Fiktion - Ausgabe 04/2016

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    Straßenzeitung für Berlin & Brandenburg

    1,50 EURdavon 90 CT ür

    den_die Verkäuer_in

    No. 4, Februar 2016

    AUFREGENDBerliner Filmes-spiele (Seie ) 

    ANREGEND Julian Roseeld»Manieso« (Seie )

    ENGAGIERTWege aus derObdachlosigkei(Seie )

    FIKTION

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      srasse neger | Nr. | Februar | INHALT

    strassen|fegerDie soziale Sraßenzeiung srasseneger  wird vom Verein mob – obdach-lose machen mobil e.V. herausgegeben. Das Grundprinzip des srasseneger  is: Wir bieen Hile zur Selbshile!

    Der srasseneger  wird produzier von einem Team ehrenamlicherAuoren, die aus allen sozialen Schichen kommen. Der Verkau des sras-seneger  biee obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen dieMöglichkei zur selbsbesimmen Arbei. Sie können selbs enschei-den, wo und wann sie den srasseneger  anbieen. Die Verkäuer erhaleneinen Verkäuerausweis, der au Verlangen vorzuzeigen is.

    Der Verein mob e.V. finanzier durch den Verkau d es srasseneger  soziale Projeke wie die Noübernachung und den sozialen Treffpunk»Kaffee Bankrot« in der Sorkower Sr. 139d.Der Verein erhäl keine saaliche Unersüzung.

    Liebe Leser_innen,das Edito der Ausgabe »Fiktion« ist anders als sonst. Dazu weiterunten. Fiktion bedeutet ja, eine eigene Welt durch Literatur, Film,Malerei oder andere Formen der Darstellung sowie den Umgangmit einer solchen Welt zu schaffen. Sowas in der Art haben wirbeim strassenfeger  stets versucht. Es war immer ein Spagat zwi-

    schen dem Auftrag, uns entschieden für die Belange obdachloserMenschen einzusetzen, dabei aber auch spannende und lesenswerteAusgaben zu produzieren, die unsere Verkäufer auf der Straße feil-bieten können. Auch in dieser Ausgabe finden Sie viele interessanteArtikel, Berichte, Interviews zum Thema ›Fiktion‹, aber auch zu so-zialen Brennpunktthemen, wie immer pointiert und scharfzüngig.

    Ich möchte mich hier gemeinsam mit Urszula-Usakowska-Wolff(art  strassenfeger ) und Manfred Wolf (Kolumne »Aus meinerSchnupftabakdose«/Kptn Graubär) von den Lesern des stras-senfeger   verabschieden. Nach vielen bewegenden Jahren beimVerein mob – obdachlose machen mobil e.V. und beim strassen-

     feger  ist jetzt für uns Schluss. Es war eine schöne Zeit: aufregend,fordernd, aber auch lehrreich und… Mein Dank für die wun-derbare Zusammenarbeit über all die Jahre geht an Dieter Puhl

    von der Bahnhofsmission am Zoo, an Robert Veltmann von derGEBEWO - Soziale Dienste - Berlin gGmbH sowie Jörg Richertvom KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e.V.;wir haben tolle Projekte zusammen gestemmt und ganz präch-tig zusammengearbeitet. Außerdem möchte ich mich bedankenbei all den großartigen ehrenamtlichen Autoren und den fleißi-gen Verkäufern des strassenfeger . Dann sind da die Künstler zunennen, die unsere Arbeit so engagiert unterstützt haben, allenvoran Klaus Staeck, der ehemalige Präsident der Akademie derKünste, der mit uns immer wieder coole Medienpartnerschafteneingegangen ist. Dank auch an die Union Druckerei, die Pfeffer-werk Stiftung, das Internationale Netzwerk der Straßenzeitun-gen (INSP) mit all den wunderbaren Kollegen, die WerbeagenturDOJO, die immer wieder ganz smarte Spenden- und Imagekam-pagnen für uns entwickelt hat. Und nicht zuletzt an meine bei-

    den Layouter Ins A Kromminga und Peter Meyer, ohne die esdie vielen wunderbaren Ausgaben des strassenfeger  gar nicht ge-ben würde! Nach gut 200 Ausgaben des strassenfeger , daruntereinige gut gelungene Sonderausgaben wie die Schattenberichtezum Thema ›Armut‹, den wunderbaren Ausgaben zu Straßenkin-dern, Mode, Musik etc. und selbstredend Obdachlosigkeit wendeich mich jetzt neuen Aufgaben zu. Macht‘s gut und tschüss, wieman bei uns im Norden sagt.

    Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe wünscht Andreas Düllick

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    FIKTIONBerlinale – Wetbewerb & deuscher Film

    Goldener Ehrenbär ür Michael Ballhaus

    »Time Ou o Mind« – Richard Gere

    als ObdachloserWas wäre, wenn es keine Obdachlosen…

    Armu in Deuschland – keine Fikion!

    Was mach Film mi Zuschauern

    Begegnung mi Außerirdischen

    Kino auch ür Geringverdiener

    Kuns der Vorzei im Marin Gropius Bau

    Bedingungsloses Grundeinkommen

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    TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n f e g e r»Manieso« von Julian Roseeld

    im Hamburger Bahnho 

    V e r e i nPrakikum bei mob e.V.

    B r e n n p u n k tSusanne Gerull Sudie über Wege

    aus der Obdachlosigkei

    I N S P

    Bundesverdienskreuz ür Cheredakeurinvon Hinz&Kunz

    K u l t u r t i p p sskurril, amos und preiswer!

    A k t u e l lKuns aus dem Holocaus im Deuschen

    Hisorischen Museum

    S p o r tINDOOR ISTAF – Leichahleik der Exraklasse

    Herha BSC im Halbfinale des DFB-Pokals

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    AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e rZahlungslücke – was un?

    K o l u m n eAus meiner Schnupabakdose

    V o r l e t z t e S e i t eLeserbriee, Vorschau, Impressum

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    stras senfeger | Nr. | Februar FIKTION |

    »Alle Menschen haben

    ein Recht auf Glück«Die 66. Berliner FilmfestspieleB E R I C H T : A n d r e a s D ü l l i c k

    Der Berlinale-Direktor Dieter Kosslick ist ein am-bitionierter Mensch: Seine Berlinale soll vor al-lem immer höchst politisch sein. Dies geht leideroft zu Lasten des Cineastischen. Dabei wäre eswunderbar, wenn die ausgewählten Filme beides

    zusammenbringen würden: die tagesaktuelle Politik und diegroße Kinokunst. In den vergangenen Jahren hat das schoneher selten funktioniert. In diesem Jahr ist es noch schwieriger.Kosslick hat das Motto ausgegeben: »Alle Menschen habenein Recht auf Glück.« Auf der Berlinale wollte er einen öffent-lichen Diskurs über das aktuelle Flüchtlingsdrama. Deshalbhat sein Team gezielt Filme ausgesucht, die sich mit diesemschwierigen Thema auseinandersetzen. Im Interview mit dem

    Deutschlandfunk sagte Kosslick dazu, dass die Berlinale sichschon immer für die Armen und Entrechteten engagiert habe.Das Filmfestival könne einen Beitrag dazu leisten, Menscheneinen Blick in andere Leben, Situationen und Perspektiven zugewähren, die sie sonst nicht zu Gesicht bekämen und so Em-pathie und Verständnis fördern. »Das ist die erste brutale Ant-wort auf eine ungebremste ökonomische Globalisierung.« Inseiner Einschätzung der derzeitigen Weltpolitik mag Kosslickrichtig liegen. In der Auswahl der Filme, nun ja...

    D e r B ä r e n - W e t t b e w e r b & d e r d e u t s c h e F i l m

    Der Wettbewerb startete auch in diesem Jahr wieder mit ei-nem opulenten Hollywood-Film. Die Brüder Ethan und JoelCoen, berühmt durch ihre vortrefflichen Meisterwerke wie»Fargo, »Big Lebowski« oder »No country for old men« (undmehr!) sollen wahrscheinlich den Glanz von Hollywood andie Spree bringen. Leider ist ihr neuestes Werk »Hail Cae-

    sar!« weder ein Geniestreich, noch reicht er auch nur im Ent-ferntesten an ihre großen Filme heran. Wenigstens haben siezur Premiere auch den Frauenschwarm George Clooney imGepäck. Der wiederum reiste mit Ehefrau Amal an, die beruf-lich als Menschenrechtsanwältin tätig ist. Clooney schaffte esdann nebst Ehefrau sogar ins Kanzleramt und in die Haupt-nachrichten. Mit Angela Merkel sprachen die Clooneys überdie Flüchtlingspolitik und die Konflikte in Syrien. Was dabeiherauskam, kann man bei Harald Martenstein nachlesen.*

    H a t d e r d e u t s c h e F i l m n i c h t m e h r z u b i e t e n ?

    Ein einziger deutscher Film hat es heuer in den Wettbewerb

    geschafft. »24 Wochen« Regisseurin ist der Abschlussfilm derRegisseurin Anne Zohra Berrached an der FilmhochschuleBaden-Württemberg. Warum ausgerechnet dieser Beitragim Wettstreit um den Goldenen Bären antritt, ist mir wirk-lich schleierhaft. Sein Thema ist brisant: Astrid und Markussind ein Paar, sie ist in der 24. Woche schwanger. Das Kind,das sie unterm Herzen trägt, hat ein Downsyndrom und zweiHerzkammerfehler. Was soll sie tun? Das Kind behalten odersich für eine Abtreibung entscheiden? Was soll sie Markussagen? Wie wird die Gesellschaft reagieren? Astrid muss al-lein mit sich über Leben und Tod entscheiden. Das filmischumzusetzen, so dass es der Zuschauer ertragen kann, ist ex-trem schwierig. Ich finde, dass es der Regisseurin und ihremTeam leider nicht gelungen ist. Zu moralisch, zu nah dran, zuhart, zu wenig Kunst. Zumal für den Wettbewerb eines A-Fes-tivals. Letztlich fühlt man sich bei diesem Tabuthema viel zuunbehaglich, das können auch die wirklich beeindruckendenHauptdarsteller Julia Jentsch und Bjarne Mädel nicht

    Grüße aus Fukushima / Panorama 2016 / DEU 2016/ REGIE: Doris Dörrie (Foo: Mahias Bohor © Majesic)

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      strass enfeger | N r. | Februar | FIKTION

    Fuocoammare | Fire a Sea /Wetbewerb 2016/ ITA/FRA 2015/REGIE: Gianranco Rosi(Foo: Samuele Pucillo)

    Berlinale-Impressionen(Foo: Andreas Düllick © VG Bild-Kuns)

    wegspielen. Bei der Pressevorführung ver-

    ließen viele Kritiker vorzeitig den Saal. Ich binmir fast sicher, dass der Film wenige Zuschauerin die Kinos locken wird. Aber das müssen dieFilmfans dann letztlich selbst entscheiden, wennder Film dann in die Kinos kommt.

    D o c h , e r h a t !

    Doch da ist ja noch ein deutscher Film. Er hates nicht in den Wettbewerb geschafft hat. Lei-der! Doris Dörrie muss mit ihrem neuen Werkin der Reihe Panorama Special antreten. Auchin »Grüße aus Fukushima« geht es um das vonDieter Kosslick vorgegebene Motto »Alle Men-schen haben ein Recht auf Glück«. Die jungeMarie (gespielt von Rosalie Thomass) fährt nach

    Japan, um dort für die Organisation »Clowns-4Help« den Überlebenden der Atomkatastrophevon Fukushima das Lächeln zurückzubringen.Allerdings geht es Marie eigentlich nur um eineverzweifelte Flucht aus Deutschland, insbeson-dere vor ihrer verlorenen Liebe, die sie selbstverschuldet hat. In Japan diesem, ihr vollkom-men fremden Land, sie spricht natürlich nichtJapanisch, muss sie schnell erkennen, dass sie ei-gentlich vollkommen fehl am Platz ist. Vor allemhier in Fukushima, diesem Ort, der am 11. März2011 um 14:47 Uhr Ortszeit von einer nuklea-ren Katastrophe nahezu unbewohnbar gemachtwurde. Ein verheerendes Erbeben der Stärke 9auf der Richterskala löste eine Flutwelle aus,

    die auch das Kernkraftwerk traf. Vier von sechsReaktorblöcken waren betroffen, in Block 1 bis3 kam es zu Kernschmelzen. Große Mengen anradioaktivem Material wurden freigesetzt undkontaminierten Luft, Böden, Wasser und Nah-rungsmittel. 170 000 Einwohner wurden ausden betroffenen Gebieten evakuiert. Hundert-tausende in landwirtschaftlichen Betrieben zu-rückgelassene Tiere verendeten. Langfristig wirdmit bis zu 10 000 Toten durch die Nuklearkatas-trophe gerechnet. Die Entsorgungsarbeiten wer-den voraussichtlich 30 bis 40 Jahre dauern, dieKosten der Katastrophe auf über 150 Mrd. Euro(Frankfurter Allgemeine Zeitung) geschätzt.(Quelle Wikipedia)

    Doch Marie hat Glück: Sie trifft auf diewunderbare Satomi (Kaori Momoi). Satomi istdie letzte Geisha Fukushimas (deshalb spricht

    sie auch Englisch) und fest entschlossen, in ihraltes, zerstörtes Haus zurückzuziehen. Doch dasliegt in der nuklearen Sperrzone. Satomi stiehltein Auto und fordert Marie auf, sie in die Zonezu fahren. Für Marie ist das alles zu viel, sie kannweder den in Notquartiere umgesiedelten Men-schen Freude bringen, noch Freude am eigenenSein empfinden. Und: Die umtriebige Satomiverlangt einfach zu viel von ihr. Doch irgend-wie begreift Marie, dass sie sich stellen muss,nicht wieder fliehen darf vor sich selbst, ihrenGeistern und der Verantwortung. Sie bleibt imHaus der Geisha, beräumt es gemeinsam mit ihr. Was folgt ist ein Spiel zwischen Meisterin und

    Schülerin. Die Japanerin bringt der Deutschenviel über die japanische Kultur, aber auch überdas Leben an sich bei. Doch auch Satomi hateinen dunklen Punkt in ihrem Leben, hat ihreGeister. Ein Glück für sie, dass Marie im rechtenMoment zur Stelle ist.

