FMR 17 - Todesstrafe in Pakistan

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Fokus Menschenrechte Nr. 17 / Juli 2015 Zunehmend brutalisiert – Immer hilfloser Die Todesstrafe in Pakistan soll es richten Amal El-Abd Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit | Fokus Menschenrechte Pakistan wurde 1947 ins Leben gerufen. Von Anbeginn war die Todesstrafe gesetzlich verankert. Auffällig ist, dass in den Anfangsjahren der Is- lamischen Republik Pakistan kaum Menschen der Todesstrafe zum Opfer fielen – im Gegensatz zum Jahr 2015: Seit dem Peschawar-Schulmassaker am 16.12.2014 ist Pakistan nicht nur einer der un- rühmlichen Spitzenreiter in der Verhängung der Todesstrafe, sondern auch in deren Vollstreckung Nahezu täglich werden Menschen in Pakistan gehängt; dennoch gedeiht der Terrorismus weiter. Demnach scheint die Todesstrafe die in Pakistan postulierte Wir- kung zu verfehlen. Dennoch be- fürwortet eine große Mehrheit der Pakistaner die Todesstrafe. Pakistan droht mit dem Strick Generell ist es stark umstritten, Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen. Die Todesstrafe gilt als unvereinbar mit den Menschenrechten. Seit 2007 fordert die Generalversammlung der Verein- ten Nationen, Hinrichtungen weltweit auszusetzen, gefällte Urteile also mit einem Moratorium zu bele- gen. Die Todesstrafe ist nicht nur irreversibel, sondern sie ist insbesondere auch höchst bedenklich, wenn die hohe Anzahl von Fehlurteilen berücksichtigt wird. Abgesehen davon gibt es alternative Strafformen. Im traditionellen Strafrecht wird die Todesstrafe bei Mord verhängt. Doch werden mitunter auch Strafta- ten wie Bankraub, Vergewaltigung und Drogenhandel Zusammenfassung Die Todesstrafe ist seit Staatsgründung 1947 Teil des pakistanischen Rechts. Ihre jahrelan- ge Aussetzung wurde nach dem Schulmassaker in Peschawar am 16.12 2014 aufgehoben. Seitdem werden jedoch kaum Terroristen, sondern vor allem Kriminelle gehängt. Die Verurteilung fußt jedoch auf fragwürdigen Verfahren und zum Teil Folter. Ein Teil der Verurteilten ist zudem zum Zeitpunkt der angelasteten Tat minderjährig. Trotz dieser Um- stände befürworten mehr als 90% der Pakistani die Todesstrafe – ein Zeichen der zunehmenden Radi- kalisierung der Religion durch den Wahhabismus und der voranschreitenden Brutalisierung einer verunsicherten Gesellschaft im Umbruch. In die- sem Lichte ist die Aufhebung des Moratoriums eine hilflose Reaktion der Machtelite, um Symptome mit falschen Mitteln zu bekämpfen – denn Kriminalität und Terrorismus gehen unbeeindruckt weiter.

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Die Todesstrafe ist seit Staatsgründung 1947 Teil des pakistanischen Rechts. Ihre jahrelange Aussetzung wurde nach dem Schulmassaker in Peschawar am 16.12 2014 aufgehoben. Seitdem werden jedoch kaum Terroristen, sondern vor allem Kriminelle gehängt. Die Verurteilung fußt jedoch auf fragwürdigen Verfahren und zum Teil Folter. Ein Teil der Verurteilten ist zudem zum Zeitpunkt der angelasteten Tat minderjährig.

