Forschungsthemen DESY Zeuthen · 2003. 8. 15. · Forschungsthemen DESY Zeuthen die...

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Forschungsthemen DESY Zeuthen Forschungsthemen DESY Zeuthen Experimente bei HERA Das H1-Experiment Inbetriebnahme der Backward und Forward Silicon Tracker BST und FST Während der HERA-Betriebsunterbrechung 2000– 2001 wurden die Silizium-Spurdetektoren FST und BST mit ihren insgesamt 184 320 Auslesekanälen im Abbildung 83: Lepton-Proton-Streuung mit hohem Viererimpuls-Übertrag im H1- Experiment. Das gestreute Positron wird im FST rekonstruiert, nachdem es aufschauert. Vorwärts- und Rückwärtsbereich um das Strahlrohr herum neu installiert. Mit der Inbetriebnahme von HERA II wurden diese Detektoren in die Auslese des H1-Experiments integriert. Dazu waren neue Prozes- sorkarten und, in Zusammenarbeit mit dem Rutherford Laboratory und der Universität Prag, umfangreiche Ar- beiten zur Anpassung der Ausleseelektronik sowie der experimentnahen Software erforderlich. Mit der Stabilisierung des HERA-Betriebs gelang es schnell, Hits und Spuren im FST zu rekonstruie- ren. Das Signal-zu-Rausch-Verhältnis der neuen FST- 143

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Experimente bei HERA

    Das H1-Experiment

    Inbetriebnahme der Backward undForward Silicon Tracker BST und FST

    Während der HERA-Betriebsunterbrechung 2000–2001 wurden die Silizium-Spurdetektoren FST undBST mit ihren insgesamt 184 320 Auslesekanälen im

    Abbildung 83: Lepton-Proton-Streuung mit hohem Viererimpuls-Übertrag im H1-Experiment. Das gestreute Positron wird im FST rekonstruiert, nachdem es aufschauert.

    Vorwärts- und Rückwärtsbereich um das Strahlrohrherum neu installiert. Mit der Inbetriebnahme vonHERA II wurden diese Detektoren in die Auslese desH1-Experiments integriert. Dazu waren neue Prozes-sorkarten und, in Zusammenarbeit mit dem RutherfordLaboratory und der Universität Prag, umfangreiche Ar-beiten zur Anpassung der Ausleseelektronik sowie derexperimentnahen Software erforderlich.

    Mit der Stabilisierung des HERA-Betriebs gelang esschnell, Hits und Spuren im FST zu rekonstruie-ren. Das Signal-zu-Rausch-Verhältnis der neuen FST-

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    Detektoren liegt bei über 30 und führt zu einer ho-hen Effektivität der Detektoren. Abbildung 83 zeigteine Lepton-Proton-Streuung bei hohem Viererimpuls-Übertrag, deren gestreutes Positron im FST rekonstru-iert wird. Durch Rekonstruktion strahlnaher, fast ho-rizontaler Spuren leistete der FST auch bei der Suchenach Untergrundquellen außerhalb des H1 Detektorsgute Dienste.

    Die präzise Messung der Strukturfunktionen F2 und FLsowie der Charm-Strukturfunktion Fc2 erfordert eine Im-pulsmessung geladener Teilchen im Rückwärtsbereich.Dazu wurde der Austausch der BST-Detektoren der ers-ten Generation gegen den Detektortyp vorbereitet, dersich im FST hervorragend bewährt hat.

    Nach dem Einbau einer neuen Magnetoptik zur Er-höhung der Luminosität für die Experimente H1 undZEUS zeigte sich, dass der Strahlungs-Untergrund zuhoch ist, um die sensitiven Detektoren bei hohen Strahl-

    Days in 2002220 240 260 280 300 320 340 360

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    200

    6x10

    Integrated Radiation Monitor Rate

    Sep 3 - 23

    Nov 4RadMon Break

    Nov 12-25

    Abbildung 84: Vom BST Pad Detektor gemesseneUntergrund-Rate pro Tag im Herbst 2002. Auffällig istdie hohe Strahlungsbelastung während eines HERA-Strahlverlustes am 4.11.2002, bei der ein Teil der BST-Elektronik zerstört wurde.

    strömen betreiben zu können. Diese schwierige Situa-tion erforderte detaillierte Studien des Untergrundes inAbhängigkeit von Strahlströmen, Vakuum, Temperatu-ren usw.

    Die BST Pad Triggerdetektoren wurden zu einem präzi-sen Instrument des Strahlungsmonitorings zum Schutzdes H1-Experiments wie auch zur Diagnose der Strahl-justierung für HERA ausgebaut. Abbildung 84 zeigt dievomBSTPadDetektorgemesseneUntergrund-RateproTag im Herbst 2002. Dies führte zu konzeptionellen Än-derungen der Auslese der installierten Triggerdetekto-ren, um neben dem Strahlungsmonitoring die eigentli-che Triggerfunktion für das H1-Experiment weiterhinzu gewährleisten.

    Der FST wurde zur Messung des Vakuum-Druckprofilsbis zu 5 m in Positronstrahlrichtung benutzt. In denZeiten erfolgreichen Luminositätsbetriebs wurden BSTund FST ausgelesen und der Pad-Detektor als Trig-gerdetektor seiner eigentlichen Bestimmung entspre-chend eingefahren. Während des HERA Betriebs kames mehrfach zu Strahlverlusten (Abb. 84) in die nahe amStrahlrohr befindliche BST Elektronik. Es ist geplant,diese Elektronik während der kommenden HERA-Betriebsunterbrechung zu ersetzen.

    Das Forward Proton Spektrometer FPS

    Die Stationen des ,,Forward Proton Spektrometers“FPS wurden mit neuen Faserdetektoren ausgerüstet.Der Einbau der vertikalen Stationen erfolgte im Ja-nuar 2002, während die strahlenexponierten horizon-talen Stationen erst bei stabilen Strahlbedingungen in-stalliert werden können. Mit den vertikalen Stationenwurden Daten zur Optimierung der Detektoreffektivitätgenommen.

    Die Rekonstruktions- und Simulationsprogramme wur-den an die neue Detektorgeometrie angepasst. Diesemodifizierten Programme können auch für die Bear-beitung der Daten des zukünftigen ,,Very Forward Pro-ton Spektrometers“ VFPS benutzt werden, das in derHERA-Betriebsunterbrechung im kommenden Früh-jahr installiert werden soll. Mit den Daten der Jahre1999und2000wirddieAnalysederdiffraktivenProton-Strukturfunktion fortgesetzt. Da im gesamten Jahr 2002

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    die Strahlbedingungen bei HERA II instabil waren,konnten mit dem FPS keine Daten für eine Physik-analyse aufgezeichnet werden.

    Physikalische Analyse

    Im Zentrum der physikalischen Analyse im Jahre 2002stand die Auswertung von Daten aus dem Sommer2000, bei denen der Vertex um +70 cm verschoben war.Damit wurde der Akzeptanzbereich von Impulsüberträ-gen Q2 von etwa 2 GeV2 bis zu kleinen Werten von etwa0.5 GeV2 erweitert. Das erlaubte erstmalig, eine Präzisi-onsmessung des inklusiven Streuquerschnitts mit bis zu3% Genauigkeit im Übergangsbereich von tiefunelasti-scher Streuung zum nicht-perturbativen Bereich durch-zuführen. Neben dem SPACAL-Kalorimeter wurde indieser Analyse der BST als wichtiges Nachweisge-rät benutzt, und zwar zur Messung des Polarwinkelsder gestreuten Positronen, zur Rekonstruktion des Er-eignisvertex sowie zur Unterdrückung von neutralemTeilchenuntergrund. Die Analyse wurde bei den in-ternationalen Konferenzen DIS02 in Cracow sowie inAmsterdam sehr interessiert aufgenommen, da mit die-sen Daten die Abhängigkeit der ProtonstrukturfunktionF2 von Bjorken-x bei Q2 um 1 GeV2 erstmalig genauvermessen wurde.

    Im Rahmen der experimentellen Arbeiten zur Proton-struktur bei kleinen x wurde ein Modell entwickelt undnumerisch geprüft, das die Nukleonstruktur aus frak-talen Strukturen erklärt und zu einer klaren Beschrei-bung der Partondichten im Proton führt.

    Mit den umfangreichen Daten der Jahre 1999/2000 solldie Messgenauigkeit der Strukturfunktionen F2 und FLund damit der Kopplungskonstanten der starken Wech-selwirkung weiter verbessert werden. Dazu wurden mitPhysikern der Universitäten in Dortmund, Prag undPodgorica gemeinsame Analyse- und Simulationsar-beiten durchgeführt.

    Das HERA-B Experiment

    Die an HERA-B beteiligte Gruppe des Zeuthener In-stituts und der Humboldt-Universität zu Berlin hat inden Bereichen, in denen sie bereits an Entwicklung undAufbau beteiligt war, Aufgaben weitergeführt, die zum

    Betrieb des Detektors und zur Qualitätssicherung derDaten notwendig sind. Zusätzlich wurde das Engage-ment in der Datenanalyse verstärkt. Die wesentlichenAktivitäten sind:

    – Betrieb und Kalibration des Spurkammersystems,,Outer Tracker“,

    – Ausbau und Betrieb der Prozessorfarmen (2. und 4.Level),

    – Software-Entwicklung und -Wartung: Spurrekon-struktion, Alignment und Kalibration des Outer Tra-cker, Detektorsimulation,

    – Datenanalyse.

    Outer Tracker

    Kalibration und Alignment: Die Software für die Ka-libration der Orts-Driftzeit-Beziehung, das Alignmentund die Bestimmung der toten oder verrauschten Drift-zellen wurde weiterentwickelt und auf die neuen Da-ten angewandt. In allen Bereichen sind Verbesserun-gen gegenüber den Daten von 2000 offensichtlich. DieOffline-Analyse der Nachweiswahrscheinlichkeiten inden PC-Superlagen des Outer Tracker ergibt für die Zel-len mit 5 und 10 mm Durchmesser Werte von 95% und98%. Die Ortsauflösung der Driftzellen beträgt etwa35 µm.

    Sicherung und Kontrolle der Datenqualität: ZurOnline-Kontrolle der Qualität der Outer Tracker-Datenwurden verschiedene Histogramme in das System in-tegriert. Sie erlauben der Schichtbesatzung die Über-prüfung der Funktion des Outer Tracker-Detektors, derQualität der Datennahme und der rekonstruierten Spu-ren. Im Berichtsjahr wurde auch ein Monitorsystem fer-tig gestellt, mit dem die Verstärkung in den Driftzellendurch eine automatische Regelung der Hochspannunginnerhalb von 5% konstant gehalten wird.

    Prozessorfarm

    Die Datennahme und die Datenarchivierung desHERA-B Experiments wurden im Jahr 2002 erwei-tert, um die beschränkte Strahlzeit optimal zu nutzen.In einem Betriebsmodus mit vielen Unterbrechungen,wie er in diesem Jahr vorherrschte, ist eine maximale

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    Aufzeichnungsrate wesentlich, während die volle Re-konstruktion in den Pausen erfolgen kann. In Erwei-terung des ursprünglichen Konzeptes können jetzt diebeiden Online-Farmen (2. und 4. Level) zum Offline-Prozessieren von Daten und bei Unterbrechung derDatennahme für Monte Carlo-Simulationen effektivgenutzt werden.

    Bei dem Standardtrigger, der zwei Leptonen verlangt,wird bei 5 MHz Targetrate eine Ausgaberate von etwa100 Hz erreicht. Für Proton-Kern-Wechselwirkungenwurde eine Ausgaberate von 1.2 kHz bei einer Ereig-nisgröße von 40 kB (komprimiert) erreicht. Mit diesemSystem können etwa 4 Millionen derartige Ereignissepro Stunde aufgezeichnet werden.

    Software

    Spurrekonstruktion: Das Programmpaket RANGERfür die Spurrekonstruktion im zentralen Spurensystem(Inner/Outer Tracker) wird in Zeuthen gewartet undaktualisiert. Das Verhalten bezüglich Auflösungen undEffizienzen wurde in Simulationen und mit realen Da-ten studiert. Teilweise war eine Anpassung an eine neueDetektorgeometrie notwendig. Wichtige Untersuchun-gen galten dem Matching von Spursegmenten, die imSiliziumdetektor vor dem Magneten und in den Spur-kammern hinter dem Magneten gefunden werden. Fürdas Matching und die Verwerfung von falschen Kom-binationen wurden Standardprozeduren definiert undderen Effizienz für spezielle Fälle, wie zum Beispielfür den Kanal ψ′ → J/ψππ, der in Zeuthen auch ana-lysiert wird, bewertet. In einer detaillierten Studie wur-den die Impuls- und Winkelauflösungen des HERA-BDetektors bestimmt.

    Datenanalyse: In Zeuthen sollen hauptsächlich Bei-träge zur Produktion von Charmonium-Zuständen inProton-Kern-Reaktionen untersucht werden. Mit denbis Ende des Jahres aufgezeichneten Daten wurde dieAnalyse leptonisch zerfallender J/ψ-Mesonen aus ver-schiedenen Produktions- und Zerfallsprozessen begon-nen. Speziell wurden ψ′-Zerfälle mit einem J/ψ imEndzustand analysiert. Daneben werden Analysen vonMinimum-Bias-Daten durchgeführt, die unter anderemauch der Kontrolle der Datenqualität dienen.

