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Führung im Kontext der industriellen Revolution Die Schlüsselrolle des Chef 4.0

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Führung im Kontext der industriellen RevolutionDie Schlüsselrolle des Chef 4.0

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Industrie 4.0 auf dem Vormarsch 03

Die leise Revolution im Arbeitsalltag 04

Smart People – die menschliche Dimension der Industrie 4.0 05

Chef 4.0 – die Rolle(n) der Führungskräfte 09

Ambidextrie – von der Linienhierarchie zur Netzwerkorganisation 12

Die richtige Plattform – Erfolgsfaktoren für den Chef 4.0 14

Bibliografie 17

Die Autoren 18

Inhalt

Führung im Kontext der industriellen Revolution2

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Disruptive Innovationen und Technologien – unsere Industrie befindet sich mitten in der vierten industriellen Revolution. Treiber sind inzwischen weltweit diskutierte Initia- tiven, welche unter dem Stichwort Industrie 4.0 vor allem in Deutschland bekannt geworden sind. DAX-Konzerne wie Siemens, aber auch deutsche Mittel- ständler wie die Firma Eisenmann stellen sich bereits den damit einhergehenden Herausforderungen. Siemens hat eine dedizierte Homepage zu Industrie 4.0 aufgesetzt, auf der das Unternehmen seine erfolgreichen Initiativen wie zum Beispiel die Digitalisierung in der Fertigung und Produkte in diesem Bereich positio- niert.1 Der international tätige Anlagenher- steller Eisenmann hat erst Ende 2015 ein Software-Start-up als eigenes Unter- nehmen ausgegründet, welches durch

die notwendige Informationstechnologie und -kompetenz die vernetzte Produktion und damit die intelligente Fabrik möglich macht.2

Die technischen Auswirkungen sind unver- kennbar: In der Industrie 4.0 vernetzen sich Produktentwicklung, Produktion, Logistik und Kunden durch modernste Informations- und Kommunikationstech- nologie auf intelligente Weise. Produktions- systeme steuern sich dadurch zunehmend selbst. Doch was bedeuten diese disrupti- ven Veränderungen für die Führungskräfte der Industrieunternehmen? Was zeichnet ihn3 aus, den Chef 4.0, der die vierte indus- trielle Revolution anführt und den ent- scheidenden Beitrag zu Erfolg oder Misserfolg leistet? Wir haben uns gemein- sam mit Experten aus Industrie und

Industrie 4.0 auf dem Vormarsch

Forschung mit dem Thema Führung im Kontext Industrie 4.0 auseinanderge- setzt. Wie ändert sich durch den techno- logischen Fortschritt die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern? Welche Anforderungen stellen sich verän- dernde Strukturen an den Führungsstil? Und welches Umfeld benötigen die Führungskräfte, um den technologischen Wandel gemeinsam mit ihren Mitarbei- tern erfolgreich voranzutreiben? Die Experten sind sich einig: Um den Unter- nehmenserfolg nachhaltig zu sichern, besteht dringender Handlungsbedarf, Führungskräfte in zentralen Unterneh- mensbereichen gleichermaßen wie auf Shopfloor-Ebene auf ihre Rolle als Chef 4.0 vorzubereiten.

1 Website: http://www.siemens.de/industrie-4.0

2 Quelle: http://www.eisenmann.com/de/medien/presse/presseinformationen/2015/2015_09_18_ENISCO.html

3 Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Form verwendet. Alle Inhalte beziehen sich selbstverständlich auch auf weibliche Führungskräfte.

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Veränderungen getrieben durch Industrie 4.0 bringen wesentliche Heraus- forderungen für den Arbeitsalltag in Indus- trieunternehmen mit sich. Die Relevanz der bereichsübergreifenden, interdiszipli- nären Projektarbeit erhöht sich stark durch die Vernetzung von Produktionsprozessen. Folglich muss die Effizienz etablierter hierarchischer Strukturen und klassischer, zentraler Entscheidungswege in Organi- sationen hinterfragt werden. Abteilungssilos werden zunehmend aufgelöst. Die Bedeu- tung digitaler Zusammenarbeitsmodelle steigt rasant: Es gilt nicht nur räumliche

Die leise Revolution im Arbeitsalltag

Distanzen zu überwinden, sondern auch fehlende Fach- und IT-Kenntnisse aus anderen Organisationsbereichen und von externen Partnern einzubinden. Neue Arbeitszeitmodelle entstehen aufgrund flexibler Produktionskapazitäten. Die Auswirkungen der Industrie 4.0 werden für Führungskräfte auf allen Ebenen spürbar, sowohl an der Basis durch gesteigerte Mensch-Maschine-Interaktion als auch in zentralen Bereichen, die sich beispielsweise mit der strategischen Auswertung verfügbarer Daten und der Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle

beschäftigen. Technologische Initiativen erfordern von Mitarbeitern und Führungs- kräften, sich mit veränderten Verhaltens- weisen auf diese einzustellen. Und das so schnell wie möglich – denn wer den digitalen Wandel verschläft, wird langfristig nicht mit der Effizienz und dem Fortschritt innovativer Wettbewerber mithalten können und möglicherweise sogar vom Markt verdrängt werden.

