Flugblatt: Nationalratswahl 2008

4
D ie Nationalratswahlen vom 28. Sep- tember 2008 haben die politische Landschaft der 2. Republik gründlich verändert. Mit einer Wahlbeteiligung von 76,6 % ist ein historischer Tiefstand beim Wähle- rInneninteresse registriert worden. Die Zahl der ungültigen Stimmen ist, gemes- sen an der letzten Nationalratswahl, um 0,3 % auf 2,1 Prozent gestiegen. Die Sozialdemokratische Partei hat mit weniger als 30 % der Stimmen (29,7) das schlechteste Ergebnis seit 1918 erzielt. Besonders dramatisch waren die Stimmen- einbrüche in ehemaligen Hochburgen der SPÖ, wie z. B. in einigen ArbeiterInnenbe- zirken Wiens. Hier konnte die Strache- FPÖ meist weit über dem Bundesschnitt liegende Ergebnisse erzielen. Zugleich hat sich die Wählerstruktur der SPÖ deutlich verändert: Bei den Senio- rInnen kann die SP noch eine Mehrheit vorweisen - bei der Jugend geht der Trend deutlich hingegen nach rechts: Bei den Un- ter-30-Jährigen konnte die FPÖ 33 % der WählerInnen, das BZÖ 10 % gewinnen. Dieser Trend gilt auch für Lehrlinge. Die Angestellten, in den 70er und 80er Jahren wesentlich Träger einer Linksent- wicklung in den Gewerkschaften, sind ebenfalls Richtung ÖVP und BZÖ wegge- driftet. Bei den IndustrieArbeiterInnen kann die SPÖ noch 37 % der WählerIn- nen ansprechen, aber mit 30 % sind die Freiheitlichen nicht mehr allzu weit abge- schlagen. Der Einbruch der SPÖ in der Wähle- rInnengunst ist das logische Produkt ei- ner Jahrzehnte währenden Integration der Sozialdemokratie in den bürgerlichen Staatsapparat. Was in den späten 40er und frühen 50er Jahren mit dem Verrat an den ArbeiterInneninteressen in Form der Lohn-Preis-Abkommen begann steigerte sich zur institutionalisierten Sozialpart- nerschaft und der Beteiligung an einer Reihe von Großen Koalitionen. Die refor- mistische Sozialdemokratie zeigte sich als das, was sie war: als loyale Helferin und Sachwalterin des Kapitals in der Arbeite- rInnenklasse. Die "Sozialpartner- schafts"politik der 2. Republik war aber nicht vom Himmel gefallen - sie war die konsequente Fortsetzung der Gleichset- zung der Interessen von reformistischer Sozialdemokratie und imperialistischem Staat, die 1914 mit dem historischen Ver- rat der Sozialdemokraten bei Beginn des 1. imperialistischen Weltkrieges begon- nen hatte. Waren in den 70er und 80er Jahren, Zum Ergebnis der Nationalratswahl 2008 K K L L A A S S S S E E N N K K A A M M P P F F f f ü ü r r R R ä ä t t e e m m a a c c h h t t u u n n d d R R e e v v o o l l u u t t i i o o n n

description

Analyse des Ergebnisses der Nationalratswahl 2008

Transcript of Flugblatt: Nationalratswahl 2008

Die Nationalratswahlen vom 28. Sep-tember 2008 haben die politische

Landschaft der 2. Republik gründlich verändert.

Mit einer Wahlbeteiligung von 76,6 % ist ein historischer Tiefstand beim Wähle-rInneninteresse registriert worden. Die Zahl der ungültigen Stimmen ist, gemes-sen an der letzten Nationalratswahl, um 0,3 % auf 2,1 Prozent gestiegen.

Die Sozialdemokratische Partei hat mit weniger als 30 % der Stimmen (29,7) das schlechteste Ergebnis seit 1918 erzielt. Besonders dramatisch waren die Stimmen-einbrüche in ehemaligen Hochburgen der SPÖ, wie z. B. in einigen ArbeiterInnenbe-zirken Wiens. Hier konnte die Strache-FPÖ meist weit über dem Bundesschnitt liegende Ergebnisse erzielen.

Zugleich hat sich die Wählerstruktur der SPÖ deutlich verändert: Bei den Senio-rInnen kann die SP noch eine Mehrheit vorweisen - bei der Jugend geht der Trend deutlich hingegen nach rechts: Bei den Un-ter-30-Jährigen konnte die FPÖ 33 % der WählerInnen, das BZÖ 10 % gewinnen. Dieser Trend gilt auch für Lehrlinge.

