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31 Über die Gefallenendenkmäler der Oberrealschule Dr. Rolf Osterwald In die Apsis der Aula sollte ursprünglich eine Kaiserbüste gestellt werden, aber als das Gebäude nach seiner Nutzung als Kriegslazarett 1920 endlich seinem eigentlichen Zweck zugeführt werden konnte, war die Kaiserzeit längst vorbei. So entschloss man sich, statt der Büste ein Denkmal für die gefallenen ehemaligen Lehrer und Schüler des 1. Weltkrieges aufzustellen. Mit der Ausführung dieser Idee beauftragte die Direktion den in dieser Zeit bekanntesten Bildhauer der Region, Hannes Miehlich 1887-1929). Er hat sich durch viele bildhauerische Werke in der Stadt Halle einen Namen gemacht. Zu seinen Schöpfun- gen zählen: die Deckengestaltung des durch Bomben zerstörten, zum Hotel "Goldene Kugel" gehörenden Bier- restaurants, Elemente am Ratshof, der Brunnen auf dem Gertraudenfriedhof, Eingang zur Industrie- und Handels- kammer, Teile der Fassade des Stadtbades und Portale an Häusern bekannter Hallenser Bürger. Sein bedeutendstes Werk ist wohl das Gefallenendenkmal. Das 4 m hohe und 2,40 m breite Denkmal, das aus hellem Nebraer Sandstein besteht, enthält in drei senkrechten Reihen die Namen von 12 gefallenen Lehrern l.: Plastik auf dem Schriftblock; r.: Denkmal Apsis der Aula im 1. Weltkrieg während der Lazarettzeit Foto: Archiv der Fr. Stg.

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Über die Gefallenendenkmäler der Oberrealschule

Dr. Rolf Osterwald

In die Apsis der Aula sollte ursprünglich eine Kaiserbüste gestellt werden, aber als das Gebäude nach seiner Nutzung als Kriegslazarett 1920 endlich seinem eigentlichen Zweck zugeführt werden konnte, war die Kaiserzeit längst vorbei. So entschloss man sich, statt der Büste ein Denkmal für die gefallenen ehemaligen Lehrer und Schüler des 1. Weltkrieges aufzustellen. Mit der Ausführung dieser Idee beauftragte die Direktion den in dieser Zeit bekanntesten Bildhauer der Region, Hannes Miehlich 1887-1929). Er hat sich durch viele bildhauerische Werke in der Stadt Halle einen Namen gemacht. Zu seinen Schöpfun-gen zählen: die Deckengestaltung des durch Bomben zerstörten, zum Hotel "Goldene Kugel" gehörenden Bier-restaurants, Elemente am Ratshof, der Brunnen auf dem Gertraudenfriedhof, Eingang zur Industrie- und Handels-kammer, Teile der Fassade des Stadtbades und Portale an Häusern bekannter Hallenser Bürger. Sein bedeutendstes Werk ist wohl das Gefallenendenkmal. Das 4 m hohe und 2,40 m breite Denkmal, das aus hellem Nebraer Sandstein besteht, enthält in drei senkrechten Reihen die Namen von 12 gefallenen Lehrern

l.: Plastik auf dem Schriftblock; r.: Denkmal

Apsis der Aula im 1. Weltkrieg

während der Lazarettzeit Foto: Archiv der Fr. Stg.

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und 180 Schülern. Auf dem Sockel liegt halb aufgerichtet ein sterbender Krieger. Miehlich hatte bereits für seinen ersten Entwurf diese Plastik vorgesehen und fand sofort volle Zustimmung. Es sind keine Aufzeichnungen über die Auswahl dieser Darstellung zu finden, doch dürfte die Annahme richtig sein, dass sich auch Miehlich, wie viele Künstler seiner Zeit, von der Statue "Der sterbende Gallier" 1) inspirieren ließ. Die gleichnamige Marmorstatue befindet sich heute im Kapitolinischen Museum in Rom und ist die Kopie des vermutlich bronzenen Originals, das von Attalos I., König von Pergamon, in Auftrag gegeben wurde. War es zuvor üblich, auf solchen Denkmälern entweder ausschließlich den Sieger oder diesen zusammen mit dem Besiegten darzustellen,