    Simulation: Das Simulationsprogramm von HERA-Bwurde in Zeuthen gewartet und aktualisiert. Dazu ge-

    hört die fortlaufende Anpassung der für die Simulationbenutzten Geometriedaten, die auch für die Rekonstruk-tion der reellen Daten verwendet werden.

    Das HERMES-Experiment

    Tief-virtuelle Compton Streuung

    Das HERMES-Experiment widmet sich der Antwortauf die fundamentale Frage, wie sich der Drehimpulsdes Nukleons, also des Protons oder des Neutrons, ausden Drehimpulsen seiner Bestandteile, der Partonen(Quarks und Gluonen) zusammensetzt. Der Schwer-punkt dieser Arbeit bei HERMES war zunächst diedetaillierte Bestimmung des Beitrags der Eigendrehim-pulse dieser Teilchen. Schon aus früheren, ähnlich ge-arteten Experimenten war bekannt, dass dieser Beitragnicht den gesamten Drehimpuls des Nukleons erklärenkann.

    Ein weiterer wichtiger Baustein in diesem Drehimpuls-Puzzle ist der Bahndrehimpuls der Quarks und Gluonenim Nukleon. Dieser konnte jedoch weder mit den bis-herigen Messungen bestimmt werden, noch war er inder auf polarisierten und unpolarisierten Partonvertei-lungen beruhenden theoretischen Beschreibung dieserMessungen berücksichtigt. Erst in den letzten Jahrenhat sich in der Form von Generalisierten Partonver-teilungen (GPDs) ein theoretisches Gerüst entwickelt,das diesen Aspekt des Nukleon-Drehimpulses aufgreift.Sowohl die bisher bekannten Partonverteilungen alsauch die Formfaktoren des Nukleons sind Spezialfälleder GPDs. Eine sehr direkte Anwendung finden dieseGPDs in Prozessen, bei denen genau ein Teilchen, wiezum Beispiel ein Pion oder ein Photon, erzeugt wird.Dieser Prozess, die Erzeugung eines Photons durchStreuung von hochenergetischen Elektronen am Pro-ton, wird tief-virtuelle Compton Streuung (DVCS) ge-nannt. GPD-basierte Modelle machen Vorhersagen so-wohl über die Häufigkeit dieser Prozesse als auch überdabei auftretendeAsymmetrien indenWinkelverteilun-gen der erzeugten Teilchen, die bei HERMES gemessenwerden.

    Erste Resultate zur Asymmetrie, die im DVCS-Prozessbei Messungen mit polarisierten Elektronenstrahlenentsteht, wurden bereits im letzten Jahr veröffentlicht.

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    −0.6

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    0.2

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    0.6

    −3 −2 −1 0 1 2 3

    φ [rad]

    AC

    e± p → e±γ X (Mx< 1.7 GeV)HERMES PRELIMINARY

    P1 + P2 cos φ

    P1 = 0.05− ± 0.03 (stat)

    P2 = 0.11 ± 0.04 (stat)

    Abbildung 85: Vorläufiges Ergebnis zur Asymmetrieim DVCS-Prozess bei Vergleich von Positron- und Elek-trondaten in Abhängigkeit vom azimutalen Teilchener-zeugungswinkel φ.

    Unter federführender Beteiligung Zeuthener Wissen-schaftler sind erste vorläufige Resultate für die Asym-metrie hinzugekommen, die bei dem Vergleich der Er-zeugungsraten bei Verwendung von Positronen bzw.Elektronen entsteht (Abb. 85), eine Messung, die in die-ser Form bislang nur beim HERMES-Experiment mög-lich ist. Wie schon bei der Strahl-Polaritätsasymmetrie,so wurde auch hier ein deutliches Signal festgestellt,dessen grundlegende Struktur sehr gut mit den theo-retischen Erwartungen übereinstimmt. Des Weiterenwurde die Untersuchung dieses Asymmetrie-Typs aufDVCS-Prozesse an schwereren Kernen (wie zum Bei-spiel Neon) erweitert. Die dabei gefundene Asymme-trie (Abb. 86) ist mit der am Proton vergleichbar. Dietheoretische Beschreibung der dabei zu erwartendenUnterschiede steht am Beginn einer möglicherweisevielversprechenden Entwicklung.

    Silizium-Detektor

    In Hinblick auf die Messung des DVCS-Prozesses undähnlicher exklusiver Prozesse wird der ,,Recoil Detek-tor“ entwickelt, in dem die bislang nicht gemessenen

    −0.6

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    −0.1

    0

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    0.3

    −1 0 1 2 3 4 5 6

    Mx (GeV)

    ALUsin

    ϕ

    e→ + Ne → e+ γ X

    HERMES PRELIMINARY

    ALUsin ϕ

    M < 1.7 GeV = 0.22− ± 0.03 (stat) ± 0.03 (sys)x〈 −t 〉 = 0.13 GeV 2, 〈 xB〉 = 0.09, 〈 Q

    2〉 = 2.2 GeV 2

    Abbildung 86: Vorläufiges Ergebnis zur Asymmetrieim DVCS-Prozess bei Streuung von polarisierten Po-sitronen am Neon, in Abhängigkeit von der berechnetenGesamtmasse Mx der nicht detektierten Teilchen.

    Rückstoß-Protonen gemessen werden sollen. Er ist alsmehrlagiger Detektor ausgelegt, der um das HERMESGastarget herum gebaut wird, welches vom Elektronen-strahl des HERA-Speicherrings durchlaufen wird. Phy-siker der Zeuthener Gruppe sind aktiv an der Entwick-lung der innersten zwei Lagen dieses Recoil-Detektors,des Silizium-Detektors, beteiligt.

    Auf der Suche nach der für den Silizium-Detektor ambesten geeigneten Ausleseelektronik wurden umfang-reiche Studien an zwei verschiedenen Auslesechips(APC und HELIX) durchgeführt. Aus den Tests ergabsich, dass der HELIX Chip den gestellten Anforderun-gen besser entspricht. Zusätzlich wurde eine neuartigeMethode der Ladungsteilung zur Erweiterung des dy-namischen Bereichs untersucht, die es ermöglicht, Pro-tonen in einem großen Energiebereich nachzuweisen.In Laborstudien wurde die prinzipielle Funktionsweiseder Ladungsteilung demonstriert.

    Nach Abschluss dieser Vorstudien wurde ein erstesPrototypmodul für den Silizium-Detektor hergestellt(Abb. 87) und im Elektronenstrahl am DESY II getestet.Diese Studien belegen, dass das Konzept der Ladungs-

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    Abbildung 87: Foto des ersten Prototypmoduls des Silizium-Detektors für das ,,RecoilProjekt“.

    teilung auch unter realen Bedingungen gute Ergebnisseliefert. Dabei wurden Teilchen detektiert, die im Sili-zium eine Ladung von bis zu 400 fC freisetzen. BeimDurchgang minimal ionisierender Teilchen wurde einzufrieden stellendes Signal-zu-Rausch-Verhältnis von6.5 gemessen.

    Das L3-Experiment am CERN

    L3 war eines der vier Experimente am SpeicherringLEP im CERN. Über 12 Jahre lang registrierte der L3-Detektor Teilchen, die bei der Annihilation von Elek-tronen und Positronen entstehen, bis der Speicherringim November 2000 abgeschaltet wurde. Zuletzt wur-den von LEP Energien von 209 GeV erreicht. Die Aus-wertung der enormen Datenfülle ist noch nicht voll-ständig abgeschlossen. Auch an der Interpretation derErgebnisse wird noch gearbeitet.

    Die Arbeit der L3-Gruppe von DESY Zeuthen kon-zentrierte sich im Jahre 2002 auf die Fertigstellung der

    Analysen zur Higgs-Suche, der Suche nach supersym-metrischen Teilchen und auf Tests des Standardmodells.Neben der Auswertung der mit dem L3-Detektor auf-gezeichneten Daten waren Zeuthener Physiker an derKombination der Resultate aller vier LEP-Experimentebeteiligt. Zum einen erreicht man mit der im Vergleichzum Einzelexperiment vierfachen Statistik eine hö-here Sensitivität bei der Suche nach neuen Effekten,zum anderen ist für kommende Experimente vor allemdas gemeinsame Resultat der bei LEP durchgeführtenMessungen interessant.

    Die Suche nach dem Higgs-Boson

    Die Suche nach dem Higgs-Boson, welches den Eich-bosonen und Fermionen Masse verleiht, wurde aus-gedehnt auf supersymmetrische Szenarien und Zwei-Dubletts von Higgs Feldern. Dabei werden insgesamtfünf Higgs-Teilchen erwartet. Ein wichtiger neuer Pa-rameter ist in diesen Modellen das Verhältnis der Va-kuumerwartungswerte der Higgs-Felder, tan β.

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    mh−max scenario

    1

    10

    0 50 100 150

    Not

    allo

    wed

    by

    theo

    ry

    Not allowedby theory

    mA < 10 GeV

    Excluded

    mh [GeV]

    tan

    β

    L3

    Abbildung 88: Grenzen an die Parameter tan β undmh eines minimalen supersymmetrischen Standardmo-dells, in dem maximale Massenwerte für das leichtesteHiggs-Boson erreicht werden (mh-max Szenario).

    Ein Signal wurde nicht gefunden, so dass nur Grenzenan bestimmte Parameter der Modelle gesetzt werdenkonnten. Diese werden in Abbildung 88 für eine Versiondes minimalen supersymmetrischen Standardmodellsgezeigt, in dem maximale Massenwerte für das leich-teste Higgs-Boson erreicht werden (mh-max Szenario).Unabhängig von den Modell-Parametern wurden un-tere Massengrenzen für zwei neutrale Higgs-Bosonen,h und A, zu mh > 84.5 GeV und mA > 86.3 GeVgesetzt. Im Rahmen der Zwei-Dublett Modelle wur-den Grenzen für Kopplungen zwischen Z- und Higgs-Bosonen sowie Grenzen für die Massen geladenerHiggs-Bosonen bestimmt.

    Der Prozess e+e− → Zh → Zγγ ist im Standardmo-dell nicht direkt, sondern nur über Loops geladenerW-Bosonen und Top-Quarks möglich. Entsprechendgering ist die Wahrscheinlichkeit dieses Prozesses. Ineinigen Modellen kann er jedoch bei entsprechenderParameterwahl häufig auftreten. So koppeln in fermio-phobischen Zwei-Higgs-Dublett Modellen des Typs Ialle Fermionen an das gleiche skalare Higgs-Feld, sodass alle Kopplungen der Fermionen an Higgs-Bosonen

    gleichermaßen unterdrückt werden können. DerartigeHiggs-Bosonen zerfallen vorzugsweise in Bosonen.

    Zum Vergleich der möglichen Modelle wurde ein,,Benchmark-Modell“ definiert, in dem der Wirkungs-querschnitt für die Produktion von Higgs-Bosonendem des Standardmodells entspricht, das Higgs Bo-son aber in Bosonen zerfällt, vornehmlich h → γγ fürHiggs-Massen unter 90 GeV bzw. h → WW∗, ZZ∗ fürgrößere Higgs-Massen. Die L3-Kollaboration suchteim Energiebereich 189–209 GeV nach dem Prozesse+e− → hZ → γγZ. Es wurden keine fermiophobenHiggs-Bosonen beobachtet. Deshalb wurden Grenzenfür das Zerfallsverhältnis von Higgs-Bosonen in zweiPhotonen in Abhängigkeit von der Higgs-Masse abge-leitet. Falls solche Higgs-Bosonen existieren, sind sieschwerer als 105.4 GeV (95% C.L.).

    Z-Paar-Produktion

    Die Analysen zur Produktion von Z-Boson-Paaren wur-den fertig gestellt. Neue Resultate zur Kopplung vondrei Eichbosonen, ZZZ and γZZ, stimmen mit denVorhersagen des Standardmodells überein.

    Suche nach supersymmetrischenTeilchen

    Die Suche nach supersymmetrischen (SUSY) Teilchenwurde im Berichtsjahr in der LEP SUSY Arbeits-gruppe mit der Kombination der Daten aller vier LEP-Experimente fortgesetzt. Die Zeuthener Gruppe betei-ligte sich vor allem an der Suche nach SUSY-Teilchen,bei deren Zerfällen die R-Parität nicht erhalten wird.In diesen Modellen zerfallen alle SUSY-Teilchen, auchdas leichteste, in Standard-Teilchen. Für die Analysenwurde angenommen, dass der Zerfall skalarer Leptonennur über das leichteste SUSY-Teilchen möglich ist. Dakeine Zerfälle von SUSY-Teilchen beobachtet wurden,wurden untere Grenzen für die geladenen skalaren Lep-tonen und Neutrinos bestimmt. Sie liegen bei 99 GeV fürdie skalaren Elektron-Neutrinos und bei 85 GeV für dieskalaren Myon-Neutrinos. Ein skalares τ-Lepton, dasR-paritätsverletzend zerfällt, muss schwerer als 96 GeVsein, wie in Abbildung 89 illustriert. Mit Paritätserhal-tung sinkt diese Grenze um 3 GeV.