Die Angestellten, in den 70er und 80er Jahren wesentlich Träger einer Linksent-wicklung in den Gewerkschaften, sind

ebenfalls Richtung ÖVP und BZÖ wegge-driftet. Bei den IndustrieArbeiterInnen kann die SPÖ noch 37 % der WählerIn-nen ansprechen, aber mit 30 % sind die Freiheitlichen nicht mehr allzu weit abge-schlagen.

Der Einbruch der SPÖ in der Wähle-rInnengunst ist das logische Produkt ei-ner Jahrzehnte währenden Integration der Sozialdemokratie in den bürgerlichen Staatsapparat. Was in den späten 40er und frühen 50er Jahren mit dem Verrat an den ArbeiterInneninteressen in Form der Lohn-Preis-Abkommen begann steigerte sich zur institutionalisierten Sozialpart-nerschaft und der Beteiligung an einer Reihe von Großen Koalitionen. Die refor-mistische Sozialdemokratie zeigte sich als das, was sie war: als loyale Helferin und Sachwalterin des Kapitals in der Arbeite-rInnenklasse. Die "Sozialpartner-schafts"politik der 2. Republik war aber nicht vom Himmel gefallen - sie war die konsequente Fortsetzung der Gleichset-zung der Interessen von reformistischer Sozialdemokratie und imperialistischem Staat, die 1914 mit dem historischen Ver-rat der Sozialdemokraten bei Beginn des 1. imperialistischen Weltkrieges begon-nen hatte.

Waren in den 70er und 80er Jahren,

Zum Ergebnis der Nationalratswahl 2008

KKLLAASSSSEENNKKAAMMPPFFffüürr RRäätteemmaacchhtt uunndd RReevvoolluuttiioonn

den Hoch-Zeiten der SPÖ unter Kreisky und seinen ersten Nachfolgern, noch be-schränkte Reformen möglich, welche die Werktätigen an die SP binden konnten, machten die immer deutlicher werdenden Krisensymptome des Kapitalismus und die siegestrunkene Offensive des Kapitals nach der Zerschlagung der Sowjetunion 1989 eine selbst extrem eingeschränkte re-formistische Politik unmöglich. Die SPÖ wurde zur offenen Propagandistin und Exekutorin der ersten Sparpakete. Durch die Entpolitisierung des österreichischen Proletariats und ihre bürokratische Kon-trolle über die Gewerkschaften machte sie sich zur Wegbereiterin der Wenderegie-rung des Jahres 2000.

In der Neuauflage der Großen Koaliti-on (Regierung Gusenbauer/Molterer) gab die SPÖ jeglichen sozialen Anstrich auf. Als willfährige Helferin des Kapitals tat sie alles, um die arbeiterinnenfeindlichen Maßnahmen der Vorgängerregierungen zu zementieren bzw. zu verfeinern.

Die extreme Rechte nutzte die daraus resultierende Unzufriedenheit in breiten Teilen der Bevölkerung, um sich als die "soziale Alternative" zu präsentieren. Ein Mix aus ausländerfeindlichen Parolen, der Beschwörung des "Sozialstaates" (ausge-rechnet von jener Partei, die ab 2000 in der gemeinsamen Regierung mit der ÖVP alles getan hatte, um die sozialen Errun-genschaften der österreichischen Arbeite-rInnen und Angestellten zu zertrümmern) und populistischen Forde-rungen zur Armutsbekämpfung ließ die rechte Flut hochschwappen.

Was den Stimmenanteil der extremen Rechten weiter in die Höhe trieb war die Spaltung in FPÖ und BZÖ. Kleinbürgerli-che und bäuerliche Schichten, die dem zu "arbeiterfreundlich" auftretenden H. C.

Strache mißtrauten, wandten sich dem ge-setzteren BZÖ mit seinen Honoratioren und Jörg Haider als "erfahrenem Landes-politiker" als Führungsfigur zu. Völlig zu recht, aber weitgehend ignoriert, hatte Haider in der Fernsehkonfrontation mit Strache letzteren immer als seine "Kopie" bezeichnet. Tatsächlich sind FPÖ und BZÖ programmatisch fast nicht unter-scheidbar und lediglich durch die Füh-rungsansrpüche ihrer Protagonisten im "nationalen Lager" voneinander getrennt.

