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Prof. Dr. Thilo Meyer-Brandis Finanzmathematik 1 WS 2012/13

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Prof. Dr. Thilo Meyer-Brandis

Finanzmathematik 1

WS 2012/13

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Dieses Skript gibt den Inhalt der Vorlesung Finanzmathematik I: Eine Einfuhrungin diskreter Zeit wieder und basiert auf dem Buch Stochastic Finance vonHans Follmer und Alexander Schied erschienen im De Gruyter Verlag.

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Inhaltsverzeichnis

Teil I Arbitragetheorie in diskreter Zeit

1 Arbitragetheorie in einer Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing . . 31.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing . . . . . . . 292.3 Europaische contingent Claims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452.4 Vollstandige Markte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) . . . . . . . . . . 57

3 Amerikanische Contingent Claims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten . . . . . . . . . . . 703.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen

Markten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Teil II Risikomaße

4 Grundlagen Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854.1 Konvexe Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen . . . . . . . . . . . . . 94

4.3.1 Endlich additive Mengenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.3.2 Robuste Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.3.3 Konvexe Risikomaße auf L∞ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

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VIII Inhaltsverzeichnis

4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen(CAPM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Appendix A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

A.1.1 Der Wahrscheinlichkeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119A.1.2 Unabhangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120A.1.3 Der Satz von Radon-Nikodym, Dichten . . . . . . . . . . . . . . . 121A.1.4 Die bedingte Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

A.2 Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Appendix B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien

Marktmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1.2 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Appendix C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

C.1.1 Normierte Vektorraume, Banachraume, Hilbertraume . . 135C.1.2 Beispiele normierter Vektorraume, Banachraume,

Hilbertraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136C.1.3 Trennung in endlichdimensionalen Vektorraumen . . . . . . 137C.1.4 Trennungssatze von Hahn-Banach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

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Teil I

Arbitragetheorie in diskreter Zeit

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Arbitragetheorie in einer Periode

1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of AssetPricing

Marktmodell und Arbitrage. Fur ein Marktmodell in einer Periode (Ein-periodenmodell) sind gegeben:

(i) d+ 1 Wertpapiere (Assets), d ∈ N,

(ii) zwei Zeitpunkte: t = 0 (heute) und t = 1 (Zukunft).

Zum Zeitpunkt t = 0 sind die Preise (z.B. in EUR) der Wertpapiere bekannt:πi ≥ 0 fur i = 0, . . . , d.

Zum Zeitpunkt t = 1 sind die Kursentwicklungen bzw. Preise hingegen un-sicher. Die zukunftigen Kurse modellieren wir als Zufallsvariablen auf einemgeeigneten Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P):

Si : Ω → [0,∞), i = 0, 1, . . . , d.

Si (ω) ist dann der Preis des i-ten Assets zum Zeitpunkt t = 1 bei gegebenemSzenario ω ∈ Ω.Das 0-te Wertpapier spielt eine besondere Rolle und modelliert ein Bankkonto(Bond). Wir setzen

π0 = 1

undS0 = S0 (ω) = 1 + r,

wobei r > −1, r ∈ R, den Zinssatz modelliert. 1 Euro Startkapital auf meinemBankkonto zum Zeitpunkt t = 0 entwickelt sich also mit dem deterministi-schen Zinssatz r zu (1 + r) Euros zum Zeitpunkt t = 1 (fur das Bankkonto istsomit die Wertentwicklung zum Zeitpunkt t = 1 schon zum Zeitpunkt t = 0bekannt).S0 wird auch als

”riskfree Asset“ und S1, . . . , Sd als

”risky Assets“ bezeichnet.

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4 1 Arbitragetheorie in einer Periode

Notation 1.1 Wir notieren

π :=(π1, . . . , πd

)∈ Rd+,

π :=(π0, π1, . . . , πd

)(= (π0, π)) ∈ Rd+1

+ ,

S :=(S1, . . . , Sd

),

S :=(S0, S1, . . . , Sd

)(= (S0, S)).

Definition 1.2 Ein Portfolio oder auch Strategie ist ein Vektor

ξ =(ξ0, ξ

)=(ξ0, ξ1, ..., ξd

)∈ Rd+1,

wobei ξi die Anzahl des i-ten Assets im Portfolio ist (insbesondere entsprichtξ0 dem Geld auf der Bank).Der Anfangswert (Preis) eines Portfolios zur Zeit t = 0 wird gegeben durch

V0 = ξ · π =

d∑i=0

ξiπi

und der Endwert desselben Portfolios zur Zeit t = 1 durch

V1 = ξ · S =

d∑i=0

ξiSi.

Bemerkung 1.3 In der Definition unseres Marktmodells sind folgende An-nahmen impliziert:

(a) ξi < 0 moglich, das heißt”short selling“ ist erlaubt.

(b) Keine Transaktionskosten.

(c) Kein Unterschied zwischen Kauf-/Verkaufspreis (kein Bid/Ask-Spread).

(d) Liquiditat: alle Assets sind in beliebig großer Zahl verfugbar/verkauflich,zudem beliebig stuckelbar.

Definition 1.4 Die diskontierten Preise definieren wir durch

Xi :=Si

1 + r, i = 0, . . . , d

und die diskontierten Wertveranderungen durch

Y i := Xi − πi =Si

1 + r− πi, i = 1, . . . , d.

Weiter definieren wir:

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1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 5

X := (X0, X) := (1, X1, . . . , Xd)

und

Y :=(Y 1, . . . , Y d

).

Bemerkung 1.5

(a) Wir betrachten diskontierte Preise, um Preise in t = 1 mit Preisen int = 0 vergleichen zu konnen: 1 Euro heute ist mehr wert als 1 Euro zumZeitpunkt t = 1 (unter der Annahme positiver Zinsen r > 0). Deshalbbetrachten wir Preise nicht in der Einheit

”Wahrung“ sondern in der

Einheit”Bond“ (1 Bond heute ist 1 Bond in t = 1). Fur die diskontierten

Preise verwenden wir daher den Bond als Numeraire.(b) Alternativ konnte jedes andere strikt positive Wertpapier (bzw. Portfolio)

als Numeraire verwendet werden (das heißt, alle Preise werden in Einhei-ten dieses Numeraire ausgedruckt).

Definition 1.6 Ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 heißt Arbitragemoglichkeit oder ein-fach Arbitrage, falls

V0 = ξ · π ≤ 0, V1 = ξ · S ≥ 0, P− f.s., und P(ξ · S > 0

)> 0.

Ein Marktmodell(π, S

)nennen wir arbitragefrei, falls es keine Arbitrage

zulasst.

Bemerkung 1.7

(i) Unter einer Arbitragemoglichkeit versteht man also die Moglichkeit,einen

”risikofreien Gewinn“ zu erzielen. Wir gehen davon aus, dass in ef-

fizienten Markten Arbitragemoglichkeiten nicht realisierbar sind. DieseArbitragefreiheit wird im Folgenden unsere Schlusselannahme zur Be-wertung von Finanzprodunkten sein.

(ii) Ist ein Marktmodell arbitragefrei, so gilt Si = 0 P−f.s. falls πi = 0,weshalb wir im Folgenden o. B. d. A. (kurz fur ohne Beschrankung derAllgemeinheit) πi > 0 voraussetzen konnen.

(iii) In der Definition von Arbitrage spielt P nur bei der Festlegung der Null-mengen eine Rolle. Daher gilt: ist Q ein zu P aquivalentes Wahrschein-lichkeitsmaß, so ist ξ eine Arbitragemoglichkeit bezuglich P genau dann,wenn ξ eine Arbitragemoglichkeit bezuglich Q ist.

Lemma 1.8 Es sind aquivalent:

(a) Es existiert eine Arbitragemoglichkeit.

(b) Es existiert ξ ∈ Rd+1, so dass

ξ · π ≤ 0, ξ · X ≥ 0 P− f.s. und P(ξ · X > 0

)> 0,

wobei X :=(X0, . . . , Xd

).

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6 1 Arbitragetheorie in einer Periode

(c) Es existiert ξ ∈ Rd mit

ξ · Y ≥ 0 P− f.s. und P (ξ · Y > 0) > 0,

das heißt

ξ · S ≥ (1 + r) ξ · π P− f.s. und P (ξ · S > (1 + r)π) > 0.

Beweis: Ubung. utFundamental Theorem of Asset Pricing. Nun kommen wir zum Haupt-satz des Kapitels. Zunachst fuhren wir folgende Definition ein:

Definition 1.9 Ein Wahrscheinlichkeitsmaß P∗ auf (Ω,F) heißt risikoneu-trales Maß oder Martingalmaß, falls

πi = EP∗

[Si

1 + r

], fur alle i = 0, . . . , d.

Wir notieren mit

P := P∗ | P∗ ≈ P, P∗ ist Martingalmaß

die Menge der aquivalenten Martingalmaße.

Theorem 1.10 (FTAP - Fundamental Theorem of Asset Pricing)Ein Markt ist arbitragefrei genau dann, wenn

P 6= ∅.

In diesem Fall existiert sogar ein P∗ ∈ P mit beschrankter Radon-Nikodym-Dichte dP∗

dP .

Beweis: Angenommen es gelte P 6= ∅. Sei P∗ ∈ P und ξ ∈ Rd+1 eineStrategie, so dass ξ · X ≥ 0 P−f.s. und P

(ξ · X > 0

)> 0. Dann gilt

0 < EP∗[ξ · X

]= ξ · EP∗

[X] Def. 1.9

= ξ · π,

ξ kann also keine Arbitragemoglichkeit sein.

Nun die andere Richtung der Aquivalenz.

(i) Ohne Beschrankung der Allgemeinheit konnen wir EP [‖Y ‖] <∞ anneh-men, das heißt

EP[|Y i|

]<∞ fur alle i = 1, . . . , d,

denn falls E [‖Y ‖] = ∞ ist, betrachte P gegeben durch dPdP = 1

1+‖Y ‖ · c,wobei c := 1

EP[ 11+‖Y ‖ ]

. Dann gilt

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1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 7

EP

[dP

dP

]= 1,

dP

dP> 0 und

dP

dP< c.

Damit erhalten wir

EP [‖Y ‖] = EP

[dP

dP‖Y ‖

]

= EP

[1

1 + ‖Y ‖· ‖Y ‖

]· c ≤ c

<∞.

Mit Bemerkung 1.7 folgt nun: Der Markt ist arbitragefrei unter P genaudann, wenn er unter P arbitragefrei ist.

Weiterhin, angenommen es gibt ein P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗

dP.

Dann ist auchdP∗

dP=dP∗

dP· dPdP

beschrankt.

(ii) Sei also EP [‖Y ‖] <∞. Wir definieren:

Q :=

Q | Q Wahrscheinlichkeitsmaß, Q ≈ P, dQ

dPbeschrankt

und

C := EQ [Y ] | Q ∈ Q , 1

wobei EQ [Y ] gerade der Vektor EQ [Y ] :=(EQ[Y 1], ...,EQ

[Y d])

ist.

Es gibt ein aquivalentes Martingalmaß P∗ ∈ P ∩ Q genau dann, wenn0 ∈ C.Angenommen 0 /∈ C. Es gilt offensichtlich, dass P ∈ Q und somit C 6= ∅.Weiter ist C konvex, denn sei 0 < α < 1 und EQ1

[Y ] ,EQ2[Y ] ∈ C, dann

giltαEQ1 [Y ] + (1− α)EQ2 [Y ] = EQα [Y ] ∈ C,

mit Qα = αQ1 + (1− α)Q2 ∈ Q. Aus dem Trennungssatz in endlicherDimension (siehe Satz C.15) folgt nun die Existenz eines ξ ∈ Rd mit

ξ · EQ [Y ] ≥ 0 fur alle Q ∈ Q, (1.1)

ξ · EQ0 [Y ] > 0 fur mindestens ein Q0 ∈ Q. (1.2)

Aus (1.2) folgt

1 EQ[Y i]

= EP[dQdPY i] dQ

dPbeschrankt

≤ c · EP[|Y i|

]< ∞, wobei c ∈ R. Da Y

integrierbar unter P ist folgt nun, dass EQ[Y i]

wohldefiniert ist.

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8 1 Arbitragetheorie in einer Periode

Q0 (ξ · Y > 0) > 0.

Da P ≈ Q0, folgt nunP (ξ · Y > 0) > 0.

Bleibt also nur noch zu zeigen, dass ξ · Y ≥ 0 P−f.s..

Dazu definieren wir

ϕn :=

(1− 1

n

)1A +

1

n1AC ,

wobei n = 2, 3, 4, . . . und A := ξ · Y < 0 und AC = Ω \ A die zu Akomplementare Menge ist. Weiter definieren wir WahrscheinlichkeitsmaßeQn ≈ P durch

dQn

dP=

ϕnEP [ϕn]

, fur n = 2, 3, 4, . . . .

Dann gilt 0 < dQn

dP ≤ 1 und damit Qn ∈ Q.

Aus (1.1) folgt nun

ξ · EQn [Y ] = EQn [ξ · Y ] =EP [ξ · Y ϕn]

EP [ϕn]≥ 0

und damit

limn→∞

EP [ξ · Y ϕn] = EP

[ξ · Y lim

n→∞ϕn

]= EP [ξ · Y 1A]

≥ 0,

wobei in der ersten Gleichung der Satz der dominierten Konvergenz an-gewandt wurde. Also P (A) = 0 und somit ξ · Y ≥ 0 P−f.s..

Mit Lemma 1.8 folgt nun, dass ξ eine Arbitragemoglichkeit ist. Dies istaber ein Widerspruch zur Annahme, dass das Marktmodell arbitragefreiist. Das heißt 0 ∈ C.

ut

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1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 9

Korollar 1.11 Sei lediglich S = (S0, . . . , Sd) gegeben.

(a) Die Menge aller moglichen abritragefreien Preise ist gegeben durch:

Π :=EQ[X] | Q ∈ Q

,

wobei Q := Q Wahrscheinlichkeitsmaß | Q ≈ P, dQdP beschrankt.

(b) Die Menge Π ist konvex und nicht-leer.

Beweis:

(a) Folgt direkt aus dem Theorem 1.10 (FTAP).

(b) Q ist konvex und nicht-leer und somit auch Π, weil die Abbildung Q 3Q 7→ EQ[X] ∈ Π affin ist.

ut

Beispiel 1.12 Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum mitΩ = ω1, . . . , ωn,F = P(Ω) (Potenzmenge) und P(ωi) =: pi > 0. Wir betrachten einen Marktbestehend aus einem Bond

und aus einem risky Asset

Dabei sei:S1(ω1) =: s1, . . . , S

1(ωn) =: sn.

Wann ist dieses Modell arbitragefrei? Ein Wahrscheinlichkeitsmaß P ≈ P isthier gegeben durch einen Vektor (p1, . . . , pn) mit pi > 0, i = 1, . . . , n, und∑ni=1 pi = 1 (es gilt dann P(ωi) = pi, i = 1, . . . , n). Laut Korollar 1.11 ist der

Markt arbitragefrei genau dann, wenn

π1(1 + r) ∈

n∑i=1

sipi | pi > 0,

n∑i=1

pi = 1

.

Also existiert ein aquivalentes Martingalmaß P∗ genau dann, wennp∗i := P∗(ωi) folgende Bedingungen erfullt:

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10 1 Arbitragetheorie in einer Periode

(i) p∗i > 0, p∗1 + · · ·+ p∗n = 1,

(ii) π1(1 + r) = s1p∗1 + · · ·+ snp

∗n.

Falls eine Losung von (i) und (ii) existiert, dann ist sie fur n = 2 eindeutigund fur n > 2 gibt es unendlich viele Losungen.

Replizierbare Auszahlungsprofile und das Gesetz eines eindeutigenPreises

Definition 1.13 Der lineare Vektorraum von Zufallsvariablen

V :=ξ · S | ξ ∈ Rd+1

wird die Menge der replizierbaren Auszahlungsprofile (attainable payoffs) ge-nannt (Payoffs die durch ein Portfolio generiert werden konnen).

Im Allgemeinen existiert fur V ∈ V kein eindeutiges generierendes Portfolio.Es gilt jedoch die folgende Proposition:

Proposition 1.14 (Law of one price)Sei das Marktmodell arbitragefrei und V ∈ V mit V = ξ · S = η · S P − f.s.fur ξ 6= η ∈ Rd+1. Dann gilt ξ · π = η · π und

π(V ) := ξ · π

ist der eindeutige arbitragefreie Preis von V .

Beweis: Wahle P∗ ∈ P2. Dann gilt:

ξ · π = ξ · EP∗ [X]

= EP∗ [ξ · X]

= EP∗ [η · X]

= η · EP∗ [X] = η · π

Alle anderen Preise wurden offensichtlich eine Arbitragemoglichkeit ergeben.ut

Renditen

Definition 1.15 Der Markt sei arbitragefrei und V ∈ V mit π(V ) 6= 0. Danndefinieren wir die Rendite (Return) von V durch:

R(V ) :=V − π(V )

π(V ).

Insbesondere gilt, falls:

2 Da der Markt arbitragefrei ist, gilt laut Theorem 1.10 (FTAP) P 6= ∅.

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1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 11

(i) V = S0, so folgt

R(V ) = R(S0)

=S0 − π(S0)

π(S0)

=r + 1− 1

1= r.

(ii) V =∑nk=1 αkVk, 0 6= Vk ∈ V, so folgt

R(V ) =V − π(V )

π(V )

=

∑nk=1 αkVk −

∑nk=1 αkπ(Vk)∑n

k=1 αkπ(Vk)

=

n∑k=1

αkπ(Vk)

π(Vk)· Vk − π(Vk)

αkπ(Vk)

=

n∑k=1

βkR(Vk),

wobei βk = αkπ(Vk)π(V ) .

(iii) V = ξ · S, so folgt aus (ii)

R(V ) =

d∑i=0

ξiπi

ξ · πR(Si).

Proposition 1.16 Sei der Markt arbitragefrei und sei V ∈ V mit π(V ) 6= 0.Dann gilt:

(a) Fur P∗ ∈ P ist EP∗ [R(V )] = r (unter einem aquivalenten MartingalmaßP∗ besitzt jedes Portfolio den risikofreien Zinssatz r als erwartete Rendi-te!).

(b) Fur Q ≈ P∗, P∗ ∈ P mit EP∗ [|S|] <∞ ist

EQ[R(V )] = r − covQ

(dP∗

dQ, R(V )

),

wobei wir mit covQ die Kovarianz bezuglich Q notieren.

Beweis:

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12 1 Arbitragetheorie in einer Periode

(a) Da EP∗ [V ] = π(V )(1 + r), gilt:

EP∗ [R(V )] =EP∗ [V ]− π(V )

π(V )= r.

(b) Sei ϕ∗ = dP∗

dQ . Dann gilt:

covQ(ϕ∗, R(V )) = EQ[ϕ∗R(V )]− EQ[ϕ∗]︸ ︷︷ ︸=1

EQ[R(V )]

= EP∗ [R(V )]− EQ[R(V )].

Mit (a) folgt nun die Behauptung.

ut

Bemerkung 1.17 (Redundante Marktmodelle)Das Marktmodell sei arbitragefrei und ξ ∈ Rd+1, so dass ξ · S = 0 P − f.s..Falls ξ 6= 0, existiert i ∈ 0, . . . , d, so dass ξi 6= 0 und

Si = − 1

ξi

∑k=0k 6=i

ξkSk,

πi = − 1

ξi

∑k=0k 6=i

ξkπk.

Das Wertpapier Si ist somit redundant (kann durch die ubrigen Wertpapie-re dargestellt werden) und kann weggelassen werden. O. B. d. A. nehmen wirdeshalb im Folgenden an:

Wenn ξ · S = 0 P− f.s., dann gilt ξ = 0. (1.3)

Falls (1.3) gilt, heißt das Marktmodell nicht-redundant.

Bemerkung 1.18 (Numeraire)Die Definition von Arbitrage ist unabhangig von der Wahl des Numeraires.Daher konnen wir analoge Ergebnisse des Theorems 1.10 (FTAP) fur einenbeliebigen Numeraire herleiten.Nehmen wir zum Beispiel an π1 > 0, S1 > 0 P − f.s., konnen wir das ersteWertpapier als Numeraire, das heißt als Preiseinheit, verwenden.

Definition. P∗ ≈ P ist ein aquivalentes Martingalmaß bezuglich dem NumeraireS1, falls:

πi

π1= EP∗

[Si

S1

], i = 0, . . . , d.

Sei P := P∗ aquivalentes Martingalmaß bzgl. Numeraire S1. Dann gilt:

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1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 13

(a) P =P∗ | dP

dP∗ = S1

EP∗ [S1] , P∗ ∈ P

.

(b) P ∩ P = ∅, falls S1 P− f.s. nicht-konstant.

Beweis: Ubung. ut

1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims)

Definition 1.19 Ein Contingent Claim (oder Claim) ist eine ZufallsvariableC auf (Ω,F ,P), so dass

0 ≤ C <∞ P− f.s..

Ein Derivat ist ein Contingent Claim C welcher σ(S0, . . . , Sd)-messbar ist,d.h.

C = f(S0, . . . , Sd),

fur eine messbare Funktion f : Rd+1 → R+.

Bemerkung 1.20

(a) Ein Contingent Claim ist ein Finanzprodukt, bei dem der Verkaufer desClaims sich zur Zahlung von C = C(ω) (Payoff) an den Kaufer zumZeitpunkt t = 1 verpflichtet.

(b) An Finanzmarkten existieren auch Claims/Derivate mit moglichen ne-gativen Payoffs (Kombination von long/short-Positionen in Derivate mitnicht negativen Payoffs).

Beispiel 1.21 (Ein paar Derivate)

(a) FORWARDEin Vertrag in dem zum Zeitpunkt t = 0 ein fester Preis K (forward price)fur ein bestimmtes Wertpapier Si zum Zeitpunkt t = 1 vereinbart wird.

Payoff: C(ω) = Si(ω)−K.

(b) CALL OPTIONEin Vertrag, der dem Kaufer der Call Option die Moglichkeit (Option),aber nicht die Verpflichtung gibt, ein Wertpapier Si zu einem festen PreisK (strike price) zum Zeitpunkt t = 1 zu kaufen.

Payoff: C(ω) = ( Si(ω)︸ ︷︷ ︸Basiswert

−K)+ := maxSi −K, 0.

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14 1 Arbitragetheorie in einer Periode

(c) PUT OPTIONEin Vertrag, der dem Kaufer der Put Option die Moglichkeit aber nichtdie Verpflichtung gibt, ein Wertpapier Si zu einem festen Preis K (strikeprice) zum Zeitpunkt t = 1 zu verkaufen.

Zum Zeitpunkt t = 1 gilt:

Si −K = (Si −K)+ − (K − Si)+.

Unter der Arbitragefreiheit muss dann auch die Gleichheit fur die Preisezum Zeitpunkt t = 0 gelten:

πi − K

1 + r= π(Call)− π(Put).

Daraus folgt die sogenannte Put-Call-Paritat :

π(Call) = π(Put) + πi − K

1 + r.

(d) BASKET-OPTIONOptionen/Derivate auf ein Portfolio von Wertpapieren mit V (ω) = ξ·S(ω)als Basiswert. Zum Beispiel:

Call: (V −K)+

Put: (K − V )+.

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1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 15

(e) STRADDLEEine Absicherung dagegen, dass sich ein Portfoliowert V = ξ·S von seinemAnfangswert π(V ) weg bewegt, egal in welche Richtung:

C = (V − π(V ))+ + (π(V )− V )+ (= ”Call” + ”Put”) = |V − π(V )|.

Definition 1.22 (arbitragefreie Preise eines Claims)πC ≥ 0 ist ein arbitragefreier Preis fur einen Claim C, falls der erweiterteMarkt

(π0, . . . , πd, πd+1 = πC),

(S0, . . . , Sd, Sd+1 = C) (1.4)

arbitragefrei ist. Wir notieren die Menge aller arbitragefreien Preise von Cmit Π(C).

Proposition 1.23 Sei C ein Claim in einem arbitragefreien Markt (π, S).Dann ist die Menge Π(C) aller arbitragefreien Preise fur C gegeben durch:

Π(C) =

EP∗

[C

1 + r

]| P∗ ∈ P aquivalentes Martingalmaß mit EP∗ [C] <∞

Π(C) ist ein nicht-leeres Intervall.

Beweis: Sei πC ∈ Π(C). Laut Theorem 1.10 (FTAP) existiert ein aquivalentesMartingalmaß P∗ fur unseren erweiterten Markt (1.4), d.h.

P∗ ≈ P und EP∗

[Si

1 + r

]= πi fur alle i = 0, . . . , d+ 1.

Insbesondere ist dann wegen

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16 1 Arbitragetheorie in einer Periode

EP∗

[C

1 + r

]= πC

P∗ ∈ P undEP∗ [|C|] = EP∗ [C] = (1 + r)πC <∞.

Sei nun πC := EP∗[C

1+r

]fur ein P∗ ∈ P. Dann ist P∗ auch ein aquivalentes

Martingalmaß fur den erweiterten Markt (1.4). Laut Theorem 1.10 (FTAP)ist dann πC ∈ Π(C).

Wir zeigen nun, dass Π(C) ein nicht-leeres Interval ist.

(i) Zunachst zeigen wir, dass Π(C) konvex ist: fur P∗1, P∗2 ∈ P mit

EP∗1 ,P∗2[C] <∞ und λ ∈ [0, 1] gilt:

λEP∗1

[C

1 + r

]+ (1− λ)EP∗2

[C

1 + r

]= EP∗

[C

1 + r

]∈ Π(C),

wobei P∗ := λP∗1 + (1− λ)P∗2 ∈ P und EP∗ [C] <∞.

(ii) Nun zeigen wir, dass Π(C) nicht-leer ist. Sei P∗ ≈ P definiert durch

dP

dP=

1

1 + C· 1

EP

[1

1+C

] .Dann gilt:

EP[C] = EP

[1

1 + C· C]

1

EP

[1

1+C

] <∞.Laut Theorem 1.10 (FTAP) existiert ein aquivalentes MartingalmaßP∗ ∈ P mit dP∗

dPbeschrankt, d.h. dP∗

dP≤ k, fur eine Konstante k > 0, so

dass

EP∗ [C] = EP

[C · dP

dP

]≤ K · EP[C] <∞.

Somit gilt πC = EP∗[C

1+r

]∈ Π(C).

ut

Definition 1.24 Die untere bzw. obere Arbitragegrenze eines Claims C istdefiniert als

πinf(C) := inf Π(C) ∈ [0,∞)

bzw.πsup(C) := supΠ(C) ∈ [0,∞].

Theorem 1.25 (Dualitatsrelationen fur Arbitragegrenzen) In einem ar-bitragefreien Marktmodell sind die Arbitragegrenzen eines Claims C gegebendurch

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1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 17

(a)

πinf(C) = infP∗∈P

EP∗

[C

1 + r

]= max

m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≤ C

1 + rP− f.s.

.

(b)

πsup(C) = supP∗∈P

EP∗

[C

1 + r

]= min

m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C

1 + rP− f.s.

.

Beweis: Wir beweisen nur (b), der Fall (a) wird analog bewiesen.Zunachst zeigen wir, dass πsup(C) ≤ infM, wobei

M :=

m ∈ [0,∞] | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C

1 + rP− f.s.

.

Sei m ∈M und P∗ ∈ P. Dann folgt

EP∗

[C

1 + r

]≤ EP∗ [m+ ξ · Y ]

P∗∈P↓= m

und damit

infM≥ supP∗∈P

EP∗

[C

1 + r

]≥ sup

P∗∈PEP∗ [C]<∞

EP∗

[C

1 + r

]= πsup(C).

Nun zeigen wir infM≤ πsup(C).

1. Der Fall πsup(C) =∞ ist trivial.

2. Sei πsup(C) <∞ und m > πsup(C).Aus Proposition 1.23 folgt die Existenz einer Arbitragemoglichkeit imerweiterten Markt mit πd+1 = m und Sd+1 = C. Also existiert ein(ξ, ξd+1

)∈ Rd+1, so dass

ξ · Y + ξd+1

(C

1 + r−m

)≥ 0 P− f.s.

und

P

(ξ · Y + ξd+1

(C

1 + r−m

)> 0

)> 0 P− f.s..

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18 1 Arbitragetheorie in einer Periode

Da das ursprungliche Marktmodell (π, S) arbitragefrei ist, ist ξd+1 6= 0.Desweiteren gilt fur P∗ ∈ P mit EP∗ [C] <∞

EP∗

[ξ · Y + ξd+1

(C

1 + r−m

)]= ξd+1

(EP∗

[C

1 + r

]−m

)≥ 0.

Da m > πsup(C) gilt aber

EP∗

[C

1 + r

]−m < 0.

Und damit ξd+1 < 0. Daraus folgt fur η :=−ξξd+1

m+ η · Y ≥ C

1 + rP− f.s.,

also m ∈M. Es folgt nun

infM≤ πsup(C).

Zuletzt zeigen wir, dass

infM = min

m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C

1 + rP− f.s.

.

Ohne Beschrankung der Allgemeinheit sei infM <∞ und das Marktmo-dell nicht redundant (Bemerkung 1.17).Sei (mn)n∈N ∈M mit

limn→∞

mn = infM = πsup(C)

und wahle fur alle n ∈ N ein ξn ∈ Rd, so dass

mn + ξn · Y ≥C

1 + rP− f.s..

1. Fall: (ξn)n∈N beschrankt (d.h. es existiert k > 0, so dass‖ξn‖ < k fur alle n ∈ N).

Dann existiert eine konvergente Teilfolge ξnkk→∞−−−−→ ξ ∈ Rd, so dass

πsup(C) + ξ · Y = limk→∞

(mnk + ξnkY ) ≥ C

1 + rP− f.s.,

das heißt

πsup(C) ∈M.

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1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 19

2. Fall: (ξn)n∈N nicht beschrankt.Es existiert also eine Teilfolge ξnk , so dass lim

k→∞‖ξnk‖ =∞.

Definiere

ηk :=ξnk‖ξnk‖

, k ∈ N.

Offensichtlich gilt ‖ηk‖ = 1 fur alle k ∈ N. Die Folge (ηk)k∈N ist alsobeschrankt.Es existiert also eine konvergente Teilfolge ηkl

l→∞−−−→ η mit ‖η‖ = 1.Dann gilt

liml→∞

(mnkl

‖ξnkl ‖+ ηkl · Y

)= η · Y ≥ lim

l→∞

C

1 + r

1

‖ξnkl ‖= 0, P− f.s.

Da das Martkmodell arbitragefrei ist, folgt η · Y = 0 P− f.s.Außerdem ist das Marktmodell nicht redundant, was η = 0 impliziert.Dies steht im Widerspruch zu ‖η‖ = 1. Demnach ist nur der erste Fallmoglich.

ut

Definition 1.26 Sei C ein Claim. Ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 heißt Sub- bzw.Superhedge von C, falls

ξ · S ≤ C bzw. ξ · S ≥ C P− f.s..

Wir nennen ξ · π Sub- bzw. Superhedgingpreis von C. Gilt sogar ξ ·S = C P−f.s., dann heißt der Claim C replizierbar (oder attainable), d.h. C ∈ V ausDefinition 1.13. Wir nennen ξ Hedge, oder replizierendes Portfolio von C.

Bemerkung 1.27(a) Sei ξ ein Superhedge von C. Fur den Claimpreis πC = ξ · π (Superhed-

gingpreis) kann sich der Verkaufer des Claims mittels Kauf des Superhed-geportfolios gegen jegliche Claimforderung zum Zeitpunkt t = 1 absichern.

(b) Analog bietet fur einen Subhedge ξ der Claimpreis πC = ξ · π (Subhed-gingpreis) dem Kaufer die Moglichkeit den Claimpreis durch Verkauf desSubhedgeportfolios zu decken.

(c) Ist C replizierbar durch ein Portfolio ξ, so ist der Preis ξ ·π des replizieren-den Portfolio sowohl (maximaler) Subhedgingpreis wie auch (minimaler)Superhedgingpreis.

Interpretation von (a) und (b) in Theorem 1.25

zu (b): Ist ξ ein Superhedge von C, so erfullen m := ξ · π und η = ξ

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20 1 Arbitragetheorie in einer Periode

m+ η · Y ≥ C

1 + rP− f.s.,

denn es gilt

ξ · S1 + r

≥ C

1 + r

genau dann, wenn

ξ · π︸︷︷︸=m

+ξ · S1 + r

− ξ · π︸ ︷︷ ︸=η·Y

≥ C

1 + r.

