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Ist Tagebuch schreiben gesund?

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Fakultät MathNat, Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie, Professur Dr. Jürgen Hoyer

Vorlesung VII

Selbstaufmerksamkeit und Gesundheit oder: Ist Tagebuch schreiben gesund?

Prof. Dr. Jürgen Hoyer

• Dresden, 11. Juni 2015

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Vorüberlegungen

• Goethe,

• Lavater,

• Bertrand Russell,

• Norbert Blüm...

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‚Erkenne Dich selbst‘: Zwei Positionen

Johann Wolfgang von Goethe (1749 -1832)

„...die große und so bedeutend klingende Aufgabe: erkenne dich selbst [kam mir] immer verdächtig [vor], als eine List [...], die den Menschen [...] verwirren und von der Tätigkeit gegen die Außenwelt zu einer innern falschen Beschaulichkeit verleiten“ will.

Johann Kaspar Lavater (1741-1801)

„... In dieser Minute [...] will ich alles andere auf die Seite legen und nur allein an mich selbst [...] denken [...] diese Untersuchung [...] bleibt einmal die vernünftigste und wichtigste Untersuchung, die ich anstellen kann“.

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Herr Blüm, Sie sind seit 15 Jahren Minister, wie haben Sie nur so lange durchgehalten?

„Ich habe darüber nie nachgedacht. Ich frage mich nicht dauernd, wie es mir geht. Ein Vorteil ist sicher, dass ich auch nach einem 16 Stunden Tag in der Lage bin, mich abzulenken...“

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Selbst-Erfahrung eines Philosophen: Betrand Russell (The Conquest of Happiness, 1930)

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•Gleich vielen anderen, die wie ich auf eine puritanische Erziehung zurückblicken, war es mir Gewohnheit, über meine Sünden, Torheiten und Mängel nachzudenken. Ich erschien mir selbst – gewiss mit völligem Recht – als ein jammervolles Wesen. Allmählich lernte ich dann, mir und meinen Unzulänglichkeiten gegenüber gleichgültig zu bleiben; ich gelangte dahin, meine Aufmerksamkeit in wachsendem Maße äußeren Dingen zuzuwenden...

•Auch äußere Dinge tragen zwar ihre Leidensmöglichkeiten in sich... Doch Schmerzen dieser Art zerstören nicht wie jene, die dem Ekel am eigenen Ich entspringen, den wesentlichen Gehalt des Daseins. Und jedes äußere Interesse belebt irgendeine Tätigkeit...

•Ein Aufgehen in sich selbst dagegen verhilft zu keinerlei ersprießlicher Tätigkeit. Es vermag zur Abfassung eines Tagebuches, zu einer psychoanalytischen Kur, vielleicht auch ins Kloster zu führen.“

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als

Risikofaktor seelischer Gesundheit

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Theorie der Objektiven Selbstaufmerksamkeit(Wicklund & Duval, 1972)

„Objektive Selbstaufmerksamkeit“: Aufmerksamkeit ist auf das Selbst als Objekt gerichtet

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AuslöserKonfrontation mit der eigenen

Person durch:

• Spiegel

• Kameras

• Tonband

Wissen,

• von anderen beobachtet zu werden

• im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen

SAM

Folgen• Aktualisierung und Intensivierung

von Selbst-Diskrepanzen,

• negativer Affekt

• Motivation zur Reduzierung von Selbst-Diskrepanzen

a) Verhaltensänderung

b) Defensivreaktion

• Vermeidung von SAM-erzeugenden Stimuli

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Diskrepanzreduktion

• Vermeidung der Situation, entweder durch reales Weggehen oder durch Ablenkung innerhalb der Situation (Rauchen, Nägelkauen etc.)