Während die FPÖ von rechts in die Kernschichten der SPÖ eindrang, räumte das BZÖ am rechten Rand der Volkspar-tei ab. Fassungslos mussten Bauernbünd-ler mitverfolgen, wie "ihre" treuen BäuerInnen plötzlich hinter Haider her liefen und sie als "VolksverräterInnen" be-schimpften, welche die bäuerlichen Inter-essen an die EU verkauft hätten.

Das hohe Wahlergebnis von FPÖ und BZÖ hat vorrangig die Funktion, die bür-gerliche ÖVP und die bürgerliche Arbeite-rInnenpartei SPÖ thematisch vor sich herzutreiben, sowie rassistische und poli-zeistaatliche Tendenzen in deren Führun-gen zu stärken. Der "radikale Rechtsruck" (KURIER) dient zugleich da-zu, dagegen eingestellte Kräfte gründlich zu demoralisieren und massenfeindliche Strömungen auf der "Linken" ("so san's halt, die Österreicher...") zu stärken. Kleinbürgerliche "zivilgesellschaftliche" und "autonome" Gruppierungen werden sich nun umso mehr berechtigt fühlen, sich in ihre "Freiräume" zurückzuziehen.

In der großen Polarisierung zwischen den beiden einstigen Großparteien und den extrem rechten Parteien blieb für an-dere Gruppierungen nur wenig Spiel-raum. Die Grünen büßten 1,3 % der Stimmen ein, und zwar großteils nach

rechts, hin zur ÖVP. Das LIF und die Lis-te "Fritz" des wirren VP-Dissidenten Dink-hauser blieben mit 1,9 bzw. 1,8 Prozent der Stimmen vernachlässigbare Größen im bürgerlichen Lager.

Am "linken" Rand des politischen Spektrums traten bundesweit die KPÖ und in fünf Bundesländern die LINKE an.

Die KPÖ, deren Spitzenkandidat Mir-ko Messner noch kurz vor dem 28. Sep-tember mit Aussagen über ein mögliches Grundmandat für seine Partei für Lacher sorgte, büßte österreichweit 0,2 Prozent, in absoluten Zahlen: 13.471 Stimmen ein. Im Musterbundesland Steiermark verlor die KPÖ über 5.100 Stimmen.

Offensichtlich war das reformistische, vage "linke" Programm der KPÖ, mit sei-nen mäßigen Forderungen für all jene we-nig verlockend, die nach einer Alternative zur bürgerlichen Politik der SPÖ suchten.

Eines kann jedenfalls aus dem Wahlre-sultat geschlussfolgert werden: Schuld am schlechten Abschneiden der KPÖ sind si-cher nicht die "Ultralinken", denn das prinzipienlose Bündnis diverser zentristi-scher Gruppen, das als LINKE antrat, kam in allen Bundesländern zusammen auf knapp 1.900 Stimmen (ungefähr so viel wie alleine in Wien die Tierrechtspar-tei). Wir haben uns von Haus aus kritisch mit diesem Projekt, das ohne Programm begonnen hat, auseinandergesetzt und vor Illusionen in ein Bündnis, dessen erstes und wichtigstes Ziel die Kandidatur zur Nationalratswahl war, gewarnt.

Was bedeutet dieses Wahlresultat nun für die kommenden Wochen und Mona-te? Auch wenn die ÖVP ihr traditionelles Spiel nach verlorenen Wahlen "Killen wir den Parteivorsitzenden" diesmal deutlich abgekürzt hat, bedeutet die Inthronisie-rung des niederösterreichischen Karrieris-

ten Josef Pröll noch lange nicht, dass die ÖVP nun auf eine neuerliche Große Ko-alition mit der SPÖ setzt. Mit Recht leh-nen wichtige Landesfürsten diese Option als selbstmörderisch ab. Eine weitere rot-schwarze Legislaturperiode wäre Wasser auf die Mühlen der RechtspopulistInnen und würde FPÖ und BZÖ weiter wach-sen lassen.

Tatsächlich gibt es gewichtige Stim-men für eine offen bürgerliche Koalition mit FPÖ und BZÖ - eine verschärfte Ver-sion der Wenderegierung von 2000 und ein deutliches Signal für eine anwachsen-de faschistische Krisenstrategie in Europa.