Sei umgekehrt m ∈ [0,∞) und η ∈ Rd, so dass

m+ η · Y ≥ C

1 + rP− f.s..

Dann ist ξ = (m− η · π, η) ein Superhedge von C mit ξ · π = m.πsup(C) in (b) ist also der minimale Superhedingpreis.

zu (a): Analog ist πinf(C) in (a) der maximale Subhedgingpreis.

Korollar 1.28 Das Marktmodell sei arbitragefrei, weiterhin sei C ein Claim.

(a) C ist replizierbar genau dann, wenn ein eindeutiger arbitragefreier PreisπC existiert, d.h. | Π(C) |= 1.

(b) Ist C nicht replizierbar, so gilt

πinf(C) < πsup(C)

und

Π(C) = (πinf(C), πsup(C)).

Beweis:

(a) Ist C replizierbar, so gilt

πinf(C)Thm. 1.25

= πsup(C)Prop. 1.23∈ Π(C),

d.h. | Π(C) |= 1.Die Umkehrung folgt aus (b).

(b) Aus Proposition 1.23 folgt, dass Π(C) ein nicht-leeres Intervall ist. Wirzeigen nun

πinf(C), πsup(C) /∈ Π(C).

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1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 21

Aus Theorem 1.25 folgt die Existenz eines ξ ∈ Rd, so dass

πinf(C) + ξ · Y ≤ C

1 + rP− f.s.. (1.5)

Wir betrachten nun den erweiterten Markt((π, πinf(C)), (S,C)

)und das Portfolio (ξ · π − πinf(C),−ξ, 1) ∈ Rd+2.Fur t = 0 gilt dann

ξ · π − πinf(C)− ξ · π + πinf(C) = 0.

Und fur t = 1 erhalten wir

(ξ · π − πinf(C))(1 + r)− ξ · S + C(1.5)

≥ 0 P− f.s.

und

P((ξ · π − πinf(C))(1 + r)− ξ · S + C > 0) > 0 P− f.s.,

da C nicht replizierbar ist.Es existiert also eine Arbitragemoglichkeit im erweiterten Markt. Damitgilt

πinf(C) /∈ Π(C).

Fur πsup(C) /∈ Π(C) folgt der Bewewis analog.

ut

Bemerkung 1.29 Aus Korollar 1.28 folgt:

(i) Ist C replizierbar durch ein Portfolio ξ, so ist der maximale Subhed-gingpreis πinf(C) und der minimale Superhedgingpreis πsup(C) gegebendurch den eindeutigen arbitragefreien Claimpreis ξ · π.

(ii) Ist C nicht replizierbar, sind Sub- bzw. Superhedgingpreise nicht arbi-tragefrei!

Beispiel 1.30 (Universal arbitrage bounds for put and call options)Wir betrachten im Folgenden ein arbitragefreies Marktmodell, sowie Put undCall Optionen auf dem i-ten Wertpapier mit Strike K.

CCall := (Si −K)+ ,

CPut := (K − Si)+.

Offensichtlich gilt CCall ≤ Si, so dass

EP∗

[CCall

1 + r

]≤ πi fur alle P∗ ∈ P, i = 0, . . . , d. (1.6)

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22 1 Arbitragetheorie in einer Periode

Andererseits erhalten wir aus der Jensenschen Ungleichung, dass

EP∗

[CCall

1 + r

]≥(EP∗

[Si

1 + r

]− K

1 + r

)+

=

(πi − K

1 + r

)+

, (1.7)

fur i = 0, . . . , d. Aus (1.6) und (1.7) erhalten wir die folgenden Arbitragegren-zen fur eine Call Option:(

πi − K

1 + r

)+

≤ πinf(CCall) ≤ πsup(CCall) ≤ πi,

fur i = 0, . . . , d.Fur CPut ergibt sich analog(

K

1 + r− πi

)+

≤ πinf(CPut) ≤ πsup(CPut) ≤ K

1 + r

fur i = 0, . . . , d. Fur r ≥ 0 gilt weiterhin

(πi −K)+ ≤ πinf(CCall)

fur i = 0, . . . , d. Dabei wird (πi −K)+ intrinsic value gennant, und es folgt,dass fur einen arbitragefreien Preis πCall der Time Value πCall − (πi −K)+

einer Call Option positiv ist. Fur Put Optionen ist der intrinsic value (K−πi)+

nur fur r ≤ 0 eine untere Schranke.Man sagt im Fall

intrinsic value > 0: Option is “in the money”πi = K: Option is “at the money”

sonst: Option ist “out of the money”

1.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen

Definition 1.31 Ein Marktmodell heißt vollstandig ( complete), falls jederClaim replizierbar ist.

Theorem 1.32 (Second FTAP) Ein Marktmodell ist arbitragefrei und vollstandiggenau dann, wenn

| P |= 1,

d.h. es existiert genau ein P∗ ∈ P.

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1.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen 23

Beweis: Angenommen das Marktmodell ist arbitragefrei und vollstandig. Ausder Vollstandigkeit des Marktmodells folgt, dass fur alle A ∈ F die Indikator-funktion 1A ein replizierbarer Claim ist.Korollar 1.28 (a) impliziert nun, dass P∗(A) = EP∗ [1A] unabhangig von derWahl von P∗ ∈ P 6= ∅ ist, da das Marktmodell arbitragefrei ist. Damit ist| P |= 1.Angenommen P = P∗. C sei ein Claim und

Π(C) =

EP∗

[C

1 + r

]| P∗ ∈ P, EP∗ [C] <∞

die nicht-leere Menge der arbitragefreien Preise (Prop.1.23). Da | P |= 1 folgt| Π(C) |= 1. Mit Korollar 1.28 (a) folgt nun, dass C replizierbar ist. ut

Proposition 1.33 Ist das Marktmodell vollstandig, so gilt

L0(Ω,F ,P) = span(S0, . . . , Sd) :=ξ · S | ξ ∈ Rd+1

= V.

Insbesondere ist F = σ(S0, . . . , Sd) modulo P-Nullmengen. Weiterhin exis-tiert eine Partition von Ω in hochstens (d + 1) Atome in (Ω,F ,P). Ist dasModell zusatzlich arbitragefrei, also P = P∗, gilt weiterhin

L0(Ω,F ,P) = L1(Ω,F ,P∗).

Bemerkung 1.34

(a) Zur Erinnerung: Ein Atom aus (Ω,F ,P) ist ein A ∈ F , so dass P(A) > 0und fur alle B ∈ F mit B ⊆ A gilt P(B) = 0 oder P(B) = P(A).

(b) Proposition 1.33 besagt also, dass vollstandige Einperiodenmodelle end-liche Wahrscheinlichkeitsraume implizieren. Vollstandige Modelle in dis-kreter Zeit sind also sehr limitiert!

Beweis: Offensichtlich gilt

L0(Ω,F ,P)

(falls ∃P∗∈P⊇ L1(Ω,F ,P∗)

)⊇ V.

Sei das Modell vollstandig und Z ∈ L0(Ω,F ,P). Dann sind die ClaimsZ− := −min0, Z und Z+ := max0, Z replizierbar und somit in V. DaZ = Z+ − Z−, ist Z auch in V und damit dimL0(Ω,F ,P) ≤ d+ 1. Falls dasMarktmodell nicht-redundant ist, gilt insbesondere dimL0(Ω,F ,P) = d+ 1.Ist das Modell zusatzlich arbitragefrei, also P = P∗, ist

L0(Ω,F ,P) = L1(Ω, σ(S0, . . . , Sd),P) = V.

Wir benotigen das folgende Hilfslemma: Fur p ∈ [0,∞] gilt

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24 1 Arbitragetheorie in einer Periode

dimLp(Ω,F ,P)

= supn ∈ N | ∃ Partition A1, . . . , An von Ω mit Ai ∈ F und P(Ai) > 0

.

Beweis des Hilfslemmas: Sei A1, . . . , An eine Partition mit P(Ai) > 0.Dann sind 1A1 , . . . ,1An linear unabhangig in Lp(Ω,F ,P) und somit istdimLp(Ω,F ,P) ≥ n. Sei

n0 := supn ∈ N | ∃ Partition A1, . . . , An von Ω mit Ai ∈ F und P(Ai) > 0

und o.B.d.A. n0 < ∞. Sei A1, . . . , An0 eine entsprechende Partition. Dannist Ai ein Atom, i = 1, . . . , n0, nach der Definition von n0, und somit istZ ∈ Lp(Ω,F ,P) P-f.s. konstant auf Ai, i = 1, . . . , n0. Dann hat Z die Form

Z =

n0∑i=1

zi1Ai

mit zi := Z(ω), ω ∈ Ai. Also bilden 1A1 , . . . ,1An0 eine Basis von Lp(Ω,F ,P)und es gilt

dimLp(Ω,F ,P) = n0.

Somit sind das Hilfslemma und damit auch die Proposition gezeigt. ut

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2

Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Im Folgenden wollen wir die dynamische Erweiterung des Einperiodenmodellsfur Finanzmarkte auf mehrere Zeitschritte t = 0, ..., T betrachten. Dieses er-weiterte Modell erlaubt dann dynamische Portfolioumschichtungen zu Zeit-punkten t = 0, 1, ..., T .

2.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle

Im Folgenden sei wie zuvor (Ω,F ,P) der zugrunde liegende Wahrscheinlich-keitsraum.

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26 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Definition 2.1 Sei (E, E) ein messbarer Raum. Ein stochastischer ProzessX = (Xt)t∈0,1,...,T mit Werten in (E, E) ist eine Familie von Zufallsvaria-

blen Xt, t = 0, 1, ..., T , mit Werten in (E, E), also messbare Abbildungen

Xt : (Ω,F)→ (E, E) .

Definition 2.2 Eine Familie (Ft)t∈0,1,...,T von σ-Algebren Ft ⊆ F , auf

(Ω,F) heißt Filtration, falls

Fs ⊆ Ft fur alle s < t,

das heißt: F0 ⊆ F1 ⊆ ... ⊆ FT ⊆ F .

Bemerkung 2.3

(i) Im Folgenden gelte stets F0 := ∅, Ω und FT = F .(ii) Den filtrierten Wahrscheinlichkeitsraum notieren wir im Folgenden mit(

Ω, (Ft)t∈0,1,...,T ,F ,P).

(iii) Fur alle t = 0, 1, ..., T modelliert Ft die bis zum Zeitpunkt t beobacht-baren Ereignisse bzw. die verfugbaren Informationen am Markt zumZeitpunkt t.

Definition 2.4 Sei (Xt)t=0,...,T ein stochastischer Prozess auf(Ω, (Ft)t∈0,1,...,T ,F ,P

). Der Prozess heißt

(a) adaptiert, falls fur alle t = 0, ..., T die Zufallsvariable Xt (ω) Ft-messbarist.

(b) vorhersehbar oder previsibel (predictable), falls fur alle t = 1, ..., T dieZufallsvariable Xt (ω) Ft−1-messbar ist.1

Kommen wir nun zu der Spezifikation unseres Marktmodells in mehrerenPerioden (Mehrperiodenmodell). Wie zuvor sind d + 1 Wertpapiere (Assets)gegeben, die notiert sind durch

Si =(Sit)t=0,...,T

, i = 0, ..., d,

wobei nun Si ≥ 0 ein positiver adaptierter Prozess ist fur alle i = 0, ..., d. Wirnotieren weiterhin:

S :=(S0, S

):=(S0t , S

1t , ..., S

dt

)t=0,...,T

2

1 In dieser Definition ist (b) starker als (a). Das heißt, jeder previsibler Prozess istadaptiert, jedoch ist ein adaptierter Prozess nicht zwingend previsibel.

2 S ist ein Rd+1-wertiger stochastischer Prozess und S ist ein Rd-wertiger stochas-tischer Prozess.

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2.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle 27

Definition 2.5 Eine Strategie oder Portfolio

ξ =(ξt)t=1,...,T

ist ein(Rd+1,B

(Rd+1

))-wertiger, previsibler Prozess. Wir notieren

ξ :=(ξ0, ξ

):=(ξ0t , ξ

1t , . . . , ξ

dt

)t=1,...,T

.

Bemerkung 2.6 Der Wert ξit einer Strategie ξ entspricht der Anzahl desi-ten Wertpapieres Si im Portfolio wahrend der t-ten Handelsperiode von t−1bis t.

ξt wird also auf Grund der zur Zeit t − 1 verfugbaren Information bestimmtund ist damit Ft−1-messbar, also previsibel.

Der einer Strategie ξ zugeordnete Portfoliowert zur Zeit t− 1 ist also

ξt · St−1 =

d∑i=0

ξitSit−1,

der sich bis zur Zeit t zum Wert

ξt · St =

d∑i=0

ξitSit

entwickelt. Zum Zeitpunkt t kann dann die Neustrukturierung des Portfoliosvon ξt nach ξt+1 erfolgen.

Definition 2.7 Eine Strategie ξ =(ξt)t=1,...,T

heißt selbstfinanzierend, falls

ξt · St = ξt+1 · St, fur alle t = 1, ..., T − 1.

Bemerkung 2.8 Fur eine selbstfinanzierende Strategie ξ gilt

ξt+1 · St+1 − ξt · St = ξt+1 ·(St+1 − St

). (2.1)

Das heißt, die Wertveranderung des Portfolios resultiert lediglich aus derWertveranderung (Marktfluktuation) der Wertpapierpreise und nicht aus

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28 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

zusatzlichen Zu- oder Abflussen von Kapital.

Durch Summierung in (2.1) erhalten wir fur alle t = 1, . . . , T

ξt · St = ξ1 · S0 +

t∑k=1

ξk ·(Sk − Sk−1

).

ξ1 · S0 ist also das notige Startkapital zum Kauf des Portfolios ξ, welches sichdann bis zum Zeitpunkt t entsprechend der Wertveranderung der Wertpapiereentwickelt.

Annahme 2.9 Im Folgenden nehmen wir an, dass

S0t > 0 P− f.s. fur alle t = 0, ..., T

und verwenden S0 als Numeraire.

Bemerkung 2.10 Typischerweise modelliert S0 ein (lokal) risikofreies Wert-papier (Bond, Bankkonto):

S00 ≡ 1 und S0

t =

t∏k=1

(1 + rk),

wobei (rk)k=1,...,T ein previsibler Prozess ist.

Verzinsung von x Euro auf dem Bankkonto:

Der Zinssatz rt ist im Mehrperiodenmodell i.A. zwar stochastisch, aber schonzu Anfang t − 1 der Periode [t− 1, t] bekannt (previsibel), in diesem Sinnealso lokal risikofrei.

Definition 2.11 Die diskontierten Preisprozesse notieren wir mit

Xit :=

SitS0t

, t = 0, ..., T, i = 0, ..., d

und den diskontierten Portfoliowertprozess zu einer Strategie ξ mit

V ξ0 := ξ1 · X0 und V ξt := ξt · Xt fur alle t = 1, ..., T,

wobei X =(Xt

)t=0,...,T

:=(X0t , X

1t , ..., X

dt

)t=0,...,T

.

Wie ublich notieren wir X = (Xt)t=1,...,T := (X1t , . . . , X

dt )t=0,...,T , also

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 29

X = (X0, X). Der diskontierte Gewinnprozess (Wertveranderungsprozess,gains-process) zu einer Strategie ξ ist definiert als

G0 := 0 und Gt :=

t∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 1, ..., T,

wobei (Xk −Xk−1) =(X1k −X1

k−1, ..., Xdk −Xd

k−1

)=: Yk.

Proposition 2.12 Sei ξ eine Strategie. Dann sind aquivalent:

(a) ξ ist selbsfinanzierend.

(b) ξt · Xt = ξt+1 · Xt fur alle t = 1, ..., T − 1.

(c) Vt = V0 +Gt = ξ1 · X0 +∑tk=1 ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 1, ..., T .

Beweis: Ubung. ut

Bemerkung 2.13

(i) Ist ξ selbstfinanzierend, dann gilt fur die Investition in den Numeraire

ξ0t+1 − ξ0

tProp. 2.12

= − (ξt+1 − ξt) ·Xt fur t = 1, ..., T − 1.

Daξ01 = V0 − ξ1 ·X0,

ist jede selbstfinanzierende Strategie ξ eindeutig gegeben durch dasStartkapital V0 und die Strategie ξ in den Wertpapieren S1, . . . , Sd. Um-gekehrt existiert zu jedem Startkapital V0 und jeder Strategie ξ eineeindeutige selbsfinanzierende Strategie ξ.

(ii) Analog zu Einperiodenmodellen heißt ein Mehrperiodenmodell nicht-redundant, falls:

ξt · (Xt −Xt−1) = 0 P-f.s. ⇒ ξt = 0 P-f.s.

fur alle t ∈ 1, . . . , T und ξt ∈ L0(Ω,Ft−1,P,Rd).

2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of AssetPricing

Definition 2.14 Eine Arbitragemoglichkeit ist eine selbstfinanzierende Stra-tegie ξ mit

V ξ0 ≤ 0 P− f.s., V ξT ≥ 0 P− f.s. und P[V ξT > 0

]> 0.

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30 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Proposition 2.15 Ein Modell besitzt eine Arbitragemoglichkeit genau dann,wenn es t ∈ 1, . . . , T und η ∈ L0

(Ω,Ft−1,P;Rd

)3 gibt, so dass

η · (Xt −Xt−1) ≥ 0 P− f.s. und P (η · (Xt −Xt−1) > 0) > 0.

Ein Mehrperiodenmodell ist also arbitragefrei genau dann, wenn die jeweili-gen Einperiodenmodelle (mit stochastischen Anfangsbedingungen) arbitrage-frei sind.

Beweis: Sei(ξ0, ξ

)eine Arbitrage und

t := mink | V ξk ≥ 0 P− f.s. und P

(V ξk > 0

)> 0.

Dann gilt t ≤ T und entweder

V ξt−1 = 0 P− f.s. oder P[V ξt−1 < 0

]> 0.

Betrachten wir zunachst den Fall V ξt−1 = 0 P− f.s.. Mit η := ξt gilt dann

η · (Xt −Xt−1) = V ξt − Vξt−1 = V ξt ≥ 0 P− f.s.

undP (η · (Xt −Xt−1) > 0) > 0.

Betrachten wir nun den Fall P(V ξt−1 < 0

)> 0. Sei η := ξt1V ξt−1<0

. Dann

ist η Ft−1-messbar und

η · (Xt −Xt−1) =(V ξt − V

ξt−1

)1

V ξt−1<0.

Weiter gilt(V ξt − V

ξt−1

)1

V ξt−1<0 ≥ −V ξt−11

V ξt−1<0

≥ 0 P− f.s.

und

P

((V ξt − V

ξt−1

)1

V ξt−1<0 > 0

)> 0.

Beweisen wir nun die Ruckrichtung. Fur gegebene η und t definieren wir

ξs :=

η, falls t = s

0, sonst

3 Das heißt mit Werten in Rd.

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 31

und betrachten die eindeutige selbstfinanzierende Strategie ξ =(ξ0, ξ

)mit

V0 = 0 (Bemerkung 2.13 (i)).

Dann ist

V ξT = V ξ0 +

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) = η · (Xt −Xt−1) ≥ 0 P− f.s.

undP(V ξT > 0

)> 0.

ξ ist also eine Arbitragestrategie. utIm Folgenden werden wir uns Martingalmaßen im Mehrperiodenmodell zu-wenden:

Definition 2.16 Ein stochastischer Prozess M = (Mt)t=0,...,T auf einem

filtrierten Wahrscheinlichkeitsraum(Ω, (Ft)t=0,...,T ,F ,Q

)heißt Martingal,

falls

(a) M adaptiert an (Ft)t=0,...,T ,

(b) Mt ∈ L1 (Ω,F ,P) fur alle t = 0, . . . , T ,

(c) EQ [Mt | Fs] = Ms fur 0 ≤ s ≤ t ≤ T.

Es ist leicht zu zeigen (Turmeigenschaft der bedingten Erwartung), dass (c)aquivalent ist zu

(c’) E[Mt+1 | Ft] = Mt fur alle t = 0, . . . , T − 1.

Martingalmaße entsprechen der mathematischen Formulierung eines”faire ga-

me“: zu jedem Zeitpunkt ist die bedingte Erwartung des zukunftigen Gewinnsgleich Null.

Beispiel 2.17 (Fairer Munzwurf).(Xi)i=1,...,T sei eine Folge von unabhangigen Zufallsvariablen mit

P (Xi = 1) = P (Xi = −1) =1

2.

Die Filtration (Fn)n=1,...,T sei gegeben durch

Fn := σ (X1, ..., Xn) .

Definiere Mt :=∑ti=1Xi. Dann ist (Mt)t=1,...,T ein Martingal, denn

• Mt ist Ft-messbar fur alle t = 1, ..., T , also adaptiert.

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32 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

• E [|Mt|] ≤∑ti=1E [|Xi|] = t <∞ fur alle t = 1, ..., T .

• E [Mt | Ft−1] = E [Mt−1 +Xt | Ft−1] = Mt−1 + E [Xt]E[Xt]=0

= Mt−1.

Definition 2.18 Ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf (Ω,F) heißt Martin-galmaß (oder risikoneutrales Maß), falls die diskontierten Preisprozesse Xi,i = 1, ..., d, Q-Martingale bzgl. (Ft)t=0,...,T sind.

Wie zuvor notiert P die Menge der zu P aqivalenten Martingalmaße.

Theorem 2.19 Folgende Aussagen sind aquivalent:

(a) Q ist ein Martingalmaß.

(b) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ =(ξ0, ξ

)mit ξ beschrankt ist

V = (Vt)t=0,...,T ein Q-Martingal.

(c) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ mit EQ[V −T]<∞ ist V ein

Q-Martingal, wobei V − := max −V, 0.

(d) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ mit VT ≥ 0 Q−f.s. istEQ [VT ] = V0.4

Beweis: (a)⇒ (b): Sei Q ein Martingalmaß und ξ selbstfinanzierend mit|ξi| < c fur eine Konstante c > 0, fur alle i = 1, ..., d. Dann gilt:

Vt = ξt ·Xt ist Ft-messbar, t = 0, ..., T

und

|Vt| ≤ |V0|+ c

t∑k=1

|Xk|+ |Xk−1|.5

Da Xk ∈ L1 (Q) fur alle k = 1, ..., T , ist auch Vt ∈ L1 (Q) fur alle t. Fur0 ≤ t ≤ T − 1 ist

EQ [Vt+1 | Ft] = EQ [Vt + ξt+1 · (Xt+1 −Xt) | Ft]= Vt + ξt+1EQ [Xt+1 −Xt | Ft]Q∈P= Vt.

Vt ist also ein Q-Martingal.

(b)⇒ (c): Sei

ξ(a)t := ξt1|ξt|≤a fur a > 0 und t = 1, . . . , T.

4 EQ [VT ] wohldefiniert, da nach Voraussetzung VT ≥ 0 Q−f.s..5 Da Vt = V0 +

∑tk=1 ξk (Xk −Xk−1), mittels Dreiecksungleichung und wegen |ξi| < c.

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 33

Nach (b) gilt dann

EQ

(a)t · (Xt −Xt−1) | Ft−1

]= 0,

fur alle t = 1, . . . , T .Wir fuhren den Beweis per Ruckwartsinduktion und betrachten zunachst denZeitpunkt T . Da nach Annahme EQ[V −T ] < ∞, ist EQ[VT | FT−1] wohldefi-niert und es gilt:

EQ [VT | FT−1]1|ξT |≤a = EQ[VT1|ξT |≤a | FT−1

]− EQ

(a)T · (XT −XT−1) | FT−1

]= EQ

[VT1|ξT |≤a − ξ

(a)T · (XT −XT−1) | FT−1

]= EQ

[VT−11|ξT |≤a | FT−1

]= VT−11|ξT |≤a.

Fur a→∞ erhalten wir

EQ [VT | FT−1] = VT−1 Q-f.s..

Nehmen wir nun an, es gelte EQ[V −t ] < ∞ und EQ[Vt | Ft−1] = Vt−1 furt ∈ 1, . . . , T. Dann gilt mit der Jensenschen Ungleichung

EQ[V −t−1

]= EQ

[EQ [Vt | Ft−1]

−]≤ EQ

[V −t]<∞,

also ist EQ[Vt−1 | Ft−2] wohldefiniert und analog wie oben mit t − 1 anstattT folgt

EQ [Vt−1 | Ft−2] = Vt−2 Q-f.s..

Durch Ruckwartsinduktion erhalten wir somit fur alle t = 1, . . . , T

EQ[V −t]<∞

und

EQ [Vt | Ft−1] = Vt. (2.2)

Da F0 = ∅, Ω, ist V0, der Startwert des Portfolios, konstant und es gilt

EQ [Vt] = EQ [Vt | F0](2.2)= V0,

und somit Vt ∈ L1 (Q) fur alle t = 0, . . . , T . Folglich ist V ein Q-Martingal.

(c)⇒ (d): Fur alle Q-Martingale M gilt

M0 = EQ [M | F0] , fur alle t = 1, ..., T

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34 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

und wegen F0 = ∅, Ω, ist

M0 = EQ [MT | F0] = EQ [MT ] .

Da VT ≥ 0 Q-f.s., ist nach Voraussetzung in (c) V ein Q-Martingal, also

E[VT ] = V0.

(d) ⇒ (a): Seien i ∈ 0, . . . , d und t ∈ 1, . . . , T gegeben. Wir zeigenzunachst Xi

t ∈ L1(Q). Wir definieren ξis := 1s≤t, ξjs := 0, fur alle j 6= i

und alle 1 ≤ s ≤ T . Nach Bemerkung 2.13 existiert ein eindeutiger previsi-bler Prozess ξ0, so dass (ξ0, ξ) selbstfinanzierendes Portfolio mit StartkapitalV0 = Xi

0 ist. Es gilt:

VT = V0 +

T∑s=1

ξs · (Xs −Xs−1) = Xit ≥ 0.

Also wegen (d) giltEQ[Xi

t ] = EQ[VT ] = V0 = Xi0 (2.3)

undXit ∈ L1(Q),

fur alle i = 1, . . . , d und alle t = 0, . . . , T. Als nachstes zeigen wir die Martin-galeigenschaft von Xi unter Q:

EQ[Xit1A] = EQ[Xi

t−11A]

fur alle A ∈ Ft−1 und t ∈ 1, . . . , T. Definiere nun ξ durch:ξjs := 0 , falls j 6= jξis := 1s<t + 1s=t1Ac , sonst

Laut Bemerkung 2.13 existiert ein eindeutiger previsibler Prozess ξ0, so dass(ξ0, ξ) selbstfinanzierend mit Startkapital V0 = Xi

0 ist. Dann gilt

VT = V0 +

T∑s=1

ξs · (Xs −Xs−1)

= Xit−11A +Xi

t1Ac ≥ 0.

Somit folgt wegen (d)

Xi0 = V0 = EQ[VT ]

= EQ[Xit1A] + EQ[Xi

t−11Ac ]. (2.4)

Andererseits folgt aus (2.3)

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 35

Xi0 = EQ[Xi

t ]. (2.5)

Aus (2.4) und (2.5) folgt dann

EQ[Xit1A] = EQ[Xi

t−11A].

ut

Theorem 2.20 (FTAP Mehrperiodenmodell) Das Marktmodell ist arbitra-gefrei genau dann, wenn P 6= ∅. In diesem Fall existiert ein aquivalentesMartingalmaß P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗

dP .

Beweis: Sei P∗ ∈ P 6= ∅ und ξ eine Arbitragemoglichkeit, d.h. fur die Stra-tegie ξ gilt:

(i) V0 ≤ 0,

(ii) VT ≥ 0,

(iii) P∗(VT > 0) > 0, da P∗ ≈ P.

Daraus folgt

0 ≥ V0Thm. 2.19

=(d)

EP∗ [VT ] > 0,

was offensichtlich ein Widerspruch ist. Also muss der Markt arbitragefrei sein.Um die andere Richtung zu zeigen, betrachten wir, laut Proposition 2.15zunachst die Situation in den einperiodigen Submodellen.Die Fortsetzung des Beweises folgt spater. ut

FTAP im Einperiodenmodell mit stochastischen Anfangsbedingungen

Wir betrachten einperiodige Submodelle auf einem filtrierten Wahrscheinlich-keitsraum (Ω, (Ft)t=0,1,F ,P).

(i) Wir nehmen an, dass in dieser Untersektion F0 eine generelle σ-Algebraund im Allgemeinen nicht die triviale σ-Algebra ∅, Ω ist (stochastischeAnfangsbedingungen).

(ii) Ansonsten gelten die Annahmen und Definitionen wie im generellenMehrperiodemodellen.

Dann folgt aus Proposition 2.15, dass eine Arbitragemoglichkeit genau dannexistiert, wenn es eine Strategie ξ = (ξ0, ξ) ∈ L0(Ω,F0,P;Rd+1) gibt, so dass

ξ · Y := ξ · (X1 −X0) ≥ 0 P− f.s.

undP(ξ · Y > 0) > 0.

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36 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Notation 2.21 Wir definieren folgende Mengen:

• K := ξ · Y | ξ ∈ L0(Ω,F0,P;Rd),

• Lp+ := Lp+(Ω,F0,P) = Z ∈ Lp | Z ≥ 0 P− f.s., wobei p ∈ [0,+∞],

• Lp− := Lp−(Ω,F0,P) = Z ∈ Lp | Z ≤ 0 P− f.s., wobei p ∈ [0,+∞],

• K − L0+ := Z ∈ L0 | Z = ξ · Y − U fur ξ · Y ∈ K, U ∈ L0

+.

Mit dieser Notation gilt:Der Markt ist arbitragefrei ⇔ K ∩ L0

+︸ ︷︷ ︸alle positive

Gewinnprofile

= 0.

Theorem 2.22 (Fundamental Theorem of Asset Pricing)Es sind aguivalent:

(a) K ∩ L0+ = 0.

(b) (K − L0+) ∩ L0

+ = 0.

(c) Es gilbt P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗

dP .

(d) P 6= ∅.

Problem im Beweis:C := EQ[Y | F0] | Q ≈ P, EQ[‖Y ‖] < ∞ ⊂ L0(Ω,F0,P;Rd), d.h. einTrennungsargument in Rd ist im Allgemeinen nicht moglich, es sei dennF0 = ∅, Ω. Fur den Beweis von Theorem 2.22 benotigen wir zunachst einigeErgebnisse.

Theorem 2.23 (Essentielles Supremum)Sei Φ eine Menge von Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P). Dann existiert eine numerische Zufallsvariable X∗ : Ω → R∪+∞mit folgenden Eigenschaften:

(a) Fur alle Y ∈ Φ gilt Y ≤ X∗ P− f.s..

(b) Fur alle Z mit Y ≤ Z P− f.s. fur alle Y ∈ Φ gilt:

Z ≥ X∗ P− f.s..

Weiterhin gibt es eine abzahlbare Teilmenge Ψ∗ ⊆ Φ, so dass

X∗ = supY ∈Ψ∗

Y P− f.s..

Wir nennen X∗ das essentielle Supremum von Φ und schreiben:

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 37

ess supΦ := ess supY ∈Φ

Y := X∗.

Mitess inf Φ := ess inf

Y ∈ΦY := − ess sup

Y ∈Φ(−Y )

bezeichnen wir das essentielle Infimum von Φ. Fur eine Zufallsvariable Xdefinieren wir:

ess supX : = infc ∈ R ∪ +∞ | P(X ≤ c) = 1= supc ∈ R ∪ +∞ | P(X > c) = 0

undess inf X := − ess sup(−X).

Theorem 2.24 (Halmos-Savage)Sei Q eine Menge von Wahrscheinlichkeitsmaßen, die alle bezuglich P absolutstetig sind. Falls Q ≈ P6, so gibt es eine abzahlbare Teilmenge Q ⊆ Q mitQ ≈ P, fur alle Q ∈ Q.

Beweis: SeiI(ω) := ess sup

1 dQdP>0(ω) | Q ∈ Q

≤ 1

und A := I < 1 = I = 0. Angenommen P(A) > 0, dann gibt es Q ∈ Qmit Q(A) > 0 (da Q ≈ P). Außerdem gilt

P

(dQ

dP> 0

∩A

)> 0.

AlsoP(I = 1 ∩A) > 0,

was offensichtlich ein Widerspruch ist. Deshalb muss wegen P(A) = 0 gelten

P(I = 1) = 1.