• Diskrepanzreduktion durch Anpassung, das Verhalten wird an das Ideal-Selbst angeglichen

• Diskrepanzreduktion durch systematische Wahrnehmungs-verzerrung, wobei Ereignisse und Situationen so uminterpretiert werden, dass ihr Bedrohungspotential für das Selbst abnimmt

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Fenigstein, Scheier & Buss (1975)

„The consistent tendency of persons to direct attention inward or outward is the trait of self-consciousness.“

Preocupation with past, present and future behaviour1. Sensitivity to inner feelings2. Recognition of one‘s positive and negative attributes3. Introspective behaviour4. A tendency to picture or imagine oneself5. Awareness of one‘s physical appearance and presentation6. Concern over the appraisal of others

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Factors

1. private self-consciousness – attending to one‘s inner thoughts and feelings

2. public self-consciousness – general awareness of the self as a social object

3. social anxiety – discomfort in the presence of others

Synonym: Self-focused attention „can be defined as an attentional focus on self-referent internally generated information“ (Ingram, 1990)

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Forschung

• Selbstaufmerksamkeit intensiviert die Wahrnehmung von Emotionen und Affekten.

• Selbstaussagen von Selbstaufmerksamen sind valider (Sie kennen sich selbst besser)

• Aber: Es gibt Hinweise auf Defensivreaktionen/Vermeidung von Selbstaufmerksamkeit.

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit

2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als Risikofaktor seelischer Gesundheit

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Selbstaufmerksamkeit und klinische Störungen

Zusammenhänge zwischen habituell erhöhter Selbstaufmerksamkeit und der Ausprägung von klinischen Störungen wurden vielfach untersucht, z.B.:

• Alkoholmissbrauch• chronischer Schmerz• Schizophrenie• Eheprobleme• verschiedene Angststörungen, einschließlich sozialer Phobie und Prüfungsangst• Depressivität (besonders häufig untersucht)

Ingram (1990): Selbstaufmerksamkeit = durchgängiger Risikofaktor für psychische Störungen

Ist Selbstaufmerksamkeit ein Risikofaktor?

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Meta-Analyse (Hoyer, 2000)

1. Zusammenhänge zwischen Selbstaufmerksamkeit und Depressivität 17 Studien, N = 4691, r = .23

2. (Subskala) Selbstreflexion und Depressivität 4 Studien, N = 1314, r = .21

3. (Subskala) Internale Aufmerksamkeit und Depressivität 4 Studien, N = 1558, r = -.17

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Negative Erwartungen, Sicherheitsverhalten, erhöhte Selbstaufmerksamkeit verfestigen emotionale Probleme:

Das gilt für •Angststörungen (Barlow, 2002), •affektive Störungen (Lewinsohn, 1975) •und für sexuelle Probleme (Frank et al., 2010)

(Frank, Noyon, Höfling & Heidenreich; Sexual and Relationship Therapy, 2010)

Die aktuelle Studie

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit

2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als Risikofaktor seelischer Gesundheit

• Ist Selbstaufmerksamkeit in Kombination mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung ein Risikofaktor ?

• Ist Selbstaufmerksamkeit nur in extremer Ausprägung ein Risikofaktor?

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Interaktionsmodell: Differentielle Wirkungen der Selbstaufmerksamkeit in Abhängigkeit von der Kompetenzerwartung

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Wohlbefinden

SAM beiniedriger

Kompetenz-erwartung

SAM beihoher

Kompetenz-erwartung

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SAM und Kompetenzerwartung: Moderatoreffekt

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A: Selbstaufmerksamkeit

B: Kompetenzerwartung

O: Wohlbefinden

B als Moderatordes Effektsvon A auf O

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Tagebuchstudie I

Manipulation des Selbst- vs. Außenfokus im Alltag: Tagebuchschreiben über fünf Tage über

a) persönliche Probleme (EG1)b) den Bosnienkrieg (EG2)c) Kontrollgruppe

UV1: GruppeUV2: Generalisierte KompetenzerwartungAV: Positive und negative aktuelle Stimmung