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  • Fokus Menschenrechte

    Nr. 17 / Juli 2015

    Zunehmend brutalisiert Immer hilfloserDie Todesstrafe in Pakistan soll es richten

    Amal El-Abd

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit | Fokus Menschenrechte

    Pakistan wurde 1947 ins Leben gerufen. Von Anbeginn war die Todesstrafe gesetzlich verankert. Auffllig ist, dass in den Anfangsjahren der Is- lamischen Republik Pakistan kaum Menschen der Todesstrafe zum Opfer fielen im Gegensatz zum Jahr 2015: Seit dem Peschawar-Schulmassaker am 16.12.2014 ist Pakistan nicht nur einer der un-rhmlichen Spitzenreiter in der Verhngung der Todesstrafe, sondern auch in deren Vollstreckung Nahezu tglich werden Menschen in Pakistan gehngt; dennoch gedeiht der Terrorismus weiter. Demnach scheint die Todesstrafe

    die in Pakistan postulierte Wir-kung zu verfehlen. Dennoch be-

    frwortet eine groe Mehrheit der Pakistaner die Todesstrafe.

    Pakistan droht mit dem StrickGenerell ist es stark umstritten, Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen. Die Todesstrafe

    gilt als unvereinbar mit den Menschenrechten. Seit 2007 fordert die Generalversammlung der Verein-ten Nationen, Hinrichtungen weltweit auszusetzen, gefllte Urteile also mit einem Moratorium zu bele-gen. Die Todesstrafe ist nicht nur irreversibel, sondern sie ist insbesondere auch hchst bedenklich, wenn die hohe Anzahl von Fehlurteilen bercksichtigt wird. Abgesehen davon gibt es alternative Strafformen. Im traditionellen Strafrecht wird die Todesstrafe bei Mord verhngt. Doch werden mitunter auch Strafta-ten wie Bankraub, Vergewaltigung und Drogenhandel

    ZusammenfassungDie Todesstrafe ist seit Staatsgrndung 1947 Teil des pakistanischen Rechts. Ihre jahrelan-ge Aussetzung wurde nach dem Schulmassaker in Peschawar am 16.12 2014 aufgehoben. Seitdem werden jedoch kaum Terroristen, sondern vor allem Kriminelle gehngt. Die Verurteilung fut jedoch auf fragwrdigen Verfahren und zum Teil Folter. Ein Teil der Verurteilten ist zudem zum Zeitpunkt der angelasteten Tat minderjhrig. Trotz dieser Um-stnde befrworten mehr als 90% der Pakistani die Todesstrafe ein Zeichen der zunehmenden Radi-kalisierung der Religion durch den Wahhabismus und der voranschreitenden Brutalisierung einer verunsicherten Gesellschaft im Umbruch. In die-sem Lichte ist die Aufhebung des Moratoriums eine hilflose Reaktion der Machtelite, um Symptome mit falschen Mitteln zu bekmpfen denn Kriminalitt und Terrorismus gehen unbeeindruckt weiter.

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    mit dem Tode bestraft. Je nach Land wird Landesverrat, Hoch-verrat, Spionage, Sabotage und Desertion nach Kriegsrecht als Kapitalverbrechen geahndet. Das pakistanische Strafgesetz-buch sieht die Todesstrafe fr Mord, Kriegsfhrung, Anstif-tung zum Kriegsfhren gegen den Staat und Anstiftung zur Meuterei vor. Darber hin-aus wird sie verhngt fr die Entfhrung eines Kindes unter zehn Jahren, sofern die Ab-sicht besteht, dieses zu ermor-den oder ihm schwere Verlet-zungen zuzufgen, sowie fr Raub mit Todesfolge. Neben dem legalen Tten kommt es allerdings auch zu extralegalen Ttungen Morde, die von der Regierung stillschweigend hingenommen werden oder aber gar von dieser in Auftrag gegeben werden. Nur Einzelrichter und ein Obergericht knnen

    die Todesstrafe verhngen. Bei einem Urteil durch ei-nen Einzelrichter muss dieses von einem Obergericht besttigt werden. Eine Berufung kann beim Obersten Gerichtshof eingelegt werden. Die Provinzregierung und der Prsident haben die Macht, Todesurteilen umzuwandeln. Hinrichtungen werden immer durch Erhngen vollzogen.