    Der Film hat zwei Bedeutungsebenen: Ei-nerseits ist da der verzweifelte Kampf der bei-den Frauen gegen die Geister, die sie verfolgen.Und dann ist da die Mahnung, an das, was dortin Fukushima passiert ist, dieser atomare Su-pergau, der leider schon wieder in Vergessen-heit gerät, gerade einmal fünf Jahre danach!Sieht man die Bilder der Todeszone, könnteman man meinen, dass dort so gut wie nichtspassiert. Doris Dörrie sagte in einem Interviewdazu: »Es ist, glaube ich, wirklich beschlossenworden, die Leute da zu vergessen. Denn fünf

    Jahre nach der Katastrophe sitzen sie genauso in

    den Notunterkünften wie direkt danach. Es hatkeinen Wiederaufbau gegeben, nur ein großesAufräumen, damit man die Zerstörung nichtmehr so sieht. Aber es ist ein merkwürdigesAufräumen. Es wird Erde in Säcke gepackt, dieda herumstehen. Die kontaminierte Erde wirdabgegraben, in Plastiksäcke gepackt – und dannstehen die Säcke da für immer rum.«

    Dieser Film in Schwarz-Weiß ist stark undklug. Doris Dörrie gelingt es auf beeindruckende Weise, Politik und Menschsein künstlerisch zuverarbeiten. Sie sorgt mit diesen Film dafür, dasswir erfahren, dass es unabdingbar ist, sich sei-nem Leben zu stellen, man hat nur dieses eine,wie ihre Protagonistin Satomi ihrer »Schülerin«Marie an einer Stelle treffend erklärt. Und: Sie

    mahnt uns, den atomaren Supergau in Fuku-shima nicht zu vergessen.

    Rosalie Thomass wurde übrigens für ihreDarstellung in »Grüße aus Fukushima« bereitsmit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.Deutscher Kinostart des Dramas ist am 10.März 2016.

    R o s i n e n i n d e r B e r l i n a l e - S e k t i o nF o r u m R e t r o s p e k t i v e

    Ein echtes Schmankerl für wahre Filmfreaks gabes unter dem Titel »Hachimiri Madness – Japa-nese Indies from the Punk Years« in der Forum-Sektion. Die Reihe neu digitalisierter und unterti-

    telter japanischer 8-mm-Filme aus den Jahren von1977 bis 1990, die den rebellischen Geist jenerZeit widerspiegeln, wurde kuratiert von KeikoAraki (PIA Tokio), Jacob Wong (Hong Kong FilmFestival) und Christoph Terhechte (Berlinale Fo-rum). Leider wird man diese Reihe wohl kaumaußerhalb der Berlinale sehen können.

    Übrigens: Dieter Kosslick hat wieder einmalein Ziel erreicht: Die Berlinale bleibt ein Pub-likumsfestival. Schon zur Hälfte des Festivalswaren knapp 250 000 Tickets verkauft worden.Und mit der politischen Berlinale hat es ja auchwieder geklappt, denn der Gewinner des Golde-nen Bären ist...

    *htp://www.agesspiegel.de/kulur/harald-marensein-zur-

    berlinale-2016-was-hiner-dem-besuch-von-george-clooney-

    bei-angela-merkel-seck/12956718.hml 

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    stras senfeger | Nr. | Februar FIKTION |

    Wenn die Kamera 360-Grad-Kurven fährtDer Kameramann Michael Ballhaus erhält den Goldenen Ehrenbärender Berlinale für sein LebenswerkB E R I C H T : A n d r e a s D ü l l i c k

    Der Berliner Michael Ballhaus ist ganz sicher ei-ner der besten und wichtigsten Kameramännerder Welt. Er gilt als Erfinder des sogenannten»Ballhaus-Kreisels, einer innovativen Technikeiner 360-Grad-Kamerafahrt. 1974 setzte er sie

    zum ersten Mal ein: In Rainer Werner Fassbinders Film »Mar-tha« umkurvte Ballhaus die Akteure erstmals komplett in ei-nem geschlossenen Kreis mit seiner Kamera. Der Ballhaus-Kreisel war geboren und mit ihm ein Markenzeichen. VieleKollegen kopierten das später, sodass Ballhaus dann auf dieKamerafahrt zunehmend verzichtete. Er entwickelte andereTechniken. Ihn faszinierte die Kamera, die sich frei bewegt,die zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel wird. Deswegennennt man Ballhaus auch treffend einen »Komponisten derbewegten Bilder«. Doch zum Kern seiner Kunst wurde letzt-lich, dass Ballhaus seine Bilder immer in den Dienst der Ge-

    schichte des Films stellte. Dafür erhielt Michael Ballhaus nunden Goldenen Ehrenbär der Berlinale für sein Lebenswerk.Berlinale-Chef Dieter Kosslick begründete die Auszeichnungdamit, dass Ballhaus all seinen Regisseuren ein kongenialerPartner gewesen sei. Sein Werk sei einzigartig. Ballhaus be-dankte sich angemessen: Der Ehrenbär bedeute ihm viel, daer der Berlinale immer sehr verbunden gewesen sei. »Ich habesie von Anfang an verfolgt.« Das Filmeschauen sei seine Film-schule gewesen. »Das fing mit der Nouvelle Vague an und hatsich dann fortgesetzt.« Dann kam Fassbinder.

    Tja, Fassbinder. 15 Filme drehte er zusammen mit diesemEnfant terrible des deutschen Films, es war der Beginn seineratemberaubenden Karriere. Über »Whity«, den viele Kritikerfür gescheitert halten, erzählt Ballhaus, dass sich seine Licht-

    und Kameraarbeit an Genrevorbildern orientierte, etwa anFilmen von Sergio Leone. Hier schon begann sein Weg wegvon der statischen Kamera hin zur Bewegung. 1974 folgten»Faustrecht der Freiheit« und 1979 schließlich »Die Ehe derMaria Braun«. Die Zusammenarbeit mit Fassbinder machteBallhaus über Deutsachland hinaus in der Filmszene bekanntund öffnete ihm schließlich auch in den USA die Türen.

    In Hollywood reifte Michael Ballhaus zu einem der gefrag-testen Kameramänner überhaupt. Er drehte mit den bes-ten Regisseuren der Welt wie Francis Ford Coppola, BarryLevinson, Paul Newmann, Frank Oz, Robert Redford, vorallem aber mit dem kongenialen Martin Scorsese. 1985 be-gann diese aufregende Zusammenarbeit mit »Die Zeit nachMitternacht«. Es folgten sechs weitere Filme, darunter mit»Die Farbe des Geldes«, »Good Fellas«, Zeit der Unschuld«,»Gangs of New York« und »Departed – Unter Feinden« einigeder besten Filme aller Zeiten. Dreimal war Ballhaus war für

    einen Oscar nominiert: für »Narichtenfieber vonJames L. Brooks (1988), »Die fabelhaften BakerBoys« von Steven Cloves (1990) sowie »Gangs ofNew York« (2003). Ein absolutes Rätsel, warumer den »Oscar« noch nicht gewann. Stattdessenwurde er 2006 Preisträger der Berlinale Kameraund erhielt 2007 den Europäischen Filmpreis.

    Im Jahr 2007 verkündete er seinen Rückzug ausHollywood. Seinen letzten Film drehte er 2013:»3096 Tage«, Regie führte seine Ehefrau SherryHormann. Es ist die Leidensgeschichte von Nata-

    scha Kampusch, die 1988 in Wien von WolfgangPřiklopil entführt und dann 3096 Tage in einemschalldichten Verlies gefangen gehalten wurde.Ballhaus drehte hier übrigens zum ersten Mal miteiner digitalen Kamera einen Spielfilm.

    Michael Ballhaus erklärte unlängst, dass er lang-sam erblindet. Schrecklich für den »Kompo-nisten der Bilder«. Er selbst nimmt es gelassen:»Alles hat seine Zeit. Und diese Zeit ist vorbei.Ich trauere dieser Zeit nicht mehr nach. Ich kannin meinem Alter auch nicht mehr solche Filmemachen. Das hat auch mit meinen Augen zu tun.Aber jetzt ist es vorbei.«

    »Eine der wichtigsten Eigenschaften ist, dass

    man versucht, neue Bilder zu finden auch füreine Geschichte.« Michael Ballhaus.

    Michael Ballhaus au dem roenTeppich der Berlinale (Quelle: Berlinale)

    Filme des Kameramanns Michael

    Ballhaus lieen in der Rerospekive(Foo: Andreas Düllick ©VG Bild-Kuns)

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    Hollywood-Sar Richard Gere spieleinen Obdachlosen

    Filmplaka

     Sraßenzeiungsverkäuer JerryTucker (links) ri Richard Gere

    (Foos: Al B)

      strass enfeger | N r. | Februar | FIKTION

    »Time Out of Mind«Als Obdachloser auf der Straße wird sogar Hollywood-Star Richard Gere unsichtbarT E X T & I N T E R V I E W : » O n e S t e p A w a y « / P hi l a d e l p h i a ) | ( Z u r V e r f ü g u n g g e s t e l l t v o n I N S P N e w s S e r v i c e w w w . I N S P . n g o )

    In einem Interview mit der Straßenzeitung »One StepAway« aus Philadelphia lobte der Hollywood-SuperstarRichard Gere das Engagement der Straßenzeitungenund bezeichnet die Verkäufer als »Helden«. Gere, dersich seit Langem für Obdachlose einsetzt, diskutierte

    mit Verkäufer Jerry Tucker über seine Rolle als Obdachloserin seinem neuen Film »Time Out of Mind«. »Diese Menschensind die wahren Helden, die Überlebenskünstler«, sagte derSchauspieler. Gere besuchte Philadelphia auf einer Promoti-onstour für seinen Film »Time Out of Mind«, in dem er denObdachlosen George spielt, der auf den Straßen New Yorkslebt. Das Projekt liegt dem Schauspieler besonders am Her-zen, denn er setzt sich schon lange für die Anliegen der Ob-

    dachlosen ein: Er ist Mitglied der Hilfsorganisation »NewYork Coalition for the Homeless«, die Menschen ohne festen Wohnsitz unterstützt, und er gehört zu den Förderern vonsozialen Straßenzeitungen.