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Tagebuchstudie II

Treatmentcheck: 77% der Teilnehmer in der EG1 haben mehr über sich nachgedacht

Ergebnisse: •Haupteffekte: n.s.; Interaktion: n.s.•aber: vorübergehende Effekte des Außen-/vs. Selbstfokus auf die negative Stimmung (s. nächste Folie)

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Tagebuchstudie III: weniger negative Stimmung bei (negativem) Außenfokus

22,5

33,5

44,5

1 2 3 4 5Days of treatment

Neg. mood

EG 1EG 2

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Fig.1: Negative mood directly after filling in the diaries

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit

2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als Risikofaktor seelischer Gesundheit

• Ist Selbstaufmerksamkeit in Kombination mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung ein Risikofaktor ?

• Ist Selbstaufmerksamkeit nur in extremer Ausprägung ein Risikofaktor?

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Selbstaufmerksamkeit als gesundheitsrelevante Variable

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Risikofaktor

Schutzfaktor• Resilienzfaktor• Ressource

– gesundheitsrelevante Variable +

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Selbstaufmerksamkeit als gesundheitsrelevante Variable II

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Risikofaktor Risikofaktor

– Selbstaufmerksamkeit +

Schutzfaktor

vgl. Vorlesung 5

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Self-reflection as a quadratic predictor of subjective wellbeing (Hoyer & Klein, 2000)

• healthy subjects (pooled sample, N = 313): R2ch = .008, p = .29

• psychotherapy patients (pooled sample, N = 336): R2ch = .006, p

= .39

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Sample (N) standardized estimate pWomen (280)

γ1

γ2

ψMen (367)

γ1

γ2

ψ

-.162-.030.972

-.158-.033.973

.020 n.s. n.s.

.007n.s.n.s.

Table: LMS Estimation results for quadratic structural equation model in pooled sample and in subgroups (fully standardized solution)

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Selbstaufmerksamkeit: Adaptive und maladaptive Komponenten

Trapnell & Campbell (1999): „Selbst-Absorptions-Paradox“

Rumination vs. Reflection

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Krankheitsparameter (bei Krebserkrankung) und psychische Anpassung: Moderatorfunktion der Selbstaufmerksamkeit (SAM) (Filipp & Klauer, 1992)

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SAM

Multi-morbidität

Lymph-knotenbefall

Anpassung

Anpassung

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Selbstaufmerksamkeit: Bestandteil der Selbstregulation und Voraussetzung für Verhaltensänderungen

Stimulus,z.B. Mißerfolg

Selbstaufmerk-samkeit

Aktualisierung und Intensivierung von Aspekten des Selbst; Versuch, Verhaltensstandards zu erreichen

UnterbrechungVerhaltensstandard erreichtnein

Einschätzung derErfolgswahrscheinlichkeit

ungünstigEinstellung der Versuche

Rückzug möglich?

ja physischer Rückzug

neinmentaler Rückzug

ja

günstig

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Selbstaufmerksamkeit: Bestandteil der Selbstregulation und Voraussetzung für Verhaltensänderungen

Stimulus,z.B. Mißerfolg

Selbstaufmerk-samkeit

Aktualisierung und Intensivierung von Aspekten des Selbst; Versuch, Verhaltensstandards zu erreichen

UnterbrechungVerhaltensstandard erreichtnein

Einschätzung derErfolgswahrscheinlichkeit

ungünstigEinstellung der Versuche

Rückzug möglich?

ja physischer Rückzug

neinmentaler Rückzug

ja

günstig

Dysfunktionale Selbstaufmerksamkeitoder

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit

2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als Risikofaktor seelischer Gesundheit

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Selbstaufmerksamkeit: Bestandteil der Selbstregulation und Voraussetzung für Verhaltensänderungen

Stimulus,z.B. Mißerfolg

Selbstaufmerk-samkeit

Aktualisierung und Intensivierung von Aspekten des Selbst; Versuch, Verhaltensstandards zu erreichen