    Islamisierung des Rechts und RadikalisierungDas Militr kam im Juli 1977 durch einen Putsch an die Macht. Ministerprsident Bhutto wurde entmach-tet, und neue Kriegsrechtsverordnungen wurden er-lassen. In der Folgezeit kam es zu einer staatlich ge-lenkten Islamisierung. Am 10. Februar 1979 wurde die Einfhrung des islamischen Systems bzw. die Hu-dud-Gesetzgebung bekanntgegeben. Das bedeutete, dass die in der Scharia vorgesehen, aber in der tradi-tionellen, islamischen Rechtsauslegung meist vermie-denen Strafen fr Alkoholgenuss, Diebstahl, Ehebruch und Verleumdung wegen Ehebruchs sofort Geltung hatten. Auerdem wurden die Bereiche Bildung, Wirt-schaft, Recht und Politik einer Islamisierung unterzo-gen. Unter General Zia ul-Haq, der von 1978 bis 1988 Prsident Pakistans war, reichten rund 350 Offiziere Rcktrittsgesuche ein. Bei den Nachrckenden wur-de dann eine islamistische Orientierung gegenber militrischer Befhigung bevorzugt. Die Verfassung wurde immer mehr mit islamischen Klauseln verse-hen. Neue Straftatbestnde fr die Todesstrafe wur-den hinzugefgt, die nicht islamisch legitimiert sind: Raub, Angriff, Verletzung und Widerstand gegen die

    Ein FallbeispielAm 10. Juni 2015 wurde Aftab Bahadour nach mehr als zwanzig Jahren in der Todeszelle in der pakistanischen Stadt Lahore hingerichtet. Als Af-tab Bahadour verurteilt wurde, war er erst fnfzehn Jahre alt. Ihm wurde vorgeworfen, drei Menschen im Jahr 1992 ermordet zu haben. Das Gestndnis, so die Organisation REPRIEVE, die Bahadour kostenlos juristisch untersttzt hatte, sei durch Folter seitens der Polizei zustande gekommen. Im Jahr 2000 wur-de das Gesetz gendert, und nun durften von Min-derjhrigen begangene Straftaten nicht mehr mit dem Tode geahndet werden. Bis zur letzten Minute hatte Bahadour noch seine Unschuld beteuert. Die letzten zwanzig Jahre war er durch die Hlle ge-gangen. Immer wieder gab es Hinrichtungsbefehle, die dann kurzfristig wieder ausgesetzt wurden. So war es ein stndiges Dasein zwischen Leben und Tod. Bei seiner Festnahme verlangte die Polizei von ihm 50.000 Rupies (rund 430 Euro) als Beste-chungsgeld, damit man ihn freilasse, doch besa er das Geld nicht. Derzeit befinden sich etwa 8.500 Menschen in pakistanischen Gefngnissen, die auf ihre Exekution warten. Pakistan gehrt seit diesem Jahr wieder zu den Lndern mit den meisten Hin-richtungen weltweit.

    Seit Aufhebung des Moratoriums werden mehr Menschen in sechs Monaten hingerichtet als als zuvor in einem Jahr. Quelle: Human Rights Commission of Pakistan, http://hrcp-web.org/hrcpweb/who-has-been-executed/, 23. Juni 2015.

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    Exekutionen in Pakistan

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    Angehrigen der zivilen oder militrischen Streitkrf-te, das Beschdigen von Regierungseigentum. Weiter-hin kann die Todesstrafe fr den Versuch, Mitglieder der Streitkrfte von der Erfllung ihrer Pflichten oder der Treue gegenber der Regierung oder dem Obersten Kriegsrechtsverwalter abzubringen, verhngt werden. 1950 wurden lediglich zwei Straftaten, Mord und Re-volte gegen den Staat, mit der Todesstrafe geahndet. Heute ist es ein Katalog, der 27 Straftaten umfasst.

