Gewaltherrschaft in den un- abhängig gewordenen Staaten Afrikas. In der Romanbiografie „Das Rätsel der Ankunft“ (1987) erzählte er sein Leben zwischen den Kontinenten. Naipauls Stärken waren seine klare, schnörkellose Sprache, sein Recherchefleiß und seine Fä- higkeit, genau zu beobachten. Er wurde von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen, 2001 er- hielt er den Literaturnobelpreis. „The world is what it is“ (Die Welt ist, was sie ist) lautet der Einstiegs- satz von „An der Biegung des gro- ßen Flusses“. Das ist auch der Ti- tel einer 2008 erschienenen auto- risierten Biografie des britischen Literaturwissenschaftlers Patrick French, in der zum Teil wenig Schmeichelhaftes über den No- belpreisträger steht. So zum Bei- spiel, wie er seine erste Ehefrau Patricia Hale behandelte, die er demnach über Jahrzehnte ver- nachlässigte, demütigte und be- trog, und die 1996 an Krebs starb. V. S. Naipaul gestand eine Mit- schuld an ihrem Tod ein. Uli Hesse &Klaus Blume V. S. Naipaul war nirgendwo ganz zu Hause – Jetzt ist er verstummt 2001 erhielt er den Nobelpreis: V. S. Naipaul. - Foto: Chris Ison/dpa

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  • FEUILLETONMontag, 13. August 2018 Nummer 186 5

    Im Grenzort Bayerisch Eisen-stein begegnet man den meistenTouristen in der Bahnhofstraße,die parallel zu den BahngleisenBayern mit Böhmen verbindet,schrankenlos. Tritt man aus demSchatten der mächtigen Bäumeam Straßenrand, blickt man aufden „König des Bayerischen Wal-des“, den Arber. Der Arberland-Tourismus preist die EisensteinerBahnhofstraße als „Erlebnisallee“an, denn hier reihen sich heute ein„Localbahnmuseum“, „Natur-park-Welten“, eine gastronomi-sche „Schmugglerhütte“ – und die„Kuns(t)räume“ aneinander.

    Regionales, aber auchRembrandt, Dalí und Miró

    Das ehemalige Postamt gab vorfünf Jahren dank KunstmäzenChristian Bayerl der Kunst seineRäume. In Sonderausstellungenwaren bisher neben renommier-ten Künstlern aus der Regionauch Salvador Dalí, Rembrandtoder Miró zu sehen. 2018 hat mandas 100-jährige Bestehen des Frei-staats Bayern und der tschechi-schen Republik zum Anlass derGruppenausstellung „Kunst ausBayern & Böhmen“ gemacht.

    Falsch liegt, wer glaubt, diesemöchte 100 Jahre Kunst derNachbarländer darstellen. DieKuratoren Sven und Fritz Bauerhaben nach Gutdünken und auf-grund eigener Kontakte zeitge-nössische Künstler eingeladen,fünf aus Niederbayern und fünfaus dem tschechischen Pilsen.Dabei waren sie auf Qualität undvielseitige künstlerische Aus-drucksformen bedacht. Sonst un-terliegt die Künstlerauswahl kei-nem speziellen Anspruch – vieleandere hätten ebenso an ihrerStelle vertreten sein können.

    Für Bayern stellen Sandra Hu-ber (seriell-konstruktive Ölmale-

    rei), Martina Kreitmeier (Bild-hauerei aus Holz und Bronze),Gerhard Lutz (durchbrocheneKeramik), Christoph Müller (digi-tale Fotografie) und Toni Scheu-beck (Arbeiten seiner Pendelse-rie) aus. Für Tschechien IvanBukovský (monumentale Ölmale-

    rei), Jaroslav Hausner (digitale Fo-tografie), Jan Jelínek (surrealisti-sche Ölmalerei), Tom Kůs (Grafik,Malerei, Skulpturen) und VáclavŠmolík (expressiv-realistische Öl-malerei). Herausgekommen ist ei-ne ansprechend installierte Aus-stellung, in der sich jeder Künstler

    in einem eigenen Raum präsentie-ren kann. Ausgehängte biografi-sche Daten erleichtern den Zu-gang. Im Kabinett von IvanBukovský riecht ein Ölbild nochnach Farbe, so neu ist es. Ansons-ten zeigen alle Beteiligte Arbeitenaus verschiedenen Zeiträumen ih-res Schaffens.

