Fluss der Bilder: Zum Flussfilm

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  • 7/24/2019 Fluss der Bilder: Zum Flussfilm

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    Im Fluss der Bilder.

    Niemand steigt zweimal in denselben Fluss so heisst in dem berhmten, Heraklit

    zugeschriebenen Aphorismus, denn immer fliessen neue Wasser auf dich zu. Der

    griechische Philosoph erklrt den Fluss damit zur Metapher fr die Zeit schlechthin und

    deren stetige Bewegung. Und so kann es denn auch nicht verwundern, dass der Film mitseine bewegten Bildern eine besondere Affinitt zum Naturphnomen des Flusses hat.

    Mal sanft dahingleitend, dann wieder reissender Strom, der alle wegzuschwemmen

    vermag ist der Fluss schon ob der ihm eigenen kinetischen Energie ein Kino-Sujet par

    excellence: ein Protagonist, der im Gegensatz zu den Schauspielern, niemals mde wird,

    der nie in seiner Bewegung erlahmt, sondern immer weiter zu gehen, es immer weiter zu

    treiben vermag. Es ist diese nie versiegende Triebkraft, von der auch Werner Herzogs

    Fitzcarraldo sich davontragen und mitreissen lsst auf seiner Fahrt in den Dschungel.

    Wenn der wilde Abenteurer bei seinem Versuch, mitten im peruanischen Urwald ein

    Opernhaus zu errichten schliesslich auf dem Wasser nicht mehr weiterkommt und sein

    Schiff stattdessen ber einen Berg ziehen lassen will, so verfllt der Opernliebhaber auf

    diese Idee, weil er sich in seinem Grssenwahn mittlerweile schon selber als Naturgewalt,

    als Fluss sieht, der sich auch durch unerschlossenes Gebiet seinen Weg bahnt, alle

    Widerstnde fortsplend.

    So kann das Reisen auf dem Fluss niemals nur physische Bewegung bleiben, sondern

    bringt unweigerlich auch die Psyche in Aufwallung. Was einem fest schien, gert whrend

    der Flussfahrt ins Rutschen. Selbst so extreme Antipoden, wie die alte Jungfer Rose und

    der versoffene Kapitn Charlie finden sich in John Hustons African Queen unverhofft alsLiebespaar wieder. Allein die Fahrt auf dem Fluss hat sie zusammengefhrt. Und in Jean

    Vigos LAtalante oder Helmut Kutners Unter den Brcken kann auf dem Fluss gar

    jene unmgliche Liebeskonstellation der mnage--trois gelingen. So wie die

    Dreiecksliebe immer fragil, immer in Bewegung bliebt, so kann sie paradoxerweise dort am

    ehesten bestehen, wo die Unbestndigkeit bereits vorgegeben ist: auf dem bewegten

    Wasser. Es ist denn auch wohl kein Zufall, dass sich frHendrik und Willy, den beiden

    Lastschifffahrern ausUnter den Brcken der Wunsch nach einer festen Beziehung mitdem Traum von einem eigenen Schiffsmotor verbindet. So wie der Motor dem natrlichen

    Lauf des Flusses zu trotzen verspricht, so sollen die Unwgbarkeiten der Liebe in einer

    festen Beziehung gebndigt werden. Am Ende aber werden die beiden sich schliesslich

    doch frs Unsichere entscheiden. Sie erkennen, dass fr sie nichts grsseren Halt gibt, als

    das unstete Leben auf dem Fluss.

    Es ist dieselbe Paradoxie, die jeder Schifffahrt eigen ist, diese kuriose Verbindung aus

    Ruhe und Bewegung, die Verquickung des Bestndigen mit dem Unbestndigen: Whrend

    der Passagier auf festem Plankenboden steht, ist unter diesem doch alles in Aufruhr. Still

    sitzt man an Deck und bewegt sich dabei doch. Heterotopien hat der Philosoph Michel

    Foucault solche Zustnde genannt, wo sich scheinbare Gegenstze verbinden.Schlingernd zwischen den Gegenstzen ist das Flusssschiff ein Widerspruch in sich, eine

    Utopie, die Realitt geworden ist so wie das auf dem Mississippi herumfahrende

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    Theaterschiff aus dem Musical Showboat, auf welchem die Regeln der restlichen Welt

    fr eine Fahrt lang aufgehoben werden. Jean Renoir schliesslich zeichnet das ganze

    Gebiet am Ufer des Ganges, wo sein Film The River spielt, als solch eine Heterotopie,

    wo Gegenstze, Kulturen und Identitten ineinander fliessen. Mit dem Strom im Titel ist

    denn auch nicht nur der indische Fluss gemeint, sondern auch die erwachende Sexualitt

    dreier Mdchen, die sich alle in denselben Mann verlieben, ebenso wie die Vermischungder Rassen in der Figur der jungen Melanie, in welcher indisches und englisches Blut

    zusammenfliessen. Nicht zuletzt ist der Strom aber auch Metapher fr Renoirs eigenen

    Filmstil, fr die Art und Weise, wie er seine Kamera davontreiben lsst von Haupt- zu

    Nebenschaupltzen, von der Fiktion ins Dokumentarische und wieder zurck, nicht

    eingepasst in den begradigten Kanal einer Story, sondern frei sprudelnd, mandernd und

    ausufernd und dabei unentwegt schaukelnd zwischen Realismus und Technicolor-

    Knstlichkeit.