    Blasphemiegesetz: Freibrief fr ExekutionenIm Jahre 1986 wurde ein Gesetz aus britischer Ko-lonialzeit erweitert, das nun im Zusammenhang mit der Todesstrafe zu nennen ist, da es alles bisher Dage-wesene bertrifft: das sogenannte Blasphemiegesetz. Artikel 285-C des Strafgesetzbuches sieht vor, dass jeder bei Gotteslsterung oder einer geringschtzigen Bemerkung ber den Propheten mit dem Tod, mit Haft oder mit einer Geldstrafe bestraft werden muss. Bis-lang ist zwar noch niemand auf der Grundlage dieses Gesetzes hingerichtet worden, doch wurden mehrmals Angeklagte oder Verurteilte von Islamisten hingerich-tet (Lynchmord). Im Oktober 1990 wurde das Gesetz konkretisiert. Seitdem ist ausschlielich die Todesstra-fe als adquate Strafe festgeschrieben. 1998 ging ein Richter so weit und forderte, dass bei Blasphemie so-fort gettet werden drfe. Dieser Entwurf wurde zwar zurckgezogen, doch ffnete er Tr und Tor fr Lynch-morde denn Verdchtige, die diese Taten begingen, wurden nie verurteilt.

    Bestrebungen zur Aufhebung der TodesstrafeUnter Premierminister Yousaf Raza Gilani (2008 bis 2012) und unter Prsident Asif Ali Zardari (2008 bis 2013) sowie auf Druck der Zivilgesellschaft wurde 2008 die Todesstrafe, die im pakistanischen Gesetz

    verankert ist, zwar nicht aufgehoben, aber immerhin wurde ein Moratorium gegen die Vollstreckung der To-desstrafe verhngt. Zardari versuchte, alle Todesurtei-

    le in lebenslange Haftstrafen umzuwan-deln, doch das scheiterte am Einspruch des Obersten Gerichtshofs. Die Pakistan MusliMliga von Nawaz Sharif (PML-N)ge-wann 2013 die Parlamentswahlen. Die neue Regierung machte immer wieder Andeutungen, die Todesstrafe wieder einfhren zu wollen. Das geschah dann auch. Nach dem grausamen Anschlag auf eine Schule in Peschwar, bei dem 148 Menschen, darunter 130 Kinder ihr Leben verloren, wurde das Moraturium nach sieben Jahren wieder aufgehoben. Bis Ende des Jahres 2014 wurden sieben Verurteilte gehngt. Das fhrte zu star-ken internationalen Protesten. Der Vor-sitzende einer pakistanischen Partneror-ganisation der Friedrich-nauMann-stiFtung Fr die Freiheit (FNF) der Menschenrechts-

    Der Fall Shafqat HusseinDer bekannteste Fall derzeit in Pakistan ist der von Shafqat Hussein . Shafqat wurde 2004 festgenom-men und zum Tode verurteilt. Er soll angeblich einen siebenjhrigen Jungen fahrlssig gettet haben. Zu diesem Zeitpunkt war Shafqat jedoch minderjhrig. Ein Todesurteil gegen einen zur Tatzeit Minderjh-rigen ist juristisch nicht zulssig. Doch sein Alter ist umstritten, da es keine Geburtsurkunde gibt und damit ist er in Pakistan mitnichten ein Ein-zelfall. Eine berprfung des Falls hat es bis heute nicht gegeben und die Vollstreckung wurde bereits zum vierten Mal verschoben. Darber hinaus wer-den weiterhin Minderjhrige zum Tode verurteilt. Ihr Alter wird bei der Festnahme nicht festgestellt und wird meistens auch von der Verteidigung nicht angesprochen, solange die Todesstrafe nicht voll-streckt ist. Meistens gehen Nachfragen vom Richter aus, so diesem ins Auge fllt, dass der Angeklagte vergleichsweise jung aussieht.

