Flechte n als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels · In den Jahren 1991–1993 erfolgte im...

49
Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie FH Gießen-Friedberg, FB KMUB, Studiengang Umwelt-, Sicherheits- und Hygienetechnik Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie Fachhochschule Gießen-Friedberg Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

Transcript of Flechte n als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels · In den Jahren 1991–1993 erfolgte im...

Hessisches Landesamt für Umwelt und GeologieFH Gießen-Friedberg, FB KMUB, Studiengang Umwelt-, Sicherheits- und Hygienetechnik

Hessisches Landesamt für Umwelt und GeologieFachhochschule Gießen-Friedberg

Flechten als Anzeiger derLuftgüte und des Klimawandels

1

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

Wiesbaden, Oktober 2009

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

Fachhochschule Gießen-Friedberg

2

Impressum

Bearbeiter: Prof. Dr. U. Kirschbaum (FH Gießen-Friedberg; Fachbereich Krankenhaus- und Medizintechnik, Umwelt- und Biotechnologie; Studiengang Umwelt-, Sicherheits- und Hygienetechnik)

Prof. Dr. K. Hanewald (HLUG)

Layout: Nadine Monika Lockwald (HLUG)

Kartengrundlage Abb. 35–41, 61 und 67: Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation

Herausgeber:

Hessisches Landesamt für Umwelt und GeologiePostfach 3209, 65022 Wiesbaden

Telefon: 0611 6939-0Telefax: 0611 6939-555

Vertrieb: Telefon: 0611 6939-111Telefax: 0611 6939-113

E-Mail: [email protected]

www.hlug.de

Nachdruck und sonstige Publikationen– auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

3

Flechten gelten seit langem als Bioindikatoren derLuftgüte. Als Ursache für ihre Empfindlichkeit ge-genüber Luftverunreinigungen ist ein ganzer Kom-plex von Faktoren in Betracht zu ziehen:

Flechten (Lichenes) sind Doppellebewesen. Sie be-stehen aus einem Algen- und einem Pilzpartner. DieAlge ist photoautotroph, d. h. sie versorgt die Ge-meinschaft mit den lebensnotwendigen Kohlenhy-draten zum Aufbau des gemeinsamen Körpers. Diehoch spezialisierte Partnerschaft befähigt die Flech-ten einerseits dazu, extreme Lebensräume zu besie-deln, andererseits ist sie auch die Ursache für dieEmpfindlichkeit gegenüber Umweltveränderungen.Derartige Veränderungen bewirken einen Zusam-menbruch des fein eingestellten – und damit stö -rungs anfälligen – Gleichgewichtszustandes zwi schenAlge und Pilz.

Bezüglich der physiologischen Auswirkungen vonphytotoxischen Gasen stehen folgende Mechanis-men im Blickpunkt:• Der Pilz scheidet Stoffwechselprodukte aus, die

die Durchlässigkeit der Algen-Biomembran verän-dern; auf diese Weise gelangt er an die von derAlge hergestellten Kohlenhydrate. Da die Algemindestens einen Teil der Nährstoffe zum Auf-bau des eigenen Körpers benötigt, hat sie im Laufder Evolution Anpassungsstrategien entwickelt,die den Zugriff des Pilzes auf die Kohlenhydrateabschwächen. Eine Reihe von Luftschadstoffenverändert nun zusätzlich die Durchlässigkeit derBiomembranen. Als Folge davon tritt mehr Zuckeraus den Algenzellen aus, so dass nicht mehrgenügend energiereiche Stoffe für das eigeneÜberleben zurückbleiben; die Algen sterben. DerTod der Alge führt zum Absterben des von ihr ab-hängigen Pilzpartners.

• Die wichtigsten phytotoxischen Gase greifen denPhotosyntheseapparat der Algen an, was zu einerHemmung der Herstellung energiereicher Stoff-

wechselprodukte führt. Hierdurch gerät dieFlechte unter das Existenzminimum und geht zu-grunde.

• Manche Gase wandeln sich im Flechtenkörper inSalze um (z. B. SO2 in SO4

2–) und wirken sich indieser Form negativ auf den Wasserhaushalt derZellen aus (osmotische Wasserabgabe der Zellen).

• Hinzu kommt, dass die Lichenen – als wechsel-feuchte Organismen – sehr viel unmittelbarervon der Luftqualität abhängen als Höhere Pflan-zen oder Tiere: Sie sind darauf spezialisiert,Nährstoff-Ionen direkt aus der Luft oder demNiederschlag zu entnehmen und in ihrem Körperanzureichern. Dieses hervorragende Akkumula -tionsvermögen hat allerdings auch eine starkeAnreicherung toxischer Spurenelemente mit negativen Auswirkungen zur Folge.

• Flechten sind auch deshalb besonders durchLuftverunreinigungen gefährdet, weil sie auch imWinterhalbjahr mit seinen erhöhten Immissionenstoffwechseln (viele Höhere Pflanzen verbringendiese Periode in Vegetationsruhe und nehmendaher kaum Schadstoffe auf).

• Neben den Luftverunreinigungen wirken auchVeränderungen des Klimas am Flechtenwuchsortauf die wechselfeuchten Organismen maßgeblichein.

• Auf Grund ihres langsamen Wachstums und ihrerLanglebigkeit sind die Flechten vornehmlich da-zu geeignet, einen Überblick über die durch-schnittliche, langfristige Gesamt-Belastung durchSchadstoffe und klimatische Veränderungen zuvermitteln; eine Veränderung der Umweltsitua -tion wird somit erst mit einer Verzögerung voneinigen Jahren angezeigt.

Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie(HLUG) verwendet seit vielen Jahren Flechten alsAnzeiger von Wirkungen der Luftverunreinigungen.Seit 2007 werden sie auch zur Ermittlung der Wir-kung von lokalen Klimaveränderungen eingesetzt.

1 Einleitung

In den Jahren 1991–1993 erfolgte imBundesland Hessen eine flächen-deckende, immissionsbezogeneFlechtenkartierung nach der da-mals gültigen VDI-Richtlinie 3799, 1.Dazu wurde über das gesamte Landein Messnetz gelegt, wie es Abb. 2zeigt.

2.1 Methoden

Aus Abb. 1 geht her-vor, dass ca. 3 500Messflächen ein-gerichtet und indiesen etwa30 000 Bäume(8 Bäume proMess fläche)auf ihrenFlechten-bewuchsuntersuchtwurden.

Wiesbaden

Frankfurt a.M.

Darmstadt

Gießen

Kassel

Fulda

100 20 km

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

4

2 Kartierung des Bundeslandes Hessen (1991–1993)

Abb. 1: Messflächen.

Wie aus Abb.1 zu ersehen ist, konnten an etwa einem Drittel aller Stationen des Messnetzes wegenfehlender geeigneter Trägerbäume keine Flechten-aufnahmen durchgeführt werden (die Flechtenkar-tierung erfolgt an streng standardisierten, freiste-henden Laubbäumen). Von dieser Beschränkung waren insbesondere Höhenlagen der Mittelgebirgesowie die großen zusammenhängenden Waldgebietedes Landes betroffen. Andererseits wird deutlich,dass die Messflächen ± gleichmäßig verteilt waren;Lücken von einem Durchmesser > 10 km tratennicht auf.

Das Artenspektrum der zur Untersuchung ihresFlechtenbewuchses verwendeten Bäume war sehrgering (Abb. 3). Der Umstand, dass 80 % der Bäumesich auf zwei Arten beschränkte (Apfelbäume, Pap-peln), erbrachte eine für Flechtenerhebungen unter-durchschnittlich geringe Standardabweichung derErgebnisse. Dadurch konnten mehrere Klassen un-terschiedlicher Luftgüte ausge wiesen werden (sieheAbb. 6).

Den Untersuchungsbäumen wurde ein Aufnahme-gitter angelegt (siehe Abb. 4), mit dessen Hilfe dieAnzahl der Arten sowie ihre Häufigkeit ermitteltwerden konnte. Aus diesen beiden Werten ergabsich der Luftgütewert (LGW): Je mehr Arten ge -funden wurden und je größer ihre Häufigkeit inner-

halb des Aufnahmegitters war, umso höher war derLGW.

Entsprechend der Streuungsbreite wurden die Er-gebnisse in Luftgüteklassen eingeteilt und das Ge-samtergebnis in Form einer Karte dargestellt.

2.2 Ergebnisse und Diskussion

Wie aus Abb. 6 zu ersehen ist, hebt sich ein Belas -tungsschwerpunkt im Nordosten Hessens ab, dersich mit der zu diesem Zeitpunkt noch nachwirken-den hohen Immissionskonzentration der damaligenIndustriegebiete von Sachsen und Thüringen er-klären lässt.

Der zweite Schwerpunkt, in der Region Untermain,dürfte auf die hohe Dichte der Industrieansiedlun-gen und die Belastungen durch das Ballungsgebiet(Hausbrand) zurückzuführen sein.

Für die Oberrheinebene lassen sich hausgemachte,hessische Verursacher vermuten; darüber hinauswird aber auch der Ferntransport von Immissionenaus dem nordbadischen Industriekomplex (Mann-heim–Ludwigshafen) eine Rolle gespielt haben. Teilevon West- und Südosthessen zeigen hingegen gerin-ge lufthygienische Belastungen an.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

5

Hochwert 5562

Hochwert 5560

Hochwert 5558

RW: 3451

Mess-fläche

6–10Bäume

LGW28

LGW25

LGW20

LGW23

RW: 3453

1 km

2 km

RW: 3455

Rasterquadrat

LGWRasterquadrat

24

Abb. 2: Messnetz Flechtenkartierung.

Birne 4 %

Apfel 51 %

Linde 4 %

Ahorn 4 %

Esche 8 %

Pappel 29 %

Abb. 3: Spektrum der kartierten Baumarten.

Die Gesamtartenzahl der gefundenen Flechten lagbei 112. Im Mittel wurden pro Messfläche 8,3 undpro Baum 3,9 Arten gefunden. Der Maximalwert einer Messfläche lag bei 29 Arten; die höchste Arten-zahl, die an einem Baum gefunden wurde, betrug 17.Die Anzahl der Messflächen, an denen lediglich Le -canora conizaeoides (eine sehr toxitolerante Art)vorkam – und die deshalb mit dem Luftgütewert 0versehen wurden – war gering: Nur 84 der 3 500Messflächen zeigten äußerst ungünstige lufthygieni-sche Bedingungen an; Mess flächen ganz ohne Flech-tenbewuchs kamen innerhalb dieser Untersuchungüberhaupt nicht vor. Aus diesen Befunden lässt sichfolgende Schlussfolgerung ziehen: Extrem hoheBelastungen durch Luftverunreinigungen tratenum 1992 in Hessen nicht mehr auf.

Um zu klären, welche Faktoren die Existenz derFlechten beeinflussen, wurden Korrelationsberech-nungen zwischen dafür in Frage kommenden Um-weltfaktoren und dem Vorkommen der Flechten vor-genommen. Die Ergebnisse sind in Abb. 5 wiederge-geben.

Ein Vergleich der Luftgütewerte mit den Parametern„Geologie des Untergrundes“, „Nebelhäufigkeit“,„Meereshöhe“ weist nirgends eine deutliche Bezie-hung auf; am weitesten gehend ist die (positive)Übereinstimmung zu den Niederschlägen, dochmuss auf Grund des auch hier niedrigen Kontingenz-koeffizienten ein klarer Zusammenhang zwischenbeiden Parametern verneint werden.

Auch die r-Werte zwischen der Verkehrsdichte, derlandwirtschaftlichen Situation und der Siedlungs-struktur in der Umgebung der Mess flächen lassenkeine Be ziehungen zu den Luftgütewerten erken-nen.

Deutlich negative Beziehungen sind jedoch zwi-schen dem Vorhandensein von Stickstoffverbindun-gen sowie – stärker noch – zwischen dem toxischenSchwefeldioxid und den Existenzmöglichkeiten derFlechten zu erkennen.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

6

0 0,1 0,2 0,3 0,50,4 0,6 0,7

Geologie

Verkehrseinfluss

Landwirtschaftl. Einfluss

Nebel

Gebietsstruktur

Meereshöhe

Niederschläge

Ozon

Korrelations-/Kontingenzkoeffizient

Abb. 5: Korrelationen zwischen den Luftgütewerten und anderen Umweltparametern.

50 cm

100 cm

10+10 cm

Baumstamm

Erdboden

Aufnahmegitter

1 23 45 67 89 10

Abb. 4: Aufnahmegitter am Baum.

–0,7 –0,6 –0,5 –0,4 –0,2–0,3 –0,1 0

Staub

Stickstoffmonoxid

Stickstoffdioxid

Schwefeldioxid

Korrelationskoeffizient (r)

Paradox erscheint die positive Korrelation zwischenOzon und den Luftgütewerten. Sie ist allerdings nureine scheinbare: Während die N-Verbindungen undSO2 die höchsten Konzentrationen in der Regel amOrt ihrer Entstehung aufweisen (z. B. in Bal-lungsgebieten), finden sich hohe O3-Werte auf Grund ihrer besonderenEntstehungsweise im Allgemeineneher in ländlichen Gebieten – unddies bei trocken-warmer Witterung. Dadie wechselfeuchten Flechten unter sol-chen Umweltbedingungen nicht stoff-wechseln, tritt eine ozonbedingteSchädigung nicht auf. Die schein-bar positive Korrelation zwischenO3 und den LGW ist inWirklichkeit also auf dienegative Korrelationzu den N-Verbin-dungen undSO2 zurück-zuführen.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

7

Wiesbaden

Frankfurt a.M.

Darmstadt

Gießen

Kassel

Fulda

Lufthygienische Belastung

niedrig

hoch

immissionsbezogene Flechtenkartierung,Stand: 1993

100 20 km

Abb. 6: Luftgütekarte von Hessen.

Die deutliche Beziehung zwischen dem Flechten-vorkommen und der Schwefeldioxidbelastung lässtsich auch anhand eines Vergleiches zwischen denAbbildungen 6 (Luftgütekarte) und 7 (SO2-Kon-zentrationen) belegen: Beide Karten zeigenein großes Maß an Übereinstim-mung (das um so mehr über-rascht, als Flechten ja auch nochvon anderen Luftverunreinigun-gen negativ beeinflusst werden).Im dargestellten Beispiel ergän-zen sich die technisch gemes-senen und die biologischgewonnenen Erkenntnissein idealer Weise.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

8

Wiesbaden

Frankfurt a.M.

Darmstadt

Gießen

Kassel

Fulda

25–2723–2521–2319–2117–1915–1713–1511–13

SO2-Konzentration (µg/m3)

Jahresmittelwerte 1993(HLfU, 1996, verändert)

100 20 km

Abb. 7: SO2-Konzentrationen in Hessen (Stand 1993).

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

9

3 Immissionsbezogene Flechtenkartierungen in Wetzlar/Gießen (Vergleich zwischen den Erhebungen von 1970, 1985, 1995 und 2005)

Zwischen 1970 und 2005 wurden in den mittelhes-sischen Städten Wetzlar und Gießen mehrfach im-missionsbezogene Flechtenkartierungen durchge-führt. Die Methodik der Flechtenaufnahme erfolgteweitgehend nach den Vorgaben der alten Flechten-kartierungsrichtlinie (VDI 3799, 1, 1995), wie sie imvorigen Kapitel beschrieben wurde.

Von der Mehrzahl der Kartierungen lagen noch dieGrunddaten vor, so dass sie nach der aktuellen VDI-Kartierungsrichtlinie (VDI 3957, Blatt 13, 2005)ausgewertet und dadurch vergleichbar gemacht wer-den konnten. Lediglich die Aufnahme von 1970 warmethodisch andersartig durchgeführt worden, sodass hier nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeitvorlag.

3.1 Methoden

Die neue VDI-Richtlinie berücksichtigt die Tatsache,dass die explosionsartige Zunahme der Flechtenviel-

falt der letzten beiden Jahrzehnte nicht allein auf diedrastische Reduzierung des toxischen Schwefeldioxi-des seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhun-derts zurückzuführen ist. Die Zunahme der Flech-tenarten und ihrer Häufigkeit (Diversität) wird darü-ber hinaus auch der Tatsache zugeschrieben, dassverstärkt Eutrophierungszeiger auftreten, die durchluftgetragene Stickstoffverbindungen (v. a. Ammo -niak) begünstigt werden. Da Eutrophierung negativeAuswirkungen auf die pflanzliche und tierische Artenvielfalt in Ökosystemen hat, wird das Auftreteneutrophierungstoleranter Flechten negativ bewertet.

Folglich werden in der aktuellen VDI-Richtlinie dieEutrophierungszeiger den übrigen Arten (Refe-renzarten – zeigen günstige lufthygienische Bedin-gungen an) gegenüber gestellt.

Die Diversität beider Gruppen wird in jeder Mess -fläche (ca. 10 Bäume) getrennt erfasst und bei derAuswertung getrennt bewertet (siehe Tab. 1).

Bewertung der Luftgüte ohne Berücksich-tigung eutrophierender Luftschadstoffe Bewertung eutrophierender Luftschadstoffe

5 sehr hohe Luftgüte 5 sehr starker Einfluss eutrophierender Verbindungen

4 hohe Luftgüte 4 starker Einfluss eutrophierender Verbindungen

3 mittlere Luftgüte 3 mittlerer Einfluss eutrophierender Verbindungen

2 geringe Luftgüte 2 geringer Einfluss eutrophierender Verbindungen

1 sehr geringe Luftgüte 1 sehr geringer Einfluss eutrophierender Verbindungen

Tab. 1: Erläuterungen zur Bewertungsmatrix.

Der Luftgüteindex wird anhand einer Bewertungs-matrix ermittelt (siehe Abb. 8).

Hierzu werden die Diversitätswerte der Referenzar-ten in der Bewertungsmatrix auf der Ordinate unddie Diversitätswerte der Eutrophierungszeiger aufder Abszisse aufgetragen. Die Bewertung des Qua-drates, in dem der Schnittpunkt der beiden Diver-sitätswerte einer Messfläche zu liegen kommt, wirdfür die Messfläche übernommen und mit einer Far-be belegt.

Der Luftgüteindex setzt sich aus zwei Ziffern zu-sammen, die durch einen Punkt getrennt sind. Dieerste Ziffer des Indexes entspricht der Luftgüte undist mit den Farben gekoppelt, die zweite Ziffer symbolisiert das Vorkommen von Eutrophierungs-zeigern.

Die verbale Beschreibung des Luftgüteindexes wirdin Tab. 2 an einigen Beispielen erläutert:

Ergänzend zur Flechtenkartierung wurden auch pH-Werte an Borken gemessen.

