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S chau mal, da sind die Mädchen in Uniform, das sieht doch schick aus, da hast Du Gelegenheit, ins Ausland zu kommen... Eine Freundin hat mich dar- auf aufmerksam gemacht und mir Bil- der aus einer Illustrierten gezeigt. Ja, die Uniform bei der Wehrmacht sah gut aus und erst mit dem Schiffchen! Und mit dem Blitz, das gefiel mir besonders. Das waren ja die Blitzmädchen. Und es ge- lang mir, mich dienstverpflichten zu las- sen. Ich hatte die Möglichkeit, Funkerin, Telefonistin oder Fernschreiberin bei der Wehrmacht zu werden. So meldete ich mich als Fernschreiberin, weil mir das am interessantesten erschien. Ja, richtig, es war Krieg, aber der stand ganz im Hintergrund. Da war mehr dieses Aben- teuer, das mich lockte. Gerda R. sitzt mir in ihrem hellen Wohnzimmer gegenüber. Sie ist weißhaarig und 85. Wenn von »damals« die Rede ist, spricht sie sehr bestimmt und selbstbewusst – damals, das heißt im Zweiten Weltkrieg. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion lief auf vollen Touren. Frankreich war besetzt und die sechste Armee auf dem Weg nach Stalingrad. Gerda R. war 22 Jahre Forschung Frankfurt 1/2004 46 Forschung aktuell jung und arbeitete bei der Sparkasse ihres Heimatorts in Ostpreußen. Dort war nichts los, nur Eintönig- keit tagein, tagaus. Die junge Frau aber hatte Fernweh, wollte die Welt sehen, etwas erleben – mitten im Krieg. Waren das die Motive jener halben Million junger deutscher Frauen, auf den verschiedensten Kriegsschauplätzen Europas, sogar in Frontnähe, als Nichtkombattan- tinnen Dienst zu tun? Oder handel- te es sich hier um fanatische Partei- genossinnen? Ich wollte schon seit langem wissen, was diese Frauen bewegte, die zum großen Teil frei- willig in den Krieg zogen. Deshalb suchte ich unter anderem durch ei- nen Zeitungsaufruf Kontakt zu ehe- maligen Wehrmachthelferinnen. Frauen bisher kein Thema für die Militärgeschichte Militärgeschichtliche Studien wer- den selten mit Frauen in Verbindung gebracht. Die Militärgeschichts- schreibung kennzeichnet bisher ei- nen doppelt männlich geprägten Blick: Zumeist männliche Historiker befassen sich ausschließlich mit männlichen Akteuren. Die Armee führt Kriege, doch der Krieg hinter- lässt Witwen und trauernde Mütter. Die beiden Weltkriege haben im 20. Jahrhundert die Frauen entschei- dend geprägt und verändert. Zur Po- litik der »Gleichschaltung«, die das nationalsozialistische Regime vor al- lem zwischen 1933 und 1939 prak- tizierte, gehörte auch der Arbeit- seinsatz für den Staat: Im Wehr- dienstgesetz von 1935 waren alle Deutschen, Frauen und Männer für den Einsatz in einem möglichen Krieg verpflichtet worden. Die etwa 500 000 Wehrmacht- helferinnen unterstanden als Mit- glieder des Wehrmachtgefolges dem Kriegsstrafrecht beziehungsweise dem Militärstrafgesetzbuch. Bereits ab 1939 waren Frauen als Nachrich- tenhelferinnen, Stabs-, Flak- und Luftwaffenhelferinnen tätig. Sie sollten in den verschiedenen Wehr- machtsteilen, Verwaltungen und besonders im Nachrichtenvermitt- »Die Blitzmädchen« oder die weibliche Seite des Krieges Zeitzeuginnen berichten: Wehrmachthelferinnen im Zweiten Weltkrieg Werbeplakat für den Dienst als Luftnachrichten- helferin verfehlte ihre Wirkung bei den jungen Frauen nicht: »Ja, die Uni- form bei der Wehr- macht sah gut aus und erst mit dem Schiffchen!«

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Schau mal, da sind die Mädchen inUniform, das sieht doch schick aus,

da hast Du Gelegenheit, ins Ausland zukommen... Eine Freundin hat mich dar-auf aufmerksam gemacht und mir Bil-der aus einer Illustrierten gezeigt. Ja, dieUniform bei der Wehrmacht sah gut ausund erst mit dem Schiffchen! Und mitdem Blitz, das gefiel mir besonders. Daswaren ja die Blitzmädchen. Und es ge-lang mir, mich dienstverpflichten zu las-sen. Ich hatte die Möglichkeit, Funkerin,Telefonistin oder Fernschreiberin bei derWehrmacht zu werden. So meldete ichmich als Fernschreiberin, weil mir das

am interessantesten erschien. Ja, richtig,es war Krieg, aber der stand ganz imHintergrund. Da war mehr dieses Aben-teuer, das mich lockte. Gerda R. sitztmir in ihrem hellen Wohnzimmergegenüber. Sie ist weißhaarig und85. Wenn von »damals« die Redeist, spricht sie sehr bestimmt undselbstbewusst – damals, das heißt imZweiten Weltkrieg.