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    organisation huMan rights coMMission oF Pakistan (HRCP), I. A. Rehman, kommentierte die Aufhebung des Mora-toriums wie folgt: Der Anschlag von Peschawar war fr die Regierung nur ein Vorwand, um die Todesstrafe wieder einfhren zu knnen. UN-Generalsekretr Ban Ki-Moon und die euroPische union forderten Pakistan auf, das Moratorium fr die Todesstrafe wieder herzu-stellen, denn die Todesstrafe sei kein geeignetes Inst-rument fr den Kampf gegen Terrorismus.

    Zunahme von HinrichtungenIm Mrz 2015 beschloss die Regierung, die Todes-strafe auszuweiten. War sie in den Monaten zuvor ausschlielich auf wegen Terrorismus Verurteilte an-gewandt worden, wurde die Todesstrafe nun wieder allgemein verhngt im Einklang mit dem Strafgesetz-buch. Das lie die Anzahl der Hinrichtungen stark an-steigen. Premierminister Nawaz Sharif gab zustzlich die Wiedereinfhrung von Militrgerichten bekannt. Das kann als Indikator dafr gesehen werden, wie sehr das Militr wieder in der Innenpolitik mitwirkt. Von Januar 2015 bis Juni 2015 wurden knapp 176 Ver-urteilte gehngt. Die meisten dieser Menschen waren durch Folter zu ihren Gestndnissen ge-bracht worden. 8.500 Inhaftierte warten derzeit in den Todeszellen auf ihre Exekution. 2013 wurde eine Studie von rePrieve und Justice ProJect Pakistan durchgefhrt, die beleuchtet, dass zehn Prozent der zum Tode Verurteilten Minderjhrige sind. Das heit, dass mindestens 800 der 8.500 Verurteilten zum Zeit-punkt der Verurteilung Kinder waren.

    Gesellschaft zunehmend brutalisiertDoch warum griff die Regierung wieder zur Todes-strafe? War das Peschawar-Schulmassaker tatsch-lich der Grund? Unmittelbar nach dem Massaker galt es, den Volkszorn zu besnftigen. Doch auch die eigene Hilflosigkeit musste versteckt werden. So standen die zivilen Po-litiker unter Druck, etwas Spektakulres zu zeigen, um ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Ter-ror sowie ihre Fhigkeit als Kriegsfhrer zu demonst-rieren. Doch verfolgten sie dabei auch ihre eigene politische Agenda. Das Militr wollte die feind-lich gesonnenen Extre-misten abschrecken und

    ausschalten und die Regierungskritiker und Oppositi-on einschchtern. Die Rckkehr zur Todesstrafe de-monstriert aber auch, dass Pakistan das Terrorproblem nicht unter Kontrolle hat. Auffllig ist, dass ber 90 % der Pakistaner die Todesstrafe befrworten. Das hilft der Regierung beim Rechtfertigen der Todesstrafe: die ffentlichkeit fordere die Todesstrafe fr bestimmte Verbrechen. Denn sie habe Angst vor Chaos und sei zunehmend brutalisiert.

    Doch die Befrwortung der Todesstrafe kann hierauf keine Antwort sein. Stattdessen sollte das Rechtssys-tem entsprechend gestrkt werden, um der Bevlke-rung die Angst zu nehmen. Das Rechtssystem muss grundlegend reformiert werden. Eine Schlsselrolle dabei kommt dem Schuldbeweis zu, der ber jeden vernnftigen Zweifel erhaben sein muss. Denn in der Praxis kommt es bei jedem Gerichtsverfahren zu vie-len folgeschweren Fehlern und Irrtmern. Denn Pa-kistan ist ein Land, indem es leicht routinemig zu einer Reihe von rechtlichen Fehlern kommt. Die Poli-zei hat keine Ausbildung fr das Sammeln von Bewei-sen oder fr die Durchfhrung einer Untersuchung bei

    Die Beschwerdeakten gegen Menschenrechtsverletzungen hufen sich beim FNF-Partner Human Rights Commission of Pakistan in Lahore.