Die SP-Führung befindet sich in der undankbaren Rolle, zwar die relativ stärkste Partei zu führen, aber wohl kaum eine Regierungs zustandezubrin-gen, die nicht mit der Selbstvernichtung der Partei enden würde. Der einzig mögli-che Befreiungsschlag ist undenkbar: Die Mobilisierung der ArbeiterInnen für so-zialistische Forderungen zur Verbesse-rung ihrer wortschaftlichen und sozialen Lage. Dazu bedürfte es des Bruchs der SPÖ mit der Bourgeoisie, und das ist eine Perspektive, an die maximal die konse-quenten ParteireformiererInnen des "Fun-ke" glauben, aber sonst schon niemand. Nun die Orientierung auf eine Minderheitsregierung zu setzen - also ein Regime, dass parlamentarisch von FPÖ und BZÖ abhängig wäre! - und dies als prinzipientreue sozialistische Politik zu verkaufen, ist ein geradezu kriminelles letztes Aufzucken des parlamentarischen Kretinismus.

Wichtiger als die Fixierung auf Koaliti-onsvarianten ist die Frage, wie die Arbei-terInnenklasse mit der Stärkung der extremen Rechten fertig wird. Eines ist klar: Der 28. September läutet eine neue

Eigentümer, Herausgeber, Verleger: Gruppe Klassenkampf. Druck und Herstellungsort: Wien

Periode der Angriffe auf die ArbeiterIn-nen, die Angestellten und die Jugend ein. Und der Rammbock dieser Angriffe wer-den FPÖ und BZÖ, die falschen "Freun-de" der Ausgebeuteten und Armen, sein.

Es wird in den kommenden Wochen dringend notwendig sein, nicht nur die Verantwortung der sozialdemokratischen Führung und des Reformismus insgesamt an der politischen Entwaffnung der öster-reichischen ArbeiterInnenklasse aufzuzei-gen. Ebenso wird es notwendig sein, jenen, die Illusionen in die populistischen Parolen von Strache und Haider hatten, die Augen zu öffnen und zu zeigen: Von diesen bürgerlichen Rattenfängern hat die arbeitende Bevölkerung nichts, aber schon gar nichts zu erwarten, als Angrif-fe, Raubzüge, Verhetzung und den Abbau demokratischer Freiheiten.

Die Nachwahlperiode in Österreich ist eine Periode, in der international das kapitalistische System in seinen Grundfes-ten erschüttert ist. Der Bankenkrach in den USA hat auf Europa übergegriffen, die Finanzdienstleister, denen nach Wil-len der bürgerlichen PolitikerInnen und ih-rer reformistischen HandlangerInnen die

arbeitenden Menschen ihre Zukunftsvor-sorge anvertrauen sollten, wanken. Auch in Österreich gibt es Massenkündigun-gen, die Inflation steigt, die Teuerung treibt mehr und mehr Menschen in die Armut.

Der Verrat der alten Führungen des Proletariats, Sozialdemokratie und Stali-nismus, und die Integration subjektiv "lin-ker" Kräfte in kleinbürgerliche "Bewegungen" und "Projekte" rächt sich heute bitter. Ein ÖGB, der durch Finanz-spekulationen handlungsunfähig ist und das Vertrauen der ArbeiterInnen verloren hat; Jugendliche, die keine Zukunftsper-spektiven sehen und bereit sind, für das Versprechen von ein bisschen Wohlstand menschenfeindlichen Hetzern auf den Leim zu gehen.

Die Aufgaben, die sich den Revolutio-närInnen heute stellen, sind gewaltig. Wir müssen an einem sehr niederen Klassenbe-wusstsein ansetzen und wieder das ABC des Marxismus in die Massen hineintra-gen. Auf diesem Weg gibt es keine Abkür-zer. Wir werden ihn unbeirrt gehen.

Gruppe Klassenkampf, 2. 10. 2008

Kontakt: [email protected]

Gruppe KlassenkampfStiftgasse 8A-1070 Wien

www.klassenkampf.net.tfUnsere Zeitung KLASSENKAMPF berichtet über österreichische und internationale Klassenkämpfe, wirtschaftliche und soziale Fragen und ergreift, ausgehend von der Theorie des revolutionären Marxismus, Partei für die Ausgebeuteten und Unterdrückten.Der Marxistische Studienzirkel ist ein von der Gruppe Klassenkampf angeregter Schulungskreis, in dem sich interessierte GenossInnen die theoretischen Grundlagen für ihre politische Arbeit erarbeiten können.