    »Für mich sind diese Menschen die wahren Helden, dieÜberlebenskünstler«, sagte Richard Gere nach der Filmvor-führung. »Eure Verkäufer sind dort draußen, sie haben etwasGroßartiges geschafft. Sie haben sich aus einem tiefen Lochhochgearbeitet, und das ist ihnen nicht ohne Hilfe gelungen.«Geres Offenheit und Engagement für die Sache war beimpersönlichen Gespräch mit Jerry augenfällig. »Nach wenigenAugenblicken fühlte ich mich, als ob wir uns schon jahrelangkennen würden«, beschrieb Jerry Tucker das Treffen mit Gere.»Er war aufmerksam und sah mir in die Augen, wenn er mitmir sprach. Er war so freundlich und offen, man merkt sofort,dass es ihm darum geht, Menschen in Not zu helfen.« Geresprach mit Jerry über dessen eigene Erfahrungen und fragteihn, ob er Unterstützung erhalten habe, um seine Obdach-

    losigkeit zu überwinden. Als Jerry diese Fragebejahte, sagte der Schauspieler: »Gott sei Dankwar Hilfe da, als Sie sie gebraucht haben, und Siehatten die Kraft, die Hand auszustrecken und dieHilfe anzunehmen. Ich weiß, dass es Situationengibt, in denen man nicht einmal mehr die Energiehat, diese Unterstützung anzunehmen. Aber zumGlück konnten Sie das. Sie sind ein Held.« Jerrybekräftigte: »Ich bin ein starker Mensch, glaubenSie mir, ich bin stark. Ich versuche, die anderenJungs auf der Straße zu ermutigen, denn, wennich es schaffen kann, können sie das auch.«

    Gere erzählte dann über den Roman »Land

    of the Lost Souls«, verfasst von einem Autor mitdem Pseudonym »Cadillac Man«, das über die 16Jahre berichtet, die dieser auf den Straßen NewYorks verbracht hat. Das Buch habe das Dreh-buch für »Time Out of Mind« stark beeinflusst, soGere. »Die Art, wie er seine Geschichte erzählte,hat uns beim Verfassen des Drehbuchs inspiriert.Er ist kein Schriftsteller, kein ausgebildeter Au-tor, aber weil er so ehrlich erzählte, entstand einsehr berührendes Buch, das mir sehr viel bedeu-tete. Das ging vielen Menschen so. Und ich binsicher, seine Geschichte ist nicht so viel andersals Ihre.« Jerry erwiderte: »Ja, ich habe auch eineGeschichte zu erzählen.« Da zeigte Gere auf dieaktuelle Ausgabe von »One Step Away« in JerrysHand. »Und jetzt haben Sie einen Ort gefunden,an dem Ihre Geschichte einen Platz hat.«

    Gere sprach dann über seine Begeisterung

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    stras senfeger | Nr. | Februar FIKTION |

    für das Projekt »Time Out of Mind«, in dem ereinen Obdachlosen spielt, der versucht, sich ausseiner schwierigen Lage zu befreien und seinerTochter wieder näher zu kommen. »Wir habenuns sehr viele Gedanken über dieses Filmprojekt

    gemacht und sind mit Bedacht vorgegangen«,sagte er. »Ich bin ungemein stolz auf diesen Film.Ich glaube, wir erzählen eine Geschichte, dieauch eine Würdigung der Menschen ist, die – auswelchem Grund auch immer, denn es gibt vie-lerlei Gründe, warum ein Mensch in eine solcheSituation gerät – auf der Straße leben, und wirstellen den Menschen – und nicht den Obdach-losen – in den Mittelpunkt, sodass man sich vielstärker mit den Protagonisten identifiziert.« Erfügte hinzu: »Ich sage das immer wieder: Wir allesehnen uns danach, das Kostbare und Wunder-volle, das in uns allen verborgen ist, zu finden.Aber wir sind gesellige Wesen, wir möchten un-ter Menschen leben, die in uns etwas Wertvolles

    sehen, das ist uns allen wichtig.«» I c h w a r u n s i c h t b a r «

    Geres Figur George sucht Zuflucht im »BellevueHospital«, einer Unterkunft für obdachlose Män-ner in Manhattan. Er schließt Freundschaft mitdem Schicksalsgenossen Dixon, gespielt von BenVereen, der ihm dabei hilft, die zerrüttete Be-ziehung mit seiner Tochter wieder aufzubauen.»Ich möchte die Menschen in den Mittelpunktstellen«, beschrieb Gere die Art und Weise, wiedie beiden Hauptfiguren des Films porträtiertwerden. Das Gerüst des Films bilden GeorgesAnstrengungen, bemerkt zu werden, sich auf derStraße durchzuschlagen, nachdem er aus demverlassenen Gebäude, in dem er Unterschlupfgesucht hatte, hinausgeworfen worden war, undwieder Kontakt zu seiner Familie herzustellen.

    »Der Film konzentriert sich darauf, diese Figurund ihre Schwierigkeiten zu verstehen«, erklärteGere. Jerry bestätigte, dass der Film die Realitätdes Lebens auf der Straße auf sehr glaubwürdige Weise darstellt. Er kann sich nur zu gut in das

    Schicksal des obdachlosen George einfühlen:Nachdem er zuerst seinen Vater und dann auchseine Mutter verloren hatte, landete er mit nur16 Jahren zum ersten Mal auf der Straße. »Dasist genau, was Obdachlossein bedeutet. DieMenschen wenden sich von dir ab. Ich wurdeobdachlos, weil ich niemanden hatte.« Und: »Ri-chard Gere fing an zu verstehen, wie sich Ob-dachlosigkeit anfühlt, wie es ist, in eine dieserObdachlosenunterkünfte gehen zu müssen, wieman dich dort behandelt, er hat das alles mitbe-kommen.« Gere selbst meinte dazu: »Weil aus sogroßer Entfernung gefilmt wurde, spürte ich einegewisse Freiheit. Dabei war ich mitten im NewYorker Alltag – aber ich war unsichtbar. Weil ich

    diese Figur spielte, stempelten mich die Leute alsObdachlosen ab, schon wenn sie mich von wei-tem sahen, und schauten dann gar nicht genauerhin. Jetzt während dieses Gesprächs bin ich ge-nau die gleiche Person wie dort auf der Straße- aber damals hat mir niemand in die Augen ge-schaut.« Diese Distanziertheit ist für Obdachloseentmenschlichend und niederschmetternd. »DieLeute schauen auf die herab, wenn du obdach-los bist«, glaubt Jerry. »Sie denken sich: Wennder sich nicht selbst helfen kann, warum solltenwir ihm dann helfen? Das geht ihnen durch denKopf, das ist, was sie sehen.«

    Auch wenn diese Erfahrung für RichardGere nur kurze Zeit dauerte, hat ihn die Tatsa-che, dass er auf der Straße einfach übersehenwurde, auf eine schwer zu beschreibende Artbewegt. »Es war verwirrend und tiefgehend«,

    erinnerte er sich. »Als Filmemacher war ich frohdarüber, denn es gab mir die Bestätigung, dassder Film funktionieren würde. Hätte mich jedererkannt, hätten wir das Projekt aufgeben müs-

    sen. Wir hätten den Film nicht machen können,es wäre unmöglich gewesen.« Jerry meinte dazu:»Wenn nun also Richard Gere, ein reicher undberühmter Schauspieler, über den hier jeder nurGutes denkt, an einer Straßenecke stehen kannund wie ein Aussätziger behandelt wird, dann istdas ein prägendes Erlebnis für mich persönlichund es sollte auch das Kinopublikum zum Nach-denken bringen.«

    » E s h a t m e i n e S i c h t a u f m i c h s e l b s tu n d a u f m e i n s o z i a l e s U m f e l d r a d i k a lv e r ä n d e r t «

    Eine Stärke des Films liegt darin, wie die körper-lichen Folgen und die Zerstörung durch das Le-

    ben auf der Straße dargestellt werden. Gere zeigtaber auch die tiefgreifenden psychischen undemotionalen Schäden, die aus dem Teufelskreisvon Obdachlosigkeit und Instabilität entstehen.Obdachlosigkeit heißt nicht einfach nur, keinenfesten Wohnsitz zu haben. Das zeigt sich am Exis-tenzkampf, den George im Film durchlebt. Gerebeschrieb den Zustand seiner Figur sogar als je-nen eines Tiers, denn alles, was er denken kann,ist »Ich bin müde, ich habe Hunger, ich braucheeinen Platz zum Schlafen«. Der Hollywood-Stargibt im Film viel von sich preis (manchmal buch-stäblich bis auf die nackte Haut) und sagte, erhabe die Figur George auf die grundlegendsteStufe der menschlichen Existenz reduziert.

    Der Film zeigt auch die Probleme, mit de-

    nen George konfrontiert ist, wenn er versucht,mit dem Sozialsystem klarzukommen; einemSystem, das oft genau jenen Menschen, denenes eigentlich helfen will, noch mehr Rechte weg-nimmt. »Es gibt keine Bösewichte in unseremFilm«, sagte Gere. »Es gibt Menschen, die sichschlecht verhalten, solche die vor lauter Stressnicht mehr wissen, wo unten und oben ist, dieüberarbeitet und auf ihre Aufgaben schlecht vor-bereitet sind und sich in Bürokratie und Chaosverirrt haben, aber wir stecken da alle gemeinsamdrin. Ich hoffe, dass sich das auch so anfühlt.«Über das gegenwärtige Unterkunftssystem sagteGere: »Es sind Lagerräume. Langfristige Lager-räume.« Das sieht auch Jerry so: »Als ich in der

    Obdachlosenunterkunft wohnte, schliefen wirzu acht in einem Raum, genau wie im Film. Dawar kein Platz zum Atmen. Es war keine ange-nehme Situation und wer zu lange in der Unter-kunft blieb, konnte leicht dort hängenbleiben.Deshalb verkaufe ich jetzt ‚One Step Away‘. Inden Unterkünften passiert nie etwas Gutes, nurProbleme gibt es dort.«

    Am Ende von »Time Out of Mind« gibtes einen Hoffnungsschimmer für Geres FigurGeorge. Im richtigen Leben sind Menschen wieJerry ein Beispiel dafür, dass man sich aus derObdachlosigkeit befreien kann, auch wenn dieLage zuerst ausweglos scheint. Für jene, die sichgerade auf der Straße durchschlagen müssen, hatJerry einen Rat: »Wenn ich es schaffe, kannst dues auch schaffen. Du hast eine Chance, wenn duden Willen dazu hast.«

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     So müssen Obdachlose im Tiergaren vegeieren.(Foo: Andreas Düllick © VG Bild-Kuns)

    Die zerborsene Scheibe der Bahnhosmission iskeine Fikion! (Quelle: Dieer Puhl)

    Dieer Puhl kenn die äglichen Geahren in der Sozialarbei genau. (Foo: Andreas Düllick © VG Bild-Kuns)

    Rund 600 obdachlose Menschen ragen äglich

    um Hile an. (Foo: Andreas Düllick © VG Bild-Kuns)

    Obdachlose im Regierungsvierel.(Foo: Andreas Düllick © VG Bild-Kuns)

      strass enfeger | N r. | Februar | FIKTION

    Mitarbeiterin der BahnhofsmissionZoo verlor ihr AugenlichtEine Fiktion, die schnell zur Realität werden könnte!F I K T I V E R B E R I C H T : A n d r e a s D ü l l i c k / D i e t e r P u h l

    Heute Nacht kam es vor der BahnhofsmissionZoo zu einer Auseinandersetzung zwischen ei-nem obdachlosen Gast und der ehrenamtlichenHelferin Sabine K., der Streit eskalierte, dieEingangstür zersplitterte, Sabine K. ist nun aufeinem Auge blind. 

    Oft hatten sich ihre Wege in den letzten vierJahren gekreuzt, denn der obdachlose JohannesB., 59, war Stammgast der BahnhofsmissionZoologischer Garten, suchte die Einrichtung re-gelmäßig zum Essen auf, aber auch, um hier Be-kleidung zu erhalten oder zweimal im Jahr einenSchlafsack, während die 42-jährige Kranken-gymnastin Sabine K. hier seit 3,5 Jahren dreimalwöchentlich ehrenamtlich anpackte. Oft trafensie aufeinander, manchmal tauschten sie sichaus, selten war das nah und es lag wohl nicht ander aufgeschlossenen, lebensfrohen Helferin, sieliebt Gespräche und Kontakte, Johannes dagegenhat seine Päckchen zu tragen und auf einem steht»Ich kann nicht gut mit Menschen«. Das kann Jo-hannes wirklich nicht, lange lebte er in Siemens-stadt in einer kleinen 1,5 Zimmer Wohnung undsolange seine Kraft reichte, ging er auch einer Tä-

    tigkeit als Tischler nach. Dann kamen die Stim-men und sie raubten ihm den Schlaf. Geh mal zurArbeit, wenn du ein Jahr lang nur eine Stundepro Nacht schläfst. Was nicht geht, das geht ein-fach nicht, Thomas verlor die Arbeitsstelle, aberer hatte ja noch seine Wohnung. »Eigentümlichwar er schon« so einige seiner ehemaligen Nach-

    barn, »kauzig« beschreiben ihn andere in ihrerErinnerung, aber vielen machte er einfach Angst.»Der quatschte die ganze Nacht mit sich selbst,war ziemlich gaga, echt nicht normal, manchmalrückte er nachts Möbel. Das hält man nur be-grenzt aus.« Dachten viele und wandten sich andas Amt, und als das keine gute Lösung ermög-lichte, schließlich an die Hausverwaltung. KlaresErgebnis: Johannes wurde geräumt, wurde ob-dachlos. Acht Jahre ist das her. Auf der Straße wurden seine Spuren dünner.Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission könnenwenig über ihn sagen. Wie auch, bei täglich 600Gästen, 5 000 verschiedene sind das schon imJahr. Wie bleibt ein Mensch wie Johannes in Er-innerung? »Meist war er freundlich, ich mochteihn«, so die 16-jährige Praktikantin Jessica,