Weiterhin existiert nach Theorem 2.23 eine abzahlbare Teilmenge Q ⊆ Q mit

I = supQ∈Q

1 dQdP>0 P− f.s..

Dann gilt Q ≈ P, denn aus Q(B) = 0, fur ein B ∈ F , fur alle Q ∈ Q folgt:

I · 1B = 0 P− f.s.,

also P(B) = 0. ut

6 ∀Q ∈ Q, Q(A) = 0 ⇔ P(A) = 0, ∀A ∈ F .

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38 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Theorem 2.25 (Kreps-Yan)Sei C ⊆ L1 ein abgeschlossener, konvexer Kegel7 mit L∞− ⊆ C undC∩L1

+ = 0. Dann existiert ein Z ∈ L∞ mit Z > 0 P−f.s. und E[WZ] ≤ 0,fur alle W ∈ C.

Beweis:

(i) Sei F ∈ L1+ mit P(F > 0) > 0. Wir zeigen, es gibt Z ∈ L∞ mit

Z ≤ 1 P− f.s.

und

E[FZ] > 0.

Sei dazu B := F. Dann ist B konvex und kompakt. Außerdem giltwegen F 6∈ C:

C ∩ B = ∅.

Laut dem Trennungssatz in Banachraumen (siehe Theorem C.21) exis-tiert ein lineares stetiges Funktional l : L1 → R mit

supY ∈C

l(Y ) < l(F ). (2.6)

Da 0 ∈ C, folgt 0 ≤ supY ∈C

l(Y ) < l(F ). Außerdem ist l von der Form

l(X) = E[ZX]

fur alle X ∈ L1 und fur ein geeignetes Z ∈ L∞ (siehe Lemma C.11).Wir konnen o.B.d.A. annehmen, dass

‖Z‖∞ := ess supZ ≤ 1.

Ansonsten betrachten wir Z := Z‖Z‖∞ .

(ii) Wir zeigen, dass Z aus (i) folgende Eigenschaften hat:1) E[ZY ] ≤ 0, fur alle Y ∈ C,

2) Z ≥ 0 P− f.s..

Zu 1):Angenommen es gibt ein Y ∈ C, so dass E[ZY ] > 0. Dann gilt fur t > 0:

0 < tE[ZY ] = E[ tY︸︷︷︸∈C

Z]

7 C ist ein Kegel ⇔ ∀x ∈ C, t ≥ 0 ist t · x ∈ C.

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 39

= l(tY ) = tl(Y )

(2.6)

≤ E[FZ] = l(F ). (2.7)

Da t beliebig war, folgt aus (2.7) l(F ) =∞, was ein Widerpruch ist.Deswegen gilt

E[ZY ] ≤ 0

fur alle Y ∈ C.Zu 2):Da L∞− ⊆ C, ist fur alle A ∈ F , −1A ∈ C. Aus 1) folgt:

l(−1A) = −E[1AZ] ≤ 0,

fur alle A ∈ F . Mit A := Z < 0 folgt P(Z < 0) = 0.

(iii) Die in (i) zu jedem F ∈ L1+\0 gefundenen ZF definieren nach (ii)

ein Wahrscheinlichkeitsmaß QF , so dass QF P mit Radon-NikodymDichte

dQF

dP=

ZF

E[ZF ].

Wir betrachten Q := QF | F ∈ L1+\0. Dann ist Q ≈ P, denn fur

alle A ∈ F mit P(A) > 0 gilt 1A ∈ L1+ und damit

Q1A ∈ Q und Q1A(A) > 0.

Laut Theorem 2.24 existiert eine abzahlbare Teilmenge Q ⊂ Q mitQ ≈ P.Sei nun ˜Q := QF1 ,QF2 , . . ., Zi := ZFi , i ∈ N, und

Z∗ :=∑i∈N

Zi2i≤ 1 P− f.s..

Dann ist Z∗ ∈ L∞8 und P(Z∗ > 0) = 1, denn fur A := Z∗ = 0 ∈ Fgilt 1AZ

∗ = 0, und damit

1AZi = 0 P− f.s.fur alle i ∈ N. Das bedeutet aber QFi(A) = 0 fur alle i ∈ N und damit

P(A) = 0.

Außerdem gilt fur alle W ∈ C

E[Z∗W ]dominierte

=Konvergenz

∑i∈N

1

2iE[ZiW ]

(ii),1)

≤ 0.

8 weil 0 ≤ Zi ≤ 1, P− f.s.

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40 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

ut

Beweis: (von Theorem 2.22)(c)⇒ (d): Klar.(d)⇒ (a): Wie in Theorem 2.20.(a)⇒ (b): Sei K ∩ L0

+ = 0. Fur Z = ξ · Y − U ∈ (K − L0+) ∩ L0

+ gilt:

0 ≤ ξ · Y − U P− f.s.

alsoξ · Y ≥ U ≥ 0 P− f.s..

Damit ist ξ ·Y ∈ K∩L0+, also ξ ·Y = 0 laut Annahme, und damit U = 0, und

schließlich Z = 0 P− f.s..(b)⇒ (a): offensichtlich, da K ⊂ K − L0

+.(b)⇒ (c):

(i) Ohne Beschrankung der Allgemeinheit nehmen wir EP[‖Xt‖] < ∞ furt = 0, 1 an. Ansonsten gehen wir uber zum Maß P ≈ P definiert durch

dP

dP=

1

1 + ‖X0‖+ ‖X1‖· 1

E[ 11+‖X0‖+‖X1‖ ]

.

Der Markt ist arbitragefrei unter P genau dann, wenn er arbitragefreiunter P ist.

(ii) Angenommen C = (K − L0+) ∩ L1 ist abgeschlossen in (L1, ‖ · ‖1). C ist

offensichtlich ein konvexer Kegel mit L∞− ⊆ C und C ∩ L1+︸︷︷︸

⊆L0+

= 0 (nach

(b)). Nach Theorem 2.25 (Kreps-Yan) gibt es Z ∈ L∞ mit

Z > 0 P− f.s.

und

E[ZW ] ≤ 0,

fur alle W ∈ C. Wir definieren P∗ ≈ P durch

dP∗

dP=

Z

E[Z]∈ L∞

(also beschrankte Radon-Nykodym Dichte) und zeigen, dass P∗ ∈ P.Fur alle ξ ∈ L∞(Ω,F0,P;Rd) und fur alle t ∈ R ist tξ · Y ∈ C.Dann gilt aber:

tE[ξ · Y Z] = E[tξ · Y︸ ︷︷ ︸∈C

Z] ≤ 0,

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 41

fur alle t ∈ R, alsoE[ξ · Y Z] = 0.

Außerdem giltE[ξ · Y Z] = E[ξE[Y Z | F0]] = 0.

Da ξ ∈ L∞(Ω,F0,P;Rd) beliebig war, folgt

E[Y Z | F0] = 0 P− f.s..

Also gilt:

EP∗ [Yi | F0] =

EP[Y iZ | F0]

EP[Z | F0]= 0 P− f.s.,

fur alle i = 1, . . . , d. Somit ist P∗ ∈ P.

(iii) Es bleibt noch zu zeigen, dass C in (L1, ‖ · ‖1) abgeschlossen ist. Siehedazu Korollar 2.29 spater.

ut

Lemma 2.26 Sei (ξn)n∈N ⊂ L0(Ω,F ,P;Rd) eine Folge mit

lim infn→∞

‖ξn‖ <∞ P− f.s..

Dann existiert ein ξ ∈ L0(Ω,F ,P;Rd) und eine Folge strikt monoton wach-sender F0-messbarer Zufallsvariablen σm : Ω → N, m ∈ N, so dass gilt

ξσm(ω)(ω)→ ξ(ω) P− f.s..

Beweis: Sei Λ(ω) := lim infn→∞

‖ξn(ω)‖. Wir definieren

σ01(ω) : = 1

und rekursiv

σ0k+1(ω) : =

min

n ∈ N | n > σ0

k(ω), ‖ξn(ω)‖ − Λ(ω) ≤ 1k+1

, falls Λ(ω) <∞

k + 1 , sonst.

Weiter definieren wir rekursiv fur i = 1, . . . , d

ξi := lim infn→∞

ξiσi−1m

und

σi1(ω) : = 1

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42 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

σik+1(ω) : =

min

σi−1n (ω) | σi−1

n (ω) > σik(ω), |ξiσi−1n

(ω)− ξi(ω)| ≤ 1k+1

, falls |ξi(ω)| <∞

k + 1 , sonst,

fur k = 1, 2, . . ..Dann sind σik, i = 0, . . . , d und k ∈ N, F0-messbar (Ubung) und

σik < σik+1,

fur alle i = 0, . . . , d, k ∈ N. Die Folge σm := σdm ergibt dann die gewunschteFolge von Zufallsindizes. ut

Lemma 2.27 Falls K ∩ L0+ = 01, dann ist K − L0

+ abgeschlossen in L0.

Beweis: Sei Wn ∈ (K − L0+), so dass Wn

n→∞−−−−→ W ∈ L0 in Wahrscheinlich-keit.Dann existiert eine Teilfolge, die wir o.B.d.A. wieder mit (Wn)n∈N bezeich-

nen, so dass Wnn→∞−−−−→W ∈ L0 P− f.s..

Seien ξn ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), Un ∈ L0+, so dass Wn = ξn · Y − Un.

Wir zeigen

lim infn→∞

‖ξn‖ <∞ P− f.s..

Sei dazu A :=ω ∈ Ω | lim inf

n→∞‖ξn‖ =∞

und setze

ηn :=ξn‖ξn‖

1‖ξn‖>0, n ∈ N.

Dann ist

lim infn→∞

‖ηn‖ ≤ 1.

Aus Lemma 2.26 folgt die Existenz einer Folge von F0-messbaren Zuvallsva-riablen σ1 < σ2 < . . . und einem η ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), so dass

ησn −−−−→n→∞

η P− f.s..

Wir erhalten

0 ≤ 1AUσn‖ξσn‖

1‖ξσn‖>0 =

1A

(ησn · Y −

n→∞−−−−→0 auf A P−f.s.︷ ︸︸ ︷Wσn

‖ξσn‖1‖ξn‖>0

)n→∞−−−−→ 1Aη︸︷︷︸

F0-messbar

·Y P− f.s..

1 d.h. das Marktmodell ist arbitragefrei.

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2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 43

Da K ∩ L0+ = 0, folgt

1Aη · Y = 0 P− f.s..

Sei der Markt nicht redundant, siehe Bemerkung 2.13 (ansonsten ist ein weite-res “orthogonal-decomposition-argument” notig, siehe das Referenzbuch BuchStochastic Finance von Hans Follmer und Alexander Schied).Dann folgt

1Aη = 0 P− f.s..

Andererseits ist

‖ησn‖1A =‖ξσn‖‖ξσn‖

1‖ξσn‖>01A

= 1A1‖ξσn‖>0

und somit

‖η‖1A = limn→∞

‖ησn‖1A

= 1A lim infn→∞

1‖ξσn‖>0

= 1A.

Da 1Aη = 0 P−f.s., ist ‖η‖1A = 0 P−fs., also 1A = 0 P−f.s.. Das heißtP(A) = 0 und lim infn→∞ ‖ξn‖ <∞ P− f.s..Aus Lemma 2.26 folgt die Existenz einer Folge von F0-messbaren Zufallsva-riablen

τ1 < τ2 < . . .

und ξ ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), so dass

ξτnn→∞−−−−→ ξ P− f.s..

Also

0 ≤ Uτn = ξτn · Y −Wτnn→∞−−−−→ ξ · Y −W =: U P− f.s.,

das heißt

W = ξ · Y − U ∈ K − L0+.

ut

Korollar 2.28 Angenommen K∩L0+ = 0. Dann ist K abgeschlossen in L0.

Beweis: Die Behauptung folgt aus dem Beweis von Lemma 2.27, wenn wirWn = ξn · Y (also Un = 0) setzen. ut

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44 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Korollar 2.29 Angenommen (K ∩ L0+) = 0. Dann ist C = (K − L0

+) ∩ L1

abgeschlossen in (L1, ‖ · ‖1).

Beweis: Das Korollar folgt aus Lemma 2.27 und der Tatsache, dass Konver-genz in ‖ · ‖1 die Konvergenz in Wahrscheinlichkeit impliziert. ut

Beweis: (Theorem 2.20 (Fortsetzung))Wir zeigen nun die Ruchrichtung.Angenommen das Mehrperiodenmodell ist arbitragefrei. Dies gilt nach Pro-position 2.15 genau dann, wenn

Kt ∩ L0+(Ω,Ft,P) = 0 fur alle t = 1, . . . , T, (2.8)

wobei

Kt = η · (Xt −Xt−1) | η ∈ L0(Ω,Ft−1,P;Rd), t = 1, . . . , T.

Sei t = T . Nach Theorem 2.22 existiert P ≈ P mit beschrankter DichtedP

dP,

so dass

EP[(XT −XT−1) | FT−1] = 0.

Sei nun t ∈ 1, . . . , T, Pt ≈ P ein Wahrscheinlichkeitsmaß mit beschrankter

DichtedPtdP

und

EP [(Xk −Xk−1) | Fk−1] = 0, fur alle k = t, . . . , T.

Da Pt ≈ P gilt (2.8) fur t− 1 auch mit Pt anstatt P. Aus Theorem 2.22 folgtdie Existenz von Pt−1 ≈ Pt ≈ P mit beschrankter, Ft−1-messbarer DichtedPt−1

dPt, so dass

EPt−1[(Xt−1)−Xt−2 | Ft−2] = 0.

Dann ist auch Pt−1 ≈ P mit beschrankter Dichte

dPt−1

dP=dPt−1

dPt· dPtdP

.

Fur k = t, . . . , T gilt

EPt−1[(Xk −Xk−1) | Fk−1] =

EPt

[(Xk −Xk−1)dPt−1

dPt| Fk−1

]EPt

[dPt−1

dPt| Fk−1

](dPt−1dPt

ist Ft−1-messbar

)↓= EPt [(Xk −Xk−1) | Fk−1] = 0.

Aus der Rekursion folgt dann P∗ := P1 ∈ P mit beschrankter Dichte. ut

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2.3 Europaische contingent Claims 45

Bemerkung 2.30 Wie im Einperiodenmodell (1.17) gilt: das arbitragefreieMartkmodell ist unabhangig von der Wahl des Numeraires. Die Menge P deraquivalenten Martingalmaße hangt aber im Allgemeinen vom Numeraire ab.Genauer: Sei Sj > 0 P − f.s. fur j ∈ 1, . . . , d, so dass Sj als Numeraireverwendet werden kann. Wir notieren die diskontierten Preise im NumeraireSj mit

Zit :=Sit

Sjt, i = 0, . . . , d, t = 0, . . . , T.

Sei P die Menge der aquivalenten Martingalmaße fur Z = (Z0, . . . , Zd). Danngilt

(a) P = P∗ | dP∗

dP∗=XjT

Xj0

fur ein P∗ ∈ P.

(b) P ∩ P = ∅, es sei denn XjT ist P− f.s. konstant.

Beweis: Ubung. ut

2.3 Europaische contingent Claims

Definition 2.31 Ein europaischer (contingent) Claim mit FalligkeitszeitpunktT ist eine nicht-negative, FT -messbare Zufallsvariable C.Ein Derivat ist ein σ(St, t = 0, . . . , T )-messbarer europaischer Claim.

Den diskontierten europaischen Claim bezeichnen wir mit H :=C

S0T

.

Bemerkung 2.32 Ein europaischer Claim C ist ein Wertpapier, der zumFalligkeitszeitpunkt T die Auszahlung C(ω) im Falle des Szenarios ω liefert.Europaische Claims stehen im Gegensatz zu amerikanischen Claims, bei de-nen jederzeit eine Auszahlung vom Kaufer des amerikanischen Claims verlangtwerden kann (und nicht nur zum festen Falligkeitszeitpunkt T ). Amerikani-sche Claims betrachten wir zu einem spateren Zeitpunkt.

Beispiel 2.33 (Ein paar europaische Derivate)

(a) Europaische Call bzw. Put Optionen mit Falligkeitszeitpunkt T , Strike Kund Basiswert Si, i ∈ 0, . . . , d sind gegeben durch

CCall = (SiT −K)+ bzw. CPut = (K − SiT )+.

(b) Asiatische Optionen: Der Payoff ist abhangig vom Durchschnittspreis,

Siav :=1

| T |∑t∈T

Sit ,

wobei T ⊆ 0, . . . , T und av fur “average” steht. Zum Beispiel

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46 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

(i) average price call option: C = (Siav −K)+.

(ii) average price put option: C = (K − Siav)+.

(iii) average strike call option: C = (STi − Siav)+.

(iv) average strike put option: C = (Siav − SiT )+.

(c) Barrier Options: Der Payoff hangt davon ab, ob der Basiswert vor demFalligkeitszeitpunkt T ein bestimmtes Niveau (Barriere) erreicht hat odernicht.(i) Knock-in-option: Auszahlung, falls die Barriere vor dem Falligkeitszeitpunkt

T erreicht wird. Zum Beispiel digital-knock-in-options:

Cdig =

1 falls max

0≤t≤TSit ≥ B > Si0

0 sonst.

(ii) Knock-out-option: Verliert den Wert, sobald die Barriere erreicht wird.Zum Beispiel up-and-out-call-option:

Ccallu&o =

(SiT −K)+ falls max

0≤t≤TSit < B > Si0

0 sonst.

(d) Look-back Options: Der Payoff hangt vom Minimum min0≤t≤T

Sit oder max0≤t≤T

Sit

ab:(i) Lookback Call: C = (SiT − min

0≤t≤TSit).

(ii) Lookback Put: C = ( max0≤t≤T

Sit − SiT ).

Definition 2.34 Ein europaischer Claim C heißt replizierbar ( attainable),falls eine selbstfinanzierende Strategie ξ existiert mit

C = ξT · ST P− f.s..

ξ heißt replizierende Strategie (Hedge) von C.Ein Super- bzw. Subhedge von C ist eine selbstfinanzierende Strategie ξ, die

ξT · ST ≥ C bzw. ξT · ST ≤ C P− f.s.

erfullt.

Bemerkung 2.35 Ein europaischer Claim C ist replizierbar mit der Strate-

gie ξ genau dann, wenn der diskontierte Claim H :=C

S0T

mit ξ im diskontierten

Markt replizierbar ist, das heißt

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2.3 Europaische contingent Claims 47

H = ξT ·XT = V ξT

= V ξ0 +

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1).

Analoges gilt fur ein Super- bzw. Subhedge von H.

Annahme 2.36 Im Folgenden sei unser Marktmodell immer arbitragefrei,d.h. P 6= ∅.

Proposition 2.37 Sei C ein replizierbarer europaischer Claim. Fur

H :=C

S0T

gilt dann

EP∗ [H] <∞ fur alle P∗ ∈ P.

Außerdem gilt fur jede Strategie ξ, die C repliziert, dass

V ξt = EP∗ [H | Ft] P− f.s., fur alle t = 0, . . . , T,

also ist insbesondere V ξt ≥ 0 und (V ξt )t=0,...,T ist ein P∗-Martingal fur alleP∗ ∈ P.

Beweis: Dies folgt sofort aus Theorem 2.19, denn H = V ξT ≥ 0. ut

Konsequenz: Sei H :=C

S0T

ein replizierbarer, diskontierter, europaischer

Claim. Dann gilt

(a) Fur zwei replizierende Strategien ξ und η ist

V ξt = V ηt = EP∗ [H | Ft] P− f.s. fur alle t = 0, . . . , T.

Der Wert eines replizierenden Portfolios ist also P− f.s. eindeutig (auchin redundanten Markten).

(b) Fur zwei aquivalente Martingalmaße P∗,Q∗ ∈ P ist

EP∗ [H | Ft] = EQ∗ [H | Ft] fur alle t = 0, . . . , T

unabhangig von dem aquivalenten Martingalmaß.

Insbesondere ist das Startkapital des replizierenden Portfolios

V0 = EP∗ [H], P∗ ∈ P

der eindeutige “faire” preis von H und somit

V0 · S00 = S0

0 · EP∗ [H], P∗ ∈ P,

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48 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

der eindeutige “faire” Preis von C, da alle anderen Preise Arbitrage zulassen.Sei zum Beispiel der Preis π > V0 gegeben, dann ist eine Arbitragemoglichkeit:

t = 0 t = T

Verkaufe H fur π: −π −→ −H

Kaufe ein replizierendes Portfolio: V0 −→ H

Investiere im Numeraire: π − V0 −→ (π−V0)

S00· S0

T

Gesamtportfolio: 0 −→ (π−V0)

S00· S0

T > 0

Generell definieren wir:

Definition 2.38 πH heißt arbitragefreier Preis eines diskontierten europaischen

Claims H =C

S0T

, falls es einen adaptierten, stochastischen Prozess

Xd+1 = (Xd+1t )t=0,...,T gibt, so dass

Xd+10 = πH ,

Xd+1t ≥ 0 P− f.s. fur alle t = 0, . . . , T,

Xd+1T = H P− f.s.,

und der erweiterte Markt (X,Xd+1) = (X0, X1, . . . , Xd, Xd+1) arbitragefreiist.Die Menge der arbitragefreien Preise von H notieren wir mit Π(H). Außer-dem definieren wir

πinf(H) = inf Π(H),

πsup(H) = supΠ(H).

Bemerkung 2.39(a) Offensichtlich gilt, dass (X0, . . . , Xd+1) genau dann arbitragefrei ist, wenn

(S0, . . . , Sd+1, Xd+1 ·S0) arbitragefrei ist. Es folgt, dass πC := πH ·S0 derarbitragefreie Preis des nicht-diskontierten Claims C = H · S0

T ist.

(b) Sei P∗ ∈ P mit EP∗ [H] <∞. Dann erfullt

Xd+1 := EP∗ [H | Ft], t = 0, . . . , T

die Bedingung aus Definition 2.38, d.h.

πH := EP∗ [H]

ist ein arbitragefreier Preis.

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2.3 Europaische contingent Claims 49

Theorem 2.40 Die Menge der arbitragefreien Preise des diskontierten eu-ropaischen Claims H ist gegeben durch

Π (H) = EP∗ [H] | P∗ ∈ P und EP∗ [H] <∞ . (2.9)

Desweiteren ist Π(H) ein nicht-leeres Intervall und es gilt

πinf (H) = infπ∗∈P

EP∗ [H]

= maxm ∈ [0,∞) | ∃ ξ selbstfinanzierend, so dass m+

∑Tk=1 ξk (Xk −Xk−1) ≤ H

=

”maximaler Subhedgepreis“

und

πsup (H) = supπ∗∈P

EP∗ [H]

= minm ∈ [0,∞) | ∃ ξ selbstfinanzierend, so dass m+

∑Tk=1 ξk (Xk −Xk−1) ≥ H

=

”minimaler Superhedgepreis“

Beweis: Wegen Bemerkung 2.39 (b) gilt offensichtlich ⊇ in (2.9). Zeigen wirnun die andere Inklusion in (2.9). Sei dazu πH ein arbitragefreier Preis vonH. Dann gibt es einen stochastischen Prozess Xd+1 mit

Xd+10 = πH ,

Xd+1t ≥ 0 P− f.s. fur alle t ∈ 0, . . . , T ,

Xd+1T = H P− f.s.,

und(X,Xd+1

)arbitragefrei. Aus dem Satz 2.20 (FTAP) folgt, dass es ein

aquivalentes Martingalmaß P fur(X,Xd+1

)gibt. Dann ist P aber auch ein

aqivalentes Martingalmaß fur den ursprunglichen Markt X, d.h. P ∈ P und

EP [H] = EP[Xd+1T

]= Xd+1

0 = πH .

Wir zeigen nun, dass Π (H) ein nicht-leers Intervall ist: Sei P ≈ P gegebendurch

dP

dP=

1

1 +H· 1

E[

11+H

] .Dann ist H ∈ L1

(P), und der ursprungliche Markt ist arbitragefrei unter P.

Aus Theorem 2.20 (FTAP) folgt, dass es ein P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte

0 <dP∗

dP< k P− f.s. fur ein k ∈ R+

gibt. Dann gilt

EP∗ [H] = EP

[HdP∗

dP

]≤ kEP [H] <∞,

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50 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

d.h. EP∗ [H] ∈ Π (H).Zeigen wir nun die Konvexitat vonΠ (H): Da die MengeQ := P∗ ∈ P mit EP∗ [H] <∞konvex und die Abbildung von Q nach R gegeben durch

P∗ 7−→ EP∗ [H]

affin ist, ist Π (H) konvex.Offensichtlich gilt

πinf (H) = infP∗∈P

EP∗ [H] .

Es gilt auchπsup (H) = sup

P∗∈PEP∗ [H] ,

denn:

(i) Falls es kein P∗ ∈ P mit EP∗ [H] = ∞ gibt, gilt die Behauptung offen-sichtlich.

(ii) Falls es P∗ ∈ P mit EP∗ [H] = ∞ gibt, bleibt zu zeigen, dass es fur allek > 0 ein P ∈ P gibt mit k ≤ E

P[H] <∞. Sei dazu n ∈ N so groß, dass

EP∗ [H ∧ n] ≥ k und sei

Xd+1t := EP∗ [H ∧ n|Ft] fur alle t = 0, ..., T.

Dann ist P∗ ein aquivalentes Martingalmaß fur(X,Xd+1

).

Auch in dem erwiterten Markt ist H ein Claim. Also existiert nachden anfanglichen Betrachtungen ein aquivalentes Martingalmaß P fur(X,Xd+1

)mit E

P[H] <∞. Also ist P ∈ P mit

EP

[H] ≥ EP

[H ∧ n] = EP

[Xd+1T

]= Xd+1

0 = EP∗ [H ∧ n] ≥ k.

Wir zeigen nun, dass πsup (H) ein minimaler Superhedgepreis ist. Sei

M :=

m ∈ [0,∞] | ∃ ξ selbstfinanzierend mit m+

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) ≥ H

Es gilt πsup (H) ≤ infM, denn: Sei m ∈M und

Vt = m+

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1)

der diskontierte Portfoliowert mit V0 = m und VT ≥ 0. Aus Theorem 2.19folgt nun

m = EP∗ [VT ] ≥ EP∗ [H] fur alle P∗ ∈ P,also

m ≥ supP∗∈P

EP∗ [H] = πsup (H) .

Dass πsup (H) = minM, zeigen wir hier nicht.

Analog kann man zeigen, dass πinf (H) ein maximaler Subhedgepreis ist. ut

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2.3 Europaische contingent Claims 51

Theorem 2.41 Sei das Marktmodell arbitragefrei und H ein diskontiertereuropaischer Claim. Dann gilt

(a) H ist replizierbar genu dann, wenn

|Π (H) | = 1,

d.h. π (H) = V0, wobei (Vt)t=0,...,T der diskontierte Portfoliowertprozesseiner replizierbaren Strategie ist.

(b) Ist H nicht replizierbar, dann ist

πinf (H) < πsup (H) ,

Π (H) = (πinf (H) , πsup (H)) .

Insbesondere gilt dann πinf (H) , πsup (H) /∈ Π (H)

Beweis:

(a) Sei H replizierbar. Nach Proposition 2.37 gilt dann fur alle P∗,Q∗ ∈ P

EP∗ [H] = EQ∗ [H] .

Also ist |Π (H) | = 1 nach Theorem 2.40. Die Umkehrung folgt aus (b).

(b) Sei H nicht replizierbar. Außerdem sei P∗ ∈ P mit EP∗ [H] < ∞. Wirzeigen, dass es P, P ∈ P gibt mit E

P[H] <∞, EP [H] <∞ und

EP [H] < EP∗ [H] < EP

[H] .

Dann muss nach Theorem 2.40

Π (H) = (πinf (H) , πsup (H))

gelten.

Betrachten wirUt := EP∗ [H|Ft] , t = 0, . . . , T.

Dann ist

H = UT = U0 +

T∑k=1

(Uk − Uk−1) .

Sei

Kt :=η · (Xt −Xt−1) | η ∈ L0

(Ω,Ft−1,P;Rd

)fur t = 0, . . . , T.

Da H nicht replizierbar ist, existiert mindestens ein t ∈ 1, . . . , T, so dass

Ut − Ut−1 /∈ Kt ∩ L1 (Ω,Ft,P∗) .

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52 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Nun istKt ∩ L1 (Ω,Ft,P∗) , fur t = 0, . . . , T

abgeschlossen in L1 ((Ω,Ft,P∗) , ‖ · ‖1) nach Korollar 2.28.

Dann ist B := Ut − Ut−1 konvex und kompakt und C := Kt∩L1 (Ω,Ft,P∗)konvex und abgeschlossen mit B ∩ C 6= ∅. Nach Theorem C.21 gibt esZ ∈ L∞ (Ω,Ft,P∗) derart, dass

EP∗ [Z (Ut − Ut−1)] > supW∈C

EP∗ [ZW ] .

Da 0 ∈ C, ist EP∗ [Z (Ut − Ut−1)] > 0. O.B.d.A. nehmen wir an, dass|Z| ≤ 1

3 .

Daher definiertdP

dP∗= 1 + Z − EP∗ [Z|Ft−1]

ein Wahrscheinlichkeitsmaß P ≈ P∗. Es gilt

EP

[H] = EP∗ [H (1 + Z − EP∗ [Z|Ft−1])]

= EP∗ [H] + EP∗ [ZEP∗ [H|Ft]]− EP∗ [EP∗ [H|Ft−1]EP∗ [Z|Ft−1]]

= EP∗ [H] + EP∗ [ZUt] + EP∗ [Ut−1Z]

= EP∗ [H] + EP∗ [Z (Ut − Ut−1)]︸ ︷︷ ︸>0

> EP∗ [H] .

Andererseits gilt

EP

[H] ≤ 5

3EP∗ [H] <∞.

Es bleibt also zu zeigen, dass P ein Martingalmaß ist (also P ∈ P). Fur

alle k > t ist Z und damit dPdP∗ Fk−1-messbar. Deshalb gilt, da P∗ ∈ P,

EP

[Xk −Xk−1|Fk−1] = EP∗ [Xk −Xk−1|Ft−1] = 0.

Fur k = t bemerke zunachst, dass EP∗ [ZW ] = 0, fur alleW ∈ C, wegen der Linearitat von C.Insbesondere gilt fur alle A ∈ Ft−1

1A(Xit −Xi

t−1

)∈ C fur i = 1, . . . , d.

Also

EP∗[Z(Xit −Xi

t−1

)|Ft−1

]= 0 fur alle i = 1, . . . , d. (2.10)

Da EP∗[dPdP∗ |Ft−1

]= 1 liefert die Bayes-Formel zusammen mit P∗ ∈ P

und (2.10)

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2.3 Europaische contingent Claims 53

EP

[Xit −Xi

t−1|Ft−1

]= EP∗

[(Xit −Xi

t−1

)|Ft−1

]+ EP∗

[(Xit −Xi

t−1

)Z|Ft−1

]−EP∗

[(Xit −Xi

t−1

)EP∗ [Z|Ft−1] |Ft−1

]= 0

Fur k ≤ t− 1 gilt dPdP∗

∣∣∣Fk

= 1 und deshalb

EP[Xik −Xi

k−1 | Fk−1

]= EP∗

[Xik −Xi

k−1|Fk−1

]= 0.

Damit folgt P ∈ P.Sei nun P ≈ P gegeben durch

dP

dP∗= 2− dP

dP∗.

Dann folgtP = 2P∗ − P.

Also P ∈ P und H ∈ L1(P), da.

EP [H] = 2EP∗ [H]− EP

[H]

= 2EP∗ [H]−(EP∗ [H]− E

P[H])

< EP∗ [H] .

ut

Bemerkung 2.42 Fur die Bewertung von Claims C0 mit FalligkeitszeitpunktT0 < T (also C0 ist FT0

-messbar) sind a priori zwei Alternativen moglich:

(i) Anwendung unserer Ergebnisse auf den diskontierten Claim

H0 :=C

S0T0

im Marktmodell mit verkurztem Zeithorizont T0 (das offensichtlich aucharbitragefrei ist).

(ii) Betrachtung des Payoffs

C := C0S0T

S0T0

mit Falligkeit T (was der Investition des Payoffs C0 in den NumeraireS0 zum Zeitpunkt T0 entspricht) mit diskontiertem Payoff

H =C

S0T

=C0

S0T0

.