Führung im Kontext der industriellen Revolution4

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Smart People – die menschliche Dimension der Industrie 4.0

Führung NeueKompetenzen

Organisations-strukturen

Arbeits-umfeld

Zusammen-arbeit

Flexibler Wechsel desChef 4.0 zwischen

verschiedenen Rollen

Neue Weiterbildungs-maßnahmen und Integration neuer

Jobpro�le

Abbau von Hierarchienund Aufbau agiler

Unternehmensstrukturen

Change Strategie

Steigende Mobilität,Digitalisierung und

�exiblere Arbeitszeit-modelle

Agile Teams, verstärkteAutonomie derMitarbeiter und

Arbeiten in Netzwerken

Abb. 1: „People Dimensions“ in der Industrie 4.0

© Capgemini Consulting 2016

Neben den industriellen Wertschöpfungs- prozessen werden also wesentliche Aspekte menschlicher Interaktion im Unternehmen nachhaltig durch die Industrie 4.0 beeinflusst. Doch wo genau werden die Veränderungen für den Chef 4.0 und seine Mitarbeiter spürbar?

Im Kontext Industrie 4.0 gilt es, ein beson- deres Augenmerk auf die folgenden fünf „People Dimensions“ zu richten, in denen sich deutliche Veränderungen abzeichnen und eine Reaktion auf neue Anforderungen notwendig ist:

Die wahrscheinlich am stärksten unter- schätzte Dimension ist der Bereich Führung. Im Kontext Industrie 4.0 gilt es für Führungskräfte mehr denn je, gesamt- haft und unternehmerisch zu denken und ihre Mitarbeiter ebenfalls dazu anzuregen. Darüber hinaus stehen Themen im Vordergrund wie Vertrauen in neue Technologien aufzubauen und Mitarbeiter

Führung

für Datensicherheit zu sensibilisieren. Auch Ängste vor Veränderungen oder gar einem Arbeitsplatzverlust durch zunehmende Digitalisierung müssen adressiert werden. Fachkenntnisse sind nach wie vor wichtig, jedoch hängt der Erfolg von Initiativen zunehmend auch von weiteren Faktoren wie der Kommunikation innerhalb der Organisation oder der Koordination über unterschiedliche Fachbereiche hinweg ab. „Umdenken ist gefragt – viele Dinge wie z. B. die klassische Linienorganisation, die über Jahre hinweg gewachsen sind und das Führungsverhalten geprägt haben, werden jetzt plötzlich unwichtig. Ein Umdenken ist vor allem für erfahrene Führungskräfte gefragt“, äußert sich Dr. Frank Eulitz, Head of Base Technology bei Siemens Power & Gas.

Auf Ebene der Mitarbeiter gilt es, neue Fähigkeiten und Talente an Bord zu holen und auch in bestehenden Teams zu entwickeln. In manchen Bereichen wird die Definition von gänzlich neuen Jobpro-

Neue Kompetenzen

filen erforderlich. Ein neu entstehendes Berufsbild ist beispielsweise der Produk- tionstechnologe, der sich verstärkt mit der variablen, selbstgesteuerten Prozess- haftigkeit der Produktion auseinandersetzt und diese kontrolliert. Außerdem stellt sich die Frage, wie ältere Mitarbeiter erfolgreich in die digitale Transformation eingebunden werden können. Die HR- und Trainings- abteilungen stehen hier vor der wichtigen Aufgabe, auch bei langjährigen Mitar- beitern relevante Potenziale zu identifi- zieren und die Mitarbeiter zu motivieren, ihre Erfahrungen im Sinne der Verände- rungen einzubringen. Eine große Heraus-

“ Umdenken ist gefragt - viele Dinge [...], die über Jahre hinweg gewachsen sind und das Führungsverhalten geprägt haben, werden jetzt plötzlich unwichtig.

Dr. Frank Eulitz, Head of Base Technology bei Siemens Power & Gas

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forderung liegt in der Zusammenführung unterschiedlicher Mitarbeitergruppen im Unternehmen: Hier gibt es beispielsweise die ältere Generation an Mitarbeitern, die durch die fortschreitende Digitalisierung an Grenzen stößt, aber auch die sogenann- ten „Millenials“ oder die zukünftige „Generation Edge“, die viel eher als Treiber von Innovationen agieren werden, jedoch auf die Expertise erfahrener Mitarbeiter angewiesen sind.

Die traditionellen, hierarchischen Organi- sationsstrukturen stehen im Widerspruch zu den wachsenden Anforderungen an interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeitsmodelle, die Innovation im Unternehmen begünstigen. Auch variablere Entscheidungszyklen erfordern den Abbau pyramidenförmiger Organisa- tionsformen. Dr. Ina Graf-Hoffmann, Director Corporate Human Resources Strategy, Talent & Development bei der Leoni AG, zufolge erfordert die digitale Transformation „einen ganz neuen Unternehmenstypus“. Prof. Dr. Wilfried Sihn, Vorstand des Instituts für Manage- mentwissenschaften der Technischen Universität Wien und Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH, beschreibt diesen folgendermaßen: „Das Unternehmen im Zeitalter der Industrie 4.0 gleicht vielmehr einem Haus, in dem dezentrale Einheiten mit eigenen Entscheidungsbefugnissen angeordnet

Bereits heute sind gesteigerte Mobilität und Flexibilität der Mitarbeiter sowie die Arbeit in virtuellen Teams wichtige Faktoren, um unterschiedliche Unternehmensstandorte zu vernetzen. Im Zeitalter der Industrie 4.0 werden diese gänzlich unverzichtbar. Zwei Beispiele: In zentralen Unternehmensberei- chen wie auch auf Shopfloor-Ebene gewinnen neue digitale Tools an Bedeu- tung, die Informationsaustausch und Kommunikation zwischen Mitarbeitern unterstützen. So hat Bosch beispielsweise das Social-Media-Tool „Bosch Connect“ eingeführt, das durch die Einbindung von Wikis und Foren als Lernmedium dient und den Informationsaustausch unter Mitarbei- tern aller Hierarchieebenen fördert. „Kein Mensch hätte gedacht, dass die neue Transparenz das Unternehmen von innen so verändert“, äußert sich Lilian Matischok, Projektleiterin im Innovationscluster „Connected Industry“ der Bosch-Gruppe, in unserem Gespräch über den Erfolg der internen Kommunikationsplattform.

