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Universitätsklinikum Essen Institut für Rechtsmedizin Forensische Genetik Forensische Spurenanalytik und Abstammungsbegutachtung Prof. Dr. rer. nat. Micaela Poetsch

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Universitätsklinikum Essen

Institut für Rechtsmedizin

Forensische Genetik

Forensische Spurenanalytik und Abstammungsbegutachtung

Prof. Dr. rer. nat. Micaela Poetsch

Forensische Spurenanalytik

Ziel: Identifikation

Also die Zuordnung einer bestimmten Spur zu einer

bestimmten Person!

Denn Spuren bei einer forensischen Untersuchung sind

Hinweise auf den Täter, auf das Opfer und/oder auf den

Tathergang

Forensische Spurenanalytik

Notwendig für die Identifikation sind Merkmale,

die zwischen einzelnen Menschen unterschiedlich sind

die sich im Laufe des menschlichen Lebens nicht verändern

die in allen Zellen ein und desselben Menschen identisch sind

die auch nach „Lagerung“ unter schlechten Umweltbedin-

gungen noch analysierbar sind

Forensische Spurenanalytik

• Blut

• Sperma

• Haare

• Mundschleimhautzellen

• Zellen der äußeren Haut

• Knochen

• Zähne

• Fingernägel

• Urin, Kot

• Schweiß, Tränen, Nasensekret

• Vaginalsekret

Forensische Spurenanalytik - Haare

• Haar, Pflanzenfaser oder Textilfaser?

• Menschliches Haar oder Tierhaar?

• Kopfhaar oder Körperhaar?

• Ist das Haar ausgerissen, abgeschnitten, abgequetscht oder versengt?

• Haarfarbe?

• Kann das Haar einer tatbeteiligten Person zugeordnet werden?

Forensische Spurenanalytik - Mundschleimhautzellen

Speichelspuren / Mundschleimhautzellen

• Beißen oder Spucken

• Essen

• und Trinken

• Rauchen!

Forensische Spurenanalytik - Epithelzellen

Zellen der äußeren Haut

• Immer, wenn man einen Gegenstand fest anfasst.

• Oder wenn etwas sehr häufig benutzt wird

• oder wenn etwas über längere Zeit in engem Kontakt mit der Haut

gestanden hat.

Das beinhaltet natürlich auch

Würgemale oder Stellen starker

körperlicher Gewalt!

Forensische Spurenanalytik - Spurensicherung

Spurensicherung nach körperlicher Gewalt

Blutspuren

Spermaspuren

andere Sekretspuren

Haare

Abrieb an potentiellen Bisswunden

Abriebspuren an Stellen starker körperlicher Gewalt

Sicherung von Epithelzellen mittels Abstrich

Fremdmaterial unter den Fingernägeln?

Forensische Spurenanalytik - Spurensicherung

Spurensicherung nach Einbruchsdiebstahl

Blut an der eingeschlagenen

Fensterscheibe

Epithelzellspuren an Tür- oder

Fenstergriff

Epithelzellspuren an zurückgelas-

senem Werkzeug,

an Flaschen, Gläsern, Löffeln,

an Benzinkanistern nach Brand-

stiftung,

oder am Lenkrad nach Autodieb-

stahl

Forensische Spurenanalytik - Spurensicherung

Trocknen lassen!

Keine Plastikverpackung!

Keine Abstriche im Gelmedium!

Hinweise zur Spurensicherung

bezieht auch die molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen,

sichergestellten oder beschlagnahmten Spurenmaterials ein

weitergehende Feststellungen sind unzulässig

• soweit zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob

aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem

Verletzten stammt

• molekulargenetische Untersuchung an Material von Beschuldigten

(gem. § 81a StPO) und anderen Personen, z.B. Zeugen und

Geschädigte (gem. § 81 c) sind zulässig

Was steht in § 81 Strafprozessordnung?

Forensische Spurenanalytik – juristische Aspekte

Forensische Spurenanalytik – Exkurs Tiere

Biologische Spuren umfassen nicht nur menschliches

Material!

