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Von Matin Baraki

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Parlamentswahlen in Afghanistan, Matin Baraki – 29.4.2011 www.forumaugsburg.de Sei te 1

Seymour Hersh hält es für einen Fehlerder Obama-Administration, noch mehrUS-Truppen nach Afghanistan zu schi-cken. Wissen Sie warum? Fragte er.„Weil überall, wo amerikanische Solda-ten auftauchen, die Kollateralschädenso groß sind, dass die Leute mehr Angstvor uns haben als vor den Taliban!“1

Am 18. September 2010 sollte zumzweiten Mal nach der Besetzung Afgha-nistans durch die NATO ein Parlamentgewählt werden. So steht es aufdem Pa-pier. Aber die aus dem Umfeld des Ka-buler Präsidenten Abdul Hamid Karsairekrutierte und von ihm ernannte sog.unabhängige Wahlkommission kann je-derzeit das Datum verschieben, wenn„die Sicherheitslage“ es erfordert, sodie üblich Begründung. Karsai hat perDekret das Wahlgesetz so geändert,dass in der WahlbeobachterkommissionVertreter der Vereinten Nationen (UNO)keine Mehrheit haben.2 Das ist die Ra-che Karsais an der UNO, weil der dama-lige Stellvertreter des UN-Sonderbeauf-tragten für Afghanistan den Wahlbetrugentdeckt und öffentlich gemacht hatte,so dass über eine Million Stimmen fürdas Karsai-Lager für ungültig erklärtwerden mussten. Nun hat Karsai Rah-menbedingungen geschaffen für dieDurchsetzung gewünschter und die Ab-lehnung unerwünschter Kandidaten. Da-mit will er „die Macht seinesFamilienclans durch Klientel-Struktu-ren ausbauen,“3 sowie ein ihm bedin-gungslos folgendes Unterhaus schaffen„und hat deshalb gemeinsam mit seinenVerbündeten in den Provinzen gezieltKandidaten aufgebaut und finanziell un-terstützt“.4

Da der unter den Taliban subsumierteWiderstand inzwischen 70 Prozent desLandes kontrolliert, und im Rest Afgha-nistans Wahlfälschung programmiertist, wird die ganze Sache von der Bevöl-kerung als ein billiges PuppentheaterKarsais angesehen. „Man kann dieWahlurnen nur noch in die Provinz- undDistrikthauptstädte bringen. Leute vonaußerhalb werden dort nicht hinkom-men,“5 sagte Mullah Malang, einer vondenbekanntestenMudjahedin-Komman-danten, der noch im Parlament sitzt.6

Der selbst ernannte Mullah berichtete,dass in seiner westafghanischen Provinz(Badghis) etwa 400 000 Menschen alswahlberechtigt aufgelistet seien, abernur „maximal 20 000 werden wählen.“7

Damit sind der Fälschung Tür und Torgeöffnet. In den 34 Provinzen traten für249 Sitze im Unterhaus fast 2600 Kandi-daten, darunter 406 Frauen an. Aber ei-gentlich möchte diese Frauen keiner imParlament haben, davon ausgenommensind nur die Ameriko- und Euro-Afghan-innen, die von mächtigen Hintermän-nern protegiert werden. Die fürderzeitige afghanische Verhältnisse rela-tiv unabhängigen Kandidatinnen und ih-re Helfer wurden mit dem Todebedroht, wie im Fall der KandidatinFrau Fauzia Gilani aus Herat, derenfünfMitarbeiter getötet wurden. Es gibtselbst ernannte Mullahs, „die explizitfordern, nicht für Frauen zu stimmen“,8