so ist der Sterbende Gallier das erste, das ausschließlich den Besiegten zeigt. Das insgesamt 5 m hohe Denkmal in der Aula der Schule wurde zu einem Preis von 6.101 M(ark) gefertigt. Im Dezember 1925 wurde das Denkmal der Schulöffentlichkeit in einer großen Feier übergeben. Zuvor hatte der damalige stiftische Kunsterzieher, Wilhelm Busse, die Wandflächen zu beiden Seiten des Denkmals mit zwei großen Wandbildern versehen, die er der Schule schenkte. Als Thema wählte er Saat und Ernte. Busse hatte schon in der Schule in Nordenham, an der er einige Zeit tätig war, solche monumentalen Bilder gestaltet. Der in diesem Heft veröffentlichte Beitrag aus der MZ über die Aula ist an einer Stelle fehlerhaft: Zu keiner Zeit wurde in die Aula irgendwo nachträglich eine Wand eingebaut. Schon die Fotos aus der Lazarettzeit des 1. Weltkrieges zeigen die Aula in ihrem jetzigen Grundriss. Man hatte aber die östliche Begrenzungswand "beweglich" gestaltet, d. h. sie bestand aus Säulen, zwischen denen große Flügeltüren die eigentliche Wand bildeten. Durch Öffnen aller Flügel wurde die Aula um die Fläche des daneben liegenden Singesaals erweitert. Und so war auch "vorn" und "hinten" variabel. Bei Feiern ernsteren Charakters standen die beiden langen Bankreihen mit der Front zum Denkmal. Bei Theater- oder Konzertaufführungen war die Blickrichtung entgegengesetzt. Nur weil man den Singesaal vom Flur aus (ohne Auladurchgang) erreichte, war überhaupt ein Theaterbetrieb möglich, der den "Schauspielern" den Zu- und Abgang von der Bühne gestattete. Die Empore über dem Singesaal war

Der sterbende Gallier (Kapitolinisches Museum Rom)

o.: W. Busse

l.: Saat und Ernte (Wandbilder)

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l.: Skizzen zum Wandbild; r.: Busse im Atelier

Östliche Aulawand zur Lazarettzeit

(Foto: Archiv d. Fr. Stg.)

nicht als Sitzbereich vorgesehen. Hier stand die Orgel, und die restliche Fläche war für den Schulchor bestimmt. Erst als in der DDR-Zeit die Orgel demontiert worden war, wurde die Empore als Sitzbereich genutzt. Seit ich 1955 an die ehemalige Oberrealschule, die nunmehrige EOS AHF, als Lehrer zurückkehrte, habe ich den Standpunkt vertreten, dass das Denkmal immer noch am alten Platz stehe und nur in der Apsis eingemauert worden sei. Ich war davon überzeugt, dass es in der Notzeit kurz nach Kriegsende im Bereich der Stiftungen weder technische, noch finanzielle Mittel zu einer Demontage gegeben hat. Überrascht hatte mich, dass nie jemand bereit war, der Sache durch wenige Hammer-Meißel-Betätigungen auf den Grund zu gehen. Daran änderte sich auch nach der Wende rund 15 Jahre nichts, wenn man davon absieht, dass ich in unserm Hausmeister Gieseler die Neugier geweckt hatte. Er machte sich daran, die ehemalige Apsisfläche abzuklopfen. Dabei er-

Erster Blick auf das Denkmal nach 64 Jahren

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gaben sich an den Rändern hohle Bereiche, die meine Vermutung erhärteten. Erst im September 2005 wurde beschlossen, meine Behauptung zu prüfen, und, wie bekannt, erwies sich das Denkmal als vorhanden. Die große Schriftfläche war durch Dachpappen o. ä. geschützt worden, so dass diese "wie neu" aussah. Verständlicherweise wurde das Denkmal damals nicht freigelegt, es wäre an seiner exponierten Stelle als "Fremdkörper" nicht von den gegenwärtigen Generationen in einer Schulaula angenommen worden. Erst bei der fast zehn Jahre späteren Restaurierung des Schulgebäudes musste das Denkmal völlig freigelegt werden. Hier bestätigte sich der 2005 gewonnene Eindruck, dass die Fläche mit den Namen durch den aufgelegten Schutz beim Einmauern sehr gut erhalten geblieben war. Der sterbende Gallier aber war schwer beschädigt, ihm fehlten das rechte Bein und ein Teil des rechten Armes.