In der Produktion müssen klassische Arbeitszeitmodelle aufgrund der selbst- ständigen und intelligenten Arbeitsweise von Maschinen überdacht und deutlich

Organisations-strukturen

Arbeitsumfeld

flexibler gestaltet werden. Auf diese Weise kann auch dem steigenden Anspruch von Mitarbeitern an variablere Arbeitsmodelle im Sinne der Work-Life-Balance nachge- gangen werden. Eine App für flexiblen Personaleinsatz wird derzeit im Rahmen eines Forschungsprojekts des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation bei der BorgWarner Ludwigsburg GmbH getestet. Über KapaflexCy können Produktions- kapazitäten „kurzfristig, hochflexibel und unternehmensübergreifend“ geplant werden. Gearbeitet wird immer dann, wenn der Kunde ordert. Die ausführenden Mitarbeiter werden in die Entscheidung über ihren Einsatz direkt mit einbezogen, indem sie über die App freie Schichten angeboten bekommen, die sie dann nach Absprache mit ihren Kollegen annehmen oder ablehnen können. Wie Dr. Stefan Gerlach vom Fraunhofer IAO zur App erläutert, entfällt das klassische Anweisen und Zuteilen durch eine Führungskraft bei KapaflexCy und wird durch die Abstimmung der Mitarbeiter untereinander ersetzt.4

4 Quelle: http://www.kapaflexcy.de

“ Die digitale Transformation erfordert einen ganz neuen Unternehmenstypus.

Dr. Ina Graf-Hoffmann, Director Corporate Human Resources Strategy, Talent & Development bei der Leoni AG

“sind und aus dem Dach heraus über- wacht werden.“ Zusätzlich verschwim- men die Unternehmensgrenzen durch Kooperationsmodelle mit externen Partnern, auf deren fachliche Expertise Organisationen in Zukunft mehr denn je zurückgreifen werden.

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Ausschlaggebend für den Erfolg aller Maßnahmen – den technischen wie den mitarbeiterbezogenen – ist die Integration und Verankerung in einer ganzheitlichen Strategie, welche die digitale Transfor- mation für die gesamte Organisation beschreibt. Nur so können aus den Führungskräften innovative, smart denken- de Treiber digitaler Initiativen werden. Die Strategie bedarf einer authentischen Kommunikation und Übermittlung durch die Führungskräfte, um weitreichenden Veränderungen die notwendige Geschwindigkeit und Durchschlagskraft innerhalb der Organisation zu verschaffen.

welche Eigenschaften das Produkt benötigt, um diese im Anschluss umzusetzen.“ Partnerschaften und Kollaborationen hinsichtlich des gedank- lichen Austauschs zur Produktentstehung sind somit nicht nur innerhalb der Organi- sation von großer Bedeutung, sondern sogar über Unternehmensgrenzen hinaus.

Einige Unternehmen beschäftigen sich bereits mit diesen und anderen Aspekten der „menschlichen Dimension“ der Industrie 4.0. Doch wie viele haben bereits konkrete Maßnahmen ergriffen, um entsprechende Veränderungen im Unter- nehmen einzuleiten? Und wie viele haben mitgedacht, wie sie ihre Führungskräfte unterstützen können, diese Anpassungen gegenüber ihren Mitarbeitern glaubhaft zu vertreten und gemeinsam mit diesen voranzutreiben?

Auch innerhalb von Projektteams verän- dert sich die Zusammenarbeit. Abteilungs- grenzen verschwimmen zunehmend, stattdessen arbeiten verschiedene Experten bereichsübergreifend an der Lösung komplexer Fragestellungen. Methoden wie Co-Creation ermöglichen den gleichzeitigen Einbezug verschiedener Fachbereiche, Kunden und Experten in den Wertschöpfungsprozess. Beim mittelständischen Unternehmen Trumpf, einem der weltweit führenden Hersteller von Werkzeugmaschinen, wird Co-Creation bereits in der Ausbildung neuer Mitarbeiter berücksichtigt, erläutert uns Klaus Bauer, Leiter Entwicklung Basistechnologie: „Wir schulen nicht mehr getrennt Einzelfähigkeiten wie Feilen, Drehen oder Ähnliches. Stattdessen arbeiten unsere Auszubildenden an gemeinsamen Projekten in zusammen- gesetzten Teams und müssen im Kontakt mit verschiedenen Kunden herausfinden,

Zusammenarbeit

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Damit liegt auf der Hand, dass gerade dem Chef 4.0 in Industrieunternehmen eine bedeutende Rolle zukommt. Technische Innovationen müssen nicht nur von ihm selbst in kurzer Zeit erkannt und angenom- men werden, sondern es gilt gleichzeitig, auch die Mitarbeiter für diese zu begeis- tern und zu befähigen. Doch vor welchen Herausforderungen steht ein gestandener Manager, wie zum Beispiel ein Werksleiter, wenn sich bisher bewährte Muster und Strukturen auflösen?