sogar in relativ liberalen Provinzen, wieim nordafghanischen Badachschan. Vie-le Kandidatinnen konnten sich nicht ein-mal in ihren Wahllokalen zeigen. Siebezahlten Geld an Wahlhelfer, wie FrauRoshanak Wardak, die 1000 Euro hin-blätterte, um ihre Wahlplakate klebenzu lassen. Sie empfingen die Stammes-führer ihrer Ortschaften in Kabul, be-schenkten sie in der Hoffnung, derenStimme zu bekommen. „Meine Wählervon damals, die Leute aus meinemDorf, meine Verwandten, die sind heutealle Taliban“, sagte Roshanak Wardak.In der Provinz Kabul kämpften 660Kandidaten um nur 33 Sitze. „Eine Rei-he von Bewerbern tritt nur an, um wie-der zurückzutreten –auf und von ihnengesammelte Wählerausweise weiter zuveräußern.“9 Selbst in Kabul wurden ge-fälschte Stimmen für 25 US-Dollar ge-handelt. Der Kandidatin MalalaiIshaqzai wurden Tausende Stimmen ge-gen bares Geld angeboten.10 AndereKandidaten, wie Drogenbarone und ehe-malige und derzeitige Kriegsfürstenwollten ins Parlament, „um ihren Ein-fluss und ihr Geld zu mehren“,11 sagteProf. Nasrullah Stanekzai von der Uni-versität Kabul, Chef der juristischen Be-ratergruppe von Karsai. Auf dem„Wahlbasar“ waren zwischen 17 und 18Millionen Wählerausweise in Umlauf,12

dazu kamen noch 400 000 neue Aus-weise für angebliche Erstwähler. Selbstnach den Angaben der „UnabhängigenWahlkommission“ existieren nur knapp12,6 Millionen Wähler. D.h. für etwasechs Millionen Wählerausweise gibtes überhaupt keine dazugehörigen Per-sonen.13 Hier ergab sich noch ein Mal,wie 2009, die Möglichkeit zur Fäl-schung. Diese Betrügereien und Wahl-fälschungen zehren den Menschen inAfghanistan an den Nerven, hob „DailyOutlook“ aus Kabul hervor.14 Nur derliebe Gott weiß vielleicht, wie vieleWahlberechtigte es tatsächlich in Af-ghanistan gibt. Hinzu kam noch die all-gemeine Unsicherheit im ganzen Land,die von Erpressung bis Entführungreichte. „Unter den Taliban hätte es dasnicht gegeben“,15 ein im Lande weitverbreiteter deprimierender Satz, eineMischung aus Wut, Enttäuschung undVerzweiflung. Ganze 1019 von insge-samt 6835 Wahllokalen blieben ge-schlossen. Auch im deutschen SektorKunduz konnte nicht mehr als jedesfünfte Wahllokal geöffnet werden.16

Wahlbeobachter wurden dort keine hin-geschickt, was wiederum die Bedin-gungen für die Entstehung von„Geister-Wahllokalen“ ebnete.17 VieleMenschen sehen auch keinen Sinn dar-in, überhaupt wählen zu gehen. „DieResultate stehen doch schon fest“, sagteverbittert ein Mann in der afghanischenHauptstadt. Wie er redeten viele Kabu-lis während der Vorwahltage. Auch derLeiter der „Free and Fair ElectionFoundation of Afghanistan“ (FEFA),Jandad Spinghar, wies auf die Enttäu-schung vieler Bürger über Regierungund Parlament hin, angesichts der Er-fahrungen aus den vergangenen Jahren.Eine geringe Wahlbeteiligung wäre dieFolge.18 Durch massiven Betrug beiden Präsidentschaftswahlen 2009 habendie Menschen in Afghanistan ihre letz-ten Hoffnungen auf auch nur annäherndfaire Wahlen verloren. Selbst die größ-ten Optimisten glauben nicht mehr dar-an.19 Nach einer kurz vor der Wahldurchgeführten Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit demNational Center for Policy Research istdie Mehrheit der Afghanen von unfai-ren Wahlen überzeugt. Während nur 36Prozent der Befragten an annäherndtransparente Wahlen glauben, gehen 64Prozent von einem manipulierten Vor-gang aus.20

In vielen Provinzen ist abwaschbareTinte zur Markierung der Finger ver-

Parlamentswahlen in Afghanistan

Ende einer FarceVon Matin Baraki

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teilt worden.21 Es wurde von 2950 Wahl-lokalen berichtet, in denen abwaschbareTinte verwendet wurde.22 Selbst nachAngaben der FEFA betraf das mehr als50 % der Wahllokale. Der Chef der FE-FA, Ahmad Nader Nadery, sprach von„erheblichen Unregelmäßigkeiten“.23

