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Peter V. Kunz FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit Die verschiedenen Regularien der Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA sind in jüngster Zeit zunehmend in die rechtspolitische Kritik geraten, und dies mit gutem Grund. Die Aufsichtsbehörde basiert ihre Tätigkeiten auf diversen Regulierungen, deren rechtsstaatliche Grundlage mindestens problematisch, wenn nicht sogar fehlend erscheint. Dies gilt in erster Linie für die Rundschrei- ben der FINMA sowie für die Aufsichtsmitteilungen; doch selbst im Bereich der Rechtsverordnungen sind Mängel erkennbar. Die vorliegende Studie ver- schat einen umfassenden Überblick. In einem Rechtsstaat darf die Macht des Faktischen nicht eine saubere Rechtsgrundlage ersetzen – es besteht Hand- lungsbedarf. Beitragsarten: Wissenschaftliche Beiträge Rechtsgebiete: Wirtschaftliche u. soziale Rechte; Staatsorganisation und Behörden; Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrecht; Aufsichtsrecht; Grundrechte; Bankrecht; OR besonderer Teil; Handelsrecht; Eigentumsgarantie Zitiervorschlag: Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 ISSN 1424-7410, https://jusletter.weblaw.ch, Weblaw AG, [email protected], T +41 31 380 57 77

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Peter V Kunz

FINMA-Regulierung(en) Macht desFaktischen versus Rechtsstaatlichkeit

Die verschiedenen Regularien der Finanzmarktaufsichtsbehoumlrde FINMA sindin juumlngster Zeit zunehmend in die rechtspolitische Kritik geraten und diesmit gutem Grund Die Aufsichtsbehoumlrde basiert ihre Taumltigkeiten auf diversenRegulierungen deren rechtsstaatliche Grundlage mindestens problematischwenn nicht sogar fehlend erscheint Dies gilt in erster Linie fuumlr die Rundschrei-ben der FINMA sowie fuumlr die Aufsichtsmitteilungen doch selbst im Bereichder Rechtsverordnungen sind Maumlngel erkennbar Die vorliegende Studie ver-schafft einen umfassenden Uumlberblick In einem Rechtsstaat darf die Macht desFaktischen nicht eine saubere Rechtsgrundlage ersetzen ndash es besteht Hand-lungsbedarf

Beitragsarten Wissenschaftliche BeitraumlgeRechtsgebiete Wirtschaftliche u soziale Rechte Staatsorganisation undBehoumlrden Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrecht AufsichtsrechtGrundrechte Bankrecht OR besonderer Teil Handelsrecht Eigentumsgarantie

Zitiervorschlag Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versusRechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

ISSN 1424-7410 httpsjusletterweblawch Weblaw AG infoweblawch T +41 31 380 57 77

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Inhaltsuumlbersicht

I Executive SummaryA Schweiz als RechtsstaatB FINMA-RegulierungC Rechtsstaatliche ThemenbereicheD (Behoumlrden-)Macht des FaktischenE Loumlsungsvorschlaumlge

II VorbemerkungenA AusgangslageB Themen

III Grundlagen der FinanzmarktregulierungA RechtssetzungB Expansivwirkung des AufsichtsrechtsC Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahlb Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlagebb Oumlffentliches Interessecc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipdd Kerngehaltsgarantie

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen1 Finanzmarktrecht2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMAb Delegationsprinzipien

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)A Theorie

1 Rechtssetzungena Uumlbersichtb FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltzebb Ausfuumlhrungsbestimmungen

c Realakte2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFDb Leitlinien FINMAc Strategie FINMA

3 Rechtsquellena Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungenbb Rundschreibencc Offizioumlse laquoRegularienraquo

b Selbstregulierungc Bundesraumltliche Einschaumltzungen

B Praxis1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquob Beispiele sowie Gesamtschau

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispielea Einleitungb Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

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bb Kritikc Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

d Vermoumlgensverwaltungaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

e Corporate Governanceaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispielea Einleitungb Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

c Exchange Traded Fundsaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

V Legalitaumlt sowie RechtsstaatlichkeitA FINMA-RegulierungB Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

VI SchlussbemerkungenA Notwendige (Detail-)AumlnderungenB Grundlegende Aumlnderungen

I Executive Summary

A Schweiz als Rechtsstaat

[Rz 1] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat dh jedes staatliche Handeln hat auf dem Legalitaumltsprinzipbzw auf dem Gesetzmaumlssigkeitsprinzip zu beruhen Zum hoheitlichen Handeln gehoumlrt ua dieRechtssetzung bzw Regulierung fuumlr die folglich diverse rechtsstaatliche Prinzipien zu beruumlcksichti-gen sind (Art 5 Bundesverfassung [BV] Massgeblichkeit der Legalitaumlt des oumlffentlichen Interes-ses sowie der Verhaumlltnismaumlssigkeit) Unter dem Aspekt der Gewaltenteilung steht die Rechtsset-zungsprioritaumlt der Legislative zu so dass die Rechtsanwendung nachgeordnet ist

[Rz 2] Jegliche Regulierung stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar wobei die Wirtschaftsfrei-heit und die Eigentumsgarantie imVordergrund stehen Regulatorische Eingriffe sind einzig dannrechtlich zulaumlssig wenn saumlmtliche verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Art 36 BV gesetzli-che Grundlage oumlffentliches Interesse Verhaumlltnismaumlssigkeit und Beachtung des Kerngehalts) ku-mulativ erfuumlllt sind Als potentiell heikel betreffend die Finanzmarktregulierung erweisen sichprimaumlr das Legalitaumltsprinzip und das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 3] Das Finanzmarktrecht gehoumlrt zum Bundesrecht Folglich sind die laquowichtigen rechtssetzen-denraquo Regelungen (Art 164 Abs 1 BV) und die laquoschwerwiegendenraquo Grundrechtseingriffe (Art 36Abs 1 BV) in einem formellen Gesetz also in einem Bundesgesetz vorzusehen Den Regulierun-gen der Finanzmarktaufsicht (FINMA) kommt eine uumlberragende Bedeutung fuumlr den Finanzsektorzu und die zentrale rechtsstaatliche Herausforderung liegt darin dass die finanzmarktrechtlicheRechtssetzung im Wesentlichen ausserhalb der Bundesgesetzgebung stattfindet

[Rz 4] De lege lata erweist sich die FINMA-Regulierung als rechtsstaatlich houmlchst problematischdarauf verweist der Unterzeichner seit vielen Jahren in Publikationen in Referaten und in Vorle-sungen Art 7 Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht (FINMAG) stellt einen

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erheblichen Kostenfaktor fuumlr die Finanzindustrie dar doch heikler erscheint die Rechtsgrundla-ge De lege ferenda braucht es Aumlnderungen was zunehmend erkannt wird am 6 Maumlrz 2018 hatder Nationalrat eine entsprechende Motion uumlberwiesen mit dem Titel laquoGewaltentrennung in derFinanzmarktregulierungraquo

B FINMA-Regulierung

[Rz 5] Die Regulierung der FINMA findet weder im laquoluftleeren Raumraquo noch auf der laquogruumlnen Wie-seraquo statt Die FINMA hat im Hinblick auf ihre Rechtssetzungen einerseits die bundesverfassungs-rechtliche Ordnung (zB Art 5 BV) sowie andererseits den bundesgesetzlichen Rahmen (va De-legationsnormen und Art 7 FINMAG) zu beruumlcksichtigen Inhaltlich kann eine Regulierungskom-petenzreduktion zulasten der FINMA festgestellt werden

[Rz 6] Es besteht keine autonome FINMA-Regulierungszustaumlndigkeit dh die Erlasskompeten-zen ergeben sich in erster Linie auf der einen Seite aus gesetzlichen Delegationsnormen (inklusiveDelegationsprinzipien der Rechtsanwendung) sowie auf der anderen Seite aus bundesraumltlichenSubdelegationen Das Aufsichtsrecht hat keine Expansivwirkung und insbesondere dienen die Be-stimmungen zur laquoGewaumlhrraquo der FINMA nicht als allgemeine Erlasskompetenz Art 55 Abs 2FINMAG kommt eine generalisierte Bedeutung zu so dass sich die FINMA in den Rechtsver-ordnungen ndash und umso mehr in hierarchisch tiefer angelegten Rechtsquellen (RundschreibenAufsichtsmitteilungen QampA etc) ndash auf primaumlr laquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung zufokussieren hat Fuumlr den Regulierungsprozess sind die Richtlinien EFD die Leitlinien FINMAsowie die Strategie FINMA zu beachten

[Rz 7] Als formelle Regulierungsinstrumente werden die Rechtsverordnungen und die Rundschrei-ben aufgefuumlhrt (Art 7 Abs 1 FINMAG) hierarchisch darunter finden sich weitere laquoRegularienraquoinsbesondere die Aufsichtsmitteilungen die in der Praxis eine wichtige Rolle spielen Waumlhrenddie Rechtsverordnungen rechts- und allgemeinverbindliche Rechtssaumltze enthalten erscheint imUumlbrigen die Macht des Faktischen nicht weniger bindend

C Rechtsstaatliche Themenbereiche

[Rz 8] Mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen sind rechtsstaatlich heikle Themen verbunden Dabei geht es meist um das Legali-taumltsprinzip um das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip um das Prinzip der Gewaltenteilung sowie umdas Demokratieprinzip Seit langer Zeit durchaus bewaumlhrte Traditionen der Rechtssetzung zumFinanzmarktrecht sind unter diesen Perspektiven zu hinterfragen etwa das Konzept der Rah-mengesetze und das Konzept der prinzipienbasierten Regulierung

[Rz 9] Bei finanzmarktrechtlichen Rahmengesetzen besteht insbesondere das rechtsstaatliche Risi-ko dass das Bundesparlament allzu leichtfertig die regulatorische Inhaltsverantwortung auf tiefe-re Hierarchiestufen abgibt Bei laquowichtigenraquo bzw laquoschwerwiegendenraquo Eingriffen ist dies bundes-verfassungsrechtlich unzulaumlssig (zB Art 164 BV) doch auch bei den uumlbrigen Regelungsinhaltenerscheint es rechtsstaatlich problematisch eine legislative laquocarte blancheraquo fuumlr demokratisch nichtlegitimierte Rechtsverordnungen zu gewaumlhren Es liegt somit am Bundesparlament die gesetzli-chen Delegationsnormen sozusagen inhaltlich zu praumlzisieren

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[Rz 10] Seit langer Zeit herrschen auf allen Hierarchiestufen prinzipienbasierte Regulierungen vorIndem weniger Details aber mehr Prinzipien festgehalten werden erfahren die entsprechendenNormen eine nicht unerhebliche normative laquoSchwammigkeitraquo sie werden intensiv auslegungsbe-duumlrftig Mit diesem konzeptionellen Ansatz kommt es erneut zu einer Verantwortungsverschie-bung naumlmlich von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung notabene ndash wie bei allen Behoumlrdenndash durch eine demokratisch nicht legitimierte Bundesbehoumlrde

D (Behoumlrden-)Macht des Faktischen

[Rz 11] Die Macht des Faktischen der FINMA sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei derRechtsanwendung fuumlhrt im Ergebnis zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen Selbst die an sichrechtsunverbindlichen laquoRegularienraquo ndash zB Rundschreiben sowie Aufsichtsmitteilungen ndash wirkenfaktisch verpflichtend fuumlr die Finanzbranche bzw fuumlr die Finanzintermediaumlre bei den Rundschrei-ben etwa besteht eine de facto Befolgungspflicht Im Ergebnis fuumlhrt dies zu einem laquoMachttransferraquoan die FINMA der mit dem Gewaltenteilungsprinzip kollidiert

[Rz 12] Die FINMA kann beispielsweise durch blosses Zuwarten tatsaumlchlichen Druck auf Finanz-intermediaumlre ausuumlben ndash oder durch Briefe oder durch blosse Telefonate Eine solche Macht desFaktischen ist demokratisch nicht legitimiert und kommt in der Rechtssetzung auf der einen Seiteund in der Rechtsanwendung auf der anderen Seite vor

[Rz 13] Die FINMA-Regulierung erscheint ndash unter verschiedenen Perspektiven ndash rechtsstaatlichheikel Das Legalitaumltsprinzip wird beispielsweise unterminiert indem die FINMA immer wiederausserhalb ihres rechtlichen Kompetenzbereichs (Verguumltungen Retrozessionen ETF etc) laquolegi-feriertraquo Teils sind die Regulierungen der FINMA so schwerwiegend dass das Verhaumlltnismaumlssig-keitsprinzip in Frage gestellt wird Die (wirtschaftsrechtliche) Doktrin kritisiert bereits seit langerZeit diese und weitere rechtsstaatliche Probleme heftig

E Loumlsungsvorschlaumlge

[Rz 14] Die FINMA-Regulierung soll ndash trotz rechtsstaatlicher Kritik ndash nicht kategorisch in Fragegestellt werden Diese Regulierungen haben sich im Grossen und Ganzen durchaus bewaumlhrt Esmuss ausserdem festgehalten werden dass die FINMA in vielerlei Hinsicht schlicht ihre Moumlg-lichkeit(en) extensiv nutzt Die rechtliche (und politische) Verantwortung dafuumlr liegt nicht bei derFINMA sondern vielmehr bei den anderen beiden laquoRegulierungszentrenraquo die dies verhindernkoumlnnten naumlmlich beim Bundesparlament und beim Bundesrat Loumlsungsmoumlglichkeiten de lege fe-renda werden ebenfalls zu debattieren sein

[Rz 15] Die FINMA duumlrfte sich wohl des laquoMachttransfersraquo zu ihren Gunsten waumlhrend der juumlnge-ren Vergangenheit bewusst sein Ob sie vor diesem Hintergrund ihre Regulierungspraxis kuumlnftigaumlndern (oder weniger extensiv nutzen) wird bleibt abzuwarten Das Bundesparlament kann sichin jedem Fall nicht aus der Schlussverantwortung verabschieden uumlbt es doch die parlamentarischeOberaufsicht uumlber die FINMA aus (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 16] Eine Verschaumlrfung der Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) waumlre politisch denkbarstellt jedoch keine realistische oder uumlberzeugende Option dar Es gaumlbe fuumlr das Bundesparlamentverschiedene rechtliche Moumlglichkeiten wieder das Regulierungsprimat zu erlangen naumlmlich ndashals Beispiele ndash parlamentarische Genehmigungsvorbehalte ein Verordnungsveto oder eine spezi-

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fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

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FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

34

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Inhaltsuumlbersicht

I Executive SummaryA Schweiz als RechtsstaatB FINMA-RegulierungC Rechtsstaatliche ThemenbereicheD (Behoumlrden-)Macht des FaktischenE Loumlsungsvorschlaumlge

II VorbemerkungenA AusgangslageB Themen

III Grundlagen der FinanzmarktregulierungA RechtssetzungB Expansivwirkung des AufsichtsrechtsC Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahlb Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlagebb Oumlffentliches Interessecc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipdd Kerngehaltsgarantie

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen1 Finanzmarktrecht2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMAb Delegationsprinzipien

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)A Theorie

1 Rechtssetzungena Uumlbersichtb FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltzebb Ausfuumlhrungsbestimmungen

c Realakte2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFDb Leitlinien FINMAc Strategie FINMA

3 Rechtsquellena Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungenbb Rundschreibencc Offizioumlse laquoRegularienraquo

b Selbstregulierungc Bundesraumltliche Einschaumltzungen

B Praxis1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquob Beispiele sowie Gesamtschau

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispielea Einleitungb Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

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bb Kritikc Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

d Vermoumlgensverwaltungaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

e Corporate Governanceaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispielea Einleitungb Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

c Exchange Traded Fundsaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

V Legalitaumlt sowie RechtsstaatlichkeitA FINMA-RegulierungB Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

VI SchlussbemerkungenA Notwendige (Detail-)AumlnderungenB Grundlegende Aumlnderungen

I Executive Summary

A Schweiz als Rechtsstaat

[Rz 1] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat dh jedes staatliche Handeln hat auf dem Legalitaumltsprinzipbzw auf dem Gesetzmaumlssigkeitsprinzip zu beruhen Zum hoheitlichen Handeln gehoumlrt ua dieRechtssetzung bzw Regulierung fuumlr die folglich diverse rechtsstaatliche Prinzipien zu beruumlcksichti-gen sind (Art 5 Bundesverfassung [BV] Massgeblichkeit der Legalitaumlt des oumlffentlichen Interes-ses sowie der Verhaumlltnismaumlssigkeit) Unter dem Aspekt der Gewaltenteilung steht die Rechtsset-zungsprioritaumlt der Legislative zu so dass die Rechtsanwendung nachgeordnet ist

[Rz 2] Jegliche Regulierung stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar wobei die Wirtschaftsfrei-heit und die Eigentumsgarantie imVordergrund stehen Regulatorische Eingriffe sind einzig dannrechtlich zulaumlssig wenn saumlmtliche verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Art 36 BV gesetzli-che Grundlage oumlffentliches Interesse Verhaumlltnismaumlssigkeit und Beachtung des Kerngehalts) ku-mulativ erfuumlllt sind Als potentiell heikel betreffend die Finanzmarktregulierung erweisen sichprimaumlr das Legalitaumltsprinzip und das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 3] Das Finanzmarktrecht gehoumlrt zum Bundesrecht Folglich sind die laquowichtigen rechtssetzen-denraquo Regelungen (Art 164 Abs 1 BV) und die laquoschwerwiegendenraquo Grundrechtseingriffe (Art 36Abs 1 BV) in einem formellen Gesetz also in einem Bundesgesetz vorzusehen Den Regulierun-gen der Finanzmarktaufsicht (FINMA) kommt eine uumlberragende Bedeutung fuumlr den Finanzsektorzu und die zentrale rechtsstaatliche Herausforderung liegt darin dass die finanzmarktrechtlicheRechtssetzung im Wesentlichen ausserhalb der Bundesgesetzgebung stattfindet

[Rz 4] De lege lata erweist sich die FINMA-Regulierung als rechtsstaatlich houmlchst problematischdarauf verweist der Unterzeichner seit vielen Jahren in Publikationen in Referaten und in Vorle-sungen Art 7 Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht (FINMAG) stellt einen

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erheblichen Kostenfaktor fuumlr die Finanzindustrie dar doch heikler erscheint die Rechtsgrundla-ge De lege ferenda braucht es Aumlnderungen was zunehmend erkannt wird am 6 Maumlrz 2018 hatder Nationalrat eine entsprechende Motion uumlberwiesen mit dem Titel laquoGewaltentrennung in derFinanzmarktregulierungraquo

B FINMA-Regulierung

[Rz 5] Die Regulierung der FINMA findet weder im laquoluftleeren Raumraquo noch auf der laquogruumlnen Wie-seraquo statt Die FINMA hat im Hinblick auf ihre Rechtssetzungen einerseits die bundesverfassungs-rechtliche Ordnung (zB Art 5 BV) sowie andererseits den bundesgesetzlichen Rahmen (va De-legationsnormen und Art 7 FINMAG) zu beruumlcksichtigen Inhaltlich kann eine Regulierungskom-petenzreduktion zulasten der FINMA festgestellt werden

[Rz 6] Es besteht keine autonome FINMA-Regulierungszustaumlndigkeit dh die Erlasskompeten-zen ergeben sich in erster Linie auf der einen Seite aus gesetzlichen Delegationsnormen (inklusiveDelegationsprinzipien der Rechtsanwendung) sowie auf der anderen Seite aus bundesraumltlichenSubdelegationen Das Aufsichtsrecht hat keine Expansivwirkung und insbesondere dienen die Be-stimmungen zur laquoGewaumlhrraquo der FINMA nicht als allgemeine Erlasskompetenz Art 55 Abs 2FINMAG kommt eine generalisierte Bedeutung zu so dass sich die FINMA in den Rechtsver-ordnungen ndash und umso mehr in hierarchisch tiefer angelegten Rechtsquellen (RundschreibenAufsichtsmitteilungen QampA etc) ndash auf primaumlr laquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung zufokussieren hat Fuumlr den Regulierungsprozess sind die Richtlinien EFD die Leitlinien FINMAsowie die Strategie FINMA zu beachten

[Rz 7] Als formelle Regulierungsinstrumente werden die Rechtsverordnungen und die Rundschrei-ben aufgefuumlhrt (Art 7 Abs 1 FINMAG) hierarchisch darunter finden sich weitere laquoRegularienraquoinsbesondere die Aufsichtsmitteilungen die in der Praxis eine wichtige Rolle spielen Waumlhrenddie Rechtsverordnungen rechts- und allgemeinverbindliche Rechtssaumltze enthalten erscheint imUumlbrigen die Macht des Faktischen nicht weniger bindend

C Rechtsstaatliche Themenbereiche

[Rz 8] Mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen sind rechtsstaatlich heikle Themen verbunden Dabei geht es meist um das Legali-taumltsprinzip um das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip um das Prinzip der Gewaltenteilung sowie umdas Demokratieprinzip Seit langer Zeit durchaus bewaumlhrte Traditionen der Rechtssetzung zumFinanzmarktrecht sind unter diesen Perspektiven zu hinterfragen etwa das Konzept der Rah-mengesetze und das Konzept der prinzipienbasierten Regulierung

[Rz 9] Bei finanzmarktrechtlichen Rahmengesetzen besteht insbesondere das rechtsstaatliche Risi-ko dass das Bundesparlament allzu leichtfertig die regulatorische Inhaltsverantwortung auf tiefe-re Hierarchiestufen abgibt Bei laquowichtigenraquo bzw laquoschwerwiegendenraquo Eingriffen ist dies bundes-verfassungsrechtlich unzulaumlssig (zB Art 164 BV) doch auch bei den uumlbrigen Regelungsinhaltenerscheint es rechtsstaatlich problematisch eine legislative laquocarte blancheraquo fuumlr demokratisch nichtlegitimierte Rechtsverordnungen zu gewaumlhren Es liegt somit am Bundesparlament die gesetzli-chen Delegationsnormen sozusagen inhaltlich zu praumlzisieren

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[Rz 10] Seit langer Zeit herrschen auf allen Hierarchiestufen prinzipienbasierte Regulierungen vorIndem weniger Details aber mehr Prinzipien festgehalten werden erfahren die entsprechendenNormen eine nicht unerhebliche normative laquoSchwammigkeitraquo sie werden intensiv auslegungsbe-duumlrftig Mit diesem konzeptionellen Ansatz kommt es erneut zu einer Verantwortungsverschie-bung naumlmlich von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung notabene ndash wie bei allen Behoumlrdenndash durch eine demokratisch nicht legitimierte Bundesbehoumlrde

D (Behoumlrden-)Macht des Faktischen

[Rz 11] Die Macht des Faktischen der FINMA sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei derRechtsanwendung fuumlhrt im Ergebnis zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen Selbst die an sichrechtsunverbindlichen laquoRegularienraquo ndash zB Rundschreiben sowie Aufsichtsmitteilungen ndash wirkenfaktisch verpflichtend fuumlr die Finanzbranche bzw fuumlr die Finanzintermediaumlre bei den Rundschrei-ben etwa besteht eine de facto Befolgungspflicht Im Ergebnis fuumlhrt dies zu einem laquoMachttransferraquoan die FINMA der mit dem Gewaltenteilungsprinzip kollidiert

[Rz 12] Die FINMA kann beispielsweise durch blosses Zuwarten tatsaumlchlichen Druck auf Finanz-intermediaumlre ausuumlben ndash oder durch Briefe oder durch blosse Telefonate Eine solche Macht desFaktischen ist demokratisch nicht legitimiert und kommt in der Rechtssetzung auf der einen Seiteund in der Rechtsanwendung auf der anderen Seite vor

[Rz 13] Die FINMA-Regulierung erscheint ndash unter verschiedenen Perspektiven ndash rechtsstaatlichheikel Das Legalitaumltsprinzip wird beispielsweise unterminiert indem die FINMA immer wiederausserhalb ihres rechtlichen Kompetenzbereichs (Verguumltungen Retrozessionen ETF etc) laquolegi-feriertraquo Teils sind die Regulierungen der FINMA so schwerwiegend dass das Verhaumlltnismaumlssig-keitsprinzip in Frage gestellt wird Die (wirtschaftsrechtliche) Doktrin kritisiert bereits seit langerZeit diese und weitere rechtsstaatliche Probleme heftig

E Loumlsungsvorschlaumlge

[Rz 14] Die FINMA-Regulierung soll ndash trotz rechtsstaatlicher Kritik ndash nicht kategorisch in Fragegestellt werden Diese Regulierungen haben sich im Grossen und Ganzen durchaus bewaumlhrt Esmuss ausserdem festgehalten werden dass die FINMA in vielerlei Hinsicht schlicht ihre Moumlg-lichkeit(en) extensiv nutzt Die rechtliche (und politische) Verantwortung dafuumlr liegt nicht bei derFINMA sondern vielmehr bei den anderen beiden laquoRegulierungszentrenraquo die dies verhindernkoumlnnten naumlmlich beim Bundesparlament und beim Bundesrat Loumlsungsmoumlglichkeiten de lege fe-renda werden ebenfalls zu debattieren sein

[Rz 15] Die FINMA duumlrfte sich wohl des laquoMachttransfersraquo zu ihren Gunsten waumlhrend der juumlnge-ren Vergangenheit bewusst sein Ob sie vor diesem Hintergrund ihre Regulierungspraxis kuumlnftigaumlndern (oder weniger extensiv nutzen) wird bleibt abzuwarten Das Bundesparlament kann sichin jedem Fall nicht aus der Schlussverantwortung verabschieden uumlbt es doch die parlamentarischeOberaufsicht uumlber die FINMA aus (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 16] Eine Verschaumlrfung der Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) waumlre politisch denkbarstellt jedoch keine realistische oder uumlberzeugende Option dar Es gaumlbe fuumlr das Bundesparlamentverschiedene rechtliche Moumlglichkeiten wieder das Regulierungsprimat zu erlangen naumlmlich ndashals Beispiele ndash parlamentarische Genehmigungsvorbehalte ein Verordnungsveto oder eine spezi-

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fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

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FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

34

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

bb Kritikc Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

d Vermoumlgensverwaltungaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

e Corporate Governanceaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispielea Einleitungb Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnisbb Kritik

c Exchange Traded Fundsaa Grundverstaumlndnisbb Kritik

V Legalitaumlt sowie RechtsstaatlichkeitA FINMA-RegulierungB Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

VI SchlussbemerkungenA Notwendige (Detail-)AumlnderungenB Grundlegende Aumlnderungen

I Executive Summary

A Schweiz als Rechtsstaat

[Rz 1] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat dh jedes staatliche Handeln hat auf dem Legalitaumltsprinzipbzw auf dem Gesetzmaumlssigkeitsprinzip zu beruhen Zum hoheitlichen Handeln gehoumlrt ua dieRechtssetzung bzw Regulierung fuumlr die folglich diverse rechtsstaatliche Prinzipien zu beruumlcksichti-gen sind (Art 5 Bundesverfassung [BV] Massgeblichkeit der Legalitaumlt des oumlffentlichen Interes-ses sowie der Verhaumlltnismaumlssigkeit) Unter dem Aspekt der Gewaltenteilung steht die Rechtsset-zungsprioritaumlt der Legislative zu so dass die Rechtsanwendung nachgeordnet ist

[Rz 2] Jegliche Regulierung stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar wobei die Wirtschaftsfrei-heit und die Eigentumsgarantie imVordergrund stehen Regulatorische Eingriffe sind einzig dannrechtlich zulaumlssig wenn saumlmtliche verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Art 36 BV gesetzli-che Grundlage oumlffentliches Interesse Verhaumlltnismaumlssigkeit und Beachtung des Kerngehalts) ku-mulativ erfuumlllt sind Als potentiell heikel betreffend die Finanzmarktregulierung erweisen sichprimaumlr das Legalitaumltsprinzip und das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 3] Das Finanzmarktrecht gehoumlrt zum Bundesrecht Folglich sind die laquowichtigen rechtssetzen-denraquo Regelungen (Art 164 Abs 1 BV) und die laquoschwerwiegendenraquo Grundrechtseingriffe (Art 36Abs 1 BV) in einem formellen Gesetz also in einem Bundesgesetz vorzusehen Den Regulierun-gen der Finanzmarktaufsicht (FINMA) kommt eine uumlberragende Bedeutung fuumlr den Finanzsektorzu und die zentrale rechtsstaatliche Herausforderung liegt darin dass die finanzmarktrechtlicheRechtssetzung im Wesentlichen ausserhalb der Bundesgesetzgebung stattfindet

[Rz 4] De lege lata erweist sich die FINMA-Regulierung als rechtsstaatlich houmlchst problematischdarauf verweist der Unterzeichner seit vielen Jahren in Publikationen in Referaten und in Vorle-sungen Art 7 Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht (FINMAG) stellt einen

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erheblichen Kostenfaktor fuumlr die Finanzindustrie dar doch heikler erscheint die Rechtsgrundla-ge De lege ferenda braucht es Aumlnderungen was zunehmend erkannt wird am 6 Maumlrz 2018 hatder Nationalrat eine entsprechende Motion uumlberwiesen mit dem Titel laquoGewaltentrennung in derFinanzmarktregulierungraquo