Der Chef 4.0 muss durch die vollständige Vernetzung von Wertschöpfungsketten über Firmengrenzen hinaus denken und agieren. Seine Mitarbeiter finden sich immer weniger in klar definierten Abtei- lungen, sondern verteilt über den Globus, wie dies häufig in Entwicklungsteams der Fall ist, oder in Netzwerken, die sich aus internen und externen Partnern zusam- mensetzen. Wie Dr. Ina Graf-Hoffmann von der Leoni AG schildert, ist eine der zentralen Herausforderungen für Führungs- kräfte in ihrem Unternehmen aktuell die Förderung der Zusammenarbeit und der Feedbackkultur in virtuellen, dezentrali-

Chef 4.0 – die Rolle(n) der Führungskräfte

sierten Teams: „Das ist eine nicht ganz einfache Aufgabe, vor der hier viele unserer Führungskräfte stehen. Abhängig ist das natürlich von Faktoren wie der Persönlichkeit der Teammitglieder, den Aufgaben, Standorten und Einzelbezie- hungen. Führungskräfte müssen lernen, ihre Mitarbeiter in diesem neuen Umfeld zu leiten, und wir unterstützen sie dabei, indem wir virtuelle Führungskompetenzen gezielt beispielsweise im Rahmen von Management-Trainings aufbauen.“

Die Technologie wird durch die Industrie 4.0 in einer ganz neuen Dimen- sion Partner im Bund zwischen Führungs- kraft und Mitarbeiter. Das enge Zusam- menspiel zwischen Mensch und fortschritt- licher Technik wirft vor allem in Bezug auf Autonomie und Entscheidungsbefugnis die Frage auf, welche Art von Steuerung es in sich selbst steuernden Systemen benötigt. Die Rollen als strategischer Inputgeber und flexibler Problemlöser bleiben weiterhin dem Menschen vorbe- halten. Für den Chef 4.0 bedeutet dies, den höheren Grad an Mensch-Maschine- Interaktionen sowohl in Bezug auf seine

Mitarbeiter als auch in Bezug auf seine eigene Arbeit erfolgreich zu managen. Dies beinhaltet, die zunehmenden Grenzen der eigenen Expertise anzuer- kennen und zum Beispiel Spezialisten für Datenanalysen ins eigene Team zu integrieren sowie Vertrauen im Team hinsichtlich Datensicherheit und -verläss- lichkeit aufzubauen. Der Chef 4.0 wird darüber hinaus zum agilen Netzwerker, der sich das innerhalb und zum Teil auch außerhalb des Unternehmens verfügbare Wissen erschließt und zunutze macht.

“ Führungskräfte müssen die Denkweise im Unternehmen ändern und vorleben.

Prof. Dr. Wilfried Sihn, Vorstand des Instituts für Managementwissen- schaften der Technischen Universität Wien und Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH

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Die weitreichenden Veränderungen im Rahmen einer neuen, digital ausgerich- teten Unternehmensstrategie erfolgreich umzusetzen erfordert in erster Linie Change Leadership und eine partizipative Art der Führung. Hierfür ist die Fähigkeit der Führungskraft gefragt, sich selbst auf kontinuierlichen Wandel einzustellen und gleichzeitig ihre Mitarbeiter auf dem Weg in eine teilweise noch schwer vorstellbare Zukunft mitzunehmen. Doch nicht jeder Führungskraft ist das Ausmaß bevorste- hender Veränderungen bereits vollständig bewusst, wie uns der Head of Sales eines international führenden Herstellers von Heiz-, Industrie- und Kühlsystemen erläutert. Die Herausforderung sei, dass die meisten Mitarbeiter und Führungs- kräfte das Thema Industrie 4.0 noch nicht im Großen und Ganzen verstehen, son- dern die Digitalisierung eher im Kleinen, im Silo sehen. Der Chef 4.0 jedoch lebt die digitale Transformation: Er fungiert als aktiver Treiber der Innovationen und ist Vorbild im Einsatz neuer Technologien. „Führungskräfte müssen die Denkweise im Unternehmen ändern und vorleben. Die Kultur des Unternehmens wird vom Chef geprägt. Er muss die Notwendigkeit erkennen und ganzheitlich umsetzen. Tut er das nicht, wird die Industrie 4.0 nicht durch Einzelmaßnahmen umsetzbar sein“, äußert sich Prof. Dr. Wilfried Sihn von der Technischen Universität Wien, Geschäfts- führer der Fraunhofer Austria Research GmbH, und betont damit die bedeu- tende Rolle des Chef 4.0 in der Entwick- lung einer ganzheitlichen Veränderungs- strategie. Gleichzeitig nennen die Experten Kommunikationsfähigkeit, Begeiste- rungsfähigkeit und ein sicheres Gespür für die Ängste der Mitarbeiter als wichtige Führungskompetenzen des Chef 4.0. Für diese bedeutet höhere Transparenz in der Produktion, dass individuelle Leistung und Fehlerraten jederzeit nachvollziehbar werden, sie der Komplexität in der Bedie-

nung der Systeme gegebenenfalls nicht mehr gewachsen sind oder sie bei zuneh- mender Automatisierung möglicherweise ganz durch den „Kollegen Roboter“ ersetzt werden.

Die Rollen einer Führungskraft in der Industrie 4.0 werden somit immer differenzierter:

Als Unternehmer im Unternehmen entscheidet der Chef 4.0 weit über die Belange seines eigenen Bereichs hinaus, vernetzt sich mit anderen Bereichen und entwickelt ganzheitliche Lösungen für Produkte und Dienstleistungen. Dabei legt er seiner Arbeit eine ausgeprägte Kundenorientierung zugrunde.

Als Koordinator ganzer Ökosysteme interner und externer Partner agiert der Chef 4.0 in zunehmend durchlässiger werdenden Organisationsstrukturen, verteilt Aufgaben kompetenzbasiert und nutzt verfügbares Expertenwissen, um den technischen Vorsprung vor dem Wettbewerb auszubauen.