Seine Mitarbeiter berichteten vonschweren Betrugsfällen.24 In manchenWahllokalen fehlten Stimmzettel, ande-re wurden zu früh geschlossen oder erstgar nicht geöffnet.25 Außerdem seienWähler von Beamten und Kandidateneingeschüchtert worden, beklagte Nade-ry.26

Durch die abwaschbare Tinte konntendie Wähler nicht nur mehrfach wählen,sondern dafür auch entsprechend mehr-fach honoriert werden. Selbst in Kabulmeldeten sich Bekannte einer Kandida-tin stolz bei ihr: „Wir haben mehrmalsfür Dich abgestimmt.“27 In verschiede-nen Stadtteilen von Kabul wurden grup-penweise junge Männer von einemWahllokal zum anderen geschickt, wosie jeweils wählen konnten. Selbstwenn Menschen mit gefälschten Wahl-karten erwischt wurden, passierte ihnennichts. Sie konnten einfach nach Hausegehen, schimpfte der Kandidat SaeedNiaz in Kabul.28

Da Karsai sich auch mit dieser Wahlein „Ja-Parlament“ zu schaffen beab-sichtigt, haben die Afghanen von demParlament an sich eine sehr geringe Mei-nung. „Das Verhältnis zwischen demPräsidenten und dem Parlament ist dasVerhältnis zwischen zwei Geschäftsleu-ten. […] Es gibt einen Handel zwischenKarsai und dem Parlament: Wie vielgibst du mir für meine Stimme“,29 soder ehemalige Planungsminister undFranko-Afghane Ramazan Bashardust,der noch im Parlament sitzt. Das Landam Hindukusch hat sich seit 2001 unterder Regie der freien und demokrati-schen Welt zu einer „Fassadendemokra-tie“30 par excellence mit einerdiktatorischen Exekutive in den Händenvon Karsai und seiner Clique gegenübereinem schwachen Pseudo-Parlament ent-wickelt. Auch die Bedingungen für dieParlamentswahlen im Vergleich zu de-nen von 2005 verbesserten sich nicht.31

Von einemAufbau demokratischer Insti-tutionen reden nur noch die Apologetendes Kabuler Regimes und seiner interna-tionalen Mentoren. Faktisch sind„kriegs- und drogenökonomische sowieKlientel-Strukturen“32 das Fundamentdes politischen Systems in Afghanistan.Die Parlamentswahlen bestätigten dies

erneut: Gewählt wird der „Grundbesit-zer oder der von ihm benannte Kandidat– egal, ob Drogenbaron oder Ehren-mann. Die Machtverhältnisse bleibendie alten, logischerweise auch im Parla-ment“,33 so das Fazit einer deutschenZeitung. Da das politische System in-zwischen völlig desavouiert ist, schick-ten zahlreiche der früheren

djehadistischen Kommandeure, Drogen-händler und Kriegsverbrecher zusätz-lich ihre jungen Angehörigen insRennen. Sie alle versprachen natürlich,den Menschen dienen zu wollen. „Aberhinter diesen großen Worten steckennicht selten Eigeninteressen“,34 konsta-tierte Qazi S.M. Sama, der Chef derMenschenrechtskommission in Nordaf-ghanistan. Einer von diesen jungen Kan-didaten ist z.B. Ahmad Nawid Barat,der in Mazare-Scharif antrat. Sein Vaterhat in kurzer Zeit mehrere Firmen aufge-baut. Die Einheimischen wissen von„undurchsichtigen Geschäfte“35 seinerFamilie, die auf Drogenhandel hindeu-ten. Für seinen Wahlkampf investierte

Kandidat A.N. Barat läppische 180 000Dollar. Mohammad, der 18-jährigeSchüler des Habibia-Gymnasiums inKabul wählte einen Kandidaten, vondem er sich ein Studienplatz an derUniversität Kabul erhofft.36 Die Men-schen stehen den Drogenhändlern, isla-mistischen Warlords undKriegsverbrechern so ablehnend gegen-

über, dass nicht wenige die KandidatinAnarkali Honaryar aus der kleinenMinderheit der Sikh wählen wollen.„Was haben uns die Muslime in diesemLand schon gebracht?“,37 fragte sichein Taxifahrer in Kabul. „Warum sollteich wählen gehen“,38 war die in ganzAfghanistan am meisten gehörte Äuße-rung. Bei 12,5 Millionen wahlberech-tigten Menschen, haben nachMeldungen aus 90 Prozent der Wahllo-kalen nur 3,6 Millionen ihre Stimmenabgegeben.39 Daher rechnet auch nie-mand am Hindukusch damit, dass die-ses Parlament jemals den Willen desVolkes widerspiegeln wird. Eher sinddie Menschen in Afghanistan der Über-