B FINMA-Regulierung

[Rz 5] Die Regulierung der FINMA findet weder im laquoluftleeren Raumraquo noch auf der laquogruumlnen Wie-seraquo statt Die FINMA hat im Hinblick auf ihre Rechtssetzungen einerseits die bundesverfassungs-rechtliche Ordnung (zB Art 5 BV) sowie andererseits den bundesgesetzlichen Rahmen (va De-legationsnormen und Art 7 FINMAG) zu beruumlcksichtigen Inhaltlich kann eine Regulierungskom-petenzreduktion zulasten der FINMA festgestellt werden

[Rz 6] Es besteht keine autonome FINMA-Regulierungszustaumlndigkeit dh die Erlasskompeten-zen ergeben sich in erster Linie auf der einen Seite aus gesetzlichen Delegationsnormen (inklusiveDelegationsprinzipien der Rechtsanwendung) sowie auf der anderen Seite aus bundesraumltlichenSubdelegationen Das Aufsichtsrecht hat keine Expansivwirkung und insbesondere dienen die Be-stimmungen zur laquoGewaumlhrraquo der FINMA nicht als allgemeine Erlasskompetenz Art 55 Abs 2FINMAG kommt eine generalisierte Bedeutung zu so dass sich die FINMA in den Rechtsver-ordnungen ndash und umso mehr in hierarchisch tiefer angelegten Rechtsquellen (RundschreibenAufsichtsmitteilungen QampA etc) ndash auf primaumlr laquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung zufokussieren hat Fuumlr den Regulierungsprozess sind die Richtlinien EFD die Leitlinien FINMAsowie die Strategie FINMA zu beachten

[Rz 7] Als formelle Regulierungsinstrumente werden die Rechtsverordnungen und die Rundschrei-ben aufgefuumlhrt (Art 7 Abs 1 FINMAG) hierarchisch darunter finden sich weitere laquoRegularienraquoinsbesondere die Aufsichtsmitteilungen die in der Praxis eine wichtige Rolle spielen Waumlhrenddie Rechtsverordnungen rechts- und allgemeinverbindliche Rechtssaumltze enthalten erscheint imUumlbrigen die Macht des Faktischen nicht weniger bindend

C Rechtsstaatliche Themenbereiche

[Rz 8] Mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen sind rechtsstaatlich heikle Themen verbunden Dabei geht es meist um das Legali-taumltsprinzip um das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip um das Prinzip der Gewaltenteilung sowie umdas Demokratieprinzip Seit langer Zeit durchaus bewaumlhrte Traditionen der Rechtssetzung zumFinanzmarktrecht sind unter diesen Perspektiven zu hinterfragen etwa das Konzept der Rah-mengesetze und das Konzept der prinzipienbasierten Regulierung

[Rz 9] Bei finanzmarktrechtlichen Rahmengesetzen besteht insbesondere das rechtsstaatliche Risi-ko dass das Bundesparlament allzu leichtfertig die regulatorische Inhaltsverantwortung auf tiefe-re Hierarchiestufen abgibt Bei laquowichtigenraquo bzw laquoschwerwiegendenraquo Eingriffen ist dies bundes-verfassungsrechtlich unzulaumlssig (zB Art 164 BV) doch auch bei den uumlbrigen Regelungsinhaltenerscheint es rechtsstaatlich problematisch eine legislative laquocarte blancheraquo fuumlr demokratisch nichtlegitimierte Rechtsverordnungen zu gewaumlhren Es liegt somit am Bundesparlament die gesetzli-chen Delegationsnormen sozusagen inhaltlich zu praumlzisieren

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[Rz 10] Seit langer Zeit herrschen auf allen Hierarchiestufen prinzipienbasierte Regulierungen vorIndem weniger Details aber mehr Prinzipien festgehalten werden erfahren die entsprechendenNormen eine nicht unerhebliche normative laquoSchwammigkeitraquo sie werden intensiv auslegungsbe-duumlrftig Mit diesem konzeptionellen Ansatz kommt es erneut zu einer Verantwortungsverschie-bung naumlmlich von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung notabene ndash wie bei allen Behoumlrdenndash durch eine demokratisch nicht legitimierte Bundesbehoumlrde

D (Behoumlrden-)Macht des Faktischen

[Rz 11] Die Macht des Faktischen der FINMA sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei derRechtsanwendung fuumlhrt im Ergebnis zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen Selbst die an sichrechtsunverbindlichen laquoRegularienraquo ndash zB Rundschreiben sowie Aufsichtsmitteilungen ndash wirkenfaktisch verpflichtend fuumlr die Finanzbranche bzw fuumlr die Finanzintermediaumlre bei den Rundschrei-ben etwa besteht eine de facto Befolgungspflicht Im Ergebnis fuumlhrt dies zu einem laquoMachttransferraquoan die FINMA der mit dem Gewaltenteilungsprinzip kollidiert

[Rz 12] Die FINMA kann beispielsweise durch blosses Zuwarten tatsaumlchlichen Druck auf Finanz-intermediaumlre ausuumlben ndash oder durch Briefe oder durch blosse Telefonate Eine solche Macht desFaktischen ist demokratisch nicht legitimiert und kommt in der Rechtssetzung auf der einen Seiteund in der Rechtsanwendung auf der anderen Seite vor

[Rz 13] Die FINMA-Regulierung erscheint ndash unter verschiedenen Perspektiven ndash rechtsstaatlichheikel Das Legalitaumltsprinzip wird beispielsweise unterminiert indem die FINMA immer wiederausserhalb ihres rechtlichen Kompetenzbereichs (Verguumltungen Retrozessionen ETF etc) laquolegi-feriertraquo Teils sind die Regulierungen der FINMA so schwerwiegend dass das Verhaumlltnismaumlssig-keitsprinzip in Frage gestellt wird Die (wirtschaftsrechtliche) Doktrin kritisiert bereits seit langerZeit diese und weitere rechtsstaatliche Probleme heftig

E Loumlsungsvorschlaumlge

[Rz 14] Die FINMA-Regulierung soll ndash trotz rechtsstaatlicher Kritik ndash nicht kategorisch in Fragegestellt werden Diese Regulierungen haben sich im Grossen und Ganzen durchaus bewaumlhrt Esmuss ausserdem festgehalten werden dass die FINMA in vielerlei Hinsicht schlicht ihre Moumlg-lichkeit(en) extensiv nutzt Die rechtliche (und politische) Verantwortung dafuumlr liegt nicht bei derFINMA sondern vielmehr bei den anderen beiden laquoRegulierungszentrenraquo die dies verhindernkoumlnnten naumlmlich beim Bundesparlament und beim Bundesrat Loumlsungsmoumlglichkeiten de lege fe-renda werden ebenfalls zu debattieren sein

[Rz 15] Die FINMA duumlrfte sich wohl des laquoMachttransfersraquo zu ihren Gunsten waumlhrend der juumlnge-ren Vergangenheit bewusst sein Ob sie vor diesem Hintergrund ihre Regulierungspraxis kuumlnftigaumlndern (oder weniger extensiv nutzen) wird bleibt abzuwarten Das Bundesparlament kann sichin jedem Fall nicht aus der Schlussverantwortung verabschieden uumlbt es doch die parlamentarischeOberaufsicht uumlber die FINMA aus (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 16] Eine Verschaumlrfung der Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) waumlre politisch denkbarstellt jedoch keine realistische oder uumlberzeugende Option dar Es gaumlbe fuumlr das Bundesparlamentverschiedene rechtliche Moumlglichkeiten wieder das Regulierungsprimat zu erlangen naumlmlich ndashals Beispiele ndash parlamentarische Genehmigungsvorbehalte ein Verordnungsveto oder eine spezi-

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fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

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FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 4: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

erheblichen Kostenfaktor fuumlr die Finanzindustrie dar doch heikler erscheint die Rechtsgrundla-ge De lege ferenda braucht es Aumlnderungen was zunehmend erkannt wird am 6 Maumlrz 2018 hatder Nationalrat eine entsprechende Motion uumlberwiesen mit dem Titel laquoGewaltentrennung in derFinanzmarktregulierungraquo

B FINMA-Regulierung

[Rz 5] Die Regulierung der FINMA findet weder im laquoluftleeren Raumraquo noch auf der laquogruumlnen Wie-seraquo statt Die FINMA hat im Hinblick auf ihre Rechtssetzungen einerseits die bundesverfassungs-rechtliche Ordnung (zB Art 5 BV) sowie andererseits den bundesgesetzlichen Rahmen (va De-legationsnormen und Art 7 FINMAG) zu beruumlcksichtigen Inhaltlich kann eine Regulierungskom-petenzreduktion zulasten der FINMA festgestellt werden

[Rz 6] Es besteht keine autonome FINMA-Regulierungszustaumlndigkeit dh die Erlasskompeten-zen ergeben sich in erster Linie auf der einen Seite aus gesetzlichen Delegationsnormen (inklusiveDelegationsprinzipien der Rechtsanwendung) sowie auf der anderen Seite aus bundesraumltlichenSubdelegationen Das Aufsichtsrecht hat keine Expansivwirkung und insbesondere dienen die Be-stimmungen zur laquoGewaumlhrraquo der FINMA nicht als allgemeine Erlasskompetenz Art 55 Abs 2FINMAG kommt eine generalisierte Bedeutung zu so dass sich die FINMA in den Rechtsver-ordnungen ndash und umso mehr in hierarchisch tiefer angelegten Rechtsquellen (RundschreibenAufsichtsmitteilungen QampA etc) ndash auf primaumlr laquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung zufokussieren hat Fuumlr den Regulierungsprozess sind die Richtlinien EFD die Leitlinien FINMAsowie die Strategie FINMA zu beachten

[Rz 7] Als formelle Regulierungsinstrumente werden die Rechtsverordnungen und die Rundschrei-ben aufgefuumlhrt (Art 7 Abs 1 FINMAG) hierarchisch darunter finden sich weitere laquoRegularienraquoinsbesondere die Aufsichtsmitteilungen die in der Praxis eine wichtige Rolle spielen Waumlhrenddie Rechtsverordnungen rechts- und allgemeinverbindliche Rechtssaumltze enthalten erscheint imUumlbrigen die Macht des Faktischen nicht weniger bindend

C Rechtsstaatliche Themenbereiche

[Rz 8] Mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen sind rechtsstaatlich heikle Themen verbunden Dabei geht es meist um das Legali-taumltsprinzip um das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip um das Prinzip der Gewaltenteilung sowie umdas Demokratieprinzip Seit langer Zeit durchaus bewaumlhrte Traditionen der Rechtssetzung zumFinanzmarktrecht sind unter diesen Perspektiven zu hinterfragen etwa das Konzept der Rah-mengesetze und das Konzept der prinzipienbasierten Regulierung

[Rz 9] Bei finanzmarktrechtlichen Rahmengesetzen besteht insbesondere das rechtsstaatliche Risi-ko dass das Bundesparlament allzu leichtfertig die regulatorische Inhaltsverantwortung auf tiefe-re Hierarchiestufen abgibt Bei laquowichtigenraquo bzw laquoschwerwiegendenraquo Eingriffen ist dies bundes-verfassungsrechtlich unzulaumlssig (zB Art 164 BV) doch auch bei den uumlbrigen Regelungsinhaltenerscheint es rechtsstaatlich problematisch eine legislative laquocarte blancheraquo fuumlr demokratisch nichtlegitimierte Rechtsverordnungen zu gewaumlhren Es liegt somit am Bundesparlament die gesetzli-chen Delegationsnormen sozusagen inhaltlich zu praumlzisieren

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 10] Seit langer Zeit herrschen auf allen Hierarchiestufen prinzipienbasierte Regulierungen vorIndem weniger Details aber mehr Prinzipien festgehalten werden erfahren die entsprechendenNormen eine nicht unerhebliche normative laquoSchwammigkeitraquo sie werden intensiv auslegungsbe-duumlrftig Mit diesem konzeptionellen Ansatz kommt es erneut zu einer Verantwortungsverschie-bung naumlmlich von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung notabene ndash wie bei allen Behoumlrdenndash durch eine demokratisch nicht legitimierte Bundesbehoumlrde

D (Behoumlrden-)Macht des Faktischen

[Rz 11] Die Macht des Faktischen der FINMA sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei derRechtsanwendung fuumlhrt im Ergebnis zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen Selbst die an sichrechtsunverbindlichen laquoRegularienraquo ndash zB Rundschreiben sowie Aufsichtsmitteilungen ndash wirkenfaktisch verpflichtend fuumlr die Finanzbranche bzw fuumlr die Finanzintermediaumlre bei den Rundschrei-ben etwa besteht eine de facto Befolgungspflicht Im Ergebnis fuumlhrt dies zu einem laquoMachttransferraquoan die FINMA der mit dem Gewaltenteilungsprinzip kollidiert

[Rz 12] Die FINMA kann beispielsweise durch blosses Zuwarten tatsaumlchlichen Druck auf Finanz-intermediaumlre ausuumlben ndash oder durch Briefe oder durch blosse Telefonate Eine solche Macht desFaktischen ist demokratisch nicht legitimiert und kommt in der Rechtssetzung auf der einen Seiteund in der Rechtsanwendung auf der anderen Seite vor

[Rz 13] Die FINMA-Regulierung erscheint ndash unter verschiedenen Perspektiven ndash rechtsstaatlichheikel Das Legalitaumltsprinzip wird beispielsweise unterminiert indem die FINMA immer wiederausserhalb ihres rechtlichen Kompetenzbereichs (Verguumltungen Retrozessionen ETF etc) laquolegi-feriertraquo Teils sind die Regulierungen der FINMA so schwerwiegend dass das Verhaumlltnismaumlssig-keitsprinzip in Frage gestellt wird Die (wirtschaftsrechtliche) Doktrin kritisiert bereits seit langerZeit diese und weitere rechtsstaatliche Probleme heftig

E Loumlsungsvorschlaumlge

[Rz 14] Die FINMA-Regulierung soll ndash trotz rechtsstaatlicher Kritik ndash nicht kategorisch in Fragegestellt werden Diese Regulierungen haben sich im Grossen und Ganzen durchaus bewaumlhrt Esmuss ausserdem festgehalten werden dass die FINMA in vielerlei Hinsicht schlicht ihre Moumlg-lichkeit(en) extensiv nutzt Die rechtliche (und politische) Verantwortung dafuumlr liegt nicht bei derFINMA sondern vielmehr bei den anderen beiden laquoRegulierungszentrenraquo die dies verhindernkoumlnnten naumlmlich beim Bundesparlament und beim Bundesrat Loumlsungsmoumlglichkeiten de lege fe-renda werden ebenfalls zu debattieren sein

[Rz 15] Die FINMA duumlrfte sich wohl des laquoMachttransfersraquo zu ihren Gunsten waumlhrend der juumlnge-ren Vergangenheit bewusst sein Ob sie vor diesem Hintergrund ihre Regulierungspraxis kuumlnftigaumlndern (oder weniger extensiv nutzen) wird bleibt abzuwarten Das Bundesparlament kann sichin jedem Fall nicht aus der Schlussverantwortung verabschieden uumlbt es doch die parlamentarischeOberaufsicht uumlber die FINMA aus (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 16] Eine Verschaumlrfung der Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) waumlre politisch denkbarstellt jedoch keine realistische oder uumlberzeugende Option dar Es gaumlbe fuumlr das Bundesparlamentverschiedene rechtliche Moumlglichkeiten wieder das Regulierungsprimat zu erlangen naumlmlich ndashals Beispiele ndash parlamentarische Genehmigungsvorbehalte ein Verordnungsveto oder eine spezi-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

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FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 5: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 10] Seit langer Zeit herrschen auf allen Hierarchiestufen prinzipienbasierte Regulierungen vorIndem weniger Details aber mehr Prinzipien festgehalten werden erfahren die entsprechendenNormen eine nicht unerhebliche normative laquoSchwammigkeitraquo sie werden intensiv auslegungsbe-duumlrftig Mit diesem konzeptionellen Ansatz kommt es erneut zu einer Verantwortungsverschie-bung naumlmlich von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung notabene ndash wie bei allen Behoumlrdenndash durch eine demokratisch nicht legitimierte Bundesbehoumlrde

D (Behoumlrden-)Macht des Faktischen

[Rz 11] Die Macht des Faktischen der FINMA sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei derRechtsanwendung fuumlhrt im Ergebnis zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen Selbst die an sichrechtsunverbindlichen laquoRegularienraquo ndash zB Rundschreiben sowie Aufsichtsmitteilungen ndash wirkenfaktisch verpflichtend fuumlr die Finanzbranche bzw fuumlr die Finanzintermediaumlre bei den Rundschrei-ben etwa besteht eine de facto Befolgungspflicht Im Ergebnis fuumlhrt dies zu einem laquoMachttransferraquoan die FINMA der mit dem Gewaltenteilungsprinzip kollidiert

[Rz 12] Die FINMA kann beispielsweise durch blosses Zuwarten tatsaumlchlichen Druck auf Finanz-intermediaumlre ausuumlben ndash oder durch Briefe oder durch blosse Telefonate Eine solche Macht desFaktischen ist demokratisch nicht legitimiert und kommt in der Rechtssetzung auf der einen Seiteund in der Rechtsanwendung auf der anderen Seite vor

[Rz 13] Die FINMA-Regulierung erscheint ndash unter verschiedenen Perspektiven ndash rechtsstaatlichheikel Das Legalitaumltsprinzip wird beispielsweise unterminiert indem die FINMA immer wiederausserhalb ihres rechtlichen Kompetenzbereichs (Verguumltungen Retrozessionen ETF etc) laquolegi-feriertraquo Teils sind die Regulierungen der FINMA so schwerwiegend dass das Verhaumlltnismaumlssig-keitsprinzip in Frage gestellt wird Die (wirtschaftsrechtliche) Doktrin kritisiert bereits seit langerZeit diese und weitere rechtsstaatliche Probleme heftig

E Loumlsungsvorschlaumlge

[Rz 14] Die FINMA-Regulierung soll ndash trotz rechtsstaatlicher Kritik ndash nicht kategorisch in Fragegestellt werden Diese Regulierungen haben sich im Grossen und Ganzen durchaus bewaumlhrt Esmuss ausserdem festgehalten werden dass die FINMA in vielerlei Hinsicht schlicht ihre Moumlg-lichkeit(en) extensiv nutzt Die rechtliche (und politische) Verantwortung dafuumlr liegt nicht bei derFINMA sondern vielmehr bei den anderen beiden laquoRegulierungszentrenraquo die dies verhindernkoumlnnten naumlmlich beim Bundesparlament und beim Bundesrat Loumlsungsmoumlglichkeiten de lege fe-renda werden ebenfalls zu debattieren sein

[Rz 15] Die FINMA duumlrfte sich wohl des laquoMachttransfersraquo zu ihren Gunsten waumlhrend der juumlnge-ren Vergangenheit bewusst sein Ob sie vor diesem Hintergrund ihre Regulierungspraxis kuumlnftigaumlndern (oder weniger extensiv nutzen) wird bleibt abzuwarten Das Bundesparlament kann sichin jedem Fall nicht aus der Schlussverantwortung verabschieden uumlbt es doch die parlamentarischeOberaufsicht uumlber die FINMA aus (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 16] Eine Verschaumlrfung der Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) waumlre politisch denkbarstellt jedoch keine realistische oder uumlberzeugende Option dar Es gaumlbe fuumlr das Bundesparlamentverschiedene rechtliche Moumlglichkeiten wieder das Regulierungsprimat zu erlangen naumlmlich ndashals Beispiele ndash parlamentarische Genehmigungsvorbehalte ein Verordnungsveto oder eine spezi-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

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299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

41

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

fische laquoRegulierungsbremseraquo ob dies gangbare Wege waumlren stellt weniger einen rechtlichen alseinen politischen Entscheid dar Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung koumlnnte sogar dieBundesverfassungsgerichtsbarkeit thematisiert werden

II Vorbemerkungen

A Ausgangslage

[Rz 17] Die Finanzmaumlrkte gehoumlren ndash als potentielle oumlkonomische Gefahrenquellen ndash traditionel-lerweise zu den regulierten Maumlrkten beispielsweise in Bezug auf die Marktteilnehmer oder aufdie Marktprodukte Die Finanzmarktregulierung hat sich in den letzten Jahren stark intensiviertund zwar sowohl in der Schweiz als auch im Ausland1 Diese rechtspolitischen Entwicklun-gen der juumlngeren Vergangenheit duumlrften unterschiedliche Ursachen haben2 und werden regel-maumlssig kritisiert unter verschiedenen Aspekten3 im Ruumlckblick kann sogar von einem eigentlichelaquoRegulierungs-Tsunamiraquo4 gesprochen werden

[Rz 18] Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden dass die fi-nanzmarktrechtlichen Rechtssetzungen jeweils von der Rechtspolitik dominiert werden5 Das Pri-mat der Politik geht folglich vor6 nicht zuletzt der Rechtswissenschaft die insofern in erster Liniebloss laquonachvollziehenraquo ndash oder Kritik an der Regulierung formulieren ndash kann Momentan gibt eskein wirtschaftsrechtliches Teilrechtsgebiet das rechtspolitisch so laquoumkaumlmpftraquo ist wie das Finanz-marktrecht bzw die Finanzmarktregulierung

[Rz 19] In der Schweiz findet die Finanzmarktregulierung im Wesentlichen auf drei Hierarchie-stufen und somit in drei laquoRegulierungszentrenraquo statt im Bundesparlament im Bundesrat (BR)7

sowie schliesslich in der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) Waumlhrend das Bundes-parlament direkt und der BR indirekt demokratischen Kontrollen unterstehen trifft dies auf die

1 Vgl Michael Leupold laquoMegatrendraquo Regulierung ndash Folgen und Perspektiven SJZ 103 (2007) 109ndash113 passimPeter Nobel Was heisst laquoUumlberregulierungraquo SZW 86 (2014) 589ndash599 passim

2 Einen zentralen Ausloumlser stellte beispielsweise die Finanz- bzw Bankenkrise 20072008 dar in deren Nachgang fastjegliche (Zusatz-)Regulierung im Finanzsektor als notwendig oder als gerechtfertigt betrachtet wurde Hans Cas-

par von der CroneTatjana Linder Regulierung ( ) in FS fuumlr R von Buumlren (Basel 2009) 723ndash738 735 ff imVordergrund stand die Thematik laquoToo Big to Failraquo (TBTF) Hans Caspar von der CroneIsabelle Monferrini Ka-pital und Notfallplanung ndash Standortbestimmung zur Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute SZW 84 (2012)494 ff Peter V Kunz Too Big to Fail (TBTF) Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Rettung von systemrelevan-ten Finanzinstituten in Jusletter 21 November 2016 passim allg Pierre Tschannen Immer sofort uumlberall ndashVom Umgang des Gesetzgebers mit der Gesetzgebung in Vom Wert einer guten Gesetzgebung (Bern 2014) 159ndash169 160 ff (laquoWege ins Abseitsraquo)

3 Generell Armin JansMarco Passardi Regulierungskritik in Krisenfeste Schweizer Banken (Zuumlrich 2017) 669ndash710 passim Markus Staub Regulierung in der Krise (Zuumlrich 2014) passim Leupold (FN 1) 110 ff Sabine KilgusEffektivitaumlt von Regulierung im Finanzmarktrecht (Habil Zuumlrich 2005) N 418 ff

4Reneacute Boumlsch Grossbankenregulierung ( ) in Kapitalmarkttransaktionen VIII (Zuumlrich 2014) 257 zudem Leu-pold (FN 1) 112 f Urs ZulaufMirjam Eggen Finanzmarktrecht (Zuumlrich 2013) 20 f Nobel (FN 1) 589 ff Fran-co Taisch Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2010) Kapitel 1 N 60 ff der Gesetzgeber leistet im Allgemeinen laquonachwie vor solide Arbeitraquo Tschannen (FN 2) 160 f

5 Hierzu Leupold (FN 1) 110 (laquoSteuerung der Rechtsetzung durch tagespolitische Themenraquo) es gelangt das sogPrinzip der rechtspolitischen Ungebundenheit zur Anwendung Peter V Kunz Finanzmarktregulierung (Basel 2016)zit Kunz Finanzmarktregulierung N 78 Ders Kreuzfahrt durchrsquos schweizerische Finanzmarktrecht (Bern 2014)zit Kunz Finanzmarktrecht 26

6 Unbesehen dessen hat die Politik ebenfalls die Grundrechte zu beachten Vgl dazu hinten III C 27 Zustaumlndiges Departement ist das Eidgenoumlssische Finanzdepartement (EFD)

6

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

FINMA nicht zu Diese Bundesbehoumlrde8 wird gerade unter diesem Aspekt skeptisch beobachtetund teils heftig kritisiert9 tatsaumlchlich scheint die FINMA gelegentlich ein dynamisches Eigenle-ben entwickelt zu haben10 Die rechtsstaatliche Kritik ndash seit Jahren ua durch den Unterzeichnervorgebracht11 ndash trifft primaumlr die FINMA-Regulierung

B Themen

[Rz 20] Es koumlnnen und sollen nicht alle denkbaren (und wichtigen) Themen der Finanzmarkt-regulierung im Allgemeinen sowie der Regulierung der FINMA im Besonderen behandelt wer-den Vielmehr hat eine Auswahl stattzufinden Nebst der Darstellung der Rechtssetzungsgrund-saumltze zum Finanzmarktrecht12 sollen fuumlr die FINMA-Regulierung deren spezifische Rechtsgrund-lagen13 untersucht und in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden Die Regulierung derFINMA wird naumlmlich ebenfalls reguliert

[Rz 21] Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Thematik der Bundesverfas-sungsmaumlssigkeit der Regulierung der FINMA14 die von verschiedenen Seiten ndash notabene rechts-politisch sowie rechtswissenschaftlich ndash angezweifelt wird die Finanzmarktregulierung stellt ei-ne Grundrechtseinschraumlnkung dar15 Unstrittig scheint dass sich die diversen Rechtsquellen derFINMA-Regulierung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterscheiden vor diesem Hintergrund wirdauf Beispiele von Verordnungen Rundschreiben sowie Mitteilungen eingegangen16 Sind dieseFINMA-Regulierungen rechtlich zulaumlssig (oder nicht)

8 Bei der FINMA handelt es sich um eine oumlffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersoumlnlichkeit und mit Sitzin Bern Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht vom 22 Juni 2007 (Finanz-marktaufsichtsgesetz FINMAG SR 9561)

9 Auswahl von politischen Vorstoumlssen Postulat 124095 (Externe und unabhaumlngige Beurteilung der Finma) von StRKonrad Graber Interpellation 123450 (Staumlrkung der Wettbewerbsfaumlhigkeit des Schweizer Finanzplatzes) von NRChristian Luumlscher Postulat 134251 (Effizienz der Finanzaufsicht) von StR Luc Recordon der BR sieht offensicht-lich kaum Handlungsbedarf Vgl dazu hinten IV A 3 c)

10 Zur Gefahr einer laquoEigendynamikraquo der FINMA Peter Nobel Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationaleStandards (3 A Bern 2010) sect 7 N 61 aA

11 Es handelt sich um einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt des Unterzeichners Kunz Finanzmarktrecht (FN 5)25 ff und va 27 ff Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 219 ff Ausgangspunkt der vorliegenden Studie warein Kurzgutachten zur Legalitaumlt eines einzelnen Rundschreibens der FINMA

12 Vgl dazu hinten III D13 Vgl dazu hinten IV A14 Vgl dazu hinten III C15 Vgl dazu hinten III C 216 Vgl dazu hinten IV B

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III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 8: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

III Grundlagen der Finanzmarktregulierung

A Rechtssetzung

[Rz 22] Bei der Rechtssetzung (Regulierung)17 handelt es sich um das Erlassen von Rechtsnormenunbesehen der hierarchischen Regelungsstufe18 Regulierungen sind ndash anders als Selbstregulie-rungen19 ndash immer hoheitlich Rechtsnormen stellen generell-abstrakte Regeln dar bei diesem Be-griffspaar20 bedeutet generell laquojedermann betreffendraquo sowie abstrakt laquolosgeloumlst von einem kon-kreten Einzelfallraquo21 Art 22 Abs 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG)22 haumllt explizit fest laquoAls rechts-setzend gelten Bestimmungen die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter WeisePflichten auferlegen Rechte verleihen oder Zustaumlndigkeiten festlegenraquo23

[Rz 23] Betreffend die Rechtssetzung stehen unter rechtsstaatlichen Aspekten24 zwei legislativeThemen im Vordergrund der Diskussion die Normstufe sowie die Normdichte Hinsichtlich desErfordernisses der genuumlgenden Normstufe geht es darum je laquowichtigerraquo eine Rechtsnorm ist destohoumlher in der Hierarchie muss sie erlassen werden25 Das Erfordernis der genuumlgenden Normdich-te (laquoBestimmtheitsgebotraquo) wird erfuumlllt sofern die Rechtsnorm ausreichend klar und bestimmtfestgelegt wird26 dh der Rechtssatz muss laquoso praumlzise formuliert sein dass der Buumlrger sein Ver-halten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umstaumlndenentsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kannraquo27