Hunden und Katzen typisiert und individualisiert

Pferden (Diebstahl, Autounfall),

Rindern (Diebstahl),

Wild (Wilderei, Autounfall),

Es wurden in Deutschland bereits Blut und Haare von

Forensische Spurenanalytik – Vortests zur Bestimmung der Spurenart

Farbtests für den Nachweis von Blut

Benzidin für den Nachweis von Hämoglobulin

OBTI-Test für den Nachweis von humanem Blut (Antigen-Antikörper-Test)

Farbtests für den Nachweis von Speichel

Amylasetest

Farbtests für den Nachweis von Spermasekret

Saure Phosphatase

Mikroskopische Untersuchungen

Spermienköpfe

Haarmorphologie

Forensische Spurenanalytik – Grundlagen der DNA-Analyse

Repetitive DNA

Art Länge der Repeats

Satelliten-DNA > 1.000 bp

Mini-Satelliten (VNTR) 10 – 100 bp

(variable number of tandem repeats)

Mikro-Satelliten (STR) 2 – 9 bp

(short tandem repeats)

Forensische Spurenanalytik – Grundlagen der DNA-Analyse

Short tandem repeats - STRs

• repetitive Sequenzen mit Di-, Tri-, Tetra- und Pentameren als

Wiederholungseinheiten

• überwiegend in nicht-kodierenden Regionen des Genoms, einige wenige in Introns verschiedener Gene

• über alle Chromosomen verteilt unabhängige Vererbung

• Anzahl der Repeats variiert von Mensch zu Mensch

• Analyse möglich durch PCR – Primer flankieren Repeatregion

Forensische Spurenanalytik – Grundlagen der DNA-Analyse

jedes Chromosom ist beim Menschen zweimal vorhanden

(Ausnahme Geschlechtschromosomen)

in unterschiedlichen Ausprägungen, genannt Allele

also auch jeder short tandem repeat zweimal vorhanden

Forensische Spurenanalytik – Methodik

Auswahl der in der Forensik genutzten STRs

• kleine Fragmentlängen (nicht mehr als 400bp)

• viele Allele

• bekannte, möglichst gleichmäßige Verteilung der Allele in der zu

untersuchenden Bevölkerung

• bekannte chromosomale Lokalisation

• unabhängige Vererbung

• bekannte, möglichst niedrige Mutationsrate

• Hardy-Weinberg-Gleichgewicht

Forensische Spurenanalytik – Methodik

Sensitivität

• Theoretisch reicht 1 DNA-Strang für die PCR

• Der Kern einer diploiden Zelle enthält etwa 6 pg DNA

• In der Praxis sollten mindestens 30 pg DNA für die

Amplifikation der STRs eingesetzt werden (also mindestens 5

Zellen)

• Optimale DNA-Konzentration : 300 pg – 1 ng

Forensische Spurenanalytik – Exkurs Biostatistik

1 STR – 10 Allele – 55 Kombinationen

2 STR – je 10 Allele – 3.025 Kombinationen

3 STR – je 10 Allele – 166.375 Kombinationen

4 STR – je 10 Allele – 9.150.625 Kombinationen

5 STR – je 10 Allele – 503.284.375 Kombinationen

6 STR – je 10 Allele – 27.680.640.625 Kombinationen

7 STR – je 10 Allele – 1.522.435.234.375 Kombinationen

8 STR – je 10 Allele – 83.733.937.890.625 Kombinationen

Weltbevölkerung

jetzt 8 Milliarden

Cave : Allelhäufigkeiten!

Forensische Spurenanalytik – Exkurs Biostatistik

Allelfrequenzen D3S1358

Allel 12 0,0004

Allel 13 0,0064

Allel 14 0,1162

Allel 15 0,2507

Allel 16 0,2401

Allel 17 0,2144

Allel 18 0,1573

Allel 19 0,0122

Allel 20 0,0013

Allel 21 0,0002

Kombination 15/16 Häufigkeit = 0,12

2 STRs Häufigkeit = 0,0144

3 STRs Häufigkeit = 0,0017

8 STRs Häufigkeit = 4,3 x 10-8

Das entspricht 1 Person unter

23 Millionen Menschen!

Forensische Spurenanalytik – Exkurs Biostatistik

Bei der Berechnung werden immer verschiedene Hypothesen einander

gegenüber gestellt.