Ein Blick in das alte Parlamentsgebäude Afghanistans, 22.11.2006. Die vorangegangeneParlamentswahl am 18.9.2005 in Afghanistan wurden laut Wikipedia „international alsErfolg gewertet und bildete den Abschluss des so genannten »Petersberger Prozesses«.“Mit solchen Formulierungen wird einerseits vertuscht, dass schon die Wahlen im Jahr2005 gefälscht und mit massiver Gewalt beeinflusst waren, zum anderen wird der „Pe-tersberger Prozess“ beschönigt, dessen krönender Abschluss nicht in der Etablierung ei-ner parlamentarischen Demokratie bestand, sondern in der Einsetzung einesInterimsregimes und der Stationierung von Besatzungstruppen (ISAF). Im Fünf-Punkte-Plan der VN, der in den Grundzügen auch von den Teilnehmern der Petersberger Konfe-renz bei Bonn übernommen wurde, heißt es z.B.: „Vorübergehende Stationierung einereinem Mandat der Vereinten Nationen unterstellten internationalen Truppe, um die Si-cherheit der Interimsverwaltung zu gewährleisten“. In Folge des Petersberger Abkom-mens vom 5.12.2001 erteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution1386 das Mandat für eine Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan(International Security Assistance Force, ISAF) Bild: Wikimedia Commons, public domain

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zeugung, dass die neue importierte Elitees sich „in einem Selbstbedienungsla-den gemütlich gemacht hat.“40

Der Soziologe und Veterinär SaeedNiazi aus Mazare-Scharif musste sogarin Kabul kandidieren, weil er keineChance gegen den UnternehmersohnA.N. Barat hatte. „Drei Freunde habennur drei große Plakate für mich ge-macht“41 und ich selber habe 10 000Stifte als Wahlgeschenke machen las-sen. Was inAfghanistan als Wahl prokla-miert wird, sehen viele Menschen zuRecht als Farce an.42

Die sogenannte internationale Gemein-schaft war genauso wie viele Afghanendavon überzeugt, dass die Wahlen vonmassiven Manipulationen gekennzeich-net sein würden. Deswegen hatten erst-mals weder die Organisation fürSicherheit und Zusammenarbeit in Euro-pa (OSZE) noch die Europäische UnionWahlbeobachter nach Afghanistan ent-sandt.43

Eigentlich hätten die Endergebnisseder Wahlen spätestens am 8. Oktober2010 vorlegen müssen. Dieser Terminwurde bis Ende Oktober verschoben.Der Leiter der Wahlkommission FazelAhmad Manawi hat am 21 . Oktober le-diglich die 249 vorläufigen Wahlgewin-ner, darunter 69 Frauenbekanntgegeben.44 Damit ist der Wahl-betrug in Afghanistan amtlich, bilanzier-te die Frankfurter Allgemeine Zeitung.45

Seit dem formalen Ende der Parlaments-wahlen waren bis Mitte Oktober schon460046 und bis Mitte November stolze6000 Berichte bei der Beschwerdekom-mission eingegangen. Davon sind 2500Vorkommnisse dermaßen schwerwie-gend, dass sie den Ausgang in den be-troffenen Wahlkreisen beeinflussen,meldeten die Presseagenturen.47 Esmussten Stimmzettel aus 1 30 Wahlloka-len für ungültig erklärt werden.48 Des-wegen standen die Wahlbehörden untersolchem Druck, dass sie „1 ,3 Millionender 5,6 Millionen abgegebenen Stim-men wegen Betruges für ungültig er-klärt“49 haben. Es sollen angeblichgegen 224 „verdächtige“ Kandidatenwegen Betruges Untersuchungen einge-leitet werden.50

Am 20. November wurden19 Kandida-ten und am 24. November 2010 weiterefünf Kandidaten disqualifiziert. „Unterden 24 Betroffenen befinden sich einigeAnhänger von Karzai, unter anderemein Cousin des Präsidenten.“51