Nicht nur Maschinen und Produkte werden smarter. Als Entwicklungshelfer identifiziert und fördert der Chef 4.0 die Potenziale seiner Mitarbeiter, in komple- xere Aufgaben hineinzuwachsen, die sich stärker mit der Überwachung und Steuerung von Produktionsprozessen beschäftigen als mit der reinen Bedienung spezialisierter Maschinen.

Als Coach agiler Teams reagiert der Chef 4.0 schnell und flexibel auf verän- derte Anforderungen mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette und schafft die Basis für Innovationen. Dabei verfügt er über eine hohe Ambiguitäts- toleranz, um in einem durch Dynamik geprägten Umfeld Chancen zu erkennen und entsprechend Prioritäten zu definieren und Entscheidungen zu treffen.

Reiner Vermittler von Visionen zu sein, ist nicht mehr ausreichend – der Chef 4.0 wird zum Kulturarchitekten, der als Gestalter der Unternehmenskultur das Konzept und die Anforderungen der Industrie 4.0 tief im Unternehmen und in den Köpfen der Mitarbeiter verankert.

In der Industrie 4.0 machen Führungs- kräfte mehr denn je den Unterschied für eine erfolgreiche Umsetzung im Unter- nehmen aus. Entscheidend ist für sie, sich schnell in neue Rollen einzufinden und vor allem flexibel zwischen diesen Rollen zu wechseln. Die befragten Experten, wie Lilian Matischok von Bosch, sind sich einig: „Führungsrollen müssen künftig agil sein.“ „Es gilt, das alte territoriale Führungsverhalten abzulegen. Die Firma als Ganzes zählt“, so Rainer Steffl, Chief Information Management Director bei der Mondi Group, einem internationalen Papier- und Verpackungsmittelhersteller.

Neue Kompetenzen und Verhaltensweisen des Chef 4.0 können jedoch nur bedingt wirksam werden, wenn sich die Strukturen im Unternehmen nicht gleichermaßen mitentwickeln. Denn sich verändernde Strukturen sind nicht nur Auslöser für neue Anforderungen an die Führungskräfte, sondern gleichzeitig auch Vehikel für eine erfolgreiche Umsetzung digitaler Initiativen.

“ Führungsrollen müssen künftig agil sein.

Lilian Matischok, Projektleiterin im Innovationscluster „Connected Industry“ der Bosch-Gruppe

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Innerhalb der klassischen, eher starren Organisationsstrukturen ist ein agiler Wechsel zwischen verschiedenen Führungsrollen schwer möglich. In diesem Zusammenhang gewinnt das Konzept der organisationalen Ambidextrie an Bedeu- tung. Dieses beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, effizient in seinem heutigen Geschäftsbereich zu agieren, sich aber gleichzeitig auf neue Geschäfts- modelle einzulassen. Im Kontext Industrie 4.0 scheint diese zweifache Ausrichtung eine wesentliche Grundsatz- entscheidung für Unternehmen zu sein, um den erfolgreichen Schritt in die Zukunft zu ermöglichen. Dabei müssen sowohl die Erforschung von Neuem (Exploration) als auch die Ausnutzung von Bestehendem (Exploitation) gleichzeitig gemeistert werden. Dem Konzept der organisationa- len Ambidextrie zufolge kann und sollte dies durch die Umgestaltung von Organi- sationsstrukturen unterstützt werden.

Wie sehen das Unternehmen in der produ- zierenden Industrie? Welchen Einfluss hat die Organisationsstruktur darauf, den digitalen Wandel und die Industrie 4.0 erfolgreich zu meistern? „Das klassische Organisationsmodell mit großen Hierar- chieebenen verschwindet im Kontext Industrie 4.0“, sagt Dr. Ina Graf-Hoffmann, Director Corporate Human Resources Strategy, Talent & Development bei der Leoni AG. „Vernetztes und systematisches Denken muss gefördert werden. Dafür ist das Aufbrechen der Silos in einzelnen Geschäftsbereichen notwendig.“ Klaus Bauer, Leiter Entwicklung Basistechnologie bei Trumpf, bestätigt, dass starre Strukturen zukünftig der Vergangenheit angehören: „Die Organisation muss mitlernen, hierfür darf es keine Grenzen geben. Strukturen müssen bei Bedarf angepasst werden – vor allem, da hierarchische und Projektstrukturen

Ambidextrie – von der Linienhierarchie zur Netzwerkorganisation

immer seltener deckungsgleich sind.“ Organisationale Ambidextrie mit ihrem zusätzlichen Fokus auf der Erforschung neuer Geschäftsmodelle scheint somit die richtige Übergangsform für Unternehmen zu sein, um Innovationen in der Organisation und den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern. Eine Plattform für die Ausarbeitung innovativer Ideen können beispielsweise im Unternehmen verankerte Start-ups oder Abteilungen sein, die sich explizit mit den neuen, digitalen Möglichkeiten beschäftigen. In diesen können Führungskräfte dann deutlich agiler in den erforderlichen Rollen des Chef 4.0 handeln.