Wurde also an einer bestimmten Spur das Einzelprofil des Tatverdächtigen

bestimmt, lauten die Hypothesen folgendermaßen:

1. Die DNA an der Spur stammt vom Tatverdächtigen.

2. Die DNA an der Spur stammt nicht vom Tatverdächtigen.

Die Kombinationshäufigkeit der Allele des Tatverdächtigen gibt jetzt an, wie

häufig sein Genotyp in der gewählten Bevölkerung vorkommt, und damit

also, wie wahrscheinlich es ist, dass die DNA tatsächlich von ihm selbst

stammt.

Forensische Spurenanalytik – Mischspuren

Bewertung von Mischspuren

1. Mischspur mit Hauptspurenverursacher

Biostatistische Berechnung wie bei einem Einzelprofil

Definition Mischspur : in mindestens einem der analysierten STRs sind mehr

als zwei Allele vorhanden

2. Mischspur, in der in allen auswertbaren STRs alle Allele des Tatverdächtigen

bestimmt werden können

Bei 2. und 3. gibt die biostatistische Berechnung an, wie viel wahrscheinlicher es ist, dass

die 1. Hypothese im Vergleich zur 2. Hypothese zutrifft.

1. Hypothese: Die DNA der Mischspur stammt vom Tatverdächtigen und einer

unbekannten Person

2. Hypothese: Die DNA der Mischspur stammt von zwei unbekannten Personen

3. Mischspur, in der in allen auswertbaren STRs alle Allele des Opfers und des

Tatverdächtigen bestimmt werden können

1. Hypothese: Die DNA der Mischspur stammt vom Opfer und vom Tatverdächtigen

2. Hypothese: Die DNA der Mischspur stammt vom Opfer und von einer unbekannten

Person

4. Mischspur, in der nicht alle Allele der Vergleichspersonen bestimmt werden können

Keine biostatistische Berechnung möglich

Forensische Spurenanalytik – Auswertung

Analyse gonosomaler STRs in der Spurenanalytik

Insbesondere bei Vergewaltigungen relevant

Mischspuren, in denen in den autosomalen STRs kein vollständiges

DNA-Profil vom Tatverdächtigen dargestellt werden kann

Zur Beantwortung der Frage, ob ein oder mehrere Männer die Spuren

verursacht haben können

Forensische Spurenanalytik – Auswertung

Identifikation unbekannter Leichen

• über persönliche Gebrauchsgegenstände

• über potentielle Angehörige

• über eventuell vorhandene Vergleichsproben von Arzt/Krankenhaus

(Blut- / Gewebeproben)

Forensische Spurenanalytik – Probleme

Problemspuren

Haare ohne Wurzel

Knochen

Zähne

Epithelzellspuren mit sehr geringem DNA-Gehalt

Analyse der mitochondrialen DNA (mtDNA)

Forensische Spurenanalytik – Probleme

Mitochondriale DNA (mtDNA)

• ringförmiges DNA-Molekül der Mitochondrien

• aus ca. 16.600 Basenpaaren

• je nach Zelltyp in 100-1000 Kopien pro Zelle

• wird über die mütterliche Linie unverändert vererbt

• enthält variable Regionen

• hohe Mutationsrate durch schlechtere DNA-Reparatur-Mechanismen

Forensische Spurenanalytik – Probleme

Analyse der mtDNA

• meist die hypervariablen Regionen des D-Loops (HVI und HVII)

• Auswertung im Vergleich zu bekannter Referenzsequenz (Anderson et al.,

1981)

• darstellbar nur durch Sequenzierung (nach PCR-Amplifikation)