Auch gegen den Warlord und ehemali-gen Gouverneur des westafghanischen

Provinz Herat und amtierenden Minis-ter für Wasserkraft und Energie, Mo-hammad Ismael Chan soll eineUntersuchung eingeleitet werden. SeineTelefongespräche waren abgehört wor-den, in denen er die Wahlhelfer zur Fäl-schung aufgefordert hatte.52 Hier gehtes im Prinzip nicht darum, die Wahrheitzur Geltung zu bringen, sondern Karsaiwill ihm nicht genehme und der Opposi-tion zuzurechnende Kandidaten aussor-tieren.Erst Ende November wurde dann einvorläufiges Endergebnis bekanntgege-ben, allerdings immer noch unvollstän-dig, ohne die Resultate aus der ProvinzGhazni.53

Während „The Australian“ aus Sydneyund die britische „Independent“ ausLondon in ihren Kommentaren am 20.September 2010 die Parlamentswahlenschön geredet hatten, waren sie von den„Salzburger Nachrichten“ schon gleichals „Farce“ bezeichnet worden.„It is not the strongest of the speciesthat survives, nor the most intelligentthat survives. It is the one that ist themost adaptable to change.“54 Schon derNaturforscher Charles Darwin wusste,wer sich nicht ändert, wird auf Dauernicht lebensfähig sein. Demnach istauch das starre System Karsei zum Un-tergang verurteilt. So gnadenlos sinddie Gesetze der gesellschaftlichen Ent-wicklungen.Auch sechs Monate nach dem Endeder Parlamentswahlen in Afghanistan,ist das Gremium immer noch nicht ar-beitsfähig. Das Geschacher um diedurch Fälschung und Stimmkaufins Par-lament gelangten Abgeordneten warkaum zu Ende, da ist „der Kampf umden Kopf des toten Esels“, wie die Af-ghanen es nennen, entbrannt. Der ehe-malige Präsident, ein Warlord undKriegsverbrecher, Mohammad JonusQanuni, will weiter Parlamentspräsidentbleiben. Aber auch Abdul Rab Mo-hammad Rasul Sayaf, ein Kriegsverbre-cher und Massenmörder, will das Amtfür sich haben. Der Kabuler PräsidentAbdul Hamid Karsai verhandelt mit bei-den, um den Streit endlich zu beenden.Qanuni soll ein wichtiges Ministerium,möglicherweise das Außenministeriumund Sayaf das Amt des Präsidenten desobersten Gerichtes bekommen. Da ersich in seiner ideologischen Borniert-heit kaum von den Taleban unterschei-det, wird die afghanische Judikative dasislamische Recht „die Scharia“ eher an-wenden als verfassungsmäßig festgeleg-

te Gesetze. Sayaf ist ein Ultraislamistwahabitischer Prägung, dieser Wahabi-tismus wurde seit 1 980 mit saudischenPetrodollars für die islamistischen Mo-djahedin aus Saudi-Arabien nach Af-ghanistan gebracht. Das politischeTheater scheint vorläufig zu Ende zusein. Zum Präsidenten des Unterhauseswurde Abdul Rahman, ein Usbeke vonder Hesbe Islami von Hekmatyar „ge-wählt“. Auch ein Verbrecher, wie vieleandere, die in Afghanistan in führendenPositionen mitmischen.Als eine Abgeordnete daran erinnerte,dass im neuen Kabuler Parlament Men-schen sitzen, die in den Jahren des Bür-gerkrieges unter den Modjahedin(1992-1994) ihren Gegnern Nägel indie Köpfe geschlagen hätten, kam es imParlament zu einer wilden Schlägerei,die später auch außerhalb des Hausesfortgesetzt wurde. Die Menschen in Af-ghanistan nehmen solche Parlamentari-er nicht mehr ernst. Sie haben die Nasevoll von dem billigen Theater einerkorrupten Menschenansammlung, diesich Abgeordnete nennen. „Diese Ab-geordneten sind nicht Vertreter der In-teressen des Volkes, sondern verfolgenihre eigenen Interessen“, meinten vieleMenschen Anfang März 2011 im Rah-men einer Straßenumfrage in Kabul.