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    die ihn seit drei Monaten kennt. »Er war starkpsychisch erkrankt, benötigte dringend Hilfe,flutschte durch alle Maschen des Hilfenetzes«,so Dieter Puhl, Leiter der evangelischen Ein-richtung. »Die Notübernachtungen waren ihmzu voll, dort kam er nicht klar, er verzweifeltezunehmend, zog sich immer mehr zurück, eckte

    aber auch immer mehr an.« So habe man mehr-fach den Amtsarzt gerufen, zweimal sei Johan-nes auch gegen seinen Willen in ein Fachkran-kenhaus eingewiesen worden, behandelt wurdeer dort nicht, sondern beide Male jeweils nachzwei Tagen entlassen. »Schlimm für ihn, leidernun auch sehr schlimm für andere«, so Puhl. »Ich will einen Schlafsack«, so Thomas in derNacht um ein Uhr früh, Sabine hatte an der TürDienst. Schlafsäcke waren aber seit Tagen nichtmehr vorhanden, »Mangelwahre – ein Fünfer mitZusatzzahl, wenn wir einen haben«, so die übri-gen Mitarbeiter der Einrichtung, »dann müsseneinige tausend Obdachlose halt in dünner Jacke

    im Tiergarten nächtigen, denn genügend Not-übernachtungsplätze gibt es doch auch nicht.«Ein Wort gab wohl das andere, Sabine bliebfreundlich dabei, Thomas ist seit Jahren ver-zweifelt und verzweifelte wohl noch mehr. »Esbruzzelte«, so andere und die Mitarbeiter zogensich zurück. Selbstschutz. Das funktioniertenicht, weil die Tür aus Glas ist und Johannes ei-nen Stein fand. Mit diesem zerschlug er die Tür,das Glas splitterte, Sabine erlitt Schnittwundenim Gesicht, schlimmer, das haben die ärztlichenUntersuchungen bereits ergeben, auf einemAuge ist sie erblindet, um das andere kämpfendie Ärzte noch. 3 000 bis 6 000 obdachlose Menschen, hiergehen die Schätzungen sehr auseinander, le-ben in Berlin obdachlos auf der Straße. Sicher

    dagegen sind andere Zahlen: 60 Prozent vonihnen sind psychisch beeinträchtigt oder garbehindert und es gibt nur 830 Notübernach-

    tungsplätze für sie in der Bundeshauptstadt.Sicher ist auch, es gibt keine psychiatrischenAngebote für sie auf der Straße. Und – ihreAnzahl steigt jährlich rapide. »Etliche irren de-menzerkrankt durch den Tiergarten, haben ver-gessen, wo sie wohnen und ernähren sich ausMülltonnen. Schlimm. Andere gefährden sich,sterben durch Unfälle, werden von U-Bahnenüberfahren oder lösen sich langsam in Luft auf,höfliche Formulierung für einen Verwesungs-prozess bei lebendigem Leib,« so Einrichtungs-leiter Dieter Puhl gegenüber dem strassenfeger . Der strassenfeger  wollte von der Senatsverwal-tung für Gesundheit und Soziales wissen, ob dieAngebote ausreichen und Ehrenamtliche genü-gend geschützt seien, leider fand sich kein Ge-sprächspartner. Zu einem Gespräch war Sabine

    K. nicht in der Lage, im Krankenhaus kämpfendie Ärzte um die Sehfähigkeit ihres zweiten Au-ges. Andere Ehrenamtliche der Bahnhofsmis-

    sion Zoo und weiterer Einrichtungen überlegen,ihre Einsatzorte zu wechseln. »Zu gefährlich«äußerten einige durch den Vorfall besorgt undgeschockt. »Ich mache mir sehr schwere Vor-würfe, » so Dieter Puhl abschließend gegenüberdem strassenfeger , »das war abzusehen und vielewussten das. Ich habe mich zu wenig eingesetzt,um das zu verhindern.« Johannes B. ist nun im Haftkrankenhaus derJustiz untergebracht, hier prüft ein Richterseine Schuldfähigkeit. Sollte er dann im so-genannten Maßregelvollzug leben, ggf, überJahre, die Unterbringung und Behandlung dortkostet über 200 Euro pro Tag. Alle Resozialisie-rungsangebote für obdachlose Menschen sinddeutlich preiswerter.

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    INFO

    »Kamp um dieArmu. Von echenNöen und neolibera-len Myhen«, UlrichSchneider (Hg.)

    Wesend VerlagGmbH 2015

    Keine Fiktion!Armut im materiell reichen DeutschlandB E T R A C H T U N G : J a n M a r k o w s k y

    Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Dr. Ulrich Schneider,präsentiert regelmäßig den Armutsbericht desParitätischen. Der Bericht soll Verantwortlichezum Handeln zwingen. Stattdessen melden sich

    regelmäßig die Leugner. Neben der »FAZ« auch die Wirt-schaftsredaktion der Wochenzeitung »DIE ZEIT«. Kolja Rud-zio schrieb in der Ausgabe 9/2015 unter dem Titel »Armuts-schwindel – Gab es noch nie so viel Elend in Deutschland?«über den Armutsrekord von 12,5 Millionen armutsgefährde-ten Menschen für 2013: »Es ist eine dramatische Botschaft.Aber auch eine dramatisch irreführende. Denn das, was der

    Verband verbreitet, zeichnet ein Zerrbild der Wirklichkeit.Nicht ohne Grund kürte eine Gruppe von Experten am Rhei-nisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)dessen Zahlen dieser Woche zur Unstatistik des Monats.« DieArgumentation der Gruppe von Prof. Dr. Walter Krämer istauf der Web-Site des RWI unter Presse/Unstatistik/Archivnachzulesen. Sie ist dünn. Der Armutsbegriff der OECD, wo-nach jeder Mensch, der weniger als 60 Prozent des Medans desNettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat, dazu gehört,sagt sehr wohl etwas über Ungleichheit materieller Ressourcenaus. Außerdem wird an dem Begriff deutlich, welche sozialenGruppen und welche Regionen materiell ausgegrenzt werden.

    Neben der relativen Armut, die Ulrich Schneider beklagt,gibt es noch die absolute Armut. Absolut arm ist derjenigeMensch, dessen Grundbedürfnisse nicht oder nur mangelhaft

    befriedigt werden können. Die Wohnungslosenstatistik derBundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zeigt, dassdie Anzahl der Menschen, deren Menschenrecht auf ange-messene Unterbringung (Artikel 11 des Internationalen Paktsüber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) verwehrtwird, dramatisch steigt. Jeder Mensch, der in Deutschlandohne eigene Wohnung oder in schlechten Wohnverhältnissenlebt, ist absolut arm. Absolute Armut kann in Deutschland biszum Verhungern gehen! Am 15. April 2007 ist ein psychischkranker junger Mann in Speyer verhungert, er war Hartz IV-Empfänger. Er hatte nicht auf die Post des Jobcenters reagiert,und seine ebenfalls psychisch erkrankte Mutter konnte ihmnicht helfen. Das Geld wurde immer weniger, und zum Schlussreichte es nicht mehr für genug Essen für Mutter und Sohn.

    K a m p f u m d i e A r m u tUlrich Schneider hat auf die haltlosen Anschuldigungen re-agiert. Mit einem Buch. Im November erschien im WestendVerlag das Buch »Kampf um die Armut. Von echten Nö-ten und neoliberalen Mythen«. Ulrich Schneider ist Autorund Herausgeber. In der Ankündigung steht unter »ArmesDeutschland«: »Es ist ein erbitterter Kampf ausgebrochenin Deutschland. Emotionen kochen hoch. Kritik wird per-sönlich. Vordergründig geht es um Definitionen und wissen-schaftliche Methoden – tatsächlich aber um knallharte Inte-ressenpolitik. Es ist die Armut in unserem Land, um die soverbissen gestritten wird. Je größer sie wird, umso hartnäcki-ger das Leugnen derer, die ihren Reichtum oder ihre Machtbedroht sehen; und umso härter ihre Schläge gegen alle, diesich mit der sozialen Spaltung in Deutschland nicht abfin-den wollen. Einige der prominentesten und renommiertestenKritiker dieses neuen neoliberalen Mainstreams vereint die-ser Band mit brillanten Analysen, entlarvenden Erzählungen

    und engagierten Plädoyers gegen Ausgrenzung und für eineGesellschaft, die keinen zurücklässt.«

    Ulrich Schneider hat in seinem Beitrag als Autor gesagt, waszu sagen ist. Er hat namhafte Mitstreiter gefunden. Der Po-litikwissenschaftler Christoph Butterwegge lehrt an der UniKöln. Er veröffentlicht regelmäßig. 2013 ein Buch über diepolitischen Folgen von Hartz IV: »Hartz IV und die Folgen:Auf dem Weg in eine andere Republik?«. Der Jesuit FriedhelmHengstbach ist Kritiker des Sozialabbaus der ersten Stunde.Rudolf Martens hat als Leiter der Paritätischen Akademie

    maßgeblich an den Armutsberichten mitgewirkt. Stefan Selllehrt Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft am Campus Re-magen der Hochschule Koblenz. Das Buch ist voller Rechtfer-tigungen der Methoden. Bedarf es wirklich der Wissenschaft?

    L e u g n u n g v o n F a k t e n h a t M e t h o d e Wir haben im strassenfeger  mehrfach über Statistiken ge-schrieben, die Politiker zum Handeln zwingen würden. DieAnsätze sind deshalb abgebügelt worden. Sowohl im Bundals auch im Land Berlin halten die eigentlich verantwortlichenPolitiker die Wohnungslosenstatistik für nicht erforderlich.Ansätze zu einer integrierten Sozialberichterstattung, vonder Landesarmutskonferenz Berlin vor drei Jahren gefordert,sind an der Ignoranz der Senatssozialverwaltung gescheitert.Angesichts dieser Tatsachen ist die Kritik an Ulrich Schnei-der kleinlich und unangemessen. Die Armut ist keine Fiktion,sie ist vorhanden und auch sichtbar. Bestimmte Herrschaftenwollen das nicht wahrhaben.

    Dr. Ulrich Schneider(Foo: Der Pariäische Gesam-

    verband)

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    »Lassen Sie sich packen!?«Über den Umgang des Films mit seinen ZuschauernB E T R A C H T U N G : M i c h a e l

    Ich denk‘, ich bin im Wald, und es ist ja al-les so schön bunt hier: Kein außereuropäi-scher Urwald, sondern eine von Menscheneingehegte Ansammlung unterschiedlicher

    Kulturen, die mich nicht wunderbar umfängt,stattdessen umstellt. Sie hat die Absicht, michgefangen zu nehmen, mit Haut und Haar meineLebenszeit zu verschlingen. Ihre Angebote wahr-zunehmen, heißt, meine Bewegungsabläufe sehrweitgehend zum Stillstand zu bringen, meineAugen und Ohren intensiver zu nutzen. Im Span-nungsfeld zwischen Produzieren und Konsumie-

    ren muss ich bereit sein zur Auseinandersetzungmit dem Ergebnis fremder Aktion – bis zumEnde der einseitigen Kommunikation.

    Der Film erwartet die ungeteilte Aufmerksam-keit vom Anfang bis zum Ende. Nur in vollerLänge gesehen, gibt er seine Absicht preis. Aufdie Nutzung nicht-öffentlich-rechtlicher Sendergelingt es mir meistens zu verzichten. Dauer-werbesender, die Spielfilme zu Appetithappen

    zwischen Kaufempfehlungen zerlegen, um denZuschauer nicht zur bewussten Betätigung desAus-Schalters zu drängen, vermeide ich häufig.Dem Anspruch, mit der Arbeit eines Filmema-chers als unzerstückeltem Ganzen konfrontiertzu werden, versuche ich oftmals Rechnung zutragen. Auch in einem persönlichen Gesprächkäme ich nicht auf den Gedanken, einem ein-zelnen Hosenbein nur Respekt zu zollen undden Menschen in seinem vollständigen Erschei-nungsbild zu übersehen.

    Seit geraumer Zeit meine ich, keine weiterge-hende Einflussnahme auf meine Lebensgestal-tung mehr ausmachen zu können. In jüngerenJahren erwuchs nach einer Filmschau gelegent-lich die Forderung nach Eigeninitiative. Ich be-zog deutlicher oder erstmals Position und han-delte entsprechend. Wagemutig unterstelle ich,dass nicht der Bedarf an Veränderung kleinergeworden ist, sondern nur meine Einschätzungder eigenen Fähigkeiten. »Im Rahmen meiner

    bescheidenen Möglichkeiten …«, höre ich michhäufig sagen. Meine Träume haben mich zumTeil verlassen. Das ärgert mich.