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54 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Lemma: Sei P∗0 ∈ P0 ein aquivalentes Martingalmaß im Markt mit Zeithori-zont T0. Dann existiert ein P∗ ∈ P, so dass

P∗|FT0= P∗0.

Beweis: Ubung. ut

Aus dem Lemma folgt nun, dass die Alternativen (i) und (ii) die gleichenarbitragefreien Preise fur den Claim C0 liefern, da H = H0.

2.4 Vollstandige Markte

Definition 2.43 Ein Mehrperiodenmodell heißt vollstandig (complete), fallsalle europaische Claims replizierbar sind.

Theorem 2.44 (Second Fundamental Theorem of Asset Pricing)Das Marktmodell sei arbitragefrei, also P 6= ∅. Dann sind aquivalent:

(a) Der Markt ist vollstandig.

(b) Es gibt genau ein aquivalentes Martingalmaß, das heißt |P| = 1.

Beweis: (a) ⇒ (b). Sei A ∈ FT . Dann ist der Claim H = 1A replizierbar.Laut Theorem 2.41 ist dann |Π (H) | = 1, also gilt fur P∗, P ∈ P

P∗ (A) = EP∗ [1A] = EP

[1A] = P (A) .

Da A ∈ FT beliebig ist, folgt P∗ = P ∈ P.(b)⇒ (a). Sei H ein beliebiger diskontierter Claim. Laut Theoremm 2.40 istΠ (H) = EP∗ [H], da P = P∗ nach Voraussetzung. Laut Theorem 2.41ist H dann replizierbar. ut

Proposition 2.45 Das Marktmodell sei vollstandig. Dann existiert eine Par-tition von (Ω,F ,P) in hochstens (d+ 1)

TAtome.

Beweis: Wir fuhren den Beweis uber Induktion nach T . Fur T = 1 folgt diesaus Proposition 1.33 Wir nehmen an, dass Prop 2.45 fur T − 1 wahr ist. NachVoraussetzung gilt fur 0 ≤ H ∈ L∞ (Ω, FT , P)

H = V0 +

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) = VT−1 + ξT · (XT −XT−1) (2.11)

mit VT−1, ξT FT−1-messbar. Da das Marktmodell auch uber (Ω, FT−1, P)vollstandig ist (Ubung), gilt nach Induktionsvoraussetzung, dass (Ω, FT−1, P)

in maximal (d+ 1)T−1

Atome zerlegbar ist und VT−1, ξT konstant auf jedemAtom A von (Ω, FT−1, P) sind. Aus (2.11) folgt also, dass

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2.4 Vollstandige Markte 55

dimL∞ (Ω, FT−1, P ( · |A)) ≤ d+ 1.

Aus dem Hilfslemma im Beweis von Proposition 1.33 folgt nun, dass(Ω, FT−1,P ( · |A)) in maximal d+ 1 Atome zerlegbar ist.Das heißt, jedes Atom A ∈ FT−1 zerfallt in maximal d+ 1 Atome in F . Alsozerfallt (Ω, FT , P) in maximal

(d+ 1)T−1

(d+ 1) = (d+ 1)T

Atome. ut

Definition 2.46 Sei K eine konvexe Menge. Ein Element x ∈ K ist einextremer Punkt, falls aus x = λz+(1− λ) y mit z, y ∈ K, 0 ≤ λ ≤ 1 entwederλ = 0 oder λ = 1 folgt.

Sei Q die Menge der Martingalmaße fur unser Marktmodell. Dann sind P undQ konvex.

Theorem 2.47 Fur P∗ ∈ P sind folgende Aussagen aquivalent:

(a) P = P∗, d.h. das Marktmodell ist vollstandig.

(b) P∗ ist ein extremer Punkt in P.

(c) P∗ ist ein extremer Punkt in Q.

(d) Fur alle P∗-Martingale M existiert ein previsibler Prozess ξ, so dass

Mt = M0 +

t∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) fur t = 0, . . . , T.

Die Eigenschaft (d) wird Martingal-Reprasentations (Darstellungs)-Eigenschaftdes P∗-Martingals X genannt.

Beweis: (a)⇒ (c): Sei

P∗ = λQ1 + (1− λ)Q2

fur 0 < λ < 1, Q1,Q2 ∈ Q. Ist P∗ (A) = 0 fur A ∈ FT , folgt

Q1 (A) = Q2 (A) = 0.

Wir definieren:

Pi =1

2

(Qi + P∗

), fur i = 1, 2.

Dann gilt Pi ≈ P∗ fur i = 1, 2 und Pi ist ein aquivalentes Martingalmaß, d.h.Pi ∈ P fur i = 1, 2. Da aber P = P∗ nach Voraussetzung, gilt Q1 = Q2 undP∗ ist ein extremer Punkt in Q.(c)⇒ (b): Klar, da P ⊆ Q.(b)⇒ (a): Sei P ∈ P so, dass P 6= P∗.

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56 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

(i) Wir zeigen: Es gibt P ∈ P, so dass P 6= P∗ und 0 < dPdP∗ < c fur ein c > 0.

Sei A ∈ FT , so dass P (A) 6= P∗ (A) und Xd+1t = E

P[1A|Ft]. Dann ist

das Marktmodell(X0, ..., Xd, Xd+1

)arbitragefrei auf (Ω,FT ,P∗), da P

ein aquivalentes Martingalmaß ist. Aus Theorem 2.20 (FTAP) folgt nun

die Existenz eines P ∈ P mit 0 < dPdP∗ < c fur ein c > 0. Außerdem gilt

EP [1A] = P (A) = Xd+10 = P (A) 6= P∗ (A) .

(ii) Sei also o.B.d.A. (wegen (i)) 0 < dPdP∗ < c, fur ein c > 0. Sei 0 < ε < 1

c

und definiere P ≈ P∗ durch

dP

dP∗= 1 + ε− ε dP

dP∗> 0,

d.h. P = (1 + ε)P∗ − εP. Dann gilt P 6= P∗, P ∈ P und

P∗ =1

1 + εP+

ε

1 + εP.

Dies ist aber ein Widerspruch zur Voraussetzung in (b). Also P = P∗.

(a)⇒ (d): SeiMT = M+

T −M−T fur M+

T ,M−T ≥ 0.

Da der Markt vollstandig ist, gibt es previsible Prozesse ξ+ und ξ−, so dass

M+/−T = V

+/−0 +

T∑k=1

ξ+/−k · (Xk −Xk−1).

Die assoziierten Portfoliowerte

V+/−t = V

+/−0 +

t∑k=1

ξ+/−k · (Xk −Xk−1).

sind nach Proposition 2.37 P∗-Martingale mit V+/−T = M

+/−T . Also gilt

Mt = EP∗[M+T −M

−T

∣∣Ft]= EP∗

[V +T |Ft

]− EP∗

[V −T |Ft

]= V +

t − V −t .

Mit ξ := ξ+ − ξ− gilt

Mt = V ξt = V ξ+t − V ξ−

t ,

also gilt (d) fur M .(d)⇒ (a): Sei A ∈ FT und

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2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 57

Mt := EP∗ [1A|Ft] .

Dann gilt fur das Martingal M nach Voraussetzung

MT = 1A = M0 +

T∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1).

Also ist H = 1A durch (ξ,M0) replizierbar. Laut Theorem 2.41 ist EP∗ [1A]der eindeutige arbitragefrie Preis und damit unabhangig von der Wahl desaquivalenten Martingalmaßes. Dies gilt fur alle A ∈ FT . Damit folgt nunP = P∗ . ut

2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell)

Sei Ω = −1, 1T = ω = (y1, . . . , yT ) | yi ∈ −1, 1, i ∈ 1, . . . , T,F = P(Ω) und P ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so dass P(ω) > 0, fur alleω ∈ Ω. Auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P) besteht dasBinomialmodell aus

• einem Bond (Numeraire)

S0(t) := (1 + r)t, t = 0, . . . , T,

wobei r > −1,

• einer Aktie (St)t=0,...,T impliziert durch Returns

Rt =St − St−1

St−1,

die als

Rt(ω) = a1− Yt(ω)

2+ b

1 + Yt(ω)

2=

a, falls Yt(ω) = −1b, falls Yt(ω) = 1

definiert sind. Hier ist −1 < a < b und (Yt)t=1,...,T der Koordinatenprozessdefiniert durch

Yt(ω) = Yt((y1, . . . , yT )) := yt.

Dann ist

St = S0

t∏k=1

(1 +Rk),

fur einen Aktienstartwert S0 > 0.

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58 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

• einer diskontierten Aktie von der Form

Xt =St

(1 + r)t= S0

t∏k=1

1 +Rk1 + r

,

• einer Filtration definiert durch

Ft := σ(S0, . . . , St) = σ(X0, . . . , Xt)

= σ(R1, . . . , Rt) = σ(Y1, . . . , Yt),

fur alle t = 0, . . . , T . Es gilt F0 = ∅, Ω und FT = F .

Proposition 2.48 Das Binomialmodell ist arbitragefrei genau dann, wenna < r < b. In diesem Fall ist es auch vollstandig und das eindeutigeaquivalente Martingalmaß P∗ ist charakterisiert durch

P∗(Rt+1 = b | Ft) = P∗(Rt+1 = b) =: p∗ =r − ab− a

, (2.12)

fur alle t = 0, . . . , T − 1, d.h. die Returns R1, . . . , RT sind unabhangig undidentisch verteilt unter P∗.

Bemerkung 2.49 Das eindeutige aquivalente Martingalmaß P∗ in (2.12),und damit auch die Bewertung von Claims, ist also unabhangig von demWahrscheinlichkeitsmaß P.

Beweis: Das Binomialmodell sei arbitragefrei. Laut Theorem 2.20. (FTAP),gibt es ein P∗ ∈ P, so dass der diskontierte Preisprozess (Xt)t=0,...,T einMartingal unter P∗ ist, d.h. es gilt:

Xt = EP∗ [Xt+1 | Ft]

=Xt

1 + rEP∗ [1 +Rt+1 | Ft] P− f.s., (2.13)

fur alle t = 0, . . . , T − 1, wobei die zweite Gleichheit aus der Ft-Messbarkeitvon Xt folgt. Offensichtlich ist (2.13) aquivalent zu:

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2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 59

r = EP∗ [Rt+1 | Ft]= bP∗(Rt+1 = b | Ft) + aP∗(Rt+1 = a | Ft). (2.14)

Da P∗(Rt+1 = a | Ft) = 1− P∗(Rt+1 = b | Ft), folgt aus (2.14):

P∗(Rt+1 = b | Ft) =r − ab− a

,

was offensichtlich deterministisch und unabhangig von t ist. Damit folgt nun:

P∗(Rt = b) =r − ab− a

, t = 1, . . . , T. (2.15)

Somit sind die Zufallsvariablen R1, . . . , RT unabhangig unter P∗ mit gemein-samer Verteilung (2.15) fur alle t = 0, . . . , T . Weiterhin ist P∗ eindeutig undsomit P = P∗. Da P∗ ≈ P, gilt

0 <r − ab− a

< 1,

also a < r < b.

Sei a < r < b. Auf dem messbaren Raum (Ω,F) definieren wir das Maß P∗

mit P∗ ≈ P durch

P∗(ω) =

(r − ab− a

)k (1− r − a

b− a

)T−k> 0,

wobei k = #yi = 1 in ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω. Dann gilt fur t = 1, . . . , T :

r − ab− a

= P∗(Yt(ω) = yt = 1)

= P∗(Rt(ω) = b)

= P∗(Rt(ω) | Ft−1).

Daraus folgt:

EP∗ [Xt | Ft−1] = Xt−1EP∗

[1 +Rt1 + r

| Ft−1

]=Xt−1

1 + r(1 + EP∗ [Rt | Ft−1])

=Xt−1

1 + r

(1 + b

r − ab− a

+ a

(1− r − a

b− a

))= Xt−1.

Also ist P∗ ein aquivalentes Martingalmaß. Laut Theorem 2.20 (FTAP) istdas Marktmodell arbitragefrei. ut

Bemerkung 2.50 Im folgenden nehmen wir das Binomialmodell immer ar-bitragefrei mit einem aquivalenten Martingalmaß P∗ an.

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60 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Sei

H =C

S0T

= h(S0, . . . , ST )

ein diskontiertes europaisches Derivat fur eine Funktion h : RT+1+ → R+.

Proposition 2.51 Der diskontierte Portfoliowertprozess

Vt := EP∗ [H | Ft], fur t = 0, . . . , T

einer replizierenden Strategie fur H ist von der Form

Vt(ω) = vt(S0(ω), . . . , St(ω)),

wobei die Funktion vt gegeben ist durch

vt(x0, . . . , xt) = EP∗

[h

(x0, . . . , xt, xt

S1

S0, . . . , xt

ST−tS0

)].

Beweis: Wir konnen schreiben:

Vt = EP∗

[h

(S0, . . . , St, St

St+1

St, . . . , St

STSt

)| Ft

]. (2.16)

Wegen

St+sSt

=S0

∏t+sk=1(1 +Rk)

S0

∏tk=1(1 +Rk)

=

t+s∏k=t+1

(1 +Rk) (2.17)

und da laut Proposition 2.48 Ri, i = 1, . . . , T , unabhangig und identischverteilt sind, ist (2.17) unabhangig von Ft und hat die gleiche Vertilung wie

SsS0

=

s∏k=1

(1 +Rk),

fur alle t < s ≤ T − t. Die Proposition folgt aus der Standardeigenschaft derbedingten Erwartung9, da

EP∗

[h

(S0, . . . , St, St

St+1

St, . . . , St

STSt

)| Ft

]=

EP∗

[h

(x0, . . . , xt, xt

S1

S0, . . . , xt

ST−tS0

)] ∣∣∣∣∣S0=x0,...,St=xt

.

ut

9 Wenn Y unabhangig von G und X G-messbar ist, gilt E[f(X,Y ) | G] =E[f(x, Y ) | G]

∣∣X=x

.

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2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 61

Bemerkung 2.52 Aus Vt = EP∗ [Vt+1 | Ft] folgt die rekursive Formel fur dieFunktion vt:

vT (x0, . . . , xT ) = h(x0, . . . , xT ),

vt(x0, . . . , xt) = p∗vt+1(x0, . . . , xt, xtb) + (1− p∗)vt+1(x0, . . . , xt, xta),

wobei b := 1 + b und a := 1 + a.

Beispiel 2.53 Fur H = h(ST ) ist Vt von der Form Vt(ω) = vt(St(ω)) und vterrechnet sich als Erwartung unter der Binomialverteilung:

vt(xt) =

T−t∑k=0

h(xta

T−t−k bk)(T − k

k

)(p∗)k(1− p∗)T−t−k.

Zum Beispiel ist fur

HCall =(X −K)+

(1 + r)T

und t = 0 der eindeutige arbitragefreie Preis einer diskontierten Call-Optiongegeben durch:

π(HCall) =1

(1 + r)T

T∑k=0

(S0a

T−k bk −K)+(T

k

)(p∗)k(1− p∗)T−k.

Beispiel 2.54 SeiMt := max

0≤s≤tSs

fur 0 ≤ t ≤ T das running Maximum von S und H = h(ST ,MT ). Dann gilt

Vt = vt(St,Mt)

mit

vt(xt,mt) = EP∗

[h

(xtST−tS0

,mt ∨ xtMT−t

S0

)].

Dies folgt aus:

MT = Mt ∨(St max

t≤k≤T

SkSt

),

wobei das maxt≤k≤TSkSt

unabhangig von Ft und gleich verteilt wie MT−tS0

unterP∗ ist.

Proposition 2.55 Die Hedge-Strategie ξ = (ξ0, ξ) eines diskontierten ClaimsH = h(S0, . . . , ST ) (und damit auch des Claims C = H ·S0

T ) ist gegeben durch

ξt(ω) = ∆t(S0, S1(ω), . . . , St−1(ω)),

wobei

∆t(x0, . . . , xt−1) := (1 + r)vt(x0, . . . , xt−1, xt−1b)− vt(x0, . . . , xt−1, xt−1a)

xt−1b− xt−1a.

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62 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

Beweis: Fur eine replizierende Strategie ξ des diskontierten Claims H gilt

V ξt = V ξ0 +

t∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1)

fur jedes ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω und t ∈ 0, . . . , T. Außerdem gilt auch furt = 1, . . . , T :

ξt(ω)(Xt(ω)−Xt−1(ω)) = Vt(ω)− Vt−1(ω). (2.18)

Nun definieren wir ω+ und ω− durch

ω+/− := (y1, . . . , yt−1,±1, yt+1, . . . , yT ).

Da ξt, Xt−1 und Vt−1 Ft−1-messbar sind, gilt:

ξt(ω) = ξt(ω+) = ξt(ω

−),

Xt−1(ω) = Xt−1(ω+) = Xt−1(ω−)

und

V ξt−1(ω) = V ξt−1(ω+) = V ξt−1(ω−).

Außerdem gilt

Xt(ω+) = Xt−1(ω)b(1 + r)−1

Xt(ω−) = Xt−1(ω)a(1 + r)−1.

Nach dem Einsetzen von ω+ und ω− in die Gleichung (2.18), erhalten wir:

ξt(ω) · (Xt−1(ω)b(1 + r)−1 −Xt−1(ω)) = Vt(ω+)− Vt−1(ω)

ξt(ω) · (Xt−1(ω)a(1 + r)−1 −Xt−1(ω)) = Vt(ω−)− Vt−1(ω).

Daraus folgt

ξt(ω) = (1 + r)Vt(ω

+)− Vt(ω−)

Xt−1(ω)(b− a).

Da

Vt(ω+) = vt(S0, . . . , St−1, St−1b)

und

Vt(ω−) = vt(S0, . . . , St−1, St−1a),

folgt die Behauptung. ut

Bemerkung 2.56 Die Abbildung ∆t konnen wir als die ”diskrete Ablei-tung”des Wertprozesses bezuglich der Aktienpreisveranderung betrachten.Außderdem wird ∆t auch Delta-Hedge genannt.

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2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 63

Exotische Derivate

In diesem Abschnitt werden wir geschlossene Formeln fur bestimmte exoti-sche Derivate aus dem Binomialmodell betrachten, die vom Maximum desAktienpreispfads abhangen. Wir nehmen an, dass

a =1

b

ist, wobei a = 1 + a und b = 1 + b. Unter dieser Voraussetzung gilt

St(ω) = S0bZt(ω)

mit Z0 := 0 und Zt := Y1 + · · · + Yt, fur t = 0, . . . , T und wie zuvorYt(ω) = Yt((y1, . . . , yT )) = yt ∈ −1, 1. Sei nun P die Gleichverteilung,die gegeben ist durch

P(ω) :=1

|Ω|=

1

2T, ω ∈ Ω.

Es gilt außerdem:

• Unter P sind Yt, fur t = 1, . . . , T , unabhangig und identisch verteilt mitP(Yt = 1) = 1

2 .

• Unter P ist Zt eine einfache Irrfahrt mit

P(Zt = k) =

2−t(tt+k

2

), falls t+ k gerade

0 , sonst

• Wir erweitern den messbaren Raum (Ω,F), so dass Z bis zum ZeitpunktT + 1 definiert ist und notieren

Mt := max0≤s≤t

Zs.

Proposition 2.57 (Reflection Principle) Fur alle k ∈ N und l ∈ N0 gilt

P(MT ≥ k, ZT = k − l) = P(ZT = k + l) (2.19)

und

P(MT = k, ZT = k − l) = 2k + l + 1

T + 1P(ZT+1 = 1 + k + l). (2.20)

Beweis: Wir definieren durch

τ(ω) := inft ≥ 0 | Zt(ω) = k ∧ T

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64 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

eine Stoppzeit10. Fur ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω definieren wir

Φ(ω) =

ω , falls τ(ω) = T(y1, . . . , yτ(ω),−yτ(ω)+1, . . . ,−yT ), sonst

Sei Ak,l := ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k − l. Dann ist die Abbbildung

Φ : Ak,l → ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k + l

eine Bijektion und

ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k + l = ω ∈ Ω | ZT = k + l,

da MT = max0≤s≤T Zs. Deswegen gilt:

P(Ak,l) = P(ZT = k + l).

Damit haben wir (2.19) gezeigt.Um (2.20) zu zeigen, bemerken wir zuerst, dass diese Aussage fur T + k + lungerade trivial ist, da in diesem Fall gilt:

P(ZT = k − l) = P(ZT+1 = 1 + k + l) = 0.

Betrachten wir nun den Fall mit T + k + l gerade. Fur j := T+k+l2 gilt:

10 τ ist offensichtlich eine Stoppzeit, da wegen Zt Ft-messbar auch τ = t ∈ Ft.

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2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 65

P(MT = k, ZT = k − l)= P(MT ≥ k, ZT = k − l)− P(MT ≥ k + 1, ZT = k + 1− (l + 1))

(2.19)= P(ZT = k + l)− P(ZT = k + l + 2)

= 2−T(T

j

)− 2−T

(T

j + 1

)= 2−T

(T + 1

j + 1

)2j + 1− TT + 1

= 2k + l + 1

T + 1P(ZT+1 = 1 + k + l).

Damit ist (2.20) auch gezeigt. utUnter P∗ mit

P∗(Zt = k) =

(tt+k

2

)(p∗)

t+k2 (1− p∗) t−k2 , falls t+ k gerade

0 , sonst

gilt ein anderes”Reflection Principle“:

Proposition 2.58 Fur alle k ∈ N und l ∈ N0 gilt:

P∗(MT ≥ k, ZT = k − l) =

(1− p∗

p∗

)lP∗(ZT = k + l)

=

(p∗

1− p∗

)kP∗(ZT = −k − l)

und

P∗(MT = k, ZT = k − l) =1

p∗

(1− p∗

p∗

)lk + l + 1

T + 1P∗(ZT+1 = 1 + k + l)

=1

1− p∗

(p∗

1− p∗

)kk + l + 1

T + 1P∗(ZT+1 = −1− k − l).

Beweis: Siehe Ubung. ut

Beispiel 2.59 In diesem Beispiel beschaftigen wir uns mit der Bewertungeiner

”Up-and-In“ Call Option:

CCallu&i =

(ST −K)+, falls max

0≤s≤TSs ≥ B

0 , sonst

mit B > S0 > K > 0. Der arbitragefreie Preis von CCallu&i ist gegeben durch:

π(CCallu&i ) =

1

S0T

EP∗ [CCallu&i ]

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66 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell

=1

(1 + r)TEP∗ [C

Callu&i ].

Es gilt:

EP∗ [CCallu&i ] = EP∗ [(ST −K)+1 max

0≤t≤TSt≥B]

= EP∗ [(ST −K)+1ST≥B] + EP∗ [(ST −K)+1 max0≤t≤T

St≥B∩ST<B].

O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass es ein k ∈ N gibt mit B = S0bk. Es gilt:

EP∗ [(ST −K)+1 max0≤t≤T

St≥B∩ST<B]

=∑l≥1

EP∗ [(ST −K)+1MT≥k∩ZT=k−l]

=∑l≥1

(S0bk−l −K)+P∗(MT ≥ k, ZT = k − l)

Prop. 2.58=

∑l≥1

(S0bk−l −K)+

(p∗

1− p∗

)kP∗(ZT = −k − l)

=

(p∗

1− p∗

)kb2k∑l≥1

(S0b−k−l −Kb−2k)+P∗(ZT = −k − l)

=

(p∗

1− p∗

)k (B

S0

)2

EP∗ [(ST − K)+1ST<B]

mit K := Kb−2k = K(S0

B

)2und B :=

S20

B . Wie in Beispiel 2.53 erhalten wirdamit:

π(CCallu&i ) =

1

(1 + r)T

(nk∑n=0

(S0bT−2n −K)+(p∗)T−n(1− p∗)n

(T

T − n

)

+

(p∗

1− p∗

)(B

S0

)2 T∑n=nk+1

(S0bT−2n − K)+(p∗)T−n(1− p∗)n

(T

T − n

)),

wobei nk die großte ganze Zahl ist, so dass T − 2n ≥ k.

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3

Amerikanische Contingent Claims

3.1 Grundlagen

Im Folgenden sind die Modellannahmen die eines Mehrperiodenmodells, ins-besondere sind alle Markte arbitragefrei, d.h. P 6= ∅.

Definition 3.1 Ein amerikanischer Contingent Claim ist ein nicht-negativerF-adaptierter Prozess C = (Ct)t=0,...,T .Der zugehorige diskontierte amerikanische Claim H = (Ht)t=0,...,T ist gegeben

durch Ht :=CtS0t

, t = 0, . . . , T .

Bemerkung 3.2 Der Kaufer eines amerikanischen Claims kann zu jedemgewunschten Zeitpunkt τ ∈ 0, . . . , T den Claim ausuben und die Zahlung Cτerhalten (und nicht nur zu einem festen Falligkeitszeitpunkt). Nach Ausubungwird der Claim wertlos, also muss spatestens zum Zeitpunkt T der Claim aus-geubt werden.

Beispiel 3.3(i) Amerikanische Put- bzw. Call-Optionen auf das i-te Wertpapier, i ∈1, . . . , d:

CPutt := (K − Sit)+ bzw. CCallt := (Sit −K)+,

fur t = 0, . . . , T.

(ii) Bermuda-Optionen: Konnen zu Zeitpunkten t ∈ T ⊆ 0, . . . , T mit ei-nem Payoff CBt ausgebubt werden, d.h. sie sind als amerikanischer Claimdarstellbar:

Ct =

CBt fur t ∈ T0 sonst.

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68 3 Amerikanische Contingent Claims

(iii) Insbesondere ist mit T = T ein europaischer Claim CE mit FalligkeitszeitpunktT darstellbar als amerikanischer Claim:

Ct =

0 fur t = 0, . . . , T − 1CE fur t = T.

Definition 3.4 Eine numerische Zufallsvariable τ : Ω → 0, . . . , T ∪ ∞heißt Stoppzeit (bzgl. (Ft)t=0,...,T ), falls

ω ∈ Ω | τ(ω) = t = τ = t ∈ Ft fur alle t = 0, . . . , T.

Wir setzen

T := τ | τ Stoppzeit mit τ ≤ T.

Bemerkung 3.5 In unserem Modell entsprechen Stoppzeiten τ ∈ T Ausubungsstrategiendes Kaufers fur amerikanische Claims, die auf den verfugbaren Informationenam Markt beruhen. Zu einer gegebenen Ausubungsstrategie τ ∈ T gehortdann das Payoff

Cτ (ω) := Cτ(ω)(ω), ω ∈ Ω.

Lemma 3.6 τ ist eine Stoppzeit genau dann, wenn

τ ≤ t ∈ Ft, fur alle t ∈ 0, . . . , T.

Fur zwei Stoppzeiten τ und δ sind auch

τ ∧ δ, τ ∨ δ und (τ + δ) ∧ T

wieder Stoppzeiten.

Beweis: Ubung. ut

Definition 3.7 Sei Y ein stochastischer Prozess und τ eine Stoppzeit. Derin τ gestoppte Prozess Y τ ist definiert als

Y τt (ω) := Yt∧τ(ω)(ω), ω ∈ Ω, t = 0, . . . , T.

Bemerkung 3.8 Aus der Definition einer Stoppzeit folgt: Falls Y adaptiertist, dann ist auch Y τ adaptiert.

Wir nehmen im Folgenden an, dass Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf demfiltrierten Raum (Ω, (Ft)t∈0,...,T,F) ist, wobei F0 = ∅, Ω.

Theorem 3.9 (Doob’s Stopping Theorem, Optional Sampling Theorem)Sei M ein adaptierter Prozess mit Mt ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann sind aquivalent:

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3.1 Grundlagen 69

(a) M ist ein Q-Martingal.

(b) Mτ ist ein Q-martingal fur jede Stoppzeit τ .

(c) EQ[Mt∧τ ] = M0 fur jede Stoppzeit τ .

Beweis:(a)⇒ (b): Sei t ∈ 0, . . . , T. Zunachst folgt aus der Definition einer Stoppzeit,dass auch Mτ

t ∈ L1(Q) gilt. Es gilt Mτt+1 −Mτ

t = (Mt+1 −Mt)1τ>t.Da τ > t ∈ Ft gilt

EQ[Mτt+1 −Mτ

t | Ft] = EQ[Mt+1 −Mt | Ft1τ>t] = 0,

also ist Mτ ein Q-Martingal.(b)⇒ (c): Folgt aus der Martingaleigenschaft (M0 = Mτ

0 ).(c)⇒ (a): Wir zeigen die Martingaleigenschaft von M durch

EQ[MT1A] = EQ[Mt1A], fur alle A ∈ Ft , t ≤ T.

Fur A ∈ Ft definieren wir die Stoppzeit

τ(ω) =

t falls ω ∈ AT falls ω /∈ A .

Daraus folgt nach Annahme in (c)

M0 = EQ[Mτ∧T ] = EQ[Mt1A] + EQ[MT1Ac ]. (3.1)

Analog, fur die Stoppzeit T , ist

M0 = EQ[MT ] = EQ[MT1A] + EQ[MT1Ac ]. (3.2)

Durch die Differenz von (3.1) und (3.2) erhalten wir

EQ[MT1A] = EQ[Mt1A].

utBei der Analyse amerikanischer Claims benotigen wir noch Folgendes.

Definition 3.10 (Erinnerung) Ein adaptierter Prozess (Yt)t=0,...,T heißtQ-Sub- bzw. Supermartingal, falls

(a) Yt ∈ L1(Q), fur alle t = 0, . . . , T und

(b) EQ[Yt | Fs] ≥ Ys bzw. EQ[Yt | Fs] ≤ Ys, fur alle 0 ≤ s ≤ t ≤ T.

Bemerkung 3.11 M ist ein Martingal genau dann, wenn M ein Sub- undSupermartingal ist.

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70 3 Amerikanische Contingent Claims

Proposition 3.12 (Doob-Zerlegung) Sei Y ein adaptierter Prozess mitYt ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann existiert ein eindeutiges Q-Martingal M und ein eindeutiger previsiblerProzess A mit A0 = 0 derart, dass

Y = M −A.

Beweis: Definiere A durch A0 = 0 und

At := At−1 − EQ[Yt − Yt−1 | Ft−1] fur t = 1, . . . , T. (3.3)

Dann ist A previsibel und Mt := Yt +At ein Martingal, denn

EQ[Mt −Mt−1 | Ft−1]

= EQ[Yt − Yt−1 +At −At−1 | Ft−1]

A previsibel↓= EQ[Yt − Yt−1 | Ft−1]−At−1 +At

Def. von A↓= 0.

Weiterhin erfullt jeder Prozess A mit den gewunschten Eigenschaften (3.3),woraus die Eindeutigkeit der Zerlegung folgt. ut

Lemma 3.13 Y ist ein Q-Sub-bzw. Supermartingal genau dann, wenn derProzess A aus der Doob-Zerlegung monoton fallend bzw. wachsend ist.

Beweis: Klar. ut

Korollar 3.14 Sei Y ein adaptierter Prozess, so dass Yt ∈ L1(Q) fur alle t.Dann sind aquivalent:

(i) Y ist ein Q-Sub- bzw. Supermartingal.

(ii) Y τ ist ein Q-Sub-bzw. Supermartingal fur alle Stoppzeiten τ .

Beweis: Sei Y = M −A die Doob-Zerlegung von Y (3.12). Dann ist

Y τ = Mτ −Aτ

die Doob-Zerlegung von Y τ . Aus Theorem 3.9 und Lemma 3.13 folgt dieBehauptung. ut

3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten

Im Folgenden sei der Markt vollstandig, d.h. es gilt P = P∗.

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3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 71

Hedgingstrategien fur den Verkaufer

Wir suchen ein Portfolio, das den Verkaufer gegen das Risiko jedes moglichenPayoffs Hτ , τ ∈ T , hedged (absichert).Sei dazu Ut, t = 0 . . . , T der minimale Betrag, der zu diesem Zweck zumZeitpunkt t notig ist.Zum Zeitpunkt t = T erhalten wir dann

UT = HT .

Zum Zeitpunkt t = T − 1 muss gelten:

(i) UT−1 ≥ HT−1,um die Ausubung in T − 1 abzusichern.

(ii) UT−1 ≥ EP∗ [HT | FT−1] = EP∗ [UT | FT−1],um den Claim zu hedgen, falls die Ausubung in T erfolgt. Also

UT−1 = HT−1 ∨ EP∗ [UT | FT−1].

Durch Ruckwartsiteration erhalten wir also

UT := HT ,

Ut := Ht ∨ EP∗ [Ut+1 | Ft], t = T − 1, . . . , 0.