1 Marek, Michael: „Journalismus kann Dingeverändern!“, in: Die Tageszeitung (TAZ),9./1 0.1 .201 0, S. 27.

2 Vgl. Böge, Friederike: Wahlkampf in Geister-wahllokalen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung(FAZ), 1 8.9.201 0, S. 6.

3 Maaß, Citha D./Ruttig, Thomas: AfghanistansParlamentswahl 201 0, (Hrsg.) Stiftung Wissen-schaft und Politik, Berl in, September 201 0, S. 1 .

4 Spalinger, Andrea: Viele ungültige Wahlzettelin Afghanistan, in: Neue Zürcher Zeitung, (NZZ),21 .1 0.201 0, S. 5.

5 Tandler, Agnes: Hamid Karsais Puppentheater,in: Die Tageszeitung (TAZ), 29.7.201 0, S. 1 1 .

6 Vgl. Tandler, Agnes: Angst vor Rückkehr derTaliban, in: TAZ, 24.8.201 0, S. 1 1 .

7 Tandler, Agnes: Hamid Karsais Puppentheater,in: TAZ, 29.7.201 0, S. 1 1 .

8 Berger, Thomas: Den Morddrohungen zumTrotz, in: Junge Welt, Berl in, 1 7.9.201 0, S. 1 5.

9 Maaß, Citha D./Ruttig, Thomas: AfghanistansParlamentswahl 201 0, a.a.O. , S. 4.

1 0 Vgl. Matern, Tobias: Gekaufte Stimmen, er-mordete Kandidaten, in: Süddeutsche Zeitung(SZ), 1 7.9.201 0, S. 8.

1 1 Matern, Tobias: Gekaufte Stimmen, ermordeteKandidaten, in: SZ, 1 7.9.201 0, S. 8.

1 2 Vgl. Germund, Wil l i : „Nahezu normal“, in: Ge-neral-Anzeiger, Bonn, 20.9.201 0; Ruttig, Thomas:Chaotisch, umkämpft und manipul iert, in: TAZ,1 7.9.201 0, S. 4.

1 3 Ruttig, Thomas: Chaotisch, umkämpft undmanipul iert, in: TAZ, 1 7.9.201 0, S. 4.

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1 4 Vgl. Daily Outlook, Kabul, 1 7.9.201 0.

1 5 Matern, Tobias: Abwärts in Afghanistan, SZ,1 8./1 9.9.201 0, S. 4.

1 6 Vgl. Matern, Tobias: Gekaufte Stimmen, ermor-dete Kandidaten, in: SZ, 1 7.9.201 0, S. 8.

1 7 Böge, Friederike: Wahlkampf in Geisterwahl-lokalen, in: FAZ, 1 8.9.201 0, S. 6.

1 8 Vgl. Böge, Friederike: Wahlkampf in Geister-wahllokalen, in: FAZ, 1 8.9.201 0, S. 6.

1 9 Vgl. Spalinger, Andrea: Wahlen ohne Begeiste-rung in Afghanistan, in: NZZ, 1 7.9.201 0, S. 8.

20 Vgl. Ladurner, Ulrich: Wackliger Boden, in:Das Parlament, Nr. 39, 27,9.201 0, S. 1 0.

21 Vgl. Gewalt und Betrug bei Parlamentswahl inAfghanistan, in: FAZ, 20.9.201 0, S. 1 .

22 Vgl. Berger, Thomas: Blutige Abstimmung, in:Junge Welt; Berl in, 20.9.201 0, S. 6.

23 Spalinger, Andrea: Geringe Wahlbetei l igung inAfghanistan, in: NZZ, 20.9.201 0, S. 3.

24 Vgl. Wahlbetrug in Afghanistan, SZ,21 .9.201 0, S. 8

25 Vgl. Ladurner, Ulrich: Wackliger Boden, in:Das Parlament, Nr. 39, 27,9.201 0, S. 1 0; vgl. Spa-l inger, Andrea: Geringe Wahlbetei l igung in Afgha-nistan, in: NZZ, 20.9.201 0, S. 3.