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    0

    20

    40

    60

    80

    100

    50 60 70 80 90 100

    expectedobtained

    Mτ~(GeV/c 2)

    Mχo

    (GeV

    /c2 )

    τ~

    95% CL ALEPH DELPHI L3 OPAL

    Lifetime Signature

    preliminary

    Abbildung 89: Massenlimit Mτ̃ für R-paritätsverletzen-de Zerfälle eines skalaren τ-Leptons aus der Kombi-nation der Daten aller vier LEP-Experimente.

    Suche nach Abweichungenvom Standardmodell

    Werden keine neuen Teilchen oder Prozesse beobach-tet, können Abweichungen der Messergebnisse vonden Standardmodell-Vorhersagen Hinweise auf neuephysikalische Phänomene geben.

    Aufgrund der hohen Luminosität am LEP-Be-schleuniger wurden die Wirkungsquerschnitte undVorwärts-Rückwärts-Asymmetrien für die Produktionvon Fermion-Paaren auch bei hohen Energien mit Ge-nauigkeiten im Prozentbereich gemessen. Die Kombi-nation der Resultate aller Experimente erhöht die Ge-nauigkeit fast um einen Faktor 2 und vergrößert dieEmpfindlichkeit für neue Physik.

    Die Analyse der kombinierten Fermion-Paar-End-zustände ergab sowohl bei L3 als auch bei LEP ins-gesamt keine signifikanten Abweichungen von denVorhersagen des Standardmodells. Deshalb wurdenGrenzen bestimmt, jenseits derer neue physikalischeEffekte die durchgeführten Messungen nicht beeinflus-sen. Auch ohne konkrete Annahmen über die Natur

    0

    0.1

    0.2

    0.3

    120 140 160 180 200

    √ s/GeV

    Rb

    L3 preliminary

    √ s, > 0.85 √ s

    Abbildung 90: Das Verhältnis Rb von Kopplungsstärkeund Masse neuer Austauschteilen für bb̄-Endzuständebei LEP.

    neuer Wechselwirkungen können diese bis zu einerEnergieskala zwischen 2 TeV und 25 TeV ausgeschlos-sen werden, je nachdem, welche Fermion-Endzuständeund welche allgemeinen Modelle man betrachtet. DieseMassenskala entspricht vereinfacht dem Verhältnis vonKopplungsstärke und Masse neuer Austauschteilchen.Die Resultate sind in Abbildung 90 am Beispiel fürbb̄-Endzustände veranschaulicht. Alle Ergebnisse sindgleichbedeutend damit, dass keine Substruktur der Fer-mionen nachgewiesen werden konnte.

    L3+COSMICS

    Im L3+Cosmics-Experiment wurden in den Jahren1999 und 2000 insgesamt 11 Milliarden Myonenaus Luftschauern registriert. Das Ziel ist eine Präzi-sionsmessung des Impulsspektrums atmosphärischerMyonen. Um dies zu erreichen, standen im Jahr2002 umfangreiche Untersuchungen zur Systematikdes Experiments im Vordergrund. Es gelang, den Ge-samtfehler der Messung auf 3.5% zu verringern. Diejetzigen Ergebnisse wurden mit Modellvoraussagen

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    von Luftschauer-Entwicklungen verglichen. Es erga-ben sich Abweichungen, die theoretisch bisher unver-standen sind und weitere Analysen erfordern.

    Die L3+Cosmics Daten erlauben, aus der Rekonstruk-tiondesMondschattens indergeometrischenVerteilungvon Myonen auf der Erdoberfläche Rückschlüsse aufdas Verhältnis primärer kosmischer Antiprotonen zuProtonen bei hohen Energien zu ziehen. Die Beobach-tung des Schattens für Protonen mit einer Signifikanzvon acht Standardabweichungen führt zu einer oberenGrenze dieses Verhältnisses von ≈ 0.1.

    Neutrino-Astrophysik

    Die Neutrino-Astrophysik bei niedrigen Energien hatmit dem Nachweis von Neutrinos von der Sonne undaus der Supernova 1987A spektakuläre Erfolge gefei-ert. Raymond Davis jr. und Masatoshi Koshiba (derauch bei DESY gearbeitet hat) wurden dafür in die-sem Jahr mit der Verleihung des Physik-Nobelpreisesgeehrt. Die Neutrino-Astrophysik bei hohen Energien– 1 TeV und darüber – widmet sich gänzlich anderenPhänomenen als jenen im keV- und MeV-Bereich. Sieinteressiert sich vorzugsweise für die Beschleunigungvon geladenen Teilchen in Stoßwellen und in starkenvariablen Magnetfeldern und die dabei abgestrahltenNeutrinos. Die beiden Energiefenster (keV-MeV undTeV-PeV) sind etwa so weit voneinander entfernt wieRadiowellen und sichtbares Licht oder sichtbares Lichtund Gamma-Strahlen. Die extremen Entfernungen, indenen sich die entsprechenden Objekte wie etwa Dop-pelsternsysteme oder aktive Galaxien befinden, werdennur unzulänglich durch den mit der Energie wachsen-den Wirkungsquerschnitt der Neutrinos wettgemacht.Darum müssen entsprechende Detektoren sehr großsein, so dass sie nicht mehr unterirdisch, sondern nur inoffenen Gewässern oder in Gletschereis gebaut werdenkönnen.

    Die Neutrino-Astrophysik-Gruppe in DESY-Zeuthenbeteiligt sich an zwei derartigen Experimenten. DasSchwergewicht der Aktivitäten liegt bei AMANDA,dem Neutrinoteleskop am Südpol, und bei seinemFolgeprojekt, dem kubikkilometer-großen IceCube-Teleskop.Der zweiteDetektor ist NT-200 imsibirischenBaikalsee. AMANDA und NT-200 sind die zur Zeit

    mit Abstand größten Neutrinoteleskope. Sie ergänzensich durch ihre geographisch komplementäre Lage unddurch die unterschiedlichen Eigenschaften von Was-ser und Eis – mit den damit verbundenen spezifischenmethodischen Besonderheiten.

    Das hauptsächliche Nachweisprinzip von Teleskopenfür hochenergetische Neutrinos besteht in der Registrie-rung und klaren Identifizierung von aufwärts laufendenMyonen. Nur Neutrinos können den Erdball durchque-ren und erzeugen, im Falle von Wechselwirkungen überden geladenen Strom, Myonen. Unterwasserteleskopebestehen aus einer gitterförmigen Anordnung von Pho-tomultipliern (PMs), mit deren Hilfe das Cherenkov-Licht der Myonen registriert wird. Gemessen werdenAnkunftszeit (mit einer Genauigkeit von 1–5 ns) undStärke der Lichtsignale, woraus Richtung und Energieder Myonen rekonstruiert werden.

    AMANDA

    Im Falle von AMANDA sind die PMs tief in dem 3 kmdicken Eisschild der Antarktis eingefroren. Der im Ja-nuar 2000 vollendete AMANDA-II Detektor bestehtaus 19 Trossen (,,Strings“), die über fünf Jahre hin-weg installiert wurden. AMANDA-II hat eine effektiveFläche von 25 000 m2 für 1 TeV-Myonen und ist damitetwa 25-mal so sensitiv wie die größten unterirdischenNeutrino-Detektoren. Mit seinen zusätzlichen neun äu-ßeren Strings kann er insbesondere Spuren nahe demHorizont weit besser rekonstruieren als AMANDA-B10, die 1997 vollendete Ausbaustufe mit zehn Strings.Das führt zu einer verbesserten Winkelakzeptanz undetwa drei Neutrino-Kandidaten pro Tag.

    Nachdem die Analyse der im Jahre 1997 mitAMANDA-B10 genommenen Daten abgeschlossen ist,stand im laufenden Jahr die Analyse der 1998, 1999und 2000 genommenen Daten im Vordergrund. Die Da-ten aller drei Jahre wurden vollständig aufbereitet – dasheißt gefiltert, nachgeeicht, rekonstruiert – und danachin verschiedene interessante Ereignisklassen für Neu-trinokandidaten aufgeteilt. Erste Physikresultate liegenbisher für drei Analysen vor: für die Suche nach Punkt-quellen, für die Suche nach Neutrinos, die mit GammaRay Bursts (GRB) korreliert sind, und für das StudiumdesEnergiespektrumsderNeutrinos.DieGRB-Analyse

    151

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    24h 0h

    °−90

    °90 697 events

    Abbildung 91: Himmelskarte von 697 Neutrino-Ereignissen, die mit AMANDA im Jahr 2000 identifiziertwurden.

    umfasst die Jahre 1997–2000, die beiden anderen Stu-dien nutzen die 2000er Daten. Die Analysen wurdenin Zeuthen (Punktquellen), in Madison (GRB) und inWuppertal (Energiespektrum) durchgeführt.

    Abbildung 91 zeigt die Himmelskarte von 697 Neutri-no-Ereignissen, die aus den Daten des Jahres 2000 ge-filtert wurden. Abbildung 92 zeigt die Grenzen an denMyonfluss, die sich aus der Analyse der Himmelskarteergeben. Die mit den 2000er AMANDA-Daten für denNordhimmel erhaltenen Grenzen liegen unter jenen, dieMACRO und Superkamiokande für den Südhimmel er-halten haben. AMANDA-II hat einen fast doppelt sogroßen Durchmesser wie AMANDA-B10. Daher ergibtsich eine wesentlich bessere Sensitivität am Horizont.Die Abbildung zeigt auch die Grenzen, die von derAnalyse aller zwischen 1997 und 2002 genommenenDaten erwartet werden. Man sieht, dass unter ande-rem ein Modell für die Neutrino-Erzeugungsgalaxisin Mikroquasaren, in diesem Fall für SS-433, das be-kannteste derartige Objekt in unserer Galaxis, getestetwerden kann.

    Bei der GRB-Analyse wird nach Koinzidenzen vonNeutrino-Ereignissen mit Bursts gesucht, die durch denBATSE-Detektor an Bord des ,,Gamma Ray Observa-tory“ (GRO) registriert wurden. BATSE hat bis Mai2000 Daten genommen. Die Suchfenster sind sechs Mi-nuten lang, eine Minute vor und fünf Minuten nach demBATSE Burst. Aus der Analyse der Jahre 1997, 1999und 2000 ergibt sich eine Fluss-Grenze, die nur noch

    Abbildung 92: Flussgrenzen für Myonen, die von Neu-trinos aus Punktquellen stammen. Die über viele Jahregewonnenen Grenzen von Untergrund-Detektoren aufder Nordhalbkugel und jene aus den 2000er Daten vonAMANDA ergänzen sich geografisch, bei etwa gleichemSensitivitäts-Niveau.

    etwa um einen Faktor 10 über der Modellvorhersagevon Waxmann und Bahcall liegt. Dieses Modell dientalsStandard-Vergleich fürGRB-Sensitivitäten.Andere,optimistischere Modelle, zum Beispiel das von Halzenund Hooper, werden schon jetzt ausgeschlossen.

    Fortschritte wurden bei der Rekonstruktion der Myon-Energie gemacht, hier vor allen Dingen durch Ver-besserung des Eismodells und der Beschreibungdes Myon-Energieverlustes. Abbildung 93 zeigt denNeutrino-Fluss als Funktion der Neutrino-Energie. DasNeutrino-SpektrumwurdedurchFaltungausdemSpek-trum der rekonstruierten Myon-Energien gewonnen.Die AMANDA-Analyse dehnt den Bereich der bisherbesten Daten, die mit dem Frejus-Detektor vor mehrals zehn Jahren gewonnen wurden, um mehr als eineGrößenordnung in der Energie aus. Da keine Abwei-chung vom vorhergesagten Spektrum für atmosphäri-sche Neutrinos (E−3.7-Verhalten) beobachtet wird, kannman eine obere Grenze für den diffusen Fluss vonNeutrinos aus Quellen mit einem E−2-Spektrum ab-leiten. Sie liegt mit dF/dE ·E2(E > 40 TeV) < 0.15 ·10−6 GeVcm−2s−1sr−1 um einen Faktor 2 unter derje-nigen oberen Grenze, welche sich aus den 1997er Datenergab. Eine andere Suche nach einem Überschuss diffuseinfallender, energetischer Neutrinos (Madison) nutzt

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  • Forschungsthemen DESY ZeuthenF

    lux

    d/d

    E in

    GeV

    cm

    s

    sr

    φ−1

    −2−1

    −1

    10 −1

    10 −2

    10 −3

    10 −4

    10 −5

    10 −6

    10 −7

    10 −8

    10 −9

    10 −10

    10 −11

    10 −12

    10 −13

    10 −14

    10 −15

    10 −16

    10 −1710 −1 102 103 104101

    FREJUS

    this work

    E in GeVν

    Abbildung 93: Energiespektrum für eine annäherndreine Gesamtheit von Neutrinos, die im Jahr 2000 mitAMANDA registriert wurden.

    vereinfachend die Anzahl der getroffenen Photomul-tiplier als Maß der Energiedeposition und kommt zueiner ähnlichen Grenze.