Definition 3.15 Sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, (Ft)t∈0,...,T,F)und H ein adaptierter Prozess. Weiter sei Ht ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann heißt der Prozess UQ, definiert durch

UQT := HT ,

UQt := Ht ∨ EQ[Ut−1 | Ft], t = 0, . . . , T − 1,

Schnellsche Einhullende von H unter dem Maß Q.

Das nachste Ergebnis besagt, dass UQ das kleinste Q-Supermartingal ist, wel-ches H dominiert.

Proposition 3.16 Seien H und Q wie in Definition 3.15. Dann ist UQ einQ-Supermartingal derart, dass UQt ≥ Ht Q-f.s. fur alle t = 0, . . . , T . Ist U einanderes Q-Supermartingal, so dass Ut ≥ H Q − f.s. fur alle t = 0, . . . , T ,dann gilt

Ut ≥ UQt Q− f.s. fur alle t = 0, . . . , T.

Beweis: Aus Definiton 3.15 folgt sofort UQt−1 ≥ EQ[UQt | Ft−1] Q− f.s., also

ist UQ ein Supermartingal, und UQt ≥ Ht Q− f.s. fur alle t = 0, . . . , T . Sei Uein weiteres Q-Supermartingal das H dominiert. Dann ist

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72 3 Amerikanische Contingent Claims

UT ≥ HT = UQT .

Angenommen Ut ≥ UQt fur ein t ∈ 0, . . . , T − 1. Dann gilt

Ut−1 ≥ Ht−1 ∨ EQ[Ut | Ft−1] ≥ Ht−1 ∨ EQ[UQt | Ft−1] = UQt−1.

ut

Bemerkung 3.17 Die Schnellsche Einhullende UP∗

eines diskontierten ame-rikanische Claims H zusammen mit der Doob-Zerlegung

UP∗

t = Mt −At

von UP∗

unter P∗ ergibt einen (Super-)Hedge des Claims fur den Verkaufer.In der Tat, da M Martingal, A0 = 0 und P = P∗ ist, existiert nach Theorem2.47 (b) eine Strategie ξ, so dass

Mt = UP∗

0 +

t∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 0, . . . , T. (3.4)

Außerdem gilt

Mt ≥Mt −At = UP∗

t ≥ Ht,

da UP∗

ein Supermartingal und damit A wachsend nach Lemma 3.13 ist.Es existiert also eine selbstfinanzierte Strategie ξ = (ξ0, ξ), die mit einemStartkapital UP

0 einen (Super-)Hedge ergibt:

(Mt =)V ξt ≥ Ht fur alle t = 0, . . . , T.

Wenn der Kaufer zu den Zeitpunkten t = 1, . . . , T den Betrag (At−At−1) ausdem Portfolio entnimmt, ist zu den Zeitpunkten t = 0, . . . , T das resultierendeKapital UP

t . Der Betrag UP∗

t ist dann zum Zeitpunkt t ausreichend, aberauch notwendig als Startkapital fur einen (Super-)Hedge, wie aus Theorem3.18 folgt.

Theorem 3.18 Sei UP∗

die Schnellsche Einhullende eines diskontierten ame-rikanischen Claims H. Dann existiert eine selbstfinanzierte Strategie ξ =(ξ0, ξ), so dass

UP∗

t +

u∑k=t+1

ξk · (Xk −Xk−1) ≥ Hu fur alle t < u ≤ T P− f.s.

Fur jede andere Ft-messbare Zufallsvariable Ut mit

Ut +

u∑k=t+1

ηk · (Xk −Xk−1) ≥ Hu fur alle t < u ≤ T P− f.s.

fur eine Strategie η, gilt

Ut ≥ UP∗

t P− f.s., fur alle t = 0, . . . , T.

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3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 73

Beweis: Mit einer Strategie ξ wie in (3.4) erhalten wir

UP∗

t +

u∑k=t+1

ξk(Xk −Xk−1) = Mt +

u∑k=t+1

ξk(Xk −Xk−1)︸ ︷︷ ︸=Mu

−At

= Mu −AtA wachsend

≥Mu −Au = UP∗

u ≥ Hu

Sei nun Ut wie in der Angabe des Theorems und

Vu := Ut +

u∑k=t+1

ηk(Xk −Xk−1), t ≤ u ≤ T.

Wir zeigen Vu ≥ UP∗

u fur alle u ≥ t durch Ruckwartsinduktion. Es gilt:

(i) VT ≥ HT = UP∗

T .

(ii) Sei Vk+1 ≥ UP∗

u+1.

Da Ω endlich atomar ist (weil der Markt vollstandig ist), ist η beschrankt.Aus Theorem 2.19 (ii) folgt dann

EP∗ [Vu+1 − Vu | Fu] = 0 P− f.s.

und damit

Vu = EP∗ [Vu+1 | Fu] ≥ Hu ∨ EP∗ [UP∗

u+1 | Fu] = UP∗

u , fur alle u ≥ t.

Insbesondere ist dann Vt = Ut ≥ UP∗

t . ut

Ausubungsstrategien fur den Kaufer

Der Kaufer sucht eine Ausubungsstrategie (Stoppzeit) τ∗ ∈ T , die den Wertdes entsprechenden (diskontierten) Payoffs Hτ∗ := Hτ∗(ω)(ω) maximiert. Zueiner Ausubungsstrategie τ ∈ T kann das Payoff Hτ als europaischer Claimaufgefasst werden (bzw. als Summe europaischer Claims mit unterschiedlichenFalligkeitszeitpunkten):

Hτ =

T∑t=0

Ht1τ=t.

Wegen P = P∗ und Bemerkung 2.42 ist der Wert von Hτ der eindeutigearbitragefreie Preis,

T∑t=0

EP∗ [Ht1τ=t] = EP∗ [Hτ ].

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74 3 Amerikanische Contingent Claims

Der Kaufer sucht also eine Ausubungsstrategie τ∗ ∈ T , die das folgende Stopp-problem lost:

EP∗ [Hτ∗ ] = supτ∈T

EP∗ [Hτ ]. (OPT)

Eine Stoppzeit τ∗, die (OPT) lost bzw. erfullt, heißt optimal.

Betrachten wir also die Frage, ob eine optimale Stoppzeit von (OPT) existiert?Sei dazu U := UP

∗die Snellsche Einhullende von H bzgl. P∗ und definiere

τ(t)min := minu ≥ t | Uu = Hu (≤ T ), t = 0, . . . , T.

Dann ist

τ(t)min ∈ Tt := τ ∈ T︸︷︷︸

=T0

| τ ≥ t.

Theorem 3.19 Die Snellsche Einhullende U von H erfullt:

Ut = EP∗[Hτ

(t)min

| Ft]

= ess supτ∈T

EP∗ [Hτ | Ft] , fur alle t = 0, ..., T.

Insbesondere giltU0 = EP∗ [Hτmin ] = sup

τ∈TEP∗ [Hτ ] ,

und damit ist τmin := τ(0)min optimal.

Beweis: Da U ein P∗-Supermartingal ist, folgt aus Korollar 3.14, dass furτ ∈ Tt

Ut ≥ EP∗ [Uτ | Ft] ≥ EP∗ [Hτ | Ft] .

Deshalb giltUt ≥ ess sup

τ∈TEP∗ [Hτ | Ft] .

Zu zeigen ist also

Ut = EP∗[Hτ

(t)min

| Ft].

Sei dazu s ∈ t, . . . , T. Dann gilt auf A :=τ

(t)min > s

∈ Fs

1AUτ(t)min∧s

= 1AUs

= 1A (Hs ∨ EP∗ [Us+1 | Fs])= EP∗ [Us+11A | Fs]

= EP∗[Uτ

(t)min∧s+1

1A | Fs].

Auf B :=τ

(t)min ≤ s

= AC ∈ Fs gilt

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3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 75

(t)min∧s+1

1B = Uτ

(t)min

1B = Uτ

(t)min∧s

.

Somit erhalten wir:

EP∗[Uτ

(t)min∧(s+1)

| Fs]

= Uτ

(t)min∧s

fur alle s ∈ t, t+ 1, . . . , T .

Also ist(Uτ

(t)min∧s

)s≥t

ein Martingal ab t.

Fur alle t = 0, . . . , T folgt also

EP∗[Uτ

(t)min

| Ft]

= EP∗[Uτ

(t)min∧T

| Ft]

= Uτ

(t)min∧t

= Ut.

Andererseits gilt nach Definition von τ(t)min

EP∗[Uτ

(t)min

| Ft]

= EP∗[Hτ

(t)min

| Ft].

utTatsachlich ist τ

(t)min := τmin sogar die minimale optimale Stoppzeit:

Proposition 3.20 Eine Stoppzeit τ ∈ T ist optimal genau dann, wenn Hτ =Uτ P

∗−f.s. und der gestoppte Prozess Uτ ein Martingal ist. Insbesondere giltdamit fur jede optimale Stoppzeit τ , dass τ ≥ τmin.

Beweis: Wir beweisen zunachst die Ruckrichtung. Aus Theorem 3.19 folgt:

supσ∈T

EP∗ [Hσ] = U0

= EP∗ [UτT ]

= EP∗ [Uτ ]

= EP∗ [Hτ ] .

Nun die Hinrichtung: Sei τ ∈ T optimal. Aus Theorem 3.19, Hτ ≤ Uτ undKorollar 3.14 folgt dann

U0 = EP∗ [Hτ ] ≤ EP∗ [Uτ ] ≤ U0.

Aus den beiden Rechnungen folgt nun

EP∗ [Hτ ] = EP∗ [Uτ ]

und damitHτ = Uτ P∗ − f.s.,

da Hτ ≤ Uτ P∗ − f.s..Da Uτ ein Supermartingal ist, gilt außerdem fur alle t = 0, ..., T , dass

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76 3 Amerikanische Contingent Claims

EP∗ [Uτ∧T | Ft] ≤ Uτ∧t P∗ − f.s.

undU0 = EP∗ [Uτ∧T ] ≤ EP∗ [Uτ∧t] ≤ U0.

Damit folgtEP∗ [Uτ∧T | Ft] = Uτ∧t

und Uτ ist ein Martingal. utIm Allgemeinen existieren verschiedene optimale Stoppzeiten. Die großte op-timale Stoppzeit τmax ist der erste Zeitpunkt, zu dem U die Martingaleigen-schaft verliert:

τmax : = inf t ≥ 0 | EP∗ [Ut+1 − Ut | Ft] 6= 0 ∧ T= inf t ≥ 0 | At+1 6= 0 ∧ T.

Theorem 3.21 Die Stoppzeit τmax ist die großte optimale Stoppzeit. Weiter-hin ist eine Stoppzeit τ optimal genau dann, wenn

τ ≤ τmax und Hτ = Uτ P∗-f.s..

Beweis: Aus der Doob-Zerlegung

Uτ = Mτ −Aτ

und der Tatsache, dass A wachsend ist, erhalten wir: Uτ ist ein Martingalgenau dann, wenn Aτ = 0. Deshalb ist Uτ ein Martingal genau dann, wennτ ≤ τmax.Aus Proposition 3.20 folgt dann, dass τ optimal ist.Es bleibt noch zu zeigen, dass Uτmax

= Hτmax.

(i) Auf τmax = T ist die Behauptung klar.

(ii) Auf τmax = t fur t < T gilt:

At = 0 und At+1 > 0,

woraus folgt, dass

EP∗ [Ut+1 − Ut | Ft] = − (At+1 −At) = −At+1 < 0.

Also istUt > EP∗ [Ut+1 | Ft] .

Aus Ut = Ht ∨ EP∗ [Ut+1 | Ft] folgt nun

Ut = Ht.

ut

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3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 77

Bemerkung 3.22 Die vorangegangenen Ergebnisse zum Stoppzeitproblem(OPT) gelten auch ohne die Annahmen, dass

(i) der Markt arbitragefrei oder vollstandig ist,(ii) der Prozess H nicht-negativ ist.

Es wird lediglich benotigt, dass H ein adaptierter Prozess ist mitHt ∈ L1 (P∗) fur alle t = 0, ..., T .

Arbitragefreier Preis und replizierendes Portfolio

Sei wie zuvor M = U −A mit Mt = U0 +∑tk=1 ξk (Xk −Xk−1) das (Super-)

Hedge-Portfolio des Verkaufers, d.h. Mτ ≥ Hτ fur alle τ ∈ T .

Fur eine optimale Ausubungsstrategie τ∗ ∈ T gilt sogar:

Proposition 3.23 Sei τ∗ ∈ T optimal. Dann gilt

Hτ∗ = Mτ∗

= U0 +

τ∗∑k=1

ξk · (Xk −Xk−1) P∗ − f.s..

Beweis: Aus Theorem 3.21 folgt

Hτ∗ = Uτ∗ und Aτ∗ = 0

alsoHτ∗ = Mτ∗ .

utEine optimale Ausubungsstrategie τ∗ ist also nicht nur im Sinne von (OPT)sondern auch

”pfadweise“ optimal: Das (Super-) Hedge-Portfolio M ist ein

Hedge (replizierendes Portfolio) von Hτ∗ . In diesem Sinne ist ist U0 der ein-deutige arbitragefreie Preis des diskontierten amerikanischen Claims H.

Amerikanische Claims versus europaische Claims

Zu einem diskontierten amerikanischen Claim H = (Ht)t=0,...,T betrachtenwir den diskontierten europaischen Claim HT .

Sei Vt := EP∗ [HT | Ft], t = 0, . . . , T, der Wert des Hedge-Portfolios bzw.der eindeutige arbitragefreie Preis von HT . Dann ist der amerikanische Claimmehr Wert als der europaische Claim:

Proposition 3.24 Es gilt

Ut ≥ Vt P∗ − f.s. fur alle t = 0, . . . , T.

Gilt weiterhin Vt ≥ Ht P∗-f.s. fur alle t = 0, . . . , T , dann gilt

Ut = Vt P∗ − f.s. fur alle t = 0, . . . , T.

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78 3 Amerikanische Contingent Claims

Beweis: Da U ein Submartingal ist, gilt

Ut ≥ EP∗ [UT | Ft] = Vt, t = 0, . . . , T.

Falls weiterhin Vt ≥ Ht fur alle t = 0, . . . , T , gilt nach Proposition 3.16 Vt ≥ Utfur alle t = 0, . . . , T , da V ein Martingal ist. ut

Bemerkung 3.25 Ist H ein Submartingal, dann wird H von V dominiert:

Vt = EP∗ [VT | Ft] = EP∗ [HT | Ft] ≥ Ht.

Dies ist insbesondere der Fall, wenn

Ht = f (Xt) , fur alle t = 0, . . . , T.

fur eine konvexe Funktion f : Rd −→ R+, da wegen der Jensenschen Unglei-chung

EP∗ [Ht+1 | Ft] = EP∗ [f (Xt+1) | Ft] ≥ f (EP∗ [Xt+1 | Ft]) = f (Xt) = Ht

gilt.

Beispiel 3.26 (Amerikanische Calls versus europaische Calls)

Der diskontierte amerikanische Call ist gegeben durch

HCallt =

(S1t −K

)+S0t

=

(X1t −

K

S0t

)+

, fur alle t = 0, . . . , T.

Angenommen S0t sei wachsend (z.B. Bond). Da f (·) := (· −K)

+konvex ist,

folgt wie im Bemerkung 3.25, dass HCall ein Submartingal ist.

Aus Proposition 3.24 folgt dann

UCallt = V Call

t = EP∗

[(X1T −

k

S0T

)+

| Ft

], fur alle t = 0, . . . , T.

Insbesondere UCall0 = V Call

0 , d.h. die eindeutigen arbitragefreien Preise vonamerikanischen und europaischen Claims sind identisch. Außerdem folgt ausProposition 3.20 , dass τmax = T , d.h. in einem vollstandigen Markt ist eine op-timale Ausubungsstrategie der Falligkeitszeitpunkt T und damit

”entspricht

der amerikanische Call dem europaischen Call“.

Hinweis: Dies gilt nicht fur amerikanische Puts.

3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit ingenerellen Markten

Falls der Markt nicht vollstandig ist, ist Menge der arbitragefreien Preise zueiner gegebenen Ausubungsstrategie τ mit entsprechenden Payoff Hτ gegebendurch

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3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen Markten 79

Π (Hτ ) = EP∗ [Hτ ] | P∗ ∈ P und EP∗ [Hτ ] <∞ .

Die vorangegangenen Uberlegungen aus Sektion 3.2. motivieren dann:

Definition 3.27 Die Menge der arbitragefreien Preise eines diskontiertenamerikanischen Claims H ist definiert als

Π (H) :=EP∗ [HτP∗ ] | P∗ ∈ P, Ht ∈ L1 (P∗) ∀t, τP

∗optimal unter P∗

.

Wir setzen

πinf (H) := inf Π (H) und πsup (H) := supΠ (H) .

In Accaio, Svinland: “On the lower arbitrage bond of american claims“, forth-coming in Math. Fin, wird folgende Proposition bewiesen:

Proposition 3.28 π ∈ Π (H) genau dann, wenn

(i)”π ist nicht zu teuer“, d.h. es gibt τ ∈ T mit π ∈ Π (Hτ ),

(ii)”π ist nicht zu billig“, d.h. es gibt kein τ ′ ∈ T , so dass fur alle π′ ∈ Π (Hτ ′)

gilt π < π′.

Theorem 3.29 Sei Ht ∈ L1 (P∗) fur alle P∗ ∈ P, t = 0, ..., T . Dann istΠ (H) ein nicht-leeres Intervall mit Intervallgrenzen

πinf (H) = infP∗∈P

supτ∈T

EP∗ [Hτ ]

πsup (H) = supP∗∈P

supτ∈T

EP∗ [Hτ ] .

Es gilt außerdem eine der folgenden drei Alternativen:

• Π (H) = πsup (H) (d.h. |Π (H) | = 1)• Π (H) =

[πinf(H), πsup(H)

)• Π (H) =

(πinf(H), πsup(H)

).

Beweis: Die Darstellung von πinf(H) und πsup(H) ist klar nach Definition3.27. Außerdem gibt es nach Theorem 3.19 eine optimale Stoppzeit τ ∈ T .Somit ist Π(H) 6= ∅.

(i) Wir zeigen erst, dass Π (H) ein Intervall ist. Seien P∗1, P∗2 ∈ P. Wir

zeigen, dass fur alle α ∈ [0, 1] gilt:

αUP∗10 + (1− α)U

P∗20 ∈ Π(H),

wobei

UP∗10 = sup

τ∈TEP∗1 [Hτ ]

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80 3 Amerikanische Contingent Claims

und

UP∗20 = sup

τ∈TEP∗2 [Hτ ].

Sei dazu das folgende Maß definiert:

P∗α := αP∗1 + (1− α)P∗2, fur α ∈ [0, 1].

Außerdem definieren wir

f(α) := UP∗α0 = sup

τ∈TEP∗α [Hτ ], α ∈ [0, 1].

Man kann zeigen, dass f stetig auf [0, 1] mit f(0) = UP∗20 und f(1) = U

P∗10

ist. Somit gibt es zu jedem α ∈ [0, 1] ein α ∈ [0, 1] mit

f(α) = αUP∗10 + (1− α)U

P∗20 = U

P∗α0 ∈ Π(H).

Also ist Π(H) ein Intervall.

(ii) Sei πinf(H) < πsup(H). Wir zeigen πsup(H) 6∈ Π(H). Angenommen

πsup(H) ∈ Π(H). Dann existiert ein P ∈ P und τ ∈ T derart, dass

supP∗∈P

supτ∈T

EP∗ [Hτ ] = πsup(H) = EP

[Hτ ].

Daraus folgtEP

[Hτ ] = supP∗∈P

EP∗ [Hτ ] = πsup(Hτ ).

Also ist der diskontierte europaische ClaimHτ replizierbar (da πsup(Hτ ) ∈Π(Hτ ), siehe Theorem 2.41) und damit

E∗P[Hτ ] = πsup(Hτ ) = πinf(Hτ ) fur alle P∗ ∈ P.

Also gilt insbesondere

πsup(H) = EP

[Hτ ]

= infP∗∈P

EP∗ [Hτ ]

≤ supτ∈T

infP∗∈P

EP∗ [Hτ ]

≤ infP∗∈P

supτ∈T

EP∗ [Hτ ] = πinf(H),

was ein Widerspruch ist. Also muss πsup 6∈ Π(H) wenn πinf(H) <πsup(H).

ut

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3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen Markten 81

Bemerkung 3.30

(a) Betrachtet man einen europaischen Claim HE wie in Beispiel 3.3 als ame-rikanischen Claim H, dann gilt offensichtlich

Π(HE

)= Π (H) .

(b) Im Gegensatz zu europaischen Claims ist fur amerikanische ClaimsΠinf (H) ∈ Π (H) moglich.

Die Betrachtungen aus Sektion 3.2 motivieren:

Definition 3.31 Ein diskontierter amerikanischer Claim H heißt replizier-bar (attainable), falls τ ∈ T und ein selbstfinanzierendes Portfolio ξ existiert,so dass

V ξt ≥ Ht fur alle t = 0, ..., T

undV ξτ = Hτ .

ξ heißt dann replizierendes Portfolio (oder Hedge) von H.

Theorem 3.32 Sei Ht ∈ L1 (P∗) fur alle t = 0, ..., T und fur alle P∗ ∈ P.Dann sind aquivalent:

(a) H ist replizierbar.

(b) |Π (H) | = 1, d.h. Π (H) = πsup (H).

(c) πsup (H) ∈ Π (H) .

Beweis: (b)⇒ (c): Folgt aus Theorem 3.29

(a) ⇒ (b) Sei ξ ein replizierendes Portfolio und τ ∈ T mit V ξτ = Hτ . Da V ξ

ein Martingal ist und H von V ξ dominiert wird gilt nach Proposition 3.16

V ξ0 ≥ UP∗

0 fur alle P∗ ∈ P.

Andererseits ist fur jedes P∗ ∈ P

V ξ0 = EP∗[V ξτ

]= EP∗ [Hτ ] ≤ EP∗

[UP∗

τ

]≤ UP

0 .

Also gilt UP∗

0 = V ξ0 fur alle P∗ ∈ P und damit

|Π (H) | = 1.

(b)⇒ (a): Zeigen wir nicht. ut

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Teil II

Risikomaße

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4

Grundlagen Risikomaße

In diesem Kapitel werden wir uns mit der Messung des Risikos von Finanz-positionen zu einem gegebenen zukunftigen Zeithorizont T beschaftigen. Seidazu Ω die Menge der moglichen Szenarien1.

Eine Finanzposition ist durch eine Abbildung X : Ω → R gegeben. X re-prasentiert den diskontierten Wert eines Portfolios zum Zeitpunkt T . Sei Xein gegebener linearer Raum von beschrankten Finanzpositionen, der die Kon-stanten enthalt.

Ein Risikomaß ist eine Abbildung ρ : X → R. ρ(X) quantifiziert also dasRisiko einer Finanzposition X ∈ X .

Beispiel 4.1Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und damit X ∈ X eine Zufallsva-riable.

(a) Eines der klassischen Risikomaße ist die Volatilitat oder Standardabwei-chung :

σ(X) =√

Var[X], X ∈ X .Oft ist die Volatilitat jedoch nicht als Risikomaß geeignet, da sie Gewinn-und Verlustrisiko symmetrisch messt, oftmals aber nur das Verlustrisikoentscheidend ist.

(b) Eines der beliebtesten Risikomaße ist der Value-at-Risk zum Levelα ∈ (0, 1):

VaRα(X) : = − supm ∈ R | P(X < m) ≤ α (4.1)

= − infm ∈ R | P(X ≤ m) > α

1 Wir betrachten damit nicht notwendigweise einen Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P).

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86 4 Grundlagen Risikomaße

= −q+X(α),

wobei q+X(α) das rechtsseitige α-Quantil von X ist. Aus (4.1) erhalten wir

VaRα(X) = infm ∈ R | P(X +m < 0) ≤ α.

Also ist VaR der minimale Cash-Betrag, der der Finanzposition X zu-gefugt werden muss, damit die Verlustwahrscheinlichkeit kleiner als α ist.Potentielle Kritikpunkte am VaR sind, dass er erstens nur die Wahrschein-lichkeit aber nicht die Hohe eines moglichen Verlusts behandelt und zwei-tens “Diversifikation bestrafen” kann.

(c) Der Average-Value-at-Risk, definiert durch

AVaRα(X) :=1

α

∫ α

0

VaRu(X)du ≥ VaRα(X)

greift die Schwachen von Value-at-Risk auf. AVaR wird manchmal auch alsExpected Shortfall bezeichnet und als ESα(X) notiert. Dies ist motiviertdurch die Darstellung

AVaRα(X) = E[−X | −X ≥ VaRα(X)],

falls X eine stetige Verteilungsfunktion besitzt.

4.1 Konvexe Risikomaße

Die Theorie der Risikomaße betrifft hauptsachlich das Risikomanagement ausSicht einer Aufsichtsbehorde. Wir interpretieren ρ(X) als ein notiges Sicher-heitskapital, um die Finanzposition X ausreichend abzusichern. Diese Inter-pretation motiviert bestimmte axiomatische Anforderungen, uber die wir imFolgengen verschiedene Klassen von Risikomaßen definieren.

Definition 4.2 Eine Abbildung ρ : X → R heißt monetares Risikomaß, fallsfur alle X,Y ∈ X gilt

• Monotonie, d.h. falls X ≤ Y , dann gilt ρ(X) ≥ ρ(Y ).

• Cash-Invarianz, d.h. fur m ∈ R gilt ρ(X +m) = ρ(X)−m.

Bemerkung 4.3 Aus der Cash-Invarianz folgt

ρ(X + ρ(X)) = 0

undρ(m) = ρ(0)−m, fur alle m ∈ R.

Meistens konnen wir ohne Beschrankung der Allgemeinheit annehmen, dassρ normalisiert ist, d.h. ρ(0) = 0.

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4.1 Konvexe Risikomaße 87

Lemma 4.4 Ein monetares Risikomaß ρ ist Lipschitz-stetig bezuglich der Su-premumsnorm ‖ · ‖∞:

|ρ(X)− ρ(Y )| ≤ ‖X − Y ‖∞ := supω∈Ω|X(ω)− Y (ω)|, X, Y ∈ X .

Beweis: Aus X − Y ≤ ‖X − Y ‖∞ folgt X ≤ Y + ‖X − Y ‖∞. Wegen derMonotonie von ρ erhalten wir somit

ρ(X) ≥ ρ(Y + ‖X − Y ‖∞).

Wegen der Cash-Invarianz gilt nun

ρ(X)− ρ(Y ) ≤ ‖X − Y ‖∞.

Analog folgt mit Y ≤ X + ‖X − Y ‖∞

ρ(Y )− ρ(X) ≤ ‖X − Y ‖∞

und somit die Behauptung. ut

Definition 4.5 Ein monetares Risikomaß ρ heißt konvex, falls gilt: fur alleX,Y ∈ X und alle λ ∈ [0, 1]

• Konvexitat: ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ).

Lemma 4.6 Fur ein monetares Risikomaß ρ ist die Konvexitat aquivalentzur schwacheren Eigenschaft

• Quasi-Konvexitat: ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ maxρ(X), ρ(Y ),λ ∈ [0, 1], X, Y ∈ X .

Beweis: Sei ρ ein monetares Risikomaß und quasi-konvex. Dann gilt fur λ ∈[0, 1] und X,Y ∈ X :

ρ(λX + (1− λ)Y )− (λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ))

= ρ(λX + (1− λ)Y + λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ))

≤ maxρ(X + ρ(X)), ρ(Y + ρ(Y )) = 0,

wobei die erste Gleichung aus der Cash-Invarianz folgt. Somit ist ρ auch einkonvexes Risikomaß. ut

Lemma 4.7 Fur ein normalisiertes konvexes Risikomaß ρ gilt:

ρ(λX) ≤ λρ(X) fur λ ∈ [0, 1]

ρ(λX) ≥ λρ(X) fur λ ≥ 1.

Beweis:

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88 4 Grundlagen Risikomaße

(i) Sei erst λ ∈ [0, 1]. Dann gilt:

ρ(λX) = ρ(λX + (1− λ)0) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(0)

= λρ(X).

(ii) Sei nun λ ≥ 1. Es gilt:

ρ(X) = ρ

(1

λ(λX)

)i)

≤ 1

λρ(λX),

somit folgtρ(λX) ≥ λρ(X).

ut

Definition 4.8 Ein konvexes Risikomaß ρ heißt koharent, falls gilt:

• positive Homogenitat: ρ(λX) = λρ(X), fur λ ≥ 0, X ∈ X .

Bemerkung 4.9 Ein koharentes Risikomaß ρ ist normalisiert, da ρ(0) =0ρ(0) = 0. Außerdem erfullt ρ die

• Subadditivitat: ρ(X + Y ) ≤ ρ(X) + ρ(Y ), fur X,Y ∈ X .

In diesem Fall ist also ein dezentrales Risikomanagement moglich. Das Gesam-trisiko ist durch Aggregation des Einzelrisiken beschrankt. In vielen Situatio-nen wachst allerdings das Risiko nicht linear in der Große der Finanzposition.

Lemma 4.10 Sei ρ ein normalisiertes monetares Risikomaß. Dann implizie-ren jeweils zwei der folgenden Eigenschaften die verbleibende Dritte:

(i) Konvexitat,(ii) Positive Homogenitat,

(iii) Subadditivitat.

Beweis: Ubung. ut

Beispiel 4.11

(a) Die Standardabweichung σ(X) ist weder cash-invariant noch monoton unddamit kein monetares Risikomaß:

(i) σ(X +m) = σ(X), fur alle X ∈ X , m ∈ R.(ii) Seien z.B. X,Y ∈ X gegeben mit

X =

1, mit Wahrscheinlichkeit p > 02, mit Wahrscheinlichkeit 1− p

Y ≡ 0.

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4.1 Konvexe Risikomaße 89

Dann ist Y < X fast sicher, aber σ(Y ) = 0 < σ(X).

(b) Aus VaRα(X) = infm ∈ R | P(X + m < 0) ≤ α folgt sofort, dassVaR ein monetares, positiv homogenes Risikomaß ist. Aber VaR ist nichtkonvex und somit auch nicht koharent:Seien X und Y zwei unabhangig identisch verteilte Zufallsvariablen mit

X,Y =

100 , mit Wahrscheinlichkeit 0.99−100, mit Wahrscheinlichkeit 0.01

Dann gilt:

1

2(X + Y ) =

100 , mit Wahrscheinlichkeit 0.98010 , mit Wahrscheinlichkeit 0.0198−100, mit Wahrscheinlichkeit 0.0001

.

Somit erhalten wir:

VaR0.01(X) = VaR0.01(Y ) = −100,

aber

VaR0.01(1

2(X + Y ) = 0.

VaR ist also nicht konvex und kann die Diversifikation des Portfolios be-strafen und die Konzentration auf ein Wertpapier mit hohem Verlust aberniedriger Verlustwahrscheinlichkeit empfehlen.

Bemerkung 4.12 Besteht X aus normal (oder genereller elliptisch) ver-teilten Zufallsvariablen, dann ist VaRα koharent.

(c) AVaRα erbt offensichtlich die positive Homogenitat, Cash-Invarianz undMonotonie von VaRα. Weiterhin ist AVaR auch konvex und damit koharent,was sich aus der folgenden Darstellung ergibt (die wir hier nicht zeigen):

AVaRα(X) = limn→∞

∑[nα]i=1 (−Xi,n)

[nα], (4.2)

wobei• [nα] der ganzzahlige Anteil von nα,

• X1, X2, . . . unabhangige Zufallsvariablen, gleichverteilt wie X,

• und −X1,n ≥ . . . ≥ −Xn,n die Ordnungsstatistik von (−X1, . . . ,−Xn)ist. Mit (4.2) gilt namlich:

AVaRα(X + Y ) = limn→∞

∑[nα]i=1 (−(X + Y )i,n)

[nα]

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90 4 Grundlagen Risikomaße

≤ limn→∞

∑[nα]i=1 (−Xi,n) +

∑nαi=1 (−Yi,n)

[nα]

= AVaRα(X) + AVaRα(Y ).

Also ist AVaRα subadditiv und damit koharent nach Lemma 4.10.

4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen

Sei ρ ein monetares Risikomaß. Dann ist die Menge der akzeptablen Finanz-positionen definiert als

Aρ := X ∈ X | ρ(X) ≤ 0.