UnterbrechungVerhaltensstandard erreichtnein

Einschätzung derErfolgswahrscheinlichkeit

ungünstigEinstellung der Versuche

Rückzug möglich?

ja physischer Rückzug

neinmentaler Rückzug

ja

günstig

Dysfunktionale Selbstaufmerksamkeitoder

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Funktionale Selbstaufmerksamkeit

= Erkennen von Problem- determinanten und von Handlungs- grenzen; Wieder-Verlassen- Können des selbstfokussierten Zustands, z.B.:

• „Wenn ich mich mit mir selbst auseinandersetze, bin ich sicher, dass mich das weiterbringt.“

• „Keines meiner Probleme ist so verwickelt, dass sich nicht irgendwann ein guter Lösungsweg findet.“

Dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

= Inflexibilität; Nicht-Beenden- Können des Zustands selbst- fokussierter Aufmerksamkeit, z.B.:

• „Wenn ich anfange über ein persönliches Problem nachzudenken, kann ich so leicht nicht wieder aufhören.“

• „Zukünftige oder vergangene Ereignisse, die mir wichtig sind, bereiten mir anhaltendes Kopfzerbrechen.“

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Funktionale Selbstaufmerksamkeit

•Gesunde (N = 313): r = .41**•Psychotherapiepatienten (N = 336): r = .32**

•Gesunde (N = 313): r = .44**•Psychotherapiepatienten (N = 336): r = .42**

Dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

•Gesunde (N = 313): r = -.45**•Psychotherapiepatienten (N = 336): r = -.55**

•Gesunde (N = 313): r = -.43**•Psychotherapiepatienten (N = 336): r = -.52**

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Habituelle Stimmung

Lebenszu-friedenheit

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Private Selbstaufmerksamkeit

Gleiche Stichproben:

• keine Korrelation mit dem Wohlbefinden (r zwischen -.02 und -.07)

• geringe Korrelation mit der Symptombelastung (Gesunde: r = .26; Psychotherapiepatienten: r = .20)

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Anwendung des neuen Konzepts

Entwöhnungstherapie von Alkoholpatienten:• Steigerung von Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle• Steigerung von Problemlösekompetenzen und Selbstaufmerksamkeit

Fördert man mit der Selbstaufmerksamkeit nicht einen Risikofaktor für Alkoholabusus?

Wirkungen von Alkohol: • Reduktion der Aufmerksamkeitsspanne (vgl. crying in one‘s beer effect)• Reduktion der Selbstaufmerksamkeit

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Salus Kliniken

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Entwöhnungstherapie bei Alkoholpatienten:Veränderung der Selbstaufmerksamkeit

2

2,5

3

3,5

4

4,5

Therapieanfang Therapieende

SAM-P (rev.)

DFS-F

DFS-D

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Überlappungen

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ruminatives Coping

gedankliche Weiterbeschäftigung

Lage-orientierung

Worrying

DysfunktionaleSelbstaufmerk-

samkeit

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"When does introspection bear fruit?“ (Hixon & Swann, 1993)

Sind Randbedingungen zu finden, die angeben,

1. wann (d.h. unter welchen Bedingungen),

2. bei welchen Personen,

3. in Interaktion mit welchen Variablen,

4. welche Form von Selbstaufmerksamkeit sich

5. kurz- oder langfristig positiv oder negativ auf das psychische Wohlbefinden (oder andere Variablen) auswirkt?

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Fazit (I)• Selbstaufmerksamkeit (= Tagebuch schreiben) per se ist weder ein

Risiko- noch ein Schutzfaktor.

• In diesem Zustand können gleichermaßen adaptive und maladaptive Prozesse ablaufen.

Dies gilt vermutlich für eine ganze Reihe anderer gesundheitsrelevanter Variablen wie:

• Ärgerausdruck • Ausdruckshemmung • Optimismus u.a.