Die Apsisgröße war ur-sprünglich, wie bereits erwähnt, nur für die Aufnahme einer Kaiser-büste ausgelegt, nicht aber für ein großes Denkmal. Stand die senkrechte Fläche mit den Namen noch in der Apsis, so ragte ein Teil der aufgesetzten Plastik über die Oberkante und aus der Apsis in den Aularaum hinein. Versu-chen wir, uns in die Zeit (in den Stiftungen) kurz nach dem Ende des Krieges zurückzuverset-zen. Bei der Wiederauf-nahme des Unterrichtes 1946 standen der neu gegründeten Oberschule

nur der unzerstörte Nordteil der Latina und Räume im Hauptgebäude zur Verfügung. Das Gebäude der ehemaligen Oberrealschule (Mackensenschule) war nach der Räumung des Reservelazaretts als Krankenhaus für geschlechtskranke Männer genutzt. Erst durch das Einschalten der SMA 2) konnte dieser Zustand beendet werden. Die Wiedernutzung des Gebäudes als Schule erforderte eine ganze Reihe von Rückbauten aus der Lazarettzeit, und hierbei dürfte vermutlich auch das Denkmal "ins Gespräch gekommen sein". Einen generellen Befehl zum Abriss von Kriegerdenkmalen hat es weder seitens der sowjetischen Militäradministration, noch später von der Staats- oder Parteiführung der DDR gegeben. Die Entscheidung lag in den örtlichen Gegebenheiten und Personen. Es ist nach meiner Meinung völlig verständlich, wenn man das monumentale Denkmal damals als völlig unzumutbar für eine Schulaula angesichts eines soeben beendeten furchtbaren Krieges ansah. Sicher hätte man nach dem Krieg zu diesem Zweck das Denkmal gern insgesamt entfernt, doch dazu waren weder die technischen, noch die finanziellen Mittel verfügbar. Aus gleichen Gründen war auch ein genereller Umbau des Saales ausgeschlossen. So war die Idee des Einmauerns in die Apsis den damaligen Zwängen entsprechend optimal. Dass man dabei das Denkmal nicht einfach hinter Kalk oder Zement verschwinden ließ und es so der Zerstörung überließ, sondern es offenbar erhalten wollte, verdient Anerkennung. Die eigentlichen Probleme bereitete nun die Skulptur mit ihren überragenden Körperteilen. Die vorgenom-

Plastik nach der Freilegung des Denkmals

Denkmalstandort Rückwand

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mene "Lösung" ist natürlich barbarisch, trotzdem frage ich mich, was die Ausführenden damals für Alternativen gehabt hätten. 3) Bleibt die Frage, wie man nun fast ein dreiviertel Jahrhundert später mit dem Denkmal umgehen sollte. Eine (auch mehrfach geäußerte) Möglichkeit wäre, das Denkmal (mit Stoff) zu verhüllen. Wenn wir das tun, dann bekennen wir, dass wir auch bis heute noch keinen (Denk)Schritt weiter sind als vor 70 Jahren. Geändert hätte sich nur das Verhüllungsmittel: Stoff statt Zement. Eigentlich gibt es keinen Grund für eine Verhüllung. Bei der durch den Umbau des Saales festgelegten Blickrichtung steht das Denkmal an der hinteren Saalwand, ist also vom jeweiligen "Geschehen" im Saal ausgeschlossen. Es existiert auch heute noch keine amtliche Verfügung über den Umgang mit Krieger-Denkmalen, die eine Verhüllung erforderlich machen könnte. Die Aussage unseres Denkmals ist in keiner Weise revanchistisch, sie verursacht ausschließlich Trauer und Gedenken, die Überschrift entspricht einer zeitgemäßen Floskel: der Kaiser war schon in Holland und der "Führer" noch in Braunau. Mit dem angegebenen Todesgrund wurde nur der (untaugliche) Versuch unternommen, dem Sterben der meist jungen Männer einen Sinn zu verleihen. So ist das Gefallenen-Denkmal eigentlich ein einzigartiges Mahnmal gegen den Krieg: Es fielen in diesem einen Krieg etwa so viele ehemalige Lehrer und Schüler dieser Schule, wie sie damals an ihr lernende Schüler hatte! Welche Schule verfügt noch über eine derartiges monumentales (und emotionales) "Anschauungsmittel"? Natürlich bedarf es einer Tafel, die dem unkundigen Besucher das Vorhandenseins des Denkmals an dieser (zugegeben unüblichen) Stelle erklärt. Den hier und da zu hörenden Vorschlag, das Denkmal in dem jetzigen beschädigten Zustand zu belassen, um den barbarischen Umgang mit ihm zur Nachkriegszeit zu dokumentieren, halte ich für unüberlegt. Die geplante "moralische Keule" bleibt angesichts der damaligen alternativlosen Situation ohne Wirkung. Ich wage die Äußerung, dass das Belassen des Denkmaltorsos in der gegenwärtigen Form auch reichlich barbarisch ist, nämlich gegenüber dem Werk eines namhaften Bildhauers. 4) Ein Schandfleck in einem so schmucken Paul-Raabe-Saal? 1) http://www.mahagoni-magazin.de/skulptur/der-sterbende-gallier-%E2%80%93-das-denkmal-am-falschen-ende-der-schlacht-erstes-jh-v-chr 2) SMA: Sowjetische Militäradministration. Für die MLU (und damit die Franckeschen Stiftungen) war Major Rosenbaum zuständig. Während der Amtszeit meines Vaters hat der Major wiederholt die Stiftungen besucht und guten Kontakt zu meinem Vater gehabt, der ihn als Mann von ausgezeichneter Bildung mit Verständnis für die Situation sehr schätzte. Zugute kam ihm dabei Rosenbaums gute Kenntnisse über A. H. Francke. Nachdem berechtigte Forderungen betreffs der Räumung zweckentfremdeter Schulgebäude bei Kurator Elchlepp keinerlei Wirkungen zeigten, machte mein Vater R. bei einem Rundgang durch die Stiftungen auf die Belegung zweier Schulgebäude mit geschlechtskranken Frauen (Realschule) und Männern (Oberrealschule) aufmerksam. R. sorgte dafür, dass beide Gebäude sehr bald geräumt wurden.