Aρ heißt Akzeptanzmenge von ρ. Fur X ∈ Aρ ist also kein Sicherheitskapitalnotig.

Proposition 4.13 Sei ρ ein monetares Risikomaß mit Akzeptanzmenge Aρ.Dann gilt:

(a) Aρ ist nicht-leer, abgeschlossen in X bezuglich ‖ · ‖∞ und erfullt:

infm ∈ R | m ∈ Aρ > −∞ (4.3)

undfur X ∈ Aρ, Y ∈ X mit Y ≥ X gilt auch Y ∈ Aρ. (4.4)

(b) ρ kann aus Aρ hergeleitet werden:

ρ(X) = infm ∈ R | X +m ∈ Aρ.

(c) ρ ist konvex genau dann, wenn Aρ konvex ist.

(d) ρ ist positiv homogen genau dann, wenn Aρ ein Kegel ist. Insbesondereist ρ koharent genau dann, wenn Aρ ein konvexer Kegel ist.

Beweis:

(a) Fur alle m ∈ R gilt wegen der Cash-Invarianz ρ(m) = ρ(0) − m. Fallsm ≥ ρ(0), ist m ∈ Aρ und falls m < ρ(0) ist m 6∈ Aρ. Somit ist Aρ 6= ∅und infm ∈ R | m ∈ Aρ > −∞.Sei jetzt X ∈ Aρ und Y ∈ X , so dass Y ≥ X. Dann gilt wegen derMonotonie ρ(Y ) ≤ ρ(X) ≤ 0, also Y ∈ Aρ. Außerdem ist Aρ wegen derLipschitz-Stetigkeit (siehe Lemma 4.4) abgeschlossen in X bezuglich ‖‖∞.

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4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen 91

(b) Es gilt:

infm ∈ R | X +m ∈ Aρ = infm ∈ R | ρ(X +m) ≤ 0= infm ∈ R | ρ(X) ≤ m= ρ(X).

(c) Sei ρ konvex. Dann gilt fur alle λ ∈ [0, 1] und X,Y ∈ Aρ:

ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ) ≤ 0,

da ρ(X), ρ(Y ) ≤ 0. Damit ist λX + (1 − λ)Y ) ∈ Aρ und Aρ ist konvex.Die Umkehrung folgt aus Proposition 4.14.

(d) Sei ρ positiv homogen. Dann gilt fur X ∈ Aρ und λ ≥ 0:

ρ(λX) = λρ(X) ≤ 0,

da ρ(X) ≤ 0. Daraus folgt λX ∈ Aρ und somit ist Aρ ein Kegel. DieUmkehrung folgt aus Proposition 4.14.

utUmgekehrt sei A ⊆ X eine gegebene Menge, die akzeptable Finanzpositionendefiniert. Fur X ∈ X definieren wir dann

ρA := infm ∈ R | X +m ∈ A

(der minimale Betrag m fur den X +m akzebtabel wird). Fur ein monetaresRisikomaß ρ gilt dann nach Proposition 4.13.(b)

ρ = ρAρ .

Proposition 4.14 Sei A ⊆ X eine nicht-leere Menge, die (4.3) und (4.4)aus Proposition 4.13. erfullt. Dann gilt:

(a) ρA ist ein monetares Risikomaß.

(b) Ist A konvex, dann ist auch ρA konvex.

(c) Ist A ein Kegel, dann ist auch ρA positiv homogen. Insbesondere wenn Aein konvexer Kegel ist, dann ist auch ρA koharent.

(d) A ⊆ Aρ und A = Aρ genau dann, wenn A abgeschlossen in X bezuglich‖ · ‖∞ ist.

Beweis:

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92 4 Grundlagen Risikomaße

(a) Es gilt:

ρA(X +m) = infr ∈ R | X +m+ r ∈ A= infr ∈ R | X + r ∈ A −m= ρA(X)−m,

also ist ρA cash-invariant.Sei nun X ≤ Y und m ∈ R, so dass X+m ∈ A. Dann ist Y +m ≥ X+m,und aus (4.4) folgt Y +m ∈ A und damit

ρA(Y ) ≤ ρA(X),

d.h. ρA ist monoton.Nun zeigen wir, dass ρA(X) < +∞ und ρA(X) > −∞ fur alle X ∈ X .Sei Y ∈ A. Fur ein X ∈ X gibt es ein m ∈ R, so dass m+X > Y (da Xund Y beschrankt sind). Dann gilt:

ρA(X)−m = ρA(X +m) ≤ ρA(Y ) ≤ 0,

alsoρA(X) ≤ m <∞.

Wegen infm ∈ R | m ∈ A > −∞ ist ρA(0) > −∞. Sei nun r ∈ R, sodass X + r ≤ 0. Dann folgt aus der Monotonie und Cash-Invarianz

ρA(X) ≥ ρA(0) + r > −∞.

Damit ist ρA ein monetares Risikomaß.

(b) Sei A konvex. Seien X1, X2 ∈ X und m1,m2 ∈ R, so dass Xi + mi ∈ Afur i = 1, 2. Fur λ ∈ [0, 1] gilt:

λ(m1 +X1) + (1− λ)(m2 +X2) ∈ A.

Daraus folgt:

0 ≥ ρA(λ(m1 +X1) + (1− λ)(m2 +X2)

= ρA(λX1 + (1− λ)X2)− (λm1 + (1− λ)m2), (4.5)

wobei die zweite Gleichung aus der Cash-Invarianz folgt. Wegen λm1 +(1− λ)m2 ≥ λρA(X1) + (1− λ)ρA(X2) folgt aus (4.5):

ρA(λX1 + (1− λ)X2) ≤ λρA(X1) + (1− λ)ρA(X2).

(c) Sei X ∈ X und m ∈ R, so dass m + X ∈ A und λ ≥ 0. Sei A ein Kegel,also λ(m+X) ∈ A. Dann gilt:

0 ≥ ρA(λ(m+X))

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4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen 93

= ρA(λX)− λm, (4.6)

und damit ρA(λX) ≤ λρA(X). Umgekehrt, sei m < ρA(X). Dann istX +m 6∈ A und damit λ(m+X) 6∈ A fur λ ≥ 0. Also

λm < ρA(λX)

und somitλρA(X) ≤ ρA(λX).

Damit ist ρA positiv homogen.

(d) Sei X ∈ A. Dann ist ρ(X) ≤ 0 und damit X ∈ Aρ. Also A ⊆ Aρ.Angenommen A = Aρ. Dann ist A nach Proposition 4.13. abgeschlossenin X bezuglich ‖ · ‖∞.Sei nun A abgeschlossen in X bezuglich ‖ · ‖∞. Wir zeigen:, Falls X 6∈ A,dann ρ(X) > 0. Sei m > ‖X‖∞. Dann gibt es ein λ ∈ (0, 1), so dass

λm+ (1 + λ)X 6∈ A.

Dann istλm ≤ ρA((1− λ)X).

Laut Lemma 4.4. ist ρA Lipschitz-stetig, und damit:

|ρA((1− λ)X)− ρA(X)| ≤ ‖(1− λ)X −X‖∞= λ‖X‖∞.

Also

ρA(X) ≥ ρA((1− λ)X)− λ‖X‖∞≥ λ(m− ‖X‖∞) > 0.

ut

Beispiel 4.15 Sei X der Raum der beschrankten, messbaren Funktionen aufeinem messbaren Raum (Ω,F) und M1 = M1(Ω,F) die Menge der Wahr-scheinlichkeitsmaße auf (Ω,F).Das “worst-case”-Risikomaß ρmax ist definiert als

ρmax(X) := − infω∈Ω

X(ω) X ∈ X ,

die kleinste obere Schranke aller moglichen Verluste.Es gilt: X ∈ Aρmax

genau dann, wenn X 3 X ≥ 0.Dann ist Aρmax ein konvexer Kegel und ρmax koharent.ρmax ist das “konservativste” monetare Risikomaß, denn

ρ(X) ≤ ρ(

infω∈Ω

X(ω)

)= ρmax(X)

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94 4 Grundlagen Risikomaße

fur alle normalisierten, monetaren Risikomaße ρ.Beachte, dass ρmax sich als

ρmax(X) = supQ∈M1

EQ[−X]

schreiben lasst.

Beispiel 4.16 Sei X wie in Beispiel 4.15 und Q ⊆ M1. Sei γ : Q → R, sodass sup

Q∈Qγ(Q) <∞.

Die Menge

A = X ∈ X | EQ[X] ≥ γ(Q) fur alle Q ∈ Q

erfullt offensichtlich 4.3 und 4.4 aus Proposition 4.13 und ist konvex. AusProposition 4.14 folgt, dass das Risikomaß ρA, gegeben durch

ρA(X) = infm ∈ R | X +m ∈ A = supQ∈Q

(γ(Q)− EQ[X]),

konvex ist.Eine alternative Darstellung ist

ρA(X) = supQ∈M1

(EQ[−X]− α(Q)),

wobei die “penalty”-Funktion α :M1 → (−∞,∞] definiert ist als

α(Q) =

−γ(Q) , falls Q ∈ Q∞ , sonst.

Beachte: Falls γ(Q) = 0 fur alle Q ∈ Q, so ist ρA koharent.

4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen

Sei (Ω,F) ein messbarer Raum (kein Wahrscheinlichkeitsmaß a priori gege-ben; Knightian uncertainty). Wir werden sehen, dass die Darstellungen vonRisikomaßen wie in Beispiel 4.15 und 4.16 “verallgemeinert” gelten.Dazu zunachst ein kleiner Exkurs.

4.3.1 Endlich additive Mengenfunktionen

Eine Abbildung µ : F → R heißt endlich additive Mengenfunktion, fallsµ(∅) = 0 und

µ

(n∑i=1

Ai

)=

n∑i=1

µ(Ai)

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 95

fur disjunkte Ai ∈ F , i = 0, . . . , n, n ∈ N.SeiM1,f =M1,f (Ω,F) die Menge endlich additiver Mengenfunktionen µ, sodass

µ : F → [0, 1]

µ(Ω) = 1.

Die totale Variation einer endlich additiven Mengenfunktion µ ist definiert als

‖µ‖var := sup

(n∑i=1

| µ(Ai) || Ai ∈ F disjunkt , n ∈ N

).

Es sei ba = ba(Ω,F) der Raum der endlich additiven Mengenfunktionen mitendlicher totaler Variation.

Integration von X ∈ X bezuglich µ ∈ ba. Ausgestattet mit ‖ · ‖∞ ist Xein Banachraum. Sei

X0 =

F ∈ X | F =

n∑i=1

αi1A, αi ∈ R, Ai ∈ F disjunkt, n ∈ N

.

Fur F ∈ X0 und µ ∈ ba definieren wir∫Fdµ :=

n∑i=1

αiµ(Ai).

Diese Darstellung ist wohldefiniert, das heißt unabhangig von der Darstellungvon F (leicht zu uberprufen).Es gilt ∥∥∥∥∫ Fdµ

∥∥∥∥ ≤ ‖F‖∞‖µ‖var.

Da X0 dicht in X ist bzgl ‖ · ‖∞, kann∫· dµ auf ganz X fortgesetzt werden.

Fur F ∈ X und Fi ∈ X0, i ∈ N, mit limi→∞ ‖F − Fi‖∞ = 0 definieren wir∫Fdµ := limi→∞

∫Fidµ.

Es gilt M1,f ⊆ ba und wir notieren

EQ[F ] :=

∫FdQ, F ∈ X ,Q ∈M1,f .

Theorem 4.17 Der Raum stetiger, linearer Funktionale auf X ( dualer Raum)kann mit dem Raum ba(Ω,F) identifiziert werden.

Beweis: Fur µ ∈ ba folgt aus den obigen Betrachtungen, dass∫· dµ ein

stetiges, lineares Funktional ist.

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96 4 Grundlagen Risikomaße

Umgekehrt definiert ein stetiges, lineares Funktional l eine endliche additiveMengenfunktion durch

µ(A) := l(1A), A ∈ F .

Fur L ≥ 0, so dass l(F ) ≤ L fur ‖F‖∞ ≤ 1, gilt

‖µ‖var ≤ L,

und damit µ ∈ ba. Außerdem gilt∫Fdµ = l(F ) fur alle F ∈ X0 und damit∫

Fdµ = l(F )fur alle F ∈ X (X0 dicht in X ). ut

Korollar 4.18 M1,f kann mit den stetigen, linearen Funktionale l auf X mit

l(1) = 1

l(X) ≥ 0, X ≥ 0,

identifiziert werden.

4.3.2 Robuste Darstellung

Sei α :M1,f → (−∞,∞], so dass

infQ∈M1,f

α(Q) ∈ R.

Da die Abbildung

X 7→ EQ[−X]− α(Q), Q ∈M1,f

konvex, monoton und cash-invariant ist, definiert

ρ(X) := supQ∈M1,f

(EQ[−X]− α(Q))

ein konvexes Risikomaß auf X mit

ρ(0) = − infQ∈M1,f

α(Q).

Wir sagen: α ist eine penalty-Funktion fur ρ auf M1,f und ρ ist durch α aufM1,f dargestellt.

Theorem 4.19 Jedes konvexe Risikomaß ρ ist von der Form

ρ(X) = maxQ∈M1,f

(EQ[−X]− αmin(Q)), X ∈ X ,

mit penalty-Funktion

αmin(Q) := supX∈Aρ

EQ[−X].

Weiterhin gilt fur jede andere penalty-Funktion α, die ρ darstellt

α(Q) ≥ αmin(Q) fur alle Q ∈M1,f .

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 97

Beweis: Sei X ′ := ρ(X) +X ∈ Aρ. Dann gilt fur alle Q ∈M1,f

αmin(Q) ≥ EQ[−X ′] = EQ[−X]− ρ(X).

Daraus folgt

ρ(X) ≥ supQ∈M1,f

(EQ[−X]− αmin(Q)), fur alle X ∈ X .

Wir zeigen, dass ein QX ∈M1,f existiert, so dass

ρ(X) ≤ EQX [−X]− αmin(QX).

O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass ρ(X) = 0 (Cash-Invarianz) und ρ(0) =0. Dann gilt

X /∈ B := Y ∈ X | ρ(Y ) < 0 .

B ist nicht-leer, konvex und offen (Lemma 4.4).Nach Korollar C.19 existiert dann ein 0 6= l ∈ X ′ (Dualraum), so dass

l(X) ≤ infY ∈B

l(Y ).

Es gilt l(Y ) ≥ 0 fur Y ≥ 0, denn:Sei λ > 0 und Y ≥ 0. Dann gilt

ρ(λY + 1) = ρ(λY )︸ ︷︷ ︸≤0

−1 < 0,

(ρ(λY ) ≤ 0 da λY ≥ 0 und ρ(0) = 0) und damit

1 + λY ∈ B fur alle λ > 0, 0 ≤ Y ∈ X .

Somit

l(X) ≤ l(1 + λY ) = l(1) + λl(Y )

fur alle λ > 0, Y ≥ 0. Es folgt, dass

l(Y ) ≥ 0 fur alle Y ≥ 0.

Weiterhin gilt l(1) > 0:Da l 6= 0, existiert ein Y ∈ X mit ‖Y ‖∞ < 1, so dass

0 < l(Y ) = l(Y +)− l(Y −).

Da Y − ≥ 0 und 1− Y + ≥ 0 folgt

l(Y +) > 0 und l(1− Y +) ≥ 0.

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98 4 Grundlagen Risikomaße

Also

l(1) = l(Y +) + l(1− Y +) > 0.

Zusammen mit Korollar 4.18 existiert dann ein QX ∈M1,f , so dass

EQX [Y ] =l(Y )

l(1)

fur alle Y ∈ X . Da B ⊆ Aρ, gilt

αmin(QX) = supY ∈Aρ

(EQX [−Y ]) ≥ supY ∈B

(EQX [−Y ]) = − b

l(1),

wobei b := infY ∈B l(Y ). Andererseits gilt auch Y + ε ∈ B, ε > 0 fur alle Y ∈Aρ. Also

− b

l(1)≥ αmin(QX)− ε fur alle ε > 0.

Es folgt nun

αmin(QX) = − b

l(1)

und

EQX [−X]− αmin(QX) =1

l(1)(b− l(X)) ≥ 0 = ρ(X).

Sei α eine penalty-Funktion fur ρ. Dann gilt fur alle Q ∈M1,f , X ∈ X

ρ(X) ≥ EQ[−X]− α(Q),

und damit

α(Q) ≥ supX∈X

(EQ[−X]− ρ(X))

≥ supX∈Aρ

(EQ[−X]− ρ(X))

≥ supX∈Aρ

(EQ[−X]) = αmin(Q). (4.7)

ut

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 99

Bemerkung 4.20(i) Mit α = αmin in (4.7) erhalten wir die alternative Formel

αmin(Q) = supX∈X

(EQ[−X]− ρ(X)) .

(ii) Sei ρ = ρA fur eine MengeA ⊆ X . Dann bestimmtA die penalty-Funktionαmin durch

αmin(Q) = supX∈A

EQ[−X],

fur alle Q ∈M1,f . Dies gilt, da fur X ∈ Aρ ist X + ε ∈ A fur alle ε > 0.

Korollar 4.21 Ist ρ ein koharentes Risikomaß, so nimmt αmin nur die Werte0 oder +∞ an. Insbesondere gilt dann

ρ(X) = maxQ∈Qmax

EQ[−X], X ∈ X (4.8)

fur die konvexe Menge

Qmax :=Q ∈M1,f | αmin(Q) = 0

.

Qmax ist die großte Menge, fur die (4.8) gilt.

Beweis: Aρ ist nach Proposition 4.13 ein konvexer Kegel. Damit gilt fur alleλ ≥ 0 und Q ∈M1,f

αmin(Q) = supX∈Aρ

EQ[−X]

= supX∈Aρ

EQ[−λX] = supX∈Aρ

λ · EQ[−X]

= λ · αmin(Q).

Und somit

αmin(Q) = 0 oder αmin(Q) = +∞.

utWann kann ein konvexes Risikomaß ρ mittels Wahrscheinlichkeitsmaßen dar-gestellt werden, das heißt

ρ(X) = supQ∈M1

(EQ[−X]− α(Q)) (4.9)

fur eine penalty-Funktion α. Beispiel 4.15 zeigt, dass in diesem Fall das Su-premum nicht erreicht werden muss.

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100 4 Grundlagen Risikomaße

Lemma 4.22 Ein konvexes Risikomaß ρ, das die Darstellung (4.9) zulasst,ist oberhalbstetig (upper-continous) im folgenden Sinne:

Xn X punktweise auf Ω ⇒ ρ(Xn) ρ(X). (4.10)

Desweiteren ist (4.10) aquivalent zu folgender “Fatou-Eigenschaft”:Sei Xn, n ∈ N eine beschrankte Folge in X , so dass Xn → X ∈ X punktweise.Dann gilt

ρ(X) ≤ limn→∞

ρ(Xn).

Beweis: Angenommen es gelte (4.9). Wir zeigen zunachst die Fatou-Eigenschaft.Fur alle Q ∈M1 gilt

EQ[Xn]n→∞−−−−→ EQ[X] (dominierte Konvergenz).

Also

ρ(X) = supQ∈M1

(limn→∞

EQ[−Xn]− α(Q))

≤ lim infn→∞

supQ∈M1

(EQ[−Xn]− α(Q)) = lim infn→∞

ρ(Xn).

Aus der Fatou-Eigenschaft folgt (4.10), denn:Sei Xn X. Dann gilt

ρ(Xn) ≤ ρ(Xm) ≤ ρ(X), n ≤ m.

Nach der Fatou-Eigenschaft gilt dann

ρ(Xn) ρ(X).

Aus (4.10) folgt die Fatou-Eigenschaft, denn:Sei (Xn)n∈N beschrankt mit Xn → X punktweise. Definiere

Ym := supn≥m

Xn ∈ X .

Dann Ym X punktweise. Da ρ(Xn) ≥ ρ(Yn), folgt aus (4.10), dass

lim infn→∞

ρ(Xn) ≥ lim infn→∞

ρ(Yn) = ρ(X).

utDas folgende Theorem liefert eine hinreichende Bedingung dafur, dass jedepenalty-Funktion fur ρ auf M1 konzentriert ist, d.h. jede penalty-Funktionnimmt +∞ außerhalb von M1 an.

Theorem 4.23 Sei ρ konvex. Dann sind aquivalent:

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 101

(a) ρ ist unterhalbstetig, d.h. falls Xn X punktweise auf Ω, dann giltρ(Xn) ρ(X).

(b) αmin (und damit jede andere penalty-Funktion) ist auf M1 konzentriert,d.h. falls αmin(Q) <∞, dann ist Q σ-additiv.

Insbesondere gilt unter jeder der beiden Bedingungen

ρ(X) = maxQ∈M1

(EQ[−X]− αmin(Q)

), X ∈ X .

Fur den Beweis benotigen wir folgende zwei Lemmata.

Lemma 4.24 (Dini’s Lemma) Seien fn, n ∈ N und f stetige Funktionenauf einer kompakten Menge. Gilt fn f punktweise, dann gilt sogar fn → funiform.

Beweis: Fur ε > 0 gilt fur die abgeschlossenen Mengen Kn := fn ≤ f − ε⋂n∈N

Kn = ∅

und damit Km = ∅ fur alle m ≥ n0 fur ein n0. ut

Lemma 4.25 Sei ρ ein konvexes Risikomaß mit penalty-Funktion α auf M1,f

und seiΛc := Q ∈M1,f | α (Q) ≤ c ,

fur c > −ρ (0) = infQ∈M1,fα (Q) . Fur jede Folge (Xn)n∈N in X mit 0 ≤

Xn ≤ 1 sind folgende Aussagen aquivalent:

(a) ρ (λXn)→ ρ (λ) fur alle λ > 0.

(b) infQ∈Λc

EQ [Xn]→ 1 fur alle c > −ρ (0).

Beweis: (a)⇒ (b): Da ρ durch α dargestellt wird, gilt fur alle Q ∈ Λc, Y ∈ Xund λ > 0:

c ≥ α (Q) ≥ EQ [−λY ]− ρ (λY ) .

Teilen mit (−λ) und umstellen der Ungleichung ergibt:

infQ∈Λc

EQ [Y ] ≥ −c+ ρ (λY )

λfur alle λ > 0. (4.11)

Sei nun (Xn)n∈N eine Folge mit

ρ (λXn)n→∞→ ρ (λ) fur alle λ > 0.

Aus (4.11) folgt

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102 4 Grundlagen Risikomaße

lim infn→∞

infQ∈Λc

EQ [Xn] ≥ − limn→∞

c+ ρ (λXn)

λ

= −c+ ρ (λ)

λ

= 1− c+ ρ (0)

λ.

Mit λ ↑ ∞ und 0 ≤ Xn ≤ 1 folgt (b).(b)⇒ (a): Offensichtlich gilt fur alle n ∈ N und λ > 0

ρ (λ) ≤ ρ (λXn) = supQ∈M1,f

(EQ [−λXn]− α (Q)) .

Sei Q ∈M1,f , so dassα (Q) > 1− ρ (λ) =: c.

Dann gilt fur alle n ∈ N

EQ [−λXn]− α (Q) ≤ −α (Q)

< −1 + ρ (λ)

≤ −1 + ρ (λXn) .

Es konnen also nur die Q’s mit α (Q) ≤ 1 − ρ (λ) zur Supremumsbildungbeitragen. Es folgt fur alle n ∈ N

ρ (λXn) = supQ∈Λc

(EQ [−λXn]− α (Q)) .

Also

limn→∞

ρ(λXn) = limn→∞

supQ∈Λc

(EQ[−λXn]− α(Q))

(b)= sup

Q∈Λc(−λ− α(Q))

= ρ(λ).

utKommen wir nun zum Beweis von Theorem 4.23.Beweis: (a) ⇒ (b): Aus der Maßtheorie wissen wir: Q ist σ-additiv genau

dann, wenn fur alle (An)n∈N mit An ⊆ An+1 und⋃n∈N = Ω gilt Q (An) 1.

Fur Xn := 1An , An wie oben, gilt nach Voraussetzung

ρ (λXn) ρ (λ) , fur alle λ > 0.

Sei Q∗ ∈ M1,f mit αmin (Q∗) < +∞. Dann gibt es ein c > −ρ (0), so dassQ∗ ∈ Λc.Aus (a)⇒ (b), Lemma 4.25 , folgt dann

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 103

infQ∈Λc

EQ [Xn] 1.

Da Q∗ ∈ Λc, folgt Q∗ [An] 1. Damit ist Q∗ σ-additiv.(b) ⇒ (a): Sei Xn eine Folge mit Xn X. O.B.d.A. konnen wir wegen dercash-Invarianz Xn ≥ 0 fur alle n ∈ N annehmen. Wie im Beweis (b) ⇒ (a)von Lemma 4.25 gilt

ρ (Xn) = maxQ∈M1,f

(EQ [−Xn]− αmin (Q)

)= maxQ∈Λc

EQ [−Xn]− αmin (Q)

mit c := 1− ρ (X).Wir zeigen: Falls Λc ⊂M1 so folgt EQ [−Xn]→ EQ [−X] uniform in Q ∈ Λc.Man kann zeigen, dass Λc kompakt in der weak∗-Topologie auf ba (Ω,F ,P)ist. Weiterhin ist

ln :Λc −→ R

Q 7−→ EQ [−Xn]

eine fallende Folge von stetigen Funktionen auf Λc in der weak∗-Topologie. Istsogar Λc ⊆M1, gilt wegen der monotone Konvergenz

ln (Q) = EQ[−Xn] EQ[X] =: l (Q) ,

fur alle Q ∈ Λc. Da auch l stetig auf Λc in der weak∗-Topologie ist, folgt dieBehauptung aus Dini’s Lemma 4.24 ut

4.3.3 Konvexe Risikomaße auf L∞

Im Folgenden betrachten wir nun einen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P)und Risikomaße ρ, so dass

ρ (X) = ρ (Y ) , falls X = Y P− f.s.. (4.12)

Diese zusatzliche Struktur auf unserem Szenarienraum ermoglicht weiterge-hende Ergebnisse zu robusten Darstellungen von konvexen Risikomaßen, diewir vorstellen jedoch meistens nicht beweisen werden.

Proposition 4.26 Sei ρ ein konvexes Risikomaß mit penalty-Funktion α, sodass (4.12) gilt. Dann ist α (Q) = +∞ fur alle Q ∈ M1,f (Ω,F), die nichtabsolut stetig zu P sind.

Beweis: Sei Q ∈ M1,f nicht absolut stetig bezuglich P. Dann gibt es einA ∈ F so dassQ (A) > 0 und P (A) = 0. SeiX ∈ Aρ und setzeXn := X−n1A.Da X = Xn P-f.s. folgt Xn ∈ Aρ fur alle n ∈ N.Also folgt:

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104 4 Grundlagen Risikomaße

α (Q) ≥ αmin (Q)

≥ EQ [−Xn]

= EQ [−X] + nQ (A)→∞

fur n ↑ ∞. utWir konnen also X mit L∞ := L∞ (Ω,F ,P) idetifizieren und notieren

M1 (P) =M1 (Ω,F ,P)

als die Menge der zu P absolut stetigen Wahrscheinlichkeitsmaße.

Theorem 4.27 Sei ρ : L∞ −→ R ein konvexes Risikomaß. Dann sind fol-gende Aussagen aquivalent:

(a) ρ kann durch eine Penalty-Funktion α auf M1 (P) dargestellt werden:

ρ (X) = supQ∈M1(P)

EQ [−X]− α (Q) , fur X ∈ L∞.

(b) ρ kann durch αmin auf M1 (P) dargestellt werden.

(c) ρ ist oberhalb stetig: Falls Xn X P-f.s., so gilt ρ (X) ρ (X).

(d) ρ besitzt die Fatou-Eigenschaft: Falls (Xn)n∈N eine beschrankte Folge ist,die P−f.s. gegen ein X konvergiert, so gilt

ρ (X) ≤ limn↑∞

inf ρ (Xn) .

Theorem 4.28 Sei ρ ein konvexes Risikomaß auf L∞. Dann sind folgendeAussagen aquivalent

(a) ρ ist unterhalb-stetig: Falls Xn X P−f.s., so gilt ρ (Xn) ρ (X).

(b) ρ besitzt Lebesgue-Eigenschaft: Sei (Xn)n∈N eine beschrankte Folge, sodass Xn −→ X P-f.s.. Dann gilt ρ (X) = lim

n→∞ρ (Xn) .

(c) αmin ist auf M1 (P) konzentriert, das heißt aus αmin <∞ folgtQ ∈M1 (P) und

ρ (X) = maxQ∈M1(P)

(EQ [−X]− αmin (Q)

), X ∈ L∞.

Fur koharente Risikomaße ergibt sich dann:

Korollar 4.29 Sei ρ koharent auf L∞. Dann kann ρ durch eine Menge

Q ⊆M1 (P)

dargestellt werden, das heißt

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 105

ρ (X) = supQ∈Q

EQ [−X] ,

genau dann, wenn eine der Bedingungen aus Theorem 4.27 erfullt ist. Diemaximale Menge, durch die ρ in M1 (P) dargestellte werden kann ist gegebendurch

Qmax ∩M1 (P)

mitQmax :=

Q ∈M1,f | αmin (Q) = 0

.

Korollar 4.30 Sei ρ koharent auf L∞. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:

(a) ρ ist unterhalb-stetig.

(b) ρ besitzt Lebesgue-Eigenschaft.

(c) Qmax ⊆M1 (P) .

Es gilt dann

ρ (X) = maxQ∈Qmax

EQ [−X] , fur alle X ∈ L∞.

Sei ρ ein oberhalb-stetiges Risikomaß auf L∞. Es stellt sich die Frage, wanneine Darstellung uber aquivalente Wahrscheinlichkeitsmaße gilt:

ρ (X) = supQ≈P

(EQ [−X]− αmin (Q)

)? (4.13)

Definition 4.31 Ein konvexes Risikomaß ρ auf L∞ heißt sensibel (sensitive)bezuglich P, falls fur alle X ≥ 0 und X nicht konstant ein λ > 0 existiert, sodass

ρ (−λX) > ρ (0) .

Theorem 4.32 Sei ρ ein oberhalb-stetiges, konvexes Risikomaß auf L∞.Dann sind folgende Aussagen aquivalent:

(a) ρ erlaubt die Darstellung (4.13).

(b) ρ ist sensibel bzgluglich P.

(c) Es gibt ein zu P aquivalentes WahrscheinlichkeitsmaßQ mit αmin (Q) <∞.

Beispiel 4.33 Seiπ = (1, π) =

(1, π1, . . . , πd

)S =

(S0, S

)=(S0, S1, . . . , Sd

)ein Einperiode-Finanzmarktmodell auf (Ω,F ,P). Der diskontierte Gewinn ei-nes Porfolios ξ =

(ξ0, ξ

)∈ Rd+1 war definiert als ξ · Y mit Y =

(Y 1, . . . , Y d

)

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106 4 Grundlagen Risikomaße

und Y i = Si

1+r − πi, i = 1, . . . , d.

Betrachte das Risikomaß auf L∞ (Ω,F ,P), das durch folgende Akzeptanz-menge definiert ist:

A :=X ∈ L∞ | ∃ ξ ∈ Rd mit X + ξ · Y ≥ 0 P− f.s.

.

Bemerke: X ∈ A genau dann, wenn es ein Portfolio ξ =(ξ0, ξ

)mit ξ · π = 0

gibt (kein Startkapital erforderlich, ξ0 = −ξ · π), so dass

X +ξ · S1 + r

≥ 0 P-f.s..

Also X ∈ A genau dann, wenn X ohne zusatzliche Kosten (super) gehedgedwerden kann.

Proposition. Sei inf m ∈ R | m ∈ A > −∞. Dann ist ρA ein koharentesRisikomaß und ρA ist sensibel genau dann, wenn das Modell arbitragefrei ist.In diesem Fall gilt

ρA (X) = supP∗∈P

EP∗ [−X] , (4.14)

wobei P die Mege der aquivalenten Martingalmaße ist.

Beweis: Da A ein konvexer Kegel ist, folgt aus Proposition 4.14, dass ρA

koharent ist. Es gilt

ρA (X) = inf m ∈ R | m+X ∈ A= inf

m ∈ R | ∃ ξ ∈ Rd so dass m+ ξ · Y ≥ −X P-f.s.

.