[Rz 24] Die Rechtsanwendung bedeutet ndash in Abgrenzung zur Regulierung28 ndash die Anwendungder Rechtssetzung im Einzelfall durch die Rechtsanwender29 also individuell-konkret durch Ver-fuumlgungen (Behoumlrden) auf der einen Seite oder durch Urteile (Gerichte) auf der anderen SeiteIdealtypisch laquovollziehtraquo die Rechtsanwendung die Rechtssetzung ndash mehr nicht ndash und wird daher

17 Rechtssetzung sowie Regulierung stellen Synonyme dar in diesem Sinn Kilgus (FN 3) N 12 Myriam Senn Fi-nanzmarktregulierung ndash Zuruumlckschauend oder vorausschauend SZW 83 (2011) 249ndash263 255

18Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4 A Bern 2016) sect 30 N 2 sowie sect 45N 15 ff Georg MuumlllerFelix Uhlmann Elemente einer Rechtssetzungslehre (3 A Zuumlrich 2013) N 12 ff Chris-toph Errass Kooperative Rechtssetzung (Habil St Gallen 2009) Rz 199 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN5) N 15 ff sowie N 82 ff

19 Vgl dazu hinten IV A 3 b)20

Tschannen (FN 18) sect 45 N 16 Ulrich HaumlfelinWalter HallerHelen KellerDaniela Thurnherr Schweizeri-sches Bundesstaatsrecht (9 A Zuumlrich 2016) N 1113

21Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 vgl ausserdem BGE 135 II 38 45 Erw 43

22 Bundesgesetz uumlber die Bundesversammlung vom 13 Dezember 2002 (Parlamentsgesetz ParlG SR 17110)23

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 16 laquoFolglich sind Finanzmarktregulierungen ( ) generell-abstrakte Be-stimmungen betreffend die Finanzbrancheraquo (Hervorhebung im Original)

24 Allg Christoph B Buumlhler Finanzmarktregulierung im Spannungsfeld von Recht und Politik SJZ 106 (2010)469ndash478 472 ff

25 Vgl Pierre TschannenUlrich ZimmerliMarkus Muumlller Allgemeines Verwaltungsrecht (4 A Bern 2014) sect 19N 16 ff Vorgaben finden sich teils auf der obersten Hierarchiestufe Art 36 Abs 1 Satz 2 der Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 18 April 1999 (BV SR 101) Art 127 Abs 1 BV und Art 164 Abs 1 BV

26 Hierzu TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 19 ff27 BGE 138 IV 13 20 Erw 41 dabei laumlsst sich die Normdichte laquonicht abstrakt festlegenraquo BGE 143 I 253 264 Erw

61 (differenziert wird ua nach dem Adressatenkreis oder der Schwere des Eingriffs aaO) generell Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 19 N 22

28 Teils bestehen Gemeinsamkeiten von Rechtssetzung und Rechtsanwendung Georg Muumlller Recht setzen ndash Rechtanwenden in FS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 753ndash764 754 ff

29 Detailliert die Methodik der Rechtsanwender darstellend Peter V Kunz Sondermethodik zur wirtschaftsrechtli-chen Rechtsanwendung recht 35 (2017) 141 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

durch sie determiniert30 Es kann etwas trivialisiert festgehalten werden Der Rechtsstaat Schweizist weder ein Richterstaat noch ein Beamtenstaat

[Rz 25] Diese konzeptionelle Dichotomie von Rechtssetzung sowie Rechtsanwendung wird in derWirtschaftsrealitaumlt immer wieder (und immer haumlufiger) faktisch ignoriert nicht zuletzt bei derFinanzmarktregulierung und bei der Finanzmarktaufsicht31 Aus Gruumlnden der Rechtsstaatlich-keit ndash Stichwort Gewaltenteilung ndash erscheint dies houmlchst problematisch Der Uumlbergang zwischenRechtssetzung und Rechtsanwendung erfolgt heute bei der FINMA laquofliessendraquo und die laquoAbgren-zung zwischen Regulierung und Verfuumlgung [ist] in der Praxis nicht immer einfachraquo32 Dass nebstRechtssetzung und Rechtsanwendung ausserdem die Macht des Faktischen eine wichtige Rollespielt33 relativiert nicht zuletzt die Rechtssicherheit

B Expansivwirkung des Aufsichtsrechts

[Rz 26] Das Finanzmarktrecht stellt etwas trivialisiert ein Amalgam aus Privatrecht aus oumlffent-lichem Recht sowie aus Strafrecht dar34 dh insofern laquouumlberschneidenraquo sich die verschiedenenRechtsgebiete35 Unbesehen dessen handelt es sich ndash zB beim Privatrecht und beim oumlffentli-chen Recht (inklusive dem finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrecht) ndash um voneinander getrennteRechtsbereiche36 die nicht ohne weiteres miteinander laquoverwobenraquo werden duumlrfen37 Insbeson-dere kommt dem Aufsichtsrecht keine Prioritaumlt gegenuumlber dem Privatrecht zu38

[Rz 27] Vor diesem Hintergrund steht dem Aufsichtsrecht keine expansive Wirkung zu Dies giltebenfalls fuumlr die Kompetenzen der Finanzmarktbehoumlrden die sich folglich nicht ins Privatrechtoder in privatrechtliche Rechtsverhaumlltnisse laquoeinmischenraquo duumlrfen Die FINMA hat diesen Um-stand sowohl bei der Regulierung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten Zahlreiche Fi-nanzmarkterlasse enthalten Bestimmungen zur laquoGewaumlhrraquo daraus kann indes keine allgemeineErlasskompetenz der FINMA abgeleitet werden39

30 Zum Verhaumlltnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung MuumlllerUhlmann (FN 18) N 31 ff vgl Kunz Fi-nanzmarktregulierung (FN 5) N 31 ff mwH

31 Es kommt zu einer eigentlichen laquoVerwischungraquo Vgl dazu hinten V B32

Christine KaufmannPatrick Goumltze Geld- und Waumlhrungsordnung in Schweizerisches BundesverwaltungsrechtBd X (Basel 2011) 79ndash170 N 279 fruumlh wurden Befuumlrchtungen geaumlussert dass die FINMA versucht sein koumlnntelaquoangesichts des grossen politischen Drucksraquo Recht zu setzen durch Verfuumlgungen statt durch Verordnungen (aaO)

33 Vgl dazu hinten V A34

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 9 sowie N 124 ff35

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 10 ff36 Das Verhaumlltnis dieser beiden Rechtsgebiete wird intensiv debattiert Rolf H Weber Finanzdienstleistungen im

Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht SJZ 109 (2013) 405ndash420 406 ff (diskutiert werden zB das laquoKonzeptder zivilrechtlichen Prioritaumltraquo das laquoKonzept der Ausstrahlungswirkungraquo das laquoKonzept der Doppelnormraquo sowiedas laquoKonzept der Normidentitaumltraquo aaO 409 ff) generell Thomas Iseli Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung inJusletter 14 Oktober 2013 Rz 24 ff

37 Das Privatrecht und das oumlffentliche Recht unterscheiden sich in zahlreichen Punkten bundesverfassungsrechtlicheErlasskompetenz zustaumlndige Behoumlrden anzurufende Gerichte Durchsetzungsmoumlglichkeiten sowie HaftungenWeber (FN 36) 415 geht von einer laquorelativen Eigenstaumlndigkeitraquo aus (laquonebeneinander ndash allerdings koordiniertraquo)

38 Zum Verhaumlltnis dieser Rechtsbereiche Daniel Baumann Verhaltensregeln im Finanzmarktrecht ( ) (Diss Bern2017) passim

39 Detailliert Christoph B Buumlhler Gewaumlhrsartikel Regulierung der FINMA an der Grenze von Rechtsetzung undRechtsanwendung SJZ 110 (2014) 25ndash34 28 f (die Gewaumlhrsbestimmung stellt insbesondere keine laquoWildcardraquo zurRegulierung durch die FINMA dar aaO 31) mit den offen formulierten Gewaumlhrsregelungen entsteht ein eigentli-cher laquoMachttransferraquo zur FINMA laquoME kommt der FINMA heute wegen der Unbestimmtheit der normativen Ge-

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[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 28] Es bestehen einige finanzmarktrechtliche Normen die sich auf das Privatrecht und auf dasAufsichtsrecht auswirken (laquoDoppelnormenraquo)40 dies gilt in erster Linie im Zusammenhang mitden Verhaltenspflichten die auf der einen Seite in Art 11 des Boumlrsengesetzes (BEHG)4142 sowieauf der anderen Seite in Art 20 des Kollektivanlagengesetzes (KAG)4344 geregelt sind Der Bezugzwischen Privat- und Aufsichtsrecht ergibt sich in diesen Bereichen indes aus gesetzlichen Be-stimmungen ohne eine solche Gesetzesermaumlchtigung hat die FINMA hingegen keine Kompetenzausserhalb des Aufsichtsrechts45

C Bundesverfassungskonformitaumlt

1 Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen

[Rz 29] Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und muss somit diverse Grundsaumltze rechtsstaatlichen Han-delns im Rahmen von Art 5 BV46 beruumlcksichtigen47 Zu diesen Prinzipien eines Rechtsstaats ge-houmlren beispielsweise das Legalitaumltsprinzip (Art 5 Abs 1 BV) das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art5 Abs 2 BV) sowie schliesslich die Pflicht dass staatliches Handeln laquoim oumlffentlichen Interesse[zu] liegenraquo hat (Art 5 Abs 2 BV)48 Dass Regulierungen ebenfalls ein solches laquostaatliches Han-delnraquo darstellen wird nicht bestritten49

[Rz 30] Die legislative Kompetenz zum Finanzmarktrecht steht heutzutage dem Bund zu (va Art98 BV und Art 99 BV)50 mindestens im Prinzip51 Das Bundesverfassungsrecht haumllt fuumlr diezulaumlssigen Erlassformen von Regulierungen fest dass beim Bundesparlament fuumlr laquorechtssetzen-de Bestimmungenraquo die Bundesgesetze im Vordergrund stehen (Art 163 Abs 1 BV)52 Ebenfallslaquorechtssetzende Bestimmungenraquo darf der BR als Bundesverordnungen erlassen laquosoweit er durch

waumlhrsklauseln in allen Spezialgesetzen faktisch ein (zu) grosses Gewicht zu das unter rechtsstaatlichen Aspektenmit gutem Grund kritisiert wirdraquo (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 41)

40 Zur Thematik Weber (FN 36) 408 ff und 410 ff sowie 415 ff41 Bundesgesetz uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 24 Maumlrz 1995 (Boumlrsengesetz BEHG SR 9541) teil-

weise nicht mehr in Kraft42 Der Effektenhaumlndler hat nicht allein aus Vertrag sondern (zusaumltzlich) auf oumlffentlich-rechtlicher Gesetzesgrundlage

eine Informationspflicht eine Sorgfaltspflicht und eine Treuepflicht Art 11 Abs 1 BEHG43 Bundesgesetz uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 23 Juni 2006 (Kollektivanlagengesetz KAG SR 95131)44 Informations- Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben sich ebenfalls aus Art 20 Abs 1 KAG45 Die FINMA hat allerdings zu diversen privatrechtlichen Themen (zB betreffend Verguumltungen sowie Retrozessio-

nen) reguliert notabene in Rundschreiben sowie in Aufsichtsmitteilungen fuumlr die sie rechtlich unzustaumlndig ist Vgldazu hinten IV B 23

46 Vgl FN 2547 Zur Finanzmarktregulierung Dieter Gericke Funktioniert der Rechtsstaat im Kapitalmarkt in FS fuumlr D Zobl

(Zuumlrich 2004) 359ndash374 passim48 Eine laquoDuplizierungraquo dieser Rechtsstaatsprinzipien zeigt sich im Uumlbrigen bei den Eingriffsschranken fuumlr Grundrech-

te Vgl dazu hinten III C 2 b)49 Statt aller Christoph Winzeler Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011)

N 3N 68 aE zu Art 7 FINMAG50 Zur bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung KaufmannGoumltze (FN 32) N 256 Kunz Finanzmarktre-

gulierung (FN 5) N 46 f51 Eine geteilte Zustaumlndigkeit zwischen Bund und Kantonen besteht einzig bei Kantonalbanken52 Die laquokorrekteraquo Erlassform der (Finanzmarkt-)Regulierung ist Teil der Bundesverfassungskonformitaumlt

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Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verfassung oder Gesetz dazu ermaumlchtigt istraquo (Art 182 Abs 1 BV)53 Es bestehen ausserdem rechts-staatliche Prinzipien zur Delegation54 (und zur Subdelegation)

[Rz 31] Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung wird in der Doktrin ndash mit Blick auf dieGrundrechte ndash festgehalten55 laquoRechtsstaatlichkeit des Kapitalmarktrechts laumlsst sich ( ) dann beja-hen wenn staatliche Einflussnahme auf das Handeln der Marktteilnehmer im oumlffentlichen Inter-esse in verhaumlltnismaumlssiger Weise und gestuumltzt auf genuumlgend bestimmte an den Grundrechtenorientierte Rechtsnormen erfolgt deren wesentlicher Gehalt vom formellen Gesetzgeber vorge-geben ist und all dies der gerichtlichen Pruumlfung unterstehtraquo56

2 Grundrecht(e) gegen Regulierungen

a Auswahl

[Rz 32] Die Schweiz basiert bundesverfassungsrechtlich57 auf einer sozialpflichtigen Marktwirt-schaft mit freiem Wettbewerb Vor diesem Hintergrund koumlnnen sich nicht allein natuumlrliche Perso-nen sondern ndash im Grundsatz ndash ebenfalls Unternehmungen auf Grundrechte berufen58 Im Zu-sammenhang mit wirtschaftlichen Taumltigkeiten stehen die Wirtschaftsfreiheit einerseits59 sowiedie Eigentumsgarantie andererseits60 im Vordergrund61 Bei diesen Grundrechten geht es umAbwehranspruumlche gegen staatliches Handeln62

[Rz 33] Mittels Wirtschaftsfreiheit (Art 27 BV) werden freie privatwirtschaftliche Betaumltigungengeschuumltzt und zwar in einem umfassenden Sinn63 dieses Grundrecht stellt imWesentlichen einelaquoinstitutionelle Garantie zugunsten der Privatwirtschaftraquo dar64 Die Eigentumsgarantie (Art 26BV) sichert das Eigentum als Rechtsinstitut65 die konkreten Nutzungs- sowie Verfuumlgungsrech-te sind durch die Gesetzgebung zu umschreiben wobei die legislativen Freiheiten nicht unbe-

53 Es bedarf maW einer legislativen Delegationsnorm Vgl dazu hinten III D 2 allg Errass (FN 18) Rz 201 f54 Vgl dazu hinten III D 2 a)55 Vgl dazu hinten III C 256

Gericke (FN 47) 361 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) detailliert Nina Reiser Durchsetzung heterogener boumlrsenge-sellschaftsrechtlicher Normen (Habil Zuumlrich 2016) sect 3 N 94 ff

57Kilgus (FN 3) N 361 Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 59 Tschannen (FN 18) sect 6 N 21 ff zudem Geri-cke (FN 47) 360 ff Reiser (FN 56) sect 3 N 91 ad FN 211 Weber (FN 36) 411 (laquosoziale Marktwirtschaftraquo)

58 Zu den juristischen Personen als Grundrechtstraumlgern Klaus A VallenderPeter Hettich St Galler Kommentarndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 26 zu Art 26 BV Klaus A Vallender St Galler Kommen-tar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 46 zu Art 27 BV Felix Uhlmann Basler Kommentar ndashBundesverfassung (Basel 2015) N 28 zu Art 27 BV

59 Art 27 BV laquo1Die Wirtschaftsfreiheit ist gewaumlhrleistet 2Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowieden freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstaumltigkeit und deren freie Ausuumlbungraquo

60 Art 26 BV laquo1Das Eigentum ist gewaumlhrleistet 2Enteignungen und Eigentumsbeschraumlnkungen die einer Enteig-nung gleichkommen werden voll entschaumldigtraquo

61 Vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 45 sowie N 55 ff ebenfalls als bedeutsam kann sich schliesslich dieVereinigungsfreiheit (Art 23 Abs 1 BV) erweisen aaO N 57 aE

62Vallender (FN 58) N 7 zu Art 27 BV Bernhard Waldmann Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015)N 25 zu Art 26 BV

63 Statt aller Vallender (FN 58) N 9 ff sowie va N 12 ff zu Art 27 BV (zur Freiheit unternehmerischer BetaumltigungaaO N 22 ff) Uhlmann (FN 58) N 6 zu Art 27 BV mwH

64Vallender (FN 58) N 91 zu Art 27 BV (aumlhnlich aaO N 98)

65 Vgl VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV

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schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schraumlnkt sind66 Die Eigentumsgarantie umfasst diverse Garantien67 insbesondere die Bestan-desgarantie die Vermoumlgenswertgarantie sowie die Institutsgarantie

[Rz 34] Diese wirtschaftlichen Grundrechte stellen zentrale Saumlulen des schweizerischen Rechtsstaa-tes dar selbst wenn dieses Rechtsverstaumlndnis dem politischen (und medialen) laquoZeitgeistraquo wider-sprechen mag Die Finanzmarktregulierung hat diese Bundesverfassungsgrundlagen zu akzeptie-ren bzw zu integrieren denn sie schraumlnkt ndash notabene unabhaumlngig von der hoheitlichen Hier-archiestufe ndash die prinzipiell freien Wirtschaftsaktivitaumlten beispielsweise der Finanzintermediaumlreein68 Da es sich bei saumlmtlichen Rechtssetzungen jeweils um hoheitliche Eingriffe handelt muumlssendie Grundrechte thematisiert werden

[Rz 35] Um Grundrechte rechtmaumlssig einzuschraumlnken sind die Voraussetzungen gemaumlss Art 36BV kumulativ zu erfuumlllen69 laquo1Einschraumlnkungen von Grundrechten beduumlrfen einer gesetzlichenGrundlage Schwerwiegende Einschraumlnkungen muumlssen im Gesetz selbst vorgesehen sein ( )2Einschraumlnkungen von Grundrechten muumlssen durch ein oumlffentliches Interesse oder durch denSchutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein 3Einschraumlnkungen von Grundrechten muumls-sen verhaumlltnismaumlssig sein 4Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbarraquo70

[Rz 36] Damit besteht ndash betreffend die Rechtsstaatsgrundsaumltze (Art 5 BV)71 ndash eine laquoDuplizie-rungraquo wobei Art 36 BV von der hL als Lex specialis qualifiziert wird72 Grundrechtseingriffe er-folgen durch hoheitliche Aktionen zB durch Rechtsanwendungen aber ebenfalls durch Rechts-setzungen73 sowie durch tatsaumlchliches Handeln74 Im Vergleich zu hoheitlichen (laquoformellenraquo) In-terventionen nehmen in der Wirtschaftsrealitaumlt faktische Einwirkungen immer mehr zu75 und dieMacht des Faktischen stellt eine Grundrechtseinschraumlnkung dar

b Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe

aa Gesetzliche Grundlage

[Rz 37] Jedes staatliche Handeln wozu jegliche Regulierungen zu zaumlhlen sind braucht eine rechtli-che Basis (Art 5 Abs 1 BV)76 Eine solche Rechtsgrundlage ist ebenfalls erforderlich im Hinblick

66VallenderHettich (FN 58) N 13 zu Art 26 BV haumllt zu den Ausgestaltungsmoumlglichkeiten fest laquoEs ist daher davonauszugehen dass der Gesetzgeber keineswegs frei ist hinsichtlich der Umschreibung des Eigentumsinhaltsraquo (Hervor-hebung hinzugefuumlgt)

67 Hierzu statt vieler Waldmann (FN 62) N 34 ff zu Art 26 BV VallenderHettich (FN 58) N 29 zu Art 26 BV68 In der neoklassischen Wirtschaftstheorie wird die Regulierung der Finanzmaumlrkte als eigentliche Wettbewerbsbehin-

derung betrachtet allg Stephan A Zwahlen Kosten-Nutzenanalyse mit Regulatory Scorecards ndash am Beispiel derFinanzmarktregulation (Diss St Gallen 2009) 10

69 Generell HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 302 ff Tschannen (FN 18) sect 7 N 84 ff Regina Kie-

nerWalter Kaumllin Grundrechte (2 A Bern 2013) 89 ff Dieter ZoblStefan Kramer Schweizerisches Kapital-marktrecht (Zuumlrich 2004) N 86 ff VallenderHettich (FN 58) N 39 ff zu Art 26 BV Vallender (FN 58) N 57 ffzu Art 27 BV

70 Diese bundesverfassungsrechtliche Ordnung relativiert im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierung in derSchweiz das Primat der Politik Vgl dazu vorne II A

71 Vgl dazu vorne III C 172

Rainer A Schweizer St Galler Kommentar ndash Bundesverfassung (3 A ZuumlrichSt Gallen 2014) N 8 zu Art 36 BVAstrid Epiney Basler Kommentar ndash Bundesverfassung (Basel 2015) N 7 zu Art 36 BV

73 Regulierungen stellen einen Grundrechtseingriff dar Epiney (FN 72) N 15 zu Art 36 BV74

Epiney (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV zudem Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV75

Schweizer (FN 72) N 2 zu Art 36 BV76 Allg Gericke (FN 47) 359 zudem Tschannen (FN 18) sect 7 N 99 ff

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auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

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299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

auf die Rechtmaumlssigkeit von Behoumlrden die Legalitaumlt der FINMA als solcher sowie das oumlffentli-che Interesse an deren Errichtung sind indes unbestritten77 Die Finanzmarktregulierung fuumlhrt zueiner Einschraumlnkung der Grundrechte der Finanzindustrie78

[Rz 38] Ein solcher Grundrechtseingriff bedarf ndash als erste Voraussetzung79 ndash einer gesetzlichenGrundlage (Art 36 Abs 1 Satz 1 BV)80 ausserdem sieht Art 36 Abs 1 Satz 2 BV vor dass ins-besondere schwerwiegende Einschraumlnkungen in einem formellen Gesetz vorgesehen werden muumls-sen81 dh in diesen Bereichen sind Rechtsverordnungen unzulaumlssig82 Die finanzmarktrechtli-chen Bundesgesetze stellen sog Rahmengesetze dar83 und solche Erlasse genuumlgen prinzipiell demGesetzmaumlssigkeitsgrundsatz zur Einschraumlnkung der Grundrechte84 Bei der Regulierung der FIN-MA stellt das Legalitaumltsprinzip ndash nebst dem Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip85 ndash das zentrale Grund-rechtsproblem dar

[Rz 39] Die Rechtsverordnungen koumlnnen ndash als materielle Gesetze86 ndash zumindest unter bestimmtenVoraussetzungen87 als gesetzliche Grundlage gemaumlss Art 36 Abs 1 BV betrachtet werden Andersverhaumllt es sich indessen im Zusammenhang mit den Rundschreiben der FINMA auf der einenSeite88 sowie mit den in keinem Bundesgesetz erwaumlhnten offizioumlsen Rechtsquellen va mit denAufsichtsmitteilungen auf der anderen Seite89

bb Oumlffentliches Interesse

[Rz 40] Im Grundsatz muumlssen jedes staatliche Handeln sowie alle behoumlrdlichen Taumltigkeiten gemaumlssArt 5 Abs 2 BV im oumlffentlichen Interesse liegen Ausserdem haben Grundrechtseingriffe bei-spielsweise durch eine Regulierung im Allgemeinen sowie durch die Finanzmarktregulierung imBesonderen ebenfalls ndash notabene als zweite Voraussetzung90 ndash im oumlffentlichen Interesse zu stehen

77KaufmannGoumltze (FN 32) N 257 ff

78 Im Vordergrund stehen die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie Vgl dazu vorne III C 2 a)79 Vgl dazu vorne III C 2 a)80

Schweizer (FN 72) N 14 ff zu Art 36 BV Epiney (FN 72) N 29 ff zu Art 36 BV81

VallenderHettich (FN 58) N 42 f zu Art 26 BV Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV generell Uhlmann (FN58) N 39 ff zu Art 27 BV materiell identisch verhaumllt es sich ebenfalls unter dem Aspekte von Art 164 Abs 1 Satz 1BV laquoAlle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen sind in der Form des Bundesgesetzes zu erlassenraquo

82 Zur Thematik KienerKaumllin (FN 69) 103 ff Schweizer (FN 72) N 16 zu Art 36 BV83 Vgl dazu hinten III D 1 ausserdem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff sowie N 249 f Ders Fi-

nanzmarktrecht (FN 5) 30 Martin MonschHans Caspar von der Crone Verfassungsrechtliche Erwaumlgungenzu Informationsverboten der Finanzmarktaufsicht SZW 87 (2015) 651ndash667 654 f Tina BalzliClaudio Ker-

berVanessa Isler Finanzmarktrecht (2 A Zuumlrich 2015) 44 sowie 4984 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 31 Ders Finanzmarktregulierung (FN 5) N 6385 Vgl dazu hinten III C 2 b) cc)86 Als materielle Gesetze werden saumlmtliche generell-abstrakten Normen betrachtet unabhaumlngig der erlassenden Hierar-

chiestufe TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 13 N 7 ff87 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)88 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)89 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)90 Vgl dazu vorne III C 2 a)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

(Art 36 Abs 2 BV)91 Nicht jedes hoheitliche Handeln wie beispielsweise Rechtssetzungen er-folgt eo ipso im oumlffentlichen Interesse92

[Rz 41] Es gibt keinen objektiven Massstab fuumlr legale oumlffentliche Interessen massgeblich erscheintjeweils die Rechtspolitik93 dh ein Numerus clausus moumlglicher Interessen ist a priori ausge-schlossen94 Regulierungen gelten als im oumlffentlichen Interesse stehend wenn sie etwa der Ver-wirklichung effizienter Maumlrkte dienen95 was im Hinblick auf das Finanzmarktrecht regelmaumlssig(mindestens) behauptet werden duumlrfte laquoLeicht zynisch koumlnnte ohne weiteres festgehalten wer-den Irgendein oumlffentliches Interesse fuumlr die Finanzmarktregulierung kann immer aufgefunden ndashoder zumindest politisch konstruiert ndash werdenraquo96

cc Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

[Rz 42] Jedes staatliche Handeln97 unbesehen der Form (zB als Rechtssetzung als Rechtsan-wendung oder als Macht des Faktischen) muss ndash als Element der Rechtsstaatlichkeit ndash verhaumllt-nismaumlssig sein (Art 5 Abs 2 aE BV)98 Betreffend Eingriffe in Grundrechte stellt das Verhaumlltnis-maumlssigkeitsprinzip (Art 36 Abs 3 BV)99 ndash als dritte Voraussetzung100 ndash eine weitere rechtsstaatli-che Huumlrde dar In erster Linie der Rechtssetzer muss vor diesem Hintergrund bei Regulierungenlegislativ mit verschiedenen laquoIm Zweifel-Antwortenraquo reagieren

[Rz 43] laquoErstens sollte im Zweifel auf Regulierungen verzichtet werden zweitens sollte bei Be-jahung eines Interventionsbedarfs im Zweifel eine Selbstregulierung statt einer Regulierungbevorzugt werden und drittens sollte fuumlr den Fall einer hoheitlichen Intervention im Zweifelbloss eine prudentielle Aufsicht statt eines Verbots vorgesehen werdenraquo101 Bei der Regulierungder FINMA stellt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip ndash nebst dem Legalitaumltsprinzip102 ndash das zentraleGrundrechtsproblem dar

[Rz 44] Das Verhaumlltnismaumlssigkeits- bzw Subsidiaritaumltsprinzip umfasst diverse Teilgehalte die Eig-nung die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit (laquoVerhaumlltnismaumlssigkeit ieSraquo) der hoheitlichenIntervention103 Die Eignung setzt voraus dass die Intervention uumlberhaupt geeignet ist um das

91 Generell KienerKaumllin (FN 69) 114 ff VallenderHettich (FN 58) N 45 ff zu Art 26 BV Schweizer (FN 72)N 31 zu Art 36 BV

92 Folglich besteht eine Beweislast des Staates bzw der intervenierenden Behoumlrde dass fuumlr eine konkrete Regulierunguumlberhaupt ein oumlffentliches Interesse ausgewiesen ist

93Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 64

94Epiney (FN 72) N 49 zu Art 36 BV

95Kilgus (FN 3) N 362

96Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 66 aE

97 Betroffen sind alle Staatsfunktionen Markus Muumlller Verhaumlltnismaumlssigkeit ndash Gedanken zu einem Zauberwuumlrfel(Bern 2013) 47 ff

98 Allg Muumlller (FN 97) passim (es handelt sich um das laquoLeitprinzipraquo der rechtsstaatlichen HandlungsmaximenaaO 60) zudem Ulrich HaumlfelinGeorg MuumlllerFelix Uhlmann Allgemeines Verwaltungsrecht (7 A Zuumlrich2016) N 514 ff KienerKaumllin (FN 69) 119 ff

99 Generell Epiney (FN 72) N 53 ff zu Art 36 BV Schweizer (FN 72) N 37 ff zu Art 36 BV100 Vgl dazu vorne III C 2 a)101

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 68 aE diese laquoIm Zweifel-Antwortenraquo sind nicht zuletzt fuumlr die Regulie-rung der FINMA leitend Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)

102 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)103 Hierzu VallenderHettich (FN 58) N 49 f zu Art 26 BV Waldmann (FN 62) N 72 ff zu Art 26 BV