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*Vertiefend: Horn, A. B., & Mehl, M. R. (2004). Expressives Schreiben als Copingtechnik: Ein Überblick über den Stand der Forschung. Verhaltenstherapie, 14, 274-283.ES fördert das Formen eines kohärenten Narrativs zu den (traumatischen) Erlebnissen, welche dann effizienter gespeichert und leichter vergessen werden können.

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Gliederung

1. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit

2. Verschiedene Konzeptionen von Selbstaufmerksamkeit als Risikofaktor seelischer Gesundheit

3. Gesundheitsrelevante Komponenten: Funktionale und dysfunktionale Selbstaufmerksamkeit

4. Kollektiver Ausdruck von Emotionen

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Erdbeben in der Bucht von San Francisco 1989:Kollektiver Ausdruck von Emotionen (Pennebaker & Harber, 1993)

• besondere Bedeutung des kollektiven Copings bei (Natur-)Katastrophen

• Doppelrolle für Betroffene: sowohl Opfer als auch selbst soziale Unterstützer

• unmittelbare Folge (bis 2 Wochen nach dem Erdbeben):

• intensiver Austausch: Gespräche über Erdbeben, dessen Folgen und Erfahrungen

• gegenseitige Hilfe, „Zusammenrücken“• Zusammengehörigkeitsgefühl

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Erdbeben in der Bucht von San Francisco 1989: Hemmungsphase (Pennebaker & Harber, 1993)

Nach 2 Wochen plötzliche Veränderung:• Menschen wollten gern über ihre

Erlebnisse sprechen, aber gleichzeitig nichts mehr davon (von Anderen) hören.

• Erdbeben-bezogene Träume, Streitigkeiten und Krankheitstage stiegen an.

• Körperliche Angriffe nahmen zum Vorjahr um 10% zu.

• Nach 6 Wochen: alle Auffälligkeiten wieder verschwunden

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Erdbeben in der Bucht von San Francisco 1989: Phasen kollektiven Copings (Pennebaker & Harber, 1993)

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Akutphase Hemmungsphase Anpassungsphase

Zeit

hoch

Rate Gedanken/Gespräche

niedrig

Gespräche

Gedanken

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Erdbeben in der Bucht von San Francisco 1989: Phasen kollektiven Copings (Pennebaker & Harber, 1993)

1. Akutphase: intensives Darüber-Sprechen; Zusammengehörigkeitsgefühl (2 Wochen)

2. Hemmungsphase: Gedanken an Ereignis, aber Schweigen (4 Wochen)

3. Anpassungsphase: kaum noch Gedanken daran oder Gespräche darüber

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Effekte gesundheitsrelevanter Variablen

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Gesundheitsverhalten

+/–Körperliche Erkrankungen

Ausbruch KrankheitsstadiumEntwicklung EpisodenSchweregrad Krisen

SozialeMechanismen

+/–

KognitiveMechanismen

+/–

Verhaltens-mechanismen

+/–

BiologischeMechanismen

+/–

gesundheitsrelevanteVariable

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Fazit (II)

• Die Bezeichnung als „Risiko-/Schutzfaktor“ stellt in der Regel eine starke Vereinfachung dar.

• Persönlichkeitsmerkmale/habituelle Verhaltenstendenzen sind in Abhängigkeit von dritten Variablen (z.B. Handlungsphase, kurz- und langfristige Folgen) im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Wirkungen zu beschreiben.

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Fragen

• Wodurch wird Selbstaufmerksamkeit nach der Theorie von Wickl & Duval gefördert, was sind ihre Folgen und wie reagieren Menschen auf Selbst-Diskrepanzen?

• Worin besteht der Unterschied zwischen funktionaler und dysfunktionaler Selbstaufmerksamkeit? Warum ist diese Trennung sinnvoll?

• Üben Sie Kritik an dem Konzept „Schutz- vs. Risikofaktor“! Welche Differenzierung wäre besser?

• Was sind (umgekehrt) u-förmige Zusammenhänge, nennen Sie zwei Beispiele aus der Gesundheitspsychologie?

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