    So wird bei Renoir endgltig klar, dass jenes Naturphnomen des Fluss nicht nur

    Metapher fr das stetig sich verndernde Leben ist, sondern auch Sinnbild fr das

    filmische Medium selbst, fr den Fluss der Bilder, der sich von der Leinwand ber uns

    ergiesst. Die Kamera, so hat der Regisseur Jean Epstein in einem seiner Essay

    geschrieben, versetze alles, was sie zeigt, in konstante und alles umfassender Bewegung.

    Die Welt des Film sei ein univers fluide, ein Universum im verflssigten Zustand, wo

    selbst die Gegenstnde von rtselhaftem Leben beseelt sind. Das mag denn auch

    erklren, warum fr Buster Keatons Film Steamboat Bill Jr. das Setting im

    Dampfschiffhafen am Ufer der Mississippi so wesentlich ist. Sind konkrete Flussszenen in

    Keatons letztemunabhngig produziertenFilm gar nicht so viele zu finden, bestimmtdoch der Fluss die ganze Form dieses Meisterwerks. Wenn im legendren Hhepunkt des

    Films ein Tornado die ganze Hafenstadt in Trmmer legt, hat sich Keatons gesamtes

    filmisches Universum in eine reissende Flut verwandelt. Whrend ihm ganze Huser um

    die Ohren fliegen, schippert Keaton unbeschadet durch den tosenden Sturm, lcherlicher

    Kapitn auf den wilden Wellen des eigenen Mediums.

    Dass das Motiv der Flussfahrt unweigerlich auch eine Erkundigung des filmischen

    Mediums und dessen Fluiditt darstellt, ist denn auch die Pointe von Francis Ford

    Coppolas Apocalypse Now. Die Bootsfahrt durch den vom Vietnam-Krieg verwsteten

    Dschungel, welche den Protagonisten, den unerfahrenen Captain Willard zum Camp des

    abtrnnigen Colonel Kurtz fhren soll, fngt nicht erst an, wenn der Soldat an Bord des

    Patrouillenboots geht. Die Fahrt geht schon zu Anfang los, wenn wir sehen, wie Willard

    sich in seinem Hotelzimmer betrinkt, sich schneidet und blutend ins Delirium tanzt. Schon

    hier ist alles unhaltbar in Fluss geraten. Die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit,

    Traum und Wachen ist lngst verflssigt, weggeschwemmt. Und das fluide Medium des

    Films lsst die widersprchlichen Eindrcke in endlosen berblendungen ineinander

    fliessen. Ein Bild ergiesst sich ins andere: der an der Zimmerdecke kreisende Ventilator in

    die ratternden Rotoren der Kampfhubschrauber, Zigarettenglut in Napalm-Brand einberwltigender Bilderstrom der Gewalt. This is the end singt Jim Morrison dazu. Doch

    der Film straft ihn sogleich Lgen: Dies ist eben nicht das Ende, sondern erst der Anfang

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    davon. Wir sind noch lange nicht angekommen, dort wo der Wahnsinn des Krieges

    endgltig versiegt und zugleich seine Quelle hat. Jenes Herz der Finsternis, so der Titel

    von Joseph Conrads gleichnamiger Novelle, von der Coppola sich mit hat inspirieren

    lassen, wird nie erreicht werden. Oder genauer: wir tragen es auf unserer Fahrt auf dem

    Fluss immer schon mit uns herum. So wie in Heraklits Aphorismus immer neue Wasser

    auf uns zufliessen, so fhrt der Fluss bei Coppola immer neuen Wahnsinn, immerabsurdere Gewalt auf sich mit. Der Fluss, Metapher fr die ewige Erneuerung des Lebens

    entlarvt sich hier als Styx, als Fluss des Grauens, der vom Reich der Lebenden in das des

    Todes fhrt.

    Dies ist auch die bittere Einsicht jener vier Stdter in John Boormans Deliverance. Sie

    hatten sich auf ihre gemeinsame Kanufahrt gemacht, um auf dem Fluss jene unbndige

    Vitalitt wiederzufinden, die sich aus ihrem drgen Arbeitsalltag schon lngst verflchtigt

    hat. Doch der Ausflug wird zum Trip in die Hlle, von welchem niemand unversehrt

    zurckkehrt. Hinter der Biegung des Flusses wartet nicht nur unberhrte Natur, sondern

    auch atavistische Gewalt, welche die Menschen zu Raubtieren werden lsst. Und auch

    wem es gelingt, sich am Ende ans Ufer zu retten, den gibt der Fluss nicht frei. In den

    Trumen der berlebenden fliesst er ewig weiter und splt unentwegt wieder nach oben,

    was man fr immer hatte auf seinem Grund begraben wollen.

    Die filmische Fahrt auf dem Fluss ist mithin eine Lust, die sich als abgrndig erweisen

    kann und von der man doch nicht lassen mag. Am Ende von Showboat sieht Ava

    Gardner mit verheulten Augen dem grossen Mississippi-Dampfer nach, der ihr einst die

    ganze Welt war. Der Fluss der Bilder fliesst weiter und mit ihm die all Film-Vehikel, in und

    mit denen wir uns haben davontragen lassen. Und wenn wir nun auch wieder einmalangehalten, angelegt haben, so doch nur, um dereinst wieder in diesen Fluss namens Kino

    steigen mgen, dieser Fluss, der immer derselbe und doch jedes mal wieder anderer ist.

    Avas Trnen, die ihr in einer langen Bahn ber die Wange laufen sind auch die unseren

    und im Rinnsal der Trnen sehen wir es noch einmal gespiegelt, jenes bewegte Wasser

    des Flusses, dass uns bewegt. Wir wren noch gerne weiter gefahren.

    Johannes Binotto