Der Vernichtungskrieg gegen dieSowjetunion lief auf vollen Touren.Frankreich war besetzt und diesechste Armee auf dem Weg nachStalingrad. Gerda R. war 22 Jahre

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jung und arbeitete bei der Sparkasseihres Heimatorts in Ostpreußen.Dort war nichts los, nur Eintönig-keit tagein, tagaus. Die junge Frauaber hatte Fernweh, wollte die Weltsehen, etwas erleben – mitten imKrieg. Waren das die Motive jenerhalben Million junger deutscherFrauen, auf den verschiedenstenKriegsschauplätzen Europas, sogarin Frontnähe, als Nichtkombattan-tinnen Dienst zu tun? Oder handel-te es sich hier um fanatische Partei-genossinnen? Ich wollte schon seitlangem wissen, was diese Frauenbewegte, die zum großen Teil frei-willig in den Krieg zogen. Deshalbsuchte ich unter anderem durch ei-nen Zeitungsaufruf Kontakt zu ehe-maligen Wehrmachthelferinnen.

Frauen bisher kein Thema fürdie Militärgeschichte

Militärgeschichtliche Studien wer-den selten mit Frauen in Verbindunggebracht. Die Militärgeschichts-schreibung kennzeichnet bisher ei-nen doppelt männlich geprägtenBlick: Zumeist männliche Historikerbefassen sich ausschließlich mitmännlichen Akteuren. Die Armeeführt Kriege, doch der Krieg hinter-lässt Witwen und trauernde Mütter.Die beiden Weltkriege haben im 20.Jahrhundert die Frauen entschei-dend geprägt und verändert. Zur Po-litik der »Gleichschaltung«, die dasnationalsozialistische Regime vor al-lem zwischen 1933 und 1939 prak-tizierte, gehörte auch der Arbeit-seinsatz für den Staat: Im Wehr-dienstgesetz von 1935 waren alleDeutschen, Frauen und Männer fürden Einsatz in einem möglichenKrieg verpflichtet worden.

Die etwa 500000 Wehrmacht-helferinnen unterstanden als Mit-glieder des Wehrmachtgefolges demKriegsstrafrecht beziehungsweisedem Militärstrafgesetzbuch. Bereitsab 1939 waren Frauen als Nachrich-tenhelferinnen, Stabs-, Flak- undLuftwaffenhelferinnen tätig. Siesollten in den verschiedenen Wehr-machtsteilen, Verwaltungen undbesonders im Nachrichtenvermitt-

»Die Blitzmädchen« oder die weibliche Seite des KriegesZeitzeuginnen berichten: Wehrmachthelferinnen im Zweiten Weltkrieg

Werbeplakat fürden Dienst alsLuftnachrichten-helferin verfehlteihre Wirkung beiden jungen Frauennicht: »Ja, die Uni-form bei der Wehr-macht sah gut ausund erst mit demSchiffchen!«

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lungsdienst die Soldaten entlastenund sie sogar ersetzen, um Männer– wie ihnen eingeredet wurde –»für die Front freizumachen«. VieleFrauen wurden mit Schießübungenfür den Ernstfall vorbereitet. Nachder Niederlage in Stalingrad wurdenFrauen zum Kriegsdienst gezwun-gen, auch wenn sie noch nicht voll-jährig waren. Den größten Umfangerreichte das Wehrmachthelferin-nenkorps zur Jahreswende 1944/45,als der Krieg fast zu Ende war.

Während der letzten Kriegsmo-nate kamen viele Frauen in sowjeti-sche Gefangenschaft, und manschätzt, dass etwa 20000 von ihnendort umkamen. Viele gerieten imChaos des Rückzugs in Tiefflieger-angriffe, Bombardements und Parti-sanenüberfälle. Die genaue Zahl derUmgekommenen, Vermissten undGefangenen ist nicht feststellbar;weder Behörden noch Forscher ha-ben bisher genaue Fakten vorgelegt.