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    Nam June Paik, Insallaion vor dem Museum ürKommunikaion in Frankur am Main (Quelle: Fb78 /Wikipedia Creaive Commons Atribuion-Share Alike 2.0 Germany)

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    Sie kommen!Begegnungen mit AußerirdischenB E T R A C H T U N G : D e t l e f F l i s t e r

    Ist das Leben auf der Erde das einzige Leben im Uni-versum? Gibt es auch andere Zivilisationen auf ande-ren Planeten, die uns ebenbürtig oder in der Entwick-lung sogar weiter sind als die Menschheit? Fragen, diedie Menschen schon seit langer Zeit beschäftigen. Es

    ist – zumindest bis es belegt oder widerlegt ist – eine Fragedes Glaubens. Der Schweizer Erich von Däniken, der sichschon seit Jahrzehnten mit dieser Frage beschäftigt und auchForschungsreisen dazu macht, ist der Meinung, dass es au-ßerirdische Wesen gibt und diese auch regelmäßig die Erdebeobachten. Er hat darüber ausgiebig in seinen zahlreichenBüchern berichtet. Inzwischen gibt es in der Wissenschaft die

    Erkenntnis, dass es mehrere Universen gibt. Es wäre rechtmutig und arrogant, dass bei einer Existenz von MillionenPlaneten die Erde der einzige ist, der Leben hervor gebrachthaben soll. Aber wenn es wirklich so ist, bleiben viele Fragenoffen. Kann das Leben auch die Intelligenz entwickelt haben,die in der Entwicklungsstufe auf einer Ebene mit uns oder garüber uns steht?

    R o s e w e l l – d e r Z w i s c h e n f a l l v o n 1 9 4 7Es gab 1947 viele Meldungen über UFO-Sichtungen. Ei-nige darunter wirken meiner Meinung nach auch glaubhaft.Es hält sich seit dieser Zeit auch hartnäckig das Gerücht,dass die Behörden damals ein havariertes Raumschiff mitaußerirdischer Besatzung sichergestellt haben sollen. DasUFO soll noch heute vorhanden sein, und angeblich sollman noch immer versuchen, die außerirdische Technik zu

    erforschen. Auch die Außerirdischen sollen immer noch imeingefrorenen Zustand existieren. Diese Gerüchte führtenzu zahllosen Spekulationen.

    Die TV-Kultserie »Akte X« beschäftigt sich mit diesemThema. Der FBI-Agent Fox Mulder, dem die MedizinerinDana Scully zugeteilt ist, untersucht außerirdische Phäno-mene. Kriminalfälle, die mysteriös erscheinen, sind seineSpezialität. Im Laufe ihrer Ermittlungen kommen Mulderund Scully zu der These, dass einige Menschen gemeinsammit Außerirdischen eine Verschwörung gegen die Menschheitplanen. Indizien und Beweise verdichten sich immer mehr.Sie finden heraus, dass die Außerirdischen die Erde besetzenwollen und mit einigen wichtigen Persönlichkeiten der USAgemeinsame Sache machen, weil sie gegen die technisch über-legenden Außerirdischen keine Chance sehen und ihr eige-

    nes Leben retten wollen. Die Menschen sollen Supersoldatenzüchten, Überwesen, die durch eine spezielle Mischung vonaußerirdischen und menschlichen Genen praktisch unbesieg-bar sind. Diese sollen die Erde übernehmen, die dann spätervon den Außerirdischen kolonialisiert werden soll. Diese Er-kenntnisse, die Mulder und Scully in den X-Akten vermerken,wollen sie öffentlich machen, deshalb befinden sie sich stän-dig in Lebensgefahr. Die X-Akten existieren übrigens wirklichund gelten als streng geheim. Dort sind, wenn es der Realitätentspricht, auch die Daten zum Rosewell-Zwischenfall fest-gehalten. Wenn man diese öffentlich machen würde, wäre dieFrage um die Außerirdischen höchstwahrscheinlich geklärt.

    U n h e i m l i c h e B e g e g n u n g d e r d r i t t e n A r tIn dem Film »Unheimliche Begegnung der dritten Art«kommt es zu einer friedlichen Begegnung mit einer außer-irdischen Zivilisation. Der Besuch der Außerirdischen wirdin der ganzen Welt bekannt, und Hunderttausende pilgern

    zum vorher bekannten Landeort, um die Landung des außer-irdischen Raumschiffes zu erleben. Der Code wurde durchMusik dargestellt und von den Menschen gesendet, um dieAußerirdischen abzusichern. Diese antworten mit derselbenMelodie. Nach Feststellung der Übereinstimmung landet dasSchiff schließlich. Es spuckt einige seit Jahrzehnten vermissteMenschen aus, die die Außerirdischen zu einer Weltraumfahrt

    eingeladen haben. Andere Menschen gehen ebenfalls in dasSchiff, um ins All zu fliegen. Das Schiff startet schließlichwieder. Die Abschlussszenen, die die friedliche Verbrüderungvon Mensch und Außerirdischen zeigt, fasziniert und berührtden Zuschauer gleichermaßen.

    F a z i tDie These, dass Außerirdische existieren könnten, wird dieMenschen bis zur endgültigen Klärung in Atem halten. Ja, ichwill glauben! Ich will, dass es Außerirdische gibt. Schon derGedanke einer möglichen Begegnung fesselt mich. Er faszi-niert mich und erweckt in mir den Wunsch, bei einer Begeg-nung mit Außerirdischen anwesend zu sein. Neue interessanteFragen würden sich stellen. Wie wäre die Stellung der Mensch-heit im Kosmos? Würde es der Menschheit gelingen, sich zuplatzieren? Kann dies dazu führen, dass sie sich eint und ihrekleingeistigen Streitigkeiten überwindet, dass der Traum einer Weltregierung realisiert wird? Fragen über Fragen...

    David Duchovny au dem Podium des

    Tribeca Talks: Revenge o he Elecric Car, or he 2011 Tribeca Film Fesival.

    (Quelle: David Shankbone Wikipedia Creaive

    Commons Atribuion 3.0 Unpored)

    Roswell - Alien(Quelle: CGPGrey / Wikipedia Creaive Commons

     Atribuion 2.0 Generic)

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    Kino auch für

    Geringverdiener!Filme Erleben & Erlebnis FilmB E T R A C H T U N G : C a r s t e n D a h l e k e ( v e r k a u f t d e n s t r a s s e n fe g e r )

    In meiner Kinder- und Jugendzeit war es üb-lich, dass die Mütter am Samstag zum Früh-stück Geld hervorholten und ihre Kinder insKino schickten. Selbiges gab es in der DDR,

    wo ich groß wurde natürlich nicht als Institution,es ergab sich meist halt so von selbst. Das gab

    den Müttern dann meist den Freiraum, in dennächsten drei Stunden den Haushalt oder anderewichtige Erledigungen zu machen. Die älterenGeschwister mussten dann die Aufpasserrolleübernehmen. Bevor es bei mir soweit war, hatteich meinen ersten Kinobesuch mit fünf Jahrenin einem kleinen Dorfkino, ich sah zusammenmit meiner Tante einen russischen Märchenfilm.

    Jetzt ist wieder die »Berlinale«, die BerlinerFilmfestspiele, in aller Munde. Sogenannte undwahre Filmstars fliegen in unsere Stadt ein undbevölkern den Potsdamer Platz. Normale Men-schen mutieren zu Zombies, weil sie sich zehnTage lang einen Film nach dem anderen reinzie-

    hen müssen, gerade so, als gäbe es morgen keineFilme mehr. Was steckt hinter dieser scheinbarenFilmsucht, ins Kino kann man das ganze Jahr ge-hen. Gut, man muss auf die neuesten Filme ei-nige Zeit warten, bis sie in die regulären Kinosund Programme kommen. Aber muss man selbstbeim Kino der oder die Erste sein oder was machtden besonderen Reiz aus?

    Interessanter ist es doch aus meiner Sicht, wennman in Berlin unterwegs ist, an einem Drehortvorbeikommt, an dem gerade gedreht wird, unddort als Zaungast dem Treiben am Rande zuse-hen kann. Oder wenn es sich ergibt, sogar einTeil der Szene zu werden. Ich für meine Personhatte zumindest einmal das Glück, das mich

    ein Aufnahmeassistent bat, einfach nur einmalvon einer Seite zur anderen durch das Bild zulaufen, damit dem Regisseur das Bild nicht zutot erscheint. Vorigen Sommer wurde ich sogarangesprochen, ob ich nicht Lust hätte, in einemFilm mitzuwirken. Es handelte sich um die Ab-schlussarbeit eines jungen Regisseurs vor seinerPrüfung im Studium. Die Aufnahmen, in denenich mitmachen durfte, wurden zwar erst im Ok-tober und am Abend gedreht, ich hatte auch kei-nen großen Text, ein oder zwei Worte durfte ichder Hauptdarstellerin erwidern, aber ich durfteeben mitspielen. Meine Rolle war, mich selbstals Zeitungsverkäufer dieser Zeitung zu spielen.Leider wird diesen Streifen keiner, nicht mal auf

    der Berlinale, zu sehen bekommen, lediglich diePrüfungskommission wird die Aufnahmen se-hen. Trotzdem hat es mir Spaß gemacht.

    In hatte auch schon das Glück, in einem kleinenVideotrailer zu einer Ankündigung einer Veran-staltung mitzuwirken. Diese Aufnahmen wurdenmit Video gedreht, und der Aufwand war im Ge-gensatz zu den Filmaufnahmen auch geringer.Für einen Laien, der sonst nur mal in seinem Le-ben Kinogänger ist, hatte ich in den letzten zwan-zig Jahren ziemlich viel mit Film- und Videodreh-arbeiten zu tun. Vielleicht sollte ich mich mal aufdiesem Gebiet umtun, vielleicht liegt dort meineZukunft. Wie viele Schauspieler machen sichnach Hollywood auf in der Annahme, sie wür-den dort groß rauskommen, warum soll ich dasnicht hier in Babelsberg probieren (*zwinker*)?!

    Die Eintrittspreise in den Kinos sind in den ver-gangenen Jahren ganz happig gestiegen, anderer-seits wünschen sich die Kinos mehr Zuschauer.Nun ist aber auch die Zahl der Hartz IV-Empfän-ger gestiegen. Der »Berlin-Pass«, der den Men-

    schen die Teilnahme am gesellschaftlichen Lebenermöglichen soll, reduziert zwar an bestimmtenTagen die Eintrittspreise, allerdings nicht in demUmfang, dass es tatsächlich einen Nutzen für dieKinos und die Hartz IV-Empfänger hätte.

    In meiner Jugend in der DDR gab es einen Tag,an dem kinderreiche Familien mit all ihren Kin-dern kostenlos oder zu einem symbolischen Preisvon einer Mark in die Kindervorstellungen gehenkonnten. Sowas könnte man hier doch in Berlinwieder einführen, davon hätten dann auch dieärmsten Menschen dieser Stadt etwas. Sichermüsste vorher der Bedarf ermittelt werden, da-mit sich das auch irgendwie rentiert.

    In diesem Sinne wünsche icheine schöne Kinozeit!

    Ein wunderbares Kino finde man am Friedrichshain (Foos: Andreas Düllick ©VG Bild-Kuns)

    Karikaur: OL

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      strass enfeger | N r. | Februar | FIKTION

    Kunst der VorzeitFelsbilder aus der Sammlung Frobenius im Martin-Gropius-BauR E Z E N S I O N : M a n f r e d W o l f f  

    »Es ist alles schon einmal dagewesen« stellte RabbiAkiba schon vor 2 000 Jahren lakonisch fest. Das giltauch für die Bildende Kunst. Immer wieder dreht sich

    das Schaffen der Künstler um dieselben Themen: Wasist der Mensch? Was ist die Welt? Was ist das We-sen der Dinge? Alle Versuche einer Antwort auf diese Fra-gen münden in ein ehrfürchtiges Staunen, beim Schöpfer derKunstwerke ebenso wie bei den Betrachtern.

    Die vorzeitlichen Künstler, deren Werke jetzt in einer Aus-stellung im Martin-Gropius-Bau zu bewundern sind, folgteneben diesem Erkenntnisdrang, und so nimmt es nicht Wun-der, wenn Alfred Borr, der Gründer des Museum of ModernArt (MOMA), 1937 anlässlich der Ausstellung der SammlungFrobenius feststellte: »Die Kunst des 20. Jahrhunderts stehtbereits unter dem Einfluss der großen Traditionen der prähis-torischen Felsbilder.« Als sich die Kunstwelt vom parfümier-ten Ästhetizismus befreien wollte, griff sie auf ursprünglicheAusdrucksformen zurück: die Kunst der »Primitiven«, der

    »Naiven« und auf die prähistorische Kunst.