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 15: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

angestrebte Ziel zu erreichen104 Die Erforderlichkeit besagt im Wesentlichen dass der vorgesehe-ne Eingriff nicht uumlber das absolut unerlaumlssliche Mass hinausgehen darf105 Bei der Zumutbarkeitwird schliesslich das Verhaumlltnis zwischen dem Ziel sowie der Intervention betrachtet es gehtmaW um die sog Zweck-Mittel-Relation106

[Rz 45] Das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit erweist sich fuumlr die Finanz-marktregulierung als zentral107 Dies trifft nicht allein auf die Bundesgesetzgebung sondernebenfalls auf die FINMA-Regulierung zu108 Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip im Zusammen-hang mit der Rechtssetzung der FINMA ergibt sich zusaumltzlich durch die Gesetzgebung konkretdurch Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG109110 Insofern wird fuumlr die FINMA verfassungsrechtlichund gesetzlich eine Regulierungskompetenzreduktion vorgesehen111

dd Kerngehaltsgarantie

[Rz 46] Bei der Kerngehaltsgarantie (Art 36 Abs 4 BV)112 ndash als vierte Voraussetzung fuumlr rechtmaumls-sige Einschraumlnkungen von Grundrechten113 ndash handelt es sich sozusagen um die grundrechtlichelaquoNotbremseraquo114 Folglich duumlrfen die Wirtschaftsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie in derenSubstanz legislativ nicht in Frage gestellt werden115 inhaltlich waumlre dies ohne Zweifel ndash als Bei-spiele ndash der Fall wenn es zu umfassenden Taumltigkeitsverboten oder zu einer Verstaatlichung der Fi-nanzindustrie (oder wichtiger Teile davon) kaumlme116

[Rz 47] Der Umstand allein dass es uumlberhaupt eine Finanzmarktregulierung bzw eine Regulie-rung der FINMA gibt verletzt (noch) keinen Kerngehalt eines Grundrechts Paracelsus (Mot-to laquoSola Dosis facit Venenumraquo)117 kommt jedoch nicht zuletzt rechtspolitische Bedeutung zuund angesichts der invasiven Regulierung im Finanzbereich kann festgehalten werden laquoME stehtdie aktuelle Finanzmarktregulierung ndash inklusive den verschiedenen Verboten ndash mit den verfas-sungsrechtlichen Vorgaben in Einklang teilweise kann indes die Kerngehaltsgarantie als geritztbetrachtet werdenraquo118 fuumlr die FINMA-Regulierung sind hingegen das Legalitaumltsprinzip sowiedas Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip bedeutsamer119

104 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 38 zu Art 36 BV105 Vgl Schweizer (FN 72) N 39 zu Art 36 BV106

Schweizer (FN 72) N 40 zu Art 36 BV107

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 67 aE108 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69109 Vgl FN 8110 Statt aller Winzeler (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip

gelangt ausserdem durch die Unterstuumltzung der FINMA fuumlr Selbstregulierungen zum Ausdruck (Art 7 Abs 3 FIN-MAG) Vgl dazu hinten IV A 3 b) zudem Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 69 aE

111 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa)112 Statt aller Epiney (FN 72) N 61 ff zu Art 36 BV113 Vgl dazu vorne III C 2 a)114 MaW hat der laquoinnerste Kernraquo unangetastet zu bleiben KienerKaumllin (FN 69) 69 ff generell Schweizer (FN 72)

N 44 f zu Art 36 BV115 Insofern wird das Primat der Politik relativiert vgl dazu vorne II A vgl VallenderHettich (FN 58) N 51 zu Art

26 BV116 Hierzu Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 70 f117 Allg Reiser (FN 56) sect 3 N 94 aE118

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 71 aE (Hervorhebung im Original)119 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa) sowie cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

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299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

D Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen

1 Finanzmarktrecht

[Rz 48] Das Finanzmarktrecht findet sich auf diversen Hierarchiestufen also in der BV in Bundes-gesetzen in Rechtsverordnungen und in weiteren Rechtsquellen der FINMA120 Es koumlnnen legis-lative Besonderheiten121 festgestellt werden etwa der Umstand dass die meisten Bundesgesetzeder Finanzmarktregulierung (zB Bankengesetz [BankG]122 KAG Finanzmarktinfrastrukturge-setz [FinfraG]123 oder Geldwaumlschereigesetz [GwG]124) als Rahmengesetze ausgestaltet sind125 Diesbedeutet etwas trivialisiert dass das laquoFleisch amKnochenraquo auf der hierarchisch tieferen Stufe derRechtsverordnungen aufzufinden ist

[Rz 49] Das heute aktuell guumlltige vertikale laquoSaumlulenmodellraquo wird momentan umgebaut in ein ho-rizontales laquoDachmodellraquo und zwar durch die Aufhebung bisheriger und den Erlass neuer finanz-marktrechtlicher Bundesgesetze (laquoKleeblattrevisionraquo)126 Weder das alte noch das neue laquoArchi-tekturmodellraquo aumlndern allerdings etwas an der Bedeutung der Bundesgesetze fuumlr die keine Bundes-verfassungsgerichtsbarkeit besteht laquoBundesgesetze ( ) sind fuumlr das Bundesgericht und die ande-ren rechtsanwendenden Behoumlrden massgebendraquo (Art 190 BV)127

2 Delegationen

a Bundesrat sowie FINMA

[Rz 50] Da Rahmengesetze im Bereich des Finanzmarktrechts vorherrschen128 wird die Finanz-marktregulierung in der Schweiz seit einigen Jahren auf die Ebene der Rechtsverordnungen (undauf weitere Ebenen)129 verlagert konkret zum BR einerseits und zur FINMA andererseits Ein sol-cher laquoMachttransferraquo erscheint rechtsstaatlich heikel (Stichworte Gewaltenteilungsprinzip sowie

120 Vgl dazu hinten IV A 3a)b)121 Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 ff122 Bundesgesetz uumlber die Banken und Sparkassen vom 8 November 1934 (Bankengesetz BankG SR 9520)123 Bundesgesetz uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

19 Juni 2015 (Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG SR 9581)124 Bundesgesetz uumlber die Bekaumlmpfung der Geldwaumlscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10 Oktober 1997

(Geldwaumlschereigesetz GwG SR 9550)125 Detailliert Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 ff diese Rahmengesetze erlauben einen rechtsstaatlich

bedenklichen laquoMachttransferraquo an die FINMA Vgl dazu hinten V A126 Statt vieler Rolf H Weber Theorie und Praxis der Finanzmarktregulierung SZW 86 (2014) 577ndash588 583 f

rechtspolitisch kritisch Peter V Kunz Sinn und Unsinn der laquoKleeblattreformraquo NZZ Nr 211 (2014) 21127

Tschannen (FN 18) sect 8 N 6 ff insofern koumlnnen ndash als Beispiel ndash Banken die Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheitdurch bankgesetzliche Regelungen nicht geltend machen selbst wenn diese unverhaumlltnismaumlssig sind generell Hauml-

felinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1929 ff128 Vgl dazu vorne III D 1129 Zahlreiche offizioumlse laquoRegularienraquo der FINMA unterhalb der Verordnungsstufe spielen in der Wirtschaftsrealitaumlt eine

wichtige Rolle Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 17: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoDemokratiedefizitraquo)130 und fuumlhrt immer wieder zu rechtspolitischer Kritik131 und vereinzelt zuGegenmassnahmen des Bundesparlaments132

[Rz 51] Der Begriff laquoVerordnungraquo laumlsst unterschiedliche Rechtsverstaumlndnisse zu133 Die behoumlrdli-chen Rechtsverordnungen stellen materielle Gesetze bzw allgemeinverbindliche Rechtssetzungenauf Hierarchiestufe(n) unterhalb der Gesetzesstufe dar Fuumlr den BR ergibt sich diese Moumlglichkeitndash immerhin vorbehaumlltlich Art 36 Abs 1 Satz 2 BV134 ndash explizit aus Art 182 Abs 1 BV135 De-legationen an andere Behoumlrden ndash in erster Linie an die FINMA ndash sind ebenfalls zulaumlssig soferngewisse Prinzipien beachtet werden136

[Rz 52] Die eigentliche Finanzmarktregulierung findet im Wesentlichen ausserhalb der Bundesge-setzgebung statt naumlmlich insbesondere in Rechtsverordnungen137 auf der einen Seite des BR138

(Beispiele Bankenverordnung [BankV]139 Eigenmittelverordnung [ERV]140 und Liquiditaumltsver-ordnung [LiqV]141)142 sowie ndash meist umstrittener ndash auf der anderen Seite der FINMA (BeispieleAuslandbankenverordnung-FINMA [ABV-FINMA]143 Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA[AVO-FINMA]144 Bankeninsolvenzverordnung-FINMA [BIV-FINMA]145 Finanzmarkt-infrastrukturverordnung-FINMA [FinfraV-FINMA]146 Geldwaumlschereiverordnung-FINMA [GwV-FINMA]147 oder Kollektivanlagenverordnung-FINMA [KKV-FINMA]148)149 Die Macht des Fakti-

130Monschvon der Crone (FN 83) 654 f halten fest laquoRahmengesetze stehen ( ) in einem Spannungsverhaumlltnis zuRechtssicherheit Demokratie und Gewaltenteilungraquo allg Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 f

131 Vor diesem Hintergrund wird momentan intensiv uumlber ein Verordnungsveto debattiert132 Beispielsweise sah das Bundesparlament im Hinblick auf laquoTBTF-Verordnungenraquo einen parlamentarischen Geneh-

migungsvorbehalt vor dies zeigte ein legislatives Misstrauen auf (Kunz Finanzmarktrecht [FN 5] 30 f) und kommtselten vor HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1878

133 Auswahl Rechtsverordnungen ndash selbstaumlndige oder unselbstaumlndige (Tschannen (FN 18) sect 8 N 12) ndash als gesetzesver-tretende Verordnungen oder als Vollzugsverordnungen sowie Verwaltungsverordnungen vgl Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 87 ff HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1859 ff

134 Vgl dazu vorne III C 2 b) aa)135 Vgl dazu vorne III C 1 es braucht also eine ausdruumlckliche Ermaumlchtigung des BR aus der BV oder einem Bundesge-

setz136 Fuumlr Subdelegationen an die FINMA muss insbesondere Art 55 Abs 2 FINMAG beachtet werden vgl dazu hinten

IV A 1 b) bb)137 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 143 (re BR) sowie N 147 (re FINMA)138

HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1869 ff139 Verordnung uumlber die Banken und Sparkassen vom 30 April 2014 (Bankenverordnung BankV SR 95202)140 Verordnung uumlber die Eigenmittel und Risikoverteilung fuumlr Banken und Effektenhaumlndler vom 1 Juni 2012 (Eigen-

mittelverordnung ERV SR 95203)141 Verordnung uumlber die Liquiditaumlt der Banken vom 30 November 2012 (Liquiditaumltsverordnung LiqV SR 95206)142 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 6 zu Art 7 FINMAG143 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die auslaumlndischen Banken in der Schweiz vom 21

Oktober 1996 (Auslandbankenverordnung-FINMA ABV-FINMA SR 9520)144 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunter-

nehmen vom 9 November 2005 (Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA AVO-FINMA SR 9610111)145 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Insolvenz von Banken und Effektenhaumlndlern vom

30 August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung FINMA BIV-FINMA SR 95205)146 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktver-

halten im Effekten- und Derivatehandel vom 3 Dezember 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMAFinfraV-FINMA SR 958111)

147 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Bekaumlmpfung von Geldwaumlscherei und Terrorfinan-zierung im Finanzsektor vom 3 Juni 2015 (Geldwaumlschereiverordnung-FINMA GwV-FINMA SR 9550330)

148 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die kollektiven Kapitalanlagen vom 21 Dezember2006 (Kollektivanlagenverordnung-FINMA KKV-FINMA SR 951312)

149 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

41

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schen zeigt sich zudem ua in Verwaltungsverordnungen150 und in offizioumlsen laquoRegularienraquo derFINMA151

b Delegationsprinzipien

[Rz 53] Die Legislative darf unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtssetzung delegieren andie Exekutive (inklusive Behoumlrden) wodurch das Gewaltenteilungsprinzip relativiert wird152dies ergibt sich auf Bundesebene ndash folglich fuumlr die Finanzmarktregulierung massgeblich ndash insbe-sondere aus Art 36 Abs 1 BV aus Art 164 Abs 2 BV sowie aus Art 182 Abs 1 BV Generellmuumlssen von der Legislative allerdings gewisse Delegationsgrundsaumltze beruumlcksichtigt werden dievom Bundesgericht (fuumlr die Kantonsebene) entwickelt wurden153

[Rz 54] Die Rechtssetzer auf Bundesebene (zB Bundesparlament BR und FINMA) muumlssen dieseGrundsaumltze ebenfalls einhalten so dass vier Prinzipien im Vordergrund stehen154 Erstens dieDelegation darf nicht ausgeschlossen sein durch die BV (zB bei laquowichtigen rechtssetzenden Be-stimmungenraquo gemaumlss Art 164 Abs 1 BV) zweitens es braucht eine Delegationsnorm in einemformellen Gesetz (Art 164 Abs 2 BV Rechtssetzungsbefugnisse koumlnnen nur laquodurch Bundesge-setz uumlbertragenraquo werden) drittens die Delegation muss auf eine bestimmte Materie beschraumlnktsein dh eine die Gewaltenteilung missachtende laquoBlankodelegationraquo waumlre unzulaumlssig viertenslaquowichtigeraquo Inhalte sind schlicht uumlberhaupt nicht delegierbar155

[Rz 55] Ob die FINMA im Rahmen ihrer FINMA-Regulierung kongruent mit den Delegationsprin-zipien ist156 wird zu untersuchen sein dabei geht es nicht allein um ihre Rechtsverordnungen157sondern auch um ihre Rundschreiben158 und um weitere offizioumlse laquoRegularienraquo159 In diesemZusammenhang erscheinen jedoch nicht allein die BV und die bundesgerichtlichen Delegations-grundsaumltze relevant Eine Besonderheit ergibt sich daraus dass es eine spezifische Regulierung fuumlrdie Regulierung der FINMA gibt (konkret Art 7 FINMAG)160

150 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)151 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)152 Das Gewaltenteilungsprinzip bleibt indessen zentraler Massstab fuumlr die Delegationsprinzipien Tschannen (FN 18)

sect 27 N 36 ff153 Statt vieler Schweizer (FN 72) N 16 f zu Art 36 BV KienerKaumllin (FN 69) N 103 ff Tschannen (FN 18) sect 27

N 27 ff allg Rolf H Weber Gedanken zum Regulierungsprozess im Finanzmarktrecht in Law amp Economics(Bern 2015) 457ndash470 460 aus der Praxis zu Gesetzesdelegationen auf kantonaler Ebene BGE 134 I 322 330 Erw262 BGE 128 I 113 120 ff Erw 3

154 Hierzu Tschannen (FN 18) sect 27 N 33 f155 Dieses Kriterium ergibt sich nicht allein aus Art 164 Abs 1 BV sondern ausserdem aus Art 22 Abs 1 ParlG laquoDie

Bundesversammlung erlaumlsst alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzesraquo156 Dies ist rechtlich bedeutsam hat doch die FINMA eben gerade keine selbstaumlndige Rechtssetzungskompetenz betref-

fend Finanzmarktregulierung Bericht des BR laquoDie FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeitraquo vom 18Dezember 2014 2549 vgl Buumlhler (FN 24) 475 Ders (FN 39) 27 sowie 31

157 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)158 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)159 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)160 Vgl dazu hinten IV A 1 b) aa) generell Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 Leitlinien zur Finanzmarkt-

regulierung vom 3 Juli 2013 Rz 3 f es handelt sich um eine der zentralen Neuerungen der Finanzmarktregulie-rung Sabine Kilgus FINMAG und FINMA ndash Behoumlrden(re)organisation oder regulatorische Innovation in FS fuumlrR von Buumlren (Basel 2009) 817ndash844 830

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

IV FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)

A Theorie

1 Rechtssetzungen

a Uumlbersicht

[Rz 56] DieRegulierung der FINMA basiert auf diversen Rechtssetzungen notabene auf unterschied-lichen Hierarchiestufen Die FINMA hat auf der einen Seite die BV (ua mit zahlreichen Prin-zipien der Rechtsstaatlichkeit)161 sowie auf der anderen Seite verschiedene Bundesgesetze mitspezifischen Delegationsnormen zu beachten162 Meist ergibt sich die Regulierungskompetenz derFINMA163 aus gesetzlichen Delegationsbestimmungen

[Rz 57] Beispiele ABV-FINMA (Art 2 Abs 2 BankG) AVO-FINMA (zB Art 9 Abs 3 des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes [VAG]164) BIV-FINMA (Art 28 Abs 2 BankG Art 34 Abs 3 BankGetc) Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung (Daten-verordnung-FINMA)165 (Art 23 Abs 1 FINMAG) FinfraV-FINMA (Art 15 Abs 3 BEHG Art 38FinfraG etc) GwV-FINMA (Art 17 GwG und Art 18 Abs 1 lit e GwG) oder schliesslich KKV-FINMA (zB Art 55 Abs 3 KAG und Art 56 Abs 3 KAG) Teils finden sich indessen Subdelega-tionen vom BR an die FINMA166 Beispiele AVO-FINMA (Art 22a Abs 2 AVO167 Art 42 Abs 2AVO Art 48 Abs 2 AVO Art 50b AVO Art 54 Abs 4 AVO etc) sowie FinfraV-FINMA (Art 30Abs 4 BEHV168 und Art 36 Abs 4 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung [FinfraV]169)

[Rz 58] Den laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung stellt das Finanzmarktaufsichtsgesetz dar aus demsich beispielsweise die laquoRegulierungsgrundsaumltzeraquo (Art 7 FINMAG) einerseits sowie die Ord-nung fuumlr laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 55 FINMAG) andererseits ergeben Das FINMAGkann etwas trivialisiert als Allgemeiner Teil der Finanzmarktregulierung betrachtet werden170

und wurde entsprechend als laquoDachgesetzraquo ausgestaltet171

161 Vgl dazu vorne III C 1162 Massgeblich sind die Delegationsprinzipien der Rechtsanwendung Vgl dazu vorne III D 2 b)163 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 7 ff zu Art 7 FINMAG164 Bundesgesetz betreffend die Aufsicht uumlber Versicherungsunternehmen vom 17 Dezember 2004 (Versicherungsauf-

sichtsgesetz VAG SR 96101)165 Verordnung der Eidgenoumlssischen Finanzmarktaufsicht uumlber die Datenbearbeitung vom 8 September 2011

(Datenverordnung-FINMA SR 956124)166 Zur Thematik der Subdelegation HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1875 ff167 Verordnung uumlber die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9 November 2005 (Aufsichts-

verordnung AVO SR 961011)168 Verordnung uumlber die Boumlrsen und den Effektenhandel vom 2 Dezember 1996 (Boumlrsenverordnung BEHV SR

95411)169 Verordnung uumlber die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel vom

25 November 2015 (Finanzmarktinfrastrukturverordnung FinfraV SR 95811)170

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 136 f Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 29 f171 In diesem Sinn Nobel (FN 10) sect 7 N 78 Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 29 das FINMAG uumlbernimmt die Funkti-

on der Lex generalis in Bezug auf die finanzmarktrechtlichen Spezialerlasse laquoDieses Gesetz gilt soweit die Finanz-marktgesetze nichts anderes vorsehenraquo (Art 2 Abs 1 FINMAG)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung

aa Regulierungsgrundsaumltze

[Rz 59] Die wichtigsten Regulierungsgrundsaumltze fuumlr die FINMA ergeben sich aus Art 7 FIN-MAG172 und zwar in formeller und in materieller Hinsicht Als Rechtsquellen der Regulierungwerden Verordnungen einerseits173 und Rundschreiben andererseits174 explizit aufgefuumlhrt laquoDieFINMA reguliert durch a Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehenist und b Rundschreiben uumlber die Anwendung der Finanzmarktgesetzgebungraquo Weitere laquoRegu-larienraquo die in der Praxis vorkommen175 werden nicht aufgefuumlhrt

[Rz 60] Das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip erweist sich erneut als zentraler Massstab176 insofernwird ersichtlich dass in diesem regulatorischen Bereich die legislativen laquoIm Zweifel-Antwortenraquoebenfalls zur Anwendung gelangen177 es liegt eine Regulierungskompetenzreduktion vor Im Rah-men von Art 7 Abs 2 lit d FINMAG sollen ausserdem die laquointernationalen Mindeststandardsraquobei den FINMA-Regulierungen zum Ausdruck gelangen178 Die FINMA hat ausserdem die Selbst-regulierung zu unterstuumltzen (Art 7 Abs 3 FINMAG)179

bb Ausfuumlhrungsbestimmungen

[Rz 61] Die Hauptverantwortung zur Rechtssetzung betreffend Ausfuumlhrungsbestimmungen liegtgemaumlss Art 55 Abs 1 FINMAG beim BR180 doch kann er die FINMA zur Regulierung beiziehenlaquoEr [sc der BR] kann die FINMA ermaumlchtigen in Belangen von beschraumlnkter Tragweite nament-lich in vorwiegend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu diesem Gesetzund zu den Finanzmarktgesetzen zu erlassenraquo (Art 55 Abs 2 FINMAG)181 Der Gesetzgeber be-schloss den Verzicht auf eine laquoallgemeine Ermaumlchtigungraquo der FINMA182

[Rz 62] Dadurch soll die FINMA-Regulierung formell und ebenfalls materiell hierarchisch unter-geordnet also maW auf der tiefsten Regulierungsstufe lokalisiert sein laquoDamit wird die Hierar-chie der Ausfuumlhrungsnormen gewaumlhrleistet und es wird sichergestellt dass die Regelungen derFINMA sich in die vom Bundesrat erlassenen Regelungen einfuumlgenraquo183

172 Statt aller Kilgus (FN 160) 830 ff Nobel (FN 10) sect 7 N 58 ff173 Vgl dazu hinten IV A 3 a) aa)174 Vgl dazu hinten IV A 3 a) bb)175 Vgl dazu hinten IV A 3 a) cc)176 Art 7 Abs 2 Satz 1 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] reguliert nur soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nouml-

tig istraquo ua Aspekte der Regulierungskosten sowie der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfaumlhigkeit des Finanzplat-zes Schweiz muumlssen beruumlcksichtigt werden Art 7 Abs 2 lit alit b FINMAG zum VerhaumlltnismaumlssigkeitsprinzipBalzliKerberIsler (FN 83) 58 Christoph Winzeler Das laquoEinfallstorraquo der Finanzmarktregulierung ( ) ZSR132 I (2013) 437ndash454 446 Ders (FN 49) N 68 ff zu Art 7 FINMAG

177Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 241

178 Dies setzt ndash aus Gruumlnden der Gewaltenteilung ndash voraus dass sich internationale Aspekte in die entsprechenden De-legationsnormen laquoauswirkenraquo generell Winzeler (FN 49) N 78 zu Art 7 FINMAG Kunz Finanzmarktregulierung(FN 5) N 242 f

179 Vgl dazu hinten IV A 3 b)180

Urs KloumltiPatricia Adams Basler Kommentar BoumlrsengesetzFinanzmarktaufsichtsgesetz (2 A Basel 2011) N 1 ffzu Art 55 FINMAG

181 Hierzu KloumltiAdams (FN 180) N 7 f zu Art 55 FINMAG182 Botschaft zum Bundesgesetz uumlber die Eidgenoumlssische Finanzmarktaufsicht ( ) vom 1 Februar 2006 BBl 2006

2829 2893183 Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893

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[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

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299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 21: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 63] Die gesetzliche Ordnung zum Verhaumlltnis von BR und FINMA kann generalisiert werdenfuumlr die gesamte Regulierung der FINMA184 darunter fuumlr deren Rechtsverordnungen185 Dh esliegt ndash aumlhnlich wie bei Art 7 Abs 2 FINMAG186 ndash eine Regulierungskompetenzreduktion vor187Anders als bei den Regulierungsgrundsaumltzen gemaumlss Art 7 FINMAG ergeben sich hingegen ausArt 55 Abs 2 FINMAG inhaltliche Einschraumlnkungen die FINMA darf nur aber immerhin primaumlrlaquotechnischeraquo Details von beschraumlnkter Bedeutung regulieren188

c Realakte

[Rz 64] Nebst Rechtsakten (sc Rechtssetzung und Rechtsanwendung) gibt es Realakte bei denen essich im Wesentlichen um Verwaltungsmassnahmen handelt die funktional einem Verwaltungs-traumlger zugerechnet werden und fuumlr Dritte wahrnehmbar sind189 im Uumlbrigen scheint fast alles imZusammenhang mit solchen Realakten uneinheitlich und strittig zu sein190 Realakte duumlrfen ndashunter rechtsstaatlichen Aspekten ndash nicht im laquoluftleerenraquo Raum erfolgen MaW muumlssen Tathand-lungen der Verwaltung ebenfalls laquonormativ angeleitetraquo sein191

[Rz 65] Eine abschliessende Aufzaumlhlung moumlglicher Realakte erscheint a priori unmoumlglich192 Im-merhin werden in der Lehre und von der Praxis ndash als Beispiele ndash Auskuumlnfte sowieWarnungen bzwEmpfehlungen als Realakte qualifiziert193 Einmischungen bzw Interventionen durch die Verwal-tung mittels Empfehlungen oAuml haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen194 nichtzuletzt gegenuumlber der Wirtschaft

[Rz 66] Die Doktrin hebt hervor dass auch die Realakte formell und materiell rechtmaumlssig seinmuumlssen (zB betreffend sachliche oumlrtliche oder funktionelle Zustaumlndigkeiten)195 Betont wirdausserdem dass Rechtsschutz gegenuumlber Realakten ebenfalls moumlglich sei naumlmlich wenn laquomittel-bar Rechte und Pflichten des Buumlrgers beruumlhrtraquo sind196 wobei der Betroffene basierend auf dem

184 Dies wird ua daraus ersichtlich dass nicht allein das FINMAG sondern saumlmtliche Finanzmarktgesetze (BankGVAG KAG etc) aufgefuumlhrt werden Art 55 Abs 2 aE FINMAG iVm Art 1 Abs 1 FINMAG generell Winzeler

(FN 49) N 8 zu Art 7 FINMAG Buumlhler (FN 39) 28 (betreffend Positionspapiere der FINMA aaO 31)185 GlM Thomas JutziJanine Muumlller Inlaumlndische Exchange Traded Funds (ETF) GesKR 2017 418ndash440 437186 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)187 Die Marginalie lautet entsprechend laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo188 Vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2893 (laquotechnische Bestimmungen von untergeordneter Be-

deutungraquo) der Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 26 ad FN 10149 haumllt fest laquoIm Vergleich zu den Bundesrats-verordnungen ist ihr Gegenstand technischerraquo vgl Nobel (FN 10) sect 7 N 59 laquoRegulierung auf technischer EbeneraquoKloumltiAdams (FN 180) N 8 zu Art 55 FINMAG Buumlhler (FN 39) 31

189TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 1 f

190 Als Uumlberblick zur Thematik TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 28 N 26 aEsect 38 Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 847N 1408 ff191

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 3 bei Realakten ist somit das Legalitaumltsprinzip zu beachten KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 238 Pascal Ruumledi Zeitungsartikel als Instrument der FinanzmarktaufsichtEinordnung und Uumlberpruumlfung eines Zeitungsartikels der FINMA zum US-Steuerprogramm AJP 24 (2015) 77ndash8579 ad FN 20

192 Kategorisierungen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 7 f mwH193 Zu diesen Beispielen TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 11N 12 dabei werden Warnungen bzw

Empfehlungen (als laquoverfuumlgungsvermeidende Realakteraquo) in aller Regel generell-abstrakt ausgestaltet aaO N 16zudem HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1413 ff

194 Vgl Tschannen (FN 2) 163 f195

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 19196

TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 38 N 21 nichts anderes kann gelten wenn an Stelle einer natuumlrlichenPerson (laquoBuumlrgerraquo) ein Unternehmen betroffen ist

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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)197 eine Verfuumlgung uumlber den Realakt verlangen koumlnne198dieser laquoKoumlnigswegraquo erscheint jedoch fuumlr die Wirtschaftspraxis etwas blauaumlugig199 spielt doch indiesem Zusammenhang die Macht des Faktischen meist die ausschlaggebende(re) Rolle200

2 Zusaumltzliche Grundlagen

a Richtlinien EFD

[Rz 67] Im Jahr 2005 publizierte das EFD ndash ohne gesetzliche Grundlage ndash die Richtlinien EFD201mit denen zum Finanzmarktrecht insbesondere laquoeinheitliche Kriterien zur Evaluation von Re-gulierungsvorhabenraquo geschaffen werden sollten202 Diese Richtlinien EFD die als relativ offenePrinzipien zur Regulierung formuliert sind stammen aus der Zeit vor Erlass des FINMAG werdenaber bundesverwaltungsintern nach wie vor angewendet203