    AMANDA setzt mit diesen drei Ergebnissen die erstenSchritte der Neutrino-Astronomie aus dem eher me-thodischen Stadium in ein astrophysikalisch relevantesGebiet fort.

    Weitere Analysen der 2000er Daten befinden sich ineinem vorläufigen Zustand, zum Beispiel die Suchenach hochenergetischen Kaskadenereignissen (DESY),die Suche nach Neutrinobursts ohne eine Begleitungdurch GRBs (DESY) oder die Suche nach Neutri-nos aus WIMP-Annihilationen in der Sonne oder imErdzentrum (Schweden und Belgien).

    Das Monitoring von AMANDA verläuft problemlos.Die Datennahme wird in wochenweise auf die Institu-tionen verteilten Schichten kontinuierlich überwacht.Die Daten werden am Pol durch einen Online-Filtergeschickt und danach rekonstruiert. Erste Neutrino-Kandidaten stehen damit im Prinzip wenige Tage nachihrer Aufzeichnung zur Verfügung. Das aktuelle ,,Neu-trino of the Day“ kann unter http://butler.physik.uni-mainz.de/∼becka/daily_nus/ betrachtet werden.

    In der kommenden Saison werden alle Kanäle vonAMANDAmitFlash-ADCsausgerüstet.DESYhat sichhierbei durch den Kauf von FADCs und durch die Ent-wicklung von Analyse-Software beteiligt. DESY hataußerdem einen GPS Verteiler-Modul entwickelt, deres erlaubt, alle AMANDA-Komponenten einheitlichmit den Signalen eines GPS-Gebers anzusteuern.

    IceCube

    Der geplante IceCube-Detektor soll aus 4800 PMsan 80 Strings bestehen, bei 125 m Stringabstand und16 m Abstand zwischen den PMs entlang eines Strings.AMANDA-II soll in IceCube integriert werden. Dergegenwärtige Plan sieht vor, mindestens vier, maximalacht Strings in der Saison 2004/05 zu installieren. Inden Folgejahren sollen dann bis zu 16 Strings pro Jahrinstalliert werden, so dass der Detektor im Jahre 2010fertig gestellt sein kann.

    DESY Zeuthen wird im IceCube-Projekt folgendeSchwerpunktaufgaben übernehmen:

    – In Zusammenarbeit mit den Universitäten Mainzund Wuppertal werden in Zeuthen 1300 optischeModule montiert und getestet. Die Test- und Mon-tagestände wurden in diesem Jahr entworfen.

    – Die PM-Information wird im optischen Modul di-gitalisiert und dann über elektrisches Kabel an dieOberfläche übertragen. Dieses Konzept wird DOM(Digitaler Optischer Modul) genannt. Die vollstän-dige Ausleseelektronik für 40 Test-DOMs an demAMANDA String Nr. 18 wurde 2001 in Zeuthengebaut und erfolgreich am Pol installiert. DESYZeuthen ist verantwortlich für die Entwicklung desEmpfangsteils der IceCube DOMs an der Oberflä-che. Dieser Modul ist gegenwärtig in der Endphaseder Entwicklung.

    – DESY Zeuthen wird als europäisches Zentrum fürdie Massenprozessierung von experimentellen wieauch von Monte Carlo-Daten und als deutschesAnalysezentrum dienen.

    – DESY Zeuthen wird sich an der Software-Entwicklung für IceCube beteiligen.

    Eine für IceCube neue Idee ist der Einsatz von akusti-schen Detektoren, die auf hochenergetische Kaskaden-Ereignisse sensitiv sind. Elektromagnetische Kaskaden

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    in Eis haben eine Länge von 5–10 m und einen Durch-messer von etwa 10 cm. Bei hohen Energien reichtdie Energiedeposition durch Ionisation aus, um dasMedium merklich aufzuheizen, was zu einer akusti-schen Stoßwelle mit Frequenzen im Bereich von 10–50 kHz führt. Die Abklinglänge beträgt mehrere Ki-lometer – im Vergleich zu maximal hundert Meternfür sichtbares Licht. Ein genügend großes Primärsi-gnal vorausgesetzt, kann man darum mit dieser Me-thode Neutrinoreaktionen über sehr große Distanzennachweisen.

    Akustische Detektoren wurden auch für existierendeund geplante Unterwasser-Neutrinoteleskope vorge-schlagen. Entsprechende methodische Untersuchungenwurden mit Tiefsee-tauglichen Hydrophonen durchge-führt. Da diese Technik im Eis nicht anwendbar ist,wurde bei DESY Zeuthen im vergangenen Jahr mitder Entwicklung von akustischen Empfängern begon-nen, die direkt an die Glaskugeln der optischen Modulegekoppelt werden können. Erste Messungen an einemEisblock in einer Kühltruhe im Labor ergaben hoheEmpfindlichkeiten für akustische Signale, die mecha-nisch, elektrisch – mittels Piezo-Elementen – und miteinem Laser im Eis erzeugt wurden.

    Im nächsten Jahr werden die bei DESY entwickel-ten Sensoren in Zusammenarbeit mit der UniversitätUppsala am dortigen Beschleuniger getestet werden.Ein hochintensiver Strahl von 180 MeV Protonen wirdin wenigen Mikrosekunden in einem Eisblock ge-stoppt. Intensität und Geometrie des Strahls las-sen sich variieren und erlauben einen umfassendenTest der Eigenschaften der akustischen Empfänger.Diese Eigenschaften werden in einem Simulationspro-gramm benutzt, um die Nachweiswahrscheinlichkeitdes IceCube-Detektors für Neutrino-induzierte Kaska-den bestimmter Energie zu ermitteln.

    Das Baikal-Experiment

    Das Baikal-Teleskop NT-200 umfasst 192 Photomul-tiplier an acht Trossen und registriert durchschnittlichalle drei Tage ein Ereignis mit klarer Neutrino-Signatur.Die Energieschwelle liegt bei etwa 10 GeV.

    NT-200 ist das sensitivste Teleskop für hochenergeti-sche Neutrinos auf der Nordhalbkugel. Diese Situation

    wird sich nicht ändern, bis im Jahre 2004/05 ANTARESim Mittelmeer seine Arbeit aufnimmt. Für die Suchennach transienten Quellen, die eventuell 2004 nicht mehrin einem ,,high-state“ sind, oder nach Neutrinos ausGamma Ray Bursts ist der Baikal-Detektor daher inden nächsten drei Jahren sehr wichtig.

    Für die Untersuchung des diffusen Flusses ist es nichtvon Bedeutung, auf welcher Hemisphäre sich der De-tektor befindet. Zum anderen hat sich aber herausge-stellt, dass mit NT-200 eine Obergrenze für diffuse Neu-trinos bestimmbar ist, die nur um etwa einen Faktor 2schlechter ist als jene des viel größeren AMANDA-Detektors. Die Suchstrategie zielt nicht auf Myonenab, die den Detektor durchqueren, sondern auf elektro-magnetische oder hadronische Schauer in einem sehrgroßen Volumen unterhalb des Detektors. Dieses Volu-men ist um ein Vielfaches größer als das geometrischeVolumen des Detektors. Eine solche Strategie ist nurin Wasserdetektoren mit ihrer geringen Lichtstreuung,nicht aber im antarktischen Eis möglich. Aus der Nicht-beobachtung von quasi-punktförmigen Ereignissen mithoher Lichtemission ,,von unten“ konnte eine obereGrenze für den Fluss hochenergetischer, diffus eintref-fender Neutrinos aus Quellen mit einem E−2-Spektrumzu

    dF/dE ·E2 < 0.95 ·10−6 GeVcm−2s−1sr−1abgeleitet werden. Diese Grenze basiert auf der Analyseder Daten der Jahre 1996, 1998 und 1999.

    In den nächsten zwei Jahren plant die Kollaboration, dieSensitivität auf diffuse Flüsse um einen Faktor vier zuverbessern. Das soll durch einen moderaten Ausbau umnur 22 PMs an drei Strings geschehen, die in einemAbstand von 70 Metern zu NT-200 angeordnet sind.Dieser NT200+ genannte Detektor wird zusammen mitAMANDA die Grenzen für diffus einfallende Neutrinosverbessern und als Kontrollexperiment im Falle einespositiven Befundes bei AMANDA dienen können.

    TheoretischeElementarteilchenphysik

    Theoretische Untersuchungen wurden auf den Gebietender störungstheoretischen Quantenfeldtheorie des Stan-dardmodells, der Gitter-Eichtheorie und allgemeinerAspekte von Quantenfeldtheorien durchgeführt.

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Quantenchromodynamik

    Perturbative Untersuchungen auf dem Gebiet der star-ken Wechselwirkung (QCD) befassten sich mit Fra-gestellungen aus dem Bereich der unpolarisierten undpolarisierten tiefunelastischen Streuung.

    Die Analyse der polarisierten tiefunelastischen Welt-daten wurde fortgesetzt [hep-ph/0203155, 0206286].Im Vergleich mit unabhängigen Messungen semi-inklusiver Kanäle zeigt sich eine sehr gute Überein-stimmung mit den aus inklusiven Daten bestimmtenParton-Verteilungsfunktionen.

    Mit Techniken, die für die Nicht-Vorwärtsstreuung ent-wickelt worden sind, wurde die Struktur des diffrak-tiven Streuprozesses für polarisierte Lepton-Hadron-Streuung untersucht und dessen Skalar-Verhaltenberechnet. Es besteht auch in diesem Fall eineWandzura-Wilczek Relation zwischen den beidenStrukturfunktionen g1 und g2. Für große diffraktiveImpulsüberträge ergeben sich acht Strukturfunktionen[DESY 02-011]. Eine erste Messung dieses Prozesseswird im COMPASS-Experiment (CERN) erwartet. DieTargetmassen-Korrekturen zu diesem Prozess wurdenuntersucht.

    Im Rahmen des störungstheoretischen Zugangs zurQCD wurde für die Strukturfunktion der tiefunelas-tischen Streuung die Berechnung der anomalen Di-mensionen zu drei Schleifen in Angriff genommen.Diese Korrekturen in nächst-nächst-führender Ordnung(NNLO) sind sehr wichtig, um hinreichend genauetheoretische Vorhersagen für die zu erwartende expe-rimentelle Präzision der HERA-Experimente H1 undZEUS zu haben, insbesondere für eine Präzisionsmes-sung und Präzisionsanalyse der Kopplungskonstantender starken Wechselwirkung αs. Als erster Schritt indiese Richtung wurden die fermionischen Beiträge zuden Nicht-Singulett-Strukturfunktionen F2 und FL be-rechnet [DESY 02-128].

    Eine wichtige physikalische Größe für zukünftige Testsder QCD an Hochenergie-Linearbeschleunigern ist der3-Jet-Wirkungsquerschnitt für die e+e−-Annihilation.Gegenwärtig wird diese Größe durch verschiedeneGruppen berechnet. Hierbei ist die Entwicklung ver-schiedener neuer Technologien zur Berechnung vonSchleifen-Integralen von Bedeutung. Die fermioni-

    schen Beiträge zu den NNLO Korrekturen wurdenberechnet [hep-ph/0210009, 0211156].

    Weiterhin wurden QCD Zweischleifen-Korrekturenzum Streuprozess gg → γγ, einem Hintergrundpro-zess zur Produktion des Higgs-Bosons an Hadron-Beschleunigern, berechnet [DESY 02-202].

    QED-Korrekturen höherer Ordnung wurden mit Hilfevon QCD-Techniken systematisch untersucht. Es wur-den vollständige analytische Resultate für die Flavor-Nicht-Singulett und Singulett-Beiträge zur Lösung derEvolutionsgleichungen für das Elektron (Positron)-Photon System zu O(α(ln(S/m2e)

    5) im Falle der unpola-risierten und polarisierten Streuung berechnet [DESY02-016, hep-ph/0206286]. Diese Korrekturen habenuniversellen Charakter und sind sowohl in der ep- alsauch in der e+e−-Streuung bei hohen Energien vonBedeutung. Für die tiefunelastische ep-Streuung wur-denwichtigeQED-KorrekturenaufdemZweischleifen-Niveau berechnet [DESY 02-193].

    Elektroschwache Theorie

    Im Hinblick auf TESLA ist ein genaues Verständnisder wichtigsten Standardprozesse wichtig. Dies erfor-dert eine Berechnung der Strahlungskorrekturen beiwesentlich höheren Anforderungen (höhere Energie,komplexere Endzustände, höhere Genauigkeit). Hierwurde eine langfristige Planung entwickelt, um diewesentlichen Probleme schrittweise zu lösen, und eswurden weitere Fortschritte erzielt: So wurde der ana-lytische Teil der Berechnung der Higgs-Produktion ine+e− → ν̄eνeH angeschlossen und neue Tools zur nu-merischen Auswertung ausgearbeitet [DESY 02-210].Die erste vollständige Zweischleifen-Berechnung derPol-Massen der W- und Z-Bosonen im Standardmo-dell steht vor dem Abschluss [DESY 02-156]. Hierkonnten wichtige konzeptionelle Fragen im Zusam-menhang mit der Renormierung von instabilen Teil-chen erstmals durch konkrete Berechnung auf demZweischleifen-Niveau geklärt werden.