3.2 Ergebnisse und Diskussion

3.2.1 pH-Werte von Baumborken

Die Ergebnisse der Messungen lassen eine drasti-sche Erhöhung der Werte bei allen untersuchtenBaumarten und auch bei beiden Städten im Ver-gleich zwischen der ersten Erhebung und 2005 erkennen (Abbildungen 9 und 10).

Die hier dargestellte Erholung der pH-Werte von Lindenborken nach Rückgang der sauren Schadgaseist auch bei anderen Baumarten zu beobachten.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

10

Luftgüteindex Bewertung

Luftgüteindex1.1

Sehr geringe Luftgüte bei sehr geringem Einfluss eutrophierenderVerbindungen

Luftgüteindex1.5

Sehr geringe Luftgüte bei sehr starkem Einfluss eutrophierenderVerbindungen

Luftgüteindex5.1

Sehr hohe Luftgüte bei sehr geringem Einfluss eutrophierenderVerbindungen

Tab. 2: Verbale Beschreibung des Luftgüteindexes.

Abb. 8: Bewertungsmatrix zur Ermittlung der Luftgüte anhand der Kombination der Diversitätswerte der Referenzarten und der Eutrophierungszeiger.

5.1 5.2 4.3 4.4 3.5

4.1

5.2

4.3 3.4 3.5

4.2

3.14.2

3.3 3.4 2.53.2

2.1 3.2 3.3 2.4 2.5

1.1 2.2 2.3 2.4 1.5

Div

ersi

täts

wer

t der

Ref

eren

zart

en

70

60

40

50

30

20

15

10

5

00 10 20 30 40 50

Diversitätswert der Eutrophierungszeiger

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

11

5,6–6,3

Borken-pH-Wert an Linde

4,9–5,5 4,2–4,8 3,5–4,1 2,8–3,4

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

20051985

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

1970

4,6

4,4

4,8

5,0

4,9

5,0

6,3

4,5

4,7

4,6

4,7

5,0

4,5

5,2

5,2

4,43,7

4,2

4,4

3,6

3,4

3,1

3,5 3,2

3,1

3,9

3,5

3,7 3,7

Abb. 9: Entwicklung und räumliche Verteilung der pH-Werte von Lindenborken in Wetzlar.

Abb. 10: Entwicklung und räumliche Verteilung der pH-Werte von Lindenborken in Gießen.

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

20051970 1985

5,3

4,8

4,6

4,6

4,5

4,5

4,9

4,1

5,9

4,0

4.6

4,8

4,6

4,8

4,5

2,8

2,9 3,0

3,0

3,1

3,2

3,3

3,3

3,3

3,5

2,9

3,4

3,3

3,7

3,3 3,9

3,1

3,2

3,1

3,3

3,6

3,0 2,9

3,2

3,2

3,1

3,3

3,5

3,2

In Gießen, wo bereits von 1970 Messungen von pH-Werten vorliegen, ist zu erkennen, dass der Anstiegzwischen 1970 und 1985 unbedeutend war; seit1985 dagegen sind die pH-Werte deutlich höher ge-worden. Dieses Phänomen lässt sich gut mit der Ent-wicklung der Schwefeldioxidkonzentrationen er-klären (siehe Abb. 11): Während die SO2-Werte bis1987 hoch und annähernd konstant sind, fallen sienach diesem Zeitpunkt aufgrund verbesserter Maß-nahmen zur Verminderung der Immissionsbelastungdeutlich ab. Seither hat der Niederschlag die Säurenaus den Borken ausgewaschen, so dass fast wiedernatürliche pH-Werte vorliegen.

Zwischen der Entwicklung der pH-Werte von Baum-borken in Wetzlar und in Gießen besteht ein Unter-schied: In Wetzlar war die Ansäuerung der Borkentrotz vergleichbarer SO2-Immissionen 1985 deutlichgeringer als in Gießen. Dieses Phänomen lässt sichmit einer Besonderheit in der Wetzlarer Immissions-situation erklären.

Dort gibt es neben den sauren Immissionen seit je-her auch einen Kalkstaubemittenten. Die basischenStäube haben selbst 1985 schon einen Großteil derSO2-Immissionen neutralisiert, was zu einer geringe-ren Ansäuerung der dortigen Baumborken führte.Nach Rückgang der sauren Schadgase und gleich -zeitiger Verringerung der Kalkstaubimmissionen(Abb. 12) haben sich die Verhältnisse zwischen bei-den Städten 2005 angenähert.

Da viele Flechten eine enge Substratbindung besit-zen und diese sich insbesondere auch auf den pH-Wert bezieht, wird auf die hier geschilderten Ent-wicklungen der Säuregehalte der Baumborken beider Diskussion über die Ursachen der zeitlichen Ver-

änderung des Flechtenbewuchses noch einzugehensein.

Betrachtet man die räumliche Verteilung der pH-Werte an Linden (Abb. 9 und 10), so fällt in beidenStädten noch 1985 eine Tendenz zu niedrigen Wer-ten in den Stadtzentren auf (Ursache: Versauerungdurch Hausbrand). Im Jahr 2005 ist diese Inhomoge-nität wegen verstärkter Umstellung der Haushalteauf schwefelarme Brennstoffe verschwunden,gleichzeitig sind die pH-Werte überall erhöht.

3.2.2 Zeitliche Entwicklung der lufthygienischenSituation von Wetzlar und Gießen

Die Flechten-Artenzahlen (Abb. 13) lassen über denZeitraum 1970–1980–1985–1995–2005 einen ste-tigen Anstieg erkennen. Diese Beobachtung deutetauf eine insgesamt verbesserte lufthygienische Situation hin. Während bei den ersten beiden Unter-suchungen (aus methodischen Gründen) nicht zwi-schen den Wetzlarer und Gießener Artenzahlen un-terschieden werden kann, zeigt sich ab 1985 einUnterschied zwischen der Wetzlarer und der Gieße-ner Artenzahl. Dieses Ungleichgewicht zu Ungun-sten Gießens bleibt bis 2005 erhalten, allerdings mitjüngst deutlich abgeschwächter Intensität; Gießenholt bezüglich seiner Luftgüte den Rückstand ge-genüber Wetzlar allmählich auf.

Dank der eingangs erwähnten Tatsache, dass die al-ten Basisdaten früherer Kartierungen noch vorhan-den waren bzw. wieder zugänglich gemacht werdenkonnten, waren Vergleiche mit diesen früheren Un-tersuchungen möglich. Aus Gründen der Übersicht-lichkeit werden hier nur die Ergebnisse nach derneuen VDI-Richtlinie von 2005 wiedergegeben. DesWeiteren werden nur solche Messflächen vergli-

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

12

1980

1982

1984

1986

1988

1990

1992

1994

1996

1998

2000

2002

2004

70

60

50

40

30

20

10

0

µg/m

3

WetzlarGießen

Abb. 11: Entwicklung der Schwefeldioxidgehalte inWetzlar/Gießen (Jahresmittelwerte).

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

mg

/(m

2 x

d)

100

200

300

400

0

Trendkurve WetzlarTrendkurve Gießen

Abb. 12: Entwicklung der Staubdeposition in Wetzlar und Gießen.

chen, die in allen Untersuchungsjahren miterfasstwurden.

Abbildung 14 zeigt die Entwicklung in Wetzlar: Inder Zeit um 1970 war die Immissionsbelastung so-wohl durch Schwefeldioxid als auch durch Kalkstäube

so extrem hoch (Abb. 11, 12), dass im Bereich des In-dustriereviers im nördlichen Wetzlar überhaupt keineFlechten vorhanden waren; es existierte dort eine„Flechtenwüste“. Derartig ungünstige Verhältnissekonnten allerdings auch in Frankfurt ausgemachtwerden, wo die Flechtenwüste sich zu damaliger Zeitüber wesentlich größere Flächen der Innenstadt er-streckte. Im Anschluss an diese flechtenfreie Zonekam damals fast im gesamten Wetzlarer Stadtgebietnur Lecanora conizaeoides vor. Diese Flechte zeigtextrem hohe Belastungszustände an und darf deshalbnur berücksichtigt werden, wenn sie allein vor-kommt. Eine weitere Differenzierung der damaligenlufthygienischen Situation außerhalb der „Leca nora-Zone“ ist nicht möglich, weil 1970 nach einer an-dersartigen Methode kartiert worden war.

1985 überwiegen zwar noch die Farben Rot undOrange, es finden sich jedoch im Außenbereich desUntersuchungsgebietes auch schon Messflächen mitmittlerer und im NW sogar eine Fläche mit hoherLuftgüte: Die deutliche Verbesserung der lufthygie-nischen Situation ist unverkennbar. Zu diesem Zeit-punkt haben noch fast alle untersuchten Teilarealeden Eutrophierungswert 1, was auf einen sehr gerin-gen Einfluss düngender Schadstoffe hinweist (mitt-lerer Eutrophierungsgrad aller Messflächen: 1,2).

1995 findet sich lediglich im äußersten NW noch ei-ne Fläche, die rot ist. Ansonsten überwiegen gerin-ge bis mittlere Luftgüteverhältnisse; im Süden gibtes bereits zwei Flächen mit hohen Luftgüteindizes.Die Schwerpunkte der Belastung befinden sich nochimmer im Bereich der Kernstadt bzw. des nördlichgelegenen Industriereviers. Der mittlere Eutrophie-rungsgrad steigt von 1,2 auf 1,5; die Belastung mitluftgetragenen Düngestoffen nimmt also leicht zu.

2005 hat sich die Situation nochmals verbessert; be-reits 10 Flächen im Untersuchungsgebiet Wetzlarsind der Farbe Grün zugeordnet, was auf eine hoheLuftgüte in diesen Bereichen hinweist. Dem steht al-lerdings auch ein unverkennbarer Anstieg der Eutro-phierungszeiger gegenüber; der dies indizierendeWert steigt auf 2,3. Hohe Eutrophierungswerte fin-den sich verstärkt im Norden der Stadt.

Eine prinzipiell ähnliche Entwicklung wie in Wetzlarist auch in Gießen zu erkennen, wenn auch auf nied-rigerem Niveau (Abb. 15): Zwar gibt es hier 1970keine flechtenfreien Messflächen, große Teile des

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

13

1970 1980 1985 1995 2005

0

20

10

30

40

50

60

Anzahl Flechtenarten Wetzlar

Anzahl Flechtenarten Gießen

Abb. 13: Entwicklung der Artenzahlen in Wetzlar und Gießenzwischen 1970 und 2005.

3.1

3.1 3.1

2.1

2.1 2.1

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

3.2 2.1

1.1

1.1

4.2

3.1

2.1

1.1

3.2

3.3

2.1

2.1

2.1

3.1

2.1

3.1

1.1

2.2

2.1

1.1

3.1

1.1

1.1

1.1

1.1

3.1

1.1

1.1

3.25606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

19851970

3.2 4.1

3.2

2.1

3.1 3.1

3.3 4.1

3.3

3.2

4.2 4.2

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

3.2 3.2

3.3

4.2

2.4

3.1

3.2

2.2

3.3

2.4

4.2

3.3

3.2

4.2

3.1

3.3

2.4

4.2

4.2

3.2

3.1

1.1

3.3

3.3

4.1

3.2

2.3

4.3

2.2 2.1

3.2

3.2

3.2

3.1

3.1

3.2

2.1

2.1

3.2

4.1

3.2

3.1

3.1

3.1

2.2

2.2

2.1

3.2

3.2

2.1

2.1

2.2

2.2

3.1

2.2

3.2

1.1

1995 2005

Einfluss eutrophierenderLuftschadstoffe

Bewertung der Luftgüte

.5 .4 .3 .2 .1

hochsehr hoch mittel gering sehr gering

ohne Berücksichtigungeutrophierender Luftschadstoffe

extrem gering

nur Lecanora conizaeoides

keine Flechten

5. 4. 3. 2. 1.

Abb. 14: Entwicklung der Luftgüteindizes in Wetzlar (1970–2005).

Untersuchungsgebietes werden aber lediglich vonder toxitoleranten und acidophytischen Lecanora co-nizaeoides besiedelt.

1985 haben sich die Verhältnisse deutlich verbes-sert, wenngleich noch immer zwei Flächen als ex-trem belastet anzusehen sind und auch nur zweiQuadrate der Farbe Orange und nur eines Gelb zu-zuordnen sind. Eutrophierungsanzeiger sind außer-ordentlich selten; der mittlere Eutrophierungswertliegt bei 1,0.

Die weitere Verbesserung der lufthygienischen Ver-hältnisse bis zum Jahr 1995 geht nicht so rasch undumfassend vonstatten wie dies bei Wetzlar zu beob-achten war. Andererseits erreicht der mittlere Eutro-phierungsindex mit einem Wert von 1,3 einen nied-rigeren Wert als in Wetzlar.

Im Jahr 2005 hat Gießen gegenüber Wetzlar weiteraufgeholt: Knapp 2/3 aller untersuchten Mess -

flächen sind nur noch mittel bis gering belastet (inWetzlar sind dies zum gleichen Zeitpunkt etwa 80 %aller Vergleichsflächen). Der mittlere Eutrophie-rungsindex ist auf 1,6 gestiegen, bleibt aber deutlichunter dem von Wetzlar.

3.2.3 Entwicklungstendenzen einzelner Flechten-arten von 1985 bis 2005

Bei der Entwicklung der Einzelarten zwischen 1985und 2005 ergaben sich einige charakteristische Un-terschiede, die anhand typischer Beispiele darge-stellt werden sollen.

Lecanora conizaeoides (Abb. 16): Diese toxitole-ranteste und stark acidophytische Art zeigt denRückgang saurer Immissionen (von denen sie offen-sichtlich profitiert) am deutlichsten auf. Sowohl in Wetzlar wie auch in Gießen war sie zu Zeiten hoherSO2-Belastung die häufigste – und zuweilen einzige –Flechtenart. Mit dem Rückgang des Schwefeldio-xids, der in Wetzlar und Gießen annähernd gleich-sinnig verlief, nahm sie 1995 ab; in Wetzlar jedochwesentlich stärker als in Gießen. Im Jahr 2005 kannman sie in Wetzlar kaum noch finden und auch inGießen ist der weitere Rückgang unverkennbar. DasVerhalten dieser Flechte korreliert sehr gut mit derVerminderung der SO2-Konzentration im hier darge-stellten Zeitraum. Der stärkere Rückgang der Art inWetzlar lässt sich folgendermaßen interpretieren:War 1985 die SO2-Konzentration noch so stark, dassdie basisch wirkenden Kalkstäube kaum minderndauf die Versauerung der Baumborken wirken konn-ten, so erhöhten sich danach mit dem Rückgang dessauren Schadgases in Wetzlar die pH-Werte schnellerund intensiver, weil der Kalkstaub seine Wirkungnun stärker entfalten konnte.

Auffallend ist die räumliche Verteilung in Wetzlar:Während die Flechte im stärker durch Kalkstaub belasteten Norden und Westen des Untersuchungs-gebietes seit 1995 immer selten war, sagen ihr dieetwas niedrigeren pH-Werte der Bäume im höher ge-legenen Südteil der Stadt offenbar eher zu.

Phaeophyscia orbicularis (Abb. 17): Die nitrophi-le und eutrophierungstolerante Spezies kam 1985wegen ihrer geringeren Toleranz gegenüber saurenSchadgasen nur mit geringer Frequenz vor. Nachdem Rückgang des SO2 und dem verstärkten Auftre-

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

14

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

19851970

1.1

1.1

1.1

1.1

1.1

1.1 1.1

3.1

1.1

1.1

1.1 1.1

1.1

1.1

1.1

1.1

2.1

1.1

1.1

1.1

1.1

2.1

1.1

1.1

1.1

1.1

1.1

2.1

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1995 2005

3.1

3.3

3.2

2.2

3.3

1.1

3.2

3.2

3.2

3.2

1.1 4.2

3.1

1.1

3.1

1.1

3.2

4.2

3.2

1.1 2.1

3.1

3.2

1.1

1.1

3.2

2.1

3.3

2.2

2.2

1.1

1.1

2.2 3.2

2.1

2.2

1.1

1.1 2.1

2.1

2.2

2.1

1.1

1.1

3.2

1.1 2.1

1.1

1.1

1.1

1.1

1.1

1.1

Einfluss eutrophierenderLuftschadstoffe

Bewertung der Luftgüte 5. 4. 3. 2. 1.

.5 .4 .3 .2 .1

hochsehr hoch mittel gering sehr gering

ohne Berücksichtigungeutrophierender Luftschadstoffe

extrem gering

nur Lecanora conizaeoides

Abb. 15: Entwicklung der Luftgüteindizes in Gießen (1970–2005).

ten eutrophierender Stoffe konnte sie sich stark aus-breiten und verdrängt inzwischen teilweise Refe-renzarten von den Baumborken, weil sie die Baum-stämme im Untersuchungsbereich flächendeckendbesiedelt.

2005 hat sie sich in vielen Messflächen etabliertund auch die Frequenz (Häufigkeit am Baum) nimmtdeutlich zu. Ihre Vorliebe für höhere pH-Werte mani-festiert sich wiederum in Wetzlar deutlich: Von Be-ginn der Untersuchung an bevorzugte sie den durch

Kalkstaub beeinflussten Norden der Stadt; ihr Ver-breitungsmuster ist komplementär zu dem des zuvorbesprochenen Acidophyten Lecanora conizaeoides.

Parmelia sulcata (Abb. 18): Wenngleich das Ent-wicklungsmuster der folgenden Art dem der vorigenauf den ersten Blick zu gleichen scheint, ergebensich doch beim näheren Hinsehen Unterschiede. P. sulcata meidet deutlicher – und einschließlich2005 – die Stadtzentren. In Wetzlar sind die Exi-stenzbedingungen für sie offensichtlich im Süden

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

15

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

Wetzlar

Abb. 16: Verbreitung und Frequenz von Lecanora conizaeoi-des (1985–2005).

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1985

Gießen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1995

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

2005

8–106–84–62–40–2kein Fund

Mittlere Frequenzen

Abb. 17: Verbreitung und Frequenz von Phaeophyscia orbicu-laris (1985-2005).

Wetzlar

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

Gießen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1985

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1995

8–106–84–62–40–2kein Fund

Mittlere Frequenzen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

2005

besser, woraus man acidophytische Merkmale ablei-ten könnte. Während aber die Acidophyten im Ver-lauf des Untersuchungszeitraumes mehr oder weni-ger deutlich zurückgehen, nimmt diese Art in bei-den Städten zu.