[Rz 68] Die Richtlinien EFD umfassen zehn Grundsaumltze von denen die ersten fuumlnf die laquoAuswir-kungen der Regulierungraquo204 und die zweiten fuumlnf den laquoProzess der Regulierungraquo205 betreffenDie Richtlinien EFD betonen in erster Linie das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (zB Grundsatz 1laquoKostenfolgenraquo Grundsatz 2 laquoSie verfolgen eine verhaumlltnismaumlssige kostenguumlnstige und differen-zierte Regulierungraquo Grundsatz 6 laquoalternative Massnahmenraquo) insofern besteht kein Widerspruchzur aktuellen Rechtslage gemaumlss Art 7 FINMAG206

b Leitlinien FINMA

[Rz 69] Die FINMA hat zur Umsetzung der legislativen Regulierungsgrundsaumltze gemaumlss Art 7FINMAG in Ruumlcksprache mit dem EFD laquoLeitlinienraquo zu erlassen (Art 7 Abs 5 FINMAG)207 Die

197 Bundesgesetz uumlber das Verwaltungsverfahren vom 20 Dezember 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG SR172021)

198 Art 25a VwVG laquo1Wer ein schutzwuumlrdiges Interesse hat kann von der Behoumlrde die fuumlr Handlungen zustaumlndigist welche sich auf oumlffentliches Recht des Bundes stuumltzen und Rechte oder Pflichten beruumlhren verlangen dass siea widerrechtliche Handlungen unterlaumlsst einstellt oder widerruft b die Folgen widerrechtlicher Handlungenbeseitigt c die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt 2Die Behoumlrde entscheidet durch Verfuumlgungraquo vglHaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1429 ff

199 Unbesehen dessen bestehen Rechtsschutzdefizite bei Realakten HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 1425 ff200 Das Vorgehen gemaumlss Art 25a VwVG kann von Unternehmungen regelmaumlssig nicht gewaumlhlt werden auf der einen

Seite aus Zeitgruumlnden und auf der anderen Seite wegen Befuumlrchtungen es sich mit der in Frage stehenden Aufsichts-behoumlrde fuumlr die Zukunft zu laquoverscherzenraquo allg Ruumledi (FN 191) 85

201 Richtlinien fuumlr Finanzmarktregulierung vom September 2005202 Richtlinien EFD (FN 201) 28 (BR Hans-Rudolf Merz) vgl Weber (FN 126) 578 f203 Die legislativen Ambitionen des EFD sind gross sollen doch diese Richtlinien laquoauf alle Finanzmarktregulierungen

(Gesetze Verordnungen Rundschreiben etc) Anwendung findenraquo Richtlinien EFD (FN 201) 48 insofern spielensie auch eine wichtige Rolle fuumlr die FINMA-Regulierung Art 7 FINMAG stellt die laquoKonkretisierung und Gesetz-werdungraquo der Richtlinie EFD dar Kilgus (FN 160) 830 ad FN 35

204 Richtlinien EFD (FN 201) 5 f8205 Richtlinien EFD (FN 201) 6 f8206 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)207 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4 vgl Weber (FN 153) 458 Pascal Zysset Selbstregulierung im Finanzmarkt-

recht ndash Grundlagen verwaltungsrechtliche Qualifikationen und rechtsstaatlicher Rahmen (Diss Bern 2017)N 96 ff in der Regulierungspraxis noch bedeutsamer erscheint ein FINMA-internes laquoHandbuchraquo zur Finanzmarkt-regulierung Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649 vgl Sabine Kilgus Expertengutachten betreffend dieRegulierungs- und Kommunikationstaumltigkeit der FINMA vom 4 August 2014 Rz 93 und Rz 123

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aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

41

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

aktuellen Leitlinien FINMA208 stammen aus dem Jahr 2013209 und die FINMA betont als Zielset-zung dass die laquoGedanken dieser Leitlinie auch in der Selbstregulierung und im internationalenStandardsetzungsprozessraquo gefoumlrdert werden sollen notabene zusammen mit laquonationalen Inter-essengruppenraquo und in laquointernationalen Organisationenraquo210

[Rz 70] Fuumlr die FINMA-Regulierung spielt erneut das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip eine zentraleRolle laquoBevor die FINMA reguliert verschafft sie sich Klarheit uumlber die Problemstellung sowie dieZiele und Dringlichkeit Sie pruumlft ob ein Problem auch durch alternative Massnahmen (zB Ab-warten Anreize Einzelfallentscheide FAQs Selbstregulierung) sachgerecht geloumlst werde kannoder ob ( ) eine Regulierung notwendig istraquo211

[Rz 71] Bei den Leitlinien FINMA geht es im Uumlbrigen auf der einen Seite um den finanzmarkt-rechtlichen laquoRegulierungsprozessraquo212 in dessen Rahmen ndash als Beispiele ndash Abklaumlrungen der FIN-MA zur Ausloumlsung solcher Regulierungsprozesse (Rz 6) Handlungsspielraumlume (Rz 7) Folgen-abschaumltzungen durch die FINMA (Rz 8) die Zusammenarbeit mit dem EFD (Rz 11) der Einbe-zug der Betroffenen (Rz 12) sowie Transparenz (Rz 14) erwaumlhnt werden Auf der anderen Seitewird die Bedeutung der laquoSelbstregulierungraquo213 betont

c Strategie FINMA

[Rz 72] Der Verwaltungsrat (VR) der FINMA legt im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben stra-tegische Ziele fuumlr die mittel- und langfristige Orientierung der Aufsichts- und Regulierungstauml-tigkeiten fest (Art 9 Abs 1 FINMAG) Die aktuelle Strategie FINMA214 betrifft die Jahre 2017 ndash2020 und wurde im Jahr 2016 publiziert215 Die FINMA macht im strategischen Zusammenhanggeltend sie habe aufgrund ihrer institutionellen Unabhaumlngigkeit einen laquoHandlungsspielraumeigene Schwerpunkte zu setzenraquo216 dass mit einem autonomen Ermessen ein dynamisches Eigen-leben217 verbunden sein koumlnnte duumlrfte naheliegend sein

[Rz 73] Die FINMA hat sich mit der Strategie FINMA im Wesentlichen sieben Ziele gesetzt218naumlmlich beispielsweise eine starke Kapitalisierung von Banken und von Versicherungen (Ziel1) eine Entschaumlrfung des TBTF-Problems mittels funktionsfaumlhigen Notfallplaumlnen (Ziel 3) oder

208 Vgl FN 160209 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2549 Uumlbersicht Weber (FN 126) 579210 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 4211 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 7 die Massgeblichkeit des Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzips wird bei der Regulie-

rung als solcher erneut ersichtlich laquoErwaumlgt die FINMA selbst zu regulieren klaumlrt sie das geplante Vorgehen denZeitbedarf die noumltigen Ressourcen und die Zustaumlndigkeiten ab Uumlber geplante und haumlngige Regulierungsvorhabeninformiert sie fruumlhzeitig und regelmaumlssigraquo (aaO Rz 10)

212 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 5 ff213 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff vgl Zysset (FN 207) N 97 ff214 Strategische Ziele 2017 bis 2020 der FINMA vom 16 November 2016215 Zu fruumlheren Strategien Weber (FN 126) 579 f216 Strategie FINMA (FN 214) 214 (Hervorhebung hinzugefuumlgt) diese strategischen Ziele sind zwar vom BR jedoch

nicht vom Bundesparlament zu genehmigen Art 9 Abs 1 lit a FINMAG217 Vgl dazu vorne II A218 Uumlbersicht Strategie FINMA (FN 214) 6 ff14

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die Ermoumlglichung innovativer Geschaumlftsmodelle indem ua laquounnoumltige wettbewerbsbehinderndeRegulierungshuumlrden abgebautraquo werden (Ziel 5)219

[Rz 74] Nebst Ziel 5 besteht mit Ziel 6 eine spezifische Zielsetzung der FINMA in Bezug auf dieFinanzmarktregulierung laquoDie FINMAmisst ( ) der Proportionalitaumlt der Finanzmarktregulierungeine hohe Bedeutung beiraquo220 Traditionellerweise verfolgt die FINMA eine sog prinzipienbasierteRegulierung221 laquoDie FINMA ist von den Vorzuumlgen des prinzipienbasierten Ansatzes uumlberzeugt undsetzt sich in den internationalen Gremien fuumlr dessen Beachtung einraquo222 Mit diesen und mit wei-teren Aumlusserungen in der Strategie FINMA wird somit ndash erneut ndash das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinziphervorgehoben223

3 Rechtsquellen

a Uumlbersicht

aa Rechtsverordnungen

[Rz 75] Unter laquoVerordnungenraquo bzw ndash in Abgrenzung von den Verwaltungsverordnungen224 ndashunter Rechtsverordnungen werden laquogenerell-abstrakte Rechtsnormen [verstanden] die in eineranderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes erlassen werdenraquo225 Zwar do-minieren die Rechtsverordnungen des BR doch anderen Behoumlrden (Beispiel FINMA)226 kann valegislativ ebenfalls eine Erlasskompetenz eingeraumlumt werden227

[Rz 76] Die Bundesverfassungskonformitaumlt von Bundesgesetzen ist mangels Verfassungsgerichts-barkeit auf Bundesebene nicht uumlberpruumlfbar (Art 190 BV)228 Anders sieht es hingegen auf dentieferen Hierarchiestufen aus fuumlr die Art 190 BV keine Anwendbarkeit findet Die unselbstaumln-digen Rechtsverordnungen koumlnnen akzessorisch auf ihre Bundesverfassungskonformitaumlt hin kon-trolliert werden229 wobei eine langjaumlhrige laquoFormelraquo angewendet wird

[Rz 77] laquoBei unselbstaumlndigen Verordnungen die sich auf eine gesetzliche Delegation stuumltzenpruumlft es [sc das Bundesgericht] ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz ein-

219 Diese Zielsetzung aufgrund derer etwa laquogeeignete Bewilligungskategorien fuumlr innovative Finanzdienstleisterraquo ge-schaffen werden sollen (Strategie FINMA [FN 214] 1014) ist am besten vor dem Hintergrund der Digitalisierungder Finanzindustrie (laquoKryptowaumlhrungenraquo etc) zu verstehen

220 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)221 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 138 FN 457 zudem Senn (FN 17) 259222 Strategie FINMA (FN 214) 1114 (Hervorhebung hinzugefuumlgt)223 Nicht ignoriert werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings das Rechtsstaatsrisiko (Stichworte Rechtssicher-

heit sowie Gewaltenteilung) also dass gerade durch eine solche prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung einenicht unerhebliche laquoSchwammigkeitraquo der Regulierung entsteht die fast unweigerlich zu einem laquoMachttransferraquofuumlhren muss einerseits innerhalb der Rechtssetzung (von der Gesetzgebung zur Verordnungsgebung) und anderer-seits von der Rechtssetzung zur Rechtsanwendung

224 Zu den Verwaltungsverordnungen HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1854 Tschan-nenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 88 mwH

225HaumlfelinHallerKellerThurnherr (FN 20) N 1849

226 Vgl dazu hinten IV B 1 b) die Verordnungen der FINMA werden durch deren VR erlassen Art 9 Abs 1 lit c FIN-MAG

227 Vgl dazu vorne III D 2 a)228 Vgl dazu vorne III D 1229 Im Detail Tschannen (FN 18) sect 8 N 13 ff mwH (bis anhin wurden ausschliesslich Verordnungen des BR uumlber-

pruumlft aaO N 16)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

40

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 25: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

geraumlumten Befugnisse gehalten hat Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermaumlchtigt von derVerfassung abzuweichen befindet das Gericht auch uumlber die Verfassungsmaumlssigkeit der unselbstaumln-digen Verordnung Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermes-sensspielraum fuumlr die Regelung auf Verordnungsstufe eingeraumlumt so ist dieser Spielraum ( ) fuumlrdas Bundesgericht verbindlich ( )raquo230 MaW sind solche Rechtsverordnungen nur aber immer-hin unter bestimmten Voraussetzungen uumlberpruumlfbar

[Rz 78] Sollte die Bundesverfassungswidrigkeit also im Bundesgesetz laquovorgegebenraquo sein bleibtsie fuumlr die Rechtsverordnung folgenlos231 Nebst der Bundesverfassungskonformitaumlt kann dieBundesgesetzeskonformitaumlt von Verordnungen uumlberpruumlft werden notabene ohne Einschraumlnkun-gen Es kommt immer wieder vor dass der BR oder andere Behoumlrden bei ihren Rechtssetzungendie gesetzliche Delegationsnorm verletzen was geruumlgt werden darf

[Rz 79] Dass die Rechtsverordnungen eine bzw sogar die zentrale Rechtsquelle der Regulierungder FINMA darstellt ergibt sich explizit aus Art 7 Abs 1 lit a FINMAG laquoDie FINMA reguliertdurch ( ) Verordnungen wo dies in der Finanzmarktgesetzgebung vorgesehen ist ( )raquo232 indiesem Zusammenhang sind diverse Regulierungsgrundsaumltze233 beachtlich Die FINMA ist ins-besondere an saumlmtliche rechtsstaatlichen Grundsaumltze gebunden234

bb Rundschreiben

aaa) Rechtsgrundlage

[Rz 80] Als zweite Rechtsquelle der Regulierung der FINMA werden ausdruumlcklich die Rund-schreiben erwaumlhnt laquoDie FINMA reguliert durch ( ) Rundschreiben uumlber die Anwendung derFinanzmarktgesetzgebungraquo (Art 7 Abs 1 lit b FINMAG)235 in diesem Zusammenhang sind vonder FINMA ndash wie bei den Rechtsverordnungen ndash die Regulierungsgrundsaumltze236 zu beruumlcksichti-gen darunter ua das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip (Art 7 Abs 2 FINMAG)237 In Bezug auf ihreRundschreiben haumllt die FINMA fest

[Rz 81] laquoIn Rundschreiben gibt sie [sc die FINMA] bekannt wie sie unbestimmte Rechtsbegriffemit Blick auf ein bestimmtes Thema anzuwenden gedenkt (Art 7 Abs 1 FINMAG) Diese Rund-schreiben binden die FINMA Sie binden die Beaufsichtigten nicht unmittelbar Die FINMA wirdaber direkt gestuumltzt auf das anwendbare Finanzmarktgesetz eine Verfuumlgung im Einzelfall im Sin-ne des Rundschreibens erlassen wenn ein Beaufsichtigter dessen Vorschriften nicht einhaumlltraquo238

230 BGE 136 II 346 348 Erw 51 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)231

Tschannen (FN 18) sect 8 N 13232 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2649233 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)234

Winzeler (FN 49) N 3 zu Art 7 FINMAG in der Praxis ergeben sich gelegentlich Streitfaumllle zu Rechtsverordnun-gen der FINMA vgl dazu hinten IV B 1 b)

235 Hierzu Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 27 f49 der VR der FINMA beschliesst die Rundschreiben Art 9Abs 1 lit c FINMAG statt aller Zysset (FN 207) N 85 ff

236 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)237 Allg Kilgus (FN 160) 830 BalzliKerberIsler (FN 83) 44 sowie 58238 Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 2 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl Zysset (FN 207) N 87

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 26: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

die darin verwendete Begrifflichkeit laquobinden ( ) nicht unmittelbarraquo legt eine zumindest mittel-bare Bindung durch die Rundschreiben nahe239

[Rz 82] Die Rundschreiben der FINMA sind generell-abstrakt ausgestaltet240 als Bestandteil ihrerRegulierung Die hL geht davon aus dass es sich um Verwaltungsverordnungen handelt241 weilsie im Vergleich zu den Rechtsverordnungen einen laquominderen Geltungsanspruchraquo haben242 Ver-waltungsverordnungen koumlnnen laquoohne weitere Grundlage in Gesetz oder Verordnungraquo erlassenwerden243 Je nach konkretem Inhalt eines Rundschreibens ndash va bei Ausgestaltung als generell-abstrakte Empfehlungen ndash kann es sich ebenso um einen Realakt handeln244 Die Rundschreibengehoumlren jedoch im Rahmen von Art 7 FINMAG ndash konzeptionell ndash zur Rechtssetzung bzw zurRegulierung der FINMA245

[Rz 83] Unbesehen der verwaltungsrechtlichen Rechtsqualifikation von FINMA-Rundschreibenergeben sich Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechte der davon beispielsweise betroffenenFinanzintermediaumlre laquoDie RS der FINMA stellen ndash im Rahmen von Art 36 Abs 1 Satz 1 BV ndash kei-ne ausreichende Gesetzesgrundlage zur Einschraumlnkung von Grundrechten dar Die RS als Verwal-tungsverordnungen sind generell demokratisch nicht legitimiertraquo246 Unbesehen dessen werdendie Rundschreiben in der Praxis befolgt

bbb) Macht des Faktischen

[Rz 84] Bei einer realistischen Betrachtung kann nicht ernstlich bezweifelt werden dass die FIN-MA bewusst Zwang ausuumlbtmittels Rundschreiben wobei ihre Motive allenfalls ehrenvoll sein mouml-gen Der Umstand dass diese Rundschreiben laquonurraquo behoumlrdenverbindlich aber nicht rechts- bzwallgemeinverbindlich sind bzw sein sollen247 verblasst gegenuumlber der Macht des Faktischen die

239 Motto laquoUnd bist Du nicht willig so gebrauche ich hoheitlichen Zwangraquo nichts anderes ergibt sich aus der so-gleich an diese Aussage von der FINMA angefuumlgte laquoVerfuumlgungsandrohungraquo daran aumlndert auch der Umstandnichts dass der BR erklaumlrte laquoDie Rundschreiben haben nicht den Charakter eines Rechtserlassesraquo (Botschaft zumFINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861)

240 Dies steht in Widerspruch zur Intention des BR (vgl Botschaft zum FINMAG (FN 182) BBl 2006 2829 2861 ad FN38) vgl Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG Ders (FN 176) 445

241Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 229 Zysset (FN 207) N 86 Buumlhler (FN 39) 27 Iseli (FN 36) Rz 2 ge-nerell TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 11 ff HaumlfelinMuumlllerUhlmann (FN 98) N 81 ff ebensoBericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 2749 nunmehr BGE 141 II 103 108 Erw 35

242Winzeler (FN 49) N 19 zu Art 7 FINMAG es handle sich bei den Rundschreiben der FINMA sozusagen nur aberimmerhin um laquoSoft lawraquo (aaO)

243Winzeler (FN 49) N 19 aA zu Art 7 FINMAG

244 Vgl dazu vorne IV A 1 c) die Rundschreiben enthalten naumlmlich regelmaumlssig laquomehr oder minder praumlzise Verhalt-ensempfehlungenraquo Winzeler (FN 49) N 19 aE zu Art 7 FINMAG

245 Dies ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut zB in Art 7 Abs 1 FINMAG (laquoreguliertraquo) vgl Richtlinien EFD(FN 201) 48 zudem Nobel (FN 10) sect 7 N 60 (laquoRegelwerkeraquo) und N 61 (laquoErlasseraquo) ZulaufEggen (FN 4) 16KaufmannGoumltze (FN 32) N 278 nichtsdestotrotz scheint die Einordnung umstritten (Beispiel Kilgus [FN 207]Rz 41 aE mwH) eine laquoVerwischung von Rechtssetzung und Rechtsanwendungraquo entsteht Kunz Finanzmarktre-gulierung (FN 5) N 229 die Rundschreiben der FINMA unterstehen vor diesem Hintergrund dem Legalitaumltsprinzipund brauchen jeweils eine materielle Grundlage im Gesetz Winzeler (FN 176) 445

246Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231 (Hervorhebung im Original)

247 Zur laquoAussenwirkungraquo TschannenZimmerliMuumlller (FN 25) sect 41 N 16 aE

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

realiter keinen Widerspruch gegen die FINMA zulaumlsst248 Die Rundschreiben finden daher regu-lationsadaumlquate Beachtung in der Wirtschaftsrealitaumlt249

[Rz 85] DieseMacht des Faktischen fuumlhrt zu einer de facto Befolgungspflicht von Rundschreiben fuumlrdie Finanzbranche bzw die Finanzintermediaumlre250 Selbst die Expertengruppe Brunetti in derauch die FINMA eine Vertretung hatte raumlumte diesen Umstand im Jahr 2014 ein Ihr Schluss-bericht hielt naumlmlich freimuumltig fest dass die laquoRundschreiben [der FINMA] zwar formaljuristischlediglich eine Interpretation der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehoumlrden darstel-len sie faktisch jedoch normativen Charakter aufweisenraquo251

cc Offizioumlse laquoRegularienraquo

[Rz 86] Der FINMA-Regulierung kommt keine Autonomie zu sie ist immer laquoabgeleitetraquo und esbestehen ausschliesslich zwei Rechtsquellen252 die Rechtsverordnungen sowie die RundschreibenDh die Aufzaumlhlung in Art 7 Abs 1 FINMAG erweist sich als abschliessend253 was die eigent-lichen Rechtsquellen anbelangt In der Praxis der FINMA gelangen allerdings zahlreiche weitereoffizioumlse laquoRegularienraquo zur Anwendung254

[Rz 87] Tatsaumlchlich spielen heute in der Wirtschaftsrealitaumlt die entsprechenden laquoRegularienraquo dieals hybride Formen der Finanzmarktregulierung bezeichnet werden255 faktisch sogar eine kaumweniger wichtige Rolle als die Rechtsverordnungen sowie die Rundschreiben der FINMA256 ob-wohl es jeweils an einer Rechtsgrundlage fehlt fuumlr solche offizioumlsen Regulierungsinstrumente257erwaumlhnt werden koumlnnen ndash als Beispiele258 ndash die sog Aufsichtsmitteilungen der FINMA259 dielaquoPositionspapiereraquo die FAQ-Listen (laquoFrequently Asked Questionsraquo) oder informelle Kundgaben(zB Gastkommentare in Medien)260

248 Private koumlnnen die Verletzung von Verwaltungsverordnungen ohnehin nicht geltend machen Haumlfe-

linMuumlllerUhlmann (FN 98) N 87249 Statt vieler Iseli (FN 36) Rz 2 (laquodirekte Folgenraquo) die Ausfuumlhrungen in den Rundschreiben werden in der Wirt-

schaftsrealitaumlt regelmaumlssig wie Rechtssaumltze behandelt (zB in der Compliance Praxis) zur Thematik der Rechts-grundlage bei faktischem Druck Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE dies erscheint rechtsstaatlichumso bedenklicher wenn die FINMA sich zu (Rechts-)Fragen aumlussert fuumlr die sie schlicht nicht zustaumlndig ist vgldazu hinten IV B 2

250 Aumlhnlich Buumlhler (FN 24) 475251 Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie ndash Schlussbericht vom 1 Dezember 2014 An-

hang 1 (laquoRegulierungsprozess und Regulierungsumsetzungraquo) 1124252 Vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)253

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 aE glM Winzeler (FN 176) 444 damit soll sichergestellt werdenlaquodass der FINMA ein ausreichender aber auch nicht zu weit gehender Handlungsspielraum bei ihrer Regulierungzur Verfuumlgung stehtraquo Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 aM zur abschliessenden Aufzaumlhlung der Rechts-quellen Buumlhler (FN 39) 30

254Buumlhler (FN 39) 26 spricht von einem eigentlichen laquoGestruumlppraquo der Regulierung

255 In diesem Sinn Buumlhler (FN 39) 26256

Zysset (FN 207) N 104 ff257 Meist duumlrfte es sich um Realakte der FINMA handeln vgl dazu vorne IV A 1 c)258 Hinweise Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 233 ff zudem Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 ff49259 Vgl Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 35 f49260 Fuumlr Aufsehen gesorgt hat im Jahr 2013 ein Gastkommentar des fruumlheren Direktors der FINMA zum laquoUS Steu-

erstreitraquo Patrick Raaflaub Entscheidende Phase fuumlr Schweizer Banken NZZ Nr 278 (2013) 21 kritisch KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 237 f detailliert Ruumledi (FN 191) 77 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 88] Diese offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA-Regulierung sind zwar effektiv allerdings rechts-staatlich zweifelhaft insbesondere infolge der fehlenden Rechtsgrundlage261 Unstrittig duumlrftesein dass solche laquoRegularienraquo de iure laquonicht aus sich heraus regulatorische Verbindlichkeit be-anspruchenraquo koumlnnen262 Ebenso unstrittig duumlrfte hingegen sein dass die Macht des Faktischen defacto zu ihrer Beruumlcksichtigung in der Praxis fuumlhren (kann)263

b Selbstregulierung

[Rz 89] Die sog Selbstregulierung ist fuumlr das Wirtschaftsrecht im Allgemeinen264 sowie fuumlr dieFinanzmarktregulierung im Besonderen265 von herausragender Bedeutung266 Bei Selbstregulie-rungen geht es etwas trivialisiert267 um nicht-hoheitliche laquoRechtssetzungenraquo durch private Selbst-regulatoren268 Waumlhrend der Staat bei der echten Selbstregulierung uumlberhaupt kein Mitsprache-recht oAuml hat nimmt er bei der unechten Selbstregulierung hoheitlichen Einfluss (zB durch be-houmlrdliche Genehmigung der Selbstregulierung) wahr269

[Rz 90] In der Praxis der Finanzbranche uumlbt die FINMA heutzutage einen intensiven Einfluss aufdie finanzmarktrechtliche Selbstregulierung (und auf deren Entwicklungen) aus270 Die zentraleBedeutung ergibt sich bereits aus dem Gesetz laquoSie [sc FINMA] unterstuumltzt die Selbstregulie-rung und kann diese im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse als Mindeststandards anerkennenund durchsetzenraquo (Art 7 Abs 3 FINMAG) die FINMA beschaumlftigt sich im Uumlbrigen ausfuumlhrlichauch in den Leitlinien FINMA mit der Thematik der Selbstregulierung271

[Rz 91] Die Anerkennung als Mindeststandard gemaumlss Art 7 Abs 3 aE FINMAG basiert auf einemRundschreiben der FINMA272 Es handelt sich im Wesentlichen um eine laquoAllgemeinverbindlich-keitserklaumlrungraquo so dass die entsprechenden Selbstregulierungen fuumlr Nichtmitglieder des Selbstre-gulators ebenfalls massgeblich sind273 Umstritten ist ob infolge einer Anerkennung als Mindest-

261 In diesem Sinn Monschvon der Crone (FN 83) 654262

Winzeler (FN 176) 444263

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 237 aE rechtsstaatlich fragwuumlrdig erscheinen va die Aufsichtsmitteilun-gen vgl dazu hinten IV B 3

264 Statt vieler Peter V Kunz Corporate Governance ndash Tendenz von der Selbstregulierung zur Regulierung in FSfuumlr P Boumlckli (Zuumlrich 2006) 471ndash496 477 f allg Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor ndash laquoEBK-BerichtSelbstregulierungraquo ndash vom Juli 2007 1923

265 Vgl Urs Zulauf Koregulierung statt Selbstregulierung in Jusletter 4 November 2013 Rz 2 Kunz Finanzmarkt-regulierung (FN 5) N 151 ff Winzeler (FN 49) N 79 ff zu Art 7 FINMAG Thomas Jutzi Anerkannte Mindest-standards ( ) der Finanzmarkt(selbst)regulierung in Berner Gedanken zum Recht FG zum SchweizerischenJuristentag 2014 (Bern 2014) 197ndash215 197 ff

266 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 20 ff23 generell Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 58 Zysset (FN 207)N 294 ff

267 Hinweise Kunz (FN 264) 476 f mwH268

Zysset (FN 207) N 189 ff Winzeler (FN 49) N 81 zu Art 7 FINMAG Kunz (FN 264) 483 ff zudem EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 7 ff23

269 Zur Abgrenzung zwischen der echten sowie der unechten Selbstregulierung Zysset (FN 207) N 373 ff Zulauf(FN 265) Rz 16 ff Jutzi (FN 265) 201 ff

270Zulauf (FN 265) Rz 51 ff

271 Vgl dazu vorne IV A 2 b) im Detail Leitlinien FINMA (FN 160) Rz 18 ff272 Rundschreiben 200810ndashSelbstregulierung als Mindeststandard vom 20 November 2008 zur Thematik Win-

zeler (FN 49) N 82 zu Art 7 FINMAG Jutzi (FN 265) passim Zysset (FN 207) N 411 ff273 EBK-Bericht Selbstregulierung (FN 264) 1023

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standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

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299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

standard eine Regulierung statt einer Selbstregulierung vorliege274 wobei rechtsstaatlicheMaumlngelbeim laquoRechtssetzungsprozessraquo unbestreitbar sind bzw waumlren275

[Rz 92] Generell ist festzuhalten dass die rechtsstaatlichen Grundsaumltze ebenfalls im Zusammen-hang mit der unechten durch die FINMA laquogesteuertenraquo Selbstregulierung beachtet werden muumls-sen276 Dies gilt insbesondere fuumlr das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip einerseits sowie fuumlr das Lega-litaumltsprinzip andererseits Teils spricht sich die Doktrin dafuumlr aus dass Art 7 Abs 4 FINMAGwomit die FINMA zu rechtsstaatlicher Transparenz sowie zu Partizipation verpflichtet wird277auch betreffend laquoErlassraquo von Selbstregulierungen beachtet wird278

c Bundesraumltliche Einschaumltzungen

[Rz 93] Zahlreiche politische Vorstoumlsse verlangten vor einigen Jahren eine externe und unabhaumlngigeBeurteilung der FINMA und ihrer Regulierungs- und Aufsichtstaumltigkeiten279 Im Jahr 2014 wurdein diesem Zusammenhang der Bericht BR re FINMA 2014280 publiziert der im Wesentlichen aufeinem Privatgutachten basierte281 Die Regulierung der FINMA wurde vom BR im Allgemeinenals ndash zumindest ndash laquomateriell gerechtfertigtraquo betrachtet282 Fast schon als laquocarte blancheraquo fuumlr dieFINMA hielt der BR zusammenfassend fest