    Durch neue präzisere experimentelle Ergebnisse zumanomalen magnetischen Moment des Myons entstehtwiederum die Frage, ob die Abweichung zwischenTheorie und Experiment auf Physik jenseits des Stan-dardmodells hinweist. Zur Klärung der Signifikanz geht

    155

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    es dabei im Wesentlichen um eine Verbesserung dertheoretischen Voraussagen hadronischer Effekte. Hierkommen einerseits neue theoretische Ansätze zur An-wendung, andererseits werden bessere Daten nieder-energetischer Wirkungsquerschnitte benötigt. Es wurdeuntersucht, wie man hier die systematischen Fehlerweiter reduzieren kann [DESY 02-155].

    Die Untersuchungen der elektroschwachen Korrektu-ren zur Top-Paarerzeugung bei TESLA wurden fort-gesetzt und in Zusammenarbeit mit anderen Forscher-gruppen mit gründlichen numerischen Vergleichen zueinem vorläufigen Abschluss gebracht. Die Resul-tate sind in zwei Publikationen dokumentiert [hep-ph/0202109, 0203220].

    Berechnungen der virtuellen Zweischleifen-Korrektu-renzurBhabha-Streuung,wiesiebeiTESLAimgeplan-ten Vorwärtskalorimeter zu beobachten sein wird, wur-den begonnen. Erste Teilresultate über die Beiträge derso genannten faktorisierbaren Feynman-Diagrammesind in analytischer Form bestimmt worden [hep-ph/0211167, 0210180].

    Untersuchungen zur Resummation von Sudakov-Lo-garithmen in der elektroschwachen Theorie wurdendurchgeführt [hep-ph/0209100].

    Gitter-Eichtheorie

    Die von DESY Zeuthen koordinierte ALPHA Kollabo-ration dehnte ihre Berechnung der Energieabhängigkeitder fundamentalen Größen in der QCD auf die renor-mierten Quarkmassen aus [DESY 02-125]. Hier wur-den erste vielversprechende Resultate mit der pertur-bativen Renormierungsgruppe verglichen. Gleichzeitigwurde die bereits veröffentlichte Energieabhängigkeitder starken Kopplung weiter präzisiert [DESY 02-124].Effekte endlichen Volumens spielen in der numerischenBehandlung der QCD eine (meist störende) wichtigeRolle. Für den Fall der Pion-Massen wurde eine analy-tische Berechnung mittels der chiralen Störungstheoriebegonnen [DESY 02-131]. Die Behandlung schwererQuarks in der Gittereichtheorie wurde weiter vorange-trieben [DESY 02-130] und der in Zeuthen neu ent-wickelte Zugang der nichtperturbativen ,,Heavy QuarkEffective Theory“ wurde insbesondere auf der Tagung,,Lattice 2002“ in Boston vorgetragen [DESY 02-130].

    Weitere Arbeiten befassten sich mit der Eichfixierung inGittereichtheorien [DESY 02-121], dem Vergleich vonGitterresultaten mit chiraler Störungstheorie [DESY02-121, 160] und der Untersuchung der Universalitätin der reinen Gluondynamik [DESY 02-129].

    Allgemeine Feldtheorie

    Eine einheitliche Behandlung von Wess-Zumino-Novikov-Witten (WZNW)-Modellen und ihrer mög-lichen Eichungen (,,Cosets“) hat neue Wege zu derenInterpretation und zur Lösung von Problemen eröff-net. Für die periodischen SL(2,R)-Theorien wurde dienoch ausstehende Quantisierung der kanonischen Null-moden auf der Halbebene ihres Phasenraumes am Bei-spiel der Liouville-Theorie durchgeführt. Das Resultatist jedoch anwendbar für die ganze Klasse der SL(2,R)-Theorien. Es wurde insbesondere die Frage nachder Selbstadjungiertheit der Nullmoden-Operatoren imHilbert-Raum positiv beantwortet. Das ist eine Vor-aussetzung zur Berechnung physikalischer Korrelati-onsfunktionen dieser in vielfacher Anwendung vor-kommenden SL(2,R)-Theorien. Überraschenderweisewurden durch die von uns ausschließlich benutztenOperatormethoden Resultate bestätigt und begründet,die durch Anwendung von Methoden der Wegintegra-tion heuristisch in die Diskussion gebracht worden wa-ren. Damit eröffnet sich ein neuer Weg zur Berechnungvon Korrelationsfunktionen von WZNW-Theorien.

    Internationale Zusammenarbeitund Drittmittel-Projekte

    Im Berichtszeitraum arbeitete der Bereich Theorie infünf TMR-Netzwerken der Europäischen Union mit.Dies sind:

    – EURODAPHNE,

    – Quantum Chromodynamics and the Deep Structureof Elementary Particles,

    – Hadron Phenomenology from Lattice QCD,

    – Particle Physics Phenomenology at High EnergyColliders,

    156

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    – EURIDICE: European Investigations on DAPHNEand other International Collider Experiments usingEffective Theories of Colors and Flavours from thePhi to the Upsilon.

    Das Deutsch-Georgische Kooperationsprojekt ,,Inte-gration und Quantisierung nicht-nilpotenter geeichterWess-Zumino-Novikov-Witten konformer Feldtheo-rien“ wurde von der DFG unterstützt.

    Die Gruppe ist am INTAS-Projekt ,,Integrability in Sta-tistical Physics and Quantum Field Theories“ beteiligt.

    Die ALPHA-Kollaboration, an der Wissenschaftler derUniversitäten HU Berlin, Münster, Milano, Rom-II,Madrid und der Institute CERN, MPI München undDESY Hamburg beteiligt sind, wird von DESY Zeuthenkoordiniert.

    Es besteht eine enge Zusammenarbeit der Theorie-gruppe mit Instituten für Theoretische Physik am Ha-rish Chandra Research Institute Allahabad/IND, demNIKHEF, Amsterdam/NL, der Humboldt Universität zuBerlin und den Universitäten Bielefeld, Cottbus, Leidenund Leipzig.

    Der Bereich Theorie ist am Graduiertenkolleg ,,Struk-turuntersuchungen, Präzisionstests und Erweiterun-gen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik“(HU Berlin, FU Berlin, DESY Zeuthen, TU Dresden,MPI Potsdam) beteiligt.

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Son-derforschungsbereich/Transregio ,,ComputergestützteTheoretische Teilchenphysik“ mit Projektbeginn am1.1. 2003 genehmigt. Beteiligt sind Gruppen der RWTHAachen, der HU Berlin, der TU Karlsruhe und dieTheoriegruppe von DESY Zeuthen.

    APE Projekt/Entwicklungvon Parallelrechnern

    Die starke Wechselwirkung zwischen Elementarteil-chen wird durch eine Feldtheorie, die Quantenchro-modynamik (QCD), beschrieben. Deren nichtlineareGrundgleichungen lassen sich jedoch (noch) nicht ana-lytisch lösen. Daher stellen numerische Simulationen

    auf einem diskretisierten Raumzeit-Gitter die wich-tigste Möglichkeit dar, die Theorie quantitativ zu über-prüfen und die Größen genau zu berechnen, die für dieInterpretation von experimentellen Messungen benötigtwerden.

    Im Januar 2002 hat in Zeuthen die letzte Ausbaustufeder neuen Supercomputer vom Typ APEmille den Pro-duktionsbetrieb aufgenommen. Dieser massiv paralleleSpezialrechner ist speziell für Rechnungen in der Gitter-QCD optimiert und wurde in einer Zusammenarbeit vonDESY mit dem Istituto Nazionale di Fisica Nucleare(INFN) in Italien entwickelt.

    Die jetzige Installation umfasst über 1000 Prozessoren,die zusammen mehr als 500 Milliarden Gleitkomma-Operationen pro Sekunde durchführen können. Der Da-tenaustausch zwischen den Prozessoren erfolgt überein leistungsfähiges synchrones Netzwerk. Ein Verbundvon 32 marktüblichen PCs, die mit dem BetriebssystemLinux operieren, ermöglicht den Zugriff auf die Rech-ner. Ähnlich wie die vorhergehende RechnergenerationAPE100 haben sich die APEmille Systeme inzwischenals sehr stabil erwiesen und zeichnen sich durch mo-deraten Betriebs- und Wartungsaufwand aus. Der Be-trieb der APE-Rechner wird gemeinsam von Mitarbei-tern der APE-, NIC- und DV-Gruppe gewährleistet. DieRechenzeit wird von DESY über das John von Neu-mann Institut für Computing (NIC) der Forschung zurVerfügung gestellt.

    Die große Rechenleistung von APEmille wird jedoch inZukunft nicht mehr ausreichen, um international kon-kurrenzfähige Großforschungsprojekte in der Gitter-QCD durchführen und detaillierte quantitative Vorher-sagen von Messgrößen der QCD machen zu können.Für diese Projekte sind Rechenleistungen von einigen10 Tflops erforderlich. Daher wird in Zusammenarbeitzwischen INFN, DESY/NIC und der Université ParisSud ein Nachfolgesystem, apeNEXT, entwickelt.

    Bei dem neuen Supercomputer werden alle wesentli-chen Funktionen, wie Arithmetik, Programmkontrolleund Kommunikation, auf einem einzigen ASIC Chipintegriert. Dies ermöglicht eine kompaktere Bauweisemit 16 Prozessoren pro Board. Eine wesentliche Archi-tekturerweiterung gegenüber APEmille besteht darin,dass die einzelnen apeNEXT-Prozessoren unabhängigarbeiten können. Der Prozessor ist so konstruiert, dass

    157

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Kommunikation und arithmetische Operationen gleich-zeitig ausgeführt werden können und die Synchronisa-tion zwischen den Knoten automatisch beim Datenaus-tausch erfolgt. Dadurch sind Systeme mit mehr Knotenund höherer Effizienz realisierbar.

    Nachdem Anfang 2002 das Design aller wichtigenKomponenten von apeNEXT vorlag, konzentriertensich die Anstrengungen der beteiligten Wissenschaft-ler auf die sehr komplexen Tests zur Überprüfung derLeistungsfähigkeit und der korrekten Funktionalität desneuen Prozessors. Neben der Entwicklung der Com-piler war die Zeuthener APE-Gruppe auch an diesenArbeiten maßgeblich beteiligt.

    Das ehrgeizige Ziel der apeNEXT Kollaboration istes, trotz der Verzögerungen bei der endgültigen Opti-mierung und Fertigung des Chips bis Mitte nächstenJahres größere Prototyp-Systeme (1 crate 400 GflopsRechenleistung) aufzubauen und in Betrieb zu nehmen.

    NIC bei DESY Zeuthen

    Das John von Neumann Institut für Computing (NIC)wird gemeinsam vom Forschungszentrum Jülich undvon DESY getragen. Das NIC stellt Forschern, diesich mit wissenschaftlichem Rechnen befassen und ins-besondere numerische Simulationen durchführen, diehierfür notwendige Rechenleistung zur Verfügung.

    Die Forschergruppe Elementarteilchenphysik des NICist am DESY Zeuthen beheimatet. Das Forschungs-programm der NIC-Theorie-Gruppe konzentriert sichauf Untersuchungen in der Quantenchromodynamik alsdem allgemein akzeptierten Modell der starken Wech-selwirkung. Das Ziel der Forschung ist, mittels abinitio-Rechnungen Vorhersagen aus der QCD abzulei-ten,ohneauf zusätzlicheApproximationenoder Annah-men zurückgreifen zu müssen. Die Hauptmethode sind,,Computerexperimente“, bei denen in sehr aufwändi-gen numerischen Simulationen physikalische Größenberechnetwerden,diemitdemExperimentvergleichbarsind. Dabei werden nur die Gleichungen des zugrundeliegenden physikalischen Modells herangezogen, sodass eine direkte und zweifelsfreie Überprüfung ei-nes gegebenen physikalischen Modells vorgenommenwerden kann.

    Forschungsergebnisse

    Ein viel versprechender Fortschritt konnte in derAlgorithmus-Entwicklung erzielt werden. In einer de-taillierten Studie wurde der so genannte Hasenbusch-Algorithmus ausführlich getestet. Dabei erweist es sich,dass man mehr als einen Faktor zwei an Effizienz gegen-über herkömmlichen Algorithmen erzielen kann, wiesie etwa in groß angelegten Simulationen der britischenUKQCD oder der japanischen CP-PACS Kollaboratio-nen verwendet werden. Für kleine Werte von Quark-massen lassen Vergleiche mit neueren Simulationen beiVerwendung des modifizierten Fermion-Algorithmussogar eine Verbesserung um etwa einen Faktor zehnerwarten.

    Die QCD ist auf dem Niveau der Quarkfelder durch ihreParameter, die Kopplungskonstante und die Quarkmas-sen, gegeben. Diese fundamentalen Größen können aufdem Gitter berechnet werden. Erste Ergebnisse für dieseextremwichtigen Parameter in der vollen Theorie liegenvor. Allerdings können momentan noch keine direktenVergleiche mit experimentell gemessenen Werten die-ser Parameter vorgenommen werden, da ein numerischsehr aufwändig zu berechnendes Glied in der Kette,die physikalische Skala, bisher noch nicht bestimmtwerden konnte.