Meinen Interviews mit 60 Frauenlag ein Gerüst zugrunde, um Infor-mationen und Einschätzungen zuEinsatzorten, Dauer, Uniform,Kriegsgeschehen, Motivationen, po-litischem Interesse und Repressio-nen des Regimes zu erfragen. DieseUntersuchung stellt eine Oral-His-tory-Arbeit im weiteren Sinne dar,sie will eine breite Öffentlichkeitüber bisher unbekannte historischeEreignisse informieren, die Frauenzwischen Front und Heimat erlebthaben. Die vom Tonband original zuPapier gebrachten Erlebnisse derFrauen habe ich so bearbeitet, dassdie Ursprünglichkeit der Aussagennicht verloren ging. Die einzelnenBerichte wurden so in eine lesbareForm gegossen, bei der ich sorgfältig

darauf geachtet habe, ihnen nichtsvon ihrer Authentizität zu nehmen.

Attraktivität der Auslands-einsätze, Flucht vor demBombenkrieg daheim

Die Auslandseinsätze bei der Wehr-macht wurden damals von denFrauen eher positiv empfunden,weil sie ihnen unbekannte Möglich-keiten und Freiheiten eröffneten,dagegen wurde der Einsatz in derHeimat zu einer immer größerenBelastung. Die Schrecken des Bom-benkrieges, den Verlust aller Dingeund Beziehungen, die materiellenund emotionalen Halt boten, erfuh-ren die daheim eingesetzten Frauenmeist direkter als die Frauen undMänner an der Front.

Nach einer zweimonatigen Aus-bildung wird der Bendlerblock inBerlin zur neuen Dienststelle vonGerda R. Und da erlebt sie, dass die»Blitzmädchen« mit dem »Blitz am

Röntgenuntersu-chung von Freiwil-ligen für dasWehrmachthelfe-rinnenkorps – mitRöntgenhemd ausPapier.

Ärmel und am Kragen« in der Be-völkerung kein sehr gutes Ansehengenießen. Sie will endlich in diegroße weite Welt. Schließlich ge-lingt es ihr, ins Ausland versetzt zuwerden. Von der »Heeresschule fürNachrichtenhelferinnen« (HSNH)in Gießen werden die jungen Frau-en in ihre Einsatzorte geschickt. Siehofft auf Paris, 1940 als Standortwegen des kulturell anspruchsvol-len Lebens noch sehr begehrt, bisdie »Résistance« aktiver wurde. Miteiner Kameradin zusammen kommtGerda R. schließlich nach Belgrad.»Endlich hatte ich es geschafft«,sagt sie.

»Wir fühlten uns wichtig« –als Repräsentantinnen derdeutschen Frau im Ausland

Der Einsatz im Osten, nach demdeutschen Überfall auf die Sowjet-union am 22. Juni 1941 galt vielenals suspekt und war weniger be-liebt. Auch wenn es als Stabshelfe-rin des Heeres in einer Schreibstubein der Sowjetunion sein musste, derReiz überhaupt ins Ausland zukommen, was sonst fast unmöglichwar, galt als interessanter und be-liebter als in der Heimat zu bleiben.Als Angehörige der DeutschenWehrmacht fühlten sie sich auch alsRepräsentantinnen der deutschenFrau im Ausland. Dass sie sich sogarteilweise freiwillig meldeten, hingdamit zusammen, dass die Wehr-macht als das kleinere Übel galt. Ar-beit in einer Munitionsfabrik wäredie Alternative gewesen. Und Poli-tik war vielen jungen Frauen ziem-lich gleichgültig: »Wir waren dochjung, so um die 20, und hatten soviele andere Dinge im Kopf«, sagt

»Blitzmädchen«beim Losverkauffür das Winter-hilfswerk, mit demdie Kriegsführungunterstützt wurde.

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Erna K. und fügt noch hinzu: »Na-türlich wollten wir etwas für unserVaterland tun. Und man hatte unsdoch gesagt, dass jede von uns ei-nen Soldaten für die Front ersetzenkönnte. Das hat uns stolz gemachtund wir haben uns wichtig gefühlt.«

Auch Helga D. als Stabshelferindes Heeres in Minsk möchte dieseZeit im besetzten Land nicht mis-sen. Die Kameradschaft sei beispiel-haft gewesen, das wird auch vonanderen immer wieder betont. FürPolitik habe sie sich wenig interes-siert. »Ich habe mir gesagt, es ist imGrund ja egal, was ich mache... Washätte ich denn machen wollen,wenn ich gesagt hätte, ich gehe danicht hin!«