[Rz 94] laquoWas die Einhaltung der Regulierungsgrundsaumltze durch die FINMA betrifft so erachtetder Bundesrat den Vorwurf die FINMA sei einem Regulierungseifer verfallen und reguliere inso-fern nicht verhaumlltnismaumlssig [als] unbegruumlndet ( ) Die von der Branche zuweilen geaumlusserte Be-sorgnis dass Verordnungen und Rundschreiben der FINMA durch das uumlbergeordnete Gesetzes-oder Verordnungsrecht nicht gedeckt sind hat sich nur vereinzelt bestaumltigt Die kritisierten Rege-lungen der FINMA waren jedoch [sic] materiell gerechtfertigt ( )raquo283 Unbesehen dessen formu-lierte der BR eine Empfehlung 6 zuhanden der Behoumlrde

[Rz 95] laquoDer Bundesrat empfiehlt der FINMA mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen dassVerordnungen und Rundschreiben eine genuumlgende rechtliche Grundlage im uumlbergeordnetenGesetzes- oder Verordnungsrecht habenraquo284 Damit wird im Prinzip die rechtsstaatliche Selbst-verstaumlndlichkeit der Rechtmaumlssigkeit formuliert notabene alsAppell ans Legalitaumltsprinzip Was laquoge-

274 Zur Diskussion Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 257 ff mwH275

Jutzi (FN 265) 214 f erachtet solche Selbstregulierungen als objektives Recht (aM Kunz Finanzmarktregulierung[FN 5] N 257 sowie N 259) haumllt jedoch fest dass ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht weil bei der Aner-kennung laquonicht die uumlblichen Grundsaumltze rechtsstaatlichen Handelnsraquo erfuumlllt werden (Jutzi aaO 214)

276 Detailliert Zysset (FN 207) N 548 ff mwH277 Art 7 Abs 4 FINMAG laquoSie [sc die FINMA] sorgt fuumlr einen transparenten Regulierungsprozess und eine angemes-

sene Beteiligung der Betroffenenraquo278 Hinweise Zysset (FN 207) N 704 ff279 Zu den politischen Vorstoumlssen Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 249280 Vgl FN 156281 Konkret Kilgus (FN 207) passim die Gutachterin selber war vorgaumlngig ein langjaumlhriges Mitglied des VR der FIN-

MA282 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349283 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 349 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)284 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 4749 zur Begruumlndung aaO 3349

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eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

40

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

eignete Massnahmenraquo sind bzw sein koumlnnten bleibt ebenso offen wie die Frage ob bzw wie dieFINMA diese bundesraumltliche laquoEmpfehlungraquo umsetzt285

B Praxis

1 Rechtsverordnungen

a Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo

[Rz 96] Die Rechtsverordnungen der FINMA enthalten generell-abstrakte Normen286 und geltenals fuumlr jedermann rechtsverbindlich Diese Behoumlrdenverordnungen basierend287 entweder auf fi-nanzmarktrechtlichen Bundesgesetzen oder auf bundesraumltlichen Delegationsnormen sind recht-lich uumlberpruumlfbar288 und zwar auf ihre Bundesgesetzeskonformitaumlt sowie auf ihre Bundesverfas-sungskonformitaumlt Der Bundesrat empfahl zudem der FINMA sicherzustellen dass ihre Rechts-verordnungen eine laquogenuumlgende rechtliche Grundlage ( ) habenraquo289

[Rz 97] In der Wirtschaftsrealitaumlt wird vermutlich primaumlr aus praktischen Gruumlnden (beispiels-weise aus Zeitgruumlnden) zwischen der FINMA und ihren Beaufsichtigten selten prozessiert betref-fend die Legalitaumlt der Rechtsverordnungen290 Wenn die FINMA gerichtlich unterliegt erfolgt inaller Regel eine legislative laquoKorrekturraquo der Rechtslage (beispielsweise mit Art 120 Abs 3 FinfraGzur boumlrsenrechtlichen Meldepflicht)291 Die bundesgerichtliche Praxis zur Finanzmarktregulie-rung erscheint teils etwas rechtspolitisch oder pragmatisch motiviert292

b Beispiele sowie Gesamtschau

[Rz 98] Die FINMA sah ehemals in Art 9 Abs 2 aBEHV-FINMA eine boumlrsenrechtliche Meldepflichtvon Vermoumlgensverwaltern fuumlr auf Rechnung von Dritten gehaltene Beteiligungen vor wobei Art20 Abs 5 a BEHG als Delegationsnorm dienen sollte Das Bundesgericht gelangte ndash als erstesBeispiel ndash in einem Urteil aus dem Jahr 2013293 allerdings zum Ergebnis dass diese Verordnungs-bestimmung gesetzeswidrig war laquoEn conclusion lrsquoart 9 al 2 OBVM-FINMA ( ) ne correspondpas au sens veacuteritable de lrsquoart 20 al 1 LBVM ( )raquo294

285 In den Jahren 20162017 wurden diverse parlamentarische Vorstoumlsse eingereicht die sich kritisch mit den Regu-lierungen der FINMA (va mit deren Rundschreiben) befassen der BR zeigt sich durchaus bereit entsprechendeMotionen zu uumlbernehmen was belegt dass zur Thematik offensichtlich seit dem Jahr 2014 ein bundesraumltlicherMeinungsumschwung stattgefunden hat vgl dazu hinten VI A

286 Vgl dazu vorne III A287 Vgl dazu vorne IV A 1 a)288 Vgl dazu vorne III D 2 b)289 Vgl dazu vorne IV A 3 c)290 In BGE 141 II 103 (vgl Pra 104 [2015] Nr 110) wurde irrtuumlmlich eine laquoordinanza FINMA 20085raquo (sc Verordnung)

erwaumlhnt (BGE 141 II 103 108 Erw 35) tatsaumlchlich ging es da um das laquocircolare 20085raquo291

Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148 mwH in FN 512292 BGE 143 I 253 267 Erw 652 vgl dazu hinten IV B 1 b)293 Detailliert Kunz Peter V Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20122013

( ) ZBJV 151 (2015) 175 ff mwH294 Urteil des Bundesgerichts 2C_982013 vom 29 Juli 2013 Erw 68 (vgl Pra 103 [2014] Nr 78 in deutscher Uumlber-

setzung laquoFolglich entspricht Art 9 Abs 2 BEHV-FINMA [ ] nicht dem wahren Sinn von Art 20 Abs 1 BEHGraquo[Erw 68 aA]) zudem Dieter GerickeDaniel Kuhn Boumlrsenrechtliche Offenlegungspflicht des Vermoumlgensver-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 31: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 99] Im Jahr 2017 aumlusserte sich das Bundesgericht ndash als zweites Beispiel ndash zur Datenverordnung-FINMA die auf Art 23 Abs 1 FINMAG abgestuumltzt wird und zwar im Zusammenhang mit dersog Watchlist (BGE 143 I 253)295 Es anerkannte dass mit dem Register ein schwerer Eingriffins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 13 Abs 2 BV) gegeben ist296 Trotz Inhalts-kritik des Bundesgerichts297 wurde die Bundesgesetzkonformitaumlt der Datenverordnung-FINMAbetreffend Art 23 Abs 1 FINMAG bejaht wobei die Zweckbestimmung (Art 5 FINMAG)298 sowieangebliche laquoRealienraquo299 angefuumlhrt wurden

[Rz 100] In einer Gesamtschau erweisen sich viele Rechtsverordnungen der FINMA ndash mindestensin Teilbereichen ndash als laquoausuferndraquo und als rechtsstaatlich heikel Insbesondere wird das gesetzli-che300 und das verfassungsrechtliche301 Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip teils rechtssetzend ignoriertund zwar ebenso wie die sich aus Art 55 Abs 2 FINMAG ergebende Regulierungskompetenzreduk-tion der FINMA302 Die schwerwiegenden Eingriffe303 koumlnnen nicht auf breite Zweckbestimmun-gen304 oder auf offene Delegationsnormen305 abgestuumltzt werden306

2 Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 101] Die Rechtsqualifikation der Rundschreiben der FINMA steht zwar nicht abschliessendfest es duumlrfte sich jedoch in aller Regel um Verwaltungsverordnungen handeln307 Diese Rund-

walters ( ) GesKR 2014 93 ff Philipp H Haberbeck Verletzung der boumlrsenrechtlichen Meldepflicht ( ) SZW87 (2015) 124 ff Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 148

295 Statt vieler Thomas GrobHans Caspar von der Crone Die Rechtsstaatlichkeit der FINMA-Watchlist SZW 89(2017) 851ndash861 851 ff

296 BGE 143 I 253 263 Erw 48 vgl Grobvon der Crone (FN 295) 855297 Die bundesgerichtliche Kritik an der Ausgestaltung der Rechtsverordnung der FINMA betraf zB die lange Aufbewah-

rungsfrist von zehn Jahren nach der letzten Eintragung (Art 9 Datenverordnung-FINMA BGE 143 I 253 261 Erw45) oder das Fehlen einer Informationspflicht von Amtes wegen (BGE 143 I 253 262 Erw 47) diese Kritik fuumlhrtedazu dass regulatorische Aumlnderungen durch die FINMA initiiert wurden Grobvon der Crone (FN 295) 854

298

299 Weniger rechtlich als rechtspolitisch argumentierend (und damit die Gewaltenteilung relativierend) laquoDie Ereignisseauf den Finanzmaumlrkten im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben im Uumlbrigen gezeigt dass eine strikte Kon-trolle des Geschaumlftsgebarens im Finanzmarkt notwendig istraquo (BGE 143 I 253 267 Erw 652 Hervorhebungen hin-zugefuumlgt) das Bundesgericht scheint argumentativ hier geradezu dem pragmatischen Motto laquoDer Zweck heiligt dieMittelraquo zu folgen

300 Art 7 Abs 2 FINMAG vgl dazu vorne IV A 1 b) aa)301 Art 5 Abs 2 BV vgl dazu vorne III C 2 b) cc)302 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)303 Art 164 Abs 1 BV vgl dazu vorne III D 2 b) es sind zwar nicht saumlmtliche Normen der Verordnungen der FINMA

als schwerwiegend zu qualifizieren aber doch eine nicht unerhebliche Vielzahl davon304

JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoZweckartikel sollen eine beschraumlnkte normative Funktion innehabenraquo305 BGE 143 I 253 Erw 63 laquoSoweit das formelle Gesetz somit keine inhaltlichen Konkretisierungen enthaumllt beschraumlnkt

sich die Delegation auf das im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks Unab-dingbare dh minimal Notwendigeraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) vgl ausserdem Grobvon der Crone (FN 295)857 f

306 Die heutige Regulierungspraxis der FINMA stellt mindestens zT einen demokratisch nicht legitimiertenlaquoMachttransferraquo an eine Behoumlrde dar Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE aus Art 164 BV laquoergibt sichdass die grundlegenden Vorschriften in den fuumlr die Rechtsunterworfenen zentralen Belangen in einem formellenGesetz geregelt werden und kein wichtiger Regelungsbereich den direkt-demokratischen Einwirkungsmoumlglichkei-ten entzogen wirdraquo BGE 143 I 253 264 Erw 61

307 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 32: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

schreiben sind demokratisch nicht legitimiert und reichen insbesondere nicht aus als Gesetzes-grundlage um Grundrechte einzuschraumlnken (Art 36 Abs 1 BV)308

[Rz 102] Es kommt in derWirtschaftsrealitaumlt selten vor dass uumlber Rundschreiben der FINMA pro-zessiert wird immerhin kann BGE 137 II 284 als Ausnahme zur Regel erwaumlhnt werden309 Indiesem Entscheid aus dem Jahr 2011 hielt das Bundesgericht ua fest dass ein Rundschreibender FINMA ndash konkret Rundschreiben der FINMA 20088 (laquoOumlffentliche Werbung im Sinne derGesetzgebung uumlber die kollektiven Kapitalanlagenraquo) ndash als Auslegung des Gesetzes laquozu strengraquoausfiel und somit laquodurch Art 3 KAG nicht gedecktraquo war310

[Rz 103] Die Rundschreiben stellen ein aumlusserst beliebtes Regulierungsinstrument dar Die FINMAhat mehr als 50 Rundschreiben verabschiedet311 Im Folgenden wird auf einige Rundschreibender FINMA kurz eingegangen und zwar zu vier Themen Verguumltungssysteme312 Rechnungsle-gung313 Vermoumlgensverwaltung314 sowie Corporate Governance315

b Verguumltungssysteme

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 104] Entschaumldigungen (zB Loumlhne) bzw Verguumltungen bei Unternehmungen stellen ein Themades Privatrechts dar Massgeblich sind privatrechtliche Vereinbarungen zwischen den Gesellschaf-ten sowie ihren Mitarbeitern und damit in erster Linie das Arbeitsrecht (Art 319 ff des Obligatio-nenrechts [OR]) sowie das Auftragsrecht (Art 394 ff OR) die Zustaumlndigkeiten auf der Seite derUnternehmungen ergeben sich primaumlr aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht Die Verguumltungs-systeme stellen Teil der Oberleitung der Gesellschaft dar und gehoumlren somit in den Zustaumlndig-keitsbereich des VR (zB Art 716a Abs 1 Ziff 1 OR)316

[Rz 105] Bei Verguumltungen bzw Verguumltungssystemen von Privatunternehmungen kann der Staateinzig aufgrund einer Rechtssetzung intervenieren Dies kommt einzig in Ausnahmefaumlllen vornaumlmlich bei der laquoAbzockerraquo-Thematik und bei der TBTF-Thematik

[Rz 106] Aufgrund der Volksinitiative laquogegen die Abzockereiraquo und der aktuellen Regelung vonArt 95 Abs 3 BV hat der BR uumlbergangsrechtlich die Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungenbei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV)317 erlassen die zahlreiche Regelungen zu den

308Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 231

309 Das Urteil wurde auch vom BR erwaumlhnt Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3349310 BGE 137 II 284 293 Erw 531 aA311 Uumlbersicht Winzeler (FN 49) N 20 ff zu Art 7 FINMAG zu gerichtlichen Auseinandersetzungen fuumlhren Rund-

schreiben selten wobei als Ausnahme ein Urteil aus dem Jahr 2015 erwaumlhnt werden kann BGE 141 II 103 (deut-sche Uumlbersetzung des italienischen Textes Pra 104 [2015] Nr 110)

312 Vgl dazu hinten IV B 2 b)313 Vgl dazu hinten IV B 2 c)314 Vgl dazu hinten IV B 2 d)315 Vgl dazu hinten IV B 2 e)316 Als Grundlagen fuumlr die Kompetenz des VR koumlnnten auch Art 716a Abs 1 Ziff 3 des Bundesgesetzes betreffend die

Ergaumlnzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fuumlnfter Teil Obligationenrecht) vom 30 Maumlrz 1911 (OR SR220 laquoFinanzplanungraquo) oder Art 716 Abs 1 OR angefuumlhrt werden

317 Verordnung gegen uumlbermaumlssige Verguumltungen bei boumlrsenkotierten Aktiengesellschaften (VeguumlV) vom 20 November2013 SR 221331

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Verguumltungen bei Publikumsgesellschaften (sc AG mit kotierten Beteiligungspapieren)318 enthaumllt319eine rechtsstaatlich saubere Loumlsung ndash also auf Ebene eines Bundesgesetzes ndash soll schliesslich dieaktuelle laquogrosseraquo Aktienrechtsrevision bringen320

[Rz 107] Betreffend TBTF wird eine gesetzliche Ausnahmeregelung zu den Verguumltungen bei sys-temrelevanten Banken vorgesehen indes nur fuumlr Notfaumllle321 laquoWird einer systemrelevanten Bankoder ihrer Konzernobergesellschaft trotz Umsetzung der besonderen Anforderungen direkt oderindirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewaumlhrt so ordnet der Bundesrat fuumlr die Dau-er der beanspruchten Unterstuumltzung gleichzeitig Massnahmen im Bereich der Verguumltungen anraquo(Art 10a Abs 1 BankG)322 Diese Ordnung kann nicht generalisiert werden323

bb Kritik

[Rz 108] Die FINMA erliess am 21 Oktober 2009 dasRundschreiben 20101 (laquoVerguumltungssystemeraquo)mit dem laquoMindeststandards fuumlr Verguumltungssysteme bei Finanzinstitutenraquo324 ndash naumlmlich bei Ban-ken bei Versicherungen bei Effektenhaumlndlern bei Fondsleitungen bei kollektiven Kapitalan-lagen etc ndash gesetzt werden (sollten) Die FINMA haumllt fest laquoDieses Rundschreiben ergaumlnzt fuumlrFinanzinstitute die Regeln des Obligationenrechts sowie die boumlrsenrechtlichen Offenlegungsvor-schriften zu Verguumltungen ersetzt sie aber nicht ( )raquo325

[Rz 109] Als Adressaten des FINMA-Rundschreibens werden unmittelbar laquoFinanzinstituteraquo (Ban-ken etc) genannt Finanzinstitute ab gewissen quantitativen Schwellenwerten laquomuumlssen das Rund-schreiben zwingend umsetzenraquo326 bei den uumlbrigen Unternehmungenwird indes das Heranziehendes Rundschreibens zumindest laquoempfohlenraquo327 Beim Rundschreiben 20101 handelt es sich ein-zig um laquoMindeststandardsraquo fuumlr die Finanzbranche328 wobei es in erster Linie um Verguumltungen fuumlrdie VR einerseits und fuumlr die GL andererseits geht329

318 Hierzu Art 1 Abs 1 VeguumlV319 Beispielsweise wird in Art 13 ff VeguumlV der sog Verguumltungsbericht geregelt die Entscheidkompetenz fuumlr die Ver-

guumltungen liegt indessen immer bei den Aktionaumlren dh keine Behoumlrde kann insofern bei den privatrechtlichenVerguumltungssystemen intervenieren

320 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23 November 2016 BBl 2017 399 ff vgl Art732 ff E-OR (BBl 2017 683 722 ff) und va Art 734 ff E-OR zum Verguumltungsbericht

321 Vgl Kunz (FN 2) Rz 67 f322 Der BR kann ua variable Verguumltungen ganz oder teilweise verbieten und die Anpassung des Verguumltungssystems

anordnen Art 10a Abs 2 BankG systemrelevante Banken sind gesetzlich verpflichtet verbindliche Vorbehalte inihren Verguumltungssystemen aufzunehmen Art 10a Abs 3 BankG

323 Bei systemisch bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen fehlt in Art 22 ff FinfraG eine vergleichbare Gesetzesbestim-mung und Art 10a BankG kann nicht analog angewendet werden Kunz (FN 2) Rz 97

324 So lautet der Untertitel von FINMA-Rundschreiben 20101 ndash Verguumltungssysteme vom 21 Oktober 2009325 Rundschreiben 20101 Rz 3 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) eine Rechtsgrundlage fuumlr diese Subsidiaumlrfunktion des

Rundschreibens wird nicht genannt die FINMA ignoriert zudem die Tatsache dass dieses Rundschreiben in derPraxis nicht subsidiaumlr sondern als Lex specialis angewendet wird

326 Rundschreiben 20101 Rz 6 aA zu den Schwellenwerten aaO Rz 6 f327 Rundschreiben 20101 Rz 8 zusaumltzlich hielt die FINMA fest laquoDie FINMA kann ein Finanzinstitut unterhalb

der Schwellenwerte von Rz 6 und 7 in begruumlndeten Faumlllen verpflichten einzelne oder saumlmtliche Bestimmungenumzusetzenraquo (aaO Rz 9 aA)

328 Rundschreiben 20101 Rz 2 aA329 Rundschreiben 20101 Rz 10

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

41

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 34: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 110] Im Wesentlichen sieht Rundschreiben 20101 zehn laquoGrundsaumltzeraquo zur Ausgestaltung vonVerguumltungssystemen im Finanzsektor vor330 die teils weit mehr umfassen als blosse Prinzipienoder behoumlrdliche Empfehlungen (bzw Appelle der FINMA) an die Finanzinstitute beispielsweisewerden ein Verguumltungsreglement einerseits331 sowie ein jaumlhrlicher detaillierter Verguumltungsberichtandererseits332 vorgeschrieben Das Verguumltungssystem soll keine falschen Anreize fuumlr Personenmit Kontrollfunktionen geben (Stichwort Interessenkonflikte)333

[Rz 111] Im Uumlbrigen erfolgt indes eine konkrete Einmischung in die Verguumltungspolitik des VR Bei-spiel 1 laquoJe mehr strategische oder operative Verantwortung eine Person traumlgt desto staumlrker mussauch ihre Verguumltung die von ihr zu verantwortenden Risiken einbeziehenraquo334 Beispiel 2 laquoBeischlechtem Geschaumlftsverlauf wird der Gesamtpool massgeblich reduziert oder entfaumlllt vollstaumln-digraquo335 Beispiel 3 laquoAntritts- und Abgangsentschaumldigungen sind nur in begruumlndeten Faumlllen aus-zurichten Sie sind im Verguumltungsreglement zu regeln ( )raquo336

[Rz 112] Mit der Qualifikation des Rundschreibens als Verwaltungsverordnung337 ist unverein-bar dass gewisse Finanzinstitute als Adressaten zwingend durch das Rundschreiben verpflichtetwerden (koumlnnen)338 Das Rundschreiben 20101 ging und geht laquobetraumlchtlichraquo uumlber die Selbst-regulierung hinaus339 und ist materiell als nicht verhaumlltnismaumlssig zu bezeichnen340 gerade etwaim Zusammenhang mit behoumlrdlichen Eingriffen ins Privatrecht341 Als rechtsstaatlich heikel er-weist sich ausserdem dass mit diesem Rundschreiben der FINMA eine weitere laquoVerwischungraquovon Rechtssetzung und von Rechtsanwendung erfolgt342

[Rz 113] Diverse laquoWuumlnscheraquo bzw Vorgaben der FINMA moumlgen durchaus sinnvoll erscheinen(oder der gelebten Wirklichkeit der Finanzindustrie entsprechen) stehen indes nicht im behoumlrd-lichen Ermessen weil es um Zustaumlndigkeiten des VR geht343 (zB die Langfristigkeit344 sowie die

330 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff331 Rundschreiben 20101 Rz 18 ausserdem muss uU ein spezifischer Entschaumldigungsausschuss eingesetzt werden

(aaO Rz 21)332 Rundschreiben 20101 Rz 62 ff333 Rundschreiben 20101 Rz 57 ff dem gleichen Schutzgedanken folgt ein anderes Rundschreiben zur Corporate

Governance bei Banken laquoDas Entschaumldigungssystem fuumlr Mitarbeiter der internen Revision darf keine Anreizesetzen die zu Interessenkonflikten fuumlhrenraquo (Rundschreiben 20171 Rz 90)

334 Rundschreiben 20101 Rz 32335 Rundschreiben 20101 Rz 42336 Rundschreiben 20101 Rz 47337 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)338 Rundschreiben 20101 Rz 6 ff die uumlbrigen Finanzinstitute werden das Rundschreiben de facto befolgen (muumlssen)

was denn auch der Wirtschaftsrealitaumlt entspricht339 Hierzu Zulauf (FN 265) Rz 16 ad FN 23 (Ziff 4)340 Daruumlber kann die Aussage der FINMA nicht hinwegtaumluschen dass bei der Anwendung des Rundschreibens dem

laquoPrinzip der Verhaumlltnismaumlssigkeit Rechnung zu tragen ist Rundschreiben 20101 Rz 2341 Als Beispiel fuumlr den laquoprivatrechtlichen Interventionismusraquo der FINMA kann Rundschreiben 20101 Rz 26 ange-

fuumlhrt werden laquoDas Finanzinstitut stellt sicher dass die vertraglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Personenden Anforderungen dieses Rundschreibens sowie des Verguumltungsreglements entsprechen Soweit erforderlich sindVertraumlge anzupassenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

342Buumlhler (FN 24) 474 f zu Gemeinsamkeiten und zu Unterschieden der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwen-dung Muumlller (FN 28) 754 ff zudem Fleiner Thomas Die Spannung von Rechtssetzung und Rechtsprechung inFS fuumlr P Richli (ZuumlrichSt Gallen 2011) 766ndash780 passim

343 Hierzu Buumlhler (FN 24) 474 ad FN 49344 Rundschreiben 20101 Rz 12 sowie Rz 23 ff

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Nachhaltigkeit345 der Verguumltungssysteme) Die von der FINMA vorgegebenen laquoGrundsaumltzeraquo346

sind zwar nicht falsch stellen jedoch Einschraumlnkungen der Unternehmensfreiheit dar die ndash auf derGrundlage eines Rundschreibens347 ndash unzulaumlssig sind348

c Rechnungslegung im Finanzsektor

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 114] Bei der Rechnungslegung handelt es sich originaumlr um ein gesellschaftsrechtliches Thema(Art 957 ff OR)349 sie soll die laquowirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen dass sichDritte ein zuverlaumlssiges Urteil bilden koumlnnenraquo (Art 958 Abs 1 OR) Der BR machte klar laquoDieRechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde sondern der Information der Be-teiligten damit diese ihre Rechte sinnvoll ausuumlben koumlnnenraquo350

[Rz 115] Interesse an der Rechnungslegung haben primaumlr die Gesellschafter die Gesellschafts-glaumlubiger sowie die unmittelbar betroffenen Gesellschaften Den rechnungslegungspflichtigenGesellschaften351 steht eine breite Unternehmensfreiheit zu Insofern koumlnnen sich Unternehmun-gen durchaus fuumlr strengere Rechnungslegungsvorschriften im Rahmen von Selbstregulierungen(zB IFRS US GAAP oder Swiss GAAP FER) entscheiden352

[Rz 116] Im Bereich der Finanzbranche bestehen zahlreiche Sonderregelungen zur finanzmarkt-rechtlichen Rechnungslegung die als Lex specialis gegenuumlber Art 957 ff OR (Lex generalis) qua-lifiziert werden koumlnnen In diesem Zusammenhang sind ndash als Beispiele ndash Art 6 ff BankG353 Art25 ff BankV Art 16 BEHG354 Art 29 BEHV355 sowie Art 87 ff KAG zu erwaumlhnen In verschie-denen Normen wird die FINMA zu Regulierungen ermaumlchtigt

bb Kritik

[Rz 117] Im Bereich der Rechnungslegung fuumlr gewisse Finanzintermediaumlre erfolgen de lege la-ta diverse Subdelegationen des BR an die FINMA356 Art 2 der Verordnung uumlber die anerkannten

345 Rundschreiben 20101 Rz 44 ff346 Rundschreiben 20101 Rz 16 ff347 Darin besteht der zentrale rechtsstaatliche Unterschied zu Art 95 Abs 3 BVVeguumlV einerseits sowie zu Art 10a

BankG andererseits Vgl dazu vorne IV B 2 b) aa) Buumlhler (FN 24) 474 haumllt zu Recht fest laquoSind allfaumlllige Maumln-gel im bestehenden System [sc Ordnung betreffend Verguumltungen in Unternehmungen] zu korrigieren so ist dieseine Aufgabe des Gesetzgebersraquo (Hervorhebung im Original)

348 Die FINMA ist nicht der Regulator des laquoCommon Senseraquo oder die Aufsichtsbehoumlrde einer gesellschaftsrechtlichenlaquoBest Practiceraquo

349 Uumlbersicht Kunz Peter V Rundflug uumlberrsquos Gesellschaftsrecht (2 A Bern 2012) 174 ff350 Botschaft zur Aumlnderung des Obligationenrechts ( ) vom 21 Dezember 2007 BBl 2008 1701351 Die Rechnungslegungspflicht ergibt sich im Wesentlichen aus Art 957 Abs 1 OR352 Vgl Art 962 f OR der BR erliess in diesem Zusammenhang die Verordnung uumlber die anerkannten Standards zur

Rechnungslegung vom 21 November 2012 (VASR SR 221432)353 Die FINMA kann vom BR ermaumlchtigt werden laquoin Belangen von beschraumlnkter Tragweite namentlich in vorwie-

gend technischen Angelegenheiten Ausfuumlhrungsbestimmungen zu erlassenraquo Art 6b Abs 3 BankG354 Das Boumlrsengesetz erklaumlrt die bankgesetzlichen Rechnungslegungsbestimmungen als sinngemaumlss anwendbar fuumlr

Effektenhaumlndler355 Es gelangt die ERV zur Anwendung Art 29 Abs 1 BEHV356 Beispiel laquoDer Zwischenabschluss fuumlr Banken deren Beteiligungstitel oder Schuldtitel kotiert sind enthaumllt zu-

saumltzlich einen Eigenkapitalnachweis und einen verkuumlrzten Anhang Die FINMA legt den Inhalt des verkuumlrzten