P. sulcata gehört zu jener artenreichen Flechtengrup-pe, die bezüglich des pH-Wertes ihrer Substratemittlere Verhältnisse bevorzugt, eutrophierendeLuftfremdstoffe nur mäßig verträgt und gegenübersauren Immissionen ebenfalls eine mittlere Empfind-

lichkeit besitzt. Sie ist also ein typischer Vertreterder Referenzarten, deren Vorkommen günstigelufthygienische Bedingungen widerspiegelt.

Ramalina farinacea (Abb. 19): Einen noch höhe-ren Luftreinheitsgrad zeigen die Vertreter der letz-ten Gruppe an. Sie hatten bis 1995 wegen starkerImmissionsbelastung in Wetzlar wie in Gießen nochkeine Existenzmöglichkeiten, besiedeln aber seither– wenn auch bisher nur mit wenigen Exemplaren –beide Städte. R. farinacea ist ein typischer Vertreter

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

16

Abb. 18: Verbreitung und Frequenz von Parmelia sulcata(1985–2005).

Abb. 19: Verbreitung und Frequenz von Ramalina farinacea(1985–2005).

Wetzlar

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

Gießen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1985

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1995

8–106–84–62–40–2kein Fund

Mittlere Frequenzen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

2005

Wetzlar

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

5606

5605

5604

5603

5601

5602

3467

5599

5600

3465 34663462 3463 3464

Gießen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1985

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

1995

8–106–84–62–40–2kein Fund

Mittlere Frequenzen

5602

5607

5606

5605

5604

5603

5609

5608

3475 3476 3477 3478 3479 3480

2005

dieser hinsichtlich der Luftgüte recht anspruchsvol-len Arten. Sie gehört zu den wenigen Strauchflech-ten, die bisher zurückgekehrt sind.

Abb. 20 zeigt die Entwicklung der Flechtenarten inWetzlar und Gießen noch einmal zusammenfassend:1970, in Zeiten extremer Immissionsbe lastung, fandsich in beiden Städten eine nur minimale Artenzahlund diese bestand überwiegend aus „wenig emp-findlichen“ bis „mittel empfindlichen“ Spezies.1980 hatte sich zwar bereits die Artenzahl geringfü-gig erhöht, jedoch entstammten alle Flechten nochimmer den beiden zuvor genannten Empfindlich-keitskategorien. Allerdings ist hier bereits ein Trendweg von den „wenig empfindlichen“ hin zu den„mittel empfindlichen“ festzustellen.

1985 treten zum ersten Mal Vertreter aus der Kate-gorie der „ziemlich empfindlichen“ Flechten hinzu,in Wetzlar sind die „wenig empfindlichen“ nichtmehr die stärkste Gruppe.

1995 finden sich in Wetzlar schon Vertreter aus derGruppe der „sehr empfindlichen“ Arten; auch inGießen sind Verbesserungstendenzen zu erkennen.

2005 nehmen jene Arten, die ungünstige lufthygie-nische Bedingungen anzeigen, prozentual weiter ab.Im Gegenzug gewinnen die „sehr empfindlichen“Spezies an Bedeutung. In Gießen ist sogar erstmalsein Vertreter aus der Kategorie der „extrem emp-findlichen“ Flechten vorhanden.

Das Gebiet von Wetzlar zeigt bei allen Vergleichs -parametern und zu allen untersuchten Zeiten günsti-gere Voraussetzungen für die Entfaltung der immis-sionsempfindlichen Flechten auf und scheint somitbessere lufthygienische Bedingungen zu besitzen.Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu den vomHLUG gemessenen Werten: Mit Ausnahme derfrüher in Wetzlar sehr hohen Grobstaubimmissionenähnelt sich die Immissionsentwicklung beider Städte.Diese Feststellung scheint den Wert bioindikativerMessverfahren in Frage zu stellen. In Wirklichkeittrifft jedoch genau das Gegenteil zu: WährendGießen stets überwiegend mit phyto- und auch hu-mantoxischen SO2-Immissionen konfrontiert war,gab es in Wetzlar früher zusätzlich zum saurenSchadgas eine starke Kalkstaubemission. Diese wirk-te neutralisierend (und damit minimierend) auf dasgefährliche Schwefeldioxid. Aus lufthygienischerSicht war daher Wetzlar – trotz seiner starken Indu-strialisierung – als weniger belastet einzustufen.Derartige antagonistische Wirkungen lassen sichnicht durch Messgeräte (die immer nur eine Immis-sionskomponente erfassen) feststellen, sondern alleindurch Bioindikatoren, die auf den Gesamtkomplexder biologisch wirksamen Immissionen reagieren.

3.2.4 Zeigerwerte

Bei Erhebungen im Gelände hat sich gezeigt, dass je-de Flechtenart eine bestimmte Toleranz gegenüberabiotischen Umweltfaktoren besitzt (z. B. gegenüberdem Säure- oder Nährstoffgehalt ihres Wachstums-substrates). Demzufolge bevorzugen sie ökologischeGegebenheiten, die diesen Ansprüchen genügenund meiden solche, die ihre diesbezüglichen Bedürf-nisse nicht befriedigen. Im Umkehrschluss kannman folgerichtig aus dem Vorkommen einer Art mitspezifischen Umweltansprüchen das Vorhandenseinund die Quantität ebendieser Faktoren ableiten; dieFlechten wurden gewissermaßen auf jenen Faktor„geeicht“, dessen Vorhandensein und Stärke sie an-zeigen. Bei der Verwendung von Flechten als Zeigerfür Umwelteigenschaften sollte man sich jedoch dar-über im Klaren sein, dass ihr Aussagewert sich aufdie durchschnittliche und langfristige Qualität undQuantität der untersuchten Standorte bezieht unddass das Zusammenwirken mehrerer Umweltfakto-ren das Ergebnis beeinflussen kann.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

17

extrem empfindliche Artensehr empfindliche Artenziemlich empfindliche Arten

mittel empfindliche Artenwenig empfindliche Arten

Wet

zlar,

1970

Gieß

en, 1

970

Wet

zlar,

1980

Gieß

en, 1

980

Wet

zlar,

1985

Gieß

en, 1

985

Wet

zlar,

1995

Gieß

en, 1

995

Wet

zlar,

2005

Gieß

en, 2

005

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

%

Abb. 20: Einwanderung unterschiedlich empfindlicher Flechtenarten in Wetzlar bzw. Gießen.

Das ökologische Verhalten wird bezüglich jedes Um-weltfaktors nach einer neunstufigen Skala bewertet,wobei 1 das geringste und 9 das größte Ausmaß desbetreffenden Faktors bedeutet.

Abb. 21 zeigt den Anstieg der Reaktionszahlen, dieeine Aussage über den Säuregehalt des Flechtensub-strates ermöglichen. Wie in den Abbildungen 9 und10 dargestellt wurde, sind die pH-Werte der Baum-borken seit 1985 infolge der nachlassenden Ver -sauerung allmählich fast wieder auf vorindustrielleWerte angestiegen und erlauben somit die Wieder-einwanderung subneutrophytischer und neutrophy-tischer Flechtenarten. Wie die Reaktionszahlen bele-gen, erfolgte der stärkste Anstieg zwischen 1985und 1995, was sich gut mit den kurz zuvor drastischgesunkenen SO2-Konzentrationen erklären lässt (siehe Abb. 11).

Während die Flechten den Rückgang der sauren Im-missionen eindeutig dokumentieren, scheint diesbei den eutrophierend wirkenden Luftfremdstoffennicht der Fall zu sein. Infrage kommen hier vor allemluftgetragene Stickstoffverbindungen. Deren Kon-zentrationen zeigen bei den technischen Messun-gen von NO und NO2 in beiden Städten für den inFrage kommenden Zeitraum jedoch keine wesent -lichen Veränderungen.

Aus Abb. 22 geht aber hervor, dass die Veränderun-gen in der Flechtenzusammensetzung auch auf einezunehmende Belastung mit eutrophierenden Luft-fremdstoffen zurückzuführen sein muss. Hierfürspricht ebenfalls die offenkundige Zunahme von Eu-trophierungszeigern in fast allen Messflächen überden Untersuchungszeitraum (siehe z. B. Abb.17).

Eine denkbare Erklärung ist, dass die technisch ge-messenen N-Verbindungen für die Existenz vonFlechten ohne direkte Bedeutung sind. Flechten metabolisieren v. a. NO3

– und NH4+/NH3. Diese

Stickstoffverbindungen werden aber wegen mess-technischer Probleme in der Regel nicht erfasst. Das Ammoniak entstammt hauptsächlich landwirtschaft-lichen Quellen (Tierhaltung; Gülleausbringung). Eswird innerhalb weniger Stunden zu Ammoniumoder Ammoniumsalzen abgebaut und verbleibt des-halb in der Nähe der Quelle. Die Abbauprodukte(Ammonium bzw. Ammoniumsalze) können dagegenals Aerosole über weite Strecken verfrachtet werden.Wegen dieses Transportes muss davon ausgegangenwerden, dass die o. g. Verbindungen flächendeckendvorhanden sind. Während man bisher angenommenhat, dass die NH3-Emission aus Autoabgasen eherunbedeutend ist, gehen neue Untersuchungen vonbeträchtlichen Ammoniakkonzentrationen aus denAbgasen von Autos mit Katalysatoren aus.

Diese Feststellungen würden auch erklären, warumin den Städten – trotz fehlender landwirtschaftlicherEmissionen – in der Nähe stark befahrener Straßendie Diversität nitrophytischer Flechten besondershoch ist und, von den Rändern der Straßen ausge-hend, allmählich wieder abnimmt.

Abb. 23 lässt für beide Stadtgebiete einen Anstiegder Referenzarten erkennen, was für eine allgemeineVerbesserung der lufthygienischen Verhältnissespricht. Der gleichzeitige – und sogar stärkere – An-stieg bei den Eutrophierungszeigern weist allerdingsauch auf eine erhebliche Belastung durch Fremdstof-fe mit düngender Wirkung hin.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

18

0

1

2

3

4

5

6

1985 1995 2005

Reak

tions

zahl

Abb. 21: Entwicklung der mittleren Reaktionszahlen in Wetz-lar und Gießen (1985–2005).

0

1

2

3

4

5

6

1985 1995 2005

Näh

rsto

ffza

hl

Abb. 22: Entwicklung der mittleren Nährstoffzahlen in Wetz-lar und Gießen (1985–2005).

Eutrophierende Wirkungen auf die Umwelt sind ne-gativ: Nitrophile Arten dringen in Ökosysteme einund verdrängen dort solche Pflanzen, die nährstoff -arme Böden bevorzugen; eine Verringerung der Diversität innerhalb der Lebensgemeinschaften istdie Folge. Des Weiteren kommt es zu Versauerungs-erscheinungen im Boden, wenn bei der Umwand-lung von NH4

+ zu NO3– Protonen freigesetzt wer-

den. Wenn auch andere Luftfremdstoffe ähnlicheWirkung ausüben (z.B. NOx und SO2), so gilt dochAmmoniak als ein Hauptverursacher der Bodenver-sauerung. Eine Erniedrigung des pH-Wertes im Bo-den erhöht u. a. die Bioverfügbarkeit von Nährstoffenund toxischen Metallkomplexen (Ionenaustausch),was wiederum die Eutrophierung ansteigen lässtund gleichzeitig – bei hohen Konzentrationen – zutoxischen Erscheinungen führen kann.

Fazit: Die hier vorgelegten Untersuchungsergebnis-se belegen die Verbesserung der lufthygienischen Si-tuation in den beiden mittelhessischen StädtenWetzlar und Gießen; sie dürften repräsentativ fürweite Teile des Bundeslandes sein.

Der Verminderung der Immissionen – v. a. im Be-reich des Schwefeldioxides – steht allerdings eineErhöhung eutrophierend wirkender Luftschadstoffegegenüber. Im Vergleich zu stark landwirtschaftlichorientierten Gebieten („Güllegürtel“ in Nordwest-deutschland und den Niederlanden) sind die Verhält-nisse in Hessen noch nicht besorgniserregend: DieAusbreitung nitrophiler Arten ist dort wesentlichgravierender.

Dennoch sollte dem Problem weiterhin Beachtunggeschenkt werden, um negative Auswirkungen aufschützenswerte Ökosysteme zu vermeiden.

Eine Verbesserung der lufthygienischen Verhältnissein Mittelhessen ist möglich, wie Vergleiche mit Er-hebungen des mittelhessischen Flechteninventarsvergangener Jahrhunderte belegen: Es werden dortArten beschrieben, die bis heute nicht zurückge-kehrt sind. Darunter befinden sich Vertreter extremimmissionsempfindlicher Gattungen.

Beobachtungen des zeitlichen Verlaufes der Flechten -entwicklung lassen zwischen 1985 und 1995 einenstarken Zuwachs in der Frequenz bzw. der Rekoloni-sierung durch Rückeinwanderer erkennen; seit 1995verlaufen beide Prozesse in deutlich abgeschwächterWeise. Offensichtlich beginnt sich ein gewisser sta-biler Zustand einzustellen.

3.3 Zusammenfassung

Im Jahr 2005 wurden in den beiden mittelhessi-schen Städten Wetzlar und Gießen immissionsbezo-gene Flechtenkartierungen durchgeführt. Die Städtewaren bereits 1970, 1985 und 1995 unter dem glei-chen Aspekt auf ihren Flechtenbewuchs untersuchtworden. Wenngleich die Methodik der einzelnenUntersuchungen sich unterschied, konnten die Er-gebnisse ab 1985 dennoch direkt miteinander vergli-chen werden, weil sie sich an die Vorgaben der neu-en VDI-Flechtenkartierungsrichtlinie anpassen ließen.Die früheren Untersuchungsergebnisse ließen sichteilweise ebenfalls im Sinne der Richtlinie interpre-tieren.

Parallel zur Flechtenkartierung waren 1970, 1985und 2005 vergleichende Bestimmungen der pH-Wer-te an den Baumborken der Flechtenbäume durchge-führt worden.

Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfas-sen:• In beiden Städten steigen die pH-Werte infolge

verringerter SO2-Belastung seit Beginn der 80erJahre des letzten Jahrhunderts an und erreicheninzwischen fast wieder Werte, die denen aus vor-industrieller Zeit gleichen.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

19

1985 1995 2005

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

Diversitätswert Referenzarten, Wetzlar

Diversitätswert Eutrophie-rungszeiger, Wetzlar

Diversitätswert Referenzarten, Gießen

Diversitätswert Eutrophie-rungszeiger, Gießen

Abb. 23: Entwicklung von Referenzarten und Eutrophierungs-zeigern in Wetzlar und Gießen (1985–2005).

• Bei den Flechten zeigte sich 1970, zum Zeit-punkt der ersten Untersuchung, aufgrund extrem hoher Immissionsbelastung eine völligeVerarmung der Flechtenvegetation, bis hin zuflechtenfreien Gebieten im industrialisiertenNorden Wetzlars.

• Mit zunehmender Verbesserung der lufthygieni-schen Verhältnisse innerhalb des Untersuchungs-zeitraumes – hervorgerufen durch verminderte

Immissionen – steigt die Artenzahl der Rückein-wanderer an.

• Kamen zunächst nur toxitolerante Arten zurück,so ist inzwischen auch eine Rekolonisation durchempfindliche Spezies zu beobachten.

• Der Vergleich der Flechtenvegetation zwischen1970 und 2005 zeigt darüber hinaus einen deut-lichen Anstieg von Arten, die durch eutrophie-rende Luftschadstoffe begünstigt werden.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

20

Langfristig angelegte Untersuchungen von Flechtenals Bioindikatoren zur Bewertung von Immissionensind selten, weil es zu ihrer Durchführung einerKontinuität sowohl der Untersucher als auch derGeldgeber bedarf. Neben den Niederlanden und –ansatzweise – auch Großbritannien gibt es solche Er-hebungen nur noch im Bundesland Hessen. Dabeisind sie von außerordentlichem Wert, weil erstdurch sie die Veränderungen der lufthygienischenSituation erfasst und dokumentiert werden können.Flechten gelten als Frühwarnsysteme, weil sie – alswechselfeuchte Organismen – besonders intensiveKontakte zu ihrer gasförmigen Umwelt besitzen.Des Weiteren können sie als Modell für ganze Öko-systeme verstanden werden, weil ihre Reaktionenauf Immissionen repräsentativ für andere Organis-mengruppen (einschließlich des Menschen) sind.

Die hessischen Flechtendauerbeobachtungsflächen(DBF) wurden 1992 in repräsentativen Gebieten desLandes eingerichtet und werden seither im fünf -jährigen Rhythmus untersucht. Um eine Vergleich-barkeit der Ergebnisse über die Jahre zu sichern,wurden die Kartierungen von Anfang an nach denVorgaben der entsprechenden VDI-Richtlinie (VDI3799,1) durchgeführt. Seit 2005 liegt eine aktuali-sierte Version dieser Richtlinie vor (VDI 3957, 13),die sich v. a. hinsichtlich der Methodik der Flech-tenaufnahme (Kartierung) und der Interpretationder Ergebnisse von ihrer Vorgängerin unterscheidet.Um die Kontinuität und Vergleichbarkeit der hes -

sischen Dauerbeobachtungsergebnisse nicht zu ge-fährden, wurde in den hessischen DBF auch 2007mit der alten Aufnahmetechnik weiter gearbeitet(was die Richtlinie erlaubt), die Auswertung erfolgtebei dem hier vorliegenden Bericht allerdings nachden Vorgaben der neuen Version (siehe die entspre-chenden Ausführungen im Kapitel 3.1).

Ein verfeinertes und intensiveres Werkzeug zumNachweis von Veränderungen in der lufthygieni-schen Situation liegt mit der Methode der Flächen-bestimmung einzelner Flechtenarten und der Beob-achtung ihrer Veränderungen vor (VDI 3957, 8).Dieses Verfahren wird seit 1997 an ausgewähltenKleinflächen von 20 x 20 cm innerhalb der DBF ein-gesetzt.

Den Resultaten einer immissionsbezogenen Flech-tenkartierung im Umfeld des Frankfurter Flughafens(2007) ist ein weiteres Kapitel gewidmet.

Die in jüngster Zeit zu beobachtende Arealverschie-bung bestimmter Flechtenarten (Einwanderung vonso genannten Wärmezeigern, bei gleichzeitigemRückzug der Kühlezeiger) hat die zuständige VDI-Kommission dazu veranlasst, die Entwicklung einer„Klima-Richtlinie“ in Erwägung zu ziehen. Die hessi-sche Landesregierung unterstützt dieses Vorhabendurch die Finanzierung von Grundlagenforschungauf diesem Gebiet. Auch die Resultate dieser Unter-suchung fließen in den vorliegenden Bericht ein.