Abenteuerlust wich:»Es war schrecklich bis zum Ende«

Emmy F. als Flakwaffenhelferin inder Nähe Frankfurts eingesetzt be-trachtet den Einsatz mit deutlich

kritischer Distanz: »Es ist von An-fang bis Ende schrecklich gewesen,ich bin dienstverpflichtet wordenund wollte da auf keinen Fall hin.Man hat uns benutzt und uns umunsere besten Jahre betrogen. Wirwaren doch so lebenshungrig. Wirwaren jung und gehorsam und die-se alten kriegsunfähigen Männerund Nazibonzen, die uns ausbildensollten, behandelten uns oft so un-verschämt.«

Wie hat Gerda R. das Kriegsendeerlebt? Die Rote Armee erobert imJanuar 1945 endgültig deutschenBoden. Der Standort Belgrad mussaufgegeben werden, und sie wirdmehrfach versetzt. Im September1944 hätte sie noch einen Einsatz inNorwegen bekommen können. Sielehnt ab. Die Angst, nicht mehrnach Hause zu kommen, in Gefan-genschaft zu geraten, den Russen indie Hände zu fallen, war längst derAbenteuerlust gewichen. Sie landetauf einem Lazarettschiff, das mit

Geleitschutz von Pillau nach Goten-hafen fährt. Die »Wilhelm-Gustloff«war nach dem Angriff durch einrussisches U-Boot schon unterge-gangen. In ihrer Wehrmachtsuni-form wird Gerda R. als Rotkreuzhel-ferin eingesetzt: »Da waren 2000Verwundete auf diesem Schiff. Sieschrieen Tag und Nacht.« IhreOdyssee auf der Flucht vor den Rus-sen geht von Danzig über Stettinnach Neubrandenburg. Dort gerätsie am 2. Mai 1945 in kanadischeGefangenschaft.

Wechselfälle: Damals unkritisch mitge-macht – Heute verunsichertund voller Scham

Die nationalsozialistische Propagan-da suggerierte diesen Frauen, dassjede Einzelne von ihnen »einen Sol-daten für die Front freimacht«, unddass sie dazu beitragen könnten,dem Krieg eine positive Wende zugeben. Das machte sie stolz. Siefühlten sich unglaublich wichtig.Heute stehen diese Frauen am Endeihres Lebens. Für sie hat sich bisherniemand interessiert. Und sie habenüber das Geschehene wenig nach-gedacht.

Wir können uns heute nurschwer Zeitgeist und Normen derErziehung in einer Diktatur vorstel-len. Diese Wehrmachthelferinnenwaren Frauen ihrer Zeit, Frauen,die in der Nazi-Diktatur aufgewach-sen sind. Und doch sind Gefühleund Träume junger Menschen da-mals und heute vermutlich nicht sounterschiedlich. Um den Krieg über-haupt ertragen zu können, suchtensie Ablenkung. Sie sagen, dass siesich damals nicht für Politik interes-

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Kameradschafts-abend des PariserWachregimentsund der Nachrich-tenhelferinnen:Die französischeHauptstadt warein begehrtes Zielbei den jungeFrauen, die sichfreiwillig melde-ten, nicht zuletztum »endlich etwaszu erleben«.

Dienst im besetz-ten Frankreich,Mai 1942. Mitihrem Einsatz soll-ten die jungenFrauen die Solda-ten entlasten:»Natürlich wolltenwir etwas für un-ser Vaterland tun.Und man hatteuns doch gesagt,dass jede von unseinen Soldaten fürdie Front ersetzenkönnte. Das hatuns stolz ge-macht.«

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sierten, dass sie mit sich selbst be-schäftigt waren. Sie liefen mit – wieviele andere Deutsche auch.

Heute ist es für die ehemaligenWehrmachthelferinnen nicht leicht,über diese Dinge zu sprechen, überScham und schlechtes Gewissen,über jugendliche Unbeschwertheitin unmittelbarer Nähe von Mordenund Sterben, vor allem über das,was sie eigentlich hätten wissenmüssen, vielleicht sogar wussten.Aber darüber sprechen sie kaum.

Die Distanz, die sie zu dem The-ma aufgebaut haben, ist bei allenBefragten spürbar. Damals hattensie Angst, und heute schämen siesich, wie sie sagen. Einem Men-schen in Not zu helfen, schien fürsie damals fast unmöglich. Manchegaben da und dort Brot. Mehr trau-ten sie sich nicht. Nach dem Kriegherrschte bei den ÜberlebendenSchweigen über diese Lebensphase.Die Enttäuschung und vor allem dieScham darüber, einem verbrecheri-schen Regime gedient und die Er-kenntnis, das bessere Los gezogenzu haben, konnte nicht zur Verar-beitung, sondern musste zur Ver-drängung der Erlebnisse führen.Immerhin waren sie vom Bomben-

krieg an der Heimatfront verschontgeblieben.