Beim international führenden Hersteller von Heiz-, Industrie- und Kühlsystemen ist das Thema Industrie 4.0 und der damit einhergehende digitale Wandel bereits ein zentrales Thema. Die Außendienst- mitarbeiter des Unternehmens verfügen beispielsweise über eine App, welche Beratungsdienste bis hin zur Ersatzteilbe- stellung umfasst und es ihnen ermöglicht, sofort beim Kunden die notwendigen Prozesse anzustoßen. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist, dass die Digitalisierung stark in der Organisation verankert ist. Im Unternehmen herrscht die klare Überzeu- gung, dass neue Geschäftsmodelle nur im Rahmen angepasster Strukturen vorange- trieben werden können. Seit Ende 2014 gibt es einen „Chief Digital Officer“, der im Verwaltungsrat angesiedelt ist und die sogenannten „Digital Units“ verantwortet. Diese fungieren als Stabsstellen und haben die Aufgabe, die Identifizierung und das Testen neuer Geschäftsmodelle voranzutreiben. Sie beinhalten unterschiedliche funktions- übergreifende Teams mit besonderen Kompetenzen im Bereich Digitalisierung, beispielsweise E-Commerce, und funktio- nieren wie ein Start-up im Unternehmen,

in dem alle Fachrichtungen vertreten sind: Informatiker, Physiker und Betriebswissen- schaftler. Klare Kompetenzverteilungen, aber vor allem keine Denkverbote charak- terisieren diese Bereiche, wie uns der Head of Sales mitteilte. Die Erfolgsfaktoren dieser digitalen Bereiche sind das direkte Reporting an den Verwaltungsrat, die schnelle und unkomplizierte Entschei- dungsfindung sowie eine gute Vernetzung, die einen stetigen Austausch ermöglicht. Der Chef 4.0 hat hier die Aufgabe, ein interdisziplinäres Team mit unterschied- lichen Kompetenzen zu fordern und zu fördern, bekannte Denkstrukturen zu durchbrechen, aber vor allem, den digitalen Wandel voranzutreiben. Er ist die mobilisie- rende Kraft in der gesamten Transformation und nutzt die digitalen Units als Grundlage, um als Unternehmer im Unternehmen zu agieren.

Eine Anpassung der Organisationsstruk- turen hin zu flexibleren Modellen hält auch Dr. Frank Eulitz, der eine treibende Rolle für digitale Initiativen im Bereich Base Technology bei Siemens Power & Gas übernommen hat, für unerlässlich. Additive Manufacturing, Computer Based Simula- tion, Verwendung von Höchstleistungs- rechnern als auch die Analyse von umfas- senden Betriebsdaten sind Auslöser für die Flexibilisierung von Geschäftseinheiten und definieren aktuell seine Arbeit.

“ Die Organisation muss mitlernen, hierfür darf es keine Grenzen geben. Strukturen müssen bei Bedarf angepasst werden [...].

Klaus Bauer, Leiter Entwicklung Basistechnologie bei Trumpf

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„Siemens arbeitet gerade an neuen Organisationsstrukturen. Dabei geht es um Einheiten, die organisationsübergreifend in Netzwerkstrukturen das Geschäft voran- bringen und dabei verschiedene Diszi-plinen vereinen. Das sind Einheiten, die das Datenmanagement und die dazuge- hörigen Analysemethoden mit der Pro- duktentwicklung vereinen und durch Agilität Entwicklungen schnell vorantrei- ben.“ Solche Organisationsstrukturen brauchen den Chef 4.0, von dem Dr. Frank Eulitz eine klare Vorstellung hat: „Eine Führungskraft, die das Thema Change

Management vorantreibt, welche als Change Agent agiert und die Diversität fördert. Die Führungskraft unterstützt die Mitarbeiter der unterschiedlichen Diszipli- nen, sich in den Matrixstrukturen zu finden, und gibt ihnen in einem agilen Umfeld klare Orientierung, um schnellen Änderun- gen standzuhalten.“ Er sieht vor allem Netzwerke und Partnerschaften und auch die Zusammenarbeit mit externen Unter- nehmen, Lieferanten und schnell agieren- den Start-ups innerhalb und außerhalb des Konzerns als Erfolgsfaktoren im Kontext von Industrie 4.0.

“ Die Führungskraft unterstützt die Mitarbeiter der unterschiedlichen Disziplinen, sich in den Matrixstrukturen zu finden, und gibt ihnen in einem agilen Umfeld klare Orientierung, um schnellen Änderungen standzuhalten.

Dr. Frank Eulitz, Head of Base Technology bei Siemens Power & Gas

“Ambidextrie beschreibt die Balance zwischen

notwendigen Unternehmensstrukturen und Routinenfür grundlegende Ef�zienz und der gleichzeitigen

Flexibilitat und Agilität, um aufunternehmerische Chancen einzugehen.

Routinen & StandardsRollen & VerantwortlichkeitenStarke HierarchienTop-down & ZentralisierungDisziplin in der DurchführungKurzfristige Ziele

Koordination auf einer EbeneInterdisziplinäre TeamsFlache HierarchienBottom-up / Trial & ErrorFrühes Scheitern erlaubenLangfristige Ziele

Innerbetriebliche Innovationen Offene Innovationsnetzwerke

Abb. 2: Organisationale Ambidextrie vereint unterschiedliche Innovationsansätze

© Capgemini Consulting 2016

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Ambi-dextrie

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Die Bedeutung von Aspekten wie Flexibi- lität, Koordination und Unternehmertum sind im Zusammenhang mit dem Thema Führung keine gänzlich neuartige Erkennt- nis. Fakt ist jedoch, dass die beschrie- benen Anforderungen an Führungskräfte durch die Komplexität einer digitalen Transformation und die damit einherge- henden veränderten Organisationsformen in ihrer Relevanz enorm steigen – somit sind sie nicht mehr nur Kür, sondern Pflicht in allen Unternehmen, die in der Industrie 4.0 erfolgreich gegenüber Wettbewerbern bestehen oder sogar neue Maßstäbe in ihren Märkten setzen wollen. Prof. Dr. Wilfried Sihn von der Technischen Universität Wien, Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH, betont in diesem Zusammenhang, dass der Chef 4.0 sich gegenüber einer klassischen Führungskraft vor allem durch seine Offenheit für Wandel und Innovation auszeichnet: „Führung im klassischen Sinne verändert sich nur wenig. Das Innovationsmanagement jedoch ändert sich: Wie offen ist eine Führungskraft für

Die richtige Plattform – Erfolgsfaktoren für den Chef 4.0

Wandel? Wie erkennt sie die Chancen und treibt die Umsetzung voran?“ Die ambidextre Führungskraft, die neben der Fortführung des Tagesgeschäfts gezielt innovative Geschäftsmodelle identifiziert und realisiert, ist so gefragt wie nie zuvor.