    In der Ausstellung »Kunst der Vorzeit« sind 100 Felsbildko-pien zu sehen, die der Ethnologe Leo Frobenius bei seinenExpeditionen von Künstlerinnen und Künstlern meist imVerhältnis 1:1 anfertigen ließ. Er wurde fündig in den Höh-len Europas, der Sahara, Simbabwes und des australischenOutbacks. In den 1930er Jahren tourte er mit seiner Samm-lung durch die großen Museen Europas und der VereinigtenStaaten.Als 1879 die Höhlenbilder im nordspanischen Altamira ent-deckt wurden, dauerte es zwanzig Jahre, bis sie als prähistori-sche künstlerische Originale erkannt wurden. Es widersprach ja der damals landläufigen Meinung, dass unsere Vorfahrendumme Primitivlinge waren, deren Leben aus dem Sammeln

    von Beeren und Pilzen und dem Erlegen von Mammuts ge-prägt war. Nun musste akzeptiert werden, dass schon vor40 000 Jahren unsere Vorfahren geistige Menschen waren,die ihre Erfahrungen und Weltsichten künstlerisch darstell-ten. Wahrscheinlich reicht diese Form des menschlichen Aus-drucks sogar noch viel weiter zurück. Die vor 20 Jahren ge-fundenen »Schöninger Speere« sind immerhin 300 000 Jahrealt und zeugen von hohem handwerklichem Geschick bei derHerstellung dieser Jagdwaffen. In der Zeit ist vieles verlorengegangen und weniges eher zufällig wiedergefunden.

    Die im Gropiusbau gezeigten Reproduktionen der Felskunstaus Australien gehen auch auf eine alte Tradition zurück. Siesind zugleich Dokumente der lebendigen indigenen Kulturder Aborigines. Für die Bewohner des Outbacks sind sie nichteine schmückende Malerei kulturell wichtiger Orte, sondernManifestation der Götter und Geister, die als handelnde We-sen die Vielfalt der Welt geschaffen haben, ehe sie sich selbst

    in Bilder verwandelten. Diese Bilder verlangen, mit Respektbehandelt zu werden. Deshalb ist vor der Ausstellung den Be-sitzern der Originale Gelegenheit gegeben worden, sich da-

    von zu überzeugen, dass ihre Geistesbilder in einem würdigenRahmen gezeigt werden.

    Mit der Ausstellung »Kunst der Vorzeit« greifen die BerlinerFestspiele weit über den bisher gezeigten Zeitraum zurückund eröffnen neue Perspektiven und neue aktuelle Fragestel-lungen. Woher kommt der Mensch? Dieser Frage widmet sichauch eine Tagung im Gropius-Bau am 3. und 4. März 2016.Das Programm dieser Tagung kann unter www.gropiusbau.de eingesehen werden. Eine Anmeldung zur kostenlosen Teil-nahme ist erforderlich unter [email protected].

    Elenanilopen, Büffel und Menschen, Republik Südarika, Harri smih, Balmoral, 8000-2000 v.Chr., Aquarell von Maria Weyersberg, 1929 (Quelle: © Frobenius-Insiu Frankur am Main)

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  • 8/19/2019 Fiktion - Ausgabe 04/2016

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      strass enfeger | N r. | Februar | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n f e g e r

    Die Mutter der ManifesteCate Blanchett brilliert in 13 Rollen der Filminstallation »Manifesto« vonJulian Rosefeldt, einer Opera Magna, die gegenwärtig im Hamburger Bahnhofaufgeführt wird.R E Z E N S I O N : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f  

    Die Lunte brennt und brennt, langsam breitensich die Flammen aus und es fallen flammende

     Worte: »All that is solid melts into air«. Auchauf Englisch bedeutet es nichts anderes als imdeutschen Original, nämlich »Alles Ständische

    und Stehende verdampft«. Mit diesem, einem längeren Satzentnommenen Zitat aus dem »Manifest der KommunistischenPartei«, geschrieben von Karl Marx und Friedrich Engels, denVätern aller Manifeste, und veröffentlicht im Februar 1848 inLondon, beginnt ein fulminantes Werk, eine Hommage aufdie flammenden Kampfschriften, die vorwiegend von jungenMännern verfasst wurden als Aufruf an die Gesellschaft unddie Kunst, alte Formen und Gewohnheiten zu zerstören, da-mit sich das Neue einen Weg bahnen kann: »Manifesto« vonJulian Rosefeldt ist ein filmisches Epos mit Prolog, Handlungund Epilog, wobei es eigentlich unwichtig ist, an welcherStelle der Streifzug durch die bildgewordene und wortge-

    waltige Welt der Manifeste beginnt. Alles ist fließend, undobwohl in den 13 Streifen, die parallel an den Wänden einesstockdunklen Raums im Hamburger Bahnhof laufen, weniggeschieht, ist es eine Opera magna, ein grandioses Spektakel,das fesselt, dem man gebannt folgt und nicht merkt, dass dieAufführung über zwei Stunden dauert.

    V o l l e r L e b e n s f r e u d e & E n e r g i eEs war eine Mammutaufgabe, die sich der 1965 in Münchengeborene und in Berlin lebende Julian Rosefeldt stellte, um»Manifesto« zu verwirklichen. Er las unzählige Manifeste, wo-raus er 60 auswählte, sie auseinander pflückte, neu zusammen-setzte und collagierte, woraus sozusagen ein Mega-Manifestentstand: ein Mix aus Manifesten von bildenden Künstlern,Schriftstellern, Architekten, Performern und Filmemachern,darunter Filippo Tommaso Marinetti, Tristan Tzara, AndréBreton, Kasimir Malewitsch, Sol LeWitt, Claes Oldenburg,George Maciunas, John Reed, Lucio Fontana, Barnett New- Julian Roseeld (Foo: Urszula Usakowska-Wolff)

        J   u    l    i   a   n    R   o   s   e    f   e    l    d   t ,    M   a   n    i    f   e   s   t   o ,   2   0   1   4    /   2   0   1   5 ,    ©    V    G    B    i    l    d  -    K   u   n   s   t

     ,    B   o   n   n   2   0   1    6

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    stras senfeger | Nr. | Februar TAUFRISCH & ANGESAGT | a r t s t r a s s e n f e g e r

    man, Bruno Taut, Jim Jarmusch, Yvonne Rainer.»Es war für mich eine große Entdeckung, dass

    die Manifeste Künstlertexte voller Lebensfreudeund Energie sind. Sie sind eben kein kunsthis-torisches Material, das in eine Vitrine gehört,denn sie sind sprechbar, spielbar und erlebbar«,sagt Julian Rosefeldt. »Sie wurden meistens von jungen, zornigen und mit Testosteron gelade-nen Männern geschrieben, die ihren Vätern denKampf angesagt haben. Sie wollten nicht nur dieKunst, sondern auch die Welt verändern. Es warfür mich interessant, diese maskulinen Texte ei-ner Frau zur Interpretation zu geben.«

    E i n e F r a u m i t 1 3 G e s i c h t e r nEine kongeniale Interpretin fand Rosefeld in deraustralischen Schauspielerin Cate Blanchett,

    Jahrgang 1969, die in seinem neuesten Werkdie Mutter aller Manifeste ist: eine Mimin, de-ren Wandlungsfähigkeit staunen lässt, die miteiner bewundernswerten Leichtigkeit in Rollenschlüpft und Charaktere verkörpert, die nichtunterschiedlicher sein könnten. Diese Frau hat13 Gesichter, die alle gleichermaßen überzeugenund beeindrucken. Ob als Obdachloser, Börsen-maklerin, Arbeiterin, Managerin, Punkerin, Wis-senschaftlerin, Witwe, die eine Grabrede hält,Puppenmacherin, biedere Mutter, Choreografin,Lehrerin: Sie ist einfach unübertroffen. In einemder Filme tritt sie sogar in zwei Rollen auf: alsNachrichtensprecherin Cate, welche die Repor-terin Cate interviewt. Das ist eine Leistung, einEinfühlungsvermögen und eine Intelligenz, dieman von einem Hollywood-Star eigentlich nichterwartet. Mit wenigen Blicken und Gesten ver-

    leiht diese begnadete Schauspielerin den von ihrdargestellten Personen eine so starke Präsenz,

    dass der Zuschauer den Eindruck hat, nicht vordem Bildschirm zu sitzen, sondern ein Teil desGeschehens zu sein. Wenn etwa die Puppen-macherin der Puppe, die wie ihr verkleinertesEbenbild aussieht, mit Stecknadeln eine Mützeauf dem Kopf befestigt, spürt man die Stiche fastkörperlich – und schaudert. Wenn die Manage-rin in einer privaten Veranstaltung einen Vortraghält, und das gelangweilte Publikum nur daraufwartet, sich mit den Kanapees vollzustopfen undmit dem Wein zu betümpeln, um dann nach drau-ßen zu stürmen und mit dem Handy zu spielen,wähnt man sich in einer »echten« Vernissage.

    U n g l a u b l i c h & a t e m b e r a u b e n d

    Es war ein glücklicher Zufall, dass sich die Wegevon Cate Blanchett und Julian Rosefeldt kreuzten.2010 wurde der Künstler mit dem Preis »Vatten-fall Contemporary« ausgezeichnet und aus diesemAnlass wurden seine Filminstallationen in derBerlinischen Galerie gezeigt. Zur Ausstellungser-öffnung kam auch Cate, die in der Schaubühne zuBesuch war. »Wir trafen uns damals zum erstenMal, und weil sie schon früher Sachen von mirgesehen hatte, schlug sie mir spontan vor, etwaszusammen zu machen. Diesen Gedanken fand ichwahnsinnig attraktiv, und er hat mich nicht losge-lassen. Als Cate bei den Dreharbeiten zu den ›Mo-numents Men‹ längere Zeit in Berlin war, habe ichsie mit der Idee von ›Manifesto‹ konfrontiert, undsie fand das spannend«, sagt Julian. »Manifesto«wurde in einer Rekordzeit von nur zwölf Tagen inBerlin und Umgebung gedreht: »Was Cate geleis-

    tet hat, ist unglaublich. Jede Figur, die sie verkör-pert, hat eine andere Haltung, eine andere Maske,spricht einen anderen englischen Akzent, malschottisch, mal texanisch und so weiter. Manch-mal mussten wir aufgrund von Logistik zwei Fi-guren an einem Tag drehen, sie musste sich vomObdachlosen in eine amerikanische Nachrichten-

    sprecherin verwandeln. Wie sie das hingekriegthat, ist wirklich atemberaubend.«

    P o e t i sc he W o rt e & p ro sai sc he s Le b e nJulian Rosefelds »Manifesto« ist somit auch eineHommage auf Cate Blanchett. Es ist in der Tatunglaublich, wie authentisch und lebendig siein jeder Rolle agiert und wie aktuell die von ihrgesprochenen und manchmal auch gesungenenTexte sind. Es ist auch eine große Leistung desDrehbuchautors und Regisseurs in einer Person,dass diese 13 Filme so lebensnah und manchmalvon so einer umwerfenden Komik sind, obwohlda Textcollagen rezitiert werden, die aus rechtalten theoretischen Schriften stammen und mit

    der Gegenwart scheinbar nichts zu tun haben.Die Verbindung von ebendiesen Texten mit mehroder weniger alltäglichen Szenen ist wohltuendkomisch und tragisch zugleich, denn sie zeigt,dass wir in einer Zeit leben, wo die Worte ihreMacht verloren haben. Unabhängig davon, wer zuwem oder was spricht, hören die anderen nicht zu.Da sieht man auf den Gesichtern der Trauernden,denen es gleichgültig ist, ob der Tod des Dadais-mus oder etwas anders beweint oder gar belächeltwird. Die Menschen sind in ihren Ritualen gefan-gen, sie gehen zu einem Vortrag oder zu einemBegräbnis, und warten sehnsüchtig darauf, dassdie Reden zu Ende gehen, denn dann gibt es etwaszu essen. So prosaisch ist eben das Leben, auchwenn die Worte reinste Poesie sind. Dazu gehö-

    ren auch die Utopien: Sie lesen und hören sich gutan, doch sie haben mit der Wirklichkeit wenig zutun. Was von Utopien und Visionen bleibt, sindpostindustrielle Ruinen, Mondlandschaften anden Rändern und Wohnsilos mitten in der Stadt.»Manifesto« zeigt auch die faszinierende Häss-lichkeit Berlins, einer Stadt, die an vielen Stellenauch in Wirklichkeit so aussieht, als sei sie voneiner Katastrophe heimgesucht worden. Es istnicht wichtig, ob man Sätze, die Cate Blanchettauf Englisch in die Runde schmeißt, versteht.Denn in regelmäßigen Intervallen erscheint auf jedem der Bildschirme ihr jeweiliges Gesicht, so-dass die Worte sich in einem Chor auflösen. Ei-nem antiken Chor, in dem heute eine Frau mit

    13 Gesichtern und ihrem unverkennbaren eige-nen Gesicht die Hauptrolle(n) spielen darf: CateBlanchett und Julius Rosefeldt sei Dank!