    Peschawar war fr die Regierung nur ein Vorwand fr die Todes-strafe I.A. Rehman

    Human Rights Commission of Pakistan

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    terroristischen Straftaten. Weiterhin hat sie erheb-liche Mngel bei ihrer Ausrstung und Technologie, bei dem Personal und dessen Ausbildung. So ist seit langem bekannt, dass Pakistans Justiz und Polizei zu guten Teilen dysfunktional sind. Die Gerichte gelten als korrupt, auch arbeiten sie sehr langsam. Die Poli-zei gilt als die korrupteste ffentliche Institution in Pakistan. Dies wurde auch dem Autor in einem Inter-view mit HRCP besttigt: Wer Geld hat, kauft sich die Beweismittel wie er sie braucht, wer kein Geld hat, der wird verurteilt unabhngig von Schuld oder Unschuld. Zu Recht heit es in einem Bericht der international crisis grouP (ICG): Nach Jahrzenten von Missbrauch und Vernachlssigung ist Pakistans Polizei nicht in der Lage, Verbrechen zu bekmpfen oder die Brger und den Staat gegen militante Gewalt zu schtzen. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass der po-litische Wille gnzlich dafr fehlt, um Vernderungen herbeizufhren. Es gibt im pakistanischen Justizsys-tem ernsthafte Mngel auf allen Ebenen. Folter wird hufig angewendet, um Gestndnisse zu erlangen, und Angeklagte haben oft keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. sagte David Griffiths, der Direktor

    von aMnesty international fr die Region Asien-Pazifik. Dem gegenber steht die (nicht auf Pakistan bezoge-ne) Aussage von Professor Ernst Benda, dem ehema-ligen Prsidenten des Bundesverfassungsgerichtes: Strafe fr begangenes Unrecht soll nicht der Befrie-digung von Rache dienen, sondern bedeutet die Auf-forderung, eigene Schuld einzusehen und sich mit ihr

    auseinanderzusetzen. Um das hinzubekommen, muss noch viel Aufklrungsarbeit geleistet werden.

    Wahhabisierung radikalisiert Es ist unstrittig, dass die Todesstrafe im Islamischen Recht und damit im Islam verankert ist. Doch ms-sen in der klassischen Rechtsauslegung der Scharia viele Hrden berwunden werden, um die Todes-strafe berhaupt am Ende tatschlich vollstrecken zu knnen. Seit Aufkommen des Islamismus und der wrtlichen Auslegung des Koran durch Laien haben die sogenannten hadd bzw. im Plural hudud-Strafen (Krperstrafen wie Auspeitschen, Abhacken der Hand und auch die Todesstrafe) zugenommen, da sie sowohl von Islamisten als auch deren Gegner als etwas spezi-fisch islamisch angesehen werden. Somit wurden sie oft zum symbolischen ueren einer Islamisierung des Rechts. Die saudi-arabische Spielart des Islamismus, der Wahhabismus, weist wiederum besonders strenge und puritanische Zge auf. Die Wahhabisierung, die durch Saudi-Arabien tatkrftig finanziert wird, kann in Pakistan durchaus beobachtet werden zum einen

    durch direkte Finanzie-rung von Projekten und Schulen im Land selbst und zum anderen durch pakistanische Gastarbei-ter in der Golfregion nach deren Rckkehr.

    In der Unsicherheit einer pakistanischen Identitt haben sich nach Staats-grndung der Islamischen Republik Pakistan die dort lebenden Britisch-Inder fr den sunnitischen Islam als Staatsideologie ent-schieden. Dessen Ausle-gung wird somit auch eine Frage der Staatstreue ein Problem nicht nur fr

    Minderheiten, sondern auch innerhalb der pakistani-schen Sunna. Denn damit gilt unausgesprochen indi-rekt je sunnitischer und seit dem jihad gegen die Sowjetunion je wahhabitischer desto pakistanischer. Die traditionellen Lesarten des Islam auf dem Subkon-tinent, wozu u.a. auch ein reiches, mystisches und im Regelfall tolerantes Religionsverstndnis gehrt, geraten damit ins Hintertreffen. Die Durchsetzung

    Bislang hat die religis motivierte Gewalt in Pakistan zugenommen. Quelle: satp.org Grafik: FNF

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    dieses sunnitisch-wahhabitischen Religions- und Staatsverstndnisses wird gerade in Zeiten der Verun-sicherung, der Schwche staatlicher Institutionen und des Umbruchs zum Credo fr den Staatserhalt.