4 Hessische Flechten-Dauerbeobachtungsflächen (DBF)

4.1.1 Methoden

4.1.1.1 Die Untersuchungsgebiete

Die seit der ersten Kartierung von1992 eingerichteten Flechten-Dauer-beobachtungsflächen wurden 1997,2002 und 2007 erneut untersucht.Abbildung 24 gibt einen Überblicküber die Lage der DBF.

In den sieben für Dauerbeob-achtungen vorgesehenenArealen wurde jeweilseine 8 x 8 km großeTeilfläche für dieFlechtenkartie-rung ausgewählt.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

21

4.1 Kartierung der Diversität epiphytischerFlechten als Indikator der Luftgüte

Wiesbaden

Frankfurt a.M.

Darmstadt

Gießen

Kassel

Fulda

Gießen

Limburg

Biebes-heim

Oden-wald

Rhein-gau

Rhön

Spessart

Diemel-stadt

Mel-sungen

Dauerbeobachtungsfläche

Temporäre Untersuchungsfläche

100 20 km

Abb. 24: Lage der hessischen Flechten-DBF.

Die beiden hellblauen Stationen wur-den zusätzlich zu den sieben offiziellenfür die Klima-Erhebung eingerichtet.

Die Rhön war ursprünglich nicht alsDBF eingeplant. Dort fehlt daher dieErhebung von 1997.

An den Kreuzungspunkten eines 2 x 2-km-Netzes er-geben sich daraus jeweils 25 Messflächen von 1 km2

Größe (siehe Abb. 25).

In jeder Messfläche werden, entsprechend den Vor-gaben der VDI-Richtlinie jeweils 6–12 geeigneteBäume auf ihren Flechtenbewuchs untersucht. Sinktdie Zahl der in den vorigen Kartierungen untersuch-ten Bäume (z. B. wegen Überalterung, Fällungen,Stürme), so ist für Ersatz zu sorgen. Finden sich keinegeeigneten Bäume, ist die Messfläche zu verwerfen(nicht kartierbar). Gelegentlich kam es vor, dassMessflächen, die früher wegen Mangels an geeigne-ten Bäumen nicht als Messflächen in Betracht kamen, durch Heranwachsen junger Bäume neu ein-gerichtet werden konnten. Als Folge ist eine gewisseFluktuation der Anzahl von Messflächen/DBF zu ver-zeichnen (siehe Tab. 3). Von den 175 potentiellenMessflächen aller DBF sind im Mittel ca. 1/3 wegenfehlender Bäume nicht für die Flechtenkartierungnach VDI geeignet.

4.1.1.2 Untersuchungsbäume

Seit 1997 sind alle in die Untersuchung eingegange-nen Bäume mit Nägeln markiert und mit Hilfe ge-nauer Angaben von Hoch- und Rechtswert ihresStandortes eindeutig festgelegt worden. Folgerichtigkonnten diese Bäume bei den letzten Untersuchun-gen sicher wieder gefunden werden. Probleme erga-ben sich lediglich dort, wo Untersuchungsbäume inder Zwischenzeit gefällt, durch Sturm umgeworfenoder aus Altersgründen zusammengebrochen waren.In solchen Fällen wurde – soweit möglich – auf Er-satzbäume ausgewichen.

Tabelle 4 zeigt, dass sich die mittlere Anzahl kartier-ter Bäume/Messfläche über den gesamten Untersu-chungszeitraum hinweg nur unwesentlich veränderthat.

Das Artenspektrum untersuchter Baumarten unter-lag im Verlauf der Wiederholungskartierungen ge-ringfügigen Veränderungen (siehe Abb. 26): Apfel-baum und Pappel sind zwar noch immer die am häu-figsten untersuchten Bäume. Da sie aber als Flech-tensubstrate weniger gut geeignet sind als z. B.Eschen und Ahorne, werden neuerdings – soweitmöglich – ausfallende Pappeln und Apfelbäumedurch die in der Richtlinie besonders empfohlenenBaumarten ersetzt.

Für 2007 sind die Anteile der Baumarten an denknapp 1200 insgesamt untersuchten Bäumen ausAbb. 27 ersichtlich. Wie daraus hervorgeht, machenlediglich 3 Baumarten (Apfel, Pappel, Esche) ca. ¾aller untersuchten Bäume aus. Dies ist im Interesseeiner Standardisierung (und damit geringer Daten-streuung) von Vorteil.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

22

5574

5570

5572

5568

5566

Rechtswert

Hoc

hwer

t

3537 3535 3539 3541 3543

1 km

8 km

Abb. 25: Messnetz für die Dauerbeobachtungsflächen (Beispiel der DBF „Spessart“).

Anzahl Messflächen 1992 100

Anzahl Messflächen 1997 114

Anzahl Messflächen 2002 109

Anzahl Messflächen 2007 135

Tab. 3: Anzahl untersuchter Messflächen zwischen 1992 und 2007.

Mittlere Anzahl Bäume/Messfläche 1992 8,2

Mittlere Anzahl Bäume/Messfläche 1997 9,5

Mittlere Anzahl Bäume/Messfläche 2002 9,1

Mittlere Anzahl Bäume/Messfläche 2002 8,7

Tab. 4: Anzahl untersuchter Bäume/Messfläche zwischen1992 und 2007.

4.1.1.3 Flechtenaufnahme

Die Flechtenaufnahme erfolgte nach VDI 3957, Blatt 13:

• Innerhalb einer Station werden 6 bis 10 geeigne-te Bäume für die Flechtenerhebung ausgewählt.

• Es erfolgt eine genaue Angabe des Baumstand -ortes mit Hilfe von Rechts- und Hochwert. DieseMaßnahme soll ein sicheres Wiederauffinden desBaumes bei der nächsten Wiederholungskartie-rung ermöglichen.

• In 150 cm Höhe wird jeder Baum mit Hilfe einesV2A-Nagels markiert.

• Jedem Baum wird ein Aufnahmegitter angelegt(siehe Abb. 4).

• Innerhalb des Gitters werden die vorkommenden

Flechten notiert und ihre Frequenzen (Häufigkeitihres Vorkommens) bestimmt.

• Die erhobenen Daten werden gemäß den Vorga-ben der Richtlinie zur Berechnung der Luftgüte-Indizes einer jeden Messfläche herangezogen.

• Die Luftgüte-Indizes von 1992 werden mit de-nen von 1997, 2002 und 2007 verglichen undgraphisch dargestellt.

4.1.1.4 Auswertung der Daten zur Bestimmung desLuftgüte-Indexes (LGI)

Siehe hierzu die Ausführungen im Kapitel „Immissi-onsbezogene Flechtenkartierungen in Wetzlar/Gießen“ (insbesondere Tab. 1 und Abb. 8).

4.1.2 Ergebnisse und Diskussion

4.1.2.1 Die Entwicklung von Referenzarten und Eutro-phierungszeigern (1992–2007)

In der DBF Diemelstadt, die zu Beginn unserer Er-hebungen (1992) als mittel belastet eingestuft wor-den war, bleibt die Häufigkeit der Referenzarten(zeigen hohe Luftgüte an) über die Jahre hinweg re-lativ kons tant (Abb. 28); die Eutrophierungszeiger la-gen bezüglich ihrer Häufigkeit darunter. Dieses Ver-hältnis kehrt sich ab 1997 um und wird seither – in-folge der raschen Zunahme der Eutrophierungszei-ger – immer deutlicher.

Melsungen, als ursprünglich am stärksten belasteteDBF eingestuft, beginnt 1992 folgerichtig mit dergeringsten Frequenz aller Dauerbeobachtungs-flächen (Abb. 29). Dies trifft sowohl für die Refe-renzarten als auch für die Eutrophierungszeiger zu.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

23

19921997

20022007

0

100

200

300

400

500

600

Apfel Pappel Esche Linde Birne SonstigeSpitz-ahorn

Berg-ahorn

Wal-nuss

Abb. 26: Entwicklung der Zahl untersuchter Bäume (1992/1997/2002/2007).

Pappel 26 %Esche 16 %

Spitzahorn 10 %

Linde 8 %

Birne 5 %

Bergahorn 3 %

Sonstige 2 % Walnuss 1 %

Apfel 29 %

Abb. 27: Baumartenverteilung aller DBF, 2007.

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 28: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Diemelstadt (1992–2007).

Nach der Stillegung der starken SO2-EmittentenSachsens und Thüringens Anfang der neunziger Jah-re, beginnt auch hier eine Erholung der Flechtenve-getation – wenn auch noch auf niedrigem Niveau.Hier haben bis 2002 die Referenzarten das Überge-wicht; erst bei der letzten Erhebung übertrifft dieArtenzahl und Frequenz der Eutrophierungszeigerdiejenige der Referenzarten.

Die DBF Rhön wies 1992 von allen Dauerbeobach-tungsflächen die höchste Artenzahl und Frequenzder Referenzarten auf (Abb. 30). Da sie 1997 nichtuntersucht wurde, kann über diesen Zeitpunkt kei-ne Aussage gemacht werden. Im Untersuchungszeit-raum 2002 ist ein deutlicher Rückgang der Refe-renzarten zu beobachten, der sich 2007 aber nichtfortsetzt. Bei den Eutrophierungszeigern ist über dieJahre ein Anstieg zu konstatieren. Es überwiegen je-doch weiterhin die Referenzarten.

Gießen, 1992 als hoch belastet eingestuft, verhältsich in seiner Flechtenentwicklung ähnlich wie Melsungen (Abb. 29 und 31): Von einem geringen

Anfangsniveau ausgehend nimmt sowohl die Zahlder Referenzarten als auch die der Eutrophierungs-zeiger zu. Im Gegensatz zu Melsungen tritt dasÜbergewicht der Eutrophierungszeiger jedoch be-reits Ende des letzten Jahrhunderts ein.

Die zu Anfang als gering belastet eingestufte DBFLimburg startet mit hohen Frequenzen – insbesonde-re der Referenzarten (Abb. 32). Die Häufigkeit dieserArten nimmt jedoch im Verlauf der Dauerbeobach-tung ab, während gleichzeitig ein Anstieg der Eutro-phierungszeiger zu beobachten ist. 2007 sind dieseerstmals stärker vertreten als die Referenzarten.

Die DBF Spessart – ursprünglich ebenfalls als geringbelastet eingestuft – verhält sich hinsichtlich derHäufigkeitsentwicklung beider Flechtengruppen ähn-lich wie Limburg (Abb. 33): Einer Abnahme der Refe-renzarten steht eine Zunahme der Eutrophierungs-zeiger gegenüber. Allerdings ist hier ein Übergewichtder zuletzt genannten Gruppe bisher nicht zu beob-achten.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

24

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 29: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Melsungen (1992–2007).

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 30: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Rhön (1992–2007).

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 31: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Gießen (1992–2007).

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 32: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Limburg (1992 – 2007).

In der DBF Biebesheim verläuft die Entwicklung –beginnend mit einem sehr niedrigen Ausgangs -niveau – ähnlich wie in den beiden anderen ur-sprünglich hoch belasteten Dauerbeobachtungs-flächen Melsungen und Gießen (Abb. 34): Die Häu-figkeit der Referenzarten nimmt zunächst zu; seit1997 ist hier allerdings eine Stagnation (bzw. einleichter Rückgang) zu verzeichnen. Die Häufigkeitder Eutrophierungszeiger nimmt deutlich zu.

Fasst man die Ergebnisse der Untersuchungen zurEntwicklung von Referenzarten und Eutrophierungs-zeigern zusammen, so lassen sich folgende Gesichts-punkte erkennen: In allen DBF nimmt seit 1992 dieAnzahl der Eutrophierungszeiger kontinuierlich zu.Vergleicht man die Ausgangswerte von 1992 mit de-nen der Erhebung von 2007, so ist der stärkste pro-zentuale Zuwachs in den ehemals stark belastetenDBF Biebesheim, Gießen und Melsungen zu beob-achten. In der Rhön und im Spessart verläuft der An-stieg hingegen eher moderat. Als Ursache hierfürdarf vermutlich angenommen werden, dass beideGebiete am wenigsten von der deutschlandweit zu

beobachtenden Zunahme eutrophierender Verbin-dungen (v. a. Ammoniak) betroffen sind, da die bei-den Hauptemittenten – Intensivlandwirtschaft undAutoverkehr – hier keine wesentliche Rolle spielen.

Bei den Referenzarten ist ein differenziertes Bild ihrer Entwicklung zu beobachten: In den 1992 hochbelasteten DBF Melsungen, Gießen und Biebesheimwirkt sich der Rückgang saurer Schadgase offenbarbis heute aus, was sich in einer Zunahme der Refe-renzarten ausdrückt. In den ursprünglich geringerbelasteten DBF Rhön, Limburg, Spessart und Die-melstadt gehen die Referenzarten zurück (wennauch in wesentlich geringerem Umfang als dies beider Zunahme der Eutrophierungszeiger zu beobach-ten ist).

Der Rückgang der Referenzarten (die gleichzeitigteilweise Acidophyten sind) kann als Indiz dafür ge-wertet werden, dass die weite Zeiträume des zwan-zigsten Jahrhunderts beherrschenden sauren Immis-sionen ihre Nachwirkungen verlieren und wir in denÖkosystemen allmählich zu vorindustriellen Verhält-nissen hinsichtlich dieses Immissionsfaktors gelan-gen. Die Einwanderung von anderen Referenzarten(Nicht-Acidophyten) geht allerdings langsam voran:Zwar sind sie bereits vorhanden, wie man im Gelän-de beobachten kann, ihre Individuenzahl ist jedochnoch zu gering, als dass sie bereits in nennenswerterAnzahl im kleinen Aufnahmegitter der Kartierungvorzufinden wären.

4.1.2.2 Entwicklung der Luftgüte-Indizes in den hes -sischen Flechten-Dauerbeobachtungsflächen(1992–2007)

In der DBF Diemelstadt (Abb. 35) gab es 1992noch einige (wenige) Messflächen, die der Kategorie„Luftgüte sehr gering“ (Farbe Rot) zugeordnet wer-den mussten. Deren Anzahl nahm 1997 ab und seitdieser Zeit ist keine Messfläche mehr sehr stark be-lastet. Die gleiche Tendenz ist ebenfalls für Mess -flächen der zweitschlechtesten Klasse zu beobach-ten. In ähnlicher Weise stellt sich jedoch auch dieEntwicklung bei den Messflächen mit hoher bzw.sehr hoher Luftgüte dar: Bei beiden nimmt in derZeit zwischen 1992–2007 die Anzahl der dazugehörigen Messflächen ab. Dafür ist eine deutlicheZunahme der Messflächen, die eine mittlere Luftgü-te aufweisen, festzustellen.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

25

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 33: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Spessart (1992–2007).

1992 1997 2002 2007

mitt

lere

Häu

figke

it

0

5

10

15

20

25

30

35

Häufigkeit Referenzarten

Häufigkeit Eutrophierungszeiger

Abb. 34: Vergleich der Häufigkeit des Vorkommens von Referenzarten und Eutrophierungszeigern in derDBF Biebesheim (1992–2007).

Der deutlichste Sprung hin zu besse-ren Luftgüte-Indizes ist zwischen1992 und 1997 zu erkennen. Ab die-sem Zeitpunkt gehen die Luftgüte-Indizes leicht nach unten. Diese Ten-denz ist bei allen Dauerbeobachtungs-flächen zu beobachten, die zu Beginnunserer Erhebungen 1992 wegen re-lativ geringer Immissionsbelastung bereits ein verhältnismäßig anspruchs-volles Inventar an Flechtenarten be-saßen (Diemelstadt, Rhön, Limburg,Spessart). Der mit der Verminderungder sauren Immissionen (v. a. SO2)verbundene Rückgang der Acido-phyten wirkt sich bei diesen DBF stär-ker aus als bei den ursprünglich hochbelasteten, bei denen die Flechtenve-getation zu Beginn der Untersuchun-gen stark verarmt war (Melsungen,Gießen, Biebesheim).

In der DBF Melsungen gab es 1992keine Messfläche, die der besten Luft-güteklasse zuzuordnen war (Abb. 36).Daran hat sich bis heute nichts geän-dert. Auch die zweitbeste Klasse warzu Anfang nicht vertreten. Dafürgehörten ca. 65 % aller Flächen derKlasse „Luftgüte sehr gering“ an. Seit-her nimmt die Zahl der Messflächenmit sehr hoher Belastung jedoch dras -tisch ab; ein Teil ist der nächst besse-ren Klasse zugefallen, die Mehrzahl je-doch ist in die mittlere Belastungsklas-se aufgerückt. Eine gehört inzwischen

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

26

Einfluss eutro-phierenderLuftschadstoffe

Bewertung der Luftgüte

.5

.4

.3

.2

.1

hoch

sehr hoch

mäßig

gering

sehr gering

ohne Berücksichtigungeutrophierender Luftschadstoffe

Messflächenicht kartierbar

5.

4.

3.

2.

1.

1992

20072002

1997

5700

5702

5704

5698

5706

3495 3501 35033497 3499

5700

5702

5704

5698

5706

5700

5702

5704

5698

5706

3495 3501 35033497 3499

5700

5702

5704

5698

5706

5700

5702

5704

5698

5706

3495 3501 35033497 3499

5700

5702

5704

5698

5706

3495 3501 35033497 3499

2.1

1.1 3.1 1.1 1.1

2.1 4.1 4.1 3.2

3.1 3.2

3.1 3.1 1.1 2.1

4.2 3.2

3.3 3.2 3.2 3.2

3.2 4.2 3.1 3.3 3.3

3.3 4.2 2.2

3.2 3.3 2.2 3.2

3.2 3.2 3.3

3.3 3.1 3.1 3.2

4.2 5.2 4.1 3.3

3.1 3.2 3.2

3.2 3.4 2.2 3.2

4.2 3.2 3.3

3.3 4.1 2.1 1.1

3.2 5.2 4.1 3.3

4.2 3.2 3.3

3.2 2.4 2.2 3.2

5.2 3.3 3.3

Abb. 35: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Diemelstadt zwischen 1992 und 2007.