Damit steht für jede Unternehmensleitung, die diese Herausforderung erkannt hat, die Frage im Vordergrund, auf welche Weise sie ihre Führungskräfte bestmöglich darauf vorbereitet. Welche konkreten Maßnahmen sollten zeitnah geplant und umgesetzt werden, um den Chef 4.0 in der Vorbe- reitung auf seinen zunehmend dynami- schen Berufsalltag in der Industrie 4.0 zu unterstützen? Wie entwickelt man die „Change Leader“, die ihre Mitarbeiter auf authentische Weise von der digitalen Vision des Unternehmens überzeugen? Organisationen, die noch nicht damit begonnen haben, unterstützende Maß- nahmen zu treffen, um die Kompetenzen ihrer Führungskräfte auszubauen, sollten dringend handeln.

“ Führung im klassischen Sinne verändert sich nur wenig. Das Innovationsmanagement jedoch ändert sich: Wie offen ist eine Führungskraft für Wandel? Wie erkennt sie die Chancen und treibt die Umsetzung voran?

Prof. Dr. Wilfried Sihn, Vorstand des Instituts für Managementwissenschaften der Technischen Universität Wien und Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH

Führung im Kontext der industriellen Revolution14

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Die Bandbreite möglicher Maßnahmen ist groß. Während einige internationale Kon- zerne bereits ganze Abteilungen gebildet haben, die sich mit dem Thema Unter- nehmenswandel in der Industrie 4.0 beschäftigen, sind mittelständische Unter- nehmen teilweise noch dabei, die Bedeu- tung digitaler Transformation über die Einführung von EDV-Systemen, tablets und Instant-Messengern hinaus zu erfassen. Nahezu unabhängig von der Unterneh- mensgröße sollten Unternehmen den folgenden Handlungsempfehlungen Beachtung schenken, um ihre Führungs- kräfte im Kontext Industrie 4.0 zu unterstützen.

Gehen Sie die Industrie 4.0 ganzheitlich an. Machen Sie sie zum Teil Ihrer Unternehmensstrategie, um eine klare Vision der Veränderungen zu definieren.

Ein ganzheitliches Bild ist bereits bei der Strategieentwicklung der entscheidende Erfolgsfaktor: von einer radikal geänderten Internet of Things Architektur über ange- passte Prozesse bis hin zu einer Gover- nance, die mehr denn je ein klares Rollen- und Aufgabenspektrum voraussetzt. Als Basis für alle Maßnahmen gilt es, diese gesamthaft in die digitale Unternehmens- strategie einzubinden. Dies ist sowohl für Initiativen in Bezug auf technische Veränderungen relevant als auch für Vorkehrungen, die den einzelnen Mitar- beiter bzw. die Führungskraft im Fokus haben. Die zuvor dargestellten „People Dimensions“ bedürfen einer festen Verankerung in der Personalstrategie, die eng mit der Unternehmensstrategie verknüpft sein sollte. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sowohl technische als auch mitarbeiterbezogene Maßnahmen aufeinander aufbauen und gemeinsam auf den Unternehmenserfolg einzahlen.

Nutzen Sie verfügbares Wissen innerhalb und außerhalb Ihrer Organisation.

Plattformen und Strukturen zum Informa- tionsaustausch und zum Erwerb spezifi- schen Wissens müssen geschaffen werden. Interne und externe Koopera- tionen können beispielsweise im Rahmen von Live-Communities entstehen, die mehrmals im Jahr zusammenkommen und sich mit ausgewählten Themen auseinandersetzen. Gezielte Partner- schaften mit Unternehmen, die fehlende Expertise und Lösungen einbringen, sind eine andere vielversprechende Möglichkeit und steigern die Innovations- fähigkeit. Johannes Riha, Assistent der Geschäftsführung bei GGW Gruber, dem Wiener Vertriebs- und Serviceunterneh- men im Bereich Mess- und Prüftechnik, zum Thema Kooperationen: „Es gibt viele Möglichkeiten, Kooperationen mit externen Netzwerken und Partnern einzu- gehen. Da unsere Prozesse unter- nehmensübergreifend sind, denken wir beispielsweise auch über Zusammenar- beitsmodelle in der Forschung nach.“ Die GGW Gruber & Co GmbH beteiligt sich aktuell an einer Kooperation mit dem researchTUb der TU Wien im Rahmen einer Pilotfabrik Industrie 4.0. Diese dient der Umsetzung von Forschungsprojekten und dem Test neuer Entwicklungen für die Produktionsmethoden der Zukunft ebenso wie der Vernetzung von Anlagen und der automatisierten Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette.

Geben Sie der Entwicklung Ihrer Führungskräfte die richtige Richtung.