    Für Kunstliebhaber aus Nieder-bayern sind die Fotografien vonChristoph Mathias Müller eineNeuentdeckung. Müller verbin-det in seiner Biografie Bayern mitTschechien, sein Vater stammt ausPassau, seine Mutter aus Brünn.Der 52-jährige Diplomsoziologearbeitet beim Bayerischen Rund-funk in München. Nebenbei foto-grafiert er, seit 30 Jahren, stets mit

    Die Kunst hier muss wederberühmt noch neu sein

    gesenktem Blick: seine Motivestammen vom Wald- oder Moor-boden. Die eingefangenen Detailsverfremdet er digital und drucktsie auf Glas. Dabei entstehen farb-intensive Bilder, die teils male-risch wirken. Manche erinnern anpolierte Schnitte von Mineralien,andere öffnen unbekannte orga-nische Kosmen.

    Die Arbeiten der fünf Künstleraus Pilsen (mit Geburtsjahr zwi-schen 1944 und 1955) zeigen typi-sche Merkmale tschechischerKunstschulen und -traditionen:etwa ausdrucksvolle Malerei, aufkräftigen Grundfarben basierend(Šmolík), oder in altmeisterlicherTechnik großformatik angelegt(Bukovský), oder fantastisch hin-tergründig (Jelínek). Im größtenRaum, dem Flur, zeigt Tom Kůsfantasievolle Vielfalt in verschie-denen Werktechniken und Stilen.„Seine Grafik und Malerei könnteman mit einem Spaziergang durchdie Kulturgeschichte und die Ge-genwart vergleichen“, heißt es in

    Auf gute Nachbarschaft!„Kunsträume grenzenlos“ am Grenzbahnhof in Bayerisch Eisenstein zeigen zeitgenössische Kunst aus Bayern und Böhmen

    seiner Kurzbiografie. Seine skur-rilen Skulpturen schweißt er ausAlteisen, dazu arrangiert er pas-sende Fundstücke.

    Beiläufig könnte man auch dienaturalistische Bildhauerei vonMartina Kreitmeier aus Altfraun-hofen bei Landshut tschechischerHerkunft zuordnen. Sie zeigte ih-re Holzskulpturen und Bronze-Kleinplastiken 2015 beim Kunst-verein Passau. Der als Steinbild-hauer bekannte Toni Scheubeckaus Arnschwang stellt Arbeitenaus seiner konzeptionellen Pen-del-Serie – Zeichnungen, Frotta-gen, Fotografien und „Tritte“ inStein – aus, die 2015 im National-park-Infohaus in Neuschönau zusehen war. Der angesehene Kera-miker Gerhard Lutz aus Nieder-alteich zeigt eine Auswahl seinermarkanten, teils verschachteltenSteinzeug- und Porzellanformenmit filigran durchbrochenenOberflächen. Die charakteristi-sche Malerei der Passauerin Sand-ra Huber war in Ostbayern zuletztmehrfach zu sehen. Passend zurNachbarlandthematik in Eisen-stein zeigt Huber u. a. Bilder ihrer„Nachbarschaft“-Reihe.

    Bekannt- oder Neuheit sind in-des für eine Kunstgalerie in einemtouristischen Grenzort keineschlagenden Kriterien, herrschthier ja eine besondere Perspekti-ve. Für tschechische Besuchersind die bayerischen Künstler un-bekannt, und umgekehrt. Und fürweiter angereiste Urlauber stelltalle regionale Kunst Neuland dar.Aus Sicht der ausstellendenKünstler ergibt sich so ein erwei-tertes Portal, um beachtet zu wer-den. Gabriele Blachnik

    � Bis 19. Oktober in Bayerisch Ei-senstein, Bahnhofstrasse 52, di-rekt am Grenzbahnhof mit Halte-station der stündlich fahrendenWaldbahn, Mi.–So. 10.30–17 Uhr� kunstraeume-grenzenlos.de

    Spatenstich für Museumder Moderne erst 2019

    Das von denSchweizerStararchi-tekten Her-zog & deMeuron

    entworfene Museum der Moder-ne in Berlin kommt später als ge-plant. Der erste Spatenstich istnach Angaben von Kulturstaats-ministerin Monika Grütters erstfür das kommende Jahr geplant.Eigentlich hatte das Gebäude inder Nähe des Potsdamer Platzesschon 2021 fertig sein sollen. DieArchitekten hätten inzwischenihren Wettbewerbsentwurf in Ab-sprache mit den Nutzern weiter-entwickelt, er werde im Herbstvorgestellt, sagte Grütters. DieBerliner Öffentlichkeit hatte mitHäme („Scheune“, „Reitstall“,„neuer Aldi“) auf den Siegerent-wurf reagiert. Grütters schlossnicht aus, dass auch die veran-schlagten Kosten von 200 Millio-nen Euro aus dem Bundeshaus-halt noch steigen könnten. − dpa