Diese subjektiven Erlebnisse sindein wichtiger Mosaikstein für dasGesamtverständnis des ZweitenWeltkriegs. Der Widerspruch zwi-schen Kriegsgeschehen und der ei-genen positiven Wahrnehmung istnicht aufzulösen. Er könnte aber dieUrsache dafür sein, dass die Betrof-fenen bisher geschwiegen haben. ◆

Heimkehrertrans-port aus sowjeti-scher Gefangen-schaft. DieseFrauen, die wäh-rend des Kriegeshauptsächlich alsKrankenschwes-tern und Nach-richtenhelferinneneingesetzt waren,kamen nach einerharten Zeit in rus-sischen Lagernfrei. Etwa 20 000Wehrmachthelfe-rinnen haben dieGefangenschaft inder Sowjetunionnicht überlebt.Wieviel Fraueninsgesamt alsWehrmachthelfe-rinnen umkamenoder vermisst wer-den, ist nicht fest-stellbar.

Geschichte, zumal die der Kriege, wird meist als Ge-schichte der Männer erzählt. Die Helden sind Soldatenund Generäle, Väter und Brüder, Widerstandskämpferund Politiker. Wer aber fragt Frauen nach ihrer Kriegs-geschichte? Die Historikerin Rosemarie Killius hat in-zwischen neben vielen Beiträgen in Sammelbändenund historischen Zeitschriften zwei Bücher veröffent-licht, in denen sie Zeitzeuginnen zu Wort kommen lässt.

In ihrem ersten Buch »Seistill, Kind! Adolf spricht«,das 2000 erschien, hatKillius 26 Frauen nachihrem Erleben des ZweitenWeltkriegs befragt. Promi-nente Frauen wie Marga-rethe Mischerlich, GiselaMay, Leonie Ossowski, Ur-sula von Schlabrendorff,Tisa von der Schulenburgeröffnen ungewöhnlicheEinblicke. Aber auch unbe-kannte Frauen, die ge-kämpft oder Widerstandgeleistet haben, berichten – wie eine russische Scharf-schützin, ein jüdisches Réstiance-Mitglied, eine deut-sche Widerstandskämpferin. Sie wurden verfolgt, geret-tet, geduldet, übersehen und missbraucht. Ihre Schilde-

rungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln faszinierenund erschüttern.

Unter dem Titel »Frauen fürdie Front« hat die FrankfurterHistorikerin im September2003 ihre Gespräche mitWehrmachthelferinnen publi-ziert. Die Zitate in ihrem hierveröffentlichen Beitrag sinddiesem Buch entnommen.Über sechzig Jahre herrschtesowohl bei den Überlebendenals auch in der ForschungSchweigen über den Einsatzvon einer halben MillionFrauen, die im Gefolge derWehrmacht in den Zweiten Weltkrieg zogen. Killius hatauf diesen bisher vernachlässigten Aspekt der Militärge-schichte aufmerksam gemacht: Der Historikerin gelingtes, die Frauen zum Sprechen zu bringen, bewegendeSchicksale, aber auch bisher verdrängte Erinnerungenwerden sichtbar. Die unterschiedlichen Schilderungenverraten viel über den Alltag an der Front, den Befind-lichkeiten in einer männlich dominierten Umgebung.Die Mehrzahl der Frauen erlitt den Krieg nicht passiv,sondern fühlte sich für ihr Tun auch ganz bewusst ver-antwortlich.

Erinnerungsliteratur: Frauen und der Zweite Weltkrieg

Rosemarie Killius »Sei still, Kind!Adolf spricht« – Gespräche mitZeitzeuginnenVerlag Militzke,Leipzig, 2000,ISBN 3-86189-180-0, 253 Seiten,12,50 Euro (broschiert).

Rosemarie KilliusFrauen für die Front – Gespräche mitWehrmachts-helferinnenVerlag Militzke,Leipzig, 2003,ISBN 3-86189-296-0, 224 Seiten,19,90 Euro.

Die Autorin

Rosemarie Killius studierte Geschichteund Romanistik in Frankfurt und Mad-rid, sie ist Pädagogische Mitarbeiterinim Fachbereich Gesellschaftswissen-schaften der Universität Frankfurt. IhrForschungsschwerpunkt ist der National-sozialismus und der Zweite Weltkrieg.Die Historikerin ist darüber hinaus Eras-mus-Beauftragte und bearbeitet die Be-werbungen der Studierenden, die imAusland studieren wollen.