    Chiral invariante Formulierungen der QCD auf demGitter nehmen einen immer breiteren Raum in Si-mulationen der Gitter-QCD ein. Diese Formulierun-gen werden insbesondere im Bereich sehr kleinerQuarkmassen wichtig. In den letzten Jahren konntedie analytische Grundlage im Rahmen der chiralenStörungstheorie geschaffen werden, um die nume-risch gewonnenen Daten interpretieren zu können.Erste Simulationsergebnisse, die mit den theoreti-schen Vorhersagen der chiralen Störungstheorie kon-frontiert werden können, wurden produziert, und inKürze wird eine Analyse vorliegen. Die Forschungs-aktivitäten zu den chiral invarianten Formulierungender Gitter-QCD sind von großer Wichtigkeit, umdie Extrapolation numerisch erzielter Ergebnisse, diebei unphysikalischen Werten von Quarkmassen ge-wonnen werden, zum physikalischen Punkt vorzu-nehmen.

    Berechnungen des Hadron-Spektrums und von Struk-turfunktionen sind Beispiele, bei denen Gitterrechnun-

    158

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    gen direkt mit dem Experiment vergleichbar sind unddie einen unmittelbaren Test der QCD liefern kön-nen. Beide Aspekte werden innerhalb der QCDSF-Kollaboration verfolgt. Unabhängig und mit einem al-ternativen Zugang beschäftigt sich auch die Zeuthen-Rom (ZeRo)-Kollaboration mit der Untersuchung derSpinstruktur von Hadronen. Im Berichtsjahr konntenauf diesem Feld Fortschritte im Verständnis des chira-len Limes erzielt werden. Außerdem werden erste Er-gebnisse in der vollen Theorie gewonnen. Diese zeigenüberraschenderweise keinen Unterschied zu den in derValenzquark-Approximation gewonnenen Resultaten.Der Grund ist vermutlich, dass die Simulationen immernoch bei großen, unphysikalischen Werten der Quark-masse durchgeführt werden. Simulationen bei kleinerenQuarkmassen, die Rechenleistung im Teraflopbereichbenötigen, sind sicher eines der Themen der nächstenJahre.

    Es wird allgemein vermutet, dass Phänomene wie,,Confinement“ und chirale Symmetriebrechung engmit topologischen Strukturen der Eichfeldkonfiguratio-nen (Instantonen, Monopole) korreliert sind. Die Unter-suchung dieser topologischen Strukturen könnte eineErklärungdieser physikalischenPhänomene liefernunddamit zu einem besseren Verständnis der QCD führen.Erste Untersuchungen zeigen deutliche Unterschiedezwischen der QCD in der Valenzquark-Approximationund der vollen Theorie.

    Durch den Einsatz neuer statistischer Methodenkann eine Spektralanalyse der auf dem Gitter be-rechneten Korrelationsfunktionen vorgenommen wer-den. Dadurch kann die Temperaturabhängigkeit vonhadronischen Parametern durch Veränderungen derSpektralverteilung sichtbar gemacht werden. DieseMethode wurde erfolgreich in der Physik bei nicht-verschwindender Temperatur eingesetzt. Als Ergebniskonnten zum ersten Mal Dilepton- und Photon-Ratenbestimmt werden, die unmittelbar für Experimente wieetwa am RHIC von Relevanz sind.

    Weitere Themen der NIC-Gruppe waren Hochpräzisi-onsstudien von niedrig-dimensionalen Spinmodellen.So wurden dort die Korrekturen endlicher Tempera-tur in zweidimensionalen integralen Modellen unter-sucht. Die Bestimmung der Effekte des QCD-Stringsauf Polyakov-Schleifen-Korrelationsfunktionen tragenzum Verständnis der QCD bei großen Abständen bei.

    Diese Frage, die momentan intensiv in der Literatur dis-kutiert wird, ist auch ein Gegenstand des Forschungs-programms der NIC-Gruppe.

    Rechnerentwicklung

    Der enorme Rechenbedarf, der bei Simulationen dy-namischer Quarks besteht, ist nur durch den Einsatzhöchstleistungsfähiger Rechner zu erzielen. Die NIC-Gruppe beteiligt sich an der Entwicklung, der Instal-lation und dem Betrieb von speziell auf Anwendun-gen in der QCD ausgerichteten APE (Array ProcessorExperiment) Rechnern.

    Von der NIC-Gruppe wurde auch ein PC-Cluster ge-nutzt. Auf diesem System konnte die oben geschil-derte Algorithmusuntersuchung durchgeführt werden.Das System arbeitete stabil, und es hat sich gezeigt,dass solche Rechner ideal dazu geeignet sind, Projektezu rechnen, die etwas außerhalb der ,,mainstream“ Pro-duktionsrechnungen für langfristige Projekte liegen.

    Internationale Zusammenarbeit

    Die NIC-Gruppe ist an mehreren internationalen Kol-laborationen beteiligt.

    Sie ist involviert in der ALPHA-Kollaboration, dieeuropaweit vernetzt ist. Es gibt zudem enge Zusam-menarbeiten mit Gruppen am CERN und in Rom undMarseille.

    Die QCDSF-Kollaboration unterhält enge Verbindun-gen mit der britischen UKQCD-Kollaboration und mitder Lattice Hadron Physics Collaboration (LHPC) amJefferson Lab.

    Die NIC-Gruppe ist an drei internationalen Netzwerkenbeteiligt:

    – INTAS Project: Hadron Physics and Vacuum Struc-ture from Lattice QCD,

    – EU Network: Hadron Phenomenology from LatticeQCD,

    – EURIDICE: European Investigations on DAPHNEand other International Collider Experiments using

    159

  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Effective Theories of Colors and Flavours from thePhi to the Upsilon.

    Sie ist außerdem an zwei nationalen, von der Deut-schen Forschungsgemeinschaft unterstützten Projektenbeteiligt.

    Das erste Projekt ist ein Sonderforschungsbereich/Transregio ,,Computergestützte theoretische Teilchen-physik“. Dieses Projekt ist auf 3–4 Jahre ausgelegt undvereinigt die Universitäten Karlsruhe, Aachen und HUBerlin sowie die NIC- und Theorie-Gruppe von DESYZeuthen. Der SFB umfasst die Teilbereiche Störungs-theoretische Methoden und Gittersimulationen in derQuantenfeldtheorie, Vorhersagen für Hochenergiereak-tionen und Schwere Quarks und Flavour Physik. DerSFB/TR ist in dieser Form weltweit einmalig, da erStörungstheorie, Phänomenologie und Gitterrechnun-gen zusammenbringt, um gemeinsam in einer transre-gionalen Zusammenarbeit grundlegende physikalischeFragen zu beantworten und die Interpretation von Hoch-präzisionsdaten zukünftiger Beschleuniger zu ermög-lichen.

    Das zweite Projekt ist die DFG-Forschergruppe,,Gitter-Hadronen-Phänomenologie“. An dieser For-schergruppe beteiligen sich die Universitäten Re-gensburg, HU Berlin und Leipzig sowie das MPIin München und das NIC/DESY Zeuthen. DasPhysikprogramm beinhaltet Hadron-Phänomenologie,Gitterfeldtheorie inklusive Algorithmenentwicklung,Gitterstörungstheorie und Renormierung, Operator-produktentwicklung (OPE), Renormaloneffekte undPhysik der Potenzkorrekturen, Heavy Quark Effec-tive Theories (HQET), B-Physik und Physik des QCDVakuums: Instantonen, Monopole und Confinement.

    Im Januar 2002 trafen sich Repräsentanten der deut-schen Gittergemeinschaft in Zeuthen, um Möglichkei-ten zu diskutieren, die Gitter-Aktivitäten in Deutsch-land zu bündeln und zu koordinieren. Es wurde be-schlossen, sich zu einem Lattice Forum ,,LATFOR“der deutschen Gittergemeinschaft mit Assoziation vonÖsterreich (Graz, Wien) und der Schweiz (Bern) zu-sammenzuschließen. Die Koordination des LATFORhat zur Zeit das NIC. Von LATFOR wird ein Vorschlagfür einen Multi-Teraflops-Rechner für die Gittereich-theorie ausgearbeitet, dem das anspruchsvolle und ehr-geizige Physikprogramm der deutschen Gittergemein-schaft zugrunde liegt.

    Arbeiten zum TESLA-Projekt

    Physik und Detektor bei TESLA

    DESY Zeuthen beteiligt sich weiterhin stark an denVorstudien zur Physik und zum Detektor bei TESLA.Schwerpunkt der Arbeiten sind Studien zu einemPhoton-Collider bei TESLA und Entwicklungen für einKalorimeter direkt am Strahlrohr als instrumentierteMaske. Diese Arbeiten werden im Folgenden näherbeschrieben.

    Im Rahmen des ECFA/DESY Workshops wurden je-doch noch einige andere Arbeiten durchgeführt. Diesewaren:

    – PhysikalischeAnalysenzumStandardmodellHiggs-Boson und zur Top-Quark Erzeugung im Energie-bereich von 300–500 GeV,

    – Studien der zwei-Fermion Produktion bei hohenEnergien und Interpretation im Rahmen neuer Phy-sik,

    – Untersuchung von Stop- und Sbottom-Produktionim Rahmen supersymmetrischer Modelle,

    – Pflege der Detektor-SimulationsprogrammeBRAHMS und SIMDET,

    – Untersuchungen zur Messung der Strahlpolarisa-tion,

    – Koordination der Arbeitsgruppe zur elektroschwa-chen Physik in der ECFA/DESY Studie.

    Arbeiten für den Photon-Collider

    Im Prinzip besteht die Möglichkeit, TESLA um einenγγ-Collider zu erweitern, indem man die Strahlen kurzvor dem Wechselwirkungspunkt mit einem Laserstrahlkollidiert. Durch Compton-Streuung werden dann Pho-tonen mit maximal 80% der Strahlenergie erzeugt, dieim Wechselwirkungspunkt kollidieren. In Zeuthen wer-den die Machbarkeit sowie die physikalische Motiva-tion dieses Projekts untersucht.

    Wenn ein leichtes Higgs-Boson H existiert, ist der Wir-kungsquerschnitt des Prozesses γγ → H → bb̄ groß ge-nug, dass er zur Messung der partiellen Zerfallsbreite

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    0

    200

    400

    600

    800

    1000

    1200

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    1800

    80 100 120 140

    mh GeV

    Eve

    nts

    / 2 G

    eV

    bb+cc

    Abbildung 94: Das simulierte invariante Higgs-Massenspektrum mh an einem γγ -Collider unter Be-rücksichtigung von Detektor und Untergrund.

    des Higgs-Bosons in zwei Photonen genutzt werdenkann. Die Messung dieser Zerfallsbreite ist sehr wich-tig, da der Zerfall des Higgs-Bosons in zwei Photo-nen über Schleifendiagramme verläuft und der Prozessdaher sehr sensitiv auf Physik jenseits des Standard-modells ist. In Zeuthen wird dieser Prozess detailliertsimuliert unter Berücksichtigung aller Detektor- und

    Abbildung 95: Skizze des inneren Bereichs eines Detektors für einen γγ -Collider.

    Untergrund-Einflüsse, so dass eine mögliche Messge-nauigkeit zuverlässig abgeschätzt werden kann. Abbil-dung94zeigtdas simulierte invarianteMassenspektrumunter Berücksichtigung von Detektor und Untergrund.

    Eine mögliche Erweiterung des Standardmodells ist dieSupersymmetrie. Falls es supersymmetrische Teilchenim Energiebereich von TESLA gibt, ist die Produkti-onsrate im γγ-Modus höher als im e+e−-Modus. Es istdaher sinnvoll zu untersuchen, in welchem Modus Zer-fallsparameter der supersymmetrischen Teilchen bes-ser gemessen werden können. Erste Untersuchungenin diese Richtung haben in Zeuthen begonnen.

    Wenn kein leichtes Higgs-Boson existiert, erwartetman, aus Messungen der Eichboson-SelbstkopplungRückschlüsse auf den Mechanismus der elektroschwa-chen Symmetriebrechung ziehen zu können. Auch dieProduktionsrate von Eichbosonen ist im γγ-Modus we-sentlich höher. Detaillierte Studien zu den Prozesseneγ → νW− und γγ → W+W− haben begonnen, wobeierste Ergebnisse darauf hindeuten, dass die erreichbareGenauigkeit im e+e−-Modus wesentlich höher ist.

    Durch die Aufweitung des Elektronenstrahls in der Kol-lision mit dem Laser treffen viel mehr Strahlteilchenden Detektor im Bereich um das Strahlrohr. DurchRückstreuung führt dies zu einem erheblich höherenUntergrund niederenergetischer Photonen im gesamtenDetektor. Durch den Entwurf einer geeigneten Maskeum das Strahlrohr konnte dieser Untergrund auf ähnli-che Werte wie in e+e− reduziert werden. Abbildung 95

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Abbildung 96: Vom Max-Born-Institut Berlin vorgeschlagener Laser-Ring-Resonator füreinen γγ -Collider.

    zeigt eine Skizze des inneren Bereichs des Detektorsfür den γγ-Collider.