Falls das Marktmodell arbitragefrei ist, so folgt aus Theorem 1.25 , dass ρAdie Darstellung (4.14) hat. Somit folgt aus Theorem 4.32, dass ρA sensibel ist.Umgekehrt sei ρA sensibel und es gebe eine Arbitragemoglichkeit. Dann gibt esξ ∈ Rd und ε > 0, so dass ξ ·Y ≥ 0 P−f.s. und P (B) > 0 fur B := ξ · Y ≥ ε.Es folgt −ε1B + ξ · Y ≥ 0 P-f.s. und damit −ε1B ∈ A.Da ρA sensibel ist, folgt die Existenz von λ > 0, so dass

ρA (−λε1B) = λρ (−ε1B) > ρ (0) = 0.

AlsoρA (−ε1B) > 0.

Das heißt−ε1B /∈ AρA .

Dies ist aber ein Widerspruch. ut

Definition 4.34 Ein monetares Risikomaß ρ auf L∞ heißt verteilungsinva-

riant, falls fur alle X,Y ∈ L∞ mit Xd∼ Y (das heißt X und Y sind gleich-

verteilt) giltρ (X) = ρ (Y ) P− f.s..

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4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 107

Beispiel 4.35 Der”Average Value at Risk“ zum Niveau γ ∈ (0, 1] war defi-

niert als

AVaRγ (X) :=1

γ

∫ γ

0

VaRt (X)dt

= − 1

γ

∫ γ

0

qX (t)dt,

wobei qX(·) eine (beliebige) Quantilsfunktion von X ist. Da qX(·) nun von derVerteilung abhangt, ist AVaR (und naturlich auch VaR) verteilungsinvariant.

Lemma. Sei F (X) eine Verteilungsfunktion von X und U uniform verteilt auf(0, 1) (d.h. P (U ≤ s) = s fur alle s ∈ (0, 1)) und qX (t) eine Quantilsfunktionvon X. Dann gilt

Xd∼ qX (U) .

Es folgt

AVaRγ ≤1

γ

∫ 1

0

|qX(t)| dt

=1

γE [|qX(U)|] (U ∼ Uniform(0, 1))

=1

γE[|X|],

wobei die letzte Gleichheit wegen des vorigen Lemmata gilt. AVaRγ (X) istalso fur alle X ∈ L1 (Ω,F ,P) wohldefiniert.

Theorem 4.36 AVaRγ , γ ∈ (0, 1], ist ein koharentes, unterhalb-stetiges Ri-sikomaß mit der Darstellung

AVaRγ (X) = maxQ∈Qγ

EQ [−X] , X ∈ X , (4.15)

wobei Qγ :=Q P | dQdP ≤

1γ P− f.s.

. Weiterhin ist Qγ = Qmax (verglei-

che dazu Korollar 4.29).

Beweis: Falls γ = 1, folgt Q1 = P und AVaR1 (X) = E [−X].Sei nun γ ∈ (0, 1). Sei weiter

ργ (X) := supQ∈Qγ

EQ [−X] .

Dann ist ργ koharent. Sei zunachst X < 0 P-f.s. und definiere P ≈ P durch

dP

dP=

X

E [X].

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108 4 Grundlagen Risikomaße

Dann gilt

ργ (X) =E [−X]

γsup (EP [ϕ] | 0 ≤ ϕ ≤ 1, E [ϕ] = γ)

=E [−X]

γsup (EP [ϕ] | 0 ≤ ϕ ≤ 1, E [ϕ] ≤ γ) .

Aus dem Neyman-Pearson-Lemma (Theorem A.31 Follmer/Schied) folgt, dassdas Supremum erreicht wird mit

ϕ0 := 1X<q +K1X=q, (4.16)

wobei q ein γ-Quantil ist und k ∈ [0, 1], so dass

E [ϕ0] = γ. (4.17)

Also

ργ (X) =E [−X]

γEP [ϕ0] =

1

γE [−Xϕ0] .

Da dQ0

dP := ϕ0

γ ein Wahrscheinlichkeitsmaß aus Qγ definiert, folgt

ργ (X) = maxQ∈Qγ

EQ [−X]

= EQ0[−X]

=1

γ

(E[−X1X<q

]+ E

[−kX1X=q

])=

1

γ

(E[−X1X<q

]− kqP(X = q)

)=

1

γ

(E[−X1X<q

]− qγ + qP(X < q)

)=

1

γE[(q −X)

+]− q,

wobei die vorletzte Gleichheit aus (4.16) und (4.17) folgt. Weiterhin gilt fureine Quantilsfunktion qX mit qX(γ) = q:

1

γE[(q −X)

+]− q =

1

γ

∫ 1

0

(q − qX (t))+dt− q

=1

γ

∫ γ

0

(q − qX (t))dt− q

= − 1

γ

∫ γ

0

qX (t)dt

= AVaRγ (X) .

Die zweite Gleichheit gilt, da qX steigend ist und da qX (γ) = q gilt. Furgenerelle X ∈ L∞ benutze die cash-Invarianz von ργ und AVaRγ , um auf den

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4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 109

Fall X < 0 zu reduzieren.Qγ = Qmax zeigen wir nicht. utBemerkung:

(a) Da P ∈ Qγ , γ ∈ (0, 1], ist αmin (P) < ∞ und aus Theorem 4.32 folgt,dass

AVaRγ (X) = supQ∈Qγ , Q≈P

EQ [−X] , X ∈ L∞.

(b) Aus dem Beweis folgt, dass das Maximum in (4.14) erreicht wird durchQ0 ∈ Qγ mit

dQ0

dP=

1

γ1X<q + k1X=q

mit einem γ-Quantil q von X und

k =

0 falls P (X = q) = 0γ−P(X<q)P(X=q) sonst

AVaRγ ist der essentielle Baustein der Darstellung von verteilungsinvariantenRisikomaßen:

Theorem 4.37 (Ω,F ,P) sei atomfrei. Ein konvexes Risikomaß ρ auf L∞ istverteilungsinvariant und oberhalb-stetig genau dann, wenn

ρ (X) = supµ∈M1((0,1])

∫(0,1]

AVaRγ (X)µ (dγ)− βmin (µ)

mit

βmin (µ) = supX∈Aρ

∫(0,1]

AVaRγ (X)µ (dγ)

.

Korollar 4.38 Ein koharentes Risikomaß ρ ist verteilungsinvariant und oberhalb-stetig genau dann, wenn

ρ (X) = supµ∈M

∫(0,1]

AVaRγ µ (dγ)

fur M⊆M1((0,1]).

4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittelsRisikomaßen am Beispiel des Capital Asset PricingModel (CAPM)

Sei (π, S) ein Ein-Periode Marktmodell uber einem Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P). Die Renditen (Returns) des i-ten Wertpapiers sind gegeben durch:

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110 4 Grundlagen Risikomaße

Ri =Si − πi

πii = 0, . . . , d.

Fur ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 ist der Portfolioreturn definiert als

Rξ :=1

V0

d∑i=0

ξi · (Si − πi),

wobei V0 := ξ · π der Startwert des Portfolios ist. Fur ξ ∈ Rd+1 heißen

αi =ξiπi

ξ · πi = 0, . . . , d

Portfoliogewichte zum Portfolio ξ ∈ Rd+1 und wir schreiben

α = (α0, α) = (α0, α1, . . . , αd).

Bemerkung 4.39

(a) Es gilt:

R0 =S0 − π0

π0=

1 + r − 1

1= r.

(b) Offensichtlich gilt auchd∑i=0

αi = 1,

und somit

α0 = 1−d∑i=1

αi.

(c) Ein Startkapital V0 > 0 und Portfoliogewichte α = (α0, α) bestimmeneindeutig ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 durch

ξi =αiV0

πi, i = 0, . . . , d.

(d) Fur ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 mit Gewichten α ∈ Rd+1 gilt

Rξ =

d∑i=0

ξi

V0(Si − πi) =

d∑i=0

αi

πi(Si − πi)

=

d∑i=0

αiRi =

d∑i=1

αiRi +

(1−

d∑i=1

αi

)r︸ ︷︷ ︸

α0R0

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4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 111

=

d∑i=1

αi(Ri − r) + r.

Die Idee von Markowitz ist ein optimales Portfolio ξ∗ ∈ Rd+1 mit minimalerReturnvarianz Var(Rξ) (also mit minimalem Risiko gemessen in Varianz desReturns) unter allen Portfolios aus der Menge

ξ ∈ Rd+1 | ξ · π = V0 und E[Rξ] = c,

mit c, V0 > 0 vorgegeben, zu finden. Dies kann man umformulieren zumaquivalenten Problem der Mean-Variance-Return-Optimierung :Sei

Uq(X) := E[X]− q

2Var(X), X ∈ L2.

Wir suchen nach einem Portfolio ξ∗ derart, dass

Uq(Rξ∗) = sup

ξ∈Rd+1

ξ·π=V0

Uq(Rξ) (4.18)

fur ein gegebenes Startkapital V0 und Risikoaversion q ∈ R.

Bemerkung 4.40 Der vorgegebene Returnlevel c aus der Markowitzformu-lierung bestimmt die Risikoaversion q in der Mean-Variance-Formulierung undumgekehrt.

Wir nehmen im Folgenden an, dass Ri ∈ L2(Ω,F ,P), i = 0, . . . , d undcov(R) = (cov(Ri, Rj))i,j=1,...,d invertierbar ist.

Theorem 4.41 Das Problem (4.18) besitzt eine Losung ξ∗ ∈ Rd+1, die durchdas Startkapital V0 und Portfoliogewichte α∗ ∈ Rd+1 mit

α∗ =1

qcov(R)−1(E[R]− r · 1) ∈ Rd (4.19)

α∗,0 = 1−d∑i=0

α∗,i, (4.20)

wobei

E[R] =

E[R1]...

E[Rd]

und 1 :=

1...1

∈ Rdgegeben ist.

Beweis: Wir mussen die Funktion f : Rd → R mit

f(α) = Uq

(d∑i=0

αi(Ri − r) + r

)

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112 4 Grundlagen Risikomaße

in α maximieren. Da f konkav ist2, ist ∇f(α) = 0 hinreichend fur die Existenzeines Maximums. Es gilt:

f(α) =

d∑i=0

αi(E[Ri]− r) + r − q

2Var

(d∑i=0

αiRi

)und

Var

(d∑i=1

αiRi

)

= E

( d∑i=1

αiRi

)2−( d∑

i=1

αiE[Ri]

)2

=

d∑i=1

(αi)2E[(Ri)2] + 2∑i>j

αiαjE[RiRj ]−d∑i=1

(αi)2E[Ri]2 − 2∑i>j

αiαjE[Ri]E[Rj ]

=

d∑i=1

(αi)2 Var(Ri) + 2∑i>j

αiαj cov(Ri, Rj).

Also

∂f

∂αi(α) = E[Ri]− r − q

αi Var(Ri) +

d∑i=1j 6=i

αj cov(Ri, Rj)

.

Daraus folgt∇f(α) = E[R]− r · 1− q cov(R)α.

Nun ist ∇f(α) = 0 genau dann, wenn cov(R)α = 1q (E[R] − r1), und somit

genau dann, wenn

α =1

qcov(R)−1(E[R]− r · 1).

utWir betrachten mehrere Handler, die ihr Portfolio unter Uq mit unterschiedli-chen Risikoaversionen q optimieren. Seien α∗q die optimalen Portfoliogewichte

und ξ∗q das optimale Portfolio unter Uq. Dann folgt aus Theorem 4.41.:

Korollar 4.42 Seien p, q > 0. Dann ist

α∗p =q

pα∗q .

Beweis: Die Behauptung folgt direkt aus (4.19). ut

2 weil Var konvex ist.

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4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 113

Annahme 4.43 Es existiert q > 0 mit α∗q · 1 > 0. Dann definieren wir

m := q · α∗q · 1.

Dann sind m und α∗m = qmα∗q offensichtlich unabhangig von dem Wahl von

q > 0 mit α∗q ·1 > 0. Außerdem investiert ein Handler, der sein Portfolio unterUm optimiert, nur in die risky Wertpapiere, da

d∑i=1

α∗i = α∗m · 1

=q

mα∗q · 1

=q

qα∗q · 1α∗q · 1 = 1.

Daraus folgt α∗,0m = 0.

Sei Ki die Kapitalisierung des i-ten Assets und

VM =

d∑j=1

Kj

die Gesamtkapitalisierung des risky Markts. Das Portfolio ξM gegeben durchα∗m und VM als Startkapital mit

ξM,0 = 0,

ξM,i =α∗,imπi

VM i = 1, . . . , d,

heißt Marktportfolio.

Bemerkung 4.44 Unter der Annahme, dass alle Handler am Markt Mean-Variance-Handler sind, und ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nach-frage herrscht, erhalten wir (im okonomischen Sinne) als Konsequenz aus Ko-rollar 4.45

α∗,im =Ki∑di=1K

ji = 1, . . . , d.

Offensichtlich gilt dannξM,i · πi = Ki

undξM · π = VM .

Korollar 4.45 (Mutual Fund Theorem)Ein Mean-Variance-Handler mit Risikoaversion q > 0 investiert den relativen

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114 4 Grundlagen Risikomaße

Anteil mq seines Startkapitals V0 in das Marktportfolio und den relativen Anteil(1− m

q

)von V0 in das Bankkonto, d.h.

ξ∗,iq =m

qV0

1

VMξM,i =

m

q

V0

VMVM

α∗,imπi

=m

qV0α∗,imπi

und

ξ∗,0q =

(1− m

q

)V0.

Beweis: Fur i = 1, . . . , d gilt nach Theorem 4.41.:

ξ∗,iq =α∗,iqπi

V0 =m

q

α∗,imπi

V0

VM=m

q

V0

VMξM,i.

ut

Capital Asset Pricing Model-Gleichung

Im Theorem 4.41. wurde gezeigt, dass die optimalen Gewichte des Marktport-folios gegeben sind durch

α∗m =1

mcov(R)−1(E[R]− r1).

Dies gilt genau dann, wenn

E[R]− r1 = m cov(R)α∗m.

Bemerkung 4.46 Wir erinnern daran, dass fur die Kovarianz folgendes gilt:

(1) cov(X,Y ) = cov(Y,X),

(2) cov(aX, Y ) = a cov(X,Y ),

(3) cov(X + Y, Z) = cov(X,Z) + cov(Y, Z),

(4) cov(X,Y ) = E[XY ]− E[X]E[Y ] = E[X(Y − E[Y ])],

(5) cov(a,X) = 0,

fur a ∈ R und X,Y, Z ∈ L2.

Nun gilt:

E[Ri]− r = m

d∑j=1

cov(Ri, Rj)α∗,jm

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4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 115

Bem. 4.46= m cov

Ri, d∑j=1

α∗,jm Rj

= m cov(Ri, RξM ). (4.21)

Losen wir diese Gleichung nach den preisen π auf, erhalten wir (CAPM-Preise1. Version):

πiCAPM(1) =E[Si]−m cov(Si, RξM )

1 + rfur alle i = 0, . . . , d.

Insbesondere ist π0CAPM(1) = 1.

Beweis: (CAPM-Preise, erste Version)Es gilt

E[Ri]− r = m cov(Ri, Rj)

genau dann, wenn

1

πiE[Si]− (1 + r) =

m

πicov(Si, RξM ),

was aquivalent ist zu

πi =E[Si]−m cov(Si, RξM )

(1 + r).

utAus (4.21) folgt weiterhin

E[RξM ]− r =

d∑i=0

α∗,im (E[Ri]− r)

(4.21)=

d∑i=0

α∗,im m cov(Ri, RξM )

= m cov

(d∑i=1

α∗,im Ri, RξM

)= mVar(RξM ). (4.22)

Kombinieren wir nun (4.21) mit (4.22), erhalten wir die CAPM-Gleichungen(Security-Market Line):

E[Ri]− r = βi(E[RξM ]− r)

mit

βi =cov(Ri, RξM )

Var(RξM ).

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116 4 Grundlagen Risikomaße

Losen wir wieder nach π auf, erhalten wir (CAPM-Preise 2. Version):

πiCAPM(2) =E[Si]

βi(E[RξM ]− r

)+ 1 + r

.

Beweis: (CAPM-Preise, zweite Version)Es gilt:

E[Ri]− r =1

πiE[Si]− (1 + r)

= βi(E[RξM ]− r).

utFur ein Portfolio η ∈ Rd+1 ist der Preis also gegeben durch

πCAPM(1)(η) =

d∑i=1

πiCAPM(1) (4.23)

=E[η · S]−m cov(η · S, RξM )

1 + r(4.24)

=E[ηS(

1−m(RξM − E[RξM ]

))]1 + r

. (4.25)

Idee: Sei C ein Claim. Dann definiert man den CAPM-Preis als

πCAPM(C) =E[C(

1−m(RξM − E[RξM ]

))]1 + r

.

Dabei kommt es jedoch oft zu folgendem Problem:Sei (π, S) ein arbitragefreier Markt. Dann ist der erweiterte Markt ((π, πCAPM(C)), (S, C))im Allgemeinen nicht arbitragefrei. Betrachte wir ein Beispiel:Nehmen wir an, dass

P

(RξM >

1

m+ E[RξM ]

)> 0.

Das ist immer z.B. erfullt, wenn R ∼ N(µ,Σ). Sei der Claim C gegeben durch

C :=1

m(RξM − E[RξM ])− 11A

mit

A :=

RξM >

1

m+ E[RξM ]

.

Dann ist C ein Claim mit P(C > 0) = P(A) > 0. Anderseits

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4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 117

πCAPM(C) =E[−1A]

1 + r=−P(A)

1 + r< 0,

also liefert der Preis Arbitrage, da ein arbitragefairer Preis von der Form

EQ

[C

1+r

]> 0, Q ∈ P ware. Es gilt aber offensichtlich:

Lemma 4.47 Ist (π, S) arbitragefrei und vollstandig, dann ist fur jedenClaim C auch der erweiterte Markt ((π, πCAPM(C)), (S, C)) arbitragefrei undvollstandig.

Bemerkung 4.48 Sei R ∼ N(µ,Σ) und sei ρ ein positiv-homogenes, cash-invariantes und verteilungsinvariantes Risikomaß. Dann ist (4.18) aquivalentzu dem Problem:Finde ein optimales Portfolio ξ∗ ∈ Rd+1, so dass

−ρ(Rξ∗) = sup

ξ∈Rd+1

ξ·π=V0

(−ρ(Rξ)). (4.26)

Es gilt nahmlich fur ξ ∈ Rd+1

ρ(Rξ) = ρ

√Var(Rξ)

Rξ − E[Rξ]√Var(Rξ)

+ E[Rξ]

=

√Var(Rξ)ρ(X)− E[Rξ].

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A

Appendix A

A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie

A.1.1 Der Wahrscheinlichkeitsraum

Gegeben sei ein beliebiger Grund- bzw. Ergebnisraum Ω.

Definition A.1 Ein System F ⊆ P(Ω) mit den Eigenschaften

(a) Ω ∈ F ,

(b) A ∈ F ⇒ Ac ∈ F ,

(c) A1, A2, . . . ∈ F (abzahlbar) ⇒⋃i∈N

Ai ∈ F .

heißt σ-Algebra in Ω. Das Paar (Ω,F) heißt dann ein Ereignisraum oder einMessraum.

Definition A.2 Ein Maß ist eine Abbildung µ : F → R+, die folgende Be-dingungen erfullt:

(a) µ(∅) = 0,

(b) fur paarweise disjunkte Ereignisse A1, A2, . . . ∈ F , d.h. Ai ∩ Aj = ∅ furi 6= j, gilt

µ(

∞⋃i=1

Ai) =

∞∑i=1

µ(Ai).

Das Tripel (Ω,F , µ) heißt Maßraum.Ein Maß heißt Wahrscheinlichkeitsmaß, falls zusatzlich gilt:

(c) µ(Ω) = 1.

Das Tripel (Ω,F ,P) heißt dann ein Wahrscheinlichkeitsraum.

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120 A Appendix A

Definition A.3 Sei (Ω′,F ′) ein weiterer Messraum. Eine AbbildungX : Ω → Ω′ heißt messbar oder eine Zufallsvariable, falls fur jedes A ∈ F ′gilt:

X−1(A) = ω ∈ Ω | X(ω) ∈ A ∈ F .

Wir schreiben X : (Ω,F)→ (Ω′,F ′).

Definition A.4 Sei X : (Ω,F , µ)→ (Ω′,F ′) eine Zufallsvariable, dann wirddurch

µX(A) := µ(X−1(A)︸ ︷︷ ︸∈F

), A ∈ F ′,

ein Maß auf F ′ definiert, die sogenannte Verteilung von X unter µ.

A.1.2 Unabhangigkeit

Definition A.5 Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum.

(a) Zwei Ereignisse A1, A2 ∈ F heißen (stochastisch) unabhangig, falls

P(A1 ∩A2) = P(A1)P(A2).

(b) Eine Familie (Ai)i∈I von Ereignissen Ai ∈ F heißt (stochastisch) un-abhangig bezuglich P, falls fur jede endliche Teilmenge ∅ 6= J ⊆ I gilt:

P

⋂j∈J

Aj

=∏j∈J

P(Aj).

(c) Eine Familie (Ai)i∈I heißt paarweise unabhangig, falls P(Aj ∩ Ai) =P(Aj)P(Ai), fur alle Ai, Aj mit i 6= j.

(d) Eine Familie (Fi)i∈I von Mengen-Systemen Fi ⊆ F heißt unabhangig,falls fur alle J ⊆ I endlich, gilt:

P

⋂j∈J

Aj

=∏j∈J

P(Aj),

fur Aj ∈ Fj .

(e) Eine Familie von Zufallsvariablen Xi : (Ω,F ,P) → (Ωi,Fi) heißt un-abhangig, falls die Familie (σ(Xi))i∈I = (σ(X−1

i (Ai), Ai ∈ Fi))i∈I vonσ-Algebren unabhangig ist.

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A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie 121

(f) Eine Zufallsvariable X : (Ω,F ,P)→ (Ω′,F ′) heißt unabhangig von einerσ-Algebra G ⊆ F , falls σ(X) und G unabhangig sind.

Bemerkung A.6 Die paarweise Unabhangigkeit einer Familie (Ai)i∈I vonEreignissen impliziert nicht deren stochastische Unabhangigkeit.

A.1.3 Der Satz von Radon-Nikodym, Dichten

Definition A.7 Seien µ und ν zwei Maße auf der selben σ-Algebra F .

(a) ν ist absolutstetig bezuglich µ, in Zeichen ν µ, falls fur jedes A ∈ Fgilt

µ(A) = 0 ⇒ ν(A) = 0.

(b) µ und ν sind aquivalent, in Zeichen µ ≈ ν, wenn gilt:

ν µ und µ ν.

Definition A.8 Ist f : (Ω,F , µ) → (R+,B(R+)) eine nicht-negative nume-rische Zufallsvariable, so heißt

ν(A) :=

∫A

fdµ

das Maß mit der Dichte f bezuglich µ.Wir schreiben f = dν

dµ .

Fragestellung. Seien zwei beliebige Maße µ und ν gegeben. Existiert danndie Dichte dν

dµ?

Theorem A.9 (Satz von Radon-Nikodym) Seien µ und ν zwei Maße auf Fin einer Menge Ω. Ist µ σ-endlich, d.h. es existiert eine Folge(An)n∈N ∈ F mit

⋃i∈N

Ai = Ω und µ(Ai) < ∞ fur alle i ∈ N. Dann sind

folgende Aussagen aquivalent:

(a) ν besitzt eine Dichte bezuglich µ.

(b) ν ist absolut stetig bezuglich µ.

Bemerkung A.10(a) Nach Definition ist dν

dµ ≥ 0.

(b) Jedes Wahrscheinlichkeitsmaß P ist σ-endlich.

Bemerkung A.11 Es gilt:

dµ> 0 µ− f.s. ⇔ µ ≈ ν.

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122 A Appendix A

Beispiel A.121. Sei λ das Lebesgue-Maß auf (R,B(R)).

i) Die Dichte

Φµ,σ(x) =dΦ

dλ=

1√2πσ2

e−(x−µ)2

2σ2 , µ ∈ R, σ > 0

definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R,B(R)), die sogenannteNormalverteilung N (µ, σ2) mit Erwartungswert µ und Varianz σ2.

ii) Die Dichte

γp,b(x) =dγ

dλ(x) :=

bp

Γ (p)xp−1e−bx x ≥ 0

0 x < 0,

wobei Γ (p) =

∞∫0

tp−1e−tdt,

definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R,B(R)) bzw. (R+,B(R+)),die sogenannte Gammaverteilung Γ (p, q).Ein Spezialfall der Gammaverteilung,

γ1,b(x) =

be−bx x ≥ 00 x < 0

,

definiert die Exponentialverteilung Exp(b).

iii)

β[a,b]p,q (x) =

dλ=

1

B(a, b, p, q)(x− a)p−1(b− x)q−11[a,b](x)

definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf ([a, b],B([a, b])), die sogenann-te Betaverteilung B[a,b](p, q).

Bemerkung A.13 Da das Lebesgue-Maß λ σ-endlich ist, sind alle so defi-nierten Wahrscheinlichkeitsmaße absolutstetig bezuglich λ (Radon-Nikodym).

2. Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω,F) und φ ∈ L1(Ω,F ,P), d.h.E[|φ|] <∞ mit φ > 0. Dann definiert

dQ

dP=

φ

E[φ]

ein zu P aquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß Q.

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A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie 123

3. Sind P und Q zwei aquivalente Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ω,F), wobeiF = σ(A1, . . . , An) mit Ai ∩Aj = ∅ fur i 6= j und P(Ai) > 0,

sowie Ω =n⋃i=1

Ai, dann gilt:

dQ

dP=

n∑i=1

Q(Ai)

P(Ai)1Ai .

Beweis: Unter Berucksichtigung des folgenden Lemmas: ut

Lemma A.14 Sei (Ω,F) ein Messraum, wobei F = σ(A1, . . . , An) mitAi ∩Aj = ∅ fur alle i 6= j . Dann ist jede F-messbare Zufallsvariable auf den

Ereignissen Ai konstant, d.h. Z =n∑i=1

ci1Ai .

Beweis: Angenommen Z habe zwei Werte a, b , a 6= b auf Ai. Dann ware

A := Z = a,Ai = Z−1(a)︸ ︷︷ ︸∈F

∩ Ai︸︷︷︸∈F

∈ F .

Allerdings gilt∅ ( A ( Ai,

also kann A nicht durch A1, . . . , An erzeugt sein. Damit gilt A /∈ F , was einWiderspruch zu unserer Annahme ist. ut

A.1.4 Die bedingte Erwartung

Oft stehen uns nur Teilinformationen uber den Ausgang eines Experimen-tes (Zufallsvariable) X zur Verfugung. Der Begriff der bedingten Erwartungversucht, eine ”moglichst gute“ Approximation an den nicht beobachtbarenWert X(ω) zu finden, wenn nur Teilinformationen uber ω ∈ Ω zur Verfugungstehen.

Definition A.15 Sei X ∈ L1(Ω,F ,P) und G ⊂ F eine Unter-σ-Algebra.Eine Zufallsvariable X : Ω → R heißt bedingte Erwartung von X gegeben G,falls

(a) X G-messbar ist,

(b) fur alle A ∈ G gilt E[X1A] = E[X1A].

Wir schreiben X = EP[X|G].

Bemerkung A.16 X ist nur P−f.s. eindeutig bestimmt. Aussagen uber diebedingte Erwartung sollten deshalb stets das Attribut ”P− f.s.“ tragen.

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124 A Appendix A

Lemma A.17 (Eigenschaften der bedingten Erwartung)

(a) EP[X|G] ist integrierbar.

(b) X ≥ 0 ⇒ EP[X|G] ≥ 0 P− f.s..

(c) X ist G-messbar ⇒ EP[X|G] = X P− f.s..

(d) E[X|∅, Ω] = EP[X] P− f.s..

(e) EP[EP[X|G]] = EP[X] P− f.s..

(f) Sei A ⊂ G ein weitere Unter-σ-Algebra von F , dann gilt

EP[EP[X|G]|A] = EP[X|A] P− f.s..

Beweis: Hausaufgabe. ut

Beispiel A.18 Sei G = σ(A1, . . . , An), wobei Ai ∩Aj = ∅,

P(Ai) > 0 und Ω =n⋃i=1

Ai, dann gilt:

EP[X|G] =

n∑i=1

EP[Xi1Ai ]

P(Ai)1Ai

=

n∑i=1

EP[X|Ai]1Ai =

n∑i=1

EP[·|Ai][X]1Ai P− f.s..

Spezialfall: Sei S eine Zufallsvariable die nur endlich viele Werte s1, . . . , snmit positiver Wahrscheinlichkeit annimmt. Dann ist

σ(S) = σ(S = s1, . . . , S = sn)

und somit

EP[X|S] := EP[X|σ(S)] =

n∑i=1

EP[X1S=si]

P(S = si)1S=si.

Lemma A.19 (Weitere Eigenschaften der bedingten Erwartung)

(a) EP[·|G] : L1(Ω,F ,P)→ L1(Ω,F ,P) ist wohldefiniert und linear.

(b) Seien X,Y ∈ L1(Ω,F ,P), dann gilt

X ≤ Y P− f.s.⇒ ∀ G ⊂ F : E[X|G] ≤ E[Y |G] P− f.s..

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A.2 Martingale 125

(c) Sei X ∈ L1(Ω,F ,P) und X · Y ∈ L1(Ω,F ,P), wobei Y eine G-messbareZufallsvariable ist. Dann gilt

E[XY |G] = Y E[X|G] P− f.s..

(d) Ist X unabhangig von G, dann gilt

E[X|G] = E[X] P− f.s..

(e) (Jensensche Ungleichung)Fur f : R→ R konvex mit E[|f(X)|] <∞ gilt

E[f(X)|G] ≥ f(E[X|G]) P− f.s..

(Merkregel: 0 ≤ Var(X) = E[X2]− E[X]2f(x)=x2

=⇒ f(E[X]) ≤ E[f(X)])

(f) (Monotone Konvergenz)Sei X ∈ L1(Ω,F ,P), (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen mitXn ≥ 0, so dass Xn

n→∞X, dann gilt

limn→∞

E[Xn|G] = E[ limn→∞

Xn|G] = E[X|G] P− f.s..

(g) (Dominierte Konvergenz)Sei (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen, X eine Zufallsvariable mitXn → X P− f.s.. Falls ein Z ∈ L1(Ω,F ,P) existiert, so dass |Xn| ≤ Zfur alle n ∈ N, dann gilt

limn→∞

E[Xn|G] = E[ limn→∞

Xn|G] = E[X|G] P− f.s.

Beweis: Hausaufgabe. ut

A.2 Martingale

Martingale sind Formulierungen fairer”Gluckspiele “. Um sie zu definieren,

benotigen wir eine Formalisierung des wachsenden Informationsstandes:

Definition A.20 Eine Filtration F = (Fn)n=0,1,... ist eine Familie von σ-Algebren, fur die gilt Fn ⊆ Fn+1 ⊆ F , fur alle n ∈ N.

Definition A.21 Sei F = (Ft)t=0,1,... eine Filtration auf (Ω,F ,P). Ein sto-chastischer Prozess ist eine Familie X = (Xi)i=0,1,... von Zufallsvariablen. Xheißt:

(i) vorhersehbar, falls Xn Fn−1-messbar ist, fur alle n ≥ 1.

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126 A Appendix A

(ii) adaptiert, falls Xn Fn-messbar ist, fur alle n ≥ 0.

(iii) integrierbar, falls Xn ∈ L1(Ω,F ,P), fur alle n ≥ 0.

Definition A.22 Sei F eine Filtration auf (Ω,F ,P) Ein integrierbarer F-adaptierter stochastischer Prozess X = (Xn)n=0,1,... heißt:

(i) Martingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:

E[Xm | Fn] = Xn P− f.s..

(ii) Supermartingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:

E[Xm | Fn] ≤ Xn P− f.s..

(iii) Submartingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:

E[Xm | Fn] ≥ Xn P− f.s..

A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen

Sei (Xn)n∈N eine Folge von reell-wertigen Zufallsvariablen auf (Ω,F ,P) undX eine weitere Zufallsvariable.

Definition A.23

(a) (Xn)n∈N konvergiert gegen X fast sicher, falls

P( limn→∞

Xn = X) = 1.

Wir schreiben: Xnf.s.−→ X, n ∈ N.