     INFO

     Juli an Ros efeldt »Manif esto«

    Noch bis zum 10 Juli

    Hamburger Bahnho – Museum ürGegenwar BerlinInvalidensraße 50 – 5110557 Berlin

    › www.julianroseeldinberlin.de

     Julian Roseeld, Manieso, 2014/2015, © VG Bild-Kuns, Bonn 2016

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    - Die Schülerinnen Greel und Laura sind mi Fleißund Herzblu dabei(Quelle Mara Fischer)

    Helfende Hände unterstützendie wichtige Arbeit

    im »Kaffee Bankrott«Die Schülerinnen Gretel und Laura absolvieren ihr Praktikumbei mob e.V. und berichten über ihre MotivationT E X T : G r e t e l D i e d e r i c h & L a u r a M a r i e L a n i n g e r & M a r a F i s c h e r

    Der gemeinnützige Verein mob –obdachlose machen mobil e.V.hat seit seiner Gründung im Jahre1994 eine Reihe von Projektenentwickelt, die bis heute bestehen

    und kontinuierlich fortgeführt werden. Der Ver-ein setzt sich vor allem für Menschen ein, die auffremde Hilfe angewiesen sind, die entweder garkeine oder keine eigene Wohnung haben, die armsind. Ziel des Vereins ist die Verbesserung derLebensumstände von gesellschaftlich Benach-teiligten und Ausgegrenzten, insbesondere Ob-dachlosen bzw. von Obdachlosigkeit bedrohteMenschen. Der Verein ist Mitglied im Paritäti-

    schen Wohlfahrtsverband Berlin.

    Das »Kaffee Bankrott« ist ein offener Treffpunktfür Verkäufer des strassenfeger , für obdachloseMenschen, die auch die Notunterkunft nutzen,für Vereinsmitglieder und Mitarbeiter und fürAnwohner und andere interessierte Menschen,die Lust auf etwas zu Essen oder einen Kaffee ha-ben und dabei gerne mit anderen Menschen undLebensweisen in Kontakt kommen möchten. Zuden Angeboten des Treffpunktes gehören vor al-lem soziale Kontakte und Selbsthilfe, es gibt dieMöglichkeit zum kostenlosen Surfen im Inter-net. Das »Kaffee Bankrott« dient auch als Gele-genheit zum Aufenthalt und zum Aufwärmen. Eswerden Kaffee, Tee und weitere Getränke, sowieFrühstück und Mittagsessen zu Minimalpreisenangeboten. Zudem finden dort Veranstaltungen

    und Ausstellungen statt. Geplant sind regelmä-ßige Veranstaltungen, in Form von Spielenach-mittagen und Lesungen. Auch Menschen, dievon Altersarmut betroffen sind, finden bei unsAnschluss und ein offenes Ohr. Zudem wird wö-

    chentlich eine kostenlose und auf Wunsch ano-nyme Sozialberatung angeboten.

    Um das weitere reibungslose Funktionieren derbisher aufgebauten Strukturen zu gewährleisten,sind wir auf Hilfe angewiesen, in Form von Geld-oder Sachspenden oder auch ehrenamtlichenEngagement. Die Schülerinnen Laura und Gre-tel haben sich dazu entschieden, den mob e.V.tatkräftig zu unterstützen.

    Laura und Gretel möchten an dieser Stelle überihr Engagement berichten: Wir sind zwei Schülerinnen der 11. Klasse, derFreien Waldorfschule Berlin-Mitte und machenunser Sozialpraktikum im »Kaffee Bankrott«.

    Das »Kaffee Bankrott« ist ein Ort, an dem Men-schen mit weniger Geld eine warme Mahlzeit be-kommen und Konversationen mit anderen Leu-ten führen können.

    Die Motivation für uns, in dem Bereich unserPraktikum zu machen ist, dass wir es interessantfinden, einen näheren Einblick in das Leben derMenschen in solchen Situationen zu bekommenund zu sehen, wie die Menschen sich gegenseitighelfen und anerkennen. Das sieht man daran,dass die Menschen, die gerade vielleicht in einerschwierigen Lebenssituation sind, dankend ihr»Essen«, von denen annehmen, die dafür arbei-ten und auch kaum Geld damit verdienen, ihnen

    zu helfen und sie zu unterstützen.

     Wünschen würden wir uns von der Gesellschaft,dass die Menschen, die vielleicht gerade keinZuhause und nicht viel Geld besitzen, trotzdemanerkannt und in die Gesellschaft aufgenom-men werden. Auch wenn sie vielleicht nicht dieschicksten Klamotten tragen und etwas unge-pflegt sind, sollte man ihnen doch trotzdem Tole-ranz entgegen bringen, denn man kennt ja nichtden Grund, warum sie in diese Situation gerie-ten. Man sollte seine Vorurteile zurückstellen, dadiese Menschen oft schwere Schicksalsschlägeerlebt haben, die sie in diese Situation gebrachthaben. Und würde sich nicht jeder wünschen,der in die Situation gerät, aus welchen Gründenauch immer, dass er plötzlich auf der Straße lebt,dass einem trotzdem mit Würde begegnet wird?

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      strass enfeger | N r. | Februar | TAUFRISCH & ANGESAGT B r e n n p u n k t

     INFO

     Susan ne Ger ull, Wege aus der Woh nung slos igkeit –Eine qualitative Studie aus Berlin

     › www.susannegerull.de/orschung/pds/¬ 2016_Wege_aus_der_Wohnungslosigkei_Gerull.pd 

    Raus aus der ObdachlosigkeitEine neue Studie der Hochschullehrerin Susanne Gerull untersucht, welche Faktorenwohnungslosen Menschen dabei helfen, ihre Wohnungslosigkeit zu überwinden.T E X T & F O T O : J u t t a H e r m s

    Die Rahmenbedingungen sind denkbarschlecht. Wer als wohnungsloser Mensch

    in Berlin derzeit beschließt, sein Lebenauf der Straße oder in prekärer Wohnsi-

    tuation zu beenden und eine eigene Wohnung an-zumieten, dessen Anstrengung hat kaum Aussichtauf Erfolg. Preiswerte Wohnungen sind rar, dieBewerberzahlen hoch. Selbst bei städtischen Woh-nungsbaugesellschaften ist die Rede von etwa 40 Be-werbern pro Wohnung. Wohnungslose Menschen,häufig mit Schufa-Eintrag und Mietschulden, sindda fast ohne Chance.

    Dass es dennoch klappen kann mit einer Wohnung,haben 13 ehemals wohnungslose Menschen ein-drucksvoll Susanne Gerull geschildert, die die dreiFrauen und zehn Männer für ihre kleine qualitative

    Studie »Wege aus der Wohnungslosigkeit« befragthat. Gerull, Professorin für Soziale Arbeit an derAlice Salomon Hochschule in Berlin, wollte von ih-ren Interviewpartnern wissen, welche Faktoren siebei ihrer Wohnungssuche als förderlich bzw. hinder-lich empfunden hatten. Die 13 haben in ihrem Lebenunterschiedlich lange Zeiten von Wohnungslosigkeitdurchlebt und hatten zum Zeitpunkt des Interviewsalle eine Wohnung.

    Eine Vielzahl an Faktoren, das schildern die Befrag-ten in Gerulls Untersuchung, hat eine Rolle dabeigespielt, dass sie letztlich einen Mietvertrag in denHänden hielten. Der Mangel an Wohnungen war fürviele das größte strukturelle Hindernis; ihre Chan-cenlosigkeit bei Massenbesichtigungen erlebten sieals frustrierend. Einige machten gute Erfahrungendamit, persönlich bei Hausverwaltungen und Ver-

    mietern vorzusprechen. Drei der Interviewten erhielten eine Wohnung aus dem Geschützten Marktsegment, ein Berlin-spezifisches Instrument, bei dem wohnungslose Menschenmit Wohnraum versorgt werden sollen. Ein Instrument, beidem nach Gerulls Worten aber »nicht im erforderlichen Um-fang« Wohnungen zur Verfügung stehen.

    Eine der befragten Frauen suchte und fand zunächst Arbeit;mit dem Arbeitsvertrag in der Hand erhielt sie dann tatsächlicheine Wohnung. Eine andere Frau mietete zunächst ein Zimmerzur Untermiete an, um danach nach einer Wohnung Ausschau

    zu halten. Ein junger Mann legte, als er merkte, dass er chan-cenlos ist auf dem Wohnungsmarkt, bei einem Vermieter ei-nen gefälschten Ausbildungsvertrag vor – auch hier klappte esdann mit der Wohnung. Die Interviewten gaben an, von Sozi-alarbeitern unterstützt, zum Teil aber auch behindert wordenzu sein. Bei vielen gab es Bekannte und Freunde, deren Hilfesie als sehr unterstützend empfunden hatten. Ein Mann sagte,»sanfter Druck« habe ihm geholfen aktiv zu werden.

    Dabei verfügten die ehemals Wohnungslosen über – auch vonihnen selber wahrgenommene – erhebliche Kompetenzen. Soetwa die Fähigkeit zu Kommunikation, Selbstbewusstsein oderdie Motivation, etwas verändern zu wollen. Ein Mann sagte zuseiner Strategie bei Behördenterminen: »Also so ein bisschenPsychologie muss man da schon rein werfen.« Ein anderer gaban, wenn angebracht seinen »Charme raushängen« zu lassen.

    Susanne Gerull, die für ihre Studie neben den 13 Interviewsdie Ergebnisse einer Literaturrecherche zum Thema einbezo-gen hat, fordert als Ergebnis ihrer Untersuchung eine »Zwei-gleisigkeit«. Zum einen müsse von Seiten der professionellenHelfer stärker »auf die individuellen Bedürfnisse, Ressourcenund Problemlagen der Betroffenen eingegangen werden«. Zumanderen müsse der Zugang zu »angemessenem und bezahlbaren Wohnraum« sichergestellt werden. Die Wissenschaftlerin for-dert ein einklagbares Recht auf Wohnraum und sieht Politik undVerwaltung in der Pflicht, diesen zur Verfügung zu stellen. »Egalob ALGII-Empfänger, Migrant oder Professor, der Staat mussdafür sorgen, dass jeder von ihnen Wohnraum hat«, so Gerull.

    Die Wissenschaftlerin hält es für »dringend erforderlich«, das

    sogenannte »Housing First«- Modell auch nach Deutschlandzu holen. Bei diesem Ansatz erhalten insbesondere Menschenmit multiplen Problemlagen eigenen Wohnraum, ohne dasssie sich zur Inanspruchnahme sozialarbeiterischer Hilfe ver-pflichten müssen. Das Modell wurde bereits in mehreren eu-ropäischen Ländern erprobt, empirische Studien haben ihmgute Erfolge bescheinigt. In Berlin allerdings lehnt der Senatden Ansatz bislang ab. Susanne Gerull setzt dagegen: »Aufdem Weg zum Recht auf Wohnen für jeden Menschen wäreHousing First ein erster Schritt.«

    Eine eigene Wohnung: Mi Trick und Sraegie und manchmal auch unerlauben Miteln

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    stras senfeger | Nr. | Februar TAUFRISCH & ANGESAGT | I N S P

    (v.l.n.r.) Cheredakeurin Birgi Müller, Landespas-

    or und Herausgeber Dirk Ahrens, SozialsenaorinMelanie Leonhard mi dem Bundesverdienskreuzin den Räumen von Hinz&Kunz

    Geeier wurde bei „Hinz&Kunz“ gemeinsam miden Verkäuern und Miarbeiern

    (Foos: Mauricio Busamane)

     INFO

    Das Bundesverdienskreuz (in ach Suen) wirdsei 1951 ür besondere Leisungen au polii-schem, wirschalichem, kulurellem, geisigemoder ehrenamlichem Gebie verliehen. Vor-schläge ergehen über die Lisen der Miniserpräsi-

    denen an den Bundespräsidenen.

    »Engagement,

    das für sich spricht!«Bundesverdienstkreuz für »Hinz&Kunzt«-Chefredakteurin Birgit MüllerT E X T : H i l k e O h r t / » H E M P E L S « ( K i e l )

    Mit unseren Hamburger Kollegenvon »Hinz&Kunzt« freuen wir unsvon »HEMPELS« und gratulierenChefredakteurin Birgit Müller ganz

    herzlich. Am 25. Januar 2016 ist ihr das Bun-desverdienstkreuz am Bande überreicht wor-

    den. Gewürdigt wird damit ihre Arbeit, ohnedie das Hamburger Straßenmagazin nicht daswäre, was es ist.

    Birgit Müller ist Mitbegründerin des Projektesund bereits seit 20 Jahren Chefredakteurin von»Hinz&Kunzt«. Gemeinsam mit ihren Liebenhat sie die Übergabe der Auszeichnung vor Ortin den eigenen Räumlichkeiten und nicht imRathaus abhalten wollen. Und so überreichte ihrSozialsenatorin Melanie Leonhard die hohe Aus-zeichnung im Beisein des Teams und zahlreicherGäste in der Altstädter Twiete.