    Das schwierigste Problem beim γγ-Collider ist der Baudes Hochleistungslasers. Für die Kollision mit den Elek-tronenpaketen werden Laserpulse von etwa 5 J Energie,ein bis zwei Pikosekunden Dauer und der Zeitstrukturdes Beschleunigers gebraucht. Das Max-Born-Institut(Berlin) hat vorgeschlagen, die Laserenergie in einemRingresonator zu speichern, um so die Anforderungenan den Laser um etwa einen Faktor 100 zu verringern.Der vorgeschlagene Resonator ist in Abbildung 96 ge-zeigt. In Kollaboration mit dem Max Born Institut wirdein Entwurf des Resonators erarbeitet.

    Instrumentierung der Strahlmaskedes TESLA-Detektors

    Eingegliedert in die DESY Aktivitäten zur Entwick-lung eines Teilchendetektors für TESLA versucht dieZeuthener Gruppe, eine optimale Instrumentierung desextremen Vorwärts- und Rückwärtsbereiches zu finden.

    Es handelt sich dabei um den Bereich unmittelbar umdas Strahlrohr, vor den Magneten des ,,Final Focus“.

    Mit jedem Schuss von TESLA wird eine große Mengean so genannter Beam-Strahlung erzeugt werden, die zueiner Energiedeposition von mehreren zehn TeV in die-sem Bereich führen wird, und zwar vornehmlich durchElektronen und Positronen aus Paarbildung (Abb. 97).Dies macht die Instrumentierung dieses Bereiches zueiner großen experimentellen Herausforderung.

    Die Detektoren in diesem Bereich haben eine Reihevon Aufgaben zu erfüllen:

    – Abschirmung des Hauptdetektors gegen Rückstreu-ung aus dem Bereich des Strahlrohres,

    – Vermessung der Beam-Strahlung und Analyse inBezug auf Strahlparameter zur Optimierung derLuminosität,

    – präzise Messung der Luminosität über Bhabha-Streuung,

    – Identifikation hochenergetischer Elektronen und Po-sitronen mit Streuwinkeln bis ans Strahlrohr.

    Mittels Simulation konnte gezeigt werden, dass derNachweis hochenergetischer Elektronen und Positro-nen mit Streuwinkeln von wenigen mrad möglich ist(Abb. 98). Auch im Bereich der Strahldiagnose wurdengroße Fortschritte erzielt.

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Abbildung 97: Computersimulation eines Bruchteiles der Beam-Strahlung einer TESLA-Kollision.

    Zwei Kalorimeter sind in diesem Bereich vorgese-hen: Das äußere Kalorimeter mit der Luminositäts-messung als Hauptaufgabe soll als Silizium-WolframSandwich-Kalorimeter realisiert werden. Beim inne-ren Kalorimeter, das von der Beam-Strahlung getroffenwird, ist die Frage der technischen Realisierung offen.Zwei Hardware Projekte wurden gestartet, um die bei-den interessantesten Lösungsansätze näher zu untersu-chen. Hierbei handelt es sich um ein Diamant-WolframSandwich-Kalorimeter oder ein Kristall-Kalorimeter

    Radius, number of ring0 2 4 6 8 10 12

    Foun

    d pa

    rtic

    les,

    %

    0

    20

    40

    60

    80

    100

    large BG regionsmall BG region

    E = 100 GeV

    Abbildung 98: Nachweiswahrscheinlichkeit von100 GeV Elektronen im innersten Kalorimeter unterBerücksichtigung des Beam-Strahlungs-Untergrundes(Simulation).

    mit Faserauslese. Der Vorteil der Diamant-Wolfram Lö-sung wäre ein minimaler Moliere-Radius (kompakteSchauer), hohe Granularität und große Strahlenhärte.Allerdings stellen Diamant-Sensoren experimentellesNeuland dar.

    Auf Initiative der Zeuthener TESLA-Detektor Gruppehat sich eine internationale Kollaboration gebildet, dieim Laufe von 2 Jahren einen ersten Designentwurf er-arbeiten will und insbesondere die Frage der optima-len Technologie angehen wird. Ein entsprechender Ex-perimentiervorschlag wurde im November vom PRCpositiv begutachtet.

    TESLA-Diagnose

    Die Arbeiten der TESLA-Gruppe im Berichtszeitraum2002 umfassten Untersuchungen zu bei der TESLATest Facility TTF eingebauten Strahllage-Monitoren,die Entwicklung neuartiger Monitore für das Zukunfts-projekt TESLA sowie Studien zur Physik bei TESLA,die Weiterführung des Programmpakets SIMDET undAbschätzungen von Myon-Untergrundraten bei CLIC.

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    hor. scan vert. scan

    mon

    itor

    resp

    onse

    Abbildung 99: Horizontale und vertikale Ablagen für einen der Cavity-Monitore zwischenTTF-FEL Undulatormodulen.

    Für die 1.57 GHz Cavity-Monitore in den Beschleuni-gungsmodulen von TTF wurde weiter Elektronik un-ter Berücksichtigung der Erfahrungen vorangegange-ner aufgebaut. Insbesondere konnten frühere Schwin-gungseffekte in Verstärkerstufen vermieden werden.Damit ist gewährleistet, dass in der zweiten Ausbau-stufe von TTF für alle Cavity-Monitore Elektronikenguter Qualität bereitstehen.

    Von den vier 12 GHz Cavity-Monitoren in den Dia-gnostik-Stationen zwischen den Undulatormodulen beiTTF-FEL1 war bekannt, dass deren Resonanzfrequen-zen für die Ablagebestimmung von der Sollfrequenzerheblich abweichen. Daher wurden zwei der vier Mo-nitore, für die diese Abweichungen noch tolerabel wa-ren, für systematischeMessungenausgewählt.Für dieseMonitore wurden Strahlpositionsmessungen für Strahl-ströme im Bereich von 0.5–3.0 nC durchgeführt. DieStrahlposition wurde dabei systematisch in der Ebenetransversal zum Strahl variiert. Innerhalb der gewähl-ten Ablagebereiche wurde Signal-Linearität mit wach-sendem Strahlstrom beobachtet. Die Ortsauflösung derMonitore wurde zu einigen µm in x- und y-Richtung er-mittelt (Abb. 99). Die Entwicklungsarbeiten an diesen

    Monitoren werden wegen der geschilderten Schwierig-keiten eingestellt.

    Ein Vorteil dieser Art von Monitoren ist der hohe Signal-pegel, der eine derartig gute Ortsauflösung ermöglicht.Als Nachteil erwies sich die Einhaltung sehr kleinerToleranzen (von einigen µm), um Zeitunsicherheitenin der I-Q-Modulation unterhalb einer notwendigenSchranke zu halten.

    Wirescanner

    In Gemeinschaftsarbeit zwischen dem HASYLAB undDESY Zeuthen wurde ein Wirescanner für den Freie-Elektronen Laser FEL an TTF2 entwickelt. Ein Pro-totyp des Wirescanners wurde im November 2001 beiTTF1 eingebaut und ein Jahr lang erfolgreich betrie-ben. Ein mit dem Draht verbundenes hochauflösendesMesssystem gestattet es, im Fast- und Slow-Modus dasProfil und die Position des Strahls genau zu bestimmen.Durch eine Referenzierung der Einbaulage ist eine ab-solute Strahllagebestimmung von 20–30µm am Ort desWirescanners möglich (Abb. 100).

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Abbildung 100: Prototyp eines Wirescanners für TTF.

    Ausgehend von der Idee, die Strahlenergie bei TESLAmit Hilfe eines Magnetspektrometers vor dem Wechsel-wirkungspunkt zu messen, wurde in Zusammenarbeitmit der TU Berlin ein spezieller Strahllage-Monitormit extrem hoher Ortsauflösung für Einzelpaketmes-sungen entwickelt. Durch Einbringen eines (Doppel-T-)Schlitzes in eine Cavität und Auskopplung des unter-grundfreien Ablagesignals über Wellenleiter scheint esmöglich, eine Auflösung im Bereich von 0.2 µm zu er-reichen. Ein erster Prototyp wurde gefertigt (Abb. 101),und erste Messungen bestätigen die theoretischen Er-wartungen.

    Gemeinsam mit dem Institut für Kernphysik der Staats-universität Moskau wurden weitere Untersuchungenzur Auslotung des physikalischen Potenzials eines e+e−Linear-Colliders im Energiebereich von 0.5 bis 1 TeVdurchgeführt. In Berichtsjahr konzentrierten sich dieStudien auf das Finden der besten Möglichkeit, das Ver-zweigungsverhältnis des Higgs-Bosons in ein Z-Bosonund ein Photon in den Beschleunigeroptionen e+e−,eγ und γγ zu messen, sowie auf eine Detailstudie zurMessung der HZγ-Kopplung im WW-Fusionsprozesse+e− → νν̄H → νν̄Zγ bei einer Schwerpunktsenergievon 500 GeV. Mit der Annahme von 1 ab−1 inte-grierter Luminosität und geeignet gewählten e+e−-Polarisatioszuständen ist die HZγ-Kopplung mit einemrelativen Fehler von 8–14% für MH = 120–160 GeVmessbar. DieErgebnissedieser AnalysensindalsDESYPreprints oder LC Notes bzw. als Konferenzbeiträgezusammengefasst.

    Abbildung 101: Neuartiger Monitor mit extrem guterOrtsauflösung für das Energiespektrometer bei TESLA.

    Darüber hinaus wurde das schnelle Detektor-Simula-tionsprogramm SIMDET auf die im Technischen De-sign Report von TESLA beschriebenen Detektorkom-ponenten angepasst. Weitere Optionen wie die Bereit-stellung der Kovarianzmatrix für geladene Teilchen unddE/dx Informationen wurden hinzugefügt. Das überar-beitete Programm steht seit Sommer 2002 als Version4 zur Verfügung.

    Abschätzungen zur Myon-Untergrundrate in einemhypothetischen Detektor am 3–5 TeV Linear-ColliderCLIC (CERN) wurden abgeschlossen und waren Be-standteil von Konferenzbeiträgen.

    Photoinjektor-Teststand

    Der Photoinjektor-Teststand bei DESY Zeuthen(PITZ) ist eine Beschleunigeranlage zur Entwicklungund Erforschung von Hochfrequenz-Photoinjektoren(Abb. 102). Diese komplexe Art der Elektronenquellenproduziert Elektronenpakete extrem kleiner Emittanzund Länge, wie sie für den Betrieb von Freie-ElektronenLasern (FEL) und zukünftigen Linearbeschleunigernbenötigt wird. Nach rund zweijähriger Bauzeit der An-lage konnten am 13. Januar 2002 am Photoinjektor-Teststand erstmals Elektronen durch Photoemissionerzeugt und nachgewiesen werden (Abb. 103). Die of-fizielle Inbetriebnahme des Photoinjektor-Teststandeserfolgte schließlich am 30. Januar 2002 während der

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Abbildung 102: Ansicht des Photoinjektor-Teststandes bei DESY Zeuthen (PITZ).

    Abbildung 103: Erste Photoelektronen bei PITZ, be-obachtet am 13.1.2002.

    Feierlichkeiten des Fest-Kolloquiums zum zehnjähri-gen Bestehen von DESY Zeuthen im Beisein der Mi-nisterin für Wissenschaft, Forschung und Kultur desLandes Brandenburg, Frau Prof. Wanka.

    Mit dem Photoinjektor-Teststand bei DESY Zeuthensollen verschiedene Elektronenquellen sowohl für denTTF-FEL2 und den TESLA-XFEL als auch für dengroßen TESLA-Linearbeschleuniger entwickelt undoptimiert werden.

    Nach der offiziellen Inbetriebnahme war die wei-tere Arbeit am Photoinjektor-Teststand bestimmt durchmehrwöchige kontinuierliche Betriebsphasen im 24Stunden Schichtbetrieb und weitere Ausbauphasen derAnlage. Während der Konditionierungsarbeit im Früh-jahr konnte bereits die in die Kavität eingespeisteHochfrequenzleistung schrittweise auf etwa 2 MW beiHochfrequenz-Pulslängen von 400 µs und einer Wie-

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Abbildung 104: Messung des Strahldurchmessers, vermessen inder PITZ-Diagnose-Sektion im Sommer.

    derholrate von 5 Hz gesteigert werden. Dieser Betriebs-phase schlossen sich weitere Installationen bzw. Mo-difikationen an, wie Arbeiten zur Elektronik, Soft-ware und Mechanik für die Hochfrequenzversorgungund -regelung und deren Interlocksystem sowie Tä-tigkeiten im Zusammenhang mit dem Vakuum- undKontrollsystem sowie dem Laserstrahltransportsys-tem und den Diagnosekomponenten zur Vermessungdes Elektronenstrahls. Im Laufe des Jahres wurdedie Hochfrequenzversorgung, bestehend aus Klystron,Pulstransformer und Modulator, weiter ausgebaut undvollständig konditioniert, das heißt 5 MW Ausgangs-leistung mit Hochfrequenz-Pulslängen von 1 ms bei derWiederholrate von 10 Hz erreicht. Außerdem wurdeeine Wasserregelung der Kavität zur Stabilisierungder Resonanzfrequenz auch bei hohen mittleren Leis-tungen in Betrieb genommen. In der anschließendenBetriebsphase wurden die Diagnosekomponenten desPhotoinjektor-Teststandes Schritt für Schritt in Betriebgenommen, so dass bereits auf der EPAC Konfe-renz 2002 in Paris erste Ergebnisse des Experimen-tierprogramms zur Bestimmung der Elektronenstrahl-Parameter vorgestellt werden konnten.