(b) (Xn)n∈N konvergiert stochastisch oder in Wahrscheinlichkeit gegen X,falls

fur alle ε > 0, limn→∞

P(|Xn −X| ≥ ε) = 0.

Wir schreiben: XnP−→ X, n ∈ N.

(c) Seien nun Xn, X ∈ Lp(Ω,F ,P) fur ein p ≥ 1, n ∈ N. (Xn)n∈N konver-giert in Lp gegen X, falls

limn→∞

||Xn −X||p := limn→∞

E[|Xn −X|p]1p = 0.

Wir schreiben: XnLp−→ X, n ∈ N.

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A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen 127

(d) Sei Fn(c) := P(Xn ≤ c) die Verteilungsfunktion von Xn und F (c) :=P(X ≤ c) die Verteilungsfunktion von X. (Xn)n∈N konvergiert in Vertei-lung gegen X falls

limn→∞

Fn(c) = F (c), fur alle c ∈ C(F ),

wobei C(F ) die Menge aller Stetigkeitsstellen von F ist. Wir schreiben:

XnD−→ X, n ∈ N.

Es gelten die folgenden Zusammenhange:

Bemerkung A.24

(i) Eine Menge Xn | n ∈ N von Zufallsvariablen auf (Ω,F ,P) heißtgleichgradig P-integrierbar, falls fur alle ε > 0 ein c = c(ε) > 0 existiert,so dass gilt: ∫

|Xn|≥c|Xn| dP ≤ ε, fur alle n ∈ N. (A.1)

Dies ist aquivalent zu

limn→∞

E[|Xn|1|Xn|≥c] = 0.

(ii) Sei (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen in Lp(Ω,F ,P), 1 ≤ p <∞und X eine Zufallsvariable, so dass

XnP−→ X, n ∈ N.

Dann sind aquivalent:

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128 A Appendix A

a) |Xn|p | n ∈ N ist gleichgradig integrierbar.

b) X ∈ Lp(Ω,F ,P) und XnLp−→ X.

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B

Appendix B

B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreienMarktmodellen

B.1.1 Grundlagen

Im Beweis des Theorems 1.9. (FTAP) der Vorlesung haben wir insbesonderegezeigt, dass ein Marktmodell genau dann arbitragefrei ist, wenn der Null-punkt 0 ∈ Rd in der Menge

Mb(Y,P) :=

EQ[Y ] | Q ≈ P, dQ

dPist beschrankt, EQ[Y ] <∞

enthalten ist. Dabei ist Y = (Y 1, . . . , Y d) der Zufallsvektor der diskontiertenNettoertrage

Y i =Si

1 + r− πi.

Die Menge Mb(Y,P) und M(Y,P) := EQ[Y ] | Q ≈ P, EQ[Y ] <∞ lassensich auch geometrisch charakterisieren. Dazu betrachten wir die VerteilungPY von Y unter P. PY ist also ein (Borelsches) Maß auf (Rd,B(Rd)). Inden folgenden Definitionen und Beweisen wollen wir mit (Borel-) Maßen auf(Rd,B(Rd)) arbeiten. Dazu gilt zunachst:

Lemma B.1 Es gilt:

Mb(Y,P) = Mb(PY ) :=

=

∫y ν(dy) | ν ≈ PY ,

dPYbeschrankt,

∫|y| ν(dy) <∞

und

M(Y,P) = M(PY ) :=

∫y ν(dy) | ν ≈ PY ,

∫|y| ν(dy) <∞

.

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130 B Appendix B

Beweis: Sei ν ≈ PY ein Borelmaß auf (Rd,B(Rd)). Dann definiert die DichtedνdPY

angewandt auf den Vektor Y ein Maß Q ≈ P auf (Ω,F):

dQ

dP(ω) :=

dPY(Y (ω)).

Offensichtlich gilt EQ[Y ] =∫y ν(dy), also M(PY ) ⊆M(Y,P) und Mb(PY ) ⊆

Mb(Y,P).Sei anderseits Q ≈ P auf (Ω,F). Dann gilt fur A ∈ B(Rd):

0 = PY (A)

=

∫1Y ∈A dP

=

∫1Y ∈A︸ ︷︷ ︸≥0

dP

dQ︸︷︷︸>0

1

dQ. (B.1)

Offensichtlich gilt (B.1) genau dann, wenn

1Y ∈A = 0, Q− f.s.,

d.h. Q(Y ∈ A) = QY (A) = 0.Also sind PY undQY aquivalent, und somitM(Y,P) ⊆M(PY ) undMb(Y,P) ⊆Mb(PY ), da offensichtlich EQ[Y ] =

∫y dQY (y) gilt. ut

Definition B.2

(a) Der Trager supp eines Borelschen Wahrscheinlichkeitsmaßes auf (Rd,B(Rd))ist die kleinste abgeschlossene Menge A ⊂ Rd, so dass µ(Ac) = 0:

suppµ =⋂A ∈ B(Rd) | A abgeschlossen, µ(A) = 1.

Fur µ = PY gilt außerdem die Charakterisierung:

suppPY = x ∈ Rd | fur alle ε > 0, P(||Y − x|| ≤ ε) > 0.

(b) Die konvexe Hulle conv des Tragers eines Borelmaßes auf (Rd,B(Rd))ist gegeben durch:

conv suppµ :=

n∑k=1

αkyk | αk ≥ 0,

n∑k=0

αk = 1, yk ∈ suppµ, n ∈ N

.

1 siehe Ubungsblatt 1, Aufgabe 2.

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B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien Marktmodellen 131

Beispiel B.3 Sei d = 1. Wir betrachten das Maß µ = 12 (δ−1 + δ1), wo-

bei δx das Dirac-Maß2 ist. Dann ist offensichtlich suppµ = −1, 1 undconv suppµ = [−1, 1].

Bemerkung B.4 Ein Maß ν ist aquivalent zu µ (aus Beispiel B.3) genaudann, wenn ν = αδ−1 + (1− α)δ1 fur ein α ∈ (0, 1). Also gilt:

Mb(µ) =

∫y dν | ν ≈ µ, dν

dµbeschrankt,

∫|y| ν(dy) <∞

=

x ∈ Rd | x Schwerpunkt von ν, ν ≈ µ, dν

dµbeschrankt,

∫|y| ν(dy) <∞

= (−1, 1)

Dies liefert die korrekte Intuition der allgemein geltenden Inklusionen:

Mb(µ) ⊆M(µ) ⊆ conv suppµ.

Es wird sich herausstellen, dass die erste Inklusion in Wahrheit eine Gleichkeitdie zweite Inklusion dagegen fur gewohnlich strikt ist.

Definition B.5 Das relative Innere ri einer konvexen Menge C ⊂ Rd ist dieMenge aller Punkte x ∈ C, so dass

fur alle y ∈ C existiert ε > 0 mit x− ε(y − x) ∈ C.

Wir schreiben ri(C).

Bemerkung B.6

(i) Das topologische Innere int beispielweise einer Kreisscheibe K in R3 istleer, denn int ist definiert als die Punkte in K, fur die eine offene Um-gebung U von Punkten in R3 existiert, so dass U ganz in K enthalten ist.

(ii) Ist das topologische Innere intC einer konvexen Menge nicht leer, so giltintC = riC.

(iii) Fur unsere Theorie von Finanzmarkten ist (ii) insbesondere dann erfullt,wenn die einzelnen Assets nicht-redundant sind (Annahme 1.8.).

Nun sind wir bereit fur das entscheidende Theorem:

Theorem B.7 Es gilt:

Mb(PY ) = M(PY ) = ri conv suppPY .

2 δx(A) :=

1, falls x ∈ A0, falls x 6∈ A

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132 B Appendix B

Beweis: Siehe Theorem 1.49. (H. Follmer, A. Schied: Stochastic Finance, 3rdEdition). ut

Bemerkung B.8 Nach dem Theorem 1.10 (FTAP) der Vorlesung ist einMarkt also genau dann arbitragefrei, wenn

0 ∈ ri conv suppPY .

Dies ist naturlich aquivalent zu

π ∈ ri conv suppPX .

B.1.2 Anwendung

Das Theorem B.7. ist insbesondere hilfreich, wenn wir die Menge der arbi-tragefreien Preise eines Claims/Derivats C auf ein oder mehrere Wertpapierebestimmen wollen. Wir betrachten dazu den um C erweiterten Markt, be-stimmen PX , ri conv suppPX und finden anschließend πC in Abhangigkeitvon den gegebenene Ausgangspreisen πi, i = 1, . . . , d.

Beispiel B.9 Gegeben sei ein Marktmodell mit r = 0, einer Aktie S1 mitπi = 2 und PS1 = 1

3 (δ1 + δ2 + δ3). Wir fuhren ein Derivat auf S1 der FormS2 := (S1 − 1.5)+ = maxS1 − 1.5, 0 ein. Wegen PS1 = 1

3 (δ1 + δ2 + δ3) giltPS2 = 1

3 (δ0 + δ0.5 + δ1.5).

Also konnen wir suppP(X1,X2)r=0= suppP(S1,S2) in ein Koordinaten-System

eintragen.

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B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien Marktmodellen 133

Es folgt, ΠS2

= (0.5, 0.75).

Diese Vorgehensweise ist in einperiodigen Marktmodellen mit deterministi-schen Anfangsbedingungen oft hilfreich, vor allem wenn beispielsweise S1 ste-tig verteilt ist.

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C

Appendix C

C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis

C.1.1 Normierte Vektorraume, Banachraume, Hilbertraume

Definition C.1 Sei X ein K-Vektorraum. Eine Abbildung p : X → [0,∞)heißt Halbnorm, falls

(i) p(λx) = λp(x), fur alle λ ∈ K, x ∈ X,(ii) p(x+ y) ≤ p(x) + p(y), fur alle x, y ∈ X (Dreiecksungleichung).

Gilt zusatzlich(iii) p(x) = 0 ⇒ x = 0,dann heißt p eine Norm. Wir schreiben p = ‖ · ‖.

Bemerkung C.2 Auf einen normierten Raum (X, ‖ · ‖) wird in naturlicherWeise eine Metrik d : X ×X → [0,+∞) induziert, durch

d(x, y) = ‖x− y‖ fur alle x, y ∈ X.

Definition C.3 Ein metrischer Raum, in dem jede Cauchy-Folge konvergiertheißt vollstandig. Ein vollstandiger normierter Raum heißt Banachraum.

Definition C.4 Ein normierter Raum (X, ‖ · ‖) heißt Prahilbertraum, wennes ein Skalarprodukt 〈·, ·〉 auf X ×X mit

√〈x, x〉 = ‖x‖ fur alle x ∈ X gibt.

Ein vollstandiger Prahilbertraum heißt Hilbertraum.

Definition C.5 Der Raum L(X,K) der stetigen linearen Funktionale auf ei-nem normiertern Raum X heißt (topologischer) Dualraum von X und wirdoft mit X∗ bezeichnet.

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136 C Appendix C

C.1.2 Beispiele normierter Vektorraume, Banachraume,Hilbertraume

Beispiel C.6 Der (endlich-dimensionale) R-Vektorraum Rn, n ≥ 1 ist mitdem euklidischen Skalarprodukt ein Hilbertraum. Sein Dualraum (Rn)∗ istRn selbst, genauer gilt Rn ∼= (Rn)∗, d.h. es existiert ein isometrischer Isomor-phismus T : Rn → (Rn)∗ mit

(Ta)(x) = 〈a, x〉,

d.h. fur alle x′ ∈ (Rn)∗ existiert ein a ∈ Rn so dass

x′(x) = 〈a, x〉 =n∑i=1

aixi fur alle x ∈ Rn.

Die Lp-Raume

Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir definieren die Raume Lp(Ω,F ,P)wie folgt:

Definition C.7

(i) Fur p ∈ (0,∞] sei Lp(Ω,F ,P) der Raum aller R-wertigen F-messbarenZufallsvariablen auf (Ω,F ,P), so dass ‖Z‖p <∞. Dabei ist

‖Z‖p :=

E[|Z|p]1/p , falls 0 < p <∞infc ≥ 0 | P(|Z| > c) = 0, falls p =∞.

(ii) Der Raum L0(Ω,F ,P) sei der Raum aller P-f.s. endlichen Zufallsva-riablen.

Definition C.8 Fur p ∈ [0,∞] erhalt man den Raum Lp(Ω,F ,P) ausLp(Ω,F ,P) indem man alle Zufallsvariablen miteinander identifiziert, die P-f.s. gleich sind. D.h. der Raum Lp(Ω,F ,P) besteht aus allen Aquivalenzklassenbezuglich der Aquivalenzrelation

Z ∼ Z ⇔ Z = Z P− f.s.

fur Z, Z,∈ Lp(Ω,F ,P).

Lemma C.9 Die Raume Lp(Ω,F ,P) sind fur p ∈ [1,∞] Banachraume.

Lemma C.10 Der Raum L0 ist kein normierter Raum, jedoch metrisierbardurch die Metrik

d(X,Y ) := E[|X − Y | ∧ 1] X,Y,∈ L0.

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C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 137

Lemma C.11 Fur p ∈ [1,∞) und q so dass 1p + 1

q = 1 ist der Dualraum

(Lp)∗ gleich Lq, genauer gilt Lq ∼= (Lp)∗, d.h. es existiert ein isometrischerIsomorphismus T : Lq(Ω,F ,P)→ (Lp(Ω,F ,P))∗ gegeben durch

(TZ)(X) := E[ZX] Z ∈ Lq, X ∈ Lp,

d.h. insbesondere, dass fur jede stetige, lineare Abbildung X ′ : Lp(Ω,F ,P)→R genau ein Z ∈ Lq(Ω,F ,P) existiert, so dass

X ′(X) = E[XZ].

Lemma C.12 L2(Ω,F ,P) ist mit dem Skalarprodukt

〈X,Y 〉 := E[XY ]

ein Hilbertraum.

Definition C.13 Eine Abbildung µ : F → R heißt endlich additives signier-tes Maß, falls

1. µ(∅) = 0,2. Fur paarweise disjunkte Mengen A1, . . . , An ∈ F gilt

µ

(n⋃i=1

Ai

)=

n∑i=1

µ(Ai) (endlich additiv).

Nimmt µ nur nicht negative Werte an, so heißt µ ein endlich additives Maß.Die totale Variation ‖µ‖var eines endlich additiven signierten Maßes ist ge-geben durch

‖µ‖var := sup

n∑i=1

µ(Ai) | A1, . . . , An ∈ F , Ai ∩Aj = ∅, fur i 6= j, n ∈ N

.

Sei

bas(P) :=µ : F → R | µ ist ein endlich additives signiertes Maß mit

‖µ‖var <∞ und P(A) ⇒ µ(A) = 0.

Lemma C.14 Der Dualraum von L∞(Ω,F ,P) ist der Raum bas(P) der end-lich additiven signierten Maße µ P, genauer gilt bas(P) ∼= (L∞)∗, d.h. esexistiert ein isometrischer Isomorphismus von bas(P) nach (L∞(Ω,F ,P))∗.

C.1.3 Trennung in endlichdimensionalen Vektorraumen

Theorem C.15 Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum, C ⊆ V konvexund nichtleer mit 0 /∈ C. Dann gibt es ein h ∈ V ∗ mit h (C) ⊆ [0,∞) undh (C) 6= 0.

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138 C Appendix C

Beweis: Der Beweis erfolgt uber Induktion nach der Dimension von V .

O.B.d.A. gelte V = R. Dann ist C ⊆ (0,∞) oder C ⊆ (−∞, 0) (insbeson-dere ist C ein Intervall). Ist C ⊆ (0,∞), dann wahle h (x) := x, x ∈ R. IstC ⊆ (−∞, 0), dann wahle h (x) := −x, x ∈ R.Induktionsschluss n→ n+ 1: Sei dim (V ) = n+ 1.Sei H ein Hyperraum (dim (H) = n), der C schneidet, d.h. C0 = C ∩H 6= ∅.Dann ist C0 konvex. Nach der Induktionsvoraussetzung existiert ein h ∈ H∗mit h (C0) ⊆ [0,∞) und h (C0) 6= 0.Idee: Setze h geeignet auf V fort. Sei dazu x ∈ V \H und seienpH : V → H, t : V → R die dazugehorigen Projektionen, d.h.

y = t (y) x+ pH (y) fur alle y ∈ V.

C+ := v ∈ C|t (v) > 0 , C− := v ∈ C|t (v) < 0 , C0 := v ∈ C|t (v) = 0 .

Wir behaupten, dass ∀v+ ∈ C+, v− ∈ C−

h (pH (v+))

t (v+)≥ h (pH (v−))

t (v−)(∗)

gilt. Angenommen (∗) gilt, dann betrachten wir die folgenden Falle:

1.Fall: C+ = C− = ∅: Setze h irgendwie zu einem Vektorraum h ∈ V ∗ fort.2. Fall: C = C0 ∪ C−, d.h. C+ = ∅. In diesem Fall ist h(v) = −t(v), v ∈ V ,eine geeignete Fortsetzung.3. Fall: C = C0 ∪ C+, d.h. C− = ∅. In diesem Fall ist h (v) = t (v), v ∈ V ,eine geeignete Fortsetzung.4. Fall: C+, C− 6= ∅. Laut (∗) gibt es r ∈ R, so dass

supv−∈C−h(pH(v−))t(v−) ≤ r ≤ infv+∈C+

h(pH(v+))t(v+) (∗∗)

Sei nun h (v) := h (pH (v))− r · t (v).Dann leistet h ∈ V ∗ das Gewunschte, denn

(i) h (C) 6= 0 folgt sofort, da h (C0) 6= 0 nach I.V.(ii) h (C) ⊆ [0,∞).

(a) v ∈ C0 ⇒ h (v) = h

v︷ ︸︸ ︷(pH (v))︸ ︷︷ ︸≥0 (I.V.)

+0 ≥ 0

(b) v ∈ C− ⇒ h (v−) = h (pH (v−))− r · t (v−) ≥ 0 nach (∗∗)(c) v ∈ C+ ⇒ h (v+) = h (pH (v+))− r · t (v+) ≥ 0 nach (∗∗).

Also leistet h das Gewunschte.Es bleibt zu zeigen, dass fur alle v− ∈ C−, v+ ∈ C+

h (pH (v−))

t (v−)≤ h (pH (v+))

t (v+)

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C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 139

gilt. Wahle v+ ∈ C+, v− ∈ C− und suche λ, so dass λ · v+ + (1− λ) v− =:w ∈ H.

D.h. t (w) = 0 genau dann, wenn λt (v+) + (1− λ) t (v−) = 0

Das gilt genau denn, wenn

λ [t (v+)− t (v−)] + t (v−) = 0,

das heißt,

λ =−t (v−)

t (v+)− t (v−)=

|t (v−) |t (v+) + |t (v−) |

∈ (0, 1) .

Daraus folgt:

1− λ =t (v+)

t (v+) + |t (v−) |.

Aus der Konvexitat von C folgt nun, dass w ∈ C0.

Somit gilt

0 ≤ h (w) = h (pH (w))

= h

[pH

(−t (v−)

t (v+)− t (v−)v+ +

t (v+)

t (v+)− t (v−)v−

)]= − t (v−)

t (v+)− t (v−)h (pH (v+)) +

t (v+)

t (v+)− t (v−)h (pH (v−)) .

Andererseits, falls

t (v−) h (pH (v+)) ≤ t (v+) h (pH (v−)) ,

gilt, dann folgt

h (pH (v−))

t (v−)≤ h (pH (v+))

t (v+).

ut

Bemerkung C.16

(a) Im Beweis des FTAP war V = Rd, V ∗ ∼= Rd (siehe Beispiel C.6), d.h.h (·) = 〈ξ, ·〉 fur ein geeignetes ξ ∈ Rd.

(b) Geometrisch bedeutet Satz U 3.1.1., dass ein ξ ∈ Rd existiert, so dass Ckomplett auf der Seite”F+ =

x ∈ Rd| 〈ξ, x〉 ≥ 0

, der von ξ aufgespann-

ten Hyperflache F =x ∈ Rd| 〈ξ, x〉 = 0

liegt, aber nicht vollstandig in

F .

Erinnerung Appendix B.:

C = Mb (PY ) = ri conv supp PY . In den Ubungsaufgaben zeichnen wirsuppPX . Naturlich gilt:

suppPY = suppPX − π.

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140 C Appendix C

C.1.4 Trennungssatze von Hahn-Banach

Problem: Im Grundmodell des ersten Kapitels der Vorlesung werden die Prei-se π =

(π1, . . . , πd

)als Konstanten angenommen. Um im Folgenden Preiss-

trukturen besser modellieren zu konnen, muss man die Definitionen/Konzepteerweitern. Als SZwischenschrittßur Betrachtung mehrperiodiger Marktmodel-le kann deshalb zunachst ein Marktmodell mit stochastischen Preisen/Anfangsbedingungenbeschrieben werden. Hierbei sind die Preise S0 =

(S1

0 , . . . , Sd0

)F0-messbare

Zufallsvariablen, wobei F0 ⊂ F eine Unter-σ-Algebra sei, die den Informati-onsgehalt zum Zeitpunkt t = 0 beschreibt.

Auch in diesem Modell existiert ein Fundamental Theorem of Asset Pricing(FTAP), wobei man im Beweis mit der Menge

C = EQ [Y | F0] | Q ≈ P, EQ [||Y ||] <∞ ⊂ L0 (Ω,F0,P)

arbeitet. L0 (Ω,F0,P) ist jedoch kein endlichdimensionaler Vektorraum.

Also muss das Konzept der ”Trennung”verallgemeinert werden.

Theorem C.17 (Fortsetzunssatz von Hahn-Banach)Sei V ein R-Vektorraum und p : V → R eine sublineare Abbildung, d.h.

(a) fur alle v ∈ V, t ≥ 0 gilt p (tv) = tp (v).(b) fur alle v, w ∈ V gilt p (v + w) ≤ p (v) + p (w).

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C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 141

Sei außerdem W ein Unterraum von V und f : W → R linear mitf (w) ≤ p (w), fur alle w ∈ W . Dann existiert eine lineare AbbildungF : V → R mit F |W = f und F (v) ≤ p (v) fur alle v ∈ V .

Beweis: Wir betrachten die folgende Menge:

M :=(U, g) |W ⊂ U ⊂ V, U Unterraum, g : U → R linear, g|W = f,

g (u) ≤ p (u) ∀u ∈ U

Es gilt:

(i) M 6= ∅, da (W, f) ∈M(ii) Wir definieren folgende Ordnung auf M :

(U, g) ≤ (U ′, g′)⇔ U ⊂ U ′ und g′|U = g.Dann hat jede Kette in M bzgl. der obigen Ordnung eine obere Schranke:Sei (Ui, gi)i∈I eine solche Kette.Dann sei U :=

⋃i∈I Ui und g : U → R gegeben durch g (u) = gi (u) fur

ein i mit u ∈ Ui. (U, g) ist eine obere Schranke von (Ui, gi)i∈I .

Laut dem Zornschen Lemma gibt es ein maximales Element(U , g

)in

M (d.h. es gibt kein i, so dass (Ui, gi) >(U , g

)).

Es bleibt zu zeigen: U = V . Angenommen, es existiert x ∈ V \ U , daa

konstruieren wir ein h : U := lin(U , x

)→ R1 linear mit h|U = g und

h (v) ≤ p (v) , fur alle v ∈ U . Dann ist(U , h

)∈M und

(U , h

)≥(U , g

),

was aber ein Widerspruch ist.Jedes u ∈ U lasst sich schreiben als u = u+ λx fur u ∈ U und λ ∈ R.Ansatz zur Konstruktion von h:h (u) := g (u) + r ·λ (bleibt fur jedes r eine lineare Abbildung auf U) furein geeignetes r.Ziel: Finde r so, dass h (u) ≤ p (u) , fur alle u ∈ U .1. Fall: Falls λ > 0, gilt

g (u) + r · λ ≤ p (u+ λx) .

genau dann, wenn

r ≤ p (u)− g (u)

λ= p

(u+ λx

λ

)−g(uλ

)= p

(uλ− x)−g(uλ

), fur alle u ∈ U ,

d.h. wennr ≤ p (u+ x)− g (u) , fur alle u ∈ U .

Daraus folgt:r ≤ inf

u∈Up (u+ x)− g (u) .

1 Mit lin (·, ·) bezeichnen wir die lineare Hulle.

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142 C Appendix C

Fur den 2. Fall, wenn λ < 0 gilt analog:

g (u) + rλ ≤ p (u+ λx) ,

und somit:

r ≥ 1

λ(p (u+ λx)− g (u))

= − 1

|λ|(p (u+ λx)− g (u))

= g

(u

|λ|

)− p

(u

|λ|− x),

fur alle u ∈ U , also

r ≥ supu∈U

(g (u)− p (u− x)) .

Es bleibt zu zeigen, dass:

supu∈U

(g (u)− p (u− x)) ≤ infv∈U

p (v + x)− g (v) , (C.1)

denn dann wahle

r ∈[supu∈U (g (u)− p (u− x)) , infv∈U (p (v + x)− g (v))

]und es folgt die Behauptung.Zu (C.1): Sei u, v ∈ U , dann gilt

g (v + u) = g (v) + g (u) ≤ p∈U︷ ︸︸ ︷

(v + u)

= p (v + u+ x− x) ≤ p (v + x) + p (u− x) ,

genau dann, wenn

g (u)− p (u− x) ≤ p (v + x)− g (v) .

ut

Theorem C.18 (Trennungssatz von Hahn-Banach, Version 1)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, C ⊆ V eine offene, konvexe Mengemit 0 ∈ C und u ∈ CC = V \C. Dann gibt es ein stetiges, lineares FunktionalF : V → R, also F ∈ V ∗, mit F (v) < F (u), fur alle v ∈ C.

Beweis: Wir betrachten das Minkowski-Funktional

p (x) = infλ > 0 | x

λ∈ C

, x ∈ V, p (0) = 0

und zeigen, dass p sublinear ist:

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C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 143

(i) Fur alle t > 0, x ∈ V : p (tx) = infλ > 0 : txλ ∈ C

= t ·

infλ > 0 : xλ ∈ C

= tp (x)

(ii) Seien x, y ∈ V \ 0, α, β > 0 mit xα ∈ C,

yβ ∈ C.

Da C konvex ist, gilt:

x+ y

α+ β=

α

α+ β· xα

α+ β· yβ∈ C,

das heißtλ > 0,

x+ y

λ∈ C

⊇α > 0 :

x

α∈ C

+

β > 0 :

y

β∈ C

.

Folglich giltp (x+ y) ≤ p (x) + p (y) .

Sei U := lin (u) = λu|λ ∈ R und f : U → R, f (λu) = λf (u), λ ∈ R.Dann gilt f (u) ≤ p (u) fur alle u ∈ U . Also sind die Voraussetzungen desTheorems C.17 erfullt. Somit existiert ein lineares Funktional F : V → Rmit F |U = f und F (v) ≤ p (v) ∀v ∈ V . Es gilt fur alle v ∈ C:

F (v) ≤ p (v) ≤ 1 ≤ p (u) = F (u) (∗)

Da C offen ist, gibt es zu jedem v ∈ C ein ε > 0 mit (1 + ε) v ∈ C. Alsogilt fur (1 + ε) v auch

F (v) ≤ 1

1 + εF (u) < F (u) .

Es bleibt zu zeigen, dass F stetig ist. Da F linear ist, genugt es, dieStetigkeit in 0 zu zeigen.

Sei ε > 0, (xn)n∈N eine Nullfolge in V und n0 ∈ N so, dass ∀n ≥ n0:xn ∈ ε · C. Dann gilt

|F (xn) | ≤ p (xn) ≤ ε.

ut

Korollar C.19 (Trennungssatz, Version 2)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, C ⊂ V konvex und offen. ∅ 6= K ⊂ Vkonvex mit C ∩K = ∅. Dann gibt es ein stetiges, lineares Funktional F : V →R, also F ∈ V ∗, mit F (x) > F (y), fur alle x ∈ K, y ∈ C.

Beweis: Sei U := C − K − a + b, fur ein a ∈ C, b ∈ K. Dann ist 0 ∈U, (a− b− a+ b = 0), und U ist offen und konvex. Außerdem ist b − a /∈ U(sonst ware C ∩K 6= ∅, denn fur c ∈ C, k ∈ K mit c− k− a+ b = b− a warec = k, was aber ein Widerspruch ist). Mit u = b−a konnen wir also Theorem

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144 C Appendix C

C.18 anwenden und erhalten ein stetiges lineares Funktional F : V → R mitF (v) < F (u) , ∀v ∈ U . Also gilt fur y ∈ C, x ∈ K

F (y − x− a+ b) < F (b− a)

genau dann, wennF (y) < F (x) .

ut

Korollar C.20 (Trennungssatz, Version 3)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, K ⊂ V konvex und abgeschlossen,u ∈ KC = V \K. Dann existiert ein stetiges, lineares Funktional F : V → R,also F ∈ V ∗, mit

F (u) < infv∈K

F (v) (“strikte Trennung”).

Beweis: Da K abgeschlossen ist, ist KC offen. Da u ∈ KC , existiert eineoffene, konvexe Umgebung U (u) um u mit U (u)∩K = ∅. Nach Korollar C.19gibt es ein stetiges lineares Funktional F : V → R mit

F (u) < F (v) fur alle u ∈ U (u) , v ∈ K.

Angenommen F (u) 6= 0. Da es ein ε > 0 gibt mit (1± ε) u ∈ U (u) schließenwir, dass F ((1 + ε) u) ≤ infv∈K F (v) und F ((1− ε) u) ≤ infv∈K F (v). AlsoF (u) < infv∈K F (v).

Ist F (u) = 0, dann wahlen wir irgendein v ∈ K und ε > 0 so, dass u + εv ∈U (u). Wieder folgt:

0 = F (u) < εF (v) = F (u+ εv) ≤ infv∈K

F (v) .

ut

Korollar C.21 (Trennungssatz, 4. Version)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, K ⊂ V konvex und abgeschlossen,C ⊂ V konvex und kompakt mit C∩K = ∅. Dann existiert ein stetiges linearesFunktional F : V → R, also ein F ∈ V ∗, mit

supv∈C

F (v) < infw∈K

F (w) (“strikte Trennung”).

Beweis: Sei A = K − C := k − c | k ∈ K, c ∈ C. Dann ist A konvex,0 /∈ A und A abgeschlossen. Zur Abgeschlossenheit von A: Sei v ∈ AC . Dannist v /∈ K − w fur alle w ∈ C. Da K − w (offensichtlich) abgeschlossen ist furalle w ∈ C, gibt es eine offene, konvexe Umgebung Uw um 0 mit

(v + Uw) ∩ (K − w) = ∅

Page 151: Finanzmathematik 1 · Dieses Skript gibt den Inhalt der Vorlesung Finanzmathematik I: Eine Einf uhrung in diskreter Zeit wieder und basiert auf dem Buch Stochastic Finance von

C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 145

Da + : V × V → V stetig ist, gibt es offene Umgebungen Uw und Uw um0 mit Uw + Uw ⊆ Uw. Weil C kompakt ist, besitzt die offene Uberdeckung(w + Uw

)w∈C

eine endliche Teiluberdeckung(w + Uw

)w∈L

, L ⊆ C endlich.

Sei nun U :=⋂w∈L U

w. Dann ist v + U eine offene Umgebung um v und esgilt: (

v + U)∩A ⊆

(v + U

)∩⋃w∈L

(K −

(w + Uw

))= ∅,

denn fur alle w ∈ L, u ∈ Uw, u ∈ Uw gilt: u+ u ∈ Uw, also v+ u+ u /∈ A−w,da (v + Uw) ∩ (K − w) = ∅.Daher v+ u /∈ A− (w + u), fur alle w ∈ L. Also liegt v nicht im Abschluss vonA. Es folgt, dass K − C abgeschlossen ist. Wegen C ∩K = ∅ ist 0 /∈ K − C,also konnen wir das Korollar C.20 anwenden und erhalten ein stetiges linearesFunktional F : V → R mit

infv∈A

F (v) > F (0) = 0.

Insbesondere existiert ein α > 0 mit infv∈A F (v) > α. Somit gilt fur allev ∈ K, w ∈ C

α < F

A︷ ︸︸ ︷(v − w) = F (v)− F (w) ⇔ F (w) + α < F (v)

und dahersupw∈C

F (w) < supw∈C

F (w) + α ≤ infv∈K

F (v) .

ut