    Bauern und Zirkus inRegensburger MuseumUnter dem Titel „Schlachter desguten Gewissens“ sind im Kunst-forum Ostdeutsche Galerie in Re-gensburg vom 5. Oktober bis 13.Januar 2019 rund 100 Bilder vonPaul Holz (1883–1938) zu sehen.„In virtuosen Federzeichnungenhielt Holz bevorzugt Bauern- undZirkusszenen fest, die seinenschonungslosen und zugleichsensiblen Blick auf das menschli-che Leben widerspiegeln“, so dieAusstellungsmacher. In Koopera-tion mit der Akademie der KünsteBerlin werden zudem Arbeitenvon Käthe Kollwitz und anderenZeitgenossen präsentiert. − kna

    KULTUR IN KÜRZE

    Heiße Diskussionen auf denPartys und in den Bars am LagoMaggiore über die Jury-Entschei-dungen des 71. Filmfestivals Lo-carno: Vor allem der GoldeneLeopard für „A Land Imagined“von Regisseur Yeo Siew Hua (Sin-gapur) hat überrascht. Doch allestimmen dem Festival-Fazit desscheidenden Leiters und künfti-gen Berlinale-Chefs Carlo Chatri-an zu, der zum Abschluss resü-mierte: „Es war eine reiche Ausga-be, ohne Berührungsängste, ander sich Lächeln und Nachdenk-lichkeit nicht ausschlossen.“

    Wobei der Gewinner des Gold-enen Leoparden vor allem Nach-denklichkeit auslöst. Der Film er-zählt in einer raffinierten Montagevon Thriller, Lovestory und Do-kumentation die Geschichte einesPolizisten auf der Suche nach ei-nem verschwundenen Leiharbei-ter. Die spannende Geschichtemündet in eine kompromissloseKritik an modernen Methodender Ausbeutung. Mit dem Film hatdie Jury einen in seiner Verbin-dung von Publikumswirksamkeitund Gesellschaftskritik für diesen

    Festival-Jahrgang von Locarno ty-pischen Film ausgezeichnet. DenSpezialpreis der Jury erhielt dereinzige Dokumentarfilm imHauptwettbewerb: „M“. Die fran-zösische Regisseurin YolandeZauberman beleuchtet darin sen-sibel den Kindesmissbrauch in ei-ner ultraorthodoxen Gemein-schaft in Israel. Der Film beein-druckt so, weil er ausgehend vonerschütternden Schicksalen fragt,wieso es in einer auf Harmonieund Frieden ausgerichteten Ge-meinschaft zu unmenschlichemVerhalten kommen kann. Geradeweil Yolande Zauberman keinevorschnellen Antworten gibt, istdas ungemein wirkungsvoll.

    Das hoch gehandelte deutscheAntiterrorismus-Drama „Winter-märchen“ (Regie: Jan Bonny) gingleer aus. Aber das deutsche Kinohatte Erfolg in der Nachwuchs-Sektion: „Alles ist gut“ von Regis-seurin Eva Trobisch wurde als bes-ter Debütfilm ausgezeichnet. Dasschon auf dem Filmfest Münchenmit Preisen bedachte Drama umeine junge Frau in einer Krisekonnte auch auf internationalemParkett bestehen. Peter Claus

    Eva Trobisch aus Berlin in Locaro ausgezeichnet

    Mit Krise zum Preis

    Im ehemaligen Postamt am Bahn-hof von Bayerisch Eisenstein sinddie „Kunsträume grenzenlos“ un-tergebracht. Neben Dauerausstel-lungen und einem Galerieshop gibtes hier regelmäßig Sonderausstel-lungen – wie derzeit die „Kunst ausBayern & Böhmen“.

    Sandra Huber: „Nachbarschaft“,Öl auf Leinwand.

    Faszinierende Perspektive auf die Welt: Jan Jelíneks „Erdschichten“ inÖl auf Karton, derzeit in Bayerisch Eisenstein. − Fotos: Blachnik

    Jaroslav Hausner: Fotografie digi-tal bearbeitet.

    Christoph Müller: „Aufklärung“,Fotografie digital bearbeitet, ge-druckt auf Echtglas.

    Regisseurin Eva Trobisch (35) ausDeutschland mit ihrem Preis für dasbeste Erstlingswerk in der Katego-rie „Signs of Life“ für ihren Film „Al-les ist gut“.