Ein weiterer Schritt ist die Entwicklung und Einbindung neuer Module in die klassi- schen Führungskräfteentwicklungs- programme. Im Rahmen von Schulungen

und Coachings sollte ein zusätzlicher Fokus auf Kompetenzen rund um die Digitalisierung gelegt werden. Mögliche Module beschäftigen sich mit Themen wie Digital Engagement oder Digital Governance. Bei Ersterem geht es beispielsweise um die Vermittlung einer digitalen Vision, die Durchführung von Change-Initiativen und die Mobilisierung von Mitarbeitern. Bei Letzterem liegt der Fokus auf den Prozessen und Strukturen, die eine effektive Art der Zusammenar- beit und Innovation in Organisationen begünstigen. Zusätzliche Themen, die im Rahmen der Weiterbildung Berücksich- tigung finden sollten, sind beispielsweise agiles Projektmanagement oder Maßnah- men hinsichtlich wertebasierter Führung, die Führungskräfte auf den wachsenden Bedarf an Teamorientierung, Kommuni- kation und Transparenz im Umgang mit Mitarbeitern vorbereiten und sie so unterstützen, ihre Mitarbeiter zu motivieren.

Schaffen Sie Raum für Innovationen.

Neue Organisationsformen lassen sich nur schwer von heute auf morgen einführen. Zu groß sind oftmals die Unsicherheiten, ob neue Strukturen tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen. Daher sollten diese zunächst im kleinen Stil getestet werden, beispielsweise im Rahmen von

“ Es gibt viele Möglichkeiten, Kooperationen mit externen Netzwerken und Partnern einzugehen.

Johannes Riha, Assistent der Geschäftsführung bei GGW Gruber

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Pilotprojekten. Bei Bosch wird dies bereits umgesetzt: „Wir versuchen anhand von Piloten Beispiele zu generieren, die wir dann übertragen. Bei weichen Themen, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht, schauen wir uns die Pilotströme an und geben diese als Angebot weiter. Durch einen partizipativen Ansatz, bei dem Mitar- beiter eingebunden werden, erhoffen wir uns bessere Ergebnisse als bei einer klassischen Top-down-Umsetzung“, so Lilian Matischok, Projektleiterin im Innova- tionscluster „Connected Industry“ der Bosch-Gruppe. Eine noch konsequen- tere Umsetzung klassischer „Keimzellen“ für Innovationen sind dedizierte Einheiten, die in unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens installiert werden und transparent an der Entwicklung neuer Themen arbeiten sowie alle wesentlichen Bestandteile einer Industrie-4.0-Strategie bedienen. Auf diese Weise können sich

Unternehmen zu lernenden Organisa- tionen entwickeln, sich kontinuierlich neu gestalten und flexibel auf Veränderungen reagieren bzw. diesen einen Schritt voraus sein. Hierfür benötigt es zwei grundle- gende Voraussetzungen: zum einen interdisziplinär zusammengesetzte Teams, um alle erforderlichen Kompetenzen abzudecken. In diesen sollten sich vor allem auch visionäre, umsetzungsstarke Persönlichkeiten finden. Zum anderen klare Verantwortlichkeiten und kurze Berichtswege, um die notwendige Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Um diesen einen konsequenten Rahmen für ihre Aktivitäten zu bieten, sollten im Unternehmen auch Incentivierungssysteme geschaffen wer- den, die das unternehmerische Gesamt- ziel über bereichsspezifische oder persön- liche Einzelziele setzen und Projektergeb- nissen einen entsprechenden Stellenwert

einräumen. Denn auch die Anreize für Mitarbeiter müssen stimmen, um kontinu- ierlich neue Innovationen hervorzubringen. Den Weg für derartige Anpassungen der Unternehmensstrukturen kann nur die Geschäftsführung ebnen.

Die vierte industrielle Revolution löst in vielen Unternehmen Grundsatzentschei- dungen hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung aus. Bei der Definition einer Industrie-4.0-Strategie steht das Thema Transformation, also die Frage nach dem Weg zum Ziel, an erster Stelle. Die Organi- sation hier von Anfang an einzubinden ist der richtige Schritt, um eine Revolution wie die der Industrie 4.0 erfolgreich zu meistern – allen voran mit dem Chef 4.0.

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- Capgemini Consulting, Industry 4.0 – The Capgemini Consulting View, 2014

https://www.de.capgemini-consulting.com/resources/industry-40-capgemini-consulting

- Capgemini Consulting, Change Management Studie 2015

https://www.de.capgemini-consulting.com/resources/change-management-studie-2015

- Capgemini Consulting, Digital Leadership – Führungskräfteentwicklung im digitalen Zeitalter, 2015

https://www.de.capgemini-consulting.com/resource-file-access/resource/pdf/

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- Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, KapaflexCy

http://www.kapaflexcy.de/

- Stephan Grabmeier, Führungskultur in der Arbeitswelt 4.0 – bisher mehr Wunsch als Wirklichkeit,

06/05/2015

http://www.huffingtonpost.de/stephan-grabmeier/fuehrungskultur-

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- Björn Hobus/Michael W. Busch, Organisationale Ambidextrie, Die Betriebswirtschaft, Heft 02, 2011

- Industrie 4.0 im Anlagenbau – Eisenmann startet mit eigener Software

Company durch, 09/18/2015

http://www.eisenmann.com/de/medien/presse/presseinformationen

2015/2015_09_18_ENISCO.html

- Daniel Liebhart, Wie Industrie 4.0 den Führungsstil verändert, 06/23/2014

http://www.cio.de/a/wie-industrie-4-0-den-fuehrungsstil-veraender,2960778

- G. Probst, et al., Ambidextrous Leadership, Organizational Dynamics, 2011

Bibliografie

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Die Autoren

Sarah StaffenSenior ManagerExecutive Leadership & ChangeCapgemini [email protected]

Luisa SchoenwaldConsultantExecutive Leadership & ChangeCapgemini [email protected]

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