3.1 1.1 2.1

1.1 1.1

1.1 2.1 3.2 1.1 3.2

1.1 3.1 1.1

1.1 1.1 1.1

1.1 1.1 3.2 3.3

3.1 3.2 1.1

3.3 3.2 3.2 3.1

3.2 4.2 3.2

3.1 3.2

1.1 3.2 3.2 2.2

4.1 2.1 1.1

3.3 2.2 3.2 3.1

3.1 3.1 2.1

2.1 2.1

1.1 1.1 3.2 3.2

4.1 1.1 1.1

4.2 1.1 3.2 3.1 3.2

2.1 3.1 3.2

2.1 2.1

1992

20072002

1997

5652

5654

5656

5658

5660

3537 3543 35453539 3541

5652

5654

5656

5658

5660

3537 3543 35453539 3541

5652

5654

5656

5658

5660

3537 3543 35453539 3541

5652

5654

5656

5658

5660

3537 3543 35453539 3541

Abb. 36: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Melsungen zwischen 1992 und 2007.

Legende zu den Abbildungen 35–41

sogar in den Bereich mit hoher Luftgü-te. Eine Erholungstendenz ist bei die-ser, ursprünglich stark immissionsbe-lasteten DBF unverkennbar.

Im Vergleich zur DBF Diemelstadtsetzt sich in Melsungen zwischen1992 und 2007 der Trend zur Verbes-serung der lufthygienischen Situationkontinuierlich fort. Diese Beobach-tung lässt sich damit erklären, dassMelsungen – an der ehemaligen DDR-Grenze gelegen – 1992 mit einerdeutlich schlechteren Ausgangslagegestartet war; es ist daher folgerich-tig, dass hier die Verbesserung der Im-missionssituation am deutlichsten zu-tage treten musste.

Ein völlig anderes Bild zeigt sich inder DBF Rhön (Abb. 37): 1992 gehör-te keine Messfläche zu den beidenungünstigsten lufthygienischen Klas-sen; ein gutes Drittel war dagegen inder Klasse mit der höchsten Luftgüte(Farbe Blau) einzuordnen. Im weite-ren Verlauf ging dieser Anteil aller-dings auf ca. 10 % zurück; viele derehemals unbelasteten Flächen ge -hören jetzt zur Klasse mit hoher Luft-güte (Farbe Grün). Von allen Flech-ten-Dauerbeobachtungsflächen ist derAnteil von Messflächen mit hoherund sehr hoher Luftgüte in der Rhönam stärksten ausgeprägt; sie ist alsoüber die Jahre als am wenigsten bela-stet anzusehen.

Aus der Abb. 37 ist zu ersehen, dasssich die Luftgütewerte an der Mehr-zahl der Rhön-Messflächen zwischen1992 und 2007 verringert haben.Dies ist ein ähnlicher Befund wie inden DBF Diemelstadt, Limburg undSpessart: Infolge vergleichsweise ge-ringer Immissionsbelastung zu Beginnunserer Untersuchungen 1992 hattesich an diesen Dauerbeobachtungs-flächen eine relativ artenreiche Flech-tenvegetation halten können. MitWegfall der sauren Immissionen nah-

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

27

4.2 4.1 4.2 4.1 3.2

4.1 3.1 5.1 5.2

4.2 4.1 3.3

5.1 4.1 5.1 5.1

5.2 3.1 5.1 4.1

3.3 4.2 3.2 4.2 4.2

4.2 3.2 4.1 4.1 4.2

5.2 4.1 3.3 4.2

4.1 4.1 3.2 4.1 4.2

4.2 3.2 4.1 5.2

4.2 4.2 3.2 3.1 4.1

4.1 3.2 3.1 4.1 4.2

4.2 4.1 3.1 3.2 2.1

4.1 4.1 2.2 5.1 4.3

4.1 4.2 4.1 5.2

5596

5598

5600

5602

3571356935673565

5604

3563

5596

5598

5600

5602

3571356935673565

5604

3563

5596

5598

5600

5602

3571356935673565

5604

3563

5596

5598

5600

5602

3571356935673565

5604

3563

1992

20072002

1997

Abb. 37: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Rhön zwischen 1992 und 2007.

1.1 1.1 2.1

3.1 3.1 1.1 1.1

1.1 2.1 1.1

2.1 2.1 1.1 3.1

2.1 1.1 1.1 2.1 2.1

3.3 4.2 3.3 2.2 4.2

3.1 3.2 3.2 3.2

3.2 3.2 3.3 2.3

3.2 3.2 3.3 3.2 3.1

3.2 3.2 2.3 3.2 3.2

3.2 1.1 3.2 2.2 3.1

2.1 2.1 2.2 2.2

2.2 1.1 2.3 1.1

2.2 2.2 3.3 3.2 3.1

3.1 1.1 2.2 3.2 3.1

2.1 1.1 2.1 1.1 2.1

2.1 2.1 3.2 1.1

2.2 1.1 2.2 1.1

2.2 1.1 3.1 2.1 3.1

2.1 1.1 3.1 2.1 3.1

5598

5600

5602

5596

5604

3477 3483 34853479 3481

5598

5600

5602

5596

5604

3477 3483 34853479 3481

5598

5600

5602

5596

5604

3477 3483 34853479 3481

5598

5600

5602

5596

5604

3477 3483 34853479 3481

1992

20072002

1997

Abb. 38: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Gießen zwischen 1992 und 2007.

men Artenzahl und Frequenz der Acidophyten ab, was sich in einer Ver-ringerung der Luftgüte-Indizes aus-drückt.

In der ehemals als belastet eingestuf-ten DBF Gießen sinkt die Zahl vonFlächen mit sehr geringer und solchenmit geringer Luftgüte seit 1992; Mess -flächen mit mäßiger Luftgüte nehmenhingegen kontinuierlich und stark zu(Abb. 38). In unserer letzten Erhe-bung 2007 waren knapp 10 % aller un-tersuchten Messflächen bereits als ge-ring belastet einzustufen. In Gießenist der Trend zu einer Verbesserungder lufthygienischen Situation ebensooffensichtlich wie in Melsungen.

Die ursprünglich als gering belasteteingestufte DBF Limburg zeigt imVerlauf des fünfzehnjährigen Untersu-chungszeitraumes eine relative Kon- stanz der Belastungssituation auf:Über den gesamten Untersuchungs-zeitraum ist keine Messfläche der Ka-tegorie „Luftgüte sehr gering“ (FarbeRot) zuzuordnen (siehe Abb. 39). Inder Kategorie „Luftgüte gering“ (Far-be Orange) gibt es 2002 einen An-stieg, der sich aber 2007 wiederannähernd bei der ursprünglichenGrößenordnung einpendelt. Lediglichdie Zahl von Messflächen mit sehr ho-her Luftgüte geht zurück.

Hier ist eine ähnliche Tendenz wie beider DBF Rhön festzustellen.

Bei der 1992 ebenfalls als gering be -lasteten DBF Spessart ist seit Jahreneine Verschlechterung der lufthygie-nischen Situation feststellbar: Wie dieAbb. 40 zeigt, nimmt die Anzahl derMessflächen mit hoher Luftgüte ab,solche mit geringer Luftgüte dagegenzu; 2007 fallen einige Flächen sogarin die schlechteste Luftgüteklasse.Von allen Dauerbeobachtungsflächenstellt sich die Entwicklung im Spes-sart am ungünstigsten dar (allerdings

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

28

3.1 5.2

4.1 3.1 5.1

3.2 5.2 4.1

2.1 3.1 3.1 4.1 4.1

3.1 4.1 3.1 5.2 4.1

2.4 3.2 4.2

3.3 3.2 3.2 3.3 4.1

3.2 3.2 4.1

3.2 2.3 4.2 3.3 4.1

4.2 4.2 4.1

2.4 2.2 5.2

2.2 3.2 3.2 2.4 4.1

3.2 3.2 4.1

3.3 3.3 4.2 4.2 5.1

3.1 4.1 4.1

3.3 3.2 5.1

3.2 3.2 4.2 2.2 4.1

3.2 3.2 4.1

3.3 3.2 4.2 4.2 5.1

4.2 4.1 4.15580

5582

5584

5586

5588

3441 3447 34493443 3445

5580

5582

5584

5586

5588

3441 3447 34493443 3445

5580

5582

5584

5586

5588

3441 3447 34493443 3445

5580

5582

5584

5586

5588

3441 3447 34493443 3445

1992

20072002

1997

Abb. 39: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Limburg zwischen 1992 und 2007.

3.1 4.2 4.1

3.1 4.1 4.2

4.1 4.1 4.2

3.1 4.1 4.1 4.1

4.2 3.1 3.1

4.2 3.2 4.2

3.1 4.1

4.2 3.2 3.2

4.2 3.1 4.1 2.1

3.2 1.1 3.1

4.1 3.2 3.1

4.2 4.1

3.2 4.2 3.1

4.1 4.2 4.1 2.1

2.1 3.1 4.1

4.1 4.2 4.2

5.2 4.1

4.2 4.2 4.2

4.1 4.2 4.1 3.1

3.2 3.1 4.1

5566

5568

5570

5572

5574

3535 3541 35433537 3539

5566

5568

5570

5572

5574

3535 3541 35433537 3539

5566

5568

5570

5572

5574

3535 3541 35433537 3539

5566

5568

5570

5572

5574

3535 3541 35433537 3539

1992

20072002

1997

Abb. 40: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Spessart zwischen 1992 und 2007.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

29

darf man das insgesamt weiterhin hohe Niveau derlufthygienischen Situation nicht aus dem Auge ver-lieren).

Die DBF Biebesheim war zu Beginn unserer Erhe-bungen als stark belastet eingestuft worden – ähn-lich wie Melsungen und Gießen. Während aber beiden beiden zuletzt genannten im Verlauf der letztenfünfzehn Jahren eine Verbesserung eingetreten ist,lässt sich eine solche in Biebesheim nicht deutlichnachweisen (Abb. 41): Zwar nimmt von 1992 auf1997 die Anzahl der Messflächen der mittleren Luft-güteklasse drastisch zu, seither jedoch ist hier derTrend wieder rückläufig; keine einzige Messflächegilt bis heute als gering bzw. sehr gering belastet.

Die Interpretation der Ergebnisse wird in Biebes-heim allerdings dadurch erschwert, dass hier inner-halb des Un tersuchungszeitraumes von 15 Jahrenvon den ursprünglich 23 Messflächen ca. 25 % durchFällen der Bäume (Pappelalleen) vernichtet wurdenund durch neue ersetzt werden mussten – soweitdies möglich war.

4.1.2.3 Entwicklung der Artenzahlen

Die Entwicklung der Gesamtartenzah-len lässt folgendes Bild erkennen (sie-he Abb. 42): Melsungen, Gießen undBiebesheim wiesen sowohl 1992 alsauch noch 1997 die geringsten Arten-zahlen auf und hatten somit den größ-ten „Nachholbedarf“ aller Dauerbeob-achtungsflächen. Von einer hohen Aus-gangsposition hinsichtlich der Arten-zahlen steigen auch in der Rhön und inLimburg die Artenzahlen über den Un-tersuchungszeitraum an – wenn auchprozentual nicht so stark wie bei denerstgenannten DBF.

In Diemelstadt und im Spessart stagnie-ren dagegen – nach leichten Zugewin-nen zwischen 1992 und 1997 – die Artenzahlen auf relativ hohem Niveau.

Der Zugewinn an Arten geht in ersterLinie auf das Konto der rasch zuneh-menden Eutrophierungszeiger (Nitro-phyten).

4.1.2.4 Entwicklung der Zeigerwerte

Die mittleren Zeigerwerte für den Faktor „Reakti-on“ sind in Abb. 43 dargestellt. Die Reaktionszahlmacht eine Aussage über die pH-Wertbedingungen,unter denen die Flechten existieren (im Gegensatzzum pH-Wert umfasst die Reaktionszahl – wie alleZeigerwertzahlen – jedoch nur 9 Stufen; 1 = Faktor

1.1 2.1 1.1

1.1 1.1 1.1 2.1 2.1

1.1 1.1 1.1 1.1 1.1

2.1 3.1 1.1 2.1

2.1 1.1 1.1 2.1 3.1

2.3 2.4 3.1 1.1

1.1 1.1 3.3 3.2 2.1

3.2 2.2 3.3 3.2 3.2

2.2 3.2 2.2

2.1 2.3

3.3 2.1 1.1

3.2 1.1 1.1 2.1 3.1

1.1 1.1 3.2 1.1 3.2

1.1 3.2 3.3

2.1 3.2

3.2 3.1 1.1

2.2 1.1 2.2 2.1 3.1

2.1 3.2 2.1 2.1 2.1

2.1 3.2 3.3 3.2

3.1 3.2 1.1 3.1 3.2

5516

5518

5520

5522

5524

3459 3465 34673461 346355

1655

1855

2055

2255

243459 3465 34673461 3463

5516

5518

5520

5522

5524

3459 3465 34673461 3463

5516

5518

5520

5522

5524

3459 3465 34673461 3463

1992

20072002

1997

Abb. 41: Entwicklung der Luftgüte-Indizes in der DBF Biebesheim zwischen 1992 und 2007.

Arte

nzah

l

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

19921997

20022007

0

20

40

60

80

Abb. 42: Gesamtartenzahl der Dauerbeobachtungsflächen(1992 / 1997 / 2002 / 2007).

gering … 9 = Faktor hoch). Wie die Abbildung er-kennen lässt, steigen die Reaktionszahlen bei allenDauerbeobachtungsflächen und zu allen Untersu-chungszeitpunkten von 1992 bis 2007 an. Die deut-lichsten Erhöhungen der Reaktionswerte sind dabeian jenen DBF zu beobachten, die zu Beginn unsererUntersuchungen am stärksten versauert waren(Melsungen und Gießen). Der hier dargestellte Be-fund dürfte eine Folge der sich noch immer weiternach oben bewegenden pH-Werte der Baumborkensein (siehe auch das Kapitel „pH-Werte von Baum-borken“, Seite 10). Hier zeigt sich, dass die Auswir-kungen der durch SO2 verursachten Borkenversaue-rung erst mit recht großer Verzögerung von einigenJahren vermindert werden.

Parallel zur abnehmenden Versauerung ist eine Stei-gerung des Nährstoffeintrages unverkennbar (Abb.44). Die Nährstoffzahl bezieht sich vor allem auf denFaktor Stickstoff in flechtenverfügbarer Form. Wirkönnen daraus ableiten, dass in den letzten 15 Jah-ren im gesamten Bundesland Hessen ein Anstieg

luftgetragener Stickstoffverbindungen stattgefundenhat (für die Flechten sind hierbei insbesondere NH3und NH4

+ von Bedeutung). Die Werte steigen aller-dings nicht in gleichem Maß an, wie dies beim Rück-gang der Versauerung festzustellen ist.

4.1.2.5 Entwicklungstendenzen von Flechtenarten

Betrachtet man die Entwicklungstendenzen einzel-ner, ausgewählter Flechtenarten, so fällt auch hierdie Abnahme der Frequenzen bei den acidophyti-schen Flechtenarten ins Auge.

Am deutlichsten ist diese Tendenz beim starken Aci-dophyten Lecanora conizaeoides zu erkennen; hierwaren die pH-Werte der Borke vermutlich bereits1992 suboptimal, so dass diese seit dieser Zeit über -all kontinuierlich abnimmt (siehe Abb. 45). In denDBF mit geringer Ausgangsbelastung (Diemelstadt,Rhön, Limburg) ist sie vollständig verschwunden; inLimburg sogar bereits seit 2002. Die DBF Biebes-heim nimmt bei vielen Untersuchungsergebnisseneine Sonderstellung ein: Zwar galt sie von Anfang anals relativ stark belastet. Im Gegensatz zu Melsun-gen und Gießen, wo saure Immissionen die Ursachedes geringen Flechtenbewuchses gewesen sind,müssen in Biebesheim andere Faktoren als Ursachefür die niedrigen Luftgüte-Indizes vermutet werden.Die Tatsache, dass die Acidophyten hier bereits1992 in nur geringer Häufigkeit zu finden waren,spricht eine eindeutige Sprache.

Bei Hypogymnia physodes zeigt sich das Phänomendes Rückzuges ebenfalls, allerdings schwächer aus-geprägt (Abb. 46). In Biebesheim fand dieser Acido-phyt im Verlauf der letzten 15 Jahre überhaupt keineExistenzmöglichkeiten.

Eine Gruppe von Arten fällt unter die Rubrik „Neu-trophyten“, d. h. sie kommen auf Borken mit leichtsaurem bis neutralem pH-Wert vor. Ebenso wie dieAcidophyten werden sie in der aktuellen VDI-Kartie-rungsrichtlinie als Referenzarten bezeichnet; ihr Vor-kommen wird demzufolge als positiv für die Luftgüteam Wuchsort gewertet. Typische Vertreter dieserGruppe sind Parmelia sulcata (Abb. 47) und Ramali-na farinacea (Abb. 48). Die Entwicklung ihrer Häu-figkeit ist nicht einheitlich: Zugewinnen in den ehe-mals stärker belasteten Dauerbeobachtungsflächenstehen rückläufige Tendenzen in ursprünglich wenigbelasteten gegenüber.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

30

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

Zeig

erw

erte

Rea

ktio

n

19921997

20022007

2

4

6

Abb. 43: Entwicklung der mittleren Reaktions-Zeigerwerte(1992–2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

Zeig

erw

erte

Näh

rsto

ffe

19921997

20022007

2

4

6

Abb. 44: Entwicklung der mittleren Nährstoff-Zeigerwerte(1992–2007).

In der Zusammenfassung der Ergebnisse von Kartie-rung und Flächenberechnung (siehe unten) wird überdieses Verhalten der Neutrophyten diskutiert werden.

Parallel zur Abnahme der Acidophyten verläuft, wiebereits weiter oben erwähnt, eine Ausbreitung vonArten, die auf neutralen Borken vorkommen (Neu-trophyten), gleichzeitig aber auch Nährstoffzeiger

(Nitrophyten) sind. Besonders augenfällig ist die Zu-nahme bei Phaeophyscia orbicularis (Abb. 49) sowiebei Xanthoria parietina (Abb. 50).

Auf Grund der Tatsache, dass ihr Vorkommen aufübermäßige Nährstoffversorgung hinweist (¦Eutro-phierungsgefahr), werden sie in der VDI-Richtlinienegativ bewertet.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

31

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

2

4

8

6

Abb. 45: Häufigkeit des Vorkommens von Lecanora conizaeoi-des (1992 / 1997 / 2002 / 2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

1

2

5

3

4

Abb. 46: Häufigkeit des Vorkommens von Hypogymnia physo-des (1992 / 1997 / 2002 / 2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

1

2

5

3

4

Abb. 47: Häufigkeit des Vorkommens von Parmelia sulcata(1992 / 1997 / 2002 / 2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

0,1

0,2

0,3

Abb. 48: Häufigkeit des Vorkommens von Ramalina farinacea(1992 / 1997 / 2002 / 2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

2

4

6

Abb. 49: Häufigkeit des Vorkommens von Phaeophyscia orbi-cularis (1992 / 1997 / 2002 / 2007).