    Um das Projektziel zu verfolgen, Elektronenstrahlenmit einer mittleren Ladung pro Elektronenpaket von

    1 nC bei möglichst kleinen transversalen und longitu-dinalen Emittanzen zu produzieren, mussten ausgiebigeJustierungen am Laserstrahltransportsystem sowie anden Fokussierungsmagneten durchgeführt werden. DasExperimentierprogramm im Sommer erlaubte erstma-lig detaillierte Untersuchungen der Prozesse bei derErzeugung, Beschleunigung, Formung und Vermes-sung der Elektronenpakete. Abbildung 104 zeigt eineMessung des Strahldurchmessers, vermessen in derDiagnose-Sektion im Sommer 2002. Die Ergebnissekonnten im September auf der FEL 2002 Konferenz inArgonne vorgestellt werden.

    Im Herbst wurde mit dem Umbau der Diagnosesektionbegonnen, durch den die Modularität und Flexibilitätder Strahlvermessung deutlich erhöht wird. Inzwischenhatte sich aus Simulationsrechnungen ergeben, dasseine neue Position des Fokussierungsmagneten, derdie Kavität umgibt, bei der Anwendung für TTF-FEL2wichtig ist, um bessere Elektronenstrahl-Eigenschaftenzu erhalten. Aus diesem Grunde musste die Kavität ausder Anlage demontiert und deren Kühlungssystem der-art modifiziert werden, dass die longitudinale Verschie-bung des Fokussierungsmagneten mechanisch erlaubtist. Parallel dazu wurde am Bau eines Messsystemszur Bunchlängenbestimmung der Elektronen gearbei-

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    tet, das auf einem Cherenkov-Strahler basiert. Die Um-bautätigkeiten konnten im November weitestgehendabgeschlossen werden.

    Die Wiederinbetriebnahme erfolgte im Dezember mitder Konditionierung der Kavität, bei der schließlichbei Pulslängen von 100 µs Leistungen in der Kavi-tät von mehr als 3 MW erreicht wurden. Geplant ist,die Charakterisierung der Elektronenquelle im kom-menden Jahr pünktlich für den Einbau bei TTF-FEL2abzuschließen.

    Neben diesen Aufgaben wurde im Laufe des Jahres einKonzept für das weitere wissenschaftliche Programmvon den Kooperationspartnern erarbeitet, das unter an-derem dem ,,Machine Advisory Committee“ MAC vor-gelegt wird. Ziel dieses Konzeptes ist die Untersuchungund Optimierung des Prinzips zur Erhaltung kleinsterEmittanzen in den ersten Beschleunigungselementenmit Hilfe einer Booster-Kavität. Darüber hinaus wirdin dem Konzept die Weiterentwicklung aller Kompo-nenten für die Erzeugung kleinster Emittanzen ange-strebt. Im Zusammenhang damit wurde mit dem Auf-bau einer zweiten Hochfrequenzversorgung begonnen.Außerdem ist eine vorläufige Version einer Booster-Kavität, eine bereits am Fermilab benutzte 9-zelligenormalleitende Kupferkavität, in Zeuthen eingetroffen.

    Das Zeuthener Projekt wurde auch im Jahr 2002 ausdem Vernetzungsfond der Helmholtz-Gemeinschaft-Deutscher-Forschungszentren (HGF) in Kooperationmit BESSY (Berlin), MBI (Berlin) und der TEMFder TU-Darmstadt gefördert. Weiterhin besteht einegute Zusammenarbeit mit INFN Milano, INR Troitsk,INRNE Sofia und YERPHI Yerevan.

    Experimente-Support

    Im Berichtsjahr lag der Schwerpunkt der Arbeiten inder Mitgestaltung und Organisation von populärwissen-schaftlichen und wissenschaftlichen Veranstaltungen.

    Im Vorfeld wurden Aufgaben wie Plakat- und Websei-tengestaltung sowie deren Pflege im weiteren Verlaufübernommen.BeiallenVeranstaltungen lagendieOrga-nisation von Unterkünften, Verpflegung, Anmeldung,Informationsmaterial, Rahmenprogramm und weiteren

    Abbildung 105: Während der Pressekonferenz zurEröffnung der TESLA-Ausstellung im VW-ForumUnter den Linden in Berlin erläutert der Vorsit-zende des DESY-Direktoriums, Prof. A. Wagner, dieTESLA-Kavitäten, die das Herzstück des TESLA-Beschleunigers darstellen.

    organisatorischen Aufgaben, die für einen reibungs-losen Ablauf notwendig sind, innerhalb des Experi-mente-Supports. Bei der Durchführung unterstützte dieGruppe die Organisatoren bei Registrierung der Teil-nehmer, Erstellung und Pflege von Datenbanken sowieder Dokumentation und Archivierung der Vorträge.

    Ein Höhepunkt der Öffentlichkeitsarbeit war die Ge-staltung und Organisation der Ausstellung ,,TESLA –Licht der Zukunft“, die vom 16.01. bis 17.02. 2002 inBerlin im Automobil Forum Unter den Linden statt-fand (Abb. 105). Die Ausstellung informierte anschau-

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    lich mit Hilfe von Modellen, Originalteilen, Ausstel-lungstafeln und Computeranimationen über das beiDESY geplante internationale GroßforschungsprojektTESLA. Die Schwerpunkte der Ausstellung waren dieThemen TESLA – das Projekt, der Beschleuniger, Teil-chenphysik mit TESLA und Röntgenlaser und ihre An-wendungen. Dem Besucher wurde ,,Physik zum An-fassen“ durch Hands-on-Exponate sowie vertiefendesWissen durch Wissensinseln und zusätzliches Informa-tionsmaterial geboten. Die permanente Betreuung derAusstellung durch Wissenschaftler und Physikstuden-ten war ein wesentlicher Beitrag zum Erfolg, sie standenfür Fragen zur Verfügung und boten mehrmals täglichFührungen an.

    Neben den zweimal wöchentlich stattfindenden Schü-lertagen gab es weitere Veranstaltungen während desAusstellungszeitraumes, die unterschiedliche Zielgrup-pen über das Projekt TESLA informierten:

    – Pressefrühstück,

    – Eröffnungsveranstaltung,

    – NDR-Wissenschaftsforum,

    – Treffen von Mitgliedern der TESLA-Kollaborationmit in Berlin akkreditierten Wissenschaftsattachés,

    – Abendveranstaltung zum zehnjährigen JubiläumDESY Zeuthen,

    – Lange Nacht der Museen (Abb. 106),

    – Tag der Wissenschaft mit Vorträgen für Wissen-schaftler aus allen Bereichen der Forschung.

    Während des gesamten Ausstellungszeitraums kamen22 000 Besucher, darunter mehr als 70 Schulklassen,in die Ausstellung und waren vom Erlebnis ,,Physik“fasziniert. Die Resonanz bei Besuchern sowie in Presseund Fernsehen war sehr positiv.

    Die Erarbeitung des Konzeptes und die Umsetzungerfolgten in sehr enger Zusammenarbeit von DESY-Mitarbeitern in Hamburg und Zeuthen. Absprachen fürWerbemaßnahmen, Organisation der Ausstellungsbe-treuung und der Anmeldungen von Besuchergruppensowie die Unterstützung bei der Durchführung der Ver-anstaltungen lagen ebenso in der Verantwortung derGruppe Experimente-Support wie das Mitwirken beider Umsetzung des Gesamtkonzeptes bis hin zum Auf-und Abbau.

    Abbildung 106: Am 02.02.2002 strömten etwa 6000Besucher während der Langen Nacht der Museen in dieAusstellung, um Physik und Live-Musik – R. Brinkmannund Six in a Bar – auf der Bühne zu erleben.

    Auch im Jahr 2002 wurde die aktive und öffentlich-keitswirksame Zusammenarbeit mit Schulen und ande-ren Ausbildungsstätten durch die vielen Besuche vonSchüler- und Studentengruppen am Standort Zeuthendeutlich. Am 26. Oktober kamen viele interessierte Be-sucher, um sich bei Vorträgen und Führungen durchdie Werkstätten und die Labors über die Arbeit beiDESY zu informieren und die Forschungsbereiche derElementarteilchenphysik näher kennen zu lernen.

    Bei Veranstaltungen wie dem Brandenburgtag im Sep-tember in Neuruppin, der Auszeichnung der zwei Jahr-gangsbesten im Beruf Industriemechaniker im Ok-tober, der Teilnahme an der Ausbildungsbörse desLandkreises Dahme-Spreewald im November in Lüb-ben sowie der Weiterbildung für Physiklehrer inZeuthen am Ende des Berichtszeitraumes wurden Pos-ter bzw. Informationsmaterial bereitgestellt.

    Durch das Erstellen von Text- und Bildmaterial sowiedie Aufarbeitung und Zusammenfassung wissenschaft-licher Analysedaten, Berichte und Referenzlisten un-terstützte die Gruppe die Präsentation der Forschungs-vorhaben bei DESY Zeuthen. Anfang Mai präsentierteDESY Zeuthen sein Forschungsprofil am Stand desLandkreises Dahme-Spreewald auf der InternationalenLuftfahrtausstellung in Berlin Schönefeld, Ende Juni2002 beim Tag der Wissenschaft des Landes Branden-burg in Potsdam.

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  • Forschungsthemen DESY Zeuthen

    Durch die Teilnahme an Treffen des Landesvereins au-ßeruniversitärer Forschungseinrichtungen LAUF e.V.,bei dem auch DESY Mitglied ist, wurde der Erfahrungs-austausch mit anderen Einrichtungen erhöht. Neben dergemeinsamen Gestaltung einer Imagebroschüre und dergemeinsamen Webseiten werden Veranstaltungen vor-bereitet für das Jahr 2003, welches offiziell das ,,Jahrder Wissenschaften“ in Brandenburg ist.

    Eine bedeutende Aufgabe lag in der Gestaltung des ge-samten Grafik- und Bildmaterials für die Studie ,,Teil-chenphysik in Deutschland – Status und Perspektiven“,die im November 2002 vom Komitee der Elementar-teilchenphysik KET herausgegeben wurde.

    Auch weiterhin konnte das breite Spektrum an Ser-viceleistungen zur Verfügung gestellt werden. Ein we-sentlicher Bereich ist hierbei die Betreuung der auslän-dischen Gäste während ihres Aufenthaltes in Zeuthen.Dazu zählen aber auch neben den Kopieraufträgen, demFertigen von Bindungen für Dokumentationen und Ver-öffentlichungen, der Verwaltung der Dosimeter und desFotoarchivs die Betreuung technischer Geräte (Kopie-rer, Projektoren, Kameras) sowie die Inbetriebnahmeund Wartung von Exponaten.

    Konferenzen und Workshops

    Gruppen aus Zeuthen waren in diesem Jahr an der Or-ganisation folgender internationaler Konferenzen undWorkshops beteiligt:

    – APE Tutorial @ DESY Zeuthen, Februar 2002,Zeuthen:Das Tutorial wurde ausgerichtet vom NIC mit Unter-stützung der Gruppe Experimente-Support. 35 Stu-denten aus Deutschland, Frankreich und Großbri-tannien nahmen teil, um sich in die Gitterfeldtheo-rie und die APEmille-Programmierung einführen zulassen.

    – Workshop on Light Quark Phenomenology andKaon Physics, April 2002, Zeuthen:Der Workshop wurde ausgerichtet im Rahmen desEU-Networks ,,Hadron Phenomenology from Lat-tice QCD“ mit Beteiligung des NIC und der GruppeExperimente-Support. Die überaus positive Bewer-tung des Netzwerkes verdeutlicht, welches Engage-ment in das Netzwerk gesteckt wurde.

    – 35th International Symposium Ahrenshoop, August2002, Wernsdorf/D:Die Konferenz wurde gemeinsam von der Theorie-gruppe und der Humboldt Universität Berlin orga-nisiert.

    – 6th International Symposium on Radiative Correc-tions: Application of Quantum Field Theory to Phe-nomenology – RADCOR 2002 and 6th ZeuthenWorkshop on Elementary Particle Theory: Loopsand Legs in QuantumField Theory, September 2002,Kloster Banz/D:Die Konferenz hatte 110 Teilnehmer und wurde vonder Theoriegruppe gemeinsam mit der UniversitätKarlsruhe und dem MPI München organisiert, unter-stützt durch die Gruppe Experimente-Support, dieauch die Proceedings zusammengestellt und bis zumfertigen Drucklayout mit gestaltet hat.

    Folgende Tagungen und Workshops wurden bei DESYZeuthen mit wesentlicher Unterstützung der GruppeExperimente-Support durchgeführt:

    – HE