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

41

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 36: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Standards zur Rechnungslegung (VASR)357 erwaumlhnt in der Marginalie der Bestimmung sogar aus-druumlcklich laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo Eine entsprechende Rechtsverordnungder FINMA findet sich allerdings bis heute (noch) nicht Am 27 Maumlrz 2014 erliess die FINMAdas Rundschreiben 20151 (laquoRechnungslegung Bankenraquo) das uumlber die eigentliche Bankenbranchehinausgeht358

[Rz 118] Das Rundschreiben 20151 stellt ein aussergewoumlhnliches Rundschreiben der FINMAdar was bereits sein Umfang von 184 Seiten (mit 629 Randziffern und mit sieben Anhaumlngen)belegt Ausserdem wendet sich die FINMA mit dem Rundschreiben 20151 nicht etwa an sichselber sondern richtet sich direkt ua an die Banken und an die Effektenhaumlndler359 Es handeltsich bei der Regelungsmaterie zwar um laquovorwiegend technische Angelegenheitenraquo die jedoch inweiten Bereichen nicht unwesentlich erscheinen (Art 55 Abs 2 FINMAG)360 so dass eine Rechts-verordnung des BR naheliegend(er) gewesen waumlre

[Rz 119] Die Eingriffe bzw die Vorgaben der FINMA hinsichtlich der Rechnungslegung durch dasRundschreiben 20151 erscheinen fuumlr zahlreiche Themen materiell weitgehend Geregelt werden ndashals Beispiele ndash Bewertungsgrundsaumltze361 Fremdwaumlhrungsumrechnungen362 Eigenkapitalnach-weise363 Konsolidierungsverfahren364 Zwischenabschluumlsse365 Finanzinstrumente366 Vorsorge-verpflichtungen367 Ruumlckstellungen368 oderMitarbeiterbeteiligungsplaumlne369 damit wird auchwe-sentlich in unternehmerische Entscheidungen eingegriffen

[Rz 120] Der BR nahm auf Verordnungsstufe verschiedene Subdelegationen an die FINMA vor370was angesichts der wesentlichen bzw wichtigen Vorgaben unter dem Aspekt von Art 55 Abs 2FINMAG zweifelhaft erscheint in jedem Fall aber muumlsste ndash unter rechtsstaatlichem Aspekt ndash ei-ne Rechtsverordnung der FINMA erlassen werden371 Offen bleibt weshalb die FINMA mittels

Anhangs in Ausfuumlhrungsbestimmungen festraquo (Art 31 Abs 2 BankV) als gesetzliche Delegationsnorm fuumlr diese Sub-delegationsnorm kann Art 6b Abs 3 BankG herangezogen werden

357 Vgl FN 352358 Dies zeigt sich bereits im Untertitel laquoRechnungslegungsvorschriften fuumlr Banken Effektenhaumlndler Finanzgruppen

und -konglomerate (RVB)raquo vgl Rundschreiben 20151 ndash Rechnungslegung Banken vom 27 Maumlrz 2014 Rz 3 f359 Rundschreiben 20151 Rz 3 laquoDas Rundschreiben richtet sich an Banken ( ) Effektenhaumlndler ( ) sowie an Fi-

nanzgruppen und Finanzkonglomerate ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)360 Vgl dazu vorne IV A 1 b) bb)361 Rundschreiben 20151 Rz 59 ff362 Rundschreiben 20151 Rz 72 f363 Rundschreiben 20151 Rz 171 f364 Rundschreiben 20151 Rz 291 ff365 Rundschreiben 20151 Rz 342 ff366 Rundschreiben 20151 Rz 353 ff367 Rundschreiben 20151 Rz 495 ff368 Rundschreiben 20151 Rz 518 ff369 Rundschreiben 20151 Rz 607 ff370 Beispiele betreffend die Rechnungslegung von Banken Art 27 Abs 1 BankV Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV

sowie Art 42 BankV371 Die Delegationsnormen legen dies ebenfalls nahe wird doch zB von laquoAusfuumlhrungsbestimmungenraquo (Art 6b

Abs 3 BankG Art 31 Abs 2 BankV Art 37 BankV sowie Art 42 BankV [Titel laquo3 Abschnitt Ausfuumlhrungsbe-stimmungen zur Rechnungslegungraquo]) oder von laquoRechnungslegungsvorschriften der FINMAraquo (Art 2 VASR) gespro-chen was nicht fuumlr eine Verwaltungsverordnung spricht nur fuumlr einen beschraumlnkten Teilbereich aumlussern sich Art5 f AVO-FINMA zur Rechnungslegung bei Versicherungen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 37: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Rundschreiben reguliert hat statt mittels Rechtsverordnung372 das Rundschreiben 20151 duumlrftein der Praxis wie eine Rechtsverordnung beachtet werden (muumlssen)

d Vermoumlgensverwaltung

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 121] Beim laquoHandhabenraquo von Vermoumlgenswerten wird differenziert zwischen drei Vertragsbe-ziehungen die sich in der Praxis oft uumlberlappen373 naumlmlich Execution only-Beziehungen Anla-geberatungen (laquoadvisoryraquo) sowie Vermoumlgensverwaltungen (laquodiscretionaryraquo) Vertragspartner derKunden sind meist Banken oder Vermoumlgensverwalter Unter einer Vermoumlgensverwaltung wird dasselbstaumlndige Betreuen von Investments durch den Vermoumlgensverwalter verstanden notabene ge-stuumltzt auf eine vorgaumlngig vereinbarte Anlagestrategie374

[Rz 122] Die Vermoumlgensverwaltung stellt ein privatrechtliches Rechtsverhaumlltnis dar und zwar miteiner umfassenden Interessenwahrungspflicht des Vermoumlgensverwalters gegenuumlber dem Kun-den375 Der Vermoumlgensverwaltungsvertrag als Innominatkontrakt untersteht dem Auftragsrecht(Art 394 ff OR)376 dh im Vertragsverhaumlltnis sind Sorgfaltspflichten sowie Treupflichten ge-maumlss Art 398 OR377 zu beachten378 Im Uumlbrigen gilt bei Vermoumlgensverwaltungsvertraumlgen dieVertragsfreiheit (Art 11 ff OR) notabene betreffend Inhalt und Form379

bb Kritik

[Rz 123] Die FINMA erliess am 18 Dezember 2008 das Rundschreiben 20091 (laquoEckwerte zur Ver-moumlgensverwaltungraquo) bei dem es ndash wie aus dem Untertitel ersichtlich ndash nicht unmittelbar um dieVermoumlgensverwalter geht sondern vielmehr nur aber immerhin um laquoEckwerte fuumlr die Anerken-nung von Selbstregulierungen zur Vermoumlgensverwaltung als Mindeststandardraquo380 Bereits vor

372 Die FINMA teilt ndash im Dokument laquoFinanzmarktregulierung Haumlngige Vorhaben (Stand und Ausblick per 17 Au-gust 2017)raquo ndash mit dass eine laquoneu zu schaffende FINMA-Rechnungslegungsverordnungraquo geplant wird (Vernehmlas-sungAnhoumlrung Q218)

373 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 118 f vgl BGE 133 III 97 102 f Erw 71 Urteil des Bundesgerichts4A_5252011 vom 3 Februar 2012 Erw 31

374 Anders als bei der Vermoumlgensverwaltung trifft bei der Anlageberatung der Kunde die Anlageentscheide selber dhder Berater steht ihm dabei nur aber immerhin beratend zur Seite bei Execution Only gehen Initiative sowie Anla-geentscheid ausschliesslich vom Kunden aus

375 Vgl BGE 138 III 755 764 Erw 55376 Dies entspricht der Praxis des Bundesgerichts BGE 138 III 755 759 Erw 42 BGE 137 III 393 395 Erw 21 aA

BGE 132 III 460 464 Erw 41 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b Hinweise Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 122 ff377 Art 398 Abs 2 OR laquoEr [sc der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber fuumlr getreue und sorgfaumlltige Ausfuumlhrung des

ihm uumlbertragenen Geschaumlftesraquo378 BGE 124 III 155 161 Erw 2 b379 In der Praxis werden die meisten Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge sei es mit Banken oder mit externen Verwaltern

jedoch schriftlich geschlossen die Schriftform entspricht sogar selbstregulatorischen Vorgaben Richtlinien fuumlr Ver-moumlgensverwaltungsauftraumlge ndash SBVg ndash 2017 S 3Art 2

380 Ebenso Rundschreiben 20091 ndash Eckwerte zur Vermoumlgensverwaltung vom 18 Dezember 2008 Rz 1 die FINMAkann zwar muss aber nicht Selbstregulierungen als Mindeststandard anerkennen was faktisch einer laquoAllgemein-verbindlichkeitserklaumlrungraquo solcher Selbstregulierungen gleichkommt vgl dazu vorne IV A 3 b)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 38: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

Erlass wurde das spaumlter in Revision befindliche Rundschreiben kritisiert381 ohne dass sich dieFINMA davon bei der Ausgestaltung beeinflussen liess382

[Rz 124] Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard wird von den entsprechendenSelbstregulierungen bzw Selbstregulatoren verlangt dass diese ihren Mitgliedern ua betreffenddie Vermoumlgensverwaltungsvertraumlge383 die Pflichten der Vermoumlgensverwalter (sc Treuepflicht384Sorgfaltspflicht385 und Informationspflicht386) sowie deren Entschaumldigungen387 strenge Vorgabenmachen dazu gehoumlren ndash als Beispiel ndash die Schriftform von Vertraumlgen388 die im Widerspruch zurprivatrechtlichen Formfreiheit gemaumlss Art 11 OR steht389

[Rz 125] Das Rundschreiben 20091 wurde bzw wird von der Doktrin kritisiert primaumlr weil dieaufsichtsrechtlichen Vorgaben der FINMA weiter gehen als die privatrechtlichen Regeln und diebundesgerichtliche Praxis390 Dabei wird verkannt dass es beim Rundschreiben 20091 um Auf-sichtsrecht und eben gerade nicht um Privatrecht geht Weder die Vermoumlgensverwalter noch dieSelbstregulatoren sind verpflichtet diese Aspekte zu beachten es gibt keine Sanktionen sondernhoumlchstens keine Anerkennung als Mindeststandard391 Es liegt durchaus in der Kompetenz derFINMA zu formulieren was sie will (oder eben nicht)392

e Corporate Governance

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 126] Fuumlr die sog Corporate Governance besteht keine Legaldefinition Es geht etwas trivia-lisiert um einen unternehmensinternen Machtausgleich um dadurch Interessenkonflikte ndash zBzwischen VR Geschaumlftsleitung (GL) und Aktionaumlren ndash moumlglichst zu verhindern also um eineArt von laquoChecks and Balancesraquo zwischen den Gesellschaftsorganen393 Corporate Governance istausser was die Bezeichnung laquoCorporate Governanceraquo betrifft kein laquoneuesraquo Thema wobei dasGesellschaftsrecht im Vordergrund steht394

381 Die revidierte Version des Rundschreibens trat am 1 Juli 2013 in Kraft382 Hinweise Iseli (FN 36) Rz 3 ff und va Rz 6383 Rundschreiben 20091 Rz 71 ff384 Rundschreiben 20091 Rz 11 ff385 Rundschreiben 20091 Rz 15 ff386 Rundschreiben 20091 Rz 22 ff387 Rundschreiben 20091 Rz 27 ff388 Rundschreiben 20091 Rz 8 laquoDer Vermoumlgensverwaltungsvertrag wird schriftlich oder in anderer durch Text nach-

weisbarer Form abgeschlossenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)389 Eine laquobesondere Formraquo wird durch das laquoGesetzraquo eben gerade nicht vorgeschrieben Art 11 Abs 1 OR390 Im Detail Iseli (FN 36) Rz 11 Rz 13 Rz 16 und Rz 21 (je mwH)391 Die Selbstregulatoren haben keinen Rechtsanspruch auf eine solche Anerkennung der FINMA die einzelnen Finanz-

intermediaumlre koumlnnen dann indes durch Verfuumlgungen betroffen sein392 Im Hinblick auf die Anerkennung als Mindeststandard darf die FINMA durchaus aufsichtsrechtlich mehr verlangen

als sich aus dem Privatrecht ergibt sind damit doch keine Sanktionen fuumlr die Finanzintermediaumlre verbunden an-ders wuumlrde sich die Rechtslage hingegen zeigen wenn die FINMA im Hinblick auf das Enforcement oder auf dielaquoGewaumlhrraquo von den Vermoumlgensverwaltern mehr verlangen wuumlrde als das Privatrecht dies steht im Zusammenhangmit der Rundschreiben 20091 allerdings nicht zur Diskussion die laquoInkohaumlrenz zwischen Aufsichts- und Zivil-rechtraquo beklagend Iseli (FN 36) Rz 26

393 Statt vieler Kunz (FN 264) 472 ff mwH394 Das schweizerische Gesellschaftsrecht ndash anders als viele Gesellschaftsrechtsordnungen im Ausland (etwa in Deutsch-

land oder in Oumlsterreich) ndash erweist sich in weiten Teilen nicht als zwingendes sondern vielmehr als dispositivesRecht dh die Unternehmen koumlnnen sich im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnung im Wesentlichen

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[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 127] Im Finanzmarktrecht insbesondere im Bankgesellschaftsrecht sowie im Versicherungsge-sellschaftsrecht gibt es eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Normen395 die dem obligationen-rechtlichen Gesellschaftsrecht als Lex specialis vorgehen Eine besondere Bedeutung kommt indiesem Zusammenhang den Bestimmungen zur finanzmarktrechtlichen Corporate Governancezu396 wobei es sich im Grossen und Ganzen um Verschaumlrfungen gegenuumlber dem laquonormalenraquo Ge-sellschaftsrecht betreffendOrganisationsthemen handelt die bekannteste Regelung stellt dasVer-bot gewisser Personalunionen (laquoGewaltenteilungraquo) dar397

bb Kritik

[Rz 128] Die Organisation und damit ua die Corporate Governance bei Banken und bei Versiche-rungen werden nicht ausschliesslich im Privatrecht sondern ebenfalls im Aufsichtsrecht reguliert(Art 3 BankG Art 9 ff BankV Art 7 ff VAG Art 6 ff AVO und va Art 12 ff AVO etc) Vordiesem Hintergrund kann ndash zumindest im Grundsatz ndash nicht beanstandet werden dass sich dieFINMA uumlberhaupt mit diesen Themen beschaumlftigt398 wobei damit die Fragen nach Form und In-halt der behoumlrdlichen Intervention (noch) nicht beantwortet sind

[Rz 129] Im Jahr 2016 erliess die FINMA gleich zwei Rundschreiben zur Corporate Governance am22 September 2016 das Rundschreiben 20171 (laquoCorporate Governance ndash Bankenraquo) und am 7Dezember 2016 das Rundschreiben 20172 (laquoCorporate Governance ndash Versichererraquo) wobei es inden Rundschreiben va um das Risikomanagement und um die internen Kontrollen geht folglichum Themenbereiche fuumlr die eine prinzipielle Zustaumlndigkeit der FINMA besteht

[Rz 130] Das Rundschreiben 20171 laquogiltraquo399 fuumlr Banken sowie fuumlr Effektenhaumlndler Zu diversenFragestellungen werden bloss deklaratorische Aussagen gemacht (etwa zum Kompetenzbereichdes laquoOberleitungsorgansraquo)400 Bei zahlreichen Themen erfolgen jedoch Vorgaben der FINMA dierechtlich unvereinbar ua mit dem Gesellschaftsrecht oder mit dem Finanzmarktrecht erscheinen(zB laquoLeitsaumltze zur Unternehmenskulturraquo401 Zusammensetzung des Oberleitungsorgans402 Eva-luationspflicht403 oder laquoGrundsaumltze der Mandatsfuumlhrungraquo404) dh das Rundschreiben 20171verletzt gesellschaftsrechtliche Bestimmungen405

eine massgeschneiderte Corporate Governance schaffen die Unternehmensfreiheit spielt vor diesem Hintergrund einewichtige Rolle

395 Uumlbersicht Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 136 ff (re Banken) sowie 163 ff (re Versicherungen)396

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 141 f165 f397 Art 3 Abs 2 lit a BankG iVm Art 11 Abs 2 BankV zudem Art 13 Abs 1 AVO laquoMitglieder des Verwaltungsra-

tes duumlrfen nicht zugleich Mitglieder der Geschaumlftsleitung seinraquo398 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 142 und 165399 Es handelt sich dabei um die eigentlichen Adressaten Rundschreiben 20171 ndash Corporate Governance ndash Banken

vom 22 September 2016 Rz 8400 Rundschreiben 20171 Rz 9 ff im Wesentlichen wird durch die FINMA die aktienrechtliche Bestimmung von

Art 716a OR wiederholt bzw umschrieben401 Rundschreiben 20171 Rz 10402 Keine Rechtsgrundlage besteht fuumlr Rundschreiben 20171 Rz 17 laquoDas Oberleitungsorgan besteht mindestens zu

einem Drittel aus unabhaumlngigen Mitgliedern ( )raquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)403 Rundschreiben 20171 Rz 28404 Rundschreiben 20171 Rz 26 laquoJedes Mitglied des Oberleitungsorgans widmet seinem Mandat genuumlgend Zeit und

wirkt aktiv an der strategischen Unternehmensfuumlhrung mit ( )raquo es hat sich laquofuumlr Krisensituationen oder Notfaumllledauernd bereitzuhaltenraquo (aaO)

405 Auswahl Rundschreiben 20171 Rz 10 Rz 13 Rz 17 Rz 26 oder Rz 28

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[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 40: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 131] Das Rundschreiben 20172 soll der laquoKonkretisierungraquo des VAG dienen406 Teilweise wirddamit einfach die Rechtslage de lege lata wiederholt407 teilweise werden allerdings durch dieFINMA organisatorische Vorgaben zu Versicherungen gemacht fuumlr die sich keine Rechtsgrundla-gen finden notabene weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzmarktrecht (zB die Mindest-zahl von drei VR-Mitgliedern408 oder die Forderung wonach der VR zumindestens einemDrittelaus unabhaumlngigen Mitliedern409 bestehen soll)

[Rz 132] Diese Vorgaben gehen teilweise (zu) weit sind rechtlich zweifelhaft oder sogar falsch410

und in einigen Bereichen weder durch die Finanzmarktgesetze noch durch die Rechtsverordnun-gen des BR gedeckt411 so dass die FINMA unzustaumlndig ist412 Die Rundschreiben als Verwaltungs-verordnungen413 stellen zudem keine rechtsstaatliche Grundlage dar um die Unternehmensfrei-heit bei Banken und bei Versicherungen in organisatorischer Hinsicht einzuschraumlnken Teils wirdschliesslich das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip verletzt414

3 Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele

a Einleitung

[Rz 133] Die Rechtsqualifikation der Aufsichtsmitteilungen der FINMA ist unklar415 Solche Mit-teilungen werden in Art 7 Abs 1 FINMAG nicht erwaumlhnt Die Aufsichtsmitteilungen der FINMAhaben keine legale Basis trotzdem kommt ihnen eine faktische Bindungswirkung in derWirtschafts-realitaumlt zu was rechtsstaatlich problematisch erscheint416

[Rz 134] Die Aufsichtsmitteilungen der FINMA finden heutzutage ndash trotz fehlender demokrati-scher Legitimation ndash eine laquofast epidemische Verbreitungraquo417 wobei keine feststehende Form ver-wendet wird Im Folgenden wird auf einige Aufsichtsmitteilungen der FINMA kurz eingegangenund zwar zu zwei Themen Retrozessionen418 sowie ETF419

406 Rundschreiben 20172 ndash Corporate Governance ndash Versicherer vom 7 Dezember 2016 Rz 1407 Rundschreiben 20172 Rz 8 spiegelt materiell Art 13 Abs 1 AVO also das Verbot der Personalunion408 Rundschreiben 20172 Rz 17 diese Regelung gilt bei AG nicht (Art 707 Abs 1 OR) hingegen bei Genossenschaften

(Art 894 Abs 1 OR) schlussendlich besteht keine mit der bankrechtlichen Regelung gemaumlss Art 11 Abs 1 BankVvergleichbare Regelung bei Versicherungen (insbesondere wird eine Mindestzahl in Art 12 AVO nicht vorgesehen)

409 Rundschreiben 20172 Rz 18410 Rundschreiben 20171 Rz 15 blendet die Zustaumlndigkeit bei faktischen Zweckaumlnderungen aus eine sog Konzernlei-

tungspflicht die Rundschreiben 20171 Rz 99 voraussetzt ist houmlchst umstritten411 Beispiele Rundschreiben 20171 Rz 16 ff (re Mitgliedschaft im Oberleitungsorgan) oder Rundschreiben 20171

Rz 30 ff (re Ausschuumlsse in VR etc)412 Gesellschaftsrechtlich ist die prinzipielle Organisationsfreiheit von Unternehmungen zu beachten dh die konkrete

Organisation wird festgelegt entweder durch den VR oder durch die Gesellschafter413 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb) aaa)414 Immerhin bleibt mit Rundschreiben 20172 Rz 24 die Bildung von Ausschuumlssen des VR bei Versicherungen ex-

plizit vorbehalten (sc laquofalls zweckmaumlssigraquo)415 Die Aufsichtsmitteilungen wurden bis Ende Juni 2016 nur als laquoFINMA-Mitteilungenraquo bezeichnet416 In diesem Sinn Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 255N 256 Ders Finanzmarktrecht (FN 5) 28 ausser-

dem Buumlhler (FN 39) 33 ff diese Aspekte wurden vom BR bei seiner Einschaumltzung nicht beachtet Bericht BR reFINMA 2014 (FN 156) 40 ff49 (immerhin wurde der FINMA empfohlen diese Aufsichtsmitteilungen laquozuruumlck-haltend und ausschliesslich fuumlr den vorgesehenen Zweck einzusetzenraquo aaO 4149)

417Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 256 aA

418 Vgl dazu hinten IV B 3 b)419 Vgl dazu hinten IV B 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

b Retrozessionen

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 135] Als sog Retrozession wird in der Finanzbranche420 der laquoVorgang bezeichnet dass eineBank [als Beispiel] gestuumltzt auf eine entsprechende Vereinbarung einem Dritten (insbesondereeinem Vermittler im Vermoumlgensverwaltungs- und Kapitalanlagegeschaumlft) einen Anteil einer ver-einbarten Kommission weitergibt ( )raquo421 Diese finanzmarktrechtliche Thematik betrifft nichtoumlffentliches Recht sondern Privatrecht422 konkret Vertragsrecht

[Rz 136] Im privatrechtlichen laquoDreieckraquo zwischen einem Auftraggeber einem Auftragnehmer so-wie einem Dritten bestehen diverse Rechtspflichten der Vertragsparteien Um beim Auftragneh-mer allfaumlllige Interessenkonflikte zu verhindern sieht Art 400 Abs 1 OR vor laquoDer Beauftragteist schuldig auf Verlangen jederzeit uumlber seine Geschaumlftsfuumlhrung [gegenuumlber dem Auftraggeber]Rechenschaft abzulegen und alles was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekom-men ist [dem Auftraggeber] zu erstattenraquo423

[Rz 137] Es bestehen maW Rechenschaftspflichten sowie Ablieferungspflichten des Auftragneh-mers gegenuumlber dem Auftraggeber Diese vertragsrechtlichen424 Pflichten bestaumltigte das Bundes-gericht ndash in mehreren Urteilen425 ndash ebenfalls im Zusammenhang mit Retrozessionen wobei zahl-reiche Fragen bis heute unbeantwortet bleiben Auch die FINMA wurde aktiv notabene mittelseiner Aufsichtsmitteilung426 und zwar im Nachgang zu BGE 138 III 755

bb Kritik

[Rz 138] Prozessparteien in BGE 132 III 455 460 bzw in BGE 137 III 389 393 waren externeVermoumlgensverwalter die von der FINMA (noch) nicht beaufsichtigt werden In BGE 138 III 755ging es hingegen um eine Bank was die FINMA ndash notabene weniger als einen Monat nach diesemUrteil427 ndash veranlasste die FINMA-Mitteilung 41 (2012) vom 26 November 2012 zu erlassenDiese Aufsichtsmitteilung wurde in der Doktrin fast einhellig mit Kritik bedacht428 teils wurdedie FINMA-Mitteilung 41 (2012) als laquoMarschbefehlraquo der FINMA verstanden429

420 Statt vieler Corinne Zellweger-Gutknecht Zur Annahme und Herausgabe von Retrozessionen und anderenDrittverguumltungen in Anlegerschutz im Finanzmarktrecht kontrovers diskutiert (Zuumlrich 2013) 213 ff AnnetteWaygood-Weiner Ruumlckverguumltungen und Interessenkonflikte in der Finanzbranche (Diss St Gallen 2013) passimPeter Ch Hsu Retrozessionen Provisionen und Finderrsquos Fees Beiheft 45 Bibliothek zur ZSR (Basel 2006) passim

421 BGE 132 III 460 463 Erw 4 zudem BGE 137 III 393 395 f Erw 21 BGE 138 III 755 760 Erw 42422 Statt aller Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 127 ff mwH423 Retrozessionen oAuml sind legal was durch den trivialisierten Begriff laquoKickbacksraquo (laquoBestechungenraquo) etwas vernebelt

werden koumlnnte Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 128 ad FN 506424

Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 129425 BGE 132 III 460 BGE 137 III 389 393 BGE 138 III 755 BGE 143 III 348426 Vgl dazu hinten IV B 3 b) bb)427 BGE 138 III 755 stammte vom 30 Oktober 2012428 Statt vieler Winzeler (FN 176) 447 ff der Autor folgert laquoSumma summarum haumltte die FINMA auf diese Mittei-

lung verzichten ( ) koumlnnenraquo (aaO 449) Buumlhler (FN 39) 33 f Kunz Finanzmarktrecht (FN 5) 28 positiv inder Einschaumltzung fast nur aber immerhin Monika Roth Retrozessionen ndash no sense of timing and reasoning inJusletter 11 Februar 2013 passim allg zur FINMA-Mitteilung 41 (2012) ndash Aufsichtsrechtliche Massnahmen ndash Re-trozessionen vom 26 November 2012 Weber (FN 36) 406 sowie 408

429Roth (FN 428) Rz 2 die Autorin meinte dies indessen positiv sah sie doch die FINMA durchaus im Rahmen ihrerlegalen Kompetenz aaO Rz 6

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 139] Die FINMA haumllt ndash in Bezug auf ihren Zustaumlndigkeitsbereich korrekt ndash fest laquoDie FINMAist als Aufsichtsbehoumlrde nicht fuumlr die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Anspruumlchezwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zustaumlndigraquo430 sie ergaumlnzt diese Feststellung jedochsogleich autonom und fordernd laquoSie [sc die FINMA] verlangt von den Banken aber aufsichts-rechtlich angemessene Vorkehrungenraquo431 Die FINMA scheint wenn auch nicht explizit von einerExpansivwirkung des Aufsichtsrechts432 auszugehen laquoMit der vorliegenden Mitteilung fasst dieFINMA die Anforderungen zusammen die sich aus aufsichtsrechtlicher Sicht aus dem Urteil fuumlrdie Beaufsichtigen unmittelbar ergebenraquo433

[Rz 140] In der Folge spekuliert die FINMA laquoEs ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlichdass viele Bankkunden vom Urteil des Bundesgerichts betroffen sindraquo434 Offensichtlich alleinauf Basis der bankrechtlichen laquoGewaumlhrsbestimmungraquo435 stellt die FINMA spezifische Forderungenin Bezug auf das privatrechtliche Vertragsverhaumlltnis notabene zur laquosystematische[n] Einhaltungder massgebenden zivilrechtlichen Pflichten durch die Beaufsichtigtenraquo436 konkret437 Kontakt-aufnahmepflicht einerseits sowie Informationspflicht andererseits Die FINMA spielt dabei bewusstdie Macht des Faktischen aus438

[Rz 141] Gegenuumlber der FINMA nicht zu beanstanden ist dass sie sich fuumlr die Beruumlcksichtigungvon BGE 138 III 755 ausspricht439 stellt dies doch imWesentlichen einen Teil der regulaumlren LegalCompliance in der Finanzbranche dar Die FINMA geht mit spezifischen Forderungen in dieserwohl zeitlich uumlberstuumlrzten Aufsichtsmitteilung indes wesentlich weiter bzw zu weit440 womitdiese Behoumlrde ua die Bedeutung von Urteilen verkennt441

430 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt) ebenso aaO 45 und 55 ausserdem Weber

(FN 36) 408431 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35 (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)432 Vgl dazu vorne III B433 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 35434 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 45435 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquoaufsichtsrechtliche[s] Erfordernis einer einwandfreien Geschaumlftstaumltigkeitraquo)

die laquoGewaumlhrraquo dient aber nicht als Erlasskompetenz vgl dazu vorne III B glM Buumlhler (FN 39) 28 f und 33 aMRoth (FN 428) Rz 3 ff (diese Autorin bezeichnet die laquoGewaumlhrraquo als eigentliche laquoGretchenfrageraquo aaO Rz 3)

436 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55437 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoVon den betroffenen Banken verlangt die FINMA daher folgende Vorkehrun-

gen ( ) zur Herstellung der notwendigen Transparenz haben die Banken alle potentiell betroffenen Kunden zukontaktieren und uumlber den Entscheid in Kenntnis zu setzen im Rahmen der Kontaktaufnahme haben die Bankendiese Kunden daruumlber zu informieren an welche Stelle innerhalb der Bank sich die Kunden fuumlr weitere Auskuumlnf-te wenden koumlnnen die Kunden sind sodann auf Anfrage uumlber den Umfang der erhaltenen Ruumlckverguumltungen zuinformierenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