Diemel-stadt

Melsun-gen

Rhön Gießen Limburg Spessart Biebes-heim

mitt

lere

Fre

quen

z

19921997

20022007

0,5

1,5

1,0

2,0

Abb. 50: Häufigkeit des Vorkommens von Xanthoria parietina(1992 / 1997 / 2002 / 2007).

4.2 Flächenbestimmung epiphytischerFlechten zur immissionsökologischenLangzeitbeobachtung (Folienver-fahren, VDI 3957, 8)

4.2.1 Methoden

Zusätzlich zur Flechtenkartierung nach der VDI-Richtlinie 3757, 13 wurde noch eine genauere Un-tersuchung des Flechtenbewuchses auf ausgewähl-ten Teilflächen eines Baumstammes vorgenommen(VDI-Richtlinie 3957, 8: Flächenbestimmung epi-phytischer Flechten zur immissionsökologischenLangzeitbeobachtung).

Dabei wird auf dem zu untersuchenden Baum eine20 x 20 cm große Folie befestigt. Alle innerhalb derFläche von 400 cm2 vorkommenden Flechtenkörperwerden mit einem Filzstift auf die Folie übertragen(siehe Abb. 51). Anschließend wird die Folie digitali-siert und die Flächen der einzelnen Flechtenkörperwerden mittels einer speziellen Software ermittelt.

Die gleiche Prozedur wird jeweils nach 5 Jahren wie-derholt. Das Verfahren erlaubt es also, Veränderun-gen im Flechtenwachstum auf einer kleinen Untersu-chungsfläche genau zu erkennen und darzustellen.

Ergebnisse mit dem Folienverfahren liegen erst seit1997 vor.

Beispielhaft werden hier nur einige Folienergebnisseexemplarisch vorgestellt. (Bei einigen fehlt die –außerplanmäßige – Untersuchung von 1999).

4.2.2 Ergebnisse und Diskussion

Auf der in Abb. 52 vorgestellten Folie aus der DBFDiemelstadt nimmt der Gesamtbedeckungsgrad ab.Dies ist eine Folge des starken Rückganges der bei-den vorhandenen Acidophyten (Hypogymnia physo-des, Lecanora conizaeoides – letztere als starker Aci-dophyt bereits 1997 nur noch rudimentär vorhandenund 2002 gänzlich verschwunden). Offensichtlichsind die pH-Wertverhältnisse auf der Baumborkenoch so sauer, dass die Neutrophyten noch keinegünstigen Existenzbedingungen vorfinden. Die hierdargestellte Situation ist typisch für solche Mess -flächen, die noch relativ lange unter SO2-Einwirkun-gen zu leiden hatten (v. a. in Melsungen und Gießen).

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

32

Abb. 51: Schematische Darstellung einer Flechtenfolie.

Amandinea punctata

Everniaprunastri

Hypogymniaphysodes

Lecanoraconizaeoides

Lecanoraexpallens

Parmellasulcata

Physiciatenella/adsc.

Xanthoriacandelaria

Leprariaincana-Gr.

Phaeophysciaorbicularis

Xanthoriaparietina

Abb. 52: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Diemelstadt-7-10.

1997 2002 2007

Ges

amtb

edec

kung

(%)

0

5

10

15

20

25

In Abb. 53 ist eine noch extremere Ausgangssitua -tion dargestellt: 1997 ist die Fläche fast ausschließ-lich von der extrem acidophytischen und toxitoleran-ten Lecanora conizaeoides bewachsen. VereinzelteExemplare der ebenfalls säureertragenden Hypogym-nia physodes und Evernia prunastri sowie der neu-trophytischen Parmelia sulcata treten als Begleiterauf. 1999 ist ein drastischer Wandel zu erkennen:Infolge zurückgehender Versauerung verschwindetLecanora conizaeoides fast vollständig; Neutro-phyten sind jedoch noch immer kaum vertreten. Fol-gerichtig ist ein starker Rückgang der Gesamt-Flächenbedeckung gegeben. Im Jahr 2002 ist Leca -nora conizaeoides ausgelöscht, Hypogymnia physodeshat ihr Optimum ebenfalls überschritten und erste

Neutrophyten treten aus den Gattungen der Physci-en und Candelariellen zusätzlich zu Parmelia sulcataauf. Darüber hinaus findet sich nun mit Melanelixiaglabratula bereits eine hinsichtlich ihrer Toxitoleranzetwas anspruchsvollere Art; erste Vertreter derNitrophyten (Physcia tenella/adscendens) erscheinenin geringer Häufigkeit. Bedingt durch die Neuan -kömmlinge steigt die Flächenbedeckung wiederleicht an.

In der jüngsten Erhebung gewinnen die Neutro-phyten leicht an Terrain – extreme Zuwächse sindaber bei den Nitrophyten zu beobachten: Physciatenella/adscendens vervielfachen ihren Flächenanteilan der Folie; der noch stärkere Nitrophyt (Phaeophy-

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

33

Candelarlella refl./canthogostigma

Everniaprunastri

Hypogymniaphysodes

Lecanoraconizaeoides

Melanelixiaglabratula

Parmeliasulcata

Phaeophysciaorbicularis

Physciatenella/adsc.

Xanthoriacandelaria

Abb. 53: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Melsungen-16-7.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 1999 2002 20070

5

10

15

20

25

30

Candelarlella refl./canthogostigma

Hypogymniaphysodes

Lecanoraconizaeoides

Lecanoraexpallens

Melanohaleaexasperatula

Parmeliasulcata

Physciatenella/adsc.

Phaeophysciaorbicularis

Xanthoriacandelaria

Abb. 54: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Melsungen-21-9.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 1999 2002 20070

10

20

30

40

50

60

scia orbicularis) ist ebenfalls eingetroffen. Diese Fo-lie zeichnet in geradezu klassischer Weise die typi-sche Sukzession (Entwicklung) von einer von Acido-phyten bestimmten Ausgangssituation hin zu stärkereutrophierenden Bedingungen nach.

Eine zum Zeitpunkt des Untersuchungsbeginns be-reits weiter fortgeschrittene Entwicklung zeigt Abb.54: Lecanora conizaeoides ist schon 1997 nichtmehr dominierend und geht im Verlauf der folgen-den Untersuchungen weiter zurück.

Dies führt 1999 zu einer geringfügig vermindertenGesamtbedeckung. Bereits 2002 wird diese Tendenzaber durch die verstärkte Besiedlung mit Neutro-

phyten und auch schon durch Nitrophyten deutlichüberkompensiert. Hinweise auf eine gesteigerte Eu-trophierungsgefahr sind hingegen noch nicht festzu-stellen. Diese setzt erst 2007 mit der Dominanz derPhyscien und von Phaeophyscia orbicularis ein. Den-noch ist die Nährstoffanreicherung offenbar nochnicht stark genug, um die Ansiedlung weiterer Neu-trophyten zu verhindern.

Typisch für die bereits seit Beginn der Untersuchun-gen als wenig belastet ausgewiesene DBF Limburgsind Folienbedeckungen, wie sie in den Abbildungenaus dieser DBF dargestellt sind: Es fehlen von Be-ginn an die Acidophyten, auf allen Folien ist das ge-fundene Artenspektrum überdurchschnittlich hoch.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

34

Amandinea punctata

Candelarlella refl./canthogostigma

Lecanoraexpellans

Lecanorasubfusca-Gr.

Leprarlaincana-Gr.

Melanohaleaexasperatula

Pleurosticta acetabulum

Parmeliasulcata

Physciatenella/adsc.

Physconiaperisidiosa

Puncteliasubrudecta

Phaeophysciaorbicularis

Abb. 56: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Limburg-5-4.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 1999 2002 20070

10

20

30

40

50

60

Lecanorahagenii-Gr.

Lecanorasaligna

Phaeophyscianigricans

Phaeophysciaorbicularis

Physciatenella/adsc.

Xanthoriacandelaria

Abb. 55: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Limburg-3-8.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 1999 2002 20070

5

10

15

20

25

30

Gleiches gilt für die Gesamtbedeckung. Die meistenNeutro-/Nitrophyten sind bereits 1997 vorhandenund nehmen kontinuierlich zu; seit 2002 finden sichvereinzelt bereits die stark nitrophytischen ArtenPhyaeophyscia orbicularis und 2007 auch zusätzlichnoch Phaeophyscia nigricans (Abb. 55).

Während auf der vorhergehenden Folie eine Zunah-me der Gesamtbedeckung zu verzeichnen ist, wiewir sie von ursprünglich stark belasteten DBF ken-nen, bleibt die Flächenbedeckung bei den nächstenFolien entweder annähernd gleich (Abb. 56) odergeht sogar zurück (Abb. 57). Dieses Phänomen ist ty-pisch für DBF mit guter lufthygienischer Ausgangs-

position im Jahr 1992. Es wird im Allgemeinen dadurch verursacht, dass der Zuwachs der Nitro-phyten durch Verschwinden oder Minderung derNeutrophyten kompensiert oder gar überkompen-siert wird. Bei der Zusammenfassung wird es Gegen-stand der Diskussion sein.

Aus Biebesheim wurden zwei Folien ausgewählt, diebeispielhaft die starke Zufuhr eutrophierender Sub-stanzen und die damit einhergehende Erhöhung despH-Wertes der Baumborken aufzeigen (Abb. 58, 59):Charakteristisch ist das Fehlen von Acidophyten, derRückgang von neutrophytischen Arten (z. B. Amandi-nea punctata) sowie eine starke Zunahme von schwa-

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

35

Everniaprunastri

Hypogymniaphysodes

Lecanoraexpellans

Laprariaincana-Gr.

Melanelixiaglabratula

Parmeliasulcata

Abb. 57: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Limburg-20-10.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 1999 2002 20070

20

40

60

80

Lecanorasaligna

Phaeophysciaorbicularis

Physciatenella/adsc.

Xanthoriaparietina

Melanelixiaglabratula

Parmeliasulcata

Abb. 58: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Biebesheim-5-10.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 2002 20070

10

20

30

50

40

60

chen und auch starken Nitrophyten. In Biebesheimfinden sich neben den bereits von anderen DBF be-kannten Nitrophyten noch weitere Vertreter dieserGruppe (z. B. Phaeophyscia nigricans, Physconia grisea).

Zusammenfassung der Ergebnisse von Flechten-kartierung und Flächenberechnung (Kap. 4.1–4.2)

Auf den Baumborken gab es in vorindustrieller Zeiteine artenreiche Flechtenvegetation, die aus Acido-phyten (saure Substratbedingungen bevorzugend),Neutrophyten (bevorzugen neutrale bis subneutraleUmweltbedingungen) und Nitrophyten (kommen

unter nährstoffreichen Bedingungen vor – damalsz. B. an Alleebäumen ¦ Pferdeäpfel) bestand.

Im Verlauf der SO2-bedingten Versauerung ihrerSubstrate in der Mitte des 20. Jahrhunderts gingendie meisten dieser Flechten bis auf wenige Arten –vorwiegend Acidophyten – zurück. Nach Abnahmeder Versauerung gegen Ende des letzten Jahrhun-derts fanden zunächst die Acidophyten optimale Be-dingungen und breiteten sich wieder aus (siehe Abb.60; Beispiel Melsungen, 1992).

1992 – also zu Beginn unserer Untersuchungen –waren die Bedingungen an den hessischen DBF aller-dings sehr unterschiedlich: An den zu diesem Zeit-punkt noch stark versauerten DBF (z. B. Melsungen,Gießen) gab es nur einige Acidophyten (z. B. Leca -nora conizaeoides, Hypogymnia physodes, Hypogym-nia tubulosa und – abgeschwächt – Evernia prunastri)und sehr wenige Neutro- bzw. Nitrophyten, weil bei-de Gruppen sehr empfindlich gegenüber SO2 reagie-ren. Folgerichtig waren die Luftgüte-Indizes niedrig.In den DBF, bei denen zu diesem Zeitpunkt die Aus-wirkungen der sauren Immissionen bereits weitge-hend verschwunden waren (oder auch nie in starkemMaß vorhanden gewesen waren), gab es optimale Be-dingungen für die Flechten (Beispiele sind die DBFLimburg, Rhön und Spessart; LGI hoch): Der allmähli-che Rückgang der Acidophyten wurde durch ver-stärktes Auftreten der Neutrophyten überkompen-siert. Diese Arten haben ihr Optimum bei leicht sau-ren bis neutralen Bedingungen und Vorhandenseineiner mittleren Versorgung von Nähr-Ionen. Da dieAnwesenheit von Acido- und Neutrophyten den LGIpositiv beeinflusst, sind in den zuletzt genanntenDBF die Luftgüte-Indizes 1992 hoch.

Betrachtet man die Situation im Jahr 2007, so ergibtsich folgendes Bild (Abb. 60): In den ehemals starkbelasteten DBF Melsungen und Gießen ist der Ein-fluss der sauren Umwelteinwirkungen inzwischenzurückgegangen. Das hat zur Folge, dass die Acido-phyten inzwischen ebenfalls abnehmen, jedoch wirddiese Abnahme von der Zunahme der Neutrophytenüberkompensiert. Diese DBF sind aus ökologischerSicht fast bei jenem Optimum angelangt, das in Lim-burg und im Spessart bereits vor 15 Jahren herrsch-te (deutlicher Anstieg der Luftgüte-Indizes). In denbeiden zuletzt genannten DBF hat sich die Situation2007 dagegen leicht verschlechtert: Die Acido-phyten sind weiter zurückgegangen, bei den Neutro-

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

36

Amandineapunctata

Candelariellarefl./xanthostigma

Phaeophyscianigricans

Xanthoriaparietina

Phaeophysciaorbicularis

Physciatenella/adsc.

Physconiagrisea

Abb. 59: Entwicklung des Flechtenbewuchses auf der Folien-fläche Biebesheim-11-8.

Ges

amtb

edec

kung

(%)

1997 2002 20070

4

8

12

16

20

phyten ist ebenfalls ein Rückgang festzustellen, weildie Auswirkungen luftgetragener Stickstoffverbin-dungen inzwischen überoptimal geworden sind. AlsQuellen für die Zunahme dieser Stickstoffverbindun-gen – hier v. a. NH3 – werden Intensivlandwirtschaftund Ammoniakausstoß aus Kraftfahrzeugen mit Ka-talysator genannt.

In den DBF Limburg, Rhön, Spessart erfahren zzt. lediglich die Nitrophyten deutliche Zuwachsraten.Da diese aber nicht positiv in die Berechnung derLuftgüteindizes eingehen, sondern bei sehr starkemVorhandensein sogar negativ bewertet werden, blei-ben die Indizes konstant oder sinken sogar etwas ab.

Es stellt sich nun die Frage, wie diese Resultate zubewerten sind: • Zunächst ist festzustellen, dass ein direkter nega-

tiver Einfluss von SO2 auf die menschliche Ge-sundheit, wie er eventuell 1992 noch bei einigenFlechten-Dauerbeobachtungsflächen denkbar war,

heute bei keinem der untersuchten Ge-biete mehr zu befürchten ist. Dies wirddurch den inzwischen überall± deut-lich eingetretenen Rückgang der Acido-phyten belegt.

• Während die ehemals stärker belastetenDBF sich aus ökosystemarer Sicht einemOptimalzustand nähern, haben anderediesen bereits leicht überschritten.

• Einer weiteren Zunahme der Wirkun-gen eutrophierender Substanzen in derLuft sollte entgegengewirkt werden:Wie sich in Teilen der Niederlande undauch des so genannten „Schweinegür-tels“ in NW-Deutschland belegen lässt,führt eine weitere Verschiebung derFlechtenvegetation zugunsten derNitrophyten zu einer Verringerung derDiversität von Ökosystemen: Artenrei-che Lebensräume, wie Heiden oderWaldgesellschaften auf sauren undnährstoffarmen Standorten werden voneiner eintönigen Vegetation – bestehend

aus wenigen Nährstoffzeigern – abgelöst. DerVerarmung der Pflanzenwelt folgt die der Tier-welt nach.

• Da Flechten als wechselfeuchte Organismen aufVeränderung unserer Luftzusammensetzungschneller reagieren als Höhere Pflanzen, könnensie als Frühwarnsystem zum Nachweis derartigerGefahren eingesetzt werden.

Die aufgezeigten Tendenzen in der Entwicklung derlufthygienischen Situation an den hessischen Dauer-beobachtungsflächen lassen sich sowohl mit Hilfeder Methode der Flechtenkartierung als auch mitdem Flächenberechnungsverfahren nachweisen.

Eine Wiederholungskartierung in fünf Jahren könnteaufzeigen, ob der Prozess des Wandels in der Zusam-mensetzung der Schadstoffe in der Luft zum Ab-schluss gekommen ist. Sollte er weitergehen, so wäre es von Interesse, in welche Richtung er sichfortsetzt.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

37

Häu

figke

it de

r A

rten

Acidophyten(Referenzarten)

Neutro

phyte

n

(Refer

enzar

ten)

Nitrop

hyte

n

(Eut

roph

ierun

gsan

zeige

r)

1992 2007

Beispiel Melsungen Beispiel Limburg1992 2007

Abb. 60: Verhalten von Acido-, Neutro- und Nitrophyten unter verschiedenen lufthygienischen Bedingungen.

Wirkungen saurer Schadgase (v.a. SO2)

Häufigkeit der Acidophyten Häufigkeit der Neutrophyten

Wirkungen luftgetragener N-Verbindungen (v.a. NH3)

4.3 Immissionsbezogene Flechtenkartie-rungen am Frankfurter Flughafen(1992–2007)

Im Jahr 2007 wurde in der Umgebung des Flug -hafens Frankfurt/Main eine immissionsbezogeneFlechten kartierung nach den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3957 Blatt 13 durchgeführt; d.h. die Me-thoden entsprachen denen der im vorigen Kapitelbeschriebenen Untersuchungen in den hessischenFlechten-Dauerbeobachtungsflächen.

Die Umgebung des Flughafens war bereits 1992 imRahmen einer Gesamtkartierung des BundeslandesHessen einer Flechtenkartierung unterzogen wor-den, so dass einerseits ein räumliches Bild der luft-hygienischen Situation des Untersuchungsgebieteswiedergeben, zum anderen aber auch die zeitlicheEntwicklung der Belastungssituation zwischen derersten Kartierung (1992) und der von 2007, also 15Jahre später, dargestellt werden konnte.