3) Die oft zitierte Duplizität der Ereignisse zeigte sich auch in diesem Fall. Es gab im Bereich der Oberreal-schule noch ein zweites Denkmal aus gleichem Anlass: die Gedenktafel für die gefallenen Mit-glieder des Turnspielver-eins (TSpV) der Ober-realschule. Diese befand sich an der westlichen Gebäude-Außenwand in der Nähe der Tür vom Hof in das Gebäude und musste natürlich eben-falls "verschwinden". Da durch die Demontage der tief eingelassenen Me-

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tallplatte die großen Mauersteine zerstört worden wären, was eine (nicht zu bewirkende) Neuanfertigung bedeutet hätte, entschloss man sich auch hier, die Platte unterPutz zu legen. Auch hier war das für die plane Tafel mit den Namen problemlos, aber auch hier gab es ein ent-sprechendes Problem: An der Oberkante der Platte waren zwei dicke Me-tallhaken angeschweißt, über die aus bestimmten Gedenkanlässen Kränze gehängt wurden. Diese Haken hätten aus der Wand geragt, weshalb sie abgesägt (o. ä.) wurden. Da hier die Platte selbst nicht geschützt wurde, bildeten sich durch Sickerwasser Metallsal-ze, die in zwei Streifen herunterliefen und die Plattenoberfläche schwer beschädigten. Von außen war nichts zu sehen, und

abgesehen von wenigen Lehrern und Schülern, die aus den Jahren davor von der Existenz der Platte wussten, vermutete sie dort niemand. Als ehemaliges Mitglied des TSpV kannte ich natürlich den Standort der Platte und ließ in den neunziger Jahren (im Einverständnis mit dem Vorstand des Freundeskreises) den Putz entfernen und die Tafel abnehmen. Das Loch in der Außenwand wurde durch nachgeformte Steine verschlossen, so dass diese Aktion fast unbemerkt blieb. Eine Schülergruppe befasste sich auf meine Bitte mit der schwierigen Aufgabe, die kaum noch lesbaren Namen zu entziffern. Über das weitere Schicksal dieses Mini-Gefallenendenkmals ist bisher nicht entschieden worden.

o.: Hauswand nach Entfernen der Tafel

r.: Inschrift der Gedenktafel (Monat und Jahr bezeichnen den Schulabgang. Damals halbjährlich Ostern oder "Michaelis" (Herbst)

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4) Einige der halleschen Arbeiten des Bildhauers sind auf dieser Seite zusammengestellt.

Hannes Miehlich in Halle:

H. Miehlich

o.: Stadtbad Halle: l.: Vögel mit Zweig; r.: Kentaur mit Knabe

o.: Brunnen Gertraudenfriedh.

u: Handelskammer o.: Bierrestaurant Goldene Kugel (Decke)

u.: Elemente am Rathaus