    Regisseur Yeo Siew Hua (r.) ausSingapur und Schauspielerin LunaKwok aus China mit dem GoldenenLeoparden für „A Land Imagined“.

    − Fotos: A. Wey/Keystone/dpa

    Der Mann hatte einen doppel-ten Migrationshintergrund: Mit18 Jahren zog V. S. Naipaul ins fer-ne England und sagte seinen El-tern auf Trinidad Lebewohl. De-ren Vorfahren wiederum warenaus Indien auf die Karibikinsel ge-kommen. Brite, Inder und Karibe– die Erfahrung, verschiedenenKulturen anzugehören und in kei-ner ganz zu Hause zu sein, prägtedas Schaffen des Literaturnobel-preisträgers. Am Samstag starbV. S. Naipaul im Alter von 85 Jah-ren in London im Kreis seiner Fa-milie. Der weltberühmte Schrift-steller hinterlässt seine Frau Nadi-ra und eine Tochter.

    Geboren wurde Sir VidiadharSurajprasad Naipaul 1932 in Cha-guanas, einer Kleinstadt, rund ei-ne halbe Autostunde südlich vonTrinidads Hauptstadt Port ofSpain. Die Gegend dort wirkt mitihren Hindutempeln und Mo-scheen wie ein Stück Asien in derKaribik – Spuren der Einwande-rer, die die britischen Kolonialher-ren im 19. Jahrhundert als Arbei-ter vom indischen Subkontinentnach Westindien holten. AuchNaipauls Geburtshaus steht noch.Das „Lion House“ ist einer derSchauplätze in Naipauls wohl be-kanntestem Roman, „Ein Hausfür Mr. Biswas“ (1961, dt. 1981).

    Hinter dem Romanhelden Bis-was steckte Seepersad Naipaul,der früh verstorbene Vater des Au-tors. Ihm gelang es, vom bettelar-men Dörfler zum Journalisten inder Hauptstadt aufzusteigen undein Haus in Port of Spain zu kau-fen. Das eigene Haus hieß für ihn,„einen Anspruch auf seinen Teilder Erde geltend zu machen.“

    Den Sohn trieb es in die Ferne.Ein Stipendium ermöglichte 1950ein Studium in Oxford, und ob-wohl er unter Heimweh und engli-

    Der Lebensreisendeschem Essen litt, war Naipaul ent-schlossen, nicht zurückzukehren.„Ich würde geistig völlig verküm-mern“, schrieb er seinem Vater.Trinidad, das waren für ihn Unter-entwicklung und Perspektivlosig-keit, Großbritannien dagegen Bil-dung und Zivilisation.

    Nach Jahren als Journalist be-gann Naipaul, Romane zu schrei-ben. Die ersten spielten auf Trini-dad. Später erkundete er Afrika,Asien und Lateinamerika und ver-arbeitete seine Eindrücke in Ro-manen, Reportagen und Essays.In „Land der Finsternis“ (1964, dt.1997) und zwei Folgebänden ana-lysierte er kritisch die Verhältnissein Indien. In „Eine Islamische Rei-se“ (1981, dt. 1982) wurde er zumIslamkritiker. Der Roman „An derBiegung des großen Flusses“(1979, dt. 1980) beschrieb Chaosund Gewaltherrschaft in den un-abhängig gewordenen StaatenAfrikas. In der Romanbiografie„Das Rätsel der Ankunft“ (1987)

    erzählte er sein Leben zwischenden Kontinenten.

    Naipauls Stärken waren seineklare, schnörkellose Sprache,sein Recherchefleiß und seine Fä-higkeit, genau zu beobachten. Erwurde von Königin Elizabeth II.zum Ritter geschlagen, 2001 er-hielt er den Literaturnobelpreis.„The world is what it is“ (Die Weltist, was sie ist) lautet der Einstiegs-satz von „An der Biegung des gro-ßen Flusses“. Das ist auch der Ti-tel einer 2008 erschienenen auto-risierten Biografie des britischenLiteraturwissenschaftlers PatrickFrench, in der zum Teil wenigSchmeichelhaftes über den No-belpreisträger steht. So zum Bei-spiel, wie er seine erste EhefrauPatricia Hale behandelte, die erdemnach über Jahrzehnte ver-nachlässigte, demütigte und be-trog, und die 1996 an Krebs starb.V. S. Naipaul gestand eine Mit-schuld an ihrem Tod ein.

    Uli Hesse &Klaus Blume

    V. S. Naipaul war nirgendwo ganz zu Hause – Jetzt ist er verstummt

    2001 erhielt er den Nobelpreis: V. S. Naipaul. − Foto: Chris Ison/dpa