4.3.1 Methoden

Über das Untersuchungsgebiet wurde – wie bei denübrigen Flechtendauerbeobachtungsflächen (DBF)in Hessen – ein Raster von 1 km Seitenlänge gelegt(Abb. 61).

In den dadurch entstandenen 49 Messflächen vonjeweils 1 km2 Größe erfolgte die Untersuchung derFlechten an jeweils 6–12 geeigneten Bäumen. ImJahr 1992 waren 21 Messflächen kartiert worden,2007 dagegen 24. Da sich in den restlichen nichtdie Mindestanzahl geeigneter, freistehender Laub-bäume fand, mussten sie verworfen werden (das giltinsbesondere für den eigentlichen Flughafenbereichsowie für die angrenzenden Waldgebiete).

4.3.2 Ergebnisse und Diskussion

Ein erster Hinweis auf Verbesserungen hinsichtlichder lufthygienischen Verhältnisse lässt sich aus ei-nem Anstieg der Artenzahl ablesen. Diese hat sichim Untersuchungsgebiet Flughafen zwischen 1992bis 2007 mehr als verdoppelt (siehe Abb. 62). Auchdie mittlere Anzahl von Flechtenarten pro Station istim Vergleichszeitraum drastisch angestiegen. Be-trachtet man allerdings die mittleren Diversitätswer-te der Eutrophierungszeiger, so ist zu erkennen,dass ein Großteil des Zuwachses auf diese Artenzurückzuführen ist. Da dieses Phänomen jedoch seiteiniger Zeit in allen hessischen Flechten-Dauerbeob-achtungsflächen auftritt, ist hier keine Zuordnung zuflughafenspezifischen Emissionen zu erkennen. An-dererseits kann man jedoch auch sehen, dass die Re-ferenzarten, die eine Verbesserung der lufthygieni-schen Bedingungen anzeigen, stark zugenommenhaben.

Ein Vergleich der Entwicklung einzelner Flechtenar-ten zwischen 1992 und 2007 lässt erkennen, dassalle Eutrophierungszeiger stark zugenommen haben(Abb. 63): War z. B. Phaeophyscia orbicularis 1992im Untersuchungsgebiet fast nicht existent, so

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

38

Messflächen von 1992

Begrenzung des 14 x 14 km großen Untersuchungsgebietes

49 Messstellen à 1 km2 GrößeGitter

Abb. 61: Lage und Abgrenzung des Untersuchungsgebietes„Flughafen Frankfurt/Main“.

0

10

20

30

40

50

60

Mittlere Frequenz, 1992

Mittlere Frequenz, 2007

Artenzahl Arten/Messfläche

Diversitätswert der Eutrophie-rungszeiger

Diversitätswert der Referenz-arten

Abb. 62: Entwicklung von Artenzahl, mittlerer Artenzahl/Messfläche, Diversitätswerten von Eutrophierungs-zeigern und Referenzarten.

kommt sie heute mit einer Frequenz von 4,2 vor;d. h. sie ist in 42 % aller untersuchten Kleinflächendes Aufnahmegitters von 10 x 10 cm gefunden wor-den. Andere Arten, wie z. B. die Xanthorien gab esvor 15 Jahren an den Bäumen im Untersuchungsge-biet noch gar nicht, heute dagegen fallen sie an denBaumborken wegen ihrer auffallend gelben Farbeselbst flechtenkundlichen Laien überall ins Auge.Wie bereits erwähnt, ist dieser Trend auf verstärkteEinwirkungen eutrophierender Substanzen (z. B.luftgetragener Stickstoffverbindungen) zurückzu-führen.

Die Entwicklungstendenzen der Referenzarten (zei-gen eine Verbesserung der lufthygienischen Situati-on an) sind nicht so einheitlich, wie dies bei den Eu-trophierungszeigern der Fall ist (Abb. 64): Zunächstist bei einigen Arten sogar ein deutlicher Rückgangihrer Häufigkeit (Frequenz) zu beobachten. Beson-ders auffällig ist dies bei der acidophytischen Leca -nora conizaeoides. Kam sie 1992 noch mit einerHäufigkeit von 49 % vor, so ist sie heute extrem sel-ten geworden (< 2 %). Ähnliche Tendenzen lassensich bei Amandinea punctata, bei Lecanora expallensund L. saligna beobachten. Alle genannten Arten gel-ten als ± acidophytisch. Ihr Rückgang lässt sich mitder Verminderung saurer Immissionen (Schwefel -dioxid) erklären.

Bei Acidophyten, wie z. B. Hypogymnia physodesoder Evernia prunastri lässt sich der oben genannteTrend (noch) nicht erkennen – wie er in den meistenübrigen hessischen Flechtendauerbeobachtungs-

flächen zu bemerken ist (Abb. 65). Daraus kann manableiten, dass im Bereich des Flughafens die SO2-Be-lastung noch immer etwas höher ist als in den mehrländlichen Bereichen Hessens. Diese Vermutung be-stätigt sich, wenn man die durchschnittlichen SO2-Werte der Jahre 2002–2006 zum Vergleich heran-zieht.

Die meisten der Referenzarten zeigen jedoch deutli-che Tendenzen zu größerer Häufigkeit, was auf eineVerbesserung der allgemeinen lufthygienischen Si-tuation hinweist. (Dieser Trend ist auch bei den inder Abbildung nicht dargestellten – weil insgesamteher seltenen – in Bezug auf Immissionsbelastungenziemlich empfindlichen Arten zu erkennen: Auch siehaben im Vergleichszeitraum zugenommen). Vonden 29 Arten, die seit 1992 wieder in das Gebiet umden Flughafen eingewandert sind, gehören 24 (83 %)zur Gruppe der Referenzarten.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

39

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Mittlere Frequenz, 1992

Mittlere Frequenz, 2007

P

hysc

ia

adsc

./ten

ella

Phae

ophy

scia

o

rbicu

l.

Xant

horia

p

ariet

ina

Xant

horia

po

lycar

pa

Xa

ntho

ria

cand

elaria

-Gr.

Phae

ophy

scia

nigr

icans

Abb. 63: Entwicklung der Frequenz der häufiger vorkommen-den Eutrophierungszeiger.

0

1

2

3

4

5

Mittlere Frequenz, 1992

Mittlere Frequenz, 2007

Parm

elia s

ulca

ta

Cande

lariel

la re

fl./xa

n.

Lepr

aria

inca

na-G

r.

Mela

nelia

suba

urife

ra

Ever

nia p

runa

stri

Hypog

ymni

a phy

sode

s

Punc

telia

subr

udec

ta

Aman

dine

a pun

ctata

Stra

ngos

pora

pin

icola

Leca

nora

expa

llens

Mela

nelia

exas

pera

tula

Flav

opar

meli

a cap

erata

Leca

nora

coni

zaeo

ides

Leca

nora

salig

na

Abb. 64: Entwicklung der Frequenz der häufiger vorkommen-den Referenzarten.

0

2

4

6SO2-Jahresmittel (2002–2006; µg/m3)

Hypogymnia physodes, 1992

Hypogymnia physodes, 2007

Flughafen Diemelstadt Gießen Rhön Limburg Spessart

Abb. 65: Entwicklung der Häufigkeit von Hypogymnia physo-des in Bezug zur SO2-Konzentration.

In Abb. 66 ist die Entwicklung der lufthygienischenSituation zwischen 1992 und 2007 dargestellt. ImJahr der ersten Untersuchung gehörten 75 % der da-mals untersuchten 20 Messstellen der schlechtestenKategorie an (sehr geringe Luftgüte). 15 % der Mess-stellen besaßen eine geringe Luftgüte und nur 10 %im Süden des Untersuchungsgebietes hatten einemittlere Luftgüte.

2007 haben sich die Verhältnisse grundlegend ge-wandelt: Von den insgesamt 24 für eine immissions-bezogene Flechtenuntersuchung geeigneten Mess -

flächen sind nur noch 8 % der schlechtesten Luftgü-te zuzuordnen, 25 % gehören der zweitschlechte-sten Luftgüteklasse an. Die Mehrzahl der Stationen(46 %) findet sich im Bereich mittlerer Luftgüte und21 % sogar in der zweitbesten Kategorie (hohe Luft-güte). Diese Ergebnisse beweisen, dass sich die luft-hygienischen Verhältnisse in den letzten 15 Jahrendrastisch verbessert haben. Dieser Befund steht imEinklang mit den Beobachtungen an anderen hessi-schen Flechten-Dauerbeobachtungsflächen, hat alsonichts mit den Auswirkungen des Flughafens zu tun,sondern ist ein überregionales Phänomen.

Aus Abb. 67 ergibt sich die räumliche Verteilung derMessflächen unterschiedlicher Luftgüte: Weder fürdie Untersuchung von 1992 noch für die aktuellelässt sich eine räumliche Abstufung der Flechten-Indizes nachweisen, die einen Bezug zum Flughafenerkennen lässt. Während die Kartierung von 1992eine insgesamt relativ einheitliche Verteilung derLuftgüte auf niedrigem Niveau aufzeigt, ergibt sichfür 2007 ein kleinräumig differenziertes Bild.

Die zweite Ziffer hinter dem Punkt war bei allenFlächen im Jahr der ersten Untersuchung 1, was be-deutet, dass der Einfluss eutrophierender Verbin-dungen zum damaligen Zeitpunkt sehr gering war.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

40

0

20

40

60

80

Flughafen 1992

Flughafen 2007

Luftgüte sehr gering

Luftgüte gering

Luftgüte mäßig

Luftgüte hoch

Luftgüte sehr hoch

Abb. 66: Zugehörigkeit der Messflächen zu den Luftgüte-Kategorien (in %; 1992–2007).

5540

5542

5544

5546

5548

5538

5550

3463 3469 3473 347534713465 3467

1992

5540

5542

5544

5546

5548

5538

5550

3463 3469 3473 347534713465 3467

2007

1.1 1.1 1.1 2.1 1.1 1.1 1.1

1.1 2.1 1.1

1.1 1.1 1.1

1.1 2.1 1.1

3.1 1.1 3.1 1.1

3.3 3.3 3.2 3.2 3.2 2.1

4.3 2.2 3.2

3.2 3.3 4.2 1.1 3.2

3.3 3.3

4.2

2.2 1.1 4.2

2.1 2.2 2.2 4.2

Einfluss eutrophierenderLuftschadstoffe

Bewertung der Luftgüte

.5 .4 .3 .2 .1

hochsehr hoch mäßig gering sehr gering

ohne Berücksichtigungeutrophierender Luftschadstoffe

Messflächenicht kartierbar

5. 4. 3. 2. 1.

Abb. 67: Entwicklung der Luftgüte-Indizes im Umfeld des Flughafens Ffm (1992–2007).

Hingegen ist festzustellen, dass 2007 die Stufe 2vorherrscht, was auf einen zunehmenden Einflussluftgetragener Stickstoffverbindungen (u. a. Ammo-niak) schließen lässt. In mehreren Messflächen imNordwesten des Untersuchungsgebietes taucht so-gar mehrmals die Ziffer 3 hinter dem Punkt auf; diesist mit einem mittleren Einfluss eutrophierenderVerbindungen gleichzusetzen. Da auch dies ein fürweite Teile Hessens gültiges Phänomen ist, kannman davon ausgehen, dass der Flughafen an dieserEntwicklung keinen maßgeblichen Anteil hat.

Ein Vergleich der Flughafenergebnisse mit denender hessischen DBF (siehe Abb. 35–41) zeigt keineAndersartigkeit der Luftgütewerte oder deren zeitli-cher Entwicklung, die auf einen Einfluss des Flugha-fens zurückgeführt werden könnte.

Hier wie dort manifestiert sich die Abnahme der Im-missionsbelastung in einer Rückkehr von Arten, diein der Zeit extremer Belastung verschwunden waren.Die Verbesserung der lufthygienischen Situation istalso ebenso wenig ein flughafenspezifisches Phäno-men wie die Zunahme der Eutrophierungszeiger.

4.3.3 Zusammenfassung

Die Ergebnisse der Flechtenuntersuchungen in denhessischen Dauerbeobachtungsflächen (einschließ-lich des Frankfurter Flughafens) lassen sich wie folgtzusammenfassen:• Bei den Flechten zeigte sich 1992, zum Zeit-

punkt der ersten Untersuchung, auf Grund ho-her allgemeiner Immissionsbelastung in weitenTeilen Hessens und am Flughafen eine völligeVerarmung der Flechtenvegetation.

• Mit zunehmender Verbesserung der lufthygieni-schen Verhältnisse innerhalb des Untersuchungs-zeitraumes – hervorgerufen durch verminderteImmissionen – stieg die Artenzahl der Rückein-wanderer an.

• Kamen zunächst nur toxitolerante Arten zurück,so ist inzwischen auch eine Rekolonisation durchempfindliche Spezies zu beobachten.

• Der Vergleich der Flechtenvegetation zwischen1992 und 2007 zeigt darüber hinaus einen deut-lichen Anstieg von Arten, die durch eutrophie-rende Luftschadstoffe begünstigt werden.

• Ein Einfluss des Flughafens auf die Flechten desUntersuchungsgebietes ist nicht nachweisbar.

4.4 Flechten als Anzeiger des Klima-wandels

Als wechselfeuchte (poikilohydre) Organismendecken die Flechten ihren Wasserbedarf ausschließ-lich über Niederschläge, Tau oder Nebel. Da sie kei-ne Transpirationsschutzmechanismen besitzen, istihre Stoffwechselaktivität und – damit verbunden –ihr Wachstum direkt von der relativen Feuchte derUmgebungsluft abhängig. Diese wiederum wirdstark von der aktuellen Temperatur beeinflusst. So-mit können Flechten als Indikatoren für Temperaturund Luftfeuchtigkeit verwendet werden. Dabei gehtes nicht darum, Flechten sinnbildlich als Messgeräteeinzusetzen – vielmehr sollen biologische Phänome-ne beschrieben werden, die mit einem Klimawandeleinhergehen und die ganze Ökosysteme beeinflus-sen. Flechten fungieren dabei als Frühwarnsysteme, da sie – auf Grund ihrer Eigenschaften als Poikilo -hydre – schneller auf solche Veränderungen reagie-ren als z. B. Höhere Pflanzen. Zudem sind sie auchim Winterhalbjahr stoffwechselaktiv, so dass die mitihnen gewonnenen Aussagen für das ganze Jahr Gül-tigkeit haben. Basierend auf diesen Erkenntnissenwird beim VDI zzt. an der Erstellung einer Richtliniegearbeitet, die Flechten als Bioindikatoren zur Er-mittlung und Beurteilung der Wirkung des Klima-wandels verwendet (VDI 3957, Bl. 20; Vorentwurf2009). Als geeignete Flechtensubstrate werden Bäume (epiphytische Flechten) und Mauern (epi -lithische Flechten) vorgeschlagen. Von der Arbeits-gruppe „Wirkungen auf Niedere Pflanzen“ beim VDIwurde eine Liste von Arten erstellt, die als Wärme-zeiger einzustufen sind und deren Bestandsentwick-lung auf Klimaveränderungen hinweisen soll.

Man war sich in der Arbeitsgruppe einig, dass stan-dardisierte Verfahren wie die Flechtenkartierungs-richtlinie zum Nachweis von Luftverunreinigungen(VDI 3957, Bl. 13; 2005) hierbei nicht zielführendsein konnten, weil auf einer kleinen standardisiertenErfassungsfläche die im Augenblick noch mit weni-gen Individuen einwandernden Wärmezeiger nichterfasst werden können. Um diese zu finden, galt eseinerseits, hinsichtlich des Substrates ein breitesSpektrum zu erfassen. Dies wurde dadurch erreicht,dass sowohl Epiphyten als auch Gesteinsflechten indie Untersuchung mit einbezogen wurden; weiteremethodische Vorgaben, die die strenge Standardisie-rung der bisherigen biologischen Richtlinien aufwei-chen, werden im Kapitel „Methoden“ dargestellt.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

41

Andererseits sollte durch eine ausreichende Zahlvon Untersuchungsflächen sichergestellt werden,dass die Wärmezeiger auch wirklich gefunden wer-den können. Der Richtlinienentwurf schreibt dem-zufolge folgerichtig eine Anzahl von mindestens 20Bäumen und mindestens 30 Mauerstücken pro Dau-erbeobachtungsfläche als Messflächen vor.

Während die Flechtenrichtlinie zum Nachweis vonLuftverunreinigungen auf Grund ihres hohen Stan-dardisierungsgrades sowohl die Darstellung eines räumlichen als auch eines zeitlichen Musters derlufthygienischen Situation ermöglicht, ist bei der Klima-Richtlinie, auf Grund ihrer geringeren Stan-dardisierung, lediglich der Vergleich zeitlich aufein-ander folgender Erhebungen am gleichen Standortzulässig.

Ein wesentliches Problem, mit dem sich die Arbeits-gruppe konfrontiert sah, war die Tatsache, dass eszwar empirische Beobachtungen über Arealverschie-bungen von Flechten in den letzten Jahrzehnten gibt(atlantische Arten wandern in Mitteleuropa ein, ein-heimische Arten verschieben ihre Arealgrenzen inhöhere – kältere – Lagen, Kältezeiger sind rückläu-fig). Vergleiche mit den zugehörigen klimatischenDaten sind jedoch nicht vorhanden. Erst mit derenHilfe lässt sich aber ein Zusammenhang zwischenden Veränderungen im Flechteninventar und einemKlimawandel wahrscheinlich machen.

Aus diesem Grund wurden in Hessen vom Landes -amt für Umwelt und Geologie Untersuchungen anBäumen und Mauern nach den Vorgaben des VDI-Richtlinienentwurfes durchgeführt und in Bezie-hung zu Klimadaten gestellt. Die Ergebnisse dieserUntersuchung werden hier vorgestellt; es wirdzunächst auf die epilithischen, anschließend auf dieepiphytischen Flechten eingegangen.

4.4.1 Methoden

Über das Bundesland Hessen verteilt wurden in densieben bereits existierenden Flechtendauerbeobach-tungsflächen und zwei zusätzlich eingerichtetenFlächen ausgewählte Bäume und Mauerabschnitteauf ihren Flechtenbewuchs hin untersucht; die zu-sätzlichen wurden im Rheingau (sehr warm) und imOdenwald (kühl) eingerichtet. Die Lage der Unter-suchungsflächen ist aus Abb. 24 zu ersehen.