    Ein guter Teil der Gesellschaft selbst jahrzehntelan-ger wahhabitischer Propaganda ausgesetzt befr-wortet demnach die weitere Islamisierung. Bei einer weitgehend muslimischen Bevlkerung geht es dann im Regelfall darum von Staatsseite weitere islamisti-sche Symbole wie eben die Todesstrafe zu setzen und gegen vermeintlich Unislamisches vorzugehen. Und wenn der Staat es nicht tut, macht man es halt selbst: gewaltttige Proteste gegen Prophetenkarri-katuren, Lynchmorde bei Blasphemieangeklagten und Morde an Minderheiten. Kurzum: Die Gesellschaft ist radikaler geworden. Konnte sich Pakistan vor wenigen Jahrzehnten noch rhmen, vergleichsweise liberal zu sein, gilt das heute so nicht mehr. Die Menschen wer-den immer engstirniger und klammern sich vermehrt an islamistische Heilsversprechen in Form weiterer Wahhabisierung.

    FazitIst es nicht sinnvoller, Ursachenbekmpfung vorzu-nehmen denn die Schadensbegrenzung hinterher? Das ist leichter gesagt als getan. An eine Diskussi-on der Staatsideologie und der Auslegung des Islam wagt sich niemand. Dies htte geradezu blasphemi-schen Charakter mit entsprechenden Folgen (siehe oben). Zu Rechtsstaatlichkeit arbeiten in Pakistan seit

    Jahrzehnten internationale Organisationen wie auch die Friedrich-nauMann-stiFtung Fr die Freiheit mit loka-len Partnern zusammen. In einem Land, in dem mehr als die Hlfte der Bevlkerung Analphabeten sind, in

    dem zum Teil noch feudalistische Ver-hltnisse herrschen und in dem die Herrschaftselite gar keine nderun-gen herbeifhren mchte, weil das nur Nachteile fr eben diese Herrschafts-elite mit sich brchte, zhlt der Wille mehr als die Summe aller Projekte zu einem bestimmten Thema. Die Bevl-kerung wei genau, dass sie sich nicht auf ihren Staat verlassen kann. Der Staat wei genau, dass die Bevlkerung wenig von ihm hlt. Die Todesstrafe abzuschaffen wrde von beiden Seiten als ein Signal der Schwche aufgefasst werden. Dennoch brachte es der kaum gebildete Reinigungsmann Ghafoor, nach seiner Meinung gefragt, mit den schlichten Worten auf den Punkt: Die Todesstrafe ist schlecht. Denn er wei,

    wie schlecht es um das Rechtssystem Pakistans be-stellt ist, und dass man einmal zu Unrecht in den Fngen der Justiz diesen nur selten zu entkommen vermag. Und er wei auch, dass es nicht nur den ver-meintlichen Tter betrifft, sondern seine gesamte Fa-milie und die sind in Pakistan gro mitleidet.

    67% Ja

    13% Nein

    20% keine

    Antwort

    Sollte Ihrer Meinung nach die Regierung Schritte zur Islamisierung der Gesellschaft unternehmen?

    Amal El-Abd Pakistan ist Arabistin und absolviert ein Praktikum im Projektbro Pakistan.

    Islamisch soll noch islamischer werden, so die Umfrage von Gallup-Gillani Pa-kistan.

    ImpressumFriedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit Bereich Internationale Politik - Referat Asien und Menschenrechte - Karl-Marx-Str. 2

    14482 Potsdam

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