438 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 laquoDie FINMA wird die durch die Banken ergriffenen und geplanten Massnah-men im Rahmen der ordentlichen Aufsicht pruumlfen und uumlberwachenraquo

439 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55 (laquodem Entscheid des Bundesgerichts ist im Rahmen der laufenden Geschaumlftstauml-tigkeit umgehend Rechnung zu tragenraquo)

440 AM Roth (FN 428) Rz 6 die zwar einraumlumt dass sich die FINMA laquoklar fordernd und mahnend aumlussertraquo waslaquozu bedauernraquo jedoch laquoohne weiteres nachvollziehbarraquo sei

441 Die diversen bundesgerichtlichen Urteile zur Thematik der Retrozessionen sind nicht in allen Teilen wirklich klarund eindeutig und sind im Uumlbrigen ausschliesslich rechtsverbindlich fuumlr die konkreten Prozessparteien die aktuellePraxis ist zudem nicht fuumlr alle Zeiten unabaumlnderlich ganz im Gegenteil gelangt doch das angelsaumlchsische sogPrinzip des laquostare decisisraquo in der Schweiz nicht zur Anwendung

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[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 43: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

[Rz 142] Die FINMA stellt in der Aufsichtsmitteilung ndash ohne gesetzliche Grundlage442 ndash diverseForderungen an die Banken fuumlr die sie nicht zustaumlndig ist443 beispielsweise weil es unmittelbarum Kundenbeziehungen geht oder weil die Organisationsfreiheit der Unternehmungen betrof-fen ist Schliesslich muumlssen die angeblich aufsichtsrechtlichen Vorgaben als unverhaumlltnismaumlssigbezeichnet werden444 gerade etwa die Forderung der FINMA dass die Banken laquoalle potentiellbetroffenen Kundenraquo445 kontaktieren (und informieren) muumlssen

c Exchange Traded Funds

aa Grundverstaumlndnis

[Rz 143] Bei sog Exchange Traded Funds (ETF)446 handelt es sich umAnlageprodukte die in ersterLinie einen Index nachbilden447 so dass sie im Markt und bei den Investoren als tendenziellrisikolos gelten ETF sind boumlrsengehandelte Fonds oder maW offene kollektive Kapitalanlagendie an einer Boumlrse kotiert sind448 Heutzutage erweisen sich ETF als aumlusserst populaumlr werdendoch momentan an der SIX Swiss Exchange ca 1rsquo300 ETF gehandelt

[Rz 144] Das Kollektivanlagenrecht sieht keine Legaldefinition fuumlr ETF vor449 In der Doktrin istvor diesemHintergrund umstritten ob dasKAG anwendbar ist auf ETF450 (oder eben nicht so dasseine entsprechende Bewilligungspflicht generell in Frage gestellt werden muss) Die Praxis derFINMA im Wesentlichen gestuumltzt auf zwei Aufsichtsmitteilungen451 ist allerdings eindeutig452ETF gelten als bewilligungspflichtig als bewilligungsfaumlhig und haben in diesem Zusammenhangzahlreiche Voraussetzungen zu erfuumlllen453

bb Kritik

[Rz 145] Die FINMA aumlusserte sich im Jahr 2011 gleich in zwei Aufsichtsmitteilungen zu ETF454naumlmlich einerseits in der FINMA-Mitteilung 23 (2011) vom 29 April 2011 sowie andererseitsin der FINMA-Mitteilung 29 (2011) vom 21 September 2011 Zentrale Hintergruumlnde waren diezunehmende Beliebtheit der ETF im Publikum (und deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung)

442 Aufsichtsmitteilungen der FINMA sind generell rechtsstaatlich zweifelhaft Monschvon der Crone (FN 83) 654 ffKunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 254 ff

443Winzeler (FN 176) 448 Monschvon der Crone (FN 83) 654 Buumlhler (FN 39) 33 generell zur Thematik KunzFinanzmarktregulierung (FN 5) N 256 (laquowirkt faktischraquo) Roth (FN 428) Rz 2 ff

444 GlM Winzeler (FN 176) 448 f Monschvon der Crone (FN 83) 654445 FINMA-Mitteilung 41 (2012) 55446 Detailliert JutziMuumlller (FN 185) passim Thomas JutziSimon Schaumlren Grundriss des schweizerischen Kol-

lektivanlagenrechts (Bern 2014) N 837 ff Simon Schaumlren Bewilligung und Genehmigung von Exchange TradedFunds (ETFs) gemaumlss Kollektivanlagengesetz (KAG) AJP 21 (2012) 341ndash352 341 ff

447 Zur sog Indexreplikation JutziSchaumlren (FN 446) N 843 ff448 Vgl JutziMuumlller (FN 185) 418449 Statt aller Schaumlren (FN 446) 342450

Schaumlren (FN 446) 343 ff451 Vgl dazu hinten IV B 3 c) bb)452 Hinweise zur FINMA-Praxis JutziMuumlller (FN 185) 430 JutziSchaumlren (FN 446) N 850 ff und va N 853 f

Schaumlren (FN 446) 350 f453 Es erfolgt bei ETF sogar eine Erschwerung gegenuumlber anderen Anlageinstrumenten454 Uumlbersicht JutziMuumlller (FN 185) 430

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 44: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

sowie die intensive Diskussion auf internationaler Ebene455 die FINMA hatte ausserdem ETFeiner vertieften Pruumlfung und Analyse unterzogen456

[Rz 146] Die FINMA-Mitteilung 23 (2011)macht einleitend einen beschraumlnkten Zweck geltend457In der Folge behauptet jedoch die FINMA apodiktisch die generelle Anwendbarkeit des KAG aufschweizerische sowie auf auslaumlndische ETF und haumllt fest dass die laquouumlblichen Genehmigungsvor-aussetzungen nach Art 25 ff KAG und Art 35 ff KKV erfuumllltraquo sein muumlssen458 Schliesslich wirdausgefuumlhrt dass die Qualifikation als ETF dazu fuumlhrt dass zusaumltzliche Bedingungen betreffendBoumlrsenkotierung und Market Making zu erfuumlllen sind459

[Rz 147] Mit der FINMA-Mitteilung 29 (2011) strebt die FINMA nur aber immerhin an die Be-willigungstraumlger laquouumlber die Voraussetzungen der Genehmigung von schweizerischen als auch vonin oder von der Schweiz aus zum oumlffentlichen Vertrieb angebotenen auslaumlndischen ETF [zu] infor-mierenraquo460 ImHinblick auf die Bewilligungsfaumlhigkeit von ETF stellt die FINMA aber in der Folgeweitere Anforderungen auf461 notabene fuumlr die Bezeichnung laquoETFraquo sowie fuumlr die Transparenz derFondsdokumente von schweizerischen ETF

[Rz 148] Die FINMA verfuumlgt uumlber keine regulatorische Kompetenz betreffend ETF462 die beidenAufsichtsmitteilungen vermoumlgen ausserdem die erforderliche rechtliche Basis nicht zu kompen-sieren Dh die Praxis der FINMA ndash erst recht die zusaumltzlichen Anforderungen bzw Erschwerun-gen bei ETF463 gegenuumlber laquonormalenraquo kollektiven Anlagen ndash ist de lege lata gesetzeswidrig464In der Doktrin finden sich deshalb Stimmen die eine Loumlsung de lege ferenda vorschlagen (zBAusdehnung des Geltungsbereichs durch Revision von Art 2 KAG)465

455 FINMA-Mitteilung 23 ndash Kollektive Kapitalanlagen vom 29 April 2011 315456 FINMA-Mitteilung 29 (2011) ndash Kollektive Kapitalanlagen und Vertrieb vom 21 September 2011 37457 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315 laquoDie vorliegende Mitteilung hat ( ) lediglich zum Ziel die einzelnen Geneh-

migungsvoraussetzungen fuumlr schweizerische und auslaumlndische ETFs die in oder von der Schweiz aus oumlffentlichvertrieben werden in Erinnerung zu rufenraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

458 FINMA-Mitteilung 23 (2011) 315459 Eine Begruumlndung fuumlr solche laquozusaumltzliche Bedingungenraquo ndash zB die Nennung von Rechtsnormen ndash fehlt FINMA-

Mitteilung 23 (2011) 315460 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 37461 FINMA-Mitteilung 29 (2011) 6 f7462 ETF stellen unter dem aktuellen Recht keine kollektiven Kapitalanlagen im Rahmen von Art 7 Abs 1 KAG dar

laquoDies hat zur Folge dass ETF dem KAG nicht unterstellt sind und in der Folge keiner Bewilligungspflicht unterste-henraquo (JutziMuumlller [FN 185] 433 Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

463 Hinweise JutziMuumlller (FN 185) 436 f Schaumlren (FN 446) 350 f464

Schaumlren (FN 446) 351 zudem JutziMuumlller (FN 185) 437 laquoAufgrund dieser Umstaumlnde ist festzustellen dass dieFINMA bei der Bildung elementarer Kriterien von ETF ohne ausreichende demokratische Legitimation (ie Rechtset-zung durch Rundschreiben keine Kompetenz zum Erlass einer Verordnung) handelt und folglich das Legalitaumlts-prinzip von Art 5 Abs 1 BV verletztraquo (Hervorhebungen hinzugefuumlgt)

465 In diesem Sinn JutziMuumlller (FN 185) 438 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

V Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit

A FINMA-Regulierung

[Rz 149] In der Doktrin ist die rechtsstaatliche Kritik an der Regulierung der FINMA vorherr-schend466 Die entsprechenden Vorwuumlrfe der hL werden jedoch ndash notabene mit gutem Grundndash nicht immer gegen die FINMA gerichtet Nicht selten geht es weniger um ein behoumlrdliches Uumlber-borden der Aufsichtsbehoumlrde als um (teils bewusste) laquoVersaumlumnisseraquo des Gesetzgebers oder desBR es uumlberrascht deshalb nicht dass der BR laquoden Vorwurf die FINMA reguliere uumlbermaumlssig vielund damit unverhaumlltnismaumlssig als unbegruumlndetraquo zuruumlckweist467

[Rz 150] Es scheint dass immer wieder Verantwortungen laquoabgeschobenraquo werden an die FINMADies beginnt bereits auf der Hierarchiestufe der Bundesgesetze468 also mit dem an sich bewaumlhr-ten Konzept der Rahmengesetze laquoME wird durch die Rahmengesetze faktisch die Legislativkom-petenz verschoben was den Machttransfer rechtsstaatlich bedenklich erscheinen laumlsst (StichwortGewaltenteilung)raquo469 Immerhin muss festgehalten werden dass sich die FINMA gegenuumlber denhierarchisch houmlheren Rechtssetzern noch nie gegen solche Kompetenzuumlbertragungen zur Wehrgesetzt oder klarere Vorgaben fuumlr sich verlangt hat

[Rz 151] Die Macht des Faktischen hat heute zu einer Behoumlrdenmacht des Faktischen zugunsten derFINMA gefuumlhrt dh insbesondere ihre Rundschreiben ihre Aufsichtsmitteilungen etc werdenin der Praxis faktisch wie Rechtssaumltze beachtet obwohl sie weder rechtsverbindlich noch demo-kratisch legitimiert sind Keine legale Basis haben die Aufsichtsmitteilungen der FINMA470 undrechtsstaatlich besonders bedenklich sind zudem diejenigen Rundschreiben mit denen die FIN-MA unzustaumlndig ins Privatrecht laquoeingreiftraquo (bzw eingreifen moumlchte)471

B Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA

[Rz 152] In der legislativen Bezeichnung der FINMA als laquoEidgenoumlssische Finanzmarktaufsichtraquo(Art 4 Abs 2 FINMAG) gelangt bloss ungenuumlgend zum Ausdruck dass es sich bei dieser Bun-desbehoumlrde nicht nur um eine Aufsichtsbehoumlrde sondern ebenfalls um eine Regulierungsbehoumlrdehandelt472 In der Praxis kommt es denn auch gelegentlich zur einer laquoVerwischungraquo bzw zu einerAufweichung dieser konzeptionell klar zu unterscheidenden Funktionen473 Dies kann durchaus

466 Auswahl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) N 249 ff Winzeler (FN 176) 444 ff sowie 447 ff Monschvon

der Crone (FN 83) 654 ff Grobvon der Crone (FN 295) 855 ff Buumlhler (FN 24) 472 ff sowie 477 f Jutzi (FN265) 214 f

467 Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3049 explizit wurde in diesem Zusammenhang auf Kilgus (FN 207) Rz159 verwiesen (aaO 30 FN 12649)

468 Ebenfalls als rechtsstaatlich bedenklich auf Ebene der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung wird die zunehmendelaquoAd-hoc-Legiferierungraquo erachtet Buumlhler (FN 24) 472 f

469Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 250 aE (Hervorhebung im Original) in der Analyse aumlhnlich auch Buumlhler

(FN 24) 473 laquoIn einem Gesetz das von einer Aufsichtsbehoumlrde administriert wird hat dies [sc das Bestehen einesRahmengesetzes] zur Folge dass nicht primaumlr der Entscheidungsspielraum der Marktteilnehmer sondern jenerder Aufsichtsbehoumlrde erweitert wirdraquo (Hervorhebung im Original) zudem Ders (FN 39) 26 allg Zysset (FN 207)N 709 mwH Fleiner (FN 342) 768 f

470 Vgl dazu vorne IV B 3 vgl Kunz Finanzmarktregulierung (FN 5) 254 ff471 Vgl dazu vorne IV B 2472 Insofern waumlre ohne Zweifel die Benennung als laquoFinanzmarktbehoumlrderaquo korrekt(er) gewesen473 Die laquoVerwischungraquo zwischen der Rechtssetzung sowie der Rechtsanwendung unterminiert potentiell das fuumlr ei-

nen Rechtsstaat zentrale Gewaltenteilungsprinzip allg Buumlhler (FN 24) 474 f Ders (FN 39) 34 Kunz Finanz-

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

zu einer laquoGrenzenlosigkeitraquo und sogar zu Interessenkonflikten bei der FINMA fuumlhren und laquokratztam Grundsatz der Gewaltenteilungraquo474

[Rz 153] Unklar und umstritten ist beispielsweise ob die Rundschreiben als Rechtssetzung oderals Rechtsanwendung qualifiziert werden muumlssen475 und rechtlich noch weniger fassbar sinddie weiteren offizioumlsen laquoRegularienraquo der FINMA476 Die Macht des Faktischen ndash nicht allein bei derRegulierung sondern ebenso bei der Aufsicht als solcher ndash wird durch die FINMA durch dasBundesgericht sowie durch die Doktrin teils ignoriert und schwaumlcht den Rechtsstaat weiter Esmuss ndash leider ndash eine konturenlose Rechtsunsicherheit betreffend einige Aktivitaumlten der FINMA kon-statiert werden was unter rechtsstaatlichem Aspekt inakzeptabel erscheint

[Rz 154] Dass die FINMA in der Praxis intensiv interveniert ohne dass ein angemessener Rechts-schutz besteht zeigt sich ndash als Beispiel ndash anhand eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahr2014477 Die FINMA ging mit zwei Briefen auf eine geldwaumlschereirechtliche Selbstregulierungsor-ganisation (SRO) zu Das erste Schreiben enthielt in Bezug auf das SRO-Reglement eine Empfeh-lung zur Anpassung der zweite Brief war eine Aufforderung das Reglement in sieben konkretenPunkten zu aumlndern und der FINMA innert sechs Wochen einzureichen478 Nach Ansicht des Bun-desgerichts lag keine Verfuumlgung und damit kein Anfechtungsobjekt vor so dass sich die SRO nichtzur Wehr setzen konnte479 Dies ist fragwuumlrdig

[Rz 155] laquoDas Urteil erscheint dem Verfasser rechtsstaatlich bedenklich Einer Behoumlrde ndash beispiels-weise der FINMA ndash wird ein (zu) grosser Spielraum eingeraumlumt wenn bei der Auslegung von Art5 VwVG [sc Verfuumlgungsbegriff] die Macht des Faktischen ignoriert wird Die SRO (und auch dieFinanzintermediaumlre) koumlnnen es sich realiter nicht erlauben Empfehlungen Hinweise Wuumlnscheetc (Motto wink wink) nicht nachzukommen Die Rechtsstaatlichkeit muss bei Rechtssetzungeneinerseits und bei Rechtsanwendungen andererseits hochgehalten werden und das Bundesgerichtsollte dies etwas realistischer handhabenraquo480

VI Schlussbemerkungen

A Notwendige (Detail-)Aumlnderungen

[Rz 156] Die bundesraumltlichen Einschaumltzungen aus dem Jahr 2014 im Bericht BR re FINMA 2014481

erscheinen unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in regulatorischer Hinsicht (noch) etwas

marktregulierung (FN 5) N 261 f zumindest ein Teil der Doktrin differenziert die Themen weniger kategorischlaquoRechtssetzung und Rechtsanwendung stehen einander nicht diametral gegenuumlberraquo (Muumlller [FN 28] 763) zudemFleiner (FN 342) 768 ff

474Zysset (FN 207) N 709 aE vgl auch Monschvon der Crone (FN 83) 655 f Fleiner (FN 342) 769 haumllt festlaquoDass nur die eine von zwei unterschiedlichen und getrennten Gewalten allein neues Recht schaffen und die ande-re das bestehende Recht anwenden kann ist eine elementare Voraussetzung des Rechtsstaatesraquo

475 Vgl dazu vorne IV A 3 a) bb)476 Vgl dazu vorne IV A 3 a) cc)477 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014478 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Sachverhalt A479 Urteil des Bundesgerichts 2C_11842013 vom 17 Juli 2014 Erw 2Erw 3 auf dieses Urteil bezog sich ebenfalls

der BR im Bericht BR re FINMA 2014 (FN 156) 3649480

Peter V Kunz Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 20142015 Gesell-schaftsrecht sowie Finanzmarktrecht 58 (Hervorhebungen im Original)

481 Vgl dazu vorne IV A 3 c)

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
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Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

laquoschoumlnfaumlrberischraquo und sollten wohl eher politisch als juristisch verstanden werden Die Finanz-marktregulierung im Allgemeinen sowie va die Regulierung der FINMA im Besonderen weisenin weiten Teilen rechtsstaatliche Problembereiche auf was anhand zahlreicher Rundschreibenund Aufsichtsmitteilungen aufgezeigt werden kann482

[Rz 157] Dies soll allerdings nicht bedeuten dass ein regulatorischer laquoKahlschlagraquo fuumlr das schwei-zerische Finanzmarktrecht noumltig oder sinnvoll waumlre Es bedarf wohl keiner detaillierten Begruumln-dung dass Finanzmarktregulierungen nicht kategorisch in Frage zu stellen sind laquoOhne Regulie-rung koumlnnen die Beaufsichtigten in einem international regulierten Umfeld nicht taumltig seinraquo483oder maW laquoGlobale Finanzmaumlrkte sind ohne Regulierung nicht denkbarraquo484 Indes besteht inder Schweiz in diesem Bereich ein rechtsstaatlicher Handlungsbedarf in formeller Hinsicht undinmateriellerHinsicht sollte sich die FINMA auf ihre eigenen Zustaumlndigkeiten beschraumlnken sowievermehrt das Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip beruumlcksichtigen485

[Rz 158] Die Rechtspolitik erweist sich momentan als aumlusserst aktiv im Bereich der Finanzmarkt-regulierung Diverse parlamentarische Vorstoumlsse notabene in den Jahren 2016 sowie 2017 befas-sen sich mit der Finanzmarktregulierung im Allgemeinen sowie mit der Regulierung der FINMAim Besonderen Thematisiert werden va Rechtsstaatsaspekte auf der einen Seite486 sowie Kosten-aspekte auf der anderen Seite487 Der politische Wille scheint dahin zu gehen dass die FINMAin Zukunft regulatorisch zuruumlckhaltender auftreten soll und dass kuumlnftig die rechtsstaatlichenAspekte (zB Gewaltenteilung) staumlrker gewichtet werden488

[Rz 159] Der primaumlre Rechtssetzer zum Finanzmarktrecht auf Bundesebene ndash konkret also dasBundesparlament ndash muss das finanzmarktrechtliche Regulierungsprimat in erster Linie gegenuumlberder faktisch heute dominierenden FINMA wieder erlangen und realiter wahrnehmen Selbst beiAufrechterhaltung des heutigen Systems gaumlbe es entsprechende parlamentarische Moumlglichkeitennaumlmlich beispielsweise489 eine zeitliche Begrenzung fuumlr Verordnungen (laquoSunset Clausesraquo) haumlu-figere Genehmigungsvorbehalte oder ein Verordnungsveto

482 Vgl dazu vorne IV B 23483

Nobel (FN 10) sect 7 N 58 aE aumlhnlich Richtlinien EFD (FN 201) 38 Taisch (FN 4) Kapitel 1 N 63 haumllt fest laquoRe-gulierung hat ndash mit Augenmass erlassen ndash einen unzweifelhaften Nutzenraquo

484 Zitat von der CroneLinder (FN 2) 738485 Vgl JansPassardi (FN 3) 708486 Die Motion 173317 (Klare Verantwortlichkeiten zwischen Finanzmarktpolitik und Finanzmarktaufsicht) von NR

Martin Landolt ndash als Beispiel ndash strebt laquoeine klarere Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten des Bundesratesfuumlr die Finanzmarktpolitik und -strategie sowie die Regulierung einerseits und der Zustaumlndigkeit der Eidgenoumls-sischen Finanzmarktaufsicht (Finma) fuumlr die operative Aufsichtstaumltigkeit andererseitsraquo (Ziff 1) an die vom BRunterstuumltzte Motion wurde angenommen

487 Im Fokus stehen die FINMA-Rundschreiben Postulat 173620 (Transparenz uumlber Regulierungskosten durchFinma-Rundschreiben) von SR Hannes Germann Postulat 173566 (Transparenz uumlber Kostenfolgen der Finma-Rundschreiben) von NR Karl Vogler

488 Vgl Motion 173976 (Gewaltentrennung in der Finanzmarktregulierung) der Kommission fuumlr Wirtschaft und Ab-gaben NR waumlhrend die laquoRegulierung im Bereich des Finanzmarktes ausschliesslich dem Parlament und dem Bun-desrat obliegtraquo soll sich die FINMA auf die Aufsichtstaumltigkeit als ihre eigentliche laquoKernaufgaberaquo konzentrieren(aaO) diese Motion wurde vom NR als Erstrat am 6 Maumlrz 2018 uumlberaus deutlich mit 12652 Stimmen angenom-men

489 Mit diesen rechtspolitischen Vorschlaumlgen Grobvon der Crone (FN 295) 858 f

47

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

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  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen
Page 48: FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus ...€¦ · Peter V. Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit, in: Jusletter 7. Mai 2018 [Rz

Peter V Kunz FINMA-Regulierung(en) Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit in Jusletter 7 Mai 2018

B Grundlegende Aumlnderungen

[Rz 160] Im Bundesparlament wird schliesslich mit mehreren Vorstoumlssen rechtspolitisch einelaquoRegulierungsbremseraquo zur Diskussion gestellt (Beispiel Prinzip laquoOne in one outraquo) Ein solcherMechanismus wuumlrde sich ohne Zweifel gerade auf die Finanzmarktregulierung im Allgemeinenauswirken eine laquoRegulierungsbremseraquo duumlrfte jedoch auch die Regulierung der FINMA im Beson-deren laquobremsenraquo soll der Mechanismus doch ebenfalls bei laquoVerordnungen verwaltungsinternenRichtlinien uswraquo490 zur Anwendung gelangen

[Rz 161] Eine verschaumlrfte Staatshaftung der FINMA (Art 19 FINMAG) wuumlrde de lege ferenda wohlwenig Sinn machen Doch das Bundesparlament kann sich ndash trotz Unabhaumlngigkeit der FINMA ndashnicht aus der Verantwortung laquostehlenraquo hat es doch seine parlamentarische Oberaufsicht gegenuumlberder FINMA wahrzunehmen (Art 21 Abs 4 FINMAG)

[Rz 162] Einen eigentlichen Systemwechsel in der Schweiz gerade was die Legalitaumlt sowie die de-mokratische Absicherung von Regulierungen (notabene nicht ausschliesslich im Finanzbereich)betrifft wuumlrde die Einfuumlhrung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und damit die ersatzlose Auf-hebung von Art 190 BV darstellen die beispielweise im Jahr 2011 ndash notabene unterstuumltzt vomBR491 ndash thematisiert (und abgelehnt) wurde Ob sich in dieser Hinsicht in Zukunft irgendwelcheEntwicklungen ergeben werden erscheint voumlllig offen

Prof Dr Peter V Kunz Rechtsanwalt LLM (Georgetown University Law Center) ist Ordinari-us fuumlr Wirtschaftsrecht und fuumlr Rechtsvergleichung an der Universitaumlt Bern geschaumlftsfuumlhrenderDirektor des Instituts fuumlr Wirtschaftsrecht (wwwiwrunibech) sowie Dekan der Rechtswissen-schaftlichen Fakultaumlt

Der Autor forscht lehrt und publiziert im Schwerpunktbereich Finanzmarktregulierung und be-dankt sich bei Rechtsanwalt Alex Christen sowie bei MLaw Kiril Haslebacher wissenschaft-liche Assistenten an seinem Lehrstuhl fuumlr ihre Unterstuumltzung bei diesem Aufsatz Prof Kunzbetreut fuumlr Jusletter seit vielen Jahren die Redaktion zum Wirtschaftsrecht

490Hans-Ueli VogtMagdalena Martullo-Blocher Eine erprobte wirksame Regulierungsbremse NZZ vom 12Oktober 2017

491 Stellungnahme BR Verfassungsgerichtsbarkeit BBl 2011 7595 7600 NZZ Nr 229 (2011) 11 (laquoAuch Bundesgesetzepruumlfen ndash Bundesrat fuumlr Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeitraquo)

48

  • Executive Summary
    • Schweiz als Rechtsstaat
    • FINMA-Regulierung
    • Rechtsstaatliche Themenbereiche
    • (Behoumlrden-)Macht des Faktischen
    • Loumlsungsvorschlaumlge
      • Vorbemerkungen
        • Ausgangslage
        • Themen
          • Grundlagen der Finanzmarktregulierung
            • Rechtssetzung
            • Expansivwirkung des Aufsichtsrechts
            • Bundesverfassungskonformitaumlt
              • Rechtsstaatlichkeit sowie Erlassformen
              • Grundrecht(e) gegen Regulierungen
                • Auswahl
                • Voraussetzungen fuumlr Grundrechtseingriffe
                  • Gesetzliche Grundlage
                  • Oumlffentliches Interesse
                  • Verhaumlltnismaumlssigkeitsprinzip
                  • Kerngehaltsgarantie
                    • Bundesgesetze sowie Bundesverordnungen
                      • Finanzmarktrecht
                      • Delegationen
                        • Bundesrat sowie FINMA
                        • Delegationsprinzipien
                          • FINMA-Regulierung (sowie deren Regulierung)
                            • Theorie
                              • Rechtssetzungen
                                • Uumlbersicht
                                • FINMAG als laquoRahmenraquo der FINMA-Regulierung
                                  • Regulierungsgrundsaumltze
                                  • Ausfuumlhrungsbestimmungen
                                    • Realakte
                                      • Zusaumltzliche Grundlagen
                                        • Richtlinien EFD
                                        • Leitlinien FINMA
                                        • Strategie FINMA
                                          • Rechtsquellen
                                            • Uumlbersicht
                                              • Rechtsverordnungen
                                              • Rundschreiben
                                              • Offizioumlse laquoRegularienraquo
                                                • Selbstregulierung
                                                • Bundesraumltliche Einschaumltzungen
                                                    • Praxis
                                                      • Rechtsverordnungen
                                                        • Uumlberpruumlfbarkeit(en) und laquoKorrekturenraquo
                                                        • Beispiele sowie Gesamtschau
                                                          • Rundschreiben ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                            • Einleitung
                                                            • Verguumltungssysteme
                                                              • Grundverstaumlndnis
                                                              • Kritik
                                                                • Rechnungslegung im Finanzsektor
                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                  • Kritik
                                                                    • Vermoumlgensverwaltung
                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                      • Kritik
                                                                        • Corporate Governance
                                                                          • Grundverstaumlndnis
                                                                          • Kritik
                                                                              • Aufsichtsmitteilungen ndash ausgewaumlhlte Beispiele
                                                                                • Einleitung
                                                                                • Retrozessionen
                                                                                  • Grundverstaumlndnis
                                                                                  • Kritik
                                                                                    • Exchange Traded Funds
                                                                                      • Grundverstaumlndnis
                                                                                      • Kritik
                                                                                          • Legalitaumlt sowie Rechtsstaatlichkeit
                                                                                            • FINMA-Regulierung
                                                                                            • Exkurs Aufsichtstaumltigkeit der FINMA
                                                                                              • Schlussbemerkungen
                                                                                                • Notwendige (Detail-)Aumlnderungen
                                                                                                • Grundlegende Aumlnderungen