    Vorgeschlagen worden war Birgit Müller vonProf. Dr. Uwe M. Schneede, dem ehem. Direk-

    tor der Hamburger Kunsthalle, für ihre außer-ordentlichen Verdienste, ohne ihm persönlichbekannt zu sein. Zur Begründung hieß es: nichtnur wegen des gut und klug gemachten Blattes,sondern auch wegen der Verkaufspraxis. »Das istein Vorschlag im besten Sinne, wie der Stifteres sich wohl gedacht hat: Nicht aus persönlicherVerbundenheit, sondern beeindruckt vom Enga-gement, das für sich spricht«, so Leonhard.

    Die Sozialsenatorin lobte weiterhin das Ver-dienst, eine der bundesweit auflagenstärkstenObdachlosenzeitungen etabliert zu haben. Diesehalte sehr gut die Balance zwischen anspruchs-vollem Magazin und Sichtbarmachen der Ob-

    dachlosigkeit. Auch der ehemalige SozialsenatorDetlef Scheele (SPD), gratulierte in einer kurzenRede; er hatte den Vorschlag für die Ehrung inseiner Amtszeit unterstützt.

    Landespastor Dirk Ahrens, Diakoniechef und»Hinz&Kunzt«-Herausgeber, gratulierte BirgitMüller zum Bundesverdienstkreuz: »Wenn sieselber sagt, die Ehrung gelte eigentlich nichtihr, sondern allen ‚Hinz&Künztlern‘, bleibtdie Tatsache: Ohne Birgit Müller, ohne Ihreunglaubliche Energie und Ausdauer, mit dersie für die Würde der Obdachlosen kämpft,gäbe es in Hamburg heute das Straßenmagazin›Hinz&Kunzt‹ so nicht.« Sein hohes journalis-tisches Niveau und die konsequente Parteilich-keit für die Obdachlosen schaffe eine einmaligeStraßenzeitung.

    Birgit Müller zeigte sich berührt von der Preis-verleihung. Sie fühle sich im Leben privilegiert,weil sie das machen könne, was ihr gut gefalle.Sie sei dankbar und froh, dass sie hier in derStadt einiges mitgestalten könne, damit es we-niger ungerecht zugehe und die Armut nicht zu

    sehr wachse. Hierfür werde sie weiter kämpfen.Auf Youtube sind ein paar Videos zu sehen, dieBenjamin Laufer von der Preisverleihung ge-macht hat. Hier können Sie auch Mitschnitte derReden hören.

    PS:  Natürlich gratulieren die Mitarbeiter desstrassenfeger  unserer geschätzten Kollegin Bir-git Müller an dieser Stelle ganz herzlich. Machweiter so Birgit!

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      strass enfeger | N r. | Februar | TAUFRISCH & ANGESAGT K u l t u r t i p p s

    skurril, famosund preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : R e d a k t i o n

    THEATER

    »Müll. Ein Making-of«Schrott, Mist, Ramsch, Dreck, Kehricht, Abfall,Unrat – Müll! Viele Worte für das, was wirloswerden wollen und deshalb wegschmeißen.Aber was ist das überhaupt, Müll? Eine

    Schauspielerin, zwei Schauspieler und einMusiker haben recherchiert. Sie sind mit derMüllabfuhr mitgefahren, haben Spezialistengetroffen, Methangas aus Biomüll erzeugt – undihren Müll geordnet. Von ihrer abenteuerlichenReise bringen sie Geschichten mit und erzählendiese. Sie stellen Fragen zu einem lokalenProblem mit globalen Ausmaßen und versuchenAntworten darauf, was der Müll mit unsMenschen macht. Und auch dazu, was wir mitder Welt machen. Ein Theaterstück für Men-schen ab 9 Jahre.

    24. Februar, 18 Uhr, 26. Februar, 10 UhrKaren 10 Euro, ermäßig 7 Euro

    GRIPS HansaplazAlonaer Sraße 2210557 Berlin

    Ino: www.grips-heaer.deFoo: David Balzer/Bildbühne

    MITSINGEN

    »Ich-kann-nicht-singen-Chor«

    Bei diesem »Ich-kann-nicht-singen-Chor« wirdgemeinsam auf Deutsch, Englisch, Arabisch undin anderen Sprachen gesungen sowie in der»Universalsprache Musik«, also ohne Text, mitVokalen, Silben und Lauten. So wird ausMenschen, die sich anfangs fremd sind und dievielleicht meinen, sie könnten gar nicht singen,ein Chor, der einzelne Töne zu gemeinsamenKlängen und Akkorden verschmelzen lässt. Aufdem Programm stehen dabei Stimmspiele undAction-Songs, es gibt Raum zum Zuhören undLernen neuer und alter Lieder in einfachenChorarrangements aus verschiedenen Teilen dermusikalischen Welt. Jeder kann mitmachen,denn: Jeder kann singen!

    28. Februar, 17 UhrTickes: 10 Euro

    RADIALSYSTEM VHolzmarksr. 33

    10243 BerlinIno: www.choraberlin.de/workshops

    DOKUMENTARFILM

    »Mietrebellen«In den letzten Jahren hat sichdie Hauptstadt rasantverändert. Der Wohnungs-markt ist angespannt,bezahlbarer Wohnraum fastnicht mehr vorhanden. DerFilm »Mietrebellen – Wider-stand gegen den Ausverkaufder Stadt« zeigt die Kämpfeder Mieter in Berlin gegendie Verdrängung aus ihrennachbarschaftlichenLebenszusammenhängen.Die Besetzung des BerlinerRathauses, ein Camp amKottbusser Tor, der Wider-stand gegen Zwangsräumun-gen – der Film ist Zeuge einersich formierenden, urbanenProtestbewegung. ImAnschluss an den 78minüti-gen Film von 2014 wird esein Gespräch mit denFilmemachern geben.

    28. Februar, 20 UhrTickes 6 Euro, ermäßig 5 Euro

    Lichblick-KinoKasanienallee 77

    10435 Berlin-Prenzlauer BergIno: www.lichblick-kino.org

    EXKURSION

    »Die ältesten Bäume Berlins«

     Wenn sie erzählen könnten… Bäume begleiten dieMenschen seit jeher. Sie sind lebensnotwendigeNatur- und Kulturgüter. Als Lebens- und Schutzraum, Wasserspeicher, Schattenspender sowie Luftverbesse-rer sind sie unentbehrlich. Bäume liefern wertvollesHolz, viele Gebrauchsgegenstände wären ohne denRohstoff aus dem Wald nicht denkbar. Exemplare, dieein beachtliches Alter erreicht haben, beeindruckenuns. Während der dreistündigen Exkursion stelltDiplom-Biologe Gunter Martin die ältesten BäumeBerlins vor. So zum Beispiel »Die Dicke Marie« inTegel, die ein eingetragenes Naturdenkmal undvermutlich der älteste Baum der Stadt ist. EineExkursion für Jugendliche, Familien, Erwachsene

    28. Februar, 11 - 14 Uhrkeine Kosen, aber ein AB-Fahrschein wird benöig

    Treffpunk: Friedrichsrasse 107vor dem Friedrichsadpalas10117 Berlin

    Ino: www.umwelkalender-berlin.deFoo: wikimedia commons

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    VORSCHLAGENSie haben da einen Tipp? Dann

    senden Sie ihn uns an:

    [email protected]

     Je skurriler, amoser und

    preiswerer, deso besser!

    stras senfeger | Nr. | Februar TAUFRISCH & ANGESAGT | K u l t u r t i p p s

    PODIUMSDISKUSSION

    »Obdachlosigkeit in Berlin«

    Der Evangelische Diakonieverein Berlin-Zehlendorf e.V.veranstaltet eine Podiumsdiskussion zum Thema »Obdachlo-sigkeit in Berlin – Vergessen wir bei der aktuellen Flüchtlings-debatte die Ärmsten in unserer Gesellschaft?« Im Podiumdiskutieren: Dirk Gerstle, Staatssekretär für Soziales (CDU),Dr. Ina Czyborra, Mitglied des Abgeordnetenhauses vonBerlin und frauenpolitische Sprecherin (SPD), Dieter Puhl,Leiter der Bahnhofsmission Zoo und Uta Keseling, Journalis-tin bei der Berliner Morgenpost. Moderiert wird die Diskus-sion von Oscar Tiefenthal, Leiter der Evangelischen Journalis-tenschule Berlin. Zudem wird das Fotoprojekt »Unsichtbar– Vom Leben auf der Straße« von Uta Keseling vorgestellt.

    1. März, 19:30 Uhr, Eintritt frei

    Evangelischer Diakonieverein Berlin-ZehlendorVan Delden HausBusseallee 23-25

    14163 Berlin-Zehlendor Ino: www.diakonieverein.de

    KIEZSPAZIERGANG

    »Öffentliche Beleuchtung«

    In Berlin werden gasbetriebeneStraßenleuchten schrittweise aufmoderne energiesparende LED-Leuch-ten umgestellt. In der Moabiter Waldstraße stellt die Senatsverwaltungfür Stadtentwicklung und Umweltsieben unterschiedliche LED-Leuchtenvor, von denen eine bei der Umrüstungim Quartier zum Einsatz kommenkönnte. Im ausgewählten Bereichzwischen Turm- und Siemensstraßeund Beussel- bis Oldenburger Straßesind die dort lebenden und arbeitendenMenschen derzeit aufgerufen, sich vonden neuen Leuchten bei Tag und beiNacht ein Bild zu machen und sich ander Auswahl zu beteiligen. Mitarbeiterder Senatsverwaltung bieten Kiezspa-ziergänge durch die Waldstraße an undstehen für Fragen zur Verfügung.

    24.2., 17:30 Uhr und 9.3., 18 U hrKeine Kosen

    Treffpunk: Ecke Waldsraße/Wiclesraße10551 Berlin-Moabi

    Ino: www.sadenwicklung.berlin.de/¬akuell/kalenderFoo: Linus Linner

    AUSSTELLUNG

    »Faszination Berlin«

    Immer wieder ist die Künstlerin MargitGrüger von der Stadt Berlin fasziniert.Sie durchwandert und durchfährt sieund verfolgt die Veränderungen. ImAtelier verarbeitet sie dann das Erlebtein sehr unterschiedlichen Techniken wie:Malerei, Collage, Holzschnitt, Radie-rung, Skulptur. Die Idealisierung von Wirklichkeit in der Kunst, die Beschrän-kung auf ihre ästhetische Funktion istnicht das Anliegen Margit Grügers,sondern die Suche nach dem künstleri-schen Ausdruck des zeitgemäßenGeistes. Menschen und Tiere stehen imMittelpunkt ihres Schaffens. MargitGrüger lebt als freischaffende Künstlerinin Berlin.

    1. März - 29. April, Eintritt freiMo 10 – 20 Uhr;Di, Do, Fr 10 – 19 Uhr;Mi 15 – 19 Uhr

    Woldierich-Schnurre-BibliohekBizesraße 4113088 Berlin

    Ino: www.sadbibliohek-pankow.berlin.deFoo: Margi Grüger

    LESUNG

    »Autobiografische Rockgeschichte«

    Als 13-Jähriger hörte Toni Krahl seine erste Beatles-Platte,seither ließ ihn die Rockmusik nicht mehr los. Als Frontmannvon City spielte Toni Krahl bald in der ersten Riege derRockmusiker - und kann heute Geschichten von unerhörtenFreiheiten und absurden Grenzen erzählen, von legendärenMusikerkollegen und solchen, die im Westen »abhanden«kamen. Mit Musikmanager Kai Suttner präsentiert Toni KrahlRockgeschichten aus dem Osten und wie sie sich seit 25Jahren fortschreiben.

    25. Februar, 19 Uhr, Eintritt frei

    Dussmann das KulurkaufausKulurbühneFriedrichsraße 9010117 Berlin

    Ino: www.kulurkaufaus.deFoo: Ola Telle

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      strass enfeger | N r. | Februar | TAUFRISCH & ANGESAGT A k t u e l l

    Der menschliche

    Geist kann nichtbezwungen werden»Kunst aus dem Holocaust« ist der Titel der Ausstellung,die im Deutschen Historischen Museum gezeigt wird.Erstmals in Deutschland sind dort 100 Werke aus derSammlung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zusehen, die zwischen 1939 – 1945 von jüdischen Häftlingen

    in Konzentrations-, Arbeits- und Vernichtungslagern und inden Ghettos gemalt wurden.R E Z E N S I O N : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f  

    Diese Bilder durfte es nicht geben: Sie zeigenunvorstellbares Leid, Demütigungen, Folter,Angst, den individuellen und massenhaften Tod,die den Menschen jüdischer Herkunft infolgedes nationalsozialistischen Rassenwahns zuteil