4.4.1.1 Erhebungen der Flechten an Mauern

Von einem beliebigen Punkt in einer Ortschaft aus-gehend erfolgte die Auswahl der Mauerabschnitteauf einer Untersuchungsfläche von ca. 1 km2. Dabeiwurde versucht, möglichst unterschiedliche Mauer-substrate (silikatische Gesteine und Kalksteine, Zie-gelsteine, Beton, Mörtel), unterschiedliche Exposi-tionen (N, S, W, O, Horizontal- bzw. Vertikalflächen)und unterschiedliche mikroklimatische Bedingungen(Mauern in Parks, Friedhöfen, Garten- und Stütz-mauern in jeweils unterschiedlicher Höhe) zu erfas-sen, um eine weitgehend repräsentative Auswahl zuerhalten. Weiterhin wurde darauf geachtet, dass so-wohl junge als auch alte Mauern in die Untersu-chung eingingen. Die Aufnahme erfolgte jeweils aufeiner Fläche von 2 m2. Kartiert wurde nur das Vor-handensein (also nicht die Frequenz) von Arten anden Mauern. Ein Beispiel eines kartierten Mauerab-schnittes ist in Abb. 68 dargestellt.

Obwohl im Entwurf der Richtlinie lediglich die Er-fassung der als Wärmezeiger eingestuften Arten ge-fordert ist, wurden für diese Basisuntersuchung inHessen alle vorhandenen Spezies erfasst, um gege-benenfalls noch weitere Arten in die Liste aufneh-men zu können, sofern sich diese als geeignete Indi-katoren erweisen sollten.

Für den Vergleich der Flechten-Untersuchungser-gebnisse mit der jeweiligen klimatischen Situationlagen keine Daten von nahe gelegenen Klimamess-stationen vor. Daher wurden aus den Klima-Kartendes Umweltatlasses des HLUG die interpolierten Kli-mawerte des Zeitraumes 1991–2000 entnommen,soweit diese vorhanden waren. Dieser Zeitraumstellt einen akzeptablen Kompromiss dar: Einerseitssollen die Daten möglichst aktuell sein, andererseitsist bekannt, dass das gegenwärtige Flechtenvorkom-men die Umweltsituation der letzten 5–10 Jahre widerspiegelt. Abb. 69 zeigt die unterschiedliche klimatische Situation der neun hessischen Untersu-chungsgebiete hinsichtlich ihrer Temperaturen:Während Biebesheim, der Rheingau und der Limbur-ger Raum im südwestlichen Hessen die höchstenTemperaturen aufzuweisen haben, sind die Mittel-temperaturen in der Rhön, in Melsungen und in Die-melstadt deutlich geringer.

Auf Grund der geringen Höhenunterschiede liegtdie maximale Temperaturdifferenz allerdings nur bei

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

42

3 °C. Des Weiteren ist zu erkennen, dass die Werte von 1981–1990 geringfügig unter denen von 1991–2000 liegen. Da Flechten auf Umweltveränderungennach ca. fünf Jahren zu reagieren beginnen, wird imFolgenden nur noch auf den Zeitraum 1991–2000Bezug genommen.

Im Rahmen der Untersuchung sollte geprüft wer-den, inwieweit ein Zusammenhang zwischen den ge-messenen Klimawerten und dem festgestelltenFlechtenbewuchs an Mauern besteht.

4.4.1.2 Erhebungen der Flechten an Bäumen

Ähnliche Untersuchungen wie bei den Mauerflech-ten wurden auch an epiphytischen Flechten vorge-nommen. Dazu wurden pro DBF 20 Laubbäume nach

den Vorgaben des Richtlinienentwurfes auf ihrenFlechtenbewuchs untersucht. Im Gegensatz zur „Im-missions“-Richtlinie wird hierbei nicht nach strengstandardisierten Vorgaben vorgegangen, um die Chan-ce zu erhöhen, die bisher erst vereinzelt einwandern-den Wärmezeiger zu erfassen: Es werden Bäumemöglichst aller vorkommenden Arten in die Untersu-chung mit einbezogen; die Bäume sollen unterschied-lich alt sein, unterschiedliche Neigung besitzen, un-terschiedlicher Besonnung ausgesetzt sein usw.

Auch die Aufnahme am Baum erfolgte auf andereWeise als bei der immissionsbezogenen Flechtenkar-tierung: Wie aus Abb. 70 hervorgeht, gibt es hiernicht das standardisierte kleine Aufnahmegitter, son-dern die Flechten werden vom Erdboden bis in 2 mHöhe erfasst. Auch diese Erweiterung der Aufnah-mefläche soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dassdie noch seltenen Wärmezeiger gefunden werden.

4.4.2 Ergebnisse und Diskussion

4.4.2.1 Mauerflechten

Auf den 270 Mauerabschnitten der neun hessi-schen Untersuchungsflächen, deren Flechtenbe-wuchs erfasst wurde, konnten insgesamt 123 Flech-tenarten nachgewiesen werden. Die durchschnitt -liche Artenzahl pro Untersuchungsfläche lag bei 61.Im Durchschnitt wurden je Mauerabschnitt 17 Ar-ten gefunden, wobei die Spanne von 4 (Gartenmauer

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

43

Abb. 68: Untersuchung eines Mauerabschnittes.

0,0

4,0

8,0

12,0 Mittlere Tagesmittel-Temperatur 1981–1990

Mittlere Tagesmittel-Temperatur 1991–2000

°C

Rhön Gießen Limburg

Dauerbeobachtungsflächen

Mel-sungen

Diemel-stadt

Spessart Oden-wald

Rhein-gau

Biebes-heim

Abb. 69: Mittlere Tagesmitteltemperaturen (°C) der Untersu-chungsgebiete für die Zeiträume 1981–1990 und1991–2000.

in Limburg) bis zu 38 Arten (Friedhof von Poppen-hausen/Rhön) reichte.

Als besonders artenreich stellten sich alte Mauerndar, wie sie insbesondere an Friedhöfen, Kirchenoder anderen historischen Anlagen zu finden sind.

Betrachtet man die Gesamtzahl der gefundenenFlechtenarten, so zeigt sich, dass die eher kühlenUntersuchungsflächen Rhön, Spessart und Oden-wald die meisten Spezies aufweisen (Abb. 71).

Ein umgekehrtes Bild ergibt sich jedoch, wenn manunter diesen nur solche Arten auswählt, die als Wär-mezeiger gelten: Hier weisen die Rhön, der Oden-wald und Melsungen die geringste Zahl an Wärme-zeigern auf. Noch deutlicher wird dieser Trend,wenn man die Häufigkeit des Vorkommens der Wär-mezeiger betrachtet: Während sie in der Rhön, inMelsungen und im Spessart nur spärlich zu findensind, kommen sie in Limburg, im Rheingau und inBiebesheim verstärkt vor. Diese Beobachtungen aus

unseren Untersuchungen sind ein erster Hinweis dafür, dass Flechten als Klimazeiger gelten können.

Vergleicht man die Tagesmitteltemperaturen mit derHäufigkeit der Wärmezeiger (Abb. 72), ergibt sich –trotz geringer Temperaturunterschiede zwischen derkältesten Messfläche (Rhön) und der wärmsten (Bie-besheim) von knapp 3 °C – ebenfalls eine deutlicheBeziehung. Dies gilt übrigens nicht nur für Hessen,sondern auch für Sachsen, wo eine gleichartige Un-tersuchung an drei Messflächen mit sehr unter-schiedlichen Durchschnittstemperaturen vorgenom-men wurde (für die Überlassung der sächsischen Da-ten danke ich Dr. Stetzka aus Tharand).

Korrelationsberechnungen zwischen den Wärme-zeigern und den mittleren Temperaturen ergaben ei-nen r-Wert von 0,85. Dies ist eine für Freilandunter-suchungen erstaunlich deutliche Korrelation.

Vergleicht man die Korrelationskoeffizienten derFlechten mit den Temperaturwerten der vier Jahres-

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

44

Abb. 70: Untersuchungsfläche am Baum.

0

20

40

60

80Gesamtartenzahl

Anzahl Wärmezeigerarten

Häufigkeit der Wärmezeiger

Rhön Gießen LimburgMel-sungen

Diemel-stadt

Spessart Oden-wald

Rhein-gau

Biebes-heim

Abb. 71: Gesamtartenzahl, Anzahl von Wärmezeigerarten undderen Häufigkeit an Mauern in den hessischen Un-tersuchungsflächen.

2 m

Klima-Richtlinie:Gesamter Stamm bis in 2 m Höhe wird untersucht.Bäume unterliegen keinen Auswahlkriterien.

Immissions-Richtlinie:Standardisiertes, kleines Aufnahmegitter. Bäume unterliegen strengen Auswahlkriterien.

0

4

8

12

0

10

20

30

40

°C

Häufigkeit der Wärmezeiger

Tagesmitteltemperatur

Rhön

Gießen

Lim

burg

Mels

unge

nDiem

elsta

dtSp

essa

rtOde

nwald

Rhein

gau

Bieb

eshe

imDre

sden

-Pill

nitz

Alte

nber

g (Zi

nnwald

)

Thar

andt

Abb. 72: Vergleich des Vorkommens wärmezeigender Ge-steinsflechten mit den Durchschnittstemperaturen.

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

45

zeiten (Abb. 73), so ist eine offensichtlich bessereBeziehung zu den Werten des Winterhalbjahres zuerkennen. Diese Tatsache ist insofern nachvollzieh-bar, als die poikilohydren Flechten in der wärmerenSommerzeit öfter wegen Wassermangels in einenstoffwechselinaktiven Zustand (Anabiose) überge-hen und demzufolge von den Temperaturverhältnis-sen im Sommer weniger stark beeinflusst werden alsim Winterhalbjahr.

Zusätzlich zu den Temperaturkorrelationen wurdeauch eine Korrelationsberechnung zu den FaktorenNiederschlagshöhe und Dampfdruck vorgenommen(Daten zur rel. Luftfeuchte waren nicht vorhanden).Auch hier besteht zwischen der Höhe des Nieder-schlags und der Artenzusammensetzung an den un-tersuchten Mauerabschnitten eine offensichtlicheBeziehung; der r-Wert von 0,79 ist hoch. Eine –wenn auch eher schwache – negative Korrelationvon –0,56 ergab sich zum Dampfdruck (er be-schreibt den Partialdruck des Wasserdampfes unddient zur Beschreibung der Luftfeuchte: Je geringerder Dampfdruck, um so höher die Luftfeuchte).Auch diese Resultate erscheinen verständlich: DaFlechten nur im gequollenen Zustand stoffwechsel -aktiv sind, führt eine Verminderung der Luftfeuchtezu ungünstigeren Existenzmöglichkeiten.

4.4.2.2 Baumflechten

Das Ergebnis dieser Erhebung ist in Abb. 74 wieder-gegeben.

Es zeigt sich, dass keine Korrelation zwischen dengefundenen Wärmezeigern und den dazu gehörigenTemperaturdaten zu bestehen scheint. Dieses Ergeb-nis steht im Widerspruch zu den Befunden, die wirbei den Gesteinsflechten gemacht haben. Der Wi-

derspruch ist vermutlich jedoch nur ein scheinbarer:Die Epiphytenvegetation war – infolge jahrzehnte-langer Belastung durch Immissionen – in Mitteleuro-pa viel stärker verarmt als die gesteinsbewohnendenFlechten; sie kehrt erst in jüngster Zeit allmählichzurück. Unsere Dauerbeobachtungen der Gießen/Wetzlarer Flechtenvegetation belegen dies (Abb. 75):

Obwohl in beiden Städten im Verlauf der letzten 25Jahre jeweils ca. 500 Bäume untersucht wordensind, fand sich 1985 nur ein einziger Wärmezeiger;2005 waren es sieben. Ihre Häufigkeit ist äußerst ge-ring; z. T. wurde lediglich ein Exemplar gefunden.Weil also die Wärmezeiger bisher erst in geringerAnzahl und Häufigkeit in Gießen/Wetzlar (und auchin den DBF) vorhanden sind, kann man davon ausge-hen, dass hierin der Grund für die schlechte Korre-lierbarkeit mit den Klimadaten zu suchen ist ¦ wirhaben es bei den wärmezeigenden Epiphyten bishernoch mit vereinzelten Zufallsfunden zu tun.

Sommerr=0,06

Winterr=0,25

Herbstr=0,808

Frühjahrr=0,08

Sommerr=0,72

Winterr=0,82

Herbstr=0,86

Frühjahrr=0,82

Abb. 74: Korrelationsberechnungen zwischen Temperaturmit-telwerten der vier Jahreszeiten (1991–2000) unddem Vorkommen wärmeanzeigender, epiphytischerFlechtenarten.

0

0,05

0,1

0,15

0,2

0,25

0,3

Mittlere Frequenz, 1985

Mittlere Frequenz, 1995

Mittlere Frequenz, 2005

Freq

uenz

Buell

ia C

ande

laria

conc

olor

Hypot

rach

yna

afror

evolu

ta Fl

avop

arm

elia

c

aper

ata

Punc

telia

jecke

riPa

rmot

rem

a

per

latum

Ph

ysco

nia

gr

isea

grise

ovire

ns

Abb. 75: Einwanderung wärmeanzeigender Flechtenarten inGießen/Wetzlar (1985–2005).

Abb. 73: Korrelationen zwischen der Häufigkeit des Vorkom-mens wärmeanzeigender Gesteinsflechten und Tem-peratur-Mittelwerten der vier Jahreszeiten.

Auch unsere Berechnungen der mittleren Zeiger-werte für Temperatur aus den Flechtenfunden derimmissionsbezogenen Flechtenkartierung in denhessischen DBF zeigen, dass die Flechten auf dieveränderten klimatischen Verhältnisse reagieren.Zum besseren Verständnis ist in Tabelle 5 das Prinzipder Zeigerwerte-Darstellung noch einmal wiederge-geben.

Wie aus Abb. 76 hervorgeht, ist in allen DBF eine Er-höhung der Zeigerwerte zwischen 1992 und 2007deutlich zu erkennen (z. T. um 1,5 Stufen). DieserBefund bedeutet, dass sich im gesamten Bundeslandin den letzten 15 Jahren die Anzahl und Häufigkeitvon Kühlezeigern verringert, diejenige von Arten mithöheren Temperaturansprüchen aber erhöht hat.

Da die Einwanderung von Wärmezeigern in Nord-westdeutschland bereits wesentlich weiter vorange-schritten ist (Düsseldorf/Kölner Raum), empfiehlt essich, diese Untersuchung in Hessen fortzuführen:Wenn der Trend zu weiteren Wärmezeigern anhält,sollten in 5 bis 10 Jahren auch bei uns statistischbesser absicherbare Stichproben vorhanden sein.

4.4.3 Zusammenfassung

• Neben anderen Organismen sind auch FlechtenIndikatoren für den Klimawandel. Basierend aufdiesen Erkenntnissen wird beim VDI zzt. an derErstellung einer standardisierten Richtlinie gear-beitet, die Flechten als Bioindikatoren zur Ermitt-lung und Beurteilung der Wirkung des Klimawan-dels verwendet.

• Da es zu dieser Frage bisher wenig konkrete Un-tersuchungen gibt, wurden in der vorliegendenErhebung an neun klimatisch unterschiedlichenFlächen in Hessen jeweils 30 Mauerabschnitteund 20 Bäume auf ihren Flechtenbewuchs unter-sucht.

• Die Ergebnisse wurden mit Klima-Parameternkorreliert.

• Bei den Baumflechten ergab sich (wegen der nochgeringen Zahl von einwandernden Wärmezeigern)kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen ge-messenen Klimaparametern und Flechten.

• Bei den Gesteinsflechten zeigte sich dagegen eine deutliche Abhängigkeit des Flechtenvorkom-mens von klimatischen Faktoren – insbesondereder Temperatur.

• Weil die wechselfeuchten Flechten sehr raschauf klimatische Veränderungen reagieren, kön-nen sie als Frühwarmsysteme für die Auswirkun-gen von Temperaturveränderungen in Ökosyste-men eingesetzt werden.

• Da sie – im Gegensatz zu vielen Höheren Pflan-zen – auch im Winterhalbjahr stoffwechselaktivsind, haben ihre Aussagen Gültigkeit für das ganzeJahr.

Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

46

Tab. 5: Temperatur-Zeigerwerte für Flechten in Mittel europa.

Temperatur-Zeigerwert 1

Kältezeiger (alpin-nival; arktisch-boreal)

Temperatur-Zeigerwert 5

Kältezeiger (hauptsächlich in mäßigkühlen bis mäßig warmen Lagen;hauptsächlich montan-submonatan(400–1 000 m ü. NN; meist bis ins mittlere Fennoskandien verbreitet)

......

Temperatur-Zeigerwert 9

Extreme Wärmezeiger (nur in das süd -liche Mitteleuropa vom mediterran-submediterranen Raum übergreifend)

......

0

1

2

3

4

5

6 19921997

20022007

Zeig

erw

erte

Tem

pera

tur

Diemelstadt Melsungen Rhön Gießen Limburg Spessart Biebesheim

Abb. 76: Entwicklung der Temperaturzeigerwerte von Flech-ten in den hessischen DBF (1992–2007).

Flechten als Anzeiger der Luftgüte und des Klimawandels

47

VDI-Richtlinie 3799, Blatt 1 (1995): Ermittlung und Be-urteilung phytotoxischer Wirkungen von Immissio-nen mit Flechten: Flechtenkartierung. – Beuth-Ver-lag, Berlin.

VDI-Richtlinie 3957, Blatt 8 (2003): Flächenbestimmungepiphytischer Flechten zur immissionsökologischenLangzeitbeobachtung. – Beuth-Verlag, Berlin.

VDI 3957 Blatt 13 (2005): Biologische Messverfahren zur

Ermittlung und Beurteilung der Wirkungen vonLuftverunreinigungen auf Pflanzen (Bioindikation):Kartierung der Diversität epiphytischer Flechten alsIndikator für die Luftgüte. – Beuth-Verlag, Berlin.

VDI-Richtlinie 3957, Blatt 20 (2009): Kartierung vonFlechten zur Indikation von lokalen Klimaverschie-bungen. – Vorentwurf, Düsseldorf.

5 In den Untersuchungen verwendete Richtlinien

Die vorliegende Broschüre ist in wesentlichen Teilendie Kurzfassung eines Arbeitsberichtes („Flechten-dauerbeobachtungsflächen Hessen, 2007“); dieser

kann, einschließlich der verwendeten Literatur, un-ter der E-Mail [email protected] beim HLUG angefordert werden.

48