Forensische Abstammungsbegutachtung – Einführung

Abstammungsgutachten

• unterhaltspflichtige Väter

• Väter mit Zweifeln

• Halbwaisen

• Erbstreitigkeiten

Strafrecht

• Tötung von Neugeborenen

• Vergewaltigung

• Inzest

Zivilrecht

• Familienzusammenführungen im

Rahmen von Asylanträgen

Forensische Abstammungsbegutachtung – Methodik

Untersuchungsmaterial

überwiegend Mundschleimhautabstriche

oder Blut

seltener archiviertes Material aus der Pathologie

z.B. Blinddarm, Mandeln

Tumormaterial

Immer öfter: Gewebe, Zähne, Knochen, die bei der Exhumierung

der Leiche entnommen worden sind

• sofortige Vernichtung des abgenommenen Materials, sobald es für die

Gutachtenerstattung nicht mehr benötigt wird

• Aufklärungspflicht des Gutachters

Was steht im Gendiagnostikgesetz?

Forensische Abstammungsbegutachtung – juristische Aspekte

• Einwilligung aller beteiligten Personen erforderlich – alternativ richterliche

Anordnung

Forensische Abstammungsbegutachtung – Auswertung

Bewertung der Ergebnisse

• Mindestens 15 STRs müssen untersucht werden, von

mindestens 10 verschiedenen Chromosomen

• Ab vier Ausschlüssen ist der Mann als biologischer Vater

ausgeschlossen

• Finden sich keine oder höchstens drei Ausschlüsse

(=Mutationen!), wird die Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft

berechnet

Forensische Abstammungsbegutachtung – Auswertung

Bewertung der Ergebnisse

Vaterschaftswahrscheinlichkeit versus Ausschlusschance

Vaterschaftswahrscheinlichkeit von mind. 99,9 %

Prädikat „praktisch erwiesen“

Allgemeine Ausschlusschance von mind. 99,999 %

errechenbare Wahrscheinlichkeit, mit der ein zu Unrecht als

Vater in Anspruch genommener Mann ausgeschlossen

werden kann

Forensische Abstammungsbegutachtung – Defizienzgutachten

Komplexe Abstammungsfälle

Das Y-Chromosom wird unverändert vom Vater auf den Sohn

übertragen

Brüder und Halbbrüder mit demselben Vater besitzen ein

identisches Y-Chromosom

Ein Mann vererbt sein X-Chromosom unverändert an alle seine

Töchter

Schwestern und Halbschwestern mit demselben Vater

besitzen ein identisches X-Chromosom

Forensische Analytik – Populationsgenetik

Populationsgenetik

• Allelfrequenzen autosomaler und gonosomaler STRs zur

biostatistischen Berechnung

• Haplotypfrequenzen der mtDNA für biostatistische

Aussagen

• Haplogruppen der mtDNA für Aussagen zur Populations-

zugehörigkeit

• Allelfrequenzen weiterer Marker, z.B. Indels oder SNPs

für Aussagen zur Populationszugehörigkeit oder äußeren

Merkmalen

Forensische Analytik – Populationsgenetik

mtDNA – Haplotyp versus Haplogruppe

Haplotyp: Gesamtheit der Veränderungen der mtDNA im

analysierten Bereich, spezifisch für eine Person

Haplogruppe: ganz bestimmte (eine oder wenige) Veränderungen

in der mtDNA definieren eine Haplogruppe, relativ spezifisch für

eine geografische Region oder eine definierte Population

Forensische Analytik – Populationsgenetik

Insertions- und Deletionspolymorphismen (InDels oder DIP)

• Meist biallelische Polymorphismen, d.h. entweder Wildtyp und Insertion

oder Wildtyp und Deletion

• Länge von Insertion oder Deletion zwischen 4 und 50 bp

• Auf Autosomen und Gonosomen

• Analyse ähnlich der STR-Analyse über die Länge der PCR-Fragmente

• Unterschiedliche Verteilung der Allele in verschiedenen Populationen

Forensische Analytik – Populationsgenetik

Single nucleotide polymorphism (SNP)

Veränderungen einzelner Basen der DNA

• liegen außerhalb von Genen und regulatorischen Regionen

• oder innerhalb von Genen

Analyse in der forensischen Genetik problemlos möglich

Mögliche Bedeutung für Krankheiten oder phänotypische

Ausprägung