26 Vgl. Spalinger, Andrea: Geringe Wahlbetei l i-gung in Afghanistan, in: NZZ, 20.9.201 0, S. 3.

27 Matern, Tobias: Abstimmung mit Zwischenfäl-len, in: SZ, 20.9.201 0, S. 8.

28 Vgl. Germund, Wil l i : „Nahezu normal“, in: Ge-neral-Anzeiger, Bonn, 20.9.201 0.

29 Tandler, Agnes: Hamid Karsais Puppenthea-ter, in: TAZ, 29.7.201 0, S. 1 1 .

30 Maaß, Citha D./Ruttig, Thomas: AfghanistansParlamentswahl 201 0, a.a.O. , S. 8.

31 Vgl. The Next Afghan Election, in: The NewYork Times, 1 3.9.201 0, S. 2.

32 Maaß, Citha D./Ruttig, Thomas: AfghanistansParlamentswahl 201 0, a.a.O. , S. 8.

33 Neue Osnabrücker Zeitung, 1 8.9.201 0.

34 Matern, Tobias: Mit Lautsprechern gegen dieKriegsfürsten, in: SZ, 11 . /1 2.9.201 0, S. 7.

35 Matern, Tobias: Mit Lautsprechern gegen dieKriegsfürsten, in: SZ, 11 . /1 2.9.201 0, S. 7.

36 Vgl. Matern, Tobias: Abstimmung mit Zwi-schenfäl len, in: SZ, 20.9.201 0, S. 8.

37 Böge, Friederike: Wahlkampf in Geisterwahllo-kalen, in: FAZ, in: 1 8.9.201 0, S. 6.

38 Matern, Tobias: Abwärts in Afghanistan, SZ,1 8./1 9.9.201 0, S. 4.

39 Vgl. Matern, Tobias: Betrugsvorwürfe bei derWahl in Afghanistan, in: SZ, 20.9.201 0, S. 1 .

40 Matern, Tobias: Afghanische Tricksereien, in:SZ, 20.9.201 0, S. 4.

41 Germund, Wil l i : „Wenn nicht betrogen wird, ha-be ich eine Chance“, in: General-Anzeiger, Bonn,1 6.9.201 0.

42 Vgl. Matern, Tobias: Abwärts in Afghanistan,SZ, 1 8./1 9.9.201 0, S. 4.

43 Ladurner, Ulrich: Wackliger Boden, in: DasParlament, Nr. 39, 27.9.201 0, S. 1 0.

44 Matern, Tobias: Verhöhnung der Demokratie,in: Tages-Anzeiger, Zürich, 21 .1 0.201 0, S. 6.

45 Wahlbetrug in Afghanistan amtl ich, in: FAZ,21 .1 0.201 0, S. 2.

46 Vgl. Spalinger, Andrea: Viele ungültige Wahl-zettel in Afghanistan, in: NZZ, 21 .1 0.201 0, S. 5.

47 Vgl. Kabul: Wahlbetrug jetzt amtl ich, Presse-agentur „dapd“, 1 5.1 1 .201 0; in: Junge Welt,1 6.1 1 .201 0, S. 2.

48 Vgl. Wahlbetrug in Afghanistan amtl ich, in:FAZ, 21 .1 0.201 0, S. 2.

49 Afghanistan: Wahlbehörde korrupt?, Presse-agentur „dapd“, 5.1 1 .201 0; in: Junge Welt,6. /7.1 1 .201 0, S. 7.

50 Vgl. Spalinger, Andrea: Viele ungültige Wahl-zettel in Afghanistan, in: NZZ, 21 .1 0.201 0, S. 5;Massiver Wahlbetrug, Presseagenturen „AFP“und „dpa“, 20.1 0.201 0, in: SZ, 21 .1 0.201 0, S. 8.

51 Spalinger, Andrea: Afghanistans Wahlfarcegeht weiter, in: NZZ, 25.11 .201 0, S. 3.

52 Vgl. Kabul: Ermittlung wegen Wahlbetrugs,Presseagentur „dapd“, 1 1 .1 1 .201 0; in: Junge Welt,1 2.1 1 .201 0, S. 6.

53 Vgl. Spalinger, Andrea: Afghanistans Wahlfar-ce geht weiter, in: NZZ, 25.11 .201 0, S. 3; Matern,Tobias: Endergebnis in Afghanistan, in: SZ,25.1 1 .201 0, S. 8.

54 Die Tageszeitung (TAZ), Berl in, 